Tagebücher von Leira ================================================================================ Oma und Opa Kudô ---------------- Guten Abend, liebe Leserinnen und Leser! Zuallererst möchte ich mich herzlich bei den Kommentatoren des letzten Kapitels bedanken! Dankeschön, es freut mich sehr, dass ihr euch die Mühe macht! Nun... bevor ihr jetzt allerdings wissen dürft, wie’s mit Ran weitergeht, kommt wie gehabt ein Kapitel der Gegenwart. Wer also noch irgendwelche Tipps den Mörder betreffend abgeben will, dies wäre die letzte Möglichkeit. Es tut mir Leid, wenn der Fall nicht so gut zum Miträtseln ist wie man es von Conan gemeinhin gewohnt ist - ich hab mir Mühe gegeben... denn ja, eigentlich wars mein erster ‚echter’ Fall ^/////^ Auch wenn vielleicht schon mal welche erwähnt wurden, das hier war der erste zum Miträtseln. Aber jetzt wünsch ich euch erstmal gute Unterhaltung mit Sayuri, viele liebe Grüße, Eure Leira ;D ________________________________________________ Kapitel 7: Oma und Opa Kudô Gegenwart Der Besuch bei Onkel Heiji war nun zwei Tage her. Zwei Tage, in denen sie und ihre Mutter zwar geredet hatten, aber auch wieder nicht - sie redeten nicht miteinander, sondern irgendwie jeder für sich, und ihre Gespräche schlossen ein Thema immer noch aus; Shinichi Kudô, ihren Vater. Sayuri hatte auch zu Hause nicht mehr damit angefangen, nach ihm zu fragen; und Ran wusste nicht, ob sie ihr deshalb dankbar sein sollte oder nicht. Sie wusste nicht, wie sie jetzt anfangen sollte, über Shinichi mit ihr zu reden, jetzt, nachdem schon so viel falsch gelaufen war... ganz davon abgesehen, dass sie den Gedanken an ihn gern von sich wegschob, wenn es sich einrichten ließ. Sie ertrug ihn nicht. Und so kamen sie beide irgendwie miteinander aus, und doch war ihr Verhältnis ganz eindeutig gestört. Sie wusste, was Sayuri ihr vorwarf, und sie wusste auch, ihre Tochter hatte damit Recht; ohne Einschränkungen Recht. Sie hatte es übertrieben, sie von ihm abzuschirmen, bis sie dafür bereit war, für die Wahrheit… aber nicht aus Böswilligkeit. Sie wollte sich schützen. Schützen vor dem Schmerz, den sie wachrief mit dem Gedanken an einen Menschen, den sie so sehr geliebt hatte, dass sein Tod in ihr eine Leere hinterlassen hatte, von der sie nicht gewusst hatte, nie geahnt hatte, dass sie existieren könnte. Deshalb ließ Ran sie lesen. Und schwieg sich aus. Und so kam es, dass Sayuri, zwei Tage nach ihrem Osakatrip mit einer Tasse Tee bäuchlings auf ihrem Bett lag, mit dem dritten Buch ihres Vaters aufgeschlagen vor sich ans Kopfkissen gelehnt. Leise schlürfend trank sie einen Schluck Tee. Ihre Zwiegespaltenheit, was das Lesen seiner Aufzeichnungen anbelangte, war ganz und gar nicht verschwunden; aber sie hatte sich jetzt ein für alle Mal dafür entschlossen, sie alle zu lesen, egal, was danach kam. Wie sie sich danach fühlen würde. Für den Moment sollte sie das nicht interessieren. Was zählte, war das jetzt, und jetzt war er da, und redete gewissermaßen mit ihr... und das fühlte sich einfach gut an. Gedankenverloren klemmte sie ihre Zungenspitze zwischen ihre Lippen und ließ ihre Augen über die Zeilen wandern. Hallo! Deine Mutter glaubt, du wirst ein Mädchen. Ich weiß nicht, woher sie dieses Wissen nimmt, aber sie ist davon felsenfest überzeugt und freut sich. Ich will nicht wissen, was sie macht, wenn du ein Junge bist. ;-) Bestimmt freut sie sich genauso drüber. Wahrscheinlich hat sie nur irgendwelche Anwandlungen, die Schwangere eben so haben. *g* Oder doch weibliche Intuition? Keine Ahnung. Mir für meinen Teil ist das egal, nur heute warf dieses Thema ein Problem auf; Ran wollte Farbe für dein Zimmer kaufen. Dreimal darfst du raten, welche. Genau. Rosa. Sayuri lächelte verhalten. Ihre Mutter hatte also ein Mädchen gewollt. Und sie hätte prompt das Klischee bestätigt, indem sie ihr den rosa Traum kleiner Prinzessinnen zu erfüllen wollte - ein Zimmer, ganz in Pink. Sie sah sich um. Kein Hauch von Pink. Hier war allerdings alles gelb. Immer schon gelb gewesen... anscheinend hatte irgendwer die pinke Invasion verhindert. Und sie sollte auch gleich erfahren, wer. Geistesabwesend zog sie die Schublade ihres Nachttischchens auf, kramte eine Tafel Schokolade hervor und packte sie aus, brach sich ein Stückchen ab und schob es sich in den Mund. Nachdem sie ein bisschen daran gelutscht hatte, zerkaute sie sie, schluckte die Schokolade runter, nahm das Buch wieder in die Hand und las weiter. Wenn du ein Junge bist, solltest du mir jetzt verdammt noch mal dankbar sein. Wenn du ein Mädchen bist, wohl auch. :) Denn ich hab mich in der Farbwahl durchgesetzt, yeah! Kein Rosa. Wie kommt sie auch auf diese Idee! Rosa! Ist das zu fassen. Rosa. Oder Pink. Genauso schlimm. Also, ich konnte sie breitschlagen, es pastellgelb zu streichen, oder wie auch immer diese Farbe heißt, und nach langen Diskussionen hat sie mir zugestimmt... schon allein, weil sie wohl keine Lust hatte, alles wieder hellblau zu streichen, wenn du doch ein Junge bist, und mit dem Streichen zu warten, bis wir es wissen, wollte sie nicht. Sie wollte dein Zimmer einrichten, also musste gestrichen werden. Und da ich ein treusorgender Ehemann bin, hab ich also gestrichen… die Wände… den Fußboden, Rans Haare, den Teppichboden hier und im Gang und.. mich. Hoffentlich geht das wieder ab. Deine Mum kocht grad vor Wut, weil ich den Teppich ruiniert hab. :) Und weil’s nicht rosa ist. Aber rosa, hey… Gelb is viel besser. Gelb macht einen fröhlich. Rosa wird dich irgendwann nerven, wenn du älter bist, egal ob Junge oder Mädchen - dann wirst du dein Zimmer neu streichen, und uns in die Hölle wünschen, weil sich rosa so schwer übermalen lässt; aber Gelb- Gelb wird dir immer gefallen, glaub mir. Ich mag gelb. Rot mag ich auch, aber… ich denke, in einem signalroten Zimmer wird man wahnsinnig. Also Gelb. Sayuri schaute auf. Gelb. Es stimmte, alle ihre Wände waren gelb, pastellgelb… zwar war schon die zweite Schicht drauf, aber sie hatte den gleichen Farbton wieder gewählt. Die Farbe, die ihr Vater ausgesucht hatte, wie sie jetzt wusste. Dann stieg sie aus dem Bett, ging zu ihrem Schreibtisch, zog ihn von der Wand weg, kniete sich auf den Teppichboden. Die gelben Flecken waren schon da, so lange sie sich erinnern konnte, zwar nur noch sehr schwach sichtbar, aber die verwaschene Farbe war noch zu erkennen. Er hatte sie… sie waren entstanden, als ihr Vater ihr Zimmer gestrichen hatte. Natürlich hatte sie das nicht gewusst. Bis jetzt. Sie schluckte, strich mit ihren Fingern über die gelb verfärbten Stellen, kniff dann die Augen zusammen, schluckte und ging sie zurück zum Bett, griff sich das Buch und las weiter. Also wo wir jetzt schon beim Einrichten deines Zimmers sind, würde mich irgendwie interessieren, welche Art von Büchern du liest. Wir haben heut neben der Farbe nämlich auch Regale gekauft, musst du wissen, und ein Bett und einen Schrank und eine Wiege. Aber die Regale sehen irgendwie so leer aus ohne Bücher. Es kann zwar sein, dass du dir aus Büchern nichts machst - aber bei einem Schriftsteller als Opa, und wenn du auch nur ein bisschen was von mir hast, dann wirst du Bücher lieben. Beziehungsweise liebst Bücher. Ich bin großer Fan von Kriminalliteratur, besonders von Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle, wie du dir wohl denken kannst, nun, da du ja meinen Beruf schon weißt :D Solltest du in der Hinsicht nach mir kommen, dann wird dich unsere Bibliothek wohl begeistern. Es gibt da fast jeden Krimi, der bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht worden ist. Wenn nicht… Pech gehabt ;) Da stehen nämlich bis jetzt nur Krimis. Die Bücher, die deine Mutter liest, stehen in ihrem Bücherzimmer. Da dieses Haus so feudal groß ist (was dem Größenwahn deiner Großeltern zu verdanken ist), konnten wir uns leisten, neben einer Bibliothek noch eine Minibibliothek einzurichten. Apropos Großeltern - ich hoffe, du kommst gut mit meinen Eltern klar, und sie lassen sich bei dir ein wenig öfter blicken als bei mir. Als ich dreizehn war, sind die nämlich ausgezogen. Ja, du liest richtig - sie sind ausgezogen. Nicht ich. In einem Anflug von keine Ahnung was haben sie sich eingebildet, sie müssten in Übersee einen drauf machen… Nein, Scherz bei Seite. Eigentlich weiß ich selber nicht genau, warum sie das taten… sie waren wohl schon immer sehr aktive Menschen, engagiert, vielseitig orientiert; meine Mutter war mal Schauspielerin, hat aber ihren Beruf aufgegeben, als sie meinen Vater geheiratet hat. Mein Vater ist Kriminalschriftsteller, ich nehme an, das ist dir bekannt, und er, so er denn noch lebt, ist das wohl immer noch. Er war seinerzeit schon überaus erfolgreich, und es zog sie wohl beide in die Staaten, sie wollten vielleicht einen Klimawechsel, ich weiß es nicht. Ich wusste nur, ich wollte das nicht. Eigentlich sollte ich mitkommen, aber ich blieb hier. Es gab ein paar Streitereien deswegen, aber ich setzte mich durch. Nun. Offiziell gab ich als Grund an, dass ich Amerika nicht unbedingt mag (was der Wahrheit entspricht; ist zwar schön für eine Reise, aber leben will ich da nicht), dass ich die Schule hier fertig machen wollte, dass ich aus meiner Umgebung nicht weg wollte… Der Hauptgrund allerdings, den sie genauso wussten wie ich, obwohl er nie ausgesprochen worden war, war die Freundschaft zu deiner Mutter. Ich wollte nicht weg von Ran… deshalb blieb ich hier. Meine Eltern ließen sich von da ab eher sporadisch blicken, aber ich will ihnen keinen Vorwurf machen. Wenn man sie brauchte, sie rief, dann kamen sie auch. Nur leider… ist ihnen von da drüben aus wohl so manche Notsituation hier entgangen… weil der Ruf zu leise war oder der Weg zu lange. So erfuhren sie auch von Conan erst Wochen später… und das nicht mal von mir, nein, von Professor Agasa. Agasa ist wohl überhaupt der Grund, warum aus mir noch einigermaßen was geworden ist, neben deiner Mutter ;) Er war wie ein Großvater für mich. Er war immer da, wenn ich ihn brauchte, und dafür bin ich ihm auf ewig dankbar. Er hat sich um mich gekümmert, egal wie alt ich war… egal was ich brauchte. Ich weiß nicht, was ich ab und an ohne ihn gemacht hätte. Aber zurück zum Thema. Meine Mama… ist wohl im Grunde genommen ein herzensguter und liebenswürdiger Mensch, auch wenn sie einem das mit der Liebenswürdigkeit ab und an ein wenig schwer macht. Sayuri musste grinsen. Ja, das hörte sich schwer nach Oma Yukiko an. Sie hat manchmal so Anwandlungen… sie neigt dazu, einen mit ihrer Hilfsbereitschaft zu erdrücken, sie liebt es, im Rampenlicht zu stehen und aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, mit viel Trara die eigene Persönlichkeit zu inszenieren. Irgendwo ist sie immer noch Schauspielerin, das wird sie wohl nie ganz verlassen ;D Sie ist meistens gut gelaunt, durchaus nicht auf den Kopf gefallen, spontan, stürmisch, etwas abgedreht… und sie hasst es, alt auszusehen, für alt gehalten oder als Tante bezeichnet zu werden. Darfst du eigentlich Oma zu ihr sagen? Das muss die Hölle für sie sein *g* Sayuri grinste breit. Ja, das war absolut ihre Omi, wie sie leibte und lebte. Aber im Grunde genommen ist sie wohl die beste Mama, die ich mir wünschen könnte. Nicht jede hätte mit ihrem Sohn so viel durchgemacht wie sie mit mir und ihn dann immer noch so gern gehabt, wie sie mich wohl hat. Es tut mir ehrlich Leid… ihr jetzt diesen Kummer bereiten zu müssen… ich seh’s in ihren Augen, wie sehr sie der Gedanke manchmal quält… ich hoffe, sie kommt drüber weg, kommt klar, einigermaßen zumindest… vielleicht kannst du ihr da ja helfen. Jemand, um den sie sich kümmern kann, jemand Neues, den sie bemuttern und ihre Liebe schenken kann, wenn ich nicht mehr da bin… Ahhh ja... Okay… lassen wir das. Darüber will ich hier eigentlich nicht reden. Nehmen wir uns meinen werten Herrn Erzeuger vor; wo wir schon dabei sind, folgen hier jetzt mal ein paar Wahrheiten über deinen Opa. *räusper* Yusaku Kudô… Von ihm hab ich dir ja schon mal erzählt, allerdings denke ich, muss ich noch ein wenig anfügen… gerade was meine Situation und unser Verhältnis im Allgemeinen betraf, kann ich dir bestimmt noch was erzählen, vielleicht interessiert es dich... da er ja wohl einer deiner Ersatzväter sein wird, neben deinem Opa Kogorô... Ich denke, ich lerne gerade ganz neue Seiten an ihm kennen. Du kannst… kannst dir nicht vorstellen, wie es war, ihm… ihm die Nachricht von meinem… baldigen Ableben zu sagen. Ich hab es ihnen gleichzeitig gesagt, meiner Mutter und meinem Vater und es war hart genug… zweimal hätte ich das nicht gepackt. Die Reaktion meiner Mutter war vorhersehbar. Sie war… am Boden zerstört, brach in Tränen aus, das kannst du dir wohl vorstellen. Mein Vater war sauer. Zuerst auf mich. Weil ich sterben muss… weil ich mir das alles eingebrockt habe. Weil er dachte, ich würde nicht kämpfen, würde mein Schicksal einfach so akzeptieren. Und dann sagte er auf einmal gar nichts mehr. Er ist einfach gegangen. Hat tagelang nicht mit mir geredet. Reagierte nicht auf meine Anrufe, meldete sich nicht, ließ mir nicht einmal etwas über meine Mutter ausrichten. Irgendwann ging ich dann zu ihm… und da haben wir uns ausgesprochen… Und du wirst lachen, aber erst da hab ich gemerkt… wirklich gespürt… wie viel ich ihm wohl eigentlich bedeute. Er kam… kommt… wohl nicht gut klar damit… was heißt gut, er kommt gar nicht klar. Aber er ist… da, auch wenn es ihm schwer fällt. Er steht mir zur Seite, und er hat versprochen, auch für dich da zu sein… da ich es ja nicht kann. Ich denke… wir haben früher viel aneinander vorbei geredet, so ab dem Alter, als ich in die Pubertät kam. Du kennst das vielleicht… wenn Kinder sich gegen die Eltern auflehnen. Ich bitte dich an dieser Stelle, sei nicht zu hart zu deiner Mutter in der Zeit; bzw. ich hoffe, du warst es nicht. Sie hatte in ihrem Leben schon genügend harte Zeiten… Mein Vater, nun. Solange ich noch klein war, lief alles glänzend. Ich bewunderte ihn, und er war ein sehr liebevoller Vater. Sehr interessiert… er kümmerte sich um mich, gab mir Rätsel auf, forderte mich auf seine Art, wie das Väter wohl so machen. Ich werde das… bei dir wohl leider nicht machen können… Sayuri meinte, spüren zu können, wie er bei diesem Absatz innegehalten haben musste... genau der Gedanke war ihr auch gekommen, als sie gelesen hatte, was er und sein Vater gemacht hatten. Der Gedanke war ihr schon gekommen, vor zwei Tagen, als sie Heiji mit Takeo erlebt hatte. Sie schluckte schwer, konzentrierte sich wieder auf den Text vor ihren Augen. Aber das... tut jetzt wohl auch nichts zur Sache. Wie gings mit meiner Beziehung zu meinem Vater weiter? Nun... als ich erwachsen wurde, kamen ein paar Differenzen auf, wie wohl in jeder Eltern-Kind-Beziehung. Die erste war wohl, dass ich Detektiv wurde. Er ist auch begnadet, musst du wissen, er wäre ein guter Detektiv, ein sehr guter, sogar. Er ist ein brillanter Denker, ein hervorragender Beobachter. Und in all der Zeit, als ich mich erprobte, mich testete, Herausforderungen suchte und die ersten Erfolge in Sachen gelöste Fälle sich einstellten, hat er sich stets einen Spaß daraus gemacht… mir meine Fehler unter die Nase zu reiben. In jedem Fall, über den wir stolperten, hat er mir gezeigt, was ich übersehen hatte. Ich hielt es für pure Bosheit, zu Teil sogar für Neid, für Missgunst, doch ich hab mich geirrt. Es war seine Art, mich anzuspornen. Er hat mir nie wirklich gesagt, was er von mir hielt, obwohl er doch ein Mann der Worte ist, ein Schriftsteller. Ich dachte deswegen, ich könnte es ihm nicht Recht machen… dachte, ich hätte seine Anforderungen als Sohn nicht erfüllt. Ich hab mich geirrt. Es hätte gut getan, mal ein Wort des Lobes zu hören, aus seinem Mund, aber dazu kam es erst, als es fast schon zu spät war. Leider werde auch ich dir nie… mein Lob aussprechen können, wenn du etwas gut gemacht hast; aber sei dir versichert, ich wäre sehr stolz auf dich. Tatsache ist… ich bin froh, überaus froh, ihn zu haben; er hat seine Sache gut gemacht, als Vater, auch wenn er sich momentan Vorwürfe macht. Er denkt, er habe mich mit Dreizehn, als er also in die Staaten ging, im Stich gelassen. Er glaubt, wäre er hier gewesen, dann würde all das nicht passieren. Willst du wissen, was ich darüber denke? Er irrt. So brillant er ist… hier irrt sein überaus intelligenter Geist. Ich hätte diese Männer verfolgt, egal ob er zu Hause gesessen wäre… ich war mit Ran im Park, was hätte er tun können? Ich wäre deswegen kein anderer geworden… Es kommt leider… wie es kommen muss. Ich hoffe, du kommst also gut klar mit den beiden… Bis dann, Töchterchen. Oder Sohnemann. Mal sehen, wie gut die Intuition deiner Mutter ist. :-) Sayuri klappte das Buch zu, schluckte, rutschte vom Bett. Schaute ihre gelb gestrichenen Wände an, den Fleck in der Ecke… dann ging sie runter, in die Eingangshalle, zog sich ihre Jacke an. Sie wollte zu ihren Großeltern. Zu Oma und Opa Kudô. Irgendwie verspürte sie jetzt das dringende Bedürfnis, mit ihnen zu reden, und sie waren gestern aus den Staaten zurückgekehrt. Sie musste sie jetzt sehen. Sie hatte schon viel zu lange warten müssen. Ran trat in die Eingangshalle, sah ihre Tochter mit dem Buch unterm Arm, als sie versuchte, in ihre Schuhe zu schlüpfen, ohne ihre Hände dabei zu benutzen. „Wo gehst du hin, Sayuri?“ Sayuri blickte sich um, schaute sie an. Angespannt, ja. Ihre Mutter wirkte angespannt… „Oma und Opa.“, antwortete sie dann kurz angebunden, bückte sich wieder zu ihren Schuhen. „Meine Eltern… oder…“, begann Ran langsam, trat einen Schritt näher. Sayuri blickte erneut auf, schüttelte den Kopf, schaute sie misstrauisch an. „Nein. Oma und Opa Kudô. P… Papas Eltern. Ich…“ Ran starrte sie an, sog hörbar die Luft ein. In ihren Augen spiegelte sich leichtes Erstaunen. „Du… du nennst ihn…“ Das Mädchen stieß heftig ihren linken Fuß mit den Zehen am Boden auf, um ganz in den Schuh hineinzurutschen und bereute es umgehend, als pochender Schmerz sich in ihren Zehen einstellte. Dann drehte sie den Kopf, funkelte sie leicht verärgert an. „Ja. Das war er doch, oder? Und ich hätte ihn schon viel früher so nennen können, wenn du mir mal etwas über ihn erzählt hättest, Mama…“ Ran sah sie nicht an. Also war es jetzt soweit; sie waren wieder auf das Thema gestoßen, das sie in diese Situation gebracht hatte. Stockend atmete sie aus, knetete ihre Hände. „Ich konnte nicht.“ „Ach ja?“ Sayuri sah auf. In ihren Augen funkelte Wut. „Ach ja?!“ Sie schrie fast. All der Zorn, den sie seit Tagen in sich trug, kochte in ihr hoch, schäumte über. Sie hatte nie vorgehabt, ihrer Mutter zu sagen, was sie über ihren Vater gedacht hatte, vor diesen Büchern, weil sie ja wusste, ihre Mutter hatte es nicht böse gemeint, indem sie ihr nichts sagte, aber jetzt, angesichts ihrer ándauernden Verstocktheit, verlor sie einfach die Kontrolle über sich. „Weißt du, was ich dachte? Ich dachte, er wäre irgendein Mistkerl gewesen, irgendein Typ, den du geheiratet hast, weil du ihn toll fandest, und der dich sitzen gelassen hat, als du schwanger geworden bist, weil er die Verantwortung nicht tragen konnte, weil er Kinder nicht wollte! Ich dachte, er wäre es nicht wert, diesen Titel zu tragen, Vater! Ich…“ Eine Träne des Zorns verließ ihren Augenwinkel. Ihre Finger krampften sich so fest um das Buch, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Wegen dir hab ich ihm so Unrecht getan! Wegen dir! Weil du mir nichts gesagt hast, und auch allen anderen verboten hast, mit mir darüber zu reden! Sogar seinen Eltern, warum haben sie eigentlich auf dich gehört?!“ Ran wurde weiß, als sie das alles hörte. Sie merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, schämte sich. Und doch konnte sie sich nicht wirklich verteidigen. Sie konnte sie nicht ansehen, und ihr die Gründe nennen, warum es soweit hatte kommen müssen. Denn es gab keine. Dass Sayuri so gedacht hatte, war wirklich allein ihre Schuld. Weil sie mit seinem Tod einfach überfordert war... nach wie vor kam sie nicht klar damit, dass er weg war. „Es war abgemacht, dass ich dir die Sachen erst gebe, wenn du explizit nach ihm fragst. Er wollte es auch so.“ Rans Stimme war kaum mehr zu hören. Sie starrte zu Boden, schwieg. „Aber hat das eingeschlossen, dass keiner je ein gutes Wort über ihn verlieren darf? Ich sehe ein, dass die Geschichte nichts…“, ein Zittern durchfuhr sie, als sie an die Maus dachte, „für kleine Mädchen ist, aber dass ihr nicht ein Wort über ihn verloren habt, nicht eins, das ist krank! Das war bestimmt nicht in seinem Sinn! Erzähl mir nicht, dass er wollte, dass ich ihn für einen Mann halte, der nur auf seinen Spaß, ein schönes Leben, ohne Kinder, ohne Sorgen, ohne Verantwortung aus war und sich aus der Affäre zog, als es ihm zu heiß geworden ist! Das kannst du nicht gewollt haben!“ Sie biss die Zähne zusammen, dass ihre Kiefer schmerzten. „Nicht, wenn du ihn geliebt hast…“ Ran hob ruckartig den Kopf, als kurz eine Flamme von Wut in ihr aufflackerte, aber sie, im Gegensatz zu ihrer Tochter, hatte sich besser im Griff. „Ich habe… habe ihn geliebt! Pass auf, was du sagst und wage ja nie wieder, das anzuzweifeln, hörst du?!“ Verzweiflung und Verletzlichkeit standen in ihren Augen. Sayuri sah es, aber ignorierte es. „Warum dann das alles? Warum lässt du zu, dass ich auf solche Gedanken komme? Denn er war ganz anders…“ Ein Schauer durchlief sie. „Er hat mein Zimmer gestrichen und mir den Teppich versaut, er entschuldigt sich, dass er nicht hier ist, jeden den ich frage, sagt mir, wie sehr er ihm fehlt, und dass ganz besonders du ihn vermisst und immer noch so liebst und dann lässt du zu, dass ich so ein falsches Bild von ihm kriege… ich versteh das nicht. Ich verstehe dich nicht...“ Sayuri schluckte. „So kenne ich dich gar nicht...“ Ihre Stimme verlor sich. Ran blinzelte. „Es tut mir Leid, Sayuri.“ „Das hätte dir mal früher einfallen sollen…“, wisperte sie leise. Ran stand noch lange einfach nur da, nachdem die Tür zugeschlagen worden war. „Ich komme!“, flötete Yukiko, als sie an die Tür eilte. Wer immer auch draußen stand, schien es entweder nicht gehört zu haben, oder es interessierte ihn nicht - denn der Dauerton der Türglocke blieb bestehen. „Ich komme ja!“ Sie verdrehte die Augen. Eigentlich hatte nur eine Person die sie kannte, die Angewohnheit, ihrer Ungeduld durch den vehementen Einsatz der Türglocke Ausdruck zu verleihen. Ihre Enkelin. Und genau die stand auch vor ihr, als sie die Tür aufmachte. Statt in ein einigermaßen genervtes Teenagergesicht zu blicken, musste sie allerdings erstaunt bemerken, dass ihr Ein und Alles aus rotgeweinten, verquollenen Augen zu ihr aufsah. „Yuri-chan, was ist passiert?“ Sie zog das Mädchen behutsam in ihr Haus, das sie und Yusaku sich gekauft hatten, nach Shinichis Tod, um in der Nähe ihrer Enkelin und Schwiegertochter bleiben zu können. „Streit mit Mama.“, murmelte das Mädchen heiser. Sie streifte ihre Schuhe ab und schlüpfte in die Pantoffeln, die extra für sie immer bereitstanden. Ihr taten ihre harschen Worte ihrer Mutter gegenüber eigentlich Leid. Aber ihr Stolz verbot ihr, sich gleich bei ihr zu entschuldigen. Das, was sie getan hatte, konnte sie ihr einfach nicht so leicht vergeben… Yukiko zog die Augenbrauen sorgenvoll hoch, warf ihrem Mann, der hinter ihr in der Wohnzimmertür erschienen war, einen kurzen Blick zu. Ran und Sayuri stritten sich nicht. Nicht so. Eigentlich waren Mutter und Tochter ein Herz und eine Seele, und das war auch gut so. Und dann sah sie es. Das Notizbuch. Und nun wusste sie, was, oder besser gesagt, wer, der Auslöser für den Streit gewesen sein musste. Die Person, die nie gewollt hätte, dass sich seine beiden ‚Frauen’ wegen ihm stritten. Ihr Sohn. Shinichi. Langsam hob sie die Hand an den Mund, drehte sich um, versuchte Fassung zu bewahren. Yusaku, der es ebenfalls bemerkt hatte, trat zu ihr, nahm sie kurz in die Arme, winkte Sayuri, die ihre Großmutter betroffen anstarrte, ins Wohnzimmer. Jetzt konnte auch er sich denken, worüber seine Enkelin und Ran sich gestritten hatten. Ein Blick in Yukikos Augen genügte ihm, um ihm zu zeigen, dass sie das Gleiche dachte. Langsam zog er sie mit sich ins Wohnzimmer, drückte sie in einen Sessel. Sie hatte sich langsam wieder im Griff. Tief atmete sie ein, räusperte sich. „Was… was willst du denn gerne wissen… über Shinichi?“ Sayuri schaute unschlüssig von einem zum anderen. Sie waren etwas bleich im Gesicht, beide. „Ich will euch nicht… bedrängen, wenn es euch zu schwer fällt, dann…“ „Das geht schon in Ordnung, Sayuri. Stell ruhig deine Fragen, welche auch immer du hast.“ Yusaku lächelte sie aufmunternd an. „Ich hab ihm versprochen, dass ich deine Fragen mal so gut wie möglich beantworte, wenn du kommst…“ Yukiko nickte. „Wir beide haben das. Also… was möchtest du gern wissen…?“ Das Mädchen blickte sie an; in ihren Augen lag ein brennendes Flehen, das Yukiko und Yusaku einen Stich versetzte. „Alles… ich will… alles… wissen…“ Sie schluckte. „Wie… wie war er in meinem Alter? Was hatte er für Interessen, außer Krimis…? Und wie… wie war diese Zeit als… als Conan… für ihn? Er schreibt nur, wie es passiert ist, und dass er es gehasst hat, aber wie… der Professor hat gesagt, er wäre danach nicht mehr derselbe gewesen, wer war er also vorher…? Ich…“ Sie unterbrach sich, als sie sah, wie sich ein Lächeln auf die Lippen ihres Großvaters schlich. „Er war wie du. Er stellte auch hundert Fragen auf einmal und ließ einem kaum die Zeit, darauf zu antworten.“ Sayuri wurde rot, murmelte irgendetwas Unverständliches und schwieg, hörte allerdings nicht auf, ihre Großeltern erwartungsvoll anzustarren. Yusaku warf Yukiko einen kurzen Blick zu; sie nickte, und er begann zu erzählen. „Shinichi…“, meinte er, räusperte sich, als er merkte, dass beim Gedanken an seinen Sohn sich doch ein Kloß in seinem Hals bildete, „war bestimmt nicht immer einfach. Ich denke aber, ich kann behaupten, das ist kein Kind jemals für seine Eltern. Du bist es auch nicht.“ Er grinste seine Enkelin an. „Er hätte seine helle Freude an dir gehabt, glaub mir. Nun… Also, wo waren wir… er war nicht immer einfach… einerseits; andererseits hat er es… uns auch zu einfach gemacht. Ich weiß nicht, warum oder wie es kam, aber Shinichi war schon recht früh ein sehr selbstständiger Junge. Zwar mit jeder Menge dummer Ideen im Kopf, aber doch intelligent genug, um zu wissen, welche seiner Ideen er ausführen konnte ohne sich dabei selbst zu schaden; und welche nicht. Er war schon als Kind ein schlaues Kerlchen, hatte einen Hang dazu, viel zu lernen, viel zu lesen und alles zu erforschen, was irgendwie seine Neugier weckte. Wie du.“ Er schaute Sayuri eindringlich an. „Ich hab mir manchen Abend damit um die Ohren geschlagen, mir für ihn ein Rätsel auszudenken. Immer in der Absicht, ihm eins zu stellen, an dem er scheitert, aber das hat er nie getan. Er hat sogar mit sechs Jahren Rätsel geknackt, die für mich bestimmt gewesen wären. Nun gut, den letzten Stichpunkt hat er erst mit siebzehn herausgefunden, aber immerhin; er war wirklich begabt. Und ich war unglaublich stolz auf ihn.“ Ein warmes Funkeln glänzte in seinen Augen. „Als er dreizehn Jahre alt war… nun… da packte Yukiko und mich die Reiselust. Wir wollten weg aus Japan, wir wollten eine Luftveränderung, vor allem ich; ich hoffte auf neue Ideen und Inspiration in Amerika… diesem Schmelztiegel der Kulturen. Er sollte eigentlich mitkommen, ich meine, er war ja erst dreizehn, er war noch ein Kind, aber er weigerte sich. Während der Zeit haben wir zum Teil heftig gestritten. Er brachte uns die unterschiedlichsten Argumente, warum er hierbleiben wollte; um die Schule nicht wechseln zu müssen, wegen der Sprache, wegen der Umgebung; dabei war eigentlich klar, vielleicht in dem Moment gar nicht so sehr ihm, aber mir und Yukiko sehr wohl, dass ihn nur eine Sache in Japan hielt. Eine Person. Ran.“ Yusaku lächelte versonnen. „Er war wohl damals schon hoffungslos verknallt in deine Mutter, aber noch zu pubertär, um das zu begreifen. Aber er setzte sich durch, er blieb. Wir waren zwar verletzt, dass er sich von uns schon soweit abgekapselt hatte, aber wir ließen ihm seinen Willen… wir wollten ihn nicht unglücklich machen. Er blieb also hier, ging zur Schule, kriegte sein Leben selber auf die Reihe. Gut, Professor Agasa half ihm ab und an aus, war da, wenn er ihn mal brauchte…“ Er seufzte. „Um ehrlich zu sein, Sayuri, hab ich mir manchmal, vor allem später, und vor allem in der Zeit als… als… nun ja…“ Yusaku brach ab, seufzte, strich sich über die Augen. „Ich hab mich oft gefragt, ob wir ihn nicht ein wenig allein gelassen haben. Ob wir etwas hätten ändern, verhindern können, wären wir geblieben.“ Langsam ließ er sich in seinen Sessel zurücksinken, schwieg eine Weile, offensichtlich versunken in Selbstvorwürfen. Dann begann er erneut zu sprechen. „Nun, je älter er wurde, desto mehr begannen wir uns aneinander zu reiben, gelegentlich. Er begann, sich von mir abgrenzen zu wollen, und er tat es wohl am meisten dadurch, dass er sich nicht wie ich, irgendwann aus dem Dasein als Detektiv und Helfer der Polizei verabschiedete, sondern dabei blieb. Er wollte die Fälle erleben, sie lösen, Gerechtigkeit bewirken, nicht nur über sie schreiben, so wie ich. Er hat sich das nie ausreden lassen. Um ehrlich zu sein… weiß ich gar nicht mehr, warum ich ihm seine Fehler immer vorgehalten habe, wenn wir mal zu einer Fallauflösung zusammengekommen sind. Immer hab ich ihm zeigen müssen, dass man noch um ein Eckchen weiter denken hätte können. Ich wollte ihn wohl anstacheln, noch besser zu werden, und das wurde er. Aber ich fürchte, dadurch hab ich ihm einen falschen Eindruck davon vermittelt, was ich von ihm hielt.“ Sayuri schluckte, schaute auf ihre Hände. Davon hatte er ihr geschrieben. „Nun, wie war er noch… er war Fußballfan, ja. Hat selber gespielt, in der Mittelstufe; stieg recht bald zum Kapitän der Mannschaft auf, war beliebt und wurde anerkannt. Nun… das war vor seiner Zeit als Conan und als Detektiv. Als er dann seinen ersten Fall gelöst hat, geriet der Stein erst so richtig ins Rollen. Ich denke, ihm hat das auch gut getan, dieses Lob, die öffentliche Anerkennung, auch wenn er ab und an leicht arrogante Anwandlungen kriegte aufgrund des Rummels, den man um seine Person machte. Er war in den Schlagzeilen, man zeigte sein Bild im Fernsehen. Es fing an, als er sechzehn war. Vorher war er beliebt, weil er berühmte Eltern hatte, was ihn störte. Er schloss kaum Freundschaften, nicht vor und nicht nach seinem Durchbruch als Detektiv; er war beliebt, begehrt, er kam gut mit seinen Mitschülern aus, konnte motivieren, das zeigte er in seiner Fußballmannschaft, ja, das schon; aber er ließ nie einen nahe genug ran, um zu sehen, wer er wirklich war. Niemanden außer deiner Mutter, denn sie kannte ihn schon lange genug. Er vertraute ihr. Und wegen dieser… unguten Form von Beliebtheit, sage ich, es war nicht schlecht, dass er selbst etwas erreichte, das ihn auszeichnete. Er trat heraus aus unserem Schatten… machte sich selber einen Namen. Wie gesagt, es ließ ihn manchmal ein wenig kopflos werden, aber das sei ihm verziehen. Er war zufrieden so, er war mit sich im Reinen. Und das machte ihn wohl etwas unvorsichtig. Es war immer alles gut gegangen, egal in welchen Fall er geriet, er kam heil wieder heraus. Bis er auf die schwarze Organisation traf, die sein Leben so gründlich aus allen Fugen riss, dass es ihm wohl manchmal wirklich scheinen musste, als würde nie wieder etwas so werden wie vorher. In gewisser Weise… wurde es auch nie mehr so wie vorher… Er war wieder zum Kind geworden, musste seiner Umwelt, fremden Menschen wie Freunden und letztlich wohl auch sich selbst etwas vorspielen, das so nicht existierte: den Grundschüler Conan Edogawa.“ Er räusperte sich, schluckte. Yukiko warf ihm kurz einen Blick zu; dann ging sie. Er schwieg, bis sie wieder kam, in ihren Armen in Tablett mit Gläsern, Keksen und Saft. Yusaku nickte ihr dankbar zu, griff sich ein Glas und den Saft, goss zuerst seiner Enkelin, dann seiner Frau und schließlich sich selbst etwas ein, bevor er mit seiner Erzählung fortsetzte. „Wir waren nicht oft… nicht oft da, wenn er uns gebraucht hätte, zu der Zeit. Er hatte es wirklich nicht einfach… jedem, das heißt, fast jedem, diese Lügengeschichte aufzutischen, nicht wie er selber handeln zu können, nicht wie er selber reden zu dürfen, so hilflos, so wehrlos zu sein, das… das muss ihn an die Grenze dessen gebracht haben, was er ertragen konnte. Er musste mit ansehen, wie Dinge vor seinen Augen passierten, ohne etwas dagegen tun zu können, weil er körperlich nicht mehr dazu in der Lage war. Er musste mit ansehen, wie er seiner großen Liebe, seiner Ran, so wehtat mit seinen Lügereien, mit seinen Ausreden und Ausflüchten… es war für ihn derart unerträglich, dass er daran dachte, mit ihr Schluss zu machen, damit sie ihn vergaß, und mit einem anderen glücklich wurde. Er wollte unbedingt alles Leid von ihr fernhalten, von allen, die er liebte, immer. Als er es dann schaffte, die Organisation zu sprengen, sie zu besiegen und wieder er selbst wurde… Shinichi Kudô… hatte er sich irreversibel verändert. Er war erwachsen geworden. Er hatte gelernt, wie grausam das Leben sein kann. Er war wohl… demütig geworden. Aber irgendeine Macht hat wohl entschieden, dass er seine Lektion trotz allem nicht gelernt hatte.“ Yusakus Stimme brach, er vergrub seinen Kopf in beide Hände. „Ich werde diesen Abend nie vergessen, als er es uns sagte. Und ich hab ihm vorher noch Vorhaltungen gemacht, was denn nun so wichtig wäre, dass er es uns nicht am Telefon sagen könnte.“ Er stöhnte auf. „Dabei… dabei…“ Yukiko griff ihn am Arm, zog ihn zu sich. „Während der Zeit, die er noch hatte…“, begann nun sie zu reden, „versuchte er, wie auch vorher schon, alles von allen anderen abzuhalten. Er trug seinen Kummer, seine Qual und seine Schmerzen, so er sie hatte, nicht nach außen, wenn er es verhindern konnte. Er wollte nicht, dass jemand seinetwegen litt… aber dadurch machte er sich selber das Leben nicht unbedingt einfach.“ Sie schluckte. „Aber er war sehr tapfer… und ich denke, er hat… hat das Beste aus seinem Leben gemacht, was ihm unter diesen Umständen möglich war. Auch wenn es nicht das Leben war, nicht so ganz… das Leben war… das wir uns für ihn gewünscht hätten.“ Yukiko schluckte erneut, fast krampfhaft, strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel, der jedoch gleich eine weitere folgte. Yusaku schwieg, zog seine Frau in seine Arme und streichelte ihr über den Rücken. Sayuri trank ihr Glas leer, beobachtete die beiden, sage nichts. Ihr war unwohl. Es war nur allzu deutlich zu sehen, wie sehr dieses Gespräch ihre Großeltern aufgewühlt hatte, und dass sie der Auslöser dazu gewesen war, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Deswegen stand sie auf, stellte ihr Glas vorsichtig ab. Sie fühlte, es war jetzt an der Zeit für sie, zu gehen. „Dankeschön“, murmelte sie. Mehr sagte sie nicht; dies war kein guter Zeitpunkt für lange Reden, das spürte sie. Yusaku nickte nur. Blieb sie noch länger, würde ihre Anwesenheit hier… nur zusätzlich Salz in alte Wunden streuen, die eben aufgerissen worden waren. Sie winkte ihnen schüchtern zu, formte mit ihren Lippen ein lautloses ‚Auf Wiedersehen, dann ging sie – machte sich auf den Weg nach Hause. Um weiter zu lesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)