Tagebücher von Leira ================================================================================ Sein letztes Problem -------------------- Hallo, verehrte Leserinnen und Leser! Zuallererst möchte ich mich auch diesmal wieder sehr herzlich bei all denen bedanken, die sich im letzten Kapitel wieder die Mühe gemacht haben, mir ihre Meinung in Form eines Kommentars schriftlich zu hinterlassen… ich danke euch wirklich sehr dafür! ^///_///^ Zu diesem… Kapitel..., der Fallauflösung... bleibt nun zu sagen, dass ich wohl noch nie mit gemischteren Gefühlen ein Kapitel geladen habe… ich bin ziemlich nervös, muss ich wohl gestehen. Ich bin gespannt auf eure Reaktionen… *schluck* In diesem Sinne wünsche ich euch… viel Spaß beim Lesen wär fast ein wenig makaber, wohl aber gute Unterhaltung! Bis nächste Woche, eure Leira PS: Da die Frage mal auftauchte, wie ich mich als Autorin beim Schreiben dieser doch manchmal sehr traurigen Sachen fühle, will ich es hier mal allgemein formulieren, was ich zu dem Thema denke, damit die Frage nicht unbeantwortet bleibt: Ich denke, jeder von uns Hobbyautoren, genauso wie die Professionellen (war es nicht J.K. Rowling, die sagte, sie hätte geflennt, als sie ihre Charaktere umbrachte?), der seine Sache hier ein wenig ernst nimmt, gute Geschichten schreiben will und dem auch etwas daran liegt, dass seine Leser wirklich das mitbekommen, was er übermitteln will, versucht zu verstehen, nachzuvollziehen und nachzufühlen, was er schreibt. PPS: Ja, für all die Holmesfans - Schuldig, der Titel ist geklaut ^^; _______________________________________________________ Kapitel 8: Sein letztes Problem Vergangenheit „Shinichi, beruhig‘ dich…“ Heiji stand da, schaute seinen Freund besorgt an, legte ihm eine Hand auf seine Schulter, drückte sie kurz. „Komm… wir sagen jetzt erstmal Meguré Bescheid, ich geh’ ihn gleich holen, und ich such’ Kogorô wohl auch, wenn ich schon dabei bin… und während ich das tu’, rufst du deine Eltern an… aber beruhig’ dich… bitte… du hilfst ihnen nicht weiter, wennsde durchdrehst.“ Irgendetwas musste geschehen, das wusste Heiji; und Shinichi sah gerade nicht sonderlich handlungsfähig aus, also lag es wohl an ihm, das Zepter in die Hand zu nehmen und ein paar Aktionen einzuleiten. Er seufzte leise, warf seinem Freund einen fragenden Blick zu, überlegte, ob seine Vorschläge so angekommen waren, wie er sie geäußert hatte. Shinichi stand da, an der Tür gelehnt, die Finger gegen das Holz gepresst, als ob er seine Hände darin verschwinden lassen wollte, kreideweiß ihm Gesicht und schwer atmend. Er starrte ins Leere, in seinem Kopf herrschte Chaos, ihn regierte die Angst. Angst um seine Frau und sein ungeborenes Kind. Heiji ahnte, wie es um ihn stand, es war schließlich nicht zu übersehen; aber es half ihnen nicht weiter, die Zeit lief ihnen davon; also räusperte er sich, schaute ihn streng an. „Kudô, reiß dich zusammen, verdammt!!“ Shinichi fuhr hoch, aus seiner Lethargie gerissen durch Heijis scharfe Stimme, fixierte ihn dann langsam. „Hastde mich verstanden?“, hakte Heiji nach, wollte wissen, ob er sich nun noch einmal wiederholen musste oder nicht. Zu seiner Erleichterung nickte Shinichi, ging von der Tür weg. „Ja. Entschuldige, ich…“ „Schon gut.“ Heiji nickte ihm kurz zu, dann griff er nach der Türklinke. „Be… beeil dich.“, murmelte Shinichi, als er an ihm vorbeitrat. Heiji eilte auf den Gang hinaus, als ihm ein Gedanke einfiel; er drehte sich abrupt um. „Shinichi?“ Der Angesprochene trat auf den Gang hinaus. „Wir suchen Saijo.“ Heiji holte Luft; dann nickte er, begann zu rennen. Shinichi ging schweren Schrittes zurück ins Büro, ließ sich auf der Kante seines Schreibtisches nieder, zog sein Handy aus seiner Sakkotasche und tippte mit zitternden Fingern die Nummer seiner Eltern ein. Was hab ich getan…? Was hab ich getan… Man könnte meinen, ich hätte aus all den Dingen nichts gelernt… Aus Conan nichts, nicht das Geringste, gelernt… Dann wurde er aus seinen Gedankengängen gerissen, als sich eine Stimme an seinem Ohr meldete. „Kudô?“ Shinichi schluckte, als er die Stimme seines Vaters am anderen Ende der Leitung vernahm. „Ich… ich bin’s. Könnt… ihr… du und Mama… ins Präsidium kommen? Ran… Ran…“ Er brach ab. „Was ist mit Ran?“, hakte Yusaku alarmiert nach. „Ist was mit…? Hat sie...? Ist was… mit dem Baby…?“ Shinichi würgte, um den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. Es misslang ihm gründlich, denn er ahnte nur zu gut, woran sein Vater dachte, und ihm nun etwas noch viel Schlimmeres mitzuteilen, fiel ihm schwer. „Sie… nein. Sie… Sie wurde…“ Seine Stimme brach. „Shinichi…?“ Yusaku wurde unruhig. „Shinichi, langsam, nur die Ruhe... Was ist mit Ran?“ Shinichi holte Luft. „Sie wurde entführt. Vom Perlenmörder, weil ich… weil ich weiß…“, brach es aus ihm hervor. Yusaku hielt den Atem an, schloss kurz die Augen. „Wo bist du?“ „Noch auf dem Revier…“ Er hörte ihn schwer schlucken. „Bleib wo du bist. Wir kommen.“ Er hatte gerade aufgelegt, als die Tür aufflog, gegen die Wand krachte, dass der Putz von der Mauer bröckelte, an der Stelle, wo der Knauf gegen die Mauer geprallt war. Kogorô stürmte herein, blass wie ein Bettlaken, schaute wild um sich, entdeckte dann seinen Schwiegersohn und stürzte näher. „Heiji… hat… stimmt es?! Shinichi, stimmt es?!“ Shinichi antwortete nicht, reichte ihm nur wortlos den Brief. Kogorô überflog ihn, seine Lippen wurden dünn wie ein Strich, nahezu blutleer, als er seine Kiefer zusammenpresste. Dann warf er das Blatt weg, packte Shinichi im Kragen. „Was hast du getan?! Das ist deine Schuld! Hättest du mal den Fall abgegeben…!“ Shinichi war nur für Sekundenbruchteile erschrocken; dann wurde er erstaunlich ruhig. Sein Atem ging stoßweise, als sie sich gegenüberstanden, er Kogorôs Zorn erwartete. Er wehrte sich nicht, im Gegenteil - ihm war Kogorôs Reaktion höchst willkommen; denn sie entsprach dem Gefühl, das er selber hegte. Schuld. Er war schuld. Und jede Strafe war ihm recht. Kogorô ließ ihn langsam los, als er ihm ins Gesicht schaute, genau diese Schuld in seinen Augen las. Er seufzte laut, fuhr sich hilflos übers Gesicht, sammelte sich. Er hatte sich gehen lassen, das wusste er. Shinichi konnte nichts dafür, versuchte er sich klarzumachen. Er konnte nichts dafür, dass dieser Psychopath sich ihn ausgesucht hatte, als er überlegt hatte, wem er das Leben zur Hölle machen wollte. Für Rans Entführung konnte er nichts. Tief atmete er ein, dann wieder aus, schaute Shinichi ins Gesicht, als er sprach. „Entschuldige, bitte. Mein Ausbruch war... überflüssig, das… das hier muss für dich ohnehin die Höchststrafe sein… genauso wie für mich... aber die Schuld kann ich bei dir wohl nicht suchen...“ Er lächelte hilflos. Shinichi schüttelte langsam den Kopf. „Nein, hör zu... du hast schon Recht, ich… ich bin…“, begann er leise. Kogorô schnitt ihm das Wort ab. „Nein, bist du nicht. Du kannst nichts dafür…“ „Doch, doch… das kann ich.“ Shinichi schüttelte den Kopf erneut, heftiger, als Kogorô erneut etwas erwidern wollte, hob er eine Hand, bedeutete ihm zu schweigen und fuhr fort. „Ich wusste doch, was das für ein kranker Irrer ist… ich wusste es doch… ich hätte aufpassen müssen, ich hätte den Fall abgeben müssen…“ Shinichi schluckte. Er merkte, wie ihm das letzte Bisschen Farbe aus dem Gesicht wich, als er sich zu dem Geständnis durchrang, das er gleich machen würde. „Kogorô, du hast gesehen, an wen der Brief war. An mich. Ich frage dich… was glaubst du jetzt… an wen waren die anderen…? Und glaubst du… dass das alle waren…?“ Shinichi dachte an die Hochzeitsglückwunschkarte, seine Stimme verlor sich, beschämt wandte er den Blick ab. Wenn Ran was geschah… Wenn dem Baby was geschah… Dann war er Schuld. Er allein. Soweit hätte er es nie kommen lassen dürfen. Nie, nie, nie! Ich hätte auf sie hören sollen… Ran, ich hätte auf dich hören sollen, aufhören, als ich es noch konnte… wenn auch aus einem anderen Grund, als du dachtest… Er strich sich mit beiden Händen übers Gesicht, versuchte Luft zu holen, als er merkte, wie ein unsichtbares Band sie ihm immer mehr abschnürte, ihm den Atem raubte. Ran… Kogorô starrte ihn an, wie vom Donner gerührt, als die Erkenntnis ihn traf wie ein Schlag ins Gesicht. „Du elender…!!!“ Mehr sagte er nicht. Sei Brustkorb begann sich hektisch zu heben und zu senken, er schrie, holte mit seiner rechten Hand aus – Shinichi starrte ihn an, wartete – - und Kogorô ließ die Hand wieder sinken. Er schaute ihn an, seufzte laut, einmal mehr, bedachte seinen Schwiegersohn mit einem gequälten Blick. Er wusste nicht, was er tun sollte. Einerseits hätte er Shinichi den Hals umdrehen können; er hatte den Kommissar belogen und Ran gefährdet; Ran, und sein Kind. Sein eigenes Kind, sein eigen Fleisch und Blut. Man hätte glauben mögen, dass ihm seine Familie wichtig war. Dass er das, was ihm lieb und teuer war, nicht gefährdete. Dass er nicht so leichtfertig das, was ihm in seinem Leben etwas bedeutete, aufs Spiel setzen würde. Andererseits… Shinichi hatte nicht aus böser Absicht gehandelt. Er hatte wohl auch geglaubt, hätte er aufgegeben, wäre seine Familie trotzdem noch nicht sicher gewesen. Diese Situation war schon mehr als Strafe genug für ihn. Kogorô wusste, dass Shinichi, wenn es sein musste, für Ran sterben würde. Ohne zu zögern. Hier so machtlos zu sein, musste ihn wahnsinnig machen. Sie wegen sich in Gefahr zu wissen… Er hatte einen Fehler gemacht, und dafür zahlte er. Er hatte mehrere Fehler gemacht, in seinem Leben… und er zahlte für jeden. Und der Preis war stets horrend. „Wissen wir wenigstens, wer sie hat…?“, fragte er also tonlos, massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn, als sich ein dumpfes Pochen in seinem Schädel einstellte. „Mein Mausebein…“ Seine Stimme klang kläglich, fast wimmernd, wie immer, wenn Ran in Gefahr war, wenn es ihr schlecht ging. Shinichi schaute ihn voller Reue an. Er wusste genau, wie sehr ihr Vater an Ran hing, wusste genau… wenn Ran etwas zustieß, würde das nicht nur sein eigenes Leben irreparabel kaputtmachen. Dann räusperte er sich, versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. „Saijo. Officer Saijo. Er muss mich und Heiji gehört haben, als wir geredet haben, muss erkannt haben, dass ich es weiß und ist panisch geworden…“ „Wie gefährlich ist er?“ Shinichi schluckte. „Sehr gefährlich. Er ist… psychisch krank. Dissoziative Identitätsstörung.“ „Was…?“ „Persönlichkeitsspaltung…“ „Also unberechenbar.“ „Genau das.“ Shinichi hielt sich die Hand vor Augen. Sie schwiegen sich an, minutenlang. Minuten, die ihnen beiden endlos vorkamen, als sie warteten, bis die Polizei eintraf, bis man endlich handeln konnte. Es ging alles viel zu langsam… „Ich weiß nicht, was ich mache, wenn er ihnen was antut, Kogorô…“ Shinichis Stimme war kaum zu hören. Der ältere Mann starrte ihn an, blinzelte. Aus Shinichi sprach die pure Verzweiflung, das war ihm klar; und doch wusste er, dass jedes Wort ernst gemeint war. Und er hatte… eine gute Ahnung, was Shinichi anstellen könnte, träte der schlimmste Fall ein. Dasselbe wohl wie er… an seiner Stelle. Ran saß auf einem Sofa, die Hände hinter ihrem Rücken gefesselt, beobachtete ihren Enführer. Yoshifumi Saijo ging vor ihr auf und ab, rastlos wie ein wildes Tier, gefangen in einem zu kleinen Käfig. „Er hat mich. Er weiß, wer ich bin. Wer er ist… er hat uns…“ Immer weiter murmelte er zusammenhangsloses Zeug vor sich hin, schüttelte den Kopf. „Du wirst sterben.“, wisperte er leise. „Sterben, sterben, sterben…“ Ran zuckte zusammen, schloss die Augen, um sie im nächsten Moment überrascht aufzureißen. „Nein, hör auf! Das werde ich nicht!“, hörte sie ihn schreien. Saijos Augen starrten wütend ins Leere, Ran konnte die Spiegelung seines Gesichtes in der Fensterscheibe sehen, vor der er stand. Er hatte sie Vorhänge zugezogen, bis auf einen kleinen Spalt, aus dem er hinausspähte. Ran stutzte. Offensichtlich sprach er gar nicht mit ihr, wie sie zuerst angenommen hatte. Nein. Er sprach mit sich selbst. Und das ganz offenbar, seit sie hier angekommen waren. Er hatte auf sie gewartet, im Foyer des Präsidiums; hatte gesagt, er brächte sie zu Shinichi, der bei einer Konferenz wäre… und hatte sie dann im Fahrstuhl betäubt, gerade als sie sich zu wundern begann, warum er in die Tiefgarage fahren wollte. Sie war aufgewacht, auf dieser Couch, gefesselt an Händen und Füßen mit Handschellen und ein großes Stück Klebeband über dem Mund hinderte sie daran, auch nur einen Laut von sich zu geben. Und seitdem… schien er mit sich selbst zu sprechen. Er wartete. Und während er wartete, darauf, dass seine Verfolger die richtigen Schlüsse zogen… redete er. Ran schauderte, als sie ihn mit sich streiten hörte. Er war ihr unheimlich. Sie hatte noch nie einen Menschen mit Persönlichkeitsspaltung getroffen, und mittlerweile war ihr klar, dass sie auch lieber nie einen getroffen hätte. „Doch, das wirst du… Ich werde nicht sterben, er wird mich nicht kriegen, wird er nicht, nein, wird er nicht… aber du… du bist viel zu nett, das weißt du doch schon lange… all die Jahre, das Literaturstudium, ich bitte dich, was nützt einem sowas denn im wahren Leben? Zugegeben, eine nette Idee für dieses kleine Szenario, aber er war schlauer als du…“ Ran legte den Kopf schräg, beobachtete ihn genau, konnte fast sehen, wie er seine Persönlichkeiten änderte. Sie fragte sich, ob er sich dessen eigentlich bewusst war. Dann redete er weiter, und sie hörte zu. „Das ist alles deine Schuld, du wolltest wissen, ob ich das kann… ob ich dazu in der Lage bin… nicht einfach nach meiner Perle zu suchen, sondern auch gleich noch ihn herauszufordern, ihn zu schlagen… du bist Schuld! Wenn, dann sollen sie dich bestrafen!“ Er jammerte. „Sterben wirst du!“, fauchte er sein Gesicht im Spiegelbild an. „Sterben wirst du, du elender Feigling, der sein eigenes Gesicht nicht ertragen konnte, bis er zu einem Schönheitschirurgen ging, sterben wirst du!“ Dann fiel die vor Hass und Wut verzerrte Maske von ihm ab, wich einem weinerlichen, angsterfüllten Ausdruck. „Nein...“, wimmerte er kläglich. Ran schluckte. Ihre Lage war schlimmer als sie dachte; sie war nicht nur in der Gewalt eines Irren, nein… sie war in der Gewalt eines persönlichkeitsgestörten Irren. Und dann sah sie, wie er zusammenzuckte, als draußen ein Wagen stehen blieb. Und noch einer. Noch einer. Blaulicht flammte zuckend immer wieder durch den kleinen Spalt in den Vorhängen. Ihr Herz machte einen Sprung, Angst und Erleichterung kämpften in ihr um die Vorherrschaft. Shinichi. Er war gekommen. Sie schaute vom Fenster zu Saijo, der mit angstgeweiteten Augen nach draußen starrte. „Er hat uns gefunden…“, flüsterte er nur. Dann eilte er mit großen Schritten zu ihr, griff dabei nach dem Messer auf dem Tisch, starrte sie ausdruckslos an, zog sie hoch, presste sie mit einem Arm an sich und setzte ihr die Klinge an den Hals. So erwartete er sie. Kommissar Meguré teilte seine Leute auf, als sie aus den Wagen stiegen; harsche, knappe Befehle durchschnitten die Luft wie Pistolenkugeln. Die Nerven aller waren zum Zerreißen gespannt; schließlich ging es hier nicht nur um die Frau eines ihrer Mitarbeiters; nein - eben diese Frau wurde auch noch von einem ihrer Kollegen gefangen gehalten. Tatsache war… in den Minuten, als Heiji und Shinichi Meguré über die Situation berichtet hatten, hatten sie ihm gleich alles erzählt. Sie beide waren sich dessen vollkommen bewusst, dass das noch ein Nachspiel haben würde; allerdings waren sie nicht umhin gekommen, ihn um ein vertrauliches Gespräch zu bitten, und ihm alles zu erzählen was sie wussten, wenn sie die Situation nicht noch weiter verschlimmern wollten. Es musste geklärt werden, wie es zu Rans Entführung hatte kommen können… das wussten sie beide, und deshalb hatten sie sich zu diesem Schritt entschlossen. Allerdings war Meguré als einziger, neben Kogorô, noch eingeweiht worden, was ihren Schwindel betraf. Alle anderen ging das nichts an. Der Kommissar war weiß vor Zorn geworden, aber hatte sich zurückgehalten, angesichts der Dringlichkeit der Sache und Shinichis bleichem Gesicht. Etwa eine knappe halbe Stunde später standen sie also nun vor Officer Saijos Haus, das nun gesichert und umstellt wurde. Er besaß ein kleines Einfamilienhaus in einem Tokioter Vorort; sie hatten, nachdem sie keinerlei Hinweise über den Ort hatten, wohin er Ran verschleppt haben könnte, beschlossen, hier mit ihrer Suche anzufangen. Und wie es aussah, war das nicht die schlechteste Idee gewesen. Saijo hörte einen Schuss, dann die Haustür an die Wand krachen, als sie aufgebrochen und an die Mauer geschlagen wurde. Er wich mit seiner Geisel zurück, stand in der Mitte des Raums, zog seinen Revolver, und erwartete ihn. Er enttäuschte ihn nicht. Shinichi rief nicht nach ihr, er wusste, sie war hier, mit ihm. Er lief durch den Flur, nachdem man die Haustür aufgebrochen hatte, riss die Wohnzimmertür auf, ohne auf die Schreie Megurés zu hören, dass er wahnsinnig wäre, ohne Deckung das Zimmer stürmen zu wollen. Tatsache, es war ihm egal, was mit ihm passierte. Ihn interessierte nur Ran. Ran... und das Kind. Als er sie sah, erstarrte er; blieb auf der Stelle stehen, scheinbar wie angewurzelt, blickte geradewegs in Rans angsterfüllte Augen, registrierte dann die Mündung von Saijos Dienstwaffe, die auf ihn zielte - und wurde wütend. Wütend, weil dieser Kerl es wagte, auf ihn zu zielen, und noch wütender, weil er seine Frau, seine Ran… so verängstigte. Er wusste, sie fürchtete sich. Vielleicht nicht in erster Linie um sich, aber sehr wohl um ihr Baby, das sie so unbedingt wollte… und nicht zuletzt wohl auch um ihn. Saijo lächelte, neigte leicht den Kopf. „Guten Tag, Herr Detektiv. Ich habe auf sie gewartet.“ Er winkte Shinichi mit der Waffe weiter in den Raum. „Treten Sie ein, treten Sie ein…“ Dann ließ er die Waffe sinken, schaute sie nachdenklich an. „Bitteschön, ich weiß, dass Sie aus Überzeugung keine tragen, also nehmen Sie doch meine…“ Er warf ihm die Waffe zu. Shinichi fing sie auf, schaute seinen ehemaligen Kollegen verwirrt und fassungslos an. Saijo nickte, sein Gesichtsausdruck war sanft, gesetzt. Ran fragte sich, was er nun vorhatte; gerade eben hatte er selber Angst, umgebracht zu werden, und nun gab er seine Waffe an Shinichi? Die Erkenntnis, warum er das tat, traf sie in den nächsten Sekunden wie ein Schlag ins Gesicht. Sie… wusste, Shinichi würde nicht schießen. Saijo wusste das wohl auch. Und sie fürchtete, dass er damit auch wusste, was er mit diesem Wissen über ihren Mann anrichten konnte. Sie schluckte, versuchte sich seinem Griff zu entwinden, was ihr einen Tritt gegen ihr Wadenbein einbrachte. Sie stöhnte auf; Shinichi trat vor, wurde allerdings von der Tatsache abgehalten, weiter zu gehen, als er sah, wie der Mann das Messer in seiner Hand fester gegen den Hals seiner Frau drückte. „Halt still!“ Ran spürte Saijos heißen Atem an ihrem Ohr, das Messer an ihrem Hals. Seine Stimme klang ärgerlich. Sie konnte nichts tun, und diese Ohnmacht machte sie fast wahnsinnig. Alles, was ihr vergönnt war, war zuzuschauen und auf ein Wunder zu hoffen, das sie alle hier heil hier rausbrachte. Dann riss Saijo sie aus ihren Gedanken. Der Polizist starrte Shinichi an, verzog seine Lippen zu einem hässlichen Grinsen. „Und nun, lieber Herr Detektiv, schieß, wenn du sie retten willst. Schieß…“ Er lachte bösartig, schien sich köstlich zu vergnügen. Shinichi blickte ihn alarmiert an; der Kerl war wirklich krank, das war offensichtlich. Zuerst warf er ihm eine Waffe zu, eine geladene, wie er feststellte, dann wechselte er vom Sie zum Du… Der Ton aus seinen Briefen war nun genau wieder zu erkennen. Das war er… Der Perlenmörder, der Verfasser dieser Schreiben. Ganz wie er befürchtet hatte, litt er unter einer Persönlichkeitsstörung. In seinem Köper wohnten mehrere Männer mit dem Namen Yoshifumi Saijo, und jeder von ihnen hatte ein anderes Gesicht. „Wir wissen beide, wie das für mich ausgehen wird… Ich hatte gehofft, wir könnten dem hier entgehen, aber du wolltest es ja anders. Ich wollte dich nur leiden sehen, wie ich gelitten habe… aber du siehst ja, wohin uns dein Ehrgeiz gebracht hat. Du lässt mir keine Wahl, als dich vor diese Wahl zu stellen… Also erschieß mich am Besten gleich, Detektiv. Wenn du dich traust… Wenn dir deine Moral nicht im Weg steht.“ Er lachte, laut und sichtbar amüsiert, als seine Stimmung von einem Wimpernschlag auf den nächsten umschlug. Plötzlich wurde er ernst. „Du weißt, dass man mich töten wird, hierfür. Du weißt das, Kudô, nicht wahr? Du schlauer, schlauer Detektiv.“ Seine Stimme klang heiser, er blinzelte, eine Träne rann ihm aus dem Gesicht. Shinichi starrte ihn erschrocken an. Er hatte Angst. Angst, dass der Mann, den er als Officer Saijo kennen gelernt hatte, komplett die Kontrolle über sich verlieren konnte. Und er war immer noch wütend… und fassungslos. Er konnte nicht glauben, was hier gerade passierte. Das war so… absurd. Warum war ihnen noch nie früher aufgefallen, dass mit Saijos Kopf etwas nicht stimmte? War er so gut gewesen, im Wechseln seiner Rollen? Hatte er im Dienst immer umschalten können? Warum hatte das nie jemand bemerkt? Wann war er so geworden? Etwa, nachdem man seine Freundin umgebracht hatte…? Diese Annahme lag nahe… Saijo zischte, riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Du sollst nicht denken. Wenn du so ein Gesicht ziehst, denkst du wieder, und das sollst du nicht. Es bringt dir auch nichts… durch denken allein richtest du hier nichts mehr aus. Du sollst handeln. Schieß! Schieß, wenn du deine Frau retten willst… schieß… denn ich weiß, wenn du sie nicht rettest, wirst du nicht mehr glücklich; und ich weiß, wenn du tötest, wirst du deines Lebens ebenfalls nicht mehr froh. Und genau das ist es, was ich will. Ich will dein Unglück.“ Er lächelte, fast bedauernd. „Eigentlich wollte ich nur, dass du merkst, wie es ist, das zu verlieren, was einem am Meisten bedeutet. Nachdem du mir zu nahe kamst, sah ich das als einzigen Weg, mein Ziel noch zu erreichen. Aber auch hier bist du nun zu schnell… deswegen darfst du nun… selber entscheiden, in welcher Weise du dein Leben kaputt haben willst.“ Shinichi schüttelte den Kopf. „Das kann nicht Ihr Ernst sein…“ „Oh doch.“ Saijo lachte bitter. „Oh doch. Das Leben war immer so unfair zu mir… im Gegensatz zu dir. Ich will nur die Balance wiederherstellen. Das war alles, was ich wollte.“ Shinichi schluckte, starrte ihn immer noch an. Die Wut begann langsam die Oberhand zu gewinnen bei dem Kampf, den seine Gefühle in seinem Inneren gegeneinander ausfochten. Wut, dass man ihm das antat. Wut, dass man seiner Frau, dass man Ran das antat. Er hielt die Waffe mittlerweile in beiden Händen, die Finger um den Griff geklammert, den Zeigefinger seiner rechten Hand um den Abzug gekrümmt. Shinichi zitterte am ganzen Körper, aber seine Hände waren ruhig. Aus seinen Augen sprach Verzweiflung, und Saijo, der Ran immer noch an sich gedrückt hielt, ihr das große Messer an die Kehle gelegt hatte, lachte ihn aus, schüttelt mitfühlend den Kopf. „Ach Kudô… du traust dich das wirklich nicht.“ Ein Tropfen Blut rann über Rans Hals, sickerte in den weißen Kragen ihrer Bluse, breitete sich aus in den weißen Fasern; aber sie gab keinen Laut von sich. Shinichi atmete aus, pfeifend, die Wut in ihm kochte wie nie zuvor. Es war nicht die Angst, die ihn zittern ließ. Es war Zorn. Mittlerweile waren auch Meguré, Inspektor Takagi, Heiji, Kogorô und sein Vater ins Zimmer gekommen. Sie alle zielten ebenfalls, mit Ausnahme seines Vaters, der unbewaffnet war, auf Saijos Kopf; der größte Teil seines Körpers war durch Ran verdeckt, die er vor sich hielt. „Waffen fallen lassen!“, kreischte der Polizist panisch, als er sie sah. Seine Augen waren irr aufgerissen, sprangen von einem Gesicht zum anderen. „Nur er hat das Recht! Er soll es machen!“ Ran wimmerte auf, als er das Messer noch fester an ihren Hals presste. Ein weiterer Tropfen Blut rann ihr über die Haut, wurde vom weißen Stoff ihrer Bluse aufgesogen. „Ich will, dass er es tut! Also werft eure Waffen weg, sonst bring ich sie gleich um…“ Er kicherte. „Schneide diesem hübschen Täubchen sein hübsches Kehlchen durch, ohne dass sein Retter auch nur die Chance hatte, sein Vögelchen zu befreien…“ Ran lief ein Schauer über den Rücken, als der heiße Atem ihres Entführers ihren Hals streifte, aber sie hielt still. Die Polizisten taten, was er ihnen sagte. Shinichi drehte sich nicht um, sagte nichts, schaute Saijo nur an, versuchte, ihn zu verstehen. „Warum tust du das…“, murmelte er dann, bemühte sich, nicht zu schreien, um ihn nicht zu provozieren. „Warum bringst du mich nicht einfach um, wenn du ein Problem mit mir hast?“ „Weil das nicht meine Absicht ist.“ Saijo war weiß im Gesicht geworden, starrte ihn an. „Ich sagte doch schon, ich will, dass du leidest. Du hattest es immer schön. Immer. Jeder kennt deine Geschichte, eine einzige Erfolgsstory... Shinichi Kudô, Sohn reicher Eltern, musste nie einen Finger krumm machen, um zu bekommen, was er wollte. Du siehst gut aus, du hattest nie Schwierigkeiten, ein Mädchen zu finden, du hättest jede haben können, und die Schönste, Intelligenteste, Treueste hast du dir ausgesucht. Du musstest nie jeden Yen umdrehen, du hast ein perfektes Leben… ich will, dass du leidest… leidest wie ich gelitten habe… immer noch leide.“ Eine weitere Träne rann ihm über die Wange. „Ich hatte es nie leicht. Nie. Ich war hässlich, ich war nur ein Mitteklassekind, ich durfte mir für alles und jeden ein Bein ausreißen. Aber ich habs geschafft. Ich bin bei der Polizei gelandet, und ich hab sie gefunden, die Liebe, wie du ja weißt. Du hast echt gut recherchiert, was das betrifft, und ich kann dir den weiteren Papierkram sparen, ja, die Bardame, die in der Messerstecherei umkam, war meine Freundin. Als ich sie kennenlernte, dachte ich, nun würde mein Leben perfekt. Sie liebte mich, so wie ich war. Sie war ein Engel… mein Engel. Und dann hat man sie mir genommen! Sie wurde umgebracht, wie du ja weißt! Ermordet, eine Unschuldige, einfach erstochen, und der Schuldige nie gefasst! Ich war am Boden zerstört… ich habe ihren Mörder gesucht, aber nie gefunden, genauso wie ihr alle nicht. Und du hast nicht mal gesucht. War ja nicht dein Fall, nicht wahr?“ Er schaute ihn vorwurfsvoll an. „Aber gut, nach einer Weile dachte ich, es muss weitergehen. Ich dachte... vielleicht mögen die Menschen, die Frauen... mich lieber, wenn ich besser aussehe. Vielleicht würde ich dann wieder finden, was ich verloren hatte, dieses wunderbare Gefühl, geliebt zu sein. Also hab ich mich operieren lassen, und siehe da... es war kein Problem mehr, eine Frau kennen zu lernen. Aber keine war wie sie... “ Er holte Luft, in seine Augen trat ein irres Funkeln. „Ich kannte dich, dein Leben, wer kannte dich nicht... aber bis dahin warst du für mich ein Mensch wie jeder andere. Bis man sie ermordet hat. Denn an dem Tag, als die Akte geschlossen wurde, die Mordakte meiner Freundin... ungelöst zu den Akten gelegt hat… hörte ich von eurer Heirat... von euren Plänen, von deinem Freund da...“ Er lächelte. „Davon, wie sehr ihr euch liebt, davon, wie glücklich ihr wärt, dass ihr seelenverwandt seid. Ich hatte meine Seelenverwandte gefunden und verloren... Das war nicht fair. Warum konntest du alles haben, und ich nichts? Aber gut; ich dachte, vielleicht finde ich sie noch mal, wenn ich nur genug suche. Jemanden wie sie. Also habe ich gesucht, gesucht… aber ich habe nie wieder eine wie sie gefunden, alle diese Austern waren so hohl, alle so hohl. Die erste...“ Er schluckte. „Die erste, die ich tötete, war die Kellnerin in Osaka... ich lernte sie an unserem zweiten Tag unseres Aufenthalts dort kennen. Sie sah ihr so ähnlich, aber als ich mich mit ihr traf, war sie so anders. Und weil sie so war... so oberflächlich... musste sie sterben. Ich machte nicht einfach Schluss, wie mit denen vor ihr; nein, sie musste sterben, weil ich so verbittert war, so zerfressen von Neid. Sie sah meiner großen Liebe so ähnlich, und war doch so anders, das war nicht in Ordnung. Ja, schau nur, das ist mir sehr wohl bewusst...“ Ein heiseres Lachen verließ seine Kehle. „… was meine Motive waren. Das wusste ich. Ich sortierte aus. Jemand, der nicht so war wie sie, der so oberflächlich war,…“ Er vollendete den Satz nicht, schaute sie alle nur bedeutungsschwer an. „Und wie ihr auch wisst, ich gab nicht auf, ich suchte weiter...“ Saijo hielt inne, presste Ran noch fester an sich. „Sie ist schwanger, nicht wahr? Du... bist so beneidenswert. Du und deine heile Welt… weißt du das überhaupt zu schätzen? Verdammt, ich konnte das nicht ertragen, dein Glück zu sehen, und ich wusste, ich mach dich kaputt, wenn ich dich vor einen unlösbaren Fall stelle, dir Moralapostel die Schuld gebe für weitere tote Mädchen… ich schlug zwei Fliegen mit einer Klatsche.“ Er schluchzte trocken auf, krallte seine Hand noch fester um Rans Taille. „Sie haben den Tod vielleicht nicht verdient, aber sie waren falsch, so falsch, deshalb verdienten sie das Leben noch weniger. Sie liebten nur mein Aussehen, meinen Beruf, vielleicht noch. Keine war eine Perle wie meine Kazumi. Sie hat mich geliebt, egal wie ich aussah. Sie hat mich um meiner selbst Willen geliebt, wie dieser Engel hier dich liebt, und ich kann das nicht ertragen! Ich hatte also meinen schönen Plan, wenigstens ein wenig Seelenfrieden zu bekommen, indem ich das Gleichgewicht wieder ein wenig herstellte zwischen uns, und dann kommst du, und es gelingt dir, was ich nie erwartet hätte… du schnappst mich! Bah! Mein schöner Plan gescheitert!“ Er atmete keuchend ein und aus, starrte auf den Teppichboden. „Nicht nur, dass du das Glück wohl gepachtet hast, du bist auch noch schlauer als ich… du lässt nicht zu, dass ich dich quäle, du hast herausgefunden, wer ich bin… und so dachte ich…“ Saijo lächelte, nickte ihm zu. „Also dachte ich, ich muss dich ein für alle Mal unglücklich machen, wenn du es schon nicht zulässt, dass ich meinen Kummer dadurch ertränke, meine Perlen zu verschenken und dir zusehen darf, wie du um all die Mordopfer trauerst, weil du dich so schuldig fühlst… Ich will, dass du vor den Ruinen deines Leben stehst, wie ich, du sollst so ein elendes Leben führen wie ich, dir soll Ungerechtigkeit widerfahren, wie mir… Ich wollte sie einfach umbringen, aber ich war wieder nicht schnell genug… sie tut mir auch Leid, irgendwo, aber es muss sein…“ Saijo unterbrach sich selbst, als er Shinichis Reaktion bemerkte. Der Detektiv starrte ihn an, blinzelte. In ihm kochte die Galle hoch, als er ihn so reden hörte. Dann ließ er die Waffe sinken. Und fing an zu lachen. Lachte, laut und voller Bitterkeit, dass es allen Anwesenden im Raum eiskalt den Rücken hinab lief. „Bitte, was?“, schrie Shinichi ihn dann an, sein Gesicht wutverzerrt. „Was willst du?!“ Das war so absurd… er wollte sein Unglück, und wusste gar nicht… Wusste gar nicht… Hatte keine Ahnung. Shinichi bekam fast keine Luft. Yusaku schluckte. Shinichi, tu das nicht. Lass ihn das nicht sehen… Heiji sprach aus, was er sich dachte. „Kudô… mach das nicht… du tust dir damit keinen Gefallen...“ Shinichi drehte sich nicht um, als er sprach, mit leiser Stimme, kaum wahrnehmbar. „Halt den Mund, Heiji. Er soll’s ruhig wissen. Er soll ruhig sehen, wie perfekt mein Leben ist…“ Shinichis Augen verengten sich zu Schlitzen, ein kaltes Glitzern begann in ihnen zu funkeln. Er trat einen Schritt vor. Saijo wich unwillkürlich einen Schritt zurück, zog Ran mit sich. „Du… hältst dich wohl für sehr schlau… für sehr intelligent, nicht wahr? Du hast ja Recht, ich brauchte keine Schönheitsoperationen, um so auszusehen, wie ich aussehe, und ja, ich hab die beste Frau geheiratet, die ich finden konnte für mich und ja, meine Eltern haben unverschämt viel Geld, was mich aber, ehrlich gesagt, herzlich wenig interessiert… aber glaub nicht, wage es nicht zu glauben, dass mein Leben schön ist… oder perfekt.“ Seine Stimme war beängstigend leise geworden. „Wage es ja nicht…“ Etwas Drohendes haftete diesen Worten an. Er straffte die Schultern, starrte seinem Gegenüber ohne zu blinzeln ins Gesicht, sein Ausdruck fast steinern. Gefühllos. „Du hast geglaubt, du hast dich gründlich schlau gemacht, über mich, nicht wahr? Du hast auch viel herausgefunden, dass darf man dir nicht absprechen. Du hast mich charaktermäßig hervorragend eingeschätzt, du hast all meine Achillesfersen gefunden, du hast mich eigentlich da, wo du mich haben willst… du siehst, wie mich mein Glaube an meine Schuld was den Tod deiner Opfer betrifft, in den Wahnsinn treibt, mich nicht ruhen, nicht essen, nicht schlafen lässt… und du willst mir jetzt den Gnadenstoß geben, indem ich entweder zuschaue, wie du meine Frau und mein Kind umbringst, weil ich es nicht schaffe, einen Mord zu begehen, oder du lässt mich dich töten, und weißt, dass ich damit in meinem Leben nicht mehr froh werden kann… nicht wahr? Du willst Gerechtigkeit.“ Er spuckte das Wort förmlich aus. „Gerechtigkeit, ja… wie gesagt, du hast fein über mich recherchiert, mein geehrter Polizist, ganz toll… wirklich. Hervorragende Polizeiarbeit.“ Er applaudierte. Meguré hinter ihm wurde weiß. So hatte er seinen Freund noch nie erlebt. So bitter. So zynisch. „Aber weißt du, ein Detail hat der ach so unbesiegbare, unfehlbare, unnachahmliche Perlenmörder bei den Nachforschungen und dem Erstellen des Profils seines kleinen Spielzeugs vergessen.“ „Shinichi, lass das.“ Yusaku wollte vortreten, ihn am Arm packen, ihn zur Raison zwingen. Shinichi hörte das Geräusch, wandte sich um. „Lass mich. Er soll es ruhig wissen. Er soll wissen, wie schön mein Leben ist. Wie glücklich…“ Auf sein Gesicht trat ein Ausdruck von Qual und Schmerz, der sie schaudern machte. „… ich bin.“ Er drehte sich wieder um, fixierte Saijo aufs Neue. In seinem Blick lag die blanke Wut. „Du mieser kleiner Feigling wagst es, über mich zu urteilen… über mich zu richten… du hast doch keine Ahnung, wie mein Leben ist… es ist die Hölle… denn sag mir…“ Shinichi hob den Kopf. Emotionslos ruhten seine Augen auf seinem Gegenüber, der, ob der unerwarteten Reaktion seines Opfers langsam nervös wurde. „Sag mir, wie, denkst du, lebt man, wenn man weiß, dass man in knappen fünf Monaten sterben wird?“ Er ging einen Schritt näher. „Wie, glaubst du, fühlt man sich, wenn man weiß, dass man die, die man liebt, die, die einen selbst lieben, bald allein lassen muss? Ihnen Kummer zufügt, Schmerzen? Was meinst du, wie fühlt sich das an?“ Seine Stimme wurde immer lauter. „Was glaubst du, du ignoranter Bastard, was hält einen da noch? Wenn du weißt, dass die Frau, die man liebt, ein Kind von dir bekommt, und du es niemals sehen wirst? Dass du sie allein mit der Aufgabe zurücklassen musst, aus ihm einen anständigen Menschen zu machen? Was denkst du, wie es sich anfühlt, wenn man vor physischen und psychischen Schmerzen nicht mehr ein noch aus weiß, nicht weiß, wohin oder an wen man sich wenden kann, wenn einem das Wissen um den eigenen, baldigen Tod zu viel wird…? Was denkst du, würdest du da noch glauben, die Welt wäre schön? Oder gerecht?! PERFEKT? Und dann kommst du und ziehst so eine Show ab? Entführst meine Frau und mein Kind, um mich zu quälen, weil du denkst, mein Leben wär zu gut für mich?!“ Er schrie, warf die Waffe gegen die Wand, voller Zorn. Es krachte laut, als Metall auf Stein knallte, Putz bröckelte aus der Wand, dann klapperte es, als der Revolver auf dem Boden auftraf. Saijo ließ das Messer fallen, wich zurück. Er war kreideweiß im Gesicht. „Das hast du bei deinen Recherchen wohl nicht mitgekriegt? Offensichtlich ist dir da was durch die Lappen gegangen… Oder wie seh ich das?“ Shinichi lächelte bitter, fast grausam, hob den Finger drohend. „Denkst du jetzt immer noch, meine Welt ist schön für mich? Willst du tauschen?“ Er ließ die Hand sinken, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Glaub mir, du hast keine Ahnung…“ Saijo sank zu Boden. Shinichi atmete schwer. „Das wusste ich nicht.“, wimmerte der Mann. In wenigen Minuten war aus dem hochmütigen Verbrecher, dem skrupellosen Serienmörder, ein gebrochener Mann geworden. Ran wich ab von ihm, stürzte fast; Kogorô eilte vor, zog sie mit sich, außerhalb seiner Reichweite, befreite sie von ihren Fesseln und dem Knebel. „Das wusste ich nicht!“ Seine Stimme klang bettelnd. Shinichi starrte ihn kühl an. „Das entschuldigt nichts.“ Er schüttelte den Kopf, langsam, steckte seine zitternden Hände in seine Hosentaschen, schluckte bitter. „Das entschuldigt nicht all die toten Mädchen, das entschuldigt nicht, dass du meine Frau heute zu Tode erschreckt hast, und mir in den letzten Wochen in meine Hölle noch zusätzlich Benzin gegossen hast… das entschuldigt gar nichts.“ Er schaute blicklos an ihm vorbei, als Meguré und Takagi ihn hoch zerrten. Dann wandte er sich ab, schluckte hart. Ran wand sich aus dem Griff ihres Vaters, näherte sich Shinichi. Vor ihm blieb sie stehen, lange, sagte nichts. Man sah ihm an, wie sehr ihn sein Ausbruch gerade eben fertig machte. Dass er sich schämte, so die Beherrschung über sich verloren zu haben. Sie strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, streichelte ihm über die Schläfe, sachte, immer wieder. „Du hättest das nicht…“, flüsterte sie dann. "Du hättest nicht..." Er schüttelte schwerfällig den Kopf. „Ich hatte keine Wahl.“, hauchte er. Er war kalkweiß im Gesicht, seine Unterlippe bebte. „Ich… bin nicht stolz drauf, aber ich konnte doch nicht… ich konnte nicht zulassen, dass er dich umbringt. Hätte ich ihn erschossen, wäre immer noch die Gefahr gewesen, dass er dich… mit sich reißt… dich und…“ Er schaute zu Boden, kämpfte gegen die Übelkeit, die sich in ihm aufbaute, fröstelte. „Und ich bin doch kein Mörder… Ran… ich bin doch kein… ich kann das nicht…“ Ran schluckte, dann zog sie ihn an sich, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, drückte ihn so fest es ging an ihren Körper. „Ich hatte keine Wahl…“ Langsam merkte sie, wie seine Starre sich löste. Eine Träne verließ ihren Augenwinkel, als er seine Arme um sie schlang. Heiji, Kogorô und Yusaku standen da, schwiegen sich an. Bewegten sich erst, als Ran Shinichi aus dem Zimmer, aus dem Haus, raus auf die Straße zog. Sie wussten alle… wussten alle, das Shinichi hier keinem etwas vorgemacht hatte. So sah es momentan für ihn aus… sein Leben. Shinichi schluckte, starrte in den Himmel. So tief hatte er nicht blicken lassen wollen. In dem Moment hatte er nicht mehr an all die anderen gedacht, die das alles mitanhörten. Er hätte sich gewünscht, sie hätten das alles nie erfahren… Shinichi wandte sich um, wollte etwas sagen, irgendetwas, um den Eindruck, den er erweckt haben musste, zu ändern, die Betroffenheit, die er bei all den anderen ausgelöst hatte, abzuschwächen. Aber die Blicke von Meguré, Takagi, Kogorô, Heiji und seinem Vater sagten alles… nicht ein Wort, dass er jetzt von sich gegeben hätte, hätten sie ihm geglaubt. Und so ließ er es, schwieg. Schwieg. Schwieg. Es war Abend, mittlerweile, und Ran saß im Wohnzimmer, gehüllt in eine Decke, schaute fern, alleine, versuchte, sich abzulenken. Zu entspannen. Dass er den Raum betreten hatte, merkte sie zuerst gar nicht. Sie hatte mit ihm nicht mehr geredet, seit sie heimgefahren waren; er hatte geschwiegen, und sie wollte ihn nicht zum Reden drängen. Er hatte wohl für heute schon genug gesagt. Und so saß sie hier, im Wohnzimmer, vor sich eine Tasse heiße Schokolade und sah sich einen romantischen Film an. Shinichi war in sein Büro verschwunden, was er dort gemacht hatte, wusste sie nicht, aber als sie die Tür zu fallen gehört hatte, hatte sie gewusst, er wollte nicht gestört werden. Und sie akzeptierte das, auch wenn sie sich Sorgen machte. Auch wenn sie ihn gerne bei sich gehabt hätte, nach diesem Tag. Sie erkannte, wann sie ihn allein lassen musste. Sie wusste, das tat er nicht aus Egoismus… sondern weil ihn die Schuldgefühle quälten, und damit musste er erst fertig werden. Das akzeptierte sie. Doch nun war er gekommen. Sie fuhr hoch, stand auf, als sie ihn im Türrahmen erblickte. Das Geräusch, das der Stoff machte, als er sich die Falten seines Jacketts in seiner Armbeuge an einander rieben, als er sich am Türstock abstützte, hatte sie aufhorchen lassen. Nun stand sie da, schaute ihn an, wartete. Wartete. Er kam langsam näher, den Blick auf den Boden geheftet, bis er vor ihr stand. Als er ihr so nahe gekommen war, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte, blieb er stehen, hob den Kopf, schaute sie lange, lange an. Und dann sprach er. „Ich will es sehen, Ran.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, aber die Sehnsucht, die in ihr mitschwang, war deutlich zu hören. Er sah sie scheu an, dann wandte er den Blick ab, starrte wieder auf den Teppich. Sie sah, wie er mit sich rang, um seine Fassung kämpfte. „Ich will es noch sehen, bevor ich gehe… meinst du, mir ist das noch vergönnt? Mein… mein Kind noch in den Armen zu halten, bevor…?“ Er hob die Hand und streichelte ihr mit den Fingerspitzen sanft über den Bauch. Ran atmete langsam ein, schluckte schwer. Sie schaute ihn durchdringend, ließ seinen Blick nicht los, als sie ihre Hände hob und auf seine legte, damit sie auch da blieb, wo sie war. Sie konnte es kaum fassen. Es war das erste Mal, dass er sich dazu hinreißen ließ… sich dazu hinreißen ließ, Gefühle für sein Kind zu zeigen. Diesen Wunsch zu äußern musste ihn viel gekostet haben, sie wusste, er war kein Utopist was seine Lebenserwartung betraf. Und sie wusste auch, woher das nun rührte. Ihm war heute klar geworden, was er verlieren hätte können… er hatte einsehen müssen, dass ihm sein Baby nicht so egal war, wie es ihm Recht wäre. Und dass… es zu sehen, ein Ziel wäre, für das sich das Kämpfen noch lohnen würde. Sie ließ ihren Kopf gegen seine Stirn sinken, Tränen begannen, ihr über ihre Wangen zu laufen. Er schaute sie erstaunt, fast erschrocken an, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, zog sie mit seiner freien Hand näher an sich. „Hab ich… was Falsches…?“ Sie schüttelte vehement den Kopf. „Nein. Nein! Ganz sicher nicht.“ Ihre Stimme bebte. „Ich hatte so gehofft, dass du endlich…“ Shinichi schluckte, verstand, was sie sagen wollte. „Ich wollte nicht…“, murmelte er leise, „zu nahe kommen, zu sehr involviert werden, weil ich weiß, dass es… es hinterher nur noch schlimmer machen wird, wenn ich mich jetzt reinsteigere. Aber… mir ist klar geworden, was ich verpasse, wenn ich mir die Gelegenheit entgehen lasse, dir jetzt ein guter Ehemann und… werdender Vater zu sein… solange ich noch kann. Das ist ein Glück… ich sollte mir das nicht nehmen, nur weil ich Angst habe vor dem, was danach kommen könnte.“ Er schluckte hart. „Ich liebe dich… und ich liebe… unser Kind. Ran. Und… ich würde so gern … ich würde es so gerne sehen. Glaubst du, das könnte gehen? Es wären gut drei Monate länger…“ Shinichi schluckte, ließ seinen Kopf an ihre Schulter sinken. Sie streichelte ihm durch die Haare. „Lass es uns versuchen. Lass es uns… einfach versuchen…“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Wir haben schon so viel geschafft. Das schaffen wir auch noch.“ Entschlossenheit lag in ihrer Stimme. Er seufzte leise, dann strich er ihr die Tränen von den Wangen, gab ihr einen Kuss auf die Lippen. „Ich bin so froh, dass euch nichts passiert ist… ich hätte nicht gewusst, was ich…“ „Schhhh…“ Ran schüttelte sacht den Kopf, legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. „Es ist vorbei. Denk nicht mehr dran. Komm…“ Ran zog ihn mit sich aufs Sofa, hüllte sie beide in die Decke und schmiegte sich an ihn, genoss das Gefühl von Sicherheit, dass er ihr gab. Sie dachte noch lange nach, als sie so in seinen Armen lag. Über das, was passiert war… das was er gesagt hatte… und hoffte, hoffte so sehr, so sehr, dass sie ihm sein Baby noch zeigen konnte. Das ihm wenigstens dieser eine Wunsch noch erfüllt werden würde. Wenigstens das noch. Bitte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)