Tagebücher von Leira ================================================================================ Generalprobe ------------ Guten Abend, liebe Leserinnen und Leser, die sich Woche für Woche hier wieder einklinken! Dankeschön für die Kommentare zum letzten Kapitel! Ich freu mich ehrlich über jeden, lese alle und nehm sie mir auch zu Herzen :) In diesem Sinne lest und richtet über dieses Kapitel. *hust* Ich sag hierzu mal nichts mehr, ich denk, es spricht für sich. Gute… Unterhaltung. Viele Grüße, eure Leira :) ______________________________________________________________ Kapitel 24: Generalprobe Vergangenheit Sie wachte auf, weil sie ein leises Stöhnen hörte. Erschrocken setzte sie sich auf, drehte sich um, suchte mit ihren Augen nach ihm. Und sie fand ihn auch. Shinichi lag neben ihr, hielt sich eine Hand an die Stirn, stöhnte leise, war fast noch weißer im Gesicht als das Kopfkissen. Es ging ihm schlecht. Ziemlich schlecht, wie’s aussah. „Shinichi…“, wisperte sie leise, Sorge und Bekümmertheit stand in ihrem Gesicht. Sie hob die Hand, strich ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn, eine Berührung so sanft wie das Streicheln einer Feder. Er sah so erschöpft aus, so erschöpft… Sie schluckte schwer, ertrug den Anblick seines blassen Gesichtes nur schwer. Dann beugte sie sich über ihn, hauchte ihm den zärtlichsten aller Küsse auf die Lippen. Er öffnete die Augen, die er bis jetzt zusammengekniffen hatte und schaute sie an. Die Qual, den Schmerz in seinen Augen zu sehen, versetzte ihr einen Stich. „Ran?“, murmelte er heiser. „Hab ich dich geweckt? Das tut mir…“ Sie legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. „Hör auf damit.“ Sie gab ihm einen weiteren Kuss auf die Schläfe. „Hör auf…“, wisperte sie sie. Dann griff sie nach einem Taschentuch aus ihrer Nachttischschublade, wischte ihm vorsichtig den Schweiß von der Stirn, schaute ihn besorgt an. Sie wusste, diese Anfälle kamen und gingen. Wahrscheinlich war es nur wieder an der Zeit, die Dosierung des Schmerzmittels zu erhöhen… die Tatsache, dass ihm die Zeit langsam wirklich ausging, sie die Prognose schon hinter sich gelassen hatten... daran dachte sie nicht. Sie verdrängte es. Ein leiser Seufzer verließ ihre Lippen. Er blinzelte, schaute sie traurig an. „Und jetzt?“, flüsterte er fragend. „Ich mach Frühstück.“, antwortete Ran. Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte, wahrscheinlich, weil sie sich ein Stückchen Normalität bewahren wollte; und weil ihr irgendetwas sagte, dass er etwas essen sollte. Er richtete sich auf, langsam. Sie legte ihm eine Hand auf die Brust, drückte ihn zurück in die Kissen. „Bleib liegen, Shinichi. Ich mach das Frühstück und bring es hierher ins Bett.“, sagte sie, bevor er auch nur den Mund aufmachen konnte. „Lass gut sein, Ran. Ich kann gar nichts essen jetzt. Wirklich nicht…“ Sie schnitt ihm das Wort ab. „Ich will das nicht hören. Du wirst was essen. Du musst. Das weißt du.“ Sie schaute ihn streng an, schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf, um eine Entgegnung seinerseits im Vorfeld abzuwürgen, dann machte sie sich auf den Weg in die Küche. Eine halbe Stunde später war die Sonne aufgegangen, ein leiser Lufthauch wehte durchs offene Fenster, fing sich in den Gardinen, brachte frische Morgenluft ins Zimmer. Ran seufzte, schaute ihn an. Viel hatte er nicht gegessen, aber er war nicht mehr ganz so weiß im Gesicht. Und es schien ihm… wieder ein wenig besser zu gehen. Anscheinend waren die Schmerzen vergangen. Sie stützte sich auf dem Ellenbogen auf, schaute ihn an, der gedankenverloren an die Decke starrte. „Ich muss heut zur Untersuchung.“ Langsam drehte er den Kopf. „Ich hab gestern mit deinen Eltern telefoniert, sie fahren mich hin und gehen anschließend noch einkaufen mit mir. Meine Eltern sind leider beide beschäftigt heute.“ Er nickte, blinzelte. „Und...?“ „Willst du mitkommen...?“ Sie flüsterte den Satz nur, wusste die Antwort schon. Nach heute Morgen war sie eigentlich klar. „Ich würde ja gerne, aber… ich denke eher nicht. Ich werd wohl hier bleiben und ein wenig schlafen, Ran.“ Er seufzte leise, streichelte ihr über den Unterarm, in ihre Handfläche, wo sich ihre Finger um die seinen schlossen. „Ist gut... aber... ich meine... du bist sicher, dass du allein...?“, murmelte sie leise. Man sah ihr an, dass sie ihn widerstrebend allein ließ. Er lächelte verhalten. „Ran, was soll schon sein. Es sind doch nur ein paar Stunden.“ Sie schluckte bitter. „Du weißt, was sein kann...“ Er schüttelte den Kopf, schaute sie ernst an, legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen. „Nein.“ Er beugte sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Heute nicht, ich versprechs. Denk nicht dran. Mach deine Untersuchung, geh einkaufen... wenn’s mir schlecht geht oder so, kann ich ja den Professor oder Shiho anrufen. Aber ich denke, ich werd' den Tag echt verschlafen.“ Shinichi lächelte sie an, dann strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Na komm, lass uns aufstehen.“ Er grinste, setzte sich auf, nahm die Bettdecke und zog sie ihr weg, hörte, wie sie aufschrie, als ihr die Kühle in ihrem Schlafzimmer eine Gänsehaut verursachte und lachte. Sie schlug spielerisch nach ihm, zog ihm dann die Decke ebenfalls weg und zerrte ihn mit sich ins Badezimmer. Und doch merkte sie deutlich, so heiter er auch versuchte, sich zu geben... dass der Zeitpunkt langsam immer näher rückte. Dass er... der immer so stark gewesen war... immer schwächer wurde... diesen Kampf sichtbar verlor, langsam, aber kontinuierlich, und sie nichts tun konnte, um ihm zu helfen. Und das machte ihr Angst. Ihm war langweilig. Ran war mittlerweile mit seinen Eltern unterwegs, und er war also wirklich allein zuhause. Er hatte darauf bestanden, hatte geglaubt, er brauchte mal Zeit für sich... ein paar Stunden ohne Wachhund. Mittlerweile war er sich da nicht mehr ganz so sicher. Zuerst hatte er sich seine Zeit damit gefüllt, sein aktuelles Buch weiter zu schreiben und zwei Geschenke einzupacken. Dann hatte er sein Büro ein wenig aufgeräumt, wobei ihm KIDs Monokel wieder in die Hände gefallen war. Fünf Minuten lang hatte er überlegt, ob er es ihm wieder zurückgeben sollte; dann hatte er zufrieden grinsend beschlossen, es doch als Souvenir zu behalten. Wann wurde schließlich schon mal ein Meisterdieb beklaut? Noch dazu von einem Meisterdetektiven? Nein... das hier würde KID, wollte er es wieder haben, wenn dann schon persönlich abholen müssen. Im Zuge dieser Überlegung war er in die Bibliothek gewandert, wo er sich ein Buch aus dem Regal zog und es zu lesen begann. Es war der Krimi seiner Eltern, und er las ihn jetzt zum fünften Mal. Aber konzentrieren konnte er sich nicht. Nachdem er heute Morgen richtig müde, ja erschöpft, gewesen war, eigentlich nur liegen bleiben hätte können und den Tag im Bett verbringen, hatte er nun keinen einzigen Moment der Muße. Er konnte, wollte nicht schlafen. Er musste sich beschäftigen, zwanghaft. Und das irritierte ihn. Shinichi begann nachzudenken, warum dem so war, er versuchte, den Grund zu finden, und nach ein paar Minuten in der Stille des Hauses wusste er, was ihn so umtrieb, den ganzen Tag schon. Es war die Stille selbst. Das Haus war zu leer. Es war zu still. Totenstill. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich langsam umsah. Ran hielt einen Babystrampler in ihren Händen, als das Gefühl sie übermannte. Es schlich sich leise an, wie ein Gangster näherte es sich von hinten, unbemerkt, bis es sie einfach überfiel, ihr die Luft zum Atmen raubte. Sie ließ den Anzug sinken, wandte sich zu Yukiko um, die gerade ein paar Kindersöckchen in den Händen hielt. „Ich will nach Hause.“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber der Tonfall ihrer Stimme sagte alles. Yukiko steckte die Socken zurück, schaute Ran alarmiert an. Ihre Schwiegertochter war sehr blass um die Nase, aus ihren Augen sprach die Angst. Die ehemalige Schauspielerin nahm sie bei der Hand, zog sie mit sich in die Buchhandlung des Kaufhauses, um ihren Mann zu holen. Rans Unruhe übertrug sich auf sie wie ein ansteckender Virus. Hör auf, dich wie ein kleines Kind aufzuführen, Kudô! Es ist verdammt noch mal nicht das erste Mal, dass du allein zuhause bist. Es ist ruhig, das haben leere Häuser so an sich. Sonst nichts. Shinichi fuhr hoch, schüttelte den Kopf, versuchte diesen irren Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, aber es gelang ihm nicht. Die Stille schien auf ihn herabzudrücken, ihn zusammenzupressen. Shinichi schaute um sich, sah die Schatten in den Winkeln des Zimmers, glaubte, sie würden wachsen, ihm entgegenkommen, sich ausbreiten. Die Finsternis war gekommen, um ihn zu holen. Er blinzelte, merkte, wie sein Puls zu rasen begann, schalt sich selber einen Narren; fing an zu lachen, lachte sich selber aus, aber dieses Gelächter kam ihm geisterhaft vor und so ließ er es bald wieder bleiben. Shinichi schluckte, fuhr sich mit kalten Fingern über die Augen. Das hier waren nur seine Nerven. Er bildete sich was ein. Es wurde Zeit, dass Ran wiederkam, damit ihr geschäftiges Räumen und Kramen das Haus mit Leben erfüllte. Langsam ging er ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein, in der Hoffnung, die künstliche Geräuschkulisse möge diese unheimliche Stille ein wenig vertreiben. Ein paar Minuten hörte er den Schauspielern einer billigen Soap bei ihren noch billigeren Texten zu, ohne irgendwie den Sinn zu verstehen, dann schaltete er wieder ab. Er merkte, wie er panisch wurde, und das ärgerte ihn. Er war doch sonst so vernünftig. Er war eigentlich nicht der Mann für Panik. Shinichi setzte sich hin, betrachtete seine Finger. Warum war er heute so empfindlich? Warum reagierte er so seltsam? Was war nur los...? Schließlich stand er auf, wollte in die Küche gehen, um sich Kaffee zu kochen, das Getränk, das seit jeher allen seinen Problemen zur Lösung verhalf, als sich plötzlich alles um ihn drehte. Haltsuchend klammerte er sich an der Sessellehne fest, schwankte, keuchte, merkte, wie sein Atem schwerer ging. Ihm wurde fast schwarz vor Augen, und in ihm brach nun die blanke Panik los. Er stöhnte unterdrückt auf, als stechender Schmerz sich seiner Brust bemerkbar machte. Ihm schwindelte und er ließ sich zu Boden sinken, kniete auf allen vieren, bekam kaum noch Luft. Es war ganz plötzlich gekommen. Bestimmt war das nur wieder ein Anfall. Er kannte ja die Symptome. Ihm war schlecht, das Stechen in der Brust, und ihm war heiß. So heiß… Eigentlich war das schon fast klassisch. Wie heut morgen. Er musste nur ein wenig warten. Er hob eine Hand, presste sie gegen seine Rippen, als sein Herz immer schneller, immer schmerzhafter in seinem Brustkorb schlug. Er kannte es ja... und er würde es durchhalten müssen, wie immer. Am besten, er legte sich einfach auf den Boden. Das schien ihm eine gute Idee. Nur ein wenig liegen und warten. Langsam ließ er sich auf den Teppich sinken, der das Parkett bedeckte, drehte sich auf den Rücken, versuchte, seine Angst in den Griff zu kriegen, versuchte, sich einzureden, dass es gleich vorbei sein würde. Dass es nicht mehr lange dauern konnte. Er starrte die Decke an, strich sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn, versuchte, sich zusammenzureißen, nicht durchzudrehen. Yusaku saß im Wagen, warf seiner Frau neben sich einen fragenden Blick zu. „Fahr einfach.“, murmelte sie gepresst, schaute kurz zu Ran nach hinten, die, kreidebleich, ihre Hände um ihren Bauch geschlungen, auf der Rückbank kauerte. Der Kriminalautor schluckte kurz, versuchte, sachlich und ruhig zu bleiben. „Wenn es Shinichi nicht gut gehen würde, hätte er sich doch gemeldet...“ Seine Worte verhalten ungehört im Wageninneren. Er schluckte nur, schüttelte den Kopf. Kein Wunder, dass er keinen Menschen beruhigen konnte, wenn er selber nicht hinter dem stand, was er sagte. Er gab Gas, bog scharf um die nächste Ecke und ignorierte ein wütendes Hupen, das ihm entgegenschallte. „Wir sind ja bald da...“, murmelte er nur noch leise, sagte dann nichts mehr. Shinichi stöhnte leise auf, hielt sich den Handrücken an die Stirn. Es tat weh. Alles. Es war schrecklich... in solcher Intensität hatte er diese Qual schon lange nicht mehr erlebt. Und es hörte nicht auf. Das war nicht normal, das ging ihm langsam auf. Und mit diesem Gedanken brach das Gefühl der Furcht wieder aus in ihm, durchflutete ihn, breitete sich aus in seinem Kopf, von dort in jede Faser seines Körpers. Er begann zu zittern, ohne es zu wollen. Er hatte Angst, wusste nicht, was los war. Ahnte es, aber wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Als das Schwindelgefühl nicht abebbte, die Schmerzen nicht nachließen, ihm langsam wirklich kalt wurde, tat er es doch. Sterbe ich jetzt…? Er biss die Zähne zusammen, vergrub seine kalten, nassgeschwitzten Finger im Teppich. Nicht doch…! Noch nicht… Das kann doch nicht wahr sein... das ist doch nicht wahr, bestimmt geht’s gleich wieder... Bestimmt... Mein Gott, ich hab's ihr doch versprochen... Die kleine Stimme in seinem Ohr, die ihm das Gegenteil glauben machen wollte, überhörte er tunlichst. Dann hörte er die Haustür aufgehen - und wieder zufallen. „Shinichi…?“ Seine Mutter. Er blinzelte erschrocken. Sie waren wieder da! Aber im Gegenteil zu vorhin wollte er sie jetzt ganz und gar nicht hier haben... er wollte nicht... „Shinichi, wo steckst du…?“ Schritte näherten sich. Mehrere Schritte. Offensichtlich waren seine Eltern und Ran mit den Einkäufen und der Untersuchung fertig und wollten wohl noch ein wenig hier bleiben. Er kniff die Augen zusammen. Er wollte nicht, dass sie das sahen, aber Einfluss hatte er darauf nicht wirklich. Er stöhnte unterdrückt auf, hielt sich mit einer Hand den Mund zu. „Shinichi, sag doch was…!“ Das war Rans Stimme. In ihr schwang leise Panik. Er hörte sie laufen. Dann ging die Tür zum Wohnzimmer auf, und er sah sie in der Tür stehen, alle drei. „Haut ab…“ Seine Stimme war kaum zu verstehen. Er starrte wieder an die Decke, versuchte ruhig zu atmen. Es ging nicht. Es gelang ihm nicht. Sein Atem ging stockend, Schweiß perlte ihm von der Stirn. „Bitte... geht doch...!“ Seine Bitte blieb ungehört. Ran wurde bleich, rannte zu ihm, ließ sich neben ihm zu Boden sinken. Ihre Hände fühlten sich eiskalt in seinem Gesicht an. Und er sah die Angst in ihren Augen. Angst, ihn zu verlieren, jetzt. Er wusste, sie war nicht ganz unbegründet. Er fühlte sich wirklich schwach. Ausgelaugt, erschöpft. Kraftlos. Leblos… „Shinichi!“ Sie wimmerte leise, nahm seinen Kopf in beide Hände. „Shinichi! Shinichi, was hast du denn...?“ Angst. Das Gefühl war allgegenwärtig und allmächtig. Er merkte, wie die schwarzen Finger einer nahenden Ohnmacht nach ihm griffen. Oder war es schon die Hand des Todes…? Nein! Er presste die Augen zusammen, biss die Zähne zusammen. Es war fast nicht auszuhalten, es tat so weh. Einerseits wollte er ein Ende... ein Ende dieser Qualen, aber nicht... nicht dieses endgültige Ende. Er wollte noch nicht sterben. „Noch nicht…!“ Seine Stimme war leise, ein hervor gepresstes Wispern. Yusaku ging neben ihm in die Knie, legte ihm die Finger an die Schläfe, erschrak ob der Hitze, die seiner Haut entgegen strömte. Er ahnte, wie ernst es um seinen Sohn stand. „Du… du wirst es dir…“ „Nicht aussuchen können?“, vollendete Shinichi seinen Satz. „Das ist mir egal. Ich will jetzt noch nicht sterben. Das ist zu früh. Ich will sie noch sehen… bitte, das kann…“ Er hielt inne, biss die Zähne aufeinander. „… das… das kann doch nicht zu viel verlangt sein… nur noch ein paar Wochen… bitte…“ Seine Stimme verlor sich. In ihm herrschte die nackte Angst. Er wusste, er wandelte genau auf der Grenze - auf der Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten. Und er wollte diesen Schritt noch nicht machen. Er wollte zurück. Ich will nicht! Noch nicht… bitte… ich will sie doch noch sehen… Ihm wurde wieder schwindlig. Im Liegen noch drehte sich alles. „Bitte, bitte nicht… bitte… nur noch ein wenig, bitte…“ Yusaku verzog das Gesicht, schloss gequält die Augen, als er ihn betteln hörte. Als er seinen Sohn mit seinem Schicksal hadern sah, mit dem Tod verhandeln… Das war fast mehr, als er ertragen konnte. Ran legte ihm sanft ihren zitternden Finger auf die Lippen. „Sprich nicht... das strengt dich an...“ Sie schloss die Augen, kurz, atmete durch, versuchte ruhig zu werden. „Sei ganz ruhig...“ Immer und immer wieder strich sie ihm über die Stirn. Yukiko glitt am Türrahmen nach unten. Ihr Maskara hatte sich schon längst im Strom ihrer Tränen aufgelöst. Sie spürte den Hauch des Todes in diesem Raum, und er ließ sie frösteln. Was bist du bloß für ein Gott…? Wie kannst du ihm das antun…?! Shinichi blinzelte. „Mir ist... kalt...“ Ran schluckte, schaute ihn an, schüttelte den Kopf. „Schhht... sei ganz ruhig...“ Dann griff sie seine Hand, presste sie auf ihren Bauch. Legte sich hin, ihren Kopf auf seiner Brust und lauschte seinem Herzen, kuschelte sich an ihn. Sein Atem streifte ihr Haar. Bitte... jetzt noch nicht... Dann wurde es schwarz um ihn. Als er die Augen wieder aufschlug, war das erste, was er sah, ihr Gesicht. Er lag auf der Wohnzimmercouch, und sie saß neben ihm, war in Tränen aufgelöst, brach zusammen, klammerte sich an ihn, als sie sah, dass er wieder wach war. Langsam legte er seine Arme um sie, drückte sie sacht an sich. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, als er seine Eltern um sich stehen sah. Man hatte ihn wohl auf das Sofa gelegt, wie lange er ohnmächtig gewesen war, wusste er nicht - aber er war noch am Leben. Sie starrten ihn an. Sie wussten genau, wie eng es gewesen war. Danke. Eine halbe Stunde später kamen Shiho und der Professor, und es war ihm nicht Recht. Er hätte ihnen seinen Anblick gern erspart. Agasa sah aus, als würde er gleich ohnmächtig werden, seine Augen glänzten verdächtig glasig und Shiho... Shiho sah aus wie die personifizierte Schuld. Sie fühlte seinen Puls, testete seine Reflexe, nahm ihm Blut ab und sagte während alldem nichts. Er verstand sie auch ohne Worte. Abends saß er noch lange wach. Hielt seinen Füller in der Hand, die Spitze schwebte zitternd über dem Papier. Seit Minuten dachte er darüber nach, ob er ihr das antun konnte. Aber er wollte es nicht verschweigen, irgendwie. Er dachte, sie hätte ein Recht darauf es zu erfahren. Und er hatte Angst, er käme sonst nie mehr dazu, es ihr zu sagen, wenn er noch länger wartete. Ihm lief die Zeit davon. Der heutige Tag hatte das mehr als deutlich bewiesen. Er wäre fast gestorben, und das war kein schönes Gefühl gewesen. Nie hatte er sich ohnmächtiger gefühlt, nie hilfloser... Und er wusste jetzt, wovor er sich fürchtete. Er fürchtete die Stille. Die Dunkelheit. Die Kälte. Deswegen war er jetzt auch ins Wohnzimmer gegangen, schrieb dort, im Gegensatz zu seiner Gewohnheit, die Abgeschiedenheit seines Büros zu nutzen. Shinichi ertrug die Stille dort nicht. Die Einsamkeit. Er hatte Angst, dass der Tod seine Finger wieder nach ihm ausstreckte, nachdem er ihn heute so knapp noch mal hatte davon kommen lassen. An seinem Rücken lehnte Ran, hatte ihre Finger in sein Hemd gekrallt, ihre Nase in seinem Nacken vergraben und atmete ruhig vor sich hin. Er spürte, wenn sie ab und an die Position ihrer Hände änderte, war froh, sie jetzt in seiner Nähe zu haben. Sie vertrieb die Kälte... vertrieb die Stille, und die Dunkelheit. Aber für wie lange noch...? Er drehte kurz den Kopf, küsste ihre Schläfe, griff mit einer Hand ihre Finger, hielt sie fest. Ja, er hatte Angst. Sein Vater saß im Sessel gegenüber, schaute in unentwegt an. Er konnte nur ahnen, wie schlimm es für seine Eltern gewesen sein musste, ihn so zu finden. Halbtot auf dem Wohnzimmerfußboden. Seine Mutter hatte noch lange hinterher geweint, sich kaum beruhigen lassen. Ran war im Gegensatz zu ihr ganz ruhig gewesen; aber sie hatte ihn seither nicht mehr allein gelassen. Sie wollte den Kontakt zwischen ihnen nicht abreißen lassen, heute, sie wollte unbedingt spüren, dass er noch lebte, noch bei ihr war. Yukiko war gerade dabei, Tee zu kochen, in der Küche. Sie hatte sich Beschäftigungen gesucht, seit sie sich wieder gefasst hatte, hatte zuerst was zu Essen gekocht, dann abgespült, die Küche saubergemacht, und jetzt machte sie Tee. Sie war mit den Nerven am Ende. Shinichi seufzte laut, starrte auf die Seiten seines Buchs. Dann setzte er die Spitze aufs Papier und begann seinen Eintrag. Und während er schrieb, beherrschte ein Gedanke sein Denken. Er würde sterben. Wirklich. Bald. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)