Tagebücher von Leira ================================================================================ FBI --- Mesdames, Messieurs, vielen, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Es freut mich auch ehrlich zu hören, dass immer noch Leser diese Geschichte anfangen :D Ich kann mir vorstellen, dass die Seitenzahl etwas erschreckend wirken könnte, aber Hut ab vor euch :) Nun; dieses Kapitel ist eher kurz... und führt, wie ihr wohl lesen werdet, auf etwas anderes hinaus. Nach diesem und dem dazugehörenden Gegewartskapitel hat Sayuri dann wohl alle wichtigen Personen im Leben ihres Vaters kennengelernt. Nun. Für die, die's interessiert; ohne dieses Kapitel folgen noch vier Kaps; ihr habt also nur noch vier Wochen Monsterfic vor euch, so ihr sie denn noch lesen wollt *lacht* Und dann habt ihr erstmal wieder Ruhe vor mir. Das letzte Kapitel wird ein Vergangenheitskapitel sein. Der Epilog wird dann wieder im Heute spielen; und damit schließt sich dann der Kreis. Ich wünsche viel Vergnügen, Liebe Grüße, Eure Leira :D ______________________________________________________________________ Kapitel 29: FBI Gegenwart Die Sonne fing sich in ihren blonden Haaren, ließen sie golden leuchten; ihre Augen hinter der großen, auffälligen Brille waren himmelblau, aber keinesfalls kalt oder gar eisig. Sie sprachen von Intelligenz und scharfem Verstand, aber auch von Mitgefühl und Neugierde. Sayuri blickte perplex hoch, stand erschrocken auf, deutete hastig eine leichte Verbeugung an. Sie war aus ihren Gedanken gerissen worden, und sie war wohl tief, sehr tief in ihren Gedanken versunken gewesen… das merkte die blonde Frau ihr an. Dennoch fasste sich das Mädchen schnell, fand ihre Sprache wieder und schaute sie nun ihrerseits prüfend, fast ein wenig skeptisch, an. „Entschuldigen Sie... ich... kennen wir uns?“ Jodie Starling, ließ ihre Hände in die Taschen ihres Blazers gleiten, schüttelte dann langsam den Kopf. „No, wir kennen uns wohl nicht. Aber ich... wie gesagt, wahrscheinlich täusche ich mich... but you look so very familiar to me...“ Die blonde Frau runzelte die Stirn, musterte sie eingehend. Ja, sie kam ihr wirklich bekannt vor, und sie ahnte, wer vor ihr stand; allerdings konnte sie sich auch täuschen, und sie wollte das Mädchen nicht noch mehr irritieren, als sie es schon hatte. Sollte sie allerdings Recht haben… Sie spürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend und fragte sich gerade, was sie geritten hatte, sie anzusprechen, einfach so, wenn sie mit den Konsequenzen, die das nach sich ziehen könnte, nicht klarkam. In all den Jahren war sie wohl um kein Stück weiser geworden. Jodie seufzte leise, wusste für den Moment nicht, was sie sagen sollte. Ein Hauch von Traurigkeit trat in ihre Augen, als sie darüber nachdachte. Sayuri fühlte sich etwas unwohl. Eigentlich wollte sie weg hier, sie wollte jetzt nicht reden, erst Recht nicht mit wildfremden Menschen – schließlich war sie ja gegangen, um allein zu sein. Aber ihre Neugier hielt sie zurück, zwang sie, diese Frage zu stellen. „An wen… an wen erinnere ich Sie denn, wenn ich fragen darf?“ Jodie blinzelte, schaute sie etwas bekümmert an; der traurige Ausdruck in ihren Augen vertiefte sich. „Er ist leider... leider schon tot. Länger. Du wirst ihn nicht kennen...“ Sayuri atmete scharf ein. Merkte, wie es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief, merkte, wie sich in ihrem Hals ein Kloß bildete. Eine Ahnung manifestierte sich in ihren Gedanken, sie wandte den Blick ab, ruckartig. Kann das denn möglich sein...? Kann es tatsächlich solche Zufälle geben…?! Langsam atmete sie aus, dann räusperte sie sich, ehe sie sprach. „Shinichi Kudô.“ Sie flüsterte den Namen, sah die Fremde dabei nicht an. Jodie starrte sie fassungslos an, wunderte sich, warum sie fassungslos war, sie hatte sie doch deswegen angesprochen... sie hatte das Mädchen auf der Bank sitzen sehen und hatte sofort gewusst… irgendwoher gespürt, dass sie es war. Seine Tochter. Aber es nun bestätigt zu kriegen… zu wissen, dass sie tatsächlich vor ihr stand… … schien doch eine ganz andere Sache zu sein. „Don’t tell me...“ Das Mädchen nickte unglücklich, schaute sie immer noch nicht an. „Doch. Ich bin Shinichi und Ran Kudôs Tochter. Ich weiß nicht, ob Sie wussten, dass er und meine Mutter noch ein Kind bekommen haben...“ Langsam blickte sie auf, schaute der Frau, die ihren Vater offenbar gekannt hatte, zögernd ins Gesicht. „Sie haben ganz Recht, ich durfte ihn nicht kennenlernen. Er… er ist vorher gestorben.“ Sie schluckte schwer, versuchte den Kloß hinunterzuwürgen, der sich wieder in ihrem Hals gebildet hatte bei dem Gedanken an seine letzten Worte. Es war noch keine Stunde her, dass sie sie gelesen hatte. Sie atmete tief durch, ballte die Fäuste und riss sich zusammen. „Aber jetzt sagen Sie mir doch bitte auch, wer Sie sind. Irgendwie fühl ich mich nämlich nicht wohl bei dem Gedanken, einer Fremden meine Lebensgeschichte auszuschütten...“ Jodie wurde rot, schaute sie verlegen an. „Entschuldige, natürlich... of course, of course... that was very impolite of me, I’m sorry... ich bin Jodie Starling. FBI.” Sie zückte ihre Marke, hielt sie dem Mädchen entgegen, damit es sie genau ansehen konnte. Sayuri schluckte, nahm die Marke kurz in ihre Hände, traute ihren Augen kaum. „FBI...?“, hauchte sie leise. Sie schaute der Frau ins Gesicht. „Sie… waren das?“ James Black stand ein wenig abseits, beobachtete die Szene aufmerksam und nicht ohne Interesse. Er hatte seine Kollegin - ehemalige Kollegin wohl, musste man sagen… er war ja seit kurzem nicht mehr dabei - überraschen und sie vom Präsidium abholen wollen, als er sie entdeckt hatte, mit einem jungen Mädchen, offensichtlich in ein Gespräch vertieft. Er hatte sie sofort erkannt. Sie konnte nur eine sein. Shinichi Kudôs Tochter. James hatte gewusst, dass er und Ran geheiratet hatten, er hatte gehört, das Ran ein Kind von ihm bekommen hatte... und er hatte von seinem tragischen Tod erfahren, allerdings erst, als es schon viel zu spät gewesen war. Er hatte sein Grab besucht, heute Morgen, wo er schon mal wieder in Tokio war; seit so vielen Jahren. James seufzte leise, strich sich mit den Fingern über seinen Bart. Er ging nicht gern auf Friedhöfe, und erst Recht nicht an die Gräber derer, die den Tod noch gar nicht verdient hatten. Fakt war; Er war hier, weil Jodie hier war, allerdings ohne, dass Jodie es wusste. Jodie, für die er schon seit jeher eine Art väterlicher Freund war, hatte sich zu einem schweren Gang entschlossen; sie hatte sich dazu durchgerungen, sie zu besuchen. Sharon Vineyard. Chris Vineyard. Vermouth. Diese Frau hatte viele Namen gehabt, aber gewesen war sie immer eines - die Mörderin von Jodie Starlings Eltern, beide ebenfalls Agenten des FBI. Jodie… hatte immer nach der Wahrheit gesucht, hatte sie immer zur Rede stellen wollen… und als sie die Gelegenheit bekommen hatte, als sie sie gefasst hatten… Da hatte sie ihr Mut verlassen… andere Dinge schienen auf einmal wichtiger. Sie hatte sie nie gefragt, nicht, in den Tagen nach der Festnahme, und auch nicht in den Jahren danach – hatte es nicht mehr gewagt, zu fragen, warum sie seinerzeit ihren Vater erschossen hatte, und ihr Elternhaus abgebrannt hatte… und sie ebenfalls guten Gewissens hätte in den Flammen umkommen lassen, sie, die damals doch noch ein kleines Mädchen gewesen war, ein Kind. Ein Kind, das dachte, sein Vater würde nur schlafen, und nur dadurch überlebt hatte, dass sie ihm eine Packung Orangensaft kaufen gegangen war. Damit er seinen Lieblingssaft trinken konnte, wenn er wieder aufwachte. Er war nie mehr aufgewacht. Als sie zurückgekehrt war, stand das Haus in Flammen und er war da gewesen, er selbst, James Black… und hatte sie mitgenommen. Sie hatte immer Antworten haben wollen auf diese Fragen, und als sie sie hätte kriegen können, hatte sie sich nicht dazu durchringen können. War sie an sich selbst gescheitert. Jetzt... nach so langer Zeit, hatten ihr Gewissen und ihre Neugier nun doch endlich gesiegt. Sie war gekommen, und sie hatte sich wohl gerade ihr Besuchervisum aus dem Präsidium geholt. James hatte nicht vor, sich einzumischen. Er war lediglich hier, um sie aufzufangen, sollte sie hinterher jemanden brauchen, der ihr wieder Halt gab. Und nun das. Nun traf sie ausgerechnet auf Shinichi Kudôs Tochter; auf das Kind jenes brillanten Detektivs, ohne den sie die Organisation nie hätten zu Fall bringen können, und der sein Leben hatte lassen müssen für die Sache. James wusste, spurlos würde diese Begegnung, genauso wie die Nachricht über seinen Tod, nicht an ihr vorbeigehen. Er steckte sich eine Zigarette an. Jodie seufzte; schluckte hart, schaute dem Mädchen in die Augen, wartete. Wartete darauf, dass sie etwas sagte. Fortfuhr. Den Gefallen tat sie ihr dann auch, wenn auch sehr zögernd. „Sie haben… mit ihm diesen Fall bearbeitet. Das… sagte zumindest Onkel Heiji. Sie und zwei andere Männer. Ein Engländer namens James Black und ein Japaner, Shuichi Akai.“ Es klang nicht wie eine Anklage; obgleich Jodie eine solche erwartet hatte. Es war eine reine Feststellung, von der Sachlichkeit, die auch ihr Vater stets an den Tag gelegt hatte. Und so nickte sie nur. „That’s correct.“ Sayuri schluckte, knetete ihre Finger; unsicher schaute sie zur Seite. „Nun...“, begann sie langsam, „nun… sie werden bestimmt zu tun haben, hier in… Tokio.“ Sie schaute sie wieder an, lächelte höflich. „Nun, da Sie mich kennen, und ich Sie, will ich Sie gar nicht weiter stören. Es war mir eine Ehre, sie kennengelernt zu haben.“ Jodie musterte sie prüfend, ballte ihre Hände in ihren Taschen kurz zu Fäusten und entspannte sie wieder. Sayuris Gesicht war kalkweiß, ihre Augen rotgerändert. Irgendwie fühlte sie sich nicht wohl bei dem Gedanken, das Mädchen so jetzt stehen zu lassen. Sie war offensichtlich schon aufgewühlt gewesen, als sie sie aus ihren Gedanken geschreckt hatte; und ihre Begegnung hatte offensichtlich nicht dazu beigetragen, sie zu beruhigen. Sie biss sich auf die Lippen, räusperte sich kurz. „How... how much do you know...?“ Sayuri blickte auf. „Über den Fall?“ Die FBI-Agentin nickte kurz. „Yes.“ „Ich denke, ich hab… einen guten Überblick.“, murmelte Sayuri, zog sich eine Strähne ihres langen Haares hinter ihrem Ohr hervor, fing an sie zu zwirbeln. Jodie bemerkte es, kam nicht umhin es zu bemerken; dieses untrügerische Zeichen von Nervosität. Das Mädchen fuhr fort, ihre Haare mit zwei Fingern zu verdrehen, als sie weitersprach. „Wie ich sagte… Onkel Heiji hat’s mir erzählt. Oder man sollte wohl eher sagen, ich hab ihn gedrängt, es mir zu sagen. Ich dachte, ich hätte ein Recht darauf zu wissen, warum er nicht da ist. Mein… Mein Vater. Wissen Sie, ich wusste lange nichts von ihm, und ich bin… gerade erst dabei, über ihn zu erfahren, und da hab ich eben all das gehört… mit dieser Organisation und Conan und warum und woran er nun… gestorben ist.“ Sie blinzelte heftig, die Worte sprudelten aus ihrem Mund wie Wasser aus einer Quelle, und dabei wollte sie doch gar nicht… wollte doch gar nicht dieser Fremden ihre Leidensgeschichte ausbreiten. Nichtsdestotrotz fuhr sie fort, sie konnte sich nicht bremsen. „Wissen Sie, ich wollte es wissen! Wollte wissen, wer er war. Warum er sterben musste. Wie es sein kann, dass ein Mensch... ein Erwachsener... wieder zum Kind wird, und dieses Gift ihn letztendlich nach Jahren auch noch umbringt... Ich wollte wissen, ob sein Tod die Sache wert war... ob es sich wenigstens… irgendwie… gelohnt hat…“ Unwillig wischte sie sich über die Augen, blinzelte heftig. „Aber warum sind Sie eigentlich in Japan? Haben Sie einen neuen Fall hier?“ Sayuri wollte das Thema wechseln. Unbedingt das Thema wechseln, wenn diese Frau sie schon so offensichtlich in ein Gespräch verwickeln wollte. Die blonde Frau kam kurz ins Stocken, Erschrecken spiegelte sich für Sekundenbruchteile in ihren blauen Augen wieder, bevor sie sich wieder im Griff hatte. „Nein, kein neuer Fall.“ Sie schob sich mit ihrem Zeigefinger die Brille auf die Nase, Entschlossenheit kehrte auf ihre Gesichtszüge zurück. „No new case. Just a little expedetion into my past... ich bin hier, um ein paar Details eines alten Falls zu beleuchten.” Sie seufzte leise. „Ich bin hier, um einer Person einen Besuch abzustatten, die deinem Vater und auch deiner Großmutter nur allzubekannt war. Sharon Vineyard. Oder wie sie sie nannten... Vermouth.“ Sayuris Augen weiteten sich. „Aus deiner Reaktion schließe ich, du kennst den Namen?“ Jodie musterte sie prüfend, kniff die Augen zusammen. Das Mädchen nickte stockend. „Ja.“ Die blonde Agentin strich sich gedankenverloren über ihren Blazer. „Weißt du... dein Schicksal ist meinem nicht ganz so unähnlich. I... lost my father as well. And his murderer was her... Vermouth. Sie tötete meinen Vater im Auftrag der Organisation, so wie Gin den deinen. Und ich bin heute hier, um von ihr Rechenschaft zu holen. Ich will wissen, warum sie das getan hat. Warum sie meine Eltern umgebracht hat, und auch mich getötet hätte, mich… das kleine Mädchen, das ich damals war… I was lucky, I survived…“ Ihre Stimme verlor sich, dann fasste sie sich wieder. „Und um ihr... zu sagen, was ich über sie denke. Und wenn ich mir dich so ansehe...“ Sayuri merkte, wie ihr Magen sich zusammenzog, ihre Fingerspitzen eiskalt wurden, diese Kälte sich ausbreitete, über ihre Hände, hoch über die Arme, bis sie ihr Kiefer zusammenpressen musste, damit man ihre Zähne nicht klappern hörte. Nervosität, Angst, Anspannung; diese drei Gefühle übernahmen die Kontrolle über sie. „You should accompany me. You really should. Sie soll sehen... soll sehen, was sie und ihr Verein angerichtet haben. Gerade sie, die immer behauptete, sie hätte Shinichi gemocht... ihn und deine Mutter. Sie nannte sie Angel, wusstest du das? Sie nannte deine Mum ihren Engel… Sie sollte sich entschuldigen bei dir, dafür, dass du ihn nie kennenlernen durftest. Sie sollte dir erklären, warum du ihn nicht haben durftest.“ Jodies Haltung verkrampfte sich leicht, Anspannung sprach aus ihr, als sie auf die Antwort seiner Tochter wartete. Sayuri holte tief Luft. Dann nickte sie. Sie sagte nichts; nickte nur. Und folgte der Agentin, als diese sich ein Taxi heranwinkte. James löste sich aus dem Schatten, warf die fertig gerauchte Zigarette weg, stieg in seinen Mietwagen. Ob das eine gute Idee ist, Jodie... Er ließ den Motor an, zog seine Zigarettenschachtel aus der Innentasche seines Sakkos, fischte mit zwei Fingern eine weitere Zigarette heraus, entzündete sie mit dem Zigarettenanzünder des Autos und steckte sie zwischen die Lippen. Er paffte ein wenig, blies die blauen Rauchwolken ins Wageninnere, dann fädelte er sich in den Verkehr ein; er hatte es nicht eilig. James kannte ihr Ziel. Jodie saß mit ihr auf der Rückbank des Taxis und schwieg, betrachtete das Mädchen eingehend, sich der Tatsache wohl bewusst, dass es wohl sehr unhöflich von ihr war. Aber sie konnte nicht ihre Augen von ihr wenden; sie sah ihm so unglaublich ähnlich. Die Ponyfransen, die ihr in die Stirn hingen, ein wenig abstanden, widerspenstig wie wohl auch der Geist, der sich hinter ihnen versteckte, ab und an war; sie hatte sie eindeutig von Shinichi. Und dieser Blick, diese Augen... Es musste die Hölle auf Erden sein für Ran. Täglich in diese Augen zu sehen, in seine Augen... und zu wissen, dass er nie wiederkommen würde. Dass dies nicht seine Augen waren. Jodie erinnerte sich an den Tag noch, wie als ob es gestern gewesen wäre… der Tag seiner Rückkehr. Sie sah ihn deutlich vor sich, an den Abend, nachdem sie die Organisation ausgehoben hatten, und sie, James und Shuichi ihn vom Präsidium zu den Môris gefahren hatten, damit er die Beichte seines Lebens ablegen konnte. Er hatte die ganze Fahrt über kein Wort gesprochen, die Lippen verkniffen, seine Augen starr. Jodie, die neben ihm im Fond des Wagens gesessen hatte, hatte nur den tief besorgen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen. Er hatte Angst gehabt, das war deutlich zu spüren gewesen. Angst, dass er sie verloren hatte, durch seine Lügerei. Angst, dass sie ihm das nicht verzeihen konnte. Shinichi hatte Ran geliebt, wirklich geliebt, man hatte es sehen können, hören können, wenn er über sie sprach und allein was er ertragen hatte, um sie zu schützen, sprach Bände. Es war offensichtlich gewesen, dass er sich ein Leben mit ihr wünschte, er hatte so viel auf sich genommen, um sie in Sicherheit zu wissen, wo er sich selber in Schwierigkeiten gebracht hatte und hatte gehofft... gehofft, dass die Konsequenzen für diese Lüge sich im Rahmen halten würden. Dass sie ihm vergab. Er war sich dessen nicht sicher gewesen, das hatte man ihm angemerkt. Shinichi war klar gewesen, dass Ran… jeden Grund gehabt hätte, ihm nicht mehr zu vertrauen. Wer einmal so gelogen hatte, konnte es wieder tun. Sie hatten angehalten, vor der Detektei, als die Sonne langsam unterging. Ran war aus dem Haus gestürmt, kaum dass er ausgestiegen war; sie musste das Auto vom Fenster aus kommen sehen haben, die Lösung ihres Falles war groß in den Nachrichten gekommen, sie hatte gewusst, dass er wieder da war. Er war stehen geblieben, hatte nichts gesagt, nur die Arme leicht abwehrend ausgestreckt um sie auf Abstand zu halten; er hatte nicht gewollt, dass sie etwas tat, das sie bereuen könnte, wenn er ihr seine Geschichte fertig erzählt hatte. Ran war stehen geblieben, als sie seine abwehrende Haltung bemerkt hatte, schaute ihn verwundert, vielleicht auch ein wenig verletzt an. Shinichi war da gestanden, die Schultern hängend, den Blick gesenkt. Dann hatte er tief Luft geholt… und nur einen Satz gesagt. Einen einzigen. Ich war Conan Edogawa... Ran. Erst dann hatte er es gewagt, den Blick zu heben; Jodie hatte nicht erkennen können, welchen Ausdruck Ran auf seinem Gesicht gesehen hatte; er hatte ja mit dem Rücken zu ihr gestanden. Aber sie hatte geahnt, dass es ein Ausdruck tiefster Schuld gewesen sein musste. Und Reue. Denn nur dadurch... und nur dadurch... war Rans Reaktion nachvollziehbar gewesen. Das Mädchen war nur auf ihn zugegangen, Schritt für Schritt; sie war nicht gerannt, aber ihr Schritt war entschlossen und sie hatte auch nicht innegehalten, bis sie ihre Arme um ihn hatte schlingen können, ihn an sich zog und ihren Kopf an seinem Hals vergrub. Das Seufzen, das ihre Lippen verlassen hatte, als er seine Arme um sie legte, sie an sich presste, war deutlich hörbar gewesen. Es hatte ausgesehen, als ob eine tonnenschwere Last von seinen Schultern fiel. Ab diesem Tag waren sie unzertrennlich gewesen; und glücklich. Jodie hatte sich gut gefühlt, ein nie gekanntes Hochgefühl hatte sie ergriffen, und sie hatte in den Gesichtern von James und Shuichi das gleiche gelesen; Freude und Erleichterung. Es war wieder zusammen, was zusammengehörte, das Gute hatte gesiegt, die Welt war wieder im Lot. Alles bestens. Und dann... hatte sie vor fünfzehn Jahren von seinem Tod erfahren. Und die Todesursache. Aus einem Brief seiner Eltern. Ihr hatte sich der Magen umgedreht, in ihrem Büro in New York. Lange hatte sie es nicht glauben können; es schien so unwirklich, und auch so unglaublich ungerecht- Das Gute hatte am Ende doch nicht gesiegt... der finstere Bösewicht hatte den Helden dieser Geschichte letztendlich doch noch getötet; er hatte seine späte Rache bekommen. Das war doch kein anständiges Ende für eine solche Geschichte. Die Nachricht von Shinichi Kudôs Tod hatte ihr Weltbild ins Wanken gebracht; sowas hätte nicht nicht passieren dürfen denn das stimmte so nicht, das war nicht richtig; es war so falsch... So entsetzlich falsch. Das Happy End nachträglich noch zu verdrehen, zu verkehren, ad absurdum zu führen... Das war nicht richtig. Das war nicht gerecht. Sie war den Rest des Tages zu nichts mehr zu gebrauchen gewesen, hatte nur noch an ihn und an Ran gedacht. Und nun, heute, fünfzehn Jahre später, saß sie mit seiner Tochter im Fond des Taxis, hatte das Déjà-vu ihres Lebens und wusste doch, dass die Situation eine andere war als damals mit ihm; Sayuri war nicht hier, um ein Geständnis zu machen. Sie wollte wissen. Sie würde diejenige sein, die die Fragen stellte; und andere würden ihr Geständnisse machen. Wahrscheinlich wollte sie auch einfach jemanden kennenlernen, von ihnen... von der Organisation. Es war klar, dass sie sie verteufelte, dieser Ausdruck von unterdrückter Wut in ihren Augen, als sie die Frage gestellt hatte, ob sein Opfer das alles wert gewesen war, war unübersehbar gewesen; und nun war sie auf dem Weg zu jemandem, der wirklich Schuld war an seinem frühen Tod. Und damit Schuld an der Tatsache, dass sie ohne Vater aufwachsen musste. Jodie merkte, wie sich Sayuris Haltung verkrampfte. Ihre Fäuste sich langsam ballten. Sie seufzte leise. „Bleib ruhig. Sie kann dir nichts tun; du bist diejenige, die die Fragen stellen wird. Sag mal… Wie... wie heißt du eigentlich?“ Sayuri blinzelte, schaute sie überrascht an, merkte, wie ihr dann langsam das Blut ins Gesicht stieg. „Sa... Sayuri.“, murmelte sie. „Entschuldigen Sie bitte, ich war sehr unhöflich, mich nicht gleich vorzustellen, ich...“ Die FBI-Agentin lachte leise, lächelte sie dann warm an. „Don’t worry, darling. Mach dir nichts draus, das ist doch kein Problem!“ Sie strich sich ihren Rock glatt. „Wirklich, das ist nichts, das dich beunruhigen sollte, Sayuri.“ Sie seufzte, schaute kurz aus dem Fenster. „Ein schöner Name.“ „Er hat ihn ausgesucht.“, wisperte das Mädchen, schluckte. Jodie legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, drückte sie sacht. „Er hatte Geschmack.“ Beruhigt bemerkte Jodie, wie ein kurzes Lächeln über ihre Lippen huschte. Dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich; und zwar die Stimme des Fahrers. „Miss, wir sind angekommen.“ James parkte etwas abseits, beobachtete die beiden Personen, die aus dem Taxi stiegen. Jodie bezahlte den Fahrer, wartete dann auf Sayuri, die den Wagen umrundete und machte sich mit ihr auf den Weg zum Eingang. Der Pförtner nickte beim Anblick des Besuchervisums, stellte offensichtlich keine Fragen, als er Sayuri sah; wahrscheinlich hatte Jodie sie als ihre Tochter ausgegeben und da sie noch minderjährig war, brauchte sie auch kein Visum. Er seufzte, lehnte sich im Wagen zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete, wie das düstere Gebäude die Frau und das Mädchen verschluckte. Jetzt hieß es warten… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)