Tagebücher von Leira ================================================================================ Lebwohl ------- So. Ich kann hierzu nicht mehr sagen. *schluck* Ich überlass es euch, mir den Kopf hierfür abzureißen, nie hatte ich mehr Zweifel, ob ich ein Kap laden sollte, ehrlich. O.o Ich verzieh mich lieber. *Temposdalass* Für die, die's vielleicht brauchen. Bis nächste Woche zum Epilog... MfG, eure Leira ______________________________________________________________ Kapitel 32: Lebewohl Vergangenheit Es waren nun genau sieben Tage vergangen, seit der Entbindung seiner Tochter, und irgendwie hatte er das Gefühl, dass es nun genug war. Dass er einen achten nicht kriegen würde. Er wusste schon, als er an diesem Morgen aufwachte, dass das sein letzter Sonnenaufgang sein würde. Shinichi hatte keine Ahnung, woher dieses komische Gefühl rührte... aber es war da. Er blinzelte an die Decke, kuschelte sich kurz noch tiefer in die warmen Kissen. Dann stand er doch auf, griff sich seinen Morgenmantel, ging zum Schlafzimmerfenster, öffnete es und trat auf den Balkon. Über Tokio ging die Sonne auf. Er stand nur da und sah ihr dabei zu. Ohne sich zu bewegen, ohne irgendeine Regung. Er fühlte den lauen Frühlingswind auf seinem Gesicht, atmete die frische Luft tief ein, seufzte leise. Merkte nicht, wie sie neben ihn trat, erst, als sich ihre Hand in seine schob. „Was machst du hier draußen?“ Shinichi schwieg, nickte nur in Richtung Sonnenaufgang; dann zog er sie an sich, hielt sie fest, roch den Duft ihrer Haare. Ran schluckte, schlang ihre Arme um ihn und schaute mit ihm der aufgehenden Sonne zu. Er schien so ruhig; mit sich im Reinen. Sie fragte sich, ob das einen besonderen Grund hatte, aber sie wagte nicht daran zu denken, was das genau für ein Grund sein konnte. Und so schaute sie mit ihm den Sonnenaufgang an und begann danach den Tag wie jeden anderen, wahrte die Routine, versuchte, dadurch dem zu entgehen, was sie insgeheim fürchtete. Es gelang ihr nicht. Sie war übersensibel, das wusste sie. Alles in ihr stand auf Bereitschaft. Immer wieder warf sie ihm einen Blick zu, und auch seine und ihre Eltern, die zum Mittagessen kamen, konnten sich der gespannten Atmosphäre nicht entziehen. Allein er selbst war die Ruhe in Person, ließ sich von nichts aus dem Gleichgewicht bringen. Es war mittlerweile kurz nach Mittag, als Babygeschrei durchs Haus hallte und die Nerven der Bewohner, die ohnehin schon blank lagen, noch mehr strapazierte. Sayuri quengelte und weinte und war nicht willens, sich beruhigen zu lassen. Ran seufzte, schaukelte sie in ihren Armen, ging mit ihr durchs Zimmer, summte ihr ein Liedchen vor - aber es half einfach nichts. Das Baby weinte weiter. Shinichi seufzte, schaute auf von dem Buch, das er gerade las. „Vielleicht ist sie müde?“ Vielleicht ahnt sie etwas... Yusaku wandte den Kopf, Yukiko warf ihr einen grübelnden Blick zu. „Nun... könnte sein. Sie hat getrunken, sie hat ihr Bäuerchen gemacht, sie hat eine frische Windel und sie hat Leute die sie kennt um sich, also fürchtet sie sich wohl auch nicht.“ Shinichi seufzte, dann stand er auf, nahm Ran sein Töchterchen ab. „Gib sie mir mal. Ich bring sie ins Bett.“ Die Kleine war sofort still, griff, wie sie es so gerne tat, in die Maschen seines Pullovers. Ran seufzte entnervt, konnte sich nicht helfen, als ein leichtes Neidgefühl in ihr empor kroch, und fühlte sich doch schäbig, in Angesicht der Tatsache, dass Shinichi... ihr ihre Tochter bestimmt nicht abspenstig machen konnte. Oder sie ihn lieber haben könnte als sie. Leise seufzte sie, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Jetzt ist sie ja ruhig.“ „Ja, aber trotzdem müde.“ Er lächelte sanft. „Schau doch, ihr fallen die Augen zu.“ „Dann bleib doch einfach hier mit ihr und lass sie...“, begann Yukiko, aber Shinichi würgte ihren Vorschlag mit einem Kopfschütteln ab. „Nein. Ich bring sie hoch, da hat sie mehr Ruhe. Bis gleich.“ Damit wandte er sich um, stieg die Treppen hoch. Als sie im Bettchen lag, war sie wieder hellwach. Sie griff in die Luft, strampelte mit den Beinen, schnatterte vor sich hin. Shinichi lachte amüsiert, die Arme auf dem Geländer der Wiege verschränkt. „Hey, du kleine Schauspielerin. Du solltest doch schlafen, jetzt…" Er berührte zärtlich mit seinem Zeigefinger ihre Wange, wanderte nach unten zu ihrer Hand. „Komm... sei ein braves Mädchen und schlaf schön... gerade wolltest du doch unbedingt schlafen, weißt du nicht mehr?“ Kleine Fingerchen umschlossen seine Fingerspitze. Shinichi lächelte. Die Kleine schaute ihn mit wachen Augen an, blinzelte. „Ach... das ist nicht fair…“, murmelte er. „Das ist einfach nicht fair. Nicht für dich und nicht für mich…“ Es kam aus heiterem Himmel, dieses Gefühl. Plötzlich, rücklings übefiel es ihn... kurz, ganz kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Haltsuchend klammerte er sich am Geländer des Bettchens seiner Tochter fest, atmete stockend aus. Und er wusste, dass es nun soweit war. Dass der Zeitpunkt nahe war. Dass er sich nicht geirrt hatte, heute Morgen. Dass sein Gefühl ihn nicht getrogen hatte. Er seufzte, schluckte schwer, blickte zur Tür. Bis gleich...? War wohl gelogen... Unwillkürlich begann es in seinen Augen zu brennen, seine Mundwinkel zogen sich nach unten, als er ihre kleinen Finger von seinem löste, wischte sich unwillig übers Gesicht. Er wollte nicht weinen. Nicht vor ihr. Er schluckte den Kloß, der sich in seinem Hals festgesetzt hatte, hinunter, verdrängte das Gefühl von Unglück und Bitterkeit, dass sich in ihm ausbreitete und riss sich zusammen. Dann beugte er sich nach unten, küsste das Baby sanft auf die Stirn, seufzte leise, eh er sprach. „Sayuri, ich will, dass du eins weißt..." Er seufzte, kam sich furchtbar pathetisch vor und konnte doch nichts tun; er wollte, musste es ihr sagen. "Als....wo... wo immer ich landen werde, ich werde ein Auge auf dich haben, hörst du? Mach deiner Mama nicht zu viel Kummer, sie hatte mit mir schon genug für den Rest ihres Lebens…" Seine Stimme war nicht lauter als ein Flüstern und er hatte Mühe, nicht die Fassung zu verlieren. „Ich… es tut mir so leid…ehrlich… so leid…“ Seine Stimme verlor sich, die letzten Wörter waren kaum mehr als eine Bewegung seiner Lippen gewesen. Er hätte geglaubt, dieser Abschied würde ihm leichter fallen, denn schließlich verstand sie ihn noch nicht, verstand seine Worte nicht und auch nicht dieses Gefühl von Endgültigkeit, wenn er Lebewohl sagte… aber dennoch… ihre klaren blauen Augen hafteten auf seinem Gesicht und es fiel ihm so schwer – so schwer sich von ihr abzuwenden. „Leb wohl, Töchterchen…“ Ein letztes Mal streichelte er ihr über den Kopf, schenkte ihr ein Lächeln - und sie lächelte zurück. Yusaku wusste nicht, warum er aufstand. Es war fast automatisch... er erhob sich aus seinem Sessel, wanderte hinaus, die Treppe hinauf. Irgendetwas führte ihn. Shinichi flüchtete fast, er wollte raus, nur raus aus dem Kinderzimmer. Eine Tür weiter lag ihr Schlafzimmer. Da wollte er hin. Weg von seiner Tochter, weg von allen… Und dann erstarrte er, lehnte sich langsam an die Wand. Sein Vater stand da. Er war wohl gerade die Treppe hinaufgekommen. Yusaku sah ihn an, sein Blick war voll Gram. Er schaute ihn nur an, brauchte nicht zu fragen. Er wusste, dass es jetzt soweit war. Dass der Augenblick, den er so gefürchtet hatte, nicht weit war. Also verlässt du uns jetzt…? Shinichi blinzelte. Ja… Er atmete schwer, versuchte sich zusammenzureißen. Mit zitternden Fingern strich er sich die Haare aus der Stirn. „Vater…?“ Seine Stimme klang heiser. „Shinichi?“ Yusaku schluckte schwer, versuchte den Kloß, den er ihm Hals hatte, herunterzuwürgen. Er wollte jetzt nicht schwach sein. Nicht jetzt, nicht vor ihm. Er musste stark sein, wo sein Sohn es nicht mehr sein konnte. Shinichi räusperte sich leise. „Du erinnerst dich doch an dein Versprechen…?“ „Natürlich… mach dir keine Sorgen, Shinichi…“ Die Stimme seines Vaters klang rau. „Danke.“ Shinichi blickte nach unten. Er blinzelte erneut, heftiger als vorhin. „Vielen Dank…“ Er schaute auf, seinem Vater ins Gesicht, sah seinen Kummer… lächelte ihn an. „Seid nicht traurig, bitte… wir wussten es doch… wussten doch was kommt. Ihr müsst nach vorn schauen. Ich will nicht… dass ihr mich vergesst, aber ihr… ihr dürft nicht zu verzweifelt sein. Hörst du?“ Yusaku nickte schwer. „Shinichi…“ Der Schriftsteller hielt inne, als er den Blick seines Sohns bemerkte. „Danke, dass du mit mir gegangen bist, du ahnst nicht, wie viel mir das bedeutet; aber jetzt ist es wohl Zeit, dass sich unsere Wege trennen. Sag Mama auch Lebewohl, ja? Und sag ihr, dass ich sie lieb hab. Ich hoffe, du verstehst… ich… ich kann einfach nicht nochmal runter, jetzt. Ich… ich will auch…“ „Schhh.“ Shinichi brach ab, erkannte, dass ihn sein Vater schon begriffen hatte. „Ich versteh dich schon. Du brauchst… brauchst dich nicht zu entschuldigen…“ Shinichi schluckte. „Sag ihr auch noch mal Danke, ja? Ich danke euch nämlich wirklich… für mein Leben…“ Yusaku kämpfte mit sich, um seine Fassung. „Es gibt nichts, wofür du dich bedanken müsstest...“, wisperte er leise. Dann war es um seine Selbstbeherrschung geschehen. Er ging zu ihm hin, nahm ihn in die Arme. Er merkte, wie Shinichi kurz zusammenzuckte, wusste nicht ob vor Schmerz oder aus Überraschung, wollte gerade wieder loslassen, als er merkte, wie Shinichi seinerseits seine Arme um ihn legte und sich kurz an ihn drückte. „Lebwohl…“ Yusaku schloss die Augen, als er dieses nur geflüsterte Wort vernahm. Spürte seinen Atem an seinem Hals, als er es aussprach und ihm kam unweigerlich der Gedanke dass… dieser Lufthauch… einer seiner letzten Atemzüge war. Er drückte ihn an sich, spürte dieses Leben in seinem Körper und wusste… wusste dass es sehr bald schon erloschen sein würde. Und das trieb ihn an die Grenze dessen, was er ertragen konnte. Shinichi merkte es, schob ihn wieder etwas auf Abstand, ließ ihn aber noch nicht ganz los. Yusaku legte ihm eine Hand auf die Schulter, drückte sie kurz, schluckte schwer; es schien fast, als hielte der Vater sich am Sohn fest. Yusaku hatte geahnt, dass dieser Moment sehr schwer werden würde; dass er derart unerträglich sein würde, hatte er nicht gewusst. Er wollte nicht, dass er ging, hätte alles gegeben, um diesen Moment einfach verstreichen zu lassen, um sein Schicksal zu ändern, irgendwie… Shinichi sah die stumme Bitte in den Augen seines Vaters, schüttelte sacht den Kopf und versuchte ein Lächeln. „Du weißt, das geht nicht.“ Yusaku seufzte tief… dann verzog er auch er seine Mundwinkel zu einem Lächeln, wenngleich es auch unglaublich bitter war. Erst als er seine Hände wieder sinken ließ, löste sich auch Shinichis Griff. Er nickte ihm noch einmal kurz zu, dann ging er. „Shinichi…“ Yusakus Stimme klang heiser, und er bezweifelte, das Shinichi ihn gehört hatte. Er setzte sich auf die Treppe, als sein Sohn seinen Weg allein fortsetzte. Er wusste, er wollte ihn jetzt nicht bei sich haben. Er wusste, er wollte allein sein, wenn er diese Welt verließ, weil er es ihnen nicht noch schwerer machen wollte. Und er wusste, diesen letzten Wunsch musste er ihm erfüllen. Und doch fiel es ihm so unendlich schwer, Shinichi allein weitergehen zu lassen. Er fuhr sich über die Augen. Und langsam, ganz langsam wurde ihm klar, dass er gerade eben wohl seinen Sohn zum letzten Mal gesehen hatte… zum letzten Mal seine Stimme gehört. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er ließ sie laufen. Shinichi wurde schwindlig, er wankte ins Zimmer, zum Bett. Langsam ließ er sich auf die Matratze sinken, legte sich hin. Alles drehte sich, aber ansonsten fühlte er sich erstaunlich gut. Er schloss die Augen, versuchte ruhig zu atmen, nicht panisch zu werden, aber das fiel ihm schwer. Furcht schlich sich in seine Gedanken. Er wusste, dass es jetzt vorbei war. Das hieß, noch nicht jetzt - aber gleich. Und das machte ihm Angst. Ran saß in der Küche, blätterte durch ein Rezeptbuch, als ihr plötzlich kalt wurde. Sie legte das Buch weg, schaute suchend um sich. Unruhe erfasste sie. Shinichi. Wo war er? Hätte er nicht längst wieder hier sein sollen? Sie nagte an ihrer Unterlippe, dann stand sie auf, drehte sich um, verließ die Küche, rannte nach oben. Ihr Herz zog sich immer mehr zusammen. „Shinichi…?“ Er presste die Augen zusammen, legte seinen Handrücken auf die Stirn. Binnen Sekunden hatte sein Körper zu glühen begonnen, aber Schmerzen fühlte er keine. „Shinichi… wo bist du? Sag doch was!?“ Ran. Er hörte sie näherkommen. Anscheinend hatte es ihr zu lange gedauert, bis er wieder runterkam. Vielleicht hatte sie auch seinen Vater gesehen. Hau ab. Ich will nicht, dass du das miterlebst… hau ab, hau ab, hau ab…! Shinichi fluchte lautlos, starrte die Decke an und fragte sich, warum die Welt so unfair war. Er wollte nicht, dass sie es sah. Er wollte nicht, dass sie sich das antat… und gleichermaßen wollte er es doch. Er wollte sie hier haben, den er hatte Angst. Schritte auf dem Gang. Ein leiser Luftzug wehte herein, als sie die Tür öffnete. „Shinichi!“ Ihre Stimme klang erschrocken. Er hörte sie zu sich eilen, spürte ihr Gewicht, als sich die Matratze etwas nach unten bog, als sie aufs Bett kletterte. Er fühlte kalte Hände in seinem Gesicht, und war sich klar, dass sie ihm nur so kalt vorkamen, weil ihm so heiß war. Sie strich ihm die Haare aus der Stirn, suchte seinen Blick. Er musste nichts sagen. Sie wusste es auch so. Eine Träne rollte ihr über die Wange, als sie sich neben ihn legte, ihm ins Gesicht schaute. Er drehte sich auf die Seite, schaute in ihre klaren blauen Augen. „Geh doch… bitte. Tu dir das nicht an…“, wisperte er. „Nein.“, flüsterte sie. Sie musste sich beherrschen, um nicht einfach loszuheulen. Seit Wochen fürchtete sie diesen Augenblick, und nun war er gekommen - und es war entsetzlich. Die Hilflosigkeit machte sie fast wahnsinnig. Sie wollte nicht, dass er ging. Aber sie wollte auch nicht, dass er sich Sorgen machte. Das eine konnte sie nicht verhindern, dessen war sie sich bewusst - aber das andere konnte sie mit etwas Selbstbeherrschung vermeiden. Also riss sie sich zusammen, versuchte, sich ihre seelischen Qualen, ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Immer und immer wieder strich sie ihm über die Wange. „Ich hab dir gesagt, ich geh diesen Weg zu Ende mit dir. Ich will das. Ich will bei dir sein. Ich will jede Sekunde, die uns noch bleibt…“ Sie griff nach seiner Hand, sah ihn an. „… bei dir sein…“ Eine weitere Träne rann ihr aus dem Augenwinkel. Langsam bewegte er seinen Kopf ein wenig nach vorne, bis seine Stirn die ihre berührte. „Es tut mir so leid, Ran…“ Seine Stimme klang brüchig. „Nicht doch…“ Sie versuchte zu lächeln. „Nicht doch… du musst dich nicht… entschuldigen…“ Sie schluckte die Tränen runter, wischte sich über die Augen. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah. Er sollte sie lächeln sehen, wenn er sie verließ. Er sollte doch wissen, dass es ihr gut ging. Dass er sie guten Gewissens zurücklassen konnte. Und er schien ihre Gedanken zu lesen. „Kommt ihr…“ „Klar? Natürlich.“ Sie nickte, strich ihm über die Wange. „Darüber haben wir doch schon geredet, Shinichi. Mach dir keine Sorgen. Mach dir keine Sorgen…“ Er blickte sie nur an, stumm, hielt ihre Hand, drückte ihre Finger. Ran schluckte, näherte sich ihm, zog ihn an sich, gab ihm den letzten Kuss auf die Lippen, versuchte, ihn ihre bedingungslose Liebe für ihn spüren zu lassen, ein letztes Mal. „Ich... ich liebe dich…“ Seine Stimme klang heiser, war kaum noch zu hören. „Ich dich auch…“ Eine Träne verließ seinen Augenwinkel, perlte langsam über seine Wange ins Kopfkissen. Ran presste ihre Lippen aufeinander. „Ich dich auch… so sehr… Ich werde dich so vermissen, Shinichi… so vermissen… glaub mir, ich werde dich nie vergessen… ich werde nie wieder jemanden so lieben können wie dich, ich… bitte… bleib doch…“ Ihre Stimme verlor sich zu einem Wimmern. Ihre Verzweiflung war ihr anzusehen. Er hob die Hand, fuhr mit seinen Fingern sanft die Kontur ihres Gesichts nach, bis sein Zeigefinger auf ihren Lippen zu liegen kam, sie zum Schweigen brachte. „Schhh… nicht doch... ganz ruhig...“ Er atmete tief ein, merkte, wie ihm langsam das Luftholen schwer fiel. „Ich werde immer bei dir sein, hörst du…? Wo immer ich auch bin, ich werde auf euch aufpassen...“ Sie schluckte. Der Kloß in ihrem Hals wurde immer großer. Sie wusste fast nicht mehr ein noch aus, wusste nicht wohin mit ihrer Trauer, ihrem Schmerz. Er sah ihr ihre Qualen an. „Sei nicht traurig, hörst du, Ran? Sei nicht traurig…“ Er schaute sie drängend an; sie schwieg, presste ihre Lippen aufeiander, zwang sich dann zu einem Lächeln, von dem sie wusste, dass er es ihr nicht abkaufte, merkte doch, wie sie zitterte. Sie versuchte, sich zu beruhigen, dann setzte sie sich vorsichtig hin, lehnte sich gegen die Kissen, zog ihn ein wenig zu sich, so dass sein Kopf auf ihrer Brust lag. Sie spürte den sanften Hauch seines Atems, der ihren Hals streifte, schlang beide Arme um ihn, hielt ihn fest. "Versuch, nicht zu traurig zu sein, wenigstens... das..." Sie antwortete nicht, hauchte ihm stattdessen einen Kuss auf die Haare; ihre Kehle schnürte sich zu, als sie merkte, wie seine Atmung immer flacher wurde und er ihr immer mehr entglitt, egal wie fest sie ihn an sich presste, ihn festhalten wollte. „Shinichi…?“ Rans Stimme zitterte merklich; sie griff seine Hand, drückte sie fest. „Schhht...“, wisperte er. „Es ist schon gut...“ Ran presste die Augen zusammen, versuchte, nicht zu weinen. Sie merkte, wie er schluckte, als er sich sammelte, seinen Kopf hob, ihr in die Augen sah. „Ran…?“ Sie schaute ihn an, versuchte, diesen Moment, diesen letzten Moment, so intensiv zu erleben wie möglich. Sie wollte nichts an ihm vergessen. Nichts. „Lebwohl und Danke für alles… Danke... Danke für alles...“ Ran vergrub ihre Hand in seinen Haaren, presste ihre Stirn an seine, mit der anderen hielt sie immer noch seine Finger umklammert. „Nein. Ich danke dir…“ Rans Stimme bebte - aber sie lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln, ließ zu, dass sie seinen Kopf wieder an ihre Schulter drückte. Ein leises Seufzen entrang sich seiner Kehle, als er merkte, wie große Ruhe ihn umfing. Ran schluckte, beobachtete ihn, hielt seine Hand. Das Gefühl, dass sie ergriff, als sein Leben ihn verließ, war unglaublich, schien so unfassbar gewaltig zu sein. Eine Macht, der man sich nicht entgegen stellen konnte… der man im wahrsten Sinne des Wortes machtlos, ohmächtig gegenüberstand. Sie fühlte sich fast, als würde es sie mitreißen, und doch wusste sie, nur er würde gehen… er würde nicht zulassen, dass sie mitkam. Sie würde hierbleiben müssen. Ihr... blieb nichts anderes übrig. Sie konnte nur zusehen, wie er die Augen schloss. Langsam… wie als ob er einschlafen würde. Sein Kopf sank noch ein wenig mehr gegen ihren Hals, sein Körper entspannte sich. Er drückte ihre Hand, atmete aus, ganz ruhig. Und nicht wieder ein. Sein Griff lockerte sich wieder. Er sah wirklich aus, als ob er schlief, sein Kopf sacht auf ihre Schulter gebettet, seine Hand in ihrer; aber er schlief nicht… er war gegangen. Für immer. „Ich danke dir…“, wiederholte sie tonlos. Er war gegangen. Zuerst war es ganz still im Raum... dann brach die Wirklichkeit über ihr zusammen. Ran schluchzte unterdrückt auf, presste ihre Finger gegen ihre Lippen. Sie kuschelte sich an ihn, krallte ihre Hände Halt suchend an ihm fest und ließ ihren Tränen freien Lauf, schluchzte, weinte, wie noch nie in ihrem Leben. Der Schmerz über diesen Verlust drohte sie fast zu zerstören; sie merkte, wie es an ihr riss und zerrte, aber sie ignorierte es. Die Liebe ihres Lebens war tot; und mit Shinichi war auch ein Teil von ihr gegangen. Yusaku saß immer noch draußen auf der Treppe, den Kopf in den Händen vergraben und schloss die Augen, atmete langsam aus. Hörte Ran herzzerreißend schluchzen. Vorbei. Ein paar Minuten blieb er einfach noch sitzen. Presste seine Kiefer aufeinander, spürte den Schmerz in ihm toben, diesen Schmerz über seinen Verlust. Er wollte sich fangen, bevor er zu den anderen ging, ihnen die Nachricht überbrachte… und dafür brauchte er ein paar Minuten. Seine Augen brannten, seine Hände zitterten, als er sich immer wieder die Haare aus der Stirn strich. Dann stand er auf, ging nach unten. Er brauchte nicht einmal ins Wohnzimmer gehen, um es ihnen zu sagen, Eri, Kogorô und seiner Frau… der Mutter seines Sohnes, der sie gerade für immer verlassen hatte. Sie standen schon am Treppenabsatz. Genau genommen brauchte er auch gar nichts zu sagen. Er nickte nur, als er ihre fragenden Gesichter erblickte. Yukiko brach in seinen Armen zusammen. Shiho stand vorm Telefon. Es klingelte. Klingelte. Klingelte. Sie ließ es klingeln, starrte es nur an, ein schmutzigweißes, leicht angestaubtes Plastikteil, das seine besten Jahre auch schon sichtbar hinter sich gelassen hatte; aber solange es seinen Dienst versah, behielt man es, und wie man nun merkte, machte es seine Sache immer noch gründlich. Der Klingelton wurde um keinen Deut leiser, nachgiebiger. Es schien, als ob der Anrufer wusste, dass jemand zuhause war, und sich nur nicht traute, den Anruf entgegenzunehmen; und so klingelte es weiter. Und auch weiterhin hob sie nicht ab. Sie hatte Angst. Angst vor der Nachricht, die die Person am anderen Ende ihr überbringen könnte. Agasa, aufgescheucht durch das penetrante Klingeln, trat in den Flur, sah sie vorm Telefon stehen. Sie blickte es nur an, machte immer noch keine Anstalten, abzuheben. Er ahnte, warum. Und so schluckte er, riss sich zusammen und beantwortete den Anruf selber. „Agasa.“ Er lauschte nur der Stimme am anderen Ende; sagte nichts, als er auflegte, mit einer fast gezwungenen Geste den Hörer geradezu auf die Gabel presste, ein paar Sekunden einfach in dieser Position verharrte, mit sich kämpfte und sichtbar um seine Fassung rang. Dann wandte er sich langsam um, schaute seiner jungen Mitbewohnerin ins Gesicht. Ihr liefen die Tränen bereits über die Wangen, in ihren Augen stand die Furcht vor der Botschaft, die er ihr gleich überbringen würde. „Er ist... gestorben. Vor ein… paar Minuten. Er… er ist tot…“ Agasas Stimme klang brüchig, Tränen schimmerten in seinen Augen. Shiho kniff die Augen zusammen, als sie die Welle auf sich zurollen sah. Der Schmerz, die Schuldgefühle, die Reue, die Verzweiflung sie mit sich rissen. Sie schmeckte Blut, als sie sich fest auf die Lippe biss, spürte den Schmerz, aber er interessierte sie nicht. Ihr Atem ging keuchend, stoßweise, ihre Brust hob und senkte sich heftig. Dann war es vorbei mit ihr. Sie schrie auf; ein Laut, der durch Mark und Bein ging, der ihren Schmerz hörbar machte; ein Laut, den Agasa nie vergessen würde, solange er lebte. Der Boden brach weg unter ihren Füßen, sie stürzte, krallte sich in den Teppich bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten und schluchzte. Sein Herz wurde immer schwerer. Es war klar, worum Shiho trauerte. Nicht nur um einen Freund. Du hast ihn geliebt. Agasa atmete tief durch, strich sich die Tränen aus den Augen, merkte doch, dass seine Wangen immer nasser wurden. Dann ging er langsam in die Knie, zog seine Mitbewohnerin zu sich. „Du hast das Richtige getan.“ Er schluckte. „Es ihm nie zu sagen, war das Richtige...“ Shiho schluchzte, vergrub ihr Gesicht im Kittel des Professors, schrie unterdrückt auf. Als das Telefon im Hotelzimmer bimmelte, war es Kazuha, die abhob. Als sie seinen Vater am anderen Ende der Leitung hörte, wusste sie worum es ging, hörte gar nicht mehr zu, sondern winkte nur Heiji heran, wandte sich bereits ab, fing leise an zu schniefen. Heiji hörte zu, seine Miene versteinert, nur seine Kiefer pressten sich aufeinander, so fest, dass seine Zähne knirschten. Dann legte er auf, wandte sich um, ließ sich auf sein Bett sinken, vergrub das Gesicht in seinen Händen. Kazuha warf ihm einen tränenverschleierten Blick zu, dann setzte sie sich neben ihn, zog ihn in ihre Arme. „Gestern noch...“, hörte sie ihn nur wispern. „Verdammt... gestern noch...“ Er blinzelte, als ihm die ersten Tränen in die Augen stiegen. Sie strich ihm über den Kopf, den Rücken, legte dann ihren Kopf auf seine Schulter. „Shhht...“ Sie hatte ihn nie weinen sehen. Und dass er es jetzt tat, zeigte ihr, wie viel ihm die Freundschaft zu Shinichi Kudô wirklich bedeutet hatte. Sie saß neben ihm, leistete ihm einfach nur Beistand in seiner Trauer; und schwieg. Es gab nichts zu sagen, was ihn hätte trösten können, und so blieb sie stumm. Tagelang war mit Ran nichts anzufangen. Sie trauerte um ihren Shinichi, schottete sich ab, isolierte sich, wollte mit niemandem reden. Nicht über ihren Kummer. Nicht über das Wetter. Über nichts. Die Beerdigung war für sie kaum zu ertragen. Als sein Vater, Heiji, der Professor und Kogorô den Sarg zu Grabe trugen, versuchte sie sich noch zu beherrschen. Sie stand da, ihr Blick starr auf die Männer gerichtet, die mit gesetzten Mienen den wohl schwersten Gang ihres Lebens bewältigten. Gemessenen Schrittes marschierten sie durch die Gräberreihen; gekleidet in Schwarz, die Augen zum Schutz gegen die strahlende Sonne zugekniffen, trugen sie den hölzernen Sarg, auf dessen polierter und lackierter Oberfläche sich das Licht brach. Yusaku war bleich im Gesicht, man sah ihm an, wie schwer es wirklich für ihn war, wie sehr die Last, die er trug, auf seine Schultern drückte. Ran zitterte, fröstelte, und verfluchte gleichzeitig auch noch das Wetter, das heute so schrecklich frühlingshaft war. Regen. Sturm. Gewitter. Ja, das wäre passend gewesen. Aber nein, es schien die Sonne, alles war grün, ein laues Lüftchen streichelte über die Äste, brachte die ersten Blätter zum Rauschen. Ran stand einfach nur da, versuchte, Abschied zu nehmen, als sich langsam immer mehr Erde auf das Grab, seine letzte Ruhestätte, legte, aber es gelang ihr nicht. Sie kauerte noch lange, nachdem der letzte Gast gegangen war, an seinem Grab, wisperte immer wieder seinen Namen. Yukiko, Yusaku, Eri, Kogorô, Sonoko, Shiho, der Professor sowie Heiji und Kazuha warteten in einigem Abstand. Ran saß im Gras vor dem frisch aufgeschütteten Haufen Erde, der neben seinem Grabstein seine letzte Ruhestätte kennzeichnete. Sie weinte nicht. Nicht mehr. Tränen hatte sie schon lange keine mehr, ihre Trauer lag jenseits von allem, was Tränen noch ausdrücken konnten. Sie saß nur da, starrte auf den hellgrauen Marmorstein, konnte nicht begreifen, ihn nie wieder zu sehen. Shinichi Kudô Geliebter Ehemann, Vater, Sohn und geschätzter Freund Viel zu früh musstest du uns verlassen – Doch sei dir sicher, wir werden dich nie vergessen. Sie wusste, dass alle anderen ein wenig abseits standen. Dass alle nur auf sie warteten. Yukiko wohl mit der Kleinen auf dem Arm, die wahrscheinlich schlief. Sie hatten sie nicht zuhause lassen können, weil es keinen gab, der auf sie aufpassen konnte; sie alle waren gekommen, um ihm ihr letztes Lebwohl zu sagen. Ran wusste, keiner würde kommen um sie zu holen - sie würden alle warten, bis sie von selber kam. Ein Gefühl von Schmerz flackerte erneut in ihr auf. Sie bohrte ihre Finger ins Gras, konnte das leise Rascheln des Winds in den Blätter nicht genießen, nicht die ersten Sonnenstrahlen spüren, die Wärme zu verbreiten suchten, ihre tastenden Finger nach ihr ausstreckten. Sie schreckte erst auf, als sie Schritte hörte. Ran wandte ihren Blick nach oben, erstarrte. Zuerst dachte sie, er wäre es. Dann erkannte sie, wer es wirklich war, schluckte hart, schalt sich in Gedanken eine Närrin. Neben ihr stand ein junger Mann in weißem Anzug. Die Ähnlichkeit zu Shinichi war unglaublich, aber sie wusste, dass er es nicht war. Zwar trug er heute weder Umhang, noch Zylinder oder Monokel, aber dennoch wusste sie, um wen es sich bei ihm handelte; neben ihr stand KID. Sie sah, dass er schluckte. Kurz warf er ihr einen Blick zu, und sie erkannte, wie erschüttert er war. Auch er trauerte um ihn. Um seinen Gegenspieler, seinen Feind, seinen geachteten Opponenten… eine verwandte Seele. Dann trat er auf den Grabstein zu, holte mit behandschuhten Händen vorsichtig eine Taube unter seiner Jacke hervor. Sachte strich er mit den Fingerspitzen über den Grabstein. Dann streichelte er dem weißen Vogel über das Gefieder, richtete ein paar zerzauste Federn wieder gerade, gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Grüß ihn von mir...“, wisperte er ihr ins Ohr. Langsam setzte er sie auf dem Grabstein ab. Die Taube gurrte leise, raschelte mit den Federn, blinzelte. Ihre schwarzen Knopfaugen glänzten in der Sonne. Kaito trat zurück, neben Ran. Die Taube ruckte noch einmal kurz mit dem Kopf, flatterte probeweise mit den Flügeln - dann hob sie tatsächlich ab, entschwand gen Himmel im gleißenden Sonnenlicht, schien darin einzutauchen. Sie war fort, schien nie existiert zu haben. „Lebwohl.“ Kaito drehte sich leise seufzend um, drückte Ran die Schulter und ging zwischen den Gräberreihen davon. An seinen Eltern vorbei konnte er nicht gehen. Er wollte ihnen seinen Anblick ersparen. Ran schaute immer noch in die Sonne, an den Punkt, wo die Taube verschwunden war. Dann stand sie auf, langsam, warf einen letzten gramerfüllten Blick auf den Grabstein und ging zu ihren Eltern, Heiji, Kazuha, Sonoko und seinen Eltern, sowie dem Professor und Shiho, die geduldig ein paar Meter abseits ausgeharrt waren, zurück. Wieder zuhause angekommen, ging sie in sein Büro. In den Raum, in dem er so präsent war, wie in keinem anderen Zimmer dieses Hauses. Sie rückte seine Kiste gerade auf den Tisch, atmete tief den Duft ein, der über allem lag… Papier, alte Bücher, der Teppich, die Holzlasur… sein Aftershave... dann ging sie. Sperrte das Zimmer ab, schob den Schlüssel ein, als versuche sie, alles was von ihm noch übrig war, alle ihre Gedanken und Erinnerungen in diesem Zimmer einzuschließen. An der Tür blieb sie stehen, ließ sich dagegen sinken. Es war vorbei… Ihr Herz schien sich zusammenzuziehen, ihre Lippen bebten, als sie zurückdachte, was noch vor wenigen Tagen gewesen war. Dann schüttelte sie fast verärgert über sich den Kopf, kniff die Lippen zusammen, atmete stockend aus. Dieses Kapitel in ihrem Leben war heute zugeschlagen worden. Sie musste lernen, damit umzugehen. Aber das schien so unmöglich... Draußen strahlte die Sonne, Licht durchflutete die Eingangshalle, aber sie hatte keinen Sinn für dieses fulminante Bild. Sie betrat das Wohnzimmer, in dem ihre und seine Eltern saßen, hob ihr kleines Mädchen aus dem Kinderwagen und trat ans Fenster, schaute hinaus in den Garten, wo der Frühling die ersten Blumen bereits wach geküsst hatte, im hellen Sonnenlicht das erste Grün sich zeigte. Es war nicht dasselbe Grün, das es noch vor ein paar Tagen gewesen war. Die Sonne war nicht mehr so warm, nicht mehr so hell… Die Welt war eine andere geworden, so komplett, so total, so vollständig, dass es sie selbst fast schockierte. Ihre Welt hatte sich verändert. Nun lag es an ihr, in dieser Welt, die jetzt so anders war, ohne ihn, ihren Weg zu finden. Zärtlich küsste sie ihr Mädchen auf den Kopf. Eine Träne rann ihr aus dem Augenwinkel. Nur eine; und sie ließ sie laufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)