Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 2: Neue Bekanntschaften ------------------------------- Hallo meine lieben Leserinnen und Leser! Vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Freut mich, wenn es eure Neugier wecken konnte :) Nun; jetzt geht's also weiter mit Agasas lustigem Campingtrip; mit ein paar... bezeichnenden Gesprächen, will ich meinen. Falls den einen oder anderen etwas bekannt vorkommt; ich schließe mich in einigen Dingen dem 5. Kinofilm an... was Ayumis Gefühle betrifft. Ich hoffe, ich fall mit ihr nicht zu sehr aus der Rolle, mir ist klar, dass es ne prekäre Situation ist. Ich wünsche euch dennoch viel Vergnügen beim Lesen! Liebe Grüße und bis zum nächsten Dienstag/Mittwoch, eure Leira :D ___________________________ Kapitel 2: Neue Bekanntschaften Der nächste Morgen versprach mit strahlendem Sonnenschein einen wunderschönen Tag. Herrlichstes Campingwetter. Conan, der als erster vom fast schon penetrant fröhlichen Gezwitscher der Vögel aus einem ohnehin nur sehr leichten Schlaf geweckt worden war, kroch aus dem Zelt und blieb davor einfach liegen. Tautropfen hingen an den Grashalmen vor seiner Nase, glänzten wie Glasperlen im Sonnenlicht. Die Luft roch wie gewaschen, unglaublich rein und klar. Rans Mail ging ihm nicht aus dem Kopf. Er wusste nicht mehr weiter. Seine Vernunft sagte ihm, befahl im regelrecht, ihr einen Korb zu geben. Sie endlich ein für alle Mal unmissverständlich auf den Boden der Tatsachen zu holen. Aber waren das denn wirklich die Tatsachen? Er liebte… er liebte sie doch. Das war ihm klar, und es zu leugnen wäre eine Lüge. Er liebte sie so sehr, dass es nicht nur fast wehtat - sondern wirklich schmerzte, Tag und Nacht, mittlerweile; es quälte ihn, weil er sie im Unklaren lassen musste, weil er ihr doch gern nahe wäre, weil er sie gern glücklich machen würde… er wollte Ran gern lachen sehen. Er würde alles tun für sie. Und nun nahm sie endlich ihren Mut zusammen, wagte es, ihm mehr oder weniger ihre Gefühle zu gestehen, wenn auch nur per Mail, aber immerhin - da konnte er doch nicht… da konnte er ihr doch nicht so eine Abfuhr erteilen oder sie einfach wieder abwürgen? War das denn fair? Er konnte doch nicht… Er konnte sie doch nicht schon wieder so im Unklaren lassen. Oder ihr gar alle Hoffnung rauben. Aber durfte er sie anlügen? Oder sie vor den Kopf stoßen? Sie unglücklich machen? Hatte er dazu das Recht? Er stöhnte auf, schlug mit seinen Fäusten ins Gras. Wassertröpfchen spritzen auf. Was soll ich machen? Warum tust du mir das an? Warum machst du mir und dir das Leben so schwer? Conan seufzte, zückte sein Handy, dann schrieb er ihr eine Mail. Ich ruf dich morgen an. Shinichi Zögernd schickte er sie ab. Er brauchte jetzt einfach Zeit, um nachzudenken. Eine Antwort zu schicken, jetzt; eine klare Aussage zu treffen, sich zu entscheiden, dazu war er momentan nicht in der Lage. Aber sie jetzt bis morgen ohne Nachricht im Unklaren zu lassen, erschien ihm als zu grausam. Also lieber eine kleine Ankündigung, als gar nichts. Dann schwankte Genta aus dem Zelt, stolperte über ihn - und an ein ruhiges Nachdenken war vorerst nicht mehr zu denken. Wenige Minuten später saßen sie alle fröhlich plaudernd um ein kleines Feuer und brieten ihr Frühstück - Spiegeleier und Speck. Nun - nicht alle plauderten fröhlich. Während Ai, Genta, Mitsuhiko und Ayumi sich mit dem Professor unterhielten, der gerade Brot verteilte, nahm Conan seine Scheibe schweigend entgegen - genauso schweigend, wie er den Rest seines Frühstücks verzehrte. Gedankenverloren zog er sein Handy hervor und merkte nicht, wie Ai leise hinter ihn trat, und so auch einen Blick auf die Nachricht werfen konnte, die er gerade wieder las, obwohl er den Text schon seit dem ersten Mal Lesen auswendig konnte. Was sie sah, traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Aber ich seh’s nicht so… glaube ich. Ich fürchte, du... du… bist mehr als nur ein Freund für mich. Ich muss mit dir reden. Bitte- bitte sprich mit mir. Ran Das rotblonde Mädchen ließ sich neben ihn auf den Boden sinken, starrte ihn nun ebenfalls still von der Seite her an. In seinem Gesicht kämpften Trauer, Frustration und ein selten gekanntes Hochgefühl um die Vorherrschaft. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter - und erst jetzt merkte er, dass er nicht mehr allein war. Er klappte hektisch das Handy zu, schaute sie erschrocken an - und stutzte. Ihre Augen waren voller Mitgefühl. „Was du auch tust, Shinichi… es wird das Richtige sein. Hör auf dein Gefühl.“ Sie wisperte diese Worte, drehte dann den Kopf, starrte in die Ferne, wo die Sonne langsam ihren Weg über die Baumwipfel des Waldes erklomm. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, vergrub die Finger in den Haaren. „Ich… liebe sie, Ai. Wirklich, ich liebe sie. Ich würde sterben für Ran, auch wenn es abgedroschen klingt, aber es ist so. Und ich will, dass sie glücklich ist. Aber genau da liegt mein Problem - ich weiß, es macht sie glücklich, wenn ich ihr sage, dass ich so empfinde wie sie. Und ich weiß, es macht sie unglücklich, wenn ich das Gegenteil behaupte. Aber genauso gut weiß ich auch, dass es sie unglücklich machen wird, wenn wir ein Paar sind, und ich mich nie bei ihr blicken lasse - ihr nicht nah bin, wo sie sich doch genau das wünschen wird. Nähe, Zuneigung – Liebe, eben. Ich weiß, es würde sie glücklich machen, würde ich es ihr geben - aber ich kann nicht, das weißt du. Das wissen wir beide. Also mach ich sie kurz glücklich - und dann unglücklich? Oder mache ich sie unglücklich - und lasse ihr damit die Möglichkeit, anderweitig glücklich zu werden?“ Ai schob sich ihr letztes Stück Brot in den Mund. „Denk darüber nach, was euch beide glücklich macht, nicht nur sie.“ Damit stand sie auf, und ging zu den Detective Boys, die die Tagesplanung begonnen hatten. Er blieb sitzen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den unverschämt blauen Himmel. Das sagst du so leicht. Wenn das so einfach wäre… Nach dem Frühstück schließlich brachen sie auf. Sie hatten beschlossen, eine Wanderung zu unternehmen - zuerst am Strand entlang, zwischen den Dünen - dann würden sie, gegen Mittag, ein Picknick zwischen den Felsen machen. Nachmittags schließlich wollten sie durch das kleine Wäldchen, in das er sich gestern schon zum Telefonieren verzogen hatte, wieder zurückpilgern, zum Zelt. Und so marschierte die Gruppe los, angeführt von Genta, Ayumi und Mitsuhiko; ihnen folgte dichtauf der Professor, und Ai und Conan bildeten mit einigen Metern Abstand das Schlusslicht. Sie alle waren ausgerüstet mit kleinen Rucksäcken - oder im Falle des Professors, einem großen Rucksack - und Wanderstöcken, die sie aus herumliegenden, vom letzten Sturm von den Bäumen gerissenen Ästen gefertigt hatten. Die drei Kleinen sangen lauthals ein fröhliches Wanderlied - doch während Genta und Mitsuhiko völlig vom Hochgefühl gefangen waren, sich einfach nur freuten, weil Ferien waren, weil sie zelteten - weil in ihren Rucksäcken leckere Sachen zum Picknicken auf sie warteten und das Wetter einfach nur traumhaft war - schaute Ayumi sich auffällig oft um. Sie beobachtete Conan. Er war seit gestern schon so still. Sprach fast nichts, aß nicht viel und sonderte sich ab. Irgendetwas war los mit ihm, er sah so traurig aus. Und nun ging er mit Ai weit hinter ihnen her. In ihr nagte die Eifersucht, auch wenn sie das nicht wirklich registrierte, das Gefühl eigentlich fast noch ein wenig zu groß für sie war. Aber sie machte sich Gedanken um ihn. Und darüber, wen er gern hatte. Sie wusste, zumindest hinsichtlich Ai schien jegliche Sorge unbegründet. Sie wusste zwar nicht, wie gern Ai Conan hatte - aber sie wusste, dass Conan Ai nur einfach so mochte. Etwas anders verhielt es sich vielleicht mit Ran, und Ayumi vermutete stark, dass es genau das war, was ihn so beschäftigte. Mit dieser Erkenntnis stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Vielleicht hatte Ran-neechan ja doch mit ihm geredet, wie sie sie mal gebeten hatte? Ihr musste doch aufgefallen sein, dass er sie anhimmelte? Das war es. Bestimmt hatte sie mit ihm geredet, und nun war deswegen etwas niedergeschlagen. Schließlich passten Ran und Conan ja gar nicht zueinander, der Altersunterschied war doch viel zu groß. Und außerdem hatte Ran ja Shinichi. Das musste es sein, ja, deswegen war er wohl so still. Auf Ayumis Gesicht zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab; sie war sich sicher, ihn trösten zu können, und war fest entschlossen, ihn aufzuheitern. Schließlich hatte das Orakel doch gesagt, sie wären füreinander bestimmt! Schwungvoll drehte sich das kleine Mädchen wieder um, sang nun umso lauter und fröhlicher mit ihren beiden Freunden mit. Ai starrte sie an. Ihr war das Wechselbad der Gefühle auf Ayumis kleinem Gesichtchen nicht entgangen. Sie ahnte, was sie noch vorhatte. Und er - er tat ihr jetzt schon Leid. Denn er war ein viel zu guter Mensch, um sie einfach wegzuschicken. Er hatte viel zu viele Skrupel, viel zu viel Angst, ihr weh zu tun. Er würde sich nicht wehren können. Wie geplant verbrachten sie Mittag zwischen den Felsen. Conan hatte einen davon erklommen, es sich darauf gemütlich gemacht - unter anderem aus dem Grund, weil auf dem Felsen nur Platz für einen war. Er wollte seine Ruhe. Ayumi äugte leicht verständnislos nach oben, in ihren Augen stand etwas Sorge. Genta interessierte das alles gar nicht - er verputzte seine zwei Sandwiches, seinen Apfel und seine Karotte in Rekordzeit bis auf den letzten Krümel und schaute sich dann um, ob irgendjemand sein Essen nicht geschafft hatte. Mitsuhiko hingegen beobachtete seine Freundin skeptisch, ließ seine Augen immer wieder zwischen Ayumi und Conan hin und her schweifen. Ai warf ihm einen betrübten Blick zu. Es war klar, was ihn so beschäftigte, aber sein Drang, sich möglichst von allen abzuschotten um ihn Ruhe nachdenken zu können, stieß bei den Detective Boys auf wenig Gegenliebe, wie es schien. Der Professor trat neben sie. „Was hat er?“ Er schaute den kleinen Jungen an, der lustlos von seinem Sandwich abbiss und sichtlich nur deswegen kaute, damit er etwas zu tun hatte. Mit seinen Gedanken war er bestimmt nicht beim Essen. Er starrte aufs Meer, schien entweder seine Sorgen darin ertränken zu wollen oder in dessen unergründlichen Tiefen nach Antworten auf seine Fragen zu suchen. „Er ist deprimiert. Und ratlos. Meistens verträgt er diese Phasen ja ganz gut, und sie sind schnell vorbei, aber ich fürchte fast…“ Ai schlüpfte aus ihren Schuhen, vergrub ihre kleinen Zehen im warmen Sand, der zwischen den Gesteinsbrocken lag. „…diesmal wird es so einfach nicht sein, eine Lösung auf sein Problem zu finden. Und deshalb sitzt er jetzt da oben. Er grübelt.“ „Warum?“ „Das wissen Sie doch, Professor. Es gibt nur drei Gründe, die ihn so runterziehen.“ „Die da wären?“ Der Professor schaute sie ein wenig ratlos an. Ai seufzte, schaute ihn aus Halbmondaugen an. „Professor… ehrlich mal, wie lange kennen sie ihn nun schon?“ Der alte Mann zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Na schön. Punkt A wäre ein Fall, ein tragischer Mord, den er nicht verhindern konnte, eine Sache, an die er geglaubt hat, ihn verraten hat - und sich dafür völlig unbegründet die Schuld gibt, weil er meint, alles können zu müssen, schlauer als der Rest der Welt sein zu müssen. Er sieht es viel zu oft als seine Pflicht, alles Böse aufzuhalten und Tragödien zu verhindern, bevor sie passieren, weil er weiß, er ist intellektuell in der Lage dazu. Nur leider schlägt ihm manchmal der Fluss der Zeit ein Schnippchen.“ „Diesen Grund schließe ich aus.“ Agasa blickte zu ihr hinab. „Punkt B?“ „B wäre, wenn er gerade die Spur der Schwarzen Organisation gehabt und wieder verloren hätte.“ „Auch nicht. C?“ „Ran.“ Ai seufzte. „Die Frau bringt ihn noch ins Grab, ob sie will oder nicht.“ „Was ist mit Ran?“ Der Professor wandte sich wieder zu Conan, der gerade sein Sandwich wieder einpackte, bevor ihm noch schlecht wurde. Er konnte nichts essen. „Sie liebt ihn. Und das hat sie ihm per Mail jetzt mitgeteilt, mehr oder weniger eindeutig. Gestern Abend. Haben Sie nicht mitgekriegt, dass er so fluchtartig das Zelt verlassen hat? Ich schon. Da wusste ich noch nicht, warum. Heute hab ich die Mail gelesen, vorhin beim Frühstück. Er weiß nicht, was er tun soll. Er liebt sie doch auch. Aber er kann sie nicht lieben.“ Agasa wandte den Kopf ab, wollte etwas sagen - dann schüttelte er voller Gram den Kopf und ging, packte zusammen. „Und das ist meine Schuld, Shinichi… das tut mir so unendlich Leid, das musst du mir glauben…“ Ihre leise gewisperten Worte verschmolzen mit dem Flüstern des Winds, wehten davon, hinaus aufs Meer, ungehört. Dann zog etwas Ais Aufmerksamkeit auf sich. „Conan?“ Ayumi rief ihn. „Conan? CONAN! Komm doch runter! Was sitzt du so allein da oben rum?“ Ai seufzte. Nun musste sie ihm wohl doch etwas unter die Arme greifen. „Was willst du denn von ihm, Ayumi? Kann ich dir vielleicht helfen?“ Das brünette Mädchen schaute sie an. „Ich wollte, dass er runterkommt. Wir machen doch den Ausflug miteinander, da muss er doch nicht allein-…“ „Lass ihn in Ruhe.“ Ai lächelte sie an. „Er wird nicht ewig da oben bleiben. Komm, lass uns mal nach da drüben gucken - ich glaube, da könnte man Muscheln finden?“ Ayumi blinzelte sie an- dann lächelte sie. „Au ja, Muscheln! Klasse!“, rief sie begeistert auf, ihr Gesicht strahlte vor Freude. „Vielleicht kann ich ja eine für Conan finden?“ Sie rannte los. Das rotblonde Mädchen starrte ihr verdattert hinterher, als sie sich plötzlich beobachtet fühlte. Sie wandte den Blick nach oben, sah, dass er sie anschaute. „Irgendwann wirst du mit ihr reden müssen. Jetzt siehst du es ja selber - du kannst es nicht mehr abstreiten.“ Er schluckte nur, seufzte tief - und wandte dann den Kopf ab. Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte… Dann warf er Genta sein Sandwich runter, der es jubelnd auffing und sich umgehend darüber hermachte. Er quittierte es mit einem nachsichtigen Lächeln, und wandte sich dann wieder dem Meer zu. Nach einer weiteren Viertelstunde packten sie schließlich wieder zusammen und setzten ihre Wanderung fort. Diesmal jedoch gesellte sich Ayumi zu Conan und Ai. Ai warf ihm einen mitleidigen, allerdings auch auffordernden Blick zu - dann marschierte sie voran, zog mit dem Professor gleich. Conan versuchte, zwischen sich und Ayumi einigermaßen Distanz zu wahren - allerdings schien sie das nicht richtig zu deuten. Sie streckte ihre Hand aus, griff nach seinen Fingern. Er zog die Hand weg. Ayumi schaute ihn fragend an. „Conan?“ Er hörte ihr helles Stimmchen - hörte einen Hauch von Verletztsein in der Art und Weise, wie sie seinen Namen aussprach. Er wandte sich ihr langsam zu. „Ayumi.“, murmelte er leise. „Findest du nicht, dass wir gute Freunde sind?“ Sie blinzelte, verstand ihn nicht ganz. Nichtsdestotrotz bejahte sie seine Frage. „Ja, das… das denke ich schon.“ „Warum willst du es dann unbedingt ändern?“ Jetzt schimmerte in ihren Augen langsam Erkenntnis. „Du- du… du magst mich doch?“ Sie schluckte, schaute ihn an. „Ja.“ Er seufzte. Warum machten es ihm die Frauen in letzter Zeit so schwer…? „Ja, ich mag dich. Aber nicht mehr. Ich schätze dich als Freundin – wirklich, Ayumi… aber ich denke nicht, dass… dein Orakel da recht hat, wenn es sagt, ich wäre für dich bestimmt.“ Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, schaute ihr dabei in die Augen. Sie tat ihm wirklich Leid, aber es war offensichtlich, dass jetzt ein Punkt erreicht war, wo es nicht mehr weiterging. Wo er ihr klarmachen musste, dass sie sich verrannte, auch wenn er gehofft hatte, soweit würde es nie kommen… und er könnte sie ihren Schwärmereien überlassen. Er hatte sich geirrt; seine Hoffnung war umsonst gewesen. Conan seufzte, vergrub seine Hände in seinen Taschen. „Ayumi, ich verstehe nicht, warum du gern mehr hättest - was wäre es denn, das du haben wollen würdest von mir? Denkst du nicht, du bist noch ein wenig zu jung für solche Gefühle? Liebe? Füreinander bestimmt sein?“, wisperte er leise. Sie schaute ihn verständnislos an. „Aber du bist doch genauso so alt wie ich!“ Allein dieser Satz war wie ein Schlag ins Gesicht für ihn. Nein, bin ich nicht. Ich sehe so aus, ja… aber ich bin es nicht. Ich bin es nicht! „Gut, du hast Recht. Dann bin ich eben auch noch zu jung für so etwas.“ Er starrte zu Boden, presste seine Kiefer aufeinander. Innerlich zerriss es ihn. Er hasste diesen Körper, er hasste diese Umstände, er hasste dieses Gespräch - er hasste die Organisation, die ihm das angetan hatte. „Aber du liebst doch.“ Conans Kopf fuhr hoch, ungläubig schaute er in Ayumis Gesicht. „Was sagst du?“, flüsterte er, versuchte, nicht zu entsetzt zu klingen. Er ahnte Böses. „Du liebst Ran. Das ist es doch, warum du mich nicht liebst. Oder? Aber Ran ist doch zu alt für dich… warum liebst du sie?“ Conan versuchte ein abwehrendes Lachen, schüttelte den Kopf. „Ayumi, du musst da was missverstehen. Ran ist… Ran ist wie… wie eine Schwester… für mich.“ Er atmete langsam aus, erstaunt, dass er die Worte tatsächlich hervorgebracht hatte. „So sieht es nicht aus. Du benimmst dich ihr gegenüber nicht wie ein kleiner Bruder.“ „Woher weißt du, wie sich kleine Brüder benehmen? Du bist ein Einzelkind, genauso wie ich auch.“ Langsam nervte ihn das. „Ich weiß, dass du sie liebst.“ Sie schaute ihn mit ärgerlich funkelnden Augen an. „Ich seh das doch!“ „Nein, das ist etwas anderes. Ich mag sie sehr gern, ich hab sie vielleicht lieb, ja. Aber ich liebe sie nicht.“ Er wusste nicht, warum er es abstritt. Er tat es einfach. Conan liebte Ran nicht. Conan durfte Ran nicht lieben. Das war wohl der Grund. „Tust du doch!“ „Tu ich nicht!“ „Doch!“ Ihre Stimme war immer lauter geworden. „NEIN!“ Er brüllte jetzt. Er wusste, er sollte sich besser im Griff haben, Ayumi konnte ja nichts dafür, aber… „DOCH!“ „NEIN!!!“ Er blieb stehen, starrte sie an, wütend, schwer atmend. Verstand nicht, warum sie nicht locker ließ, er kannte sie so gar nicht. War sie wirklich so enttäuscht darüber, dass aus ihnen beiden nicht das kindliche Traumpaar wurde, dass sie sich ausgemalt hatte oder warum… warum war sie so hartnäckig? „Ran ist eine erwachsene Frau, ich bin ein kleiner Junge! Ich kann sie gar nicht lieben, Ayumi, selbst wenn ich es wollte! Also lass mich in Frieden, meine Gefühle gehen dich nichts an. Alles, was dich interessieren muss…“ Er schluckte, sammelte sich, versuchte sich wieder zu fassen, presste sich seine Hand gegen die Stirn. Das hält man ja im Kopf nicht aus… „Alles was dich interessieren muss, Ayumi… ist, dass ich für dich außer reiner Freundschaft nichts empfinde. Such dir jemanden, der dich, der deine Gefühle mehr zu schätzen weiß als ich. Mit mir wirst du nicht glücklich.“ Alle waren bei dem Geschrei, das durch den Streit entstanden war, stehen geblieben. Allein er ging weiter, schwer atmend, aufgewühlt - und innerlich sein Schicksal immer wieder aufs Neue verfluchend. Ai rannte ihm nach - und damit setzten sich auch alle anderen wieder in Bewegung. Hinter sich hörte er es leise schluchzen. Er wusste, dass es Ayumi war, die weinte. Und es tat ihm leid. Aber er hatte einfach - es war zu viel gewesen. Er wusste nicht, wie er einem kleinen Mädchen sein Dilemma hätte erklären sollen. Also musste er sich klar ausdrücken - auch wenn klar in dem Fall hart hieß. Wie kam sie nur auf… auf die Idee mit Ran…? Ist es… ist es wirklich so offensichtlich? Der Rückweg verlief, bis auf Ayumis leises Weinen, das langsam auch abebbte, eher schweigsam. Conan, der immer noch voranging und dabei weit ausschritt, sagte gar nichts, genauso wie Ai, die neben ihm Schritt zu halten versuchte. Der Professor marschierte gemächlich hinter ihnen, musste er doch nicht so schnell gehen, da seine Schritte gut das Doppelte der Kinder maßen. Auch er verlor die ganze Zeit über kein Wort. Genta und Mitsuhiko hingegen versuchten durch leises Murmeln ihre Freundin zu trösten. Sie waren sauer auf Conan, der Ayumi zum Weinen gebracht hatte - andererseits war insbesondere Mitsuhiko erleichtert, nun zu wissen, wie es um Conan stand - nämlich dass er an Ayumi nicht näher interessiert war. Das klärte zwar immer noch nicht seinen Interessenskonflikt zwischen Ai und Ayumi, aber machte die Sache etwas leichter, weil es seine Chancen erhöhte. Als er sich bei dem Gedanken ertappte, wurde er rot und schalt sich in Gedanken einen schlechten Freund, jetzt so eigennützig zu denken. Dann warf er einen Blick nach vorne, wo Conans zusammengesunkene Gestalt vor ihnen herschlurfte. Er war mit der Zeit langsamer geworden, so als ziehe ihn irgendetwas zurück - als drücke ihn etwas immer mehr nach unten, machte ihm das Gehen immer schwerer. Und zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich Mitsuhiko, wer Conan eigentlich war. Sein Verhalten gerade eben - überhaupt, wie er sich manchmal benahm… War er wirklich der, der er vorgab zu sein? Wo kam er eigentlich her? Wer waren seine Eltern? Hatte er noch andere Freunde, da, wo er gewesen war, bevor er zu ihnen gekommen war? Erst jetzt wurde ihm langsam klar, wie wenig sie alle im Prinzip über Conan wussten. Dann kam die Gruppe abrupt zum Stehen. „Na, wer wird denn an so einem schönen Tag Trübsal blasen?!“ Conan schrak hoch, sein Kopf legte sich automatisch in den Nacken um zu erkennen, wer ihn da angesprochen, aus seinen Gedanken gerissen hatte. Sie stand vor ihm, er wäre fast in sie hineingelaufen. Oder war sie bewusst vor ihn getreten? Sie, soviel stand fest, war eine blonde Frau Ende Zwanzig. Fakt war auch, dass sie keinesfalls naturblond war- man sah ganz deutlich das Werk von Chlorwasserstoff vor sich. Blondiert, und noch dazu sehr schlecht. Der Friseur war eindeutig kein Könner gewesen - oder es war das Werk ihrer eigenen, unerfahrenen Hände gewesen, das ihr diese Fülle strohblonden Haares beschert hatten. Des Weiteren erwähnenswert währe noch, dass sie in äußerst knapper Aufmachung unterwegs war- das Hemd mit den zurückgeschlagenen Ärmeln hatte sie unterhalb ihrer Brust zusammengeknotet, was den Blick auf ihren gepiercten Bauchnabel freigab, in dem ein blauer Glasstein funkelte. Dazu trug sie sagenhaft kurze Hotpants und Wanderstiefel- das einzige, was sie neben ihrem Rucksack als Camperin outete. Hinter ihr traten zwei junge Männer und eine weitere junge Frau durchs Gebüsch. „Miyako! Da bist du ja. Wen hast du denn hier gefunden?“ „Hallo!“ Der Professor trat vor ihn und Ai, kratzte sich scheinbar verlegen am Hinterkopf, rettete sie damit aus ihrer Situation. „Entschuldigen Sie, wir sind nur auf dem Heimweg - wir sind heute ein ganz schönes Stück gegangen. Die Kinder sind wohl etwas müde…“ Conan nahm das Stichwort auf und gähnte. Die Frau schaute ihn prüfend an - dann lächelte sie. „Ja, solche Wanderungen können einen schon müde machen, wenn man es nicht gewöhnt ist, nicht wahr? Vor allem kleine Kinder werden wohl schnell erschöpft.“ Sie lachte, warf ihre wasserstoffblonden Haare zurück. „Wobei ich sagen muss, ich werde wohl auch langsam müde. Ich bin das Wandern wohl auch nicht mehr gewöhnt. Wie geht’s euch?“ Miyako wandte sich zu ihren Begleitern um. „Ich gestehe, ich bin auch etwas müde.“, nuschelte der eine von beiden, ein etwas dickerer, untersetzter Mann mit auffälliger Hornbrille. Er hatte eher kurzes, schwarzes Haar, trug eine lange Hose und ein Poloshirt, auf seinem Rücken hing ein Rucksack, an dem er schwer zu schleppen schien - der Schweiß stand ihn in deutlich sichtbaren Perlen auf der Stirn, ganz zu schweigen von gewissen Flecken auf seinem Shirt und auch ein gewisser Geruch war nicht zu leugnen. „Klar, bei deiner Kondition, Manabu, da muss man sich nicht wundern, Dickerchen. Aber wenn ihr wollt, dann suchen wir uns halt ein Fleckchen, wo wir unsere Zelte aufschlagen können.“ Der Mann, der gesprochen hatte, war braungebrannt, schlank und sportlich - er trug Shorts, Wanderschuhe und ein kariertes Hemd. Eine Baseballmütze und ein großer Rucksack, an dem sichtbar ein Zelt befestigt war, rundeten das Gesamtbild ab. Die Vierte im Bunde, eine ausgenommen hübsche, rothaarige Frau sagte gar nichts - sie starrte unverwandt die Kinder an. Conan bemerkte ihren Blick - als er ihn erwiderte, wandte sie sich ab. „Ich wäre dafür, uns vielleicht hier anzuschließen. Denn auch wenn du es nicht zugeben willst, Tomoaki - wir haben uns verlaufen. Sonst wird es dunkel, und wir stehen immer noch mitten im Wald, ohne Plan.“ Sie wandte sich dem Professor zu. „Sie haben doch sicher nichts dagegen, uns ein Stückchen mitzunehmen? Wir alle wären ihnen zutiefst zu Dank verpflichtet, Herr…“ „Professor Agasa!“ Ayumi drängte sich nach vorn. „Er ist ein Professor! Er erfindet ganz tolle Sachen!“ Die Rothaarige kam näher, beugte sich zu ihr runter. „Tatsächlich?“ „Ja!“ Ayumi nickte. Die junge Frau lächelte sie an, dann stand sie auf, lächelte auch auf Conan und Ai herab. Schließlich wandte sie sich um, begann mit Miyako zu reden. Conan starrte sie immer noch an, als sie sich schon längst abgewandt hatte. Irgendetwas an ihr störte ihn, stresste ihn - ließ seine Alarmglocken schrillen. Seine Augen wurden immer größer, sein Atem stockte. Neben ihm stand Ai, und allein die Tatsache, dass sie mit eiskalten Fingern nach seiner Hand tastete, ließ ihn wissen, dass er sich nicht täuschte. Etwas flößte ihr Angst ein, Angst, wie nur… wie nur… ein Mitglied der Organisation es konnte. Ai hatte einen sechsten Sinn dafür, das wusste er. Und ihm ging es langsam genauso. Etwas an ihr ließ ihn schaudern, trieb ihn dazu, weglaufen zu wollen, weckte seinen Fluchtinstinkt… Aber er wusste nicht was. An nichts, was sie gesagt hatte, oder getan hatte- wie sie aussah, sich verhielt - an nichts konnte er festmachen woher dieses Gefühl rühren konnte. Er drückte Ais Hand. Mitsuhiko sah es - und schluckte. Sollte er sich doch getäuscht haben? Er warf einen Blick zu Ayumi, die diese Geste genauso wie er interpretierte - und damit unwissentlich genauso falsch lag. „Natürlich nehmen wir Sie mit.“ Die Stimme des Professors riss Conan aus seinen Gedanken. Er drehte sich um, schaute zu seinem alten Freund auf, der gerade nickte. „Dann geht das also klar - wir schließen uns für heute ihrer Gruppe an? Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, Professor! Darf man fragen, wo Sie Ihr Lager aufgeschlagen haben?“ Die Stimme des sportlichen Mannes ließ ihn wieder aufhorchen. „Nicht weit von hier ist eine Lichtung. Sie liegt an einem Weg, der direkt zum Strand führt.“ Damit übernahm er die Führung. Als sie sich nun auf den Weg zum Zelt machten, waren Conan und Ai wieder die letzten, die der Gruppe hinterher liefen. Lange Zeit schwiegen sie sich an - und schon längst hatte Ai seine Hand wieder los gelassen. Als sie dann das Zelt schon sehen konnten, sprach sie schließlich, leise - langsam und zögernd. „Du fühlst es auch?“ Er nickte nur. Nicht ein Wort kam über seine Lippen. „Ran, ich bitte dich - entweder du rufst ihn jetzt an, wenn du nicht bis morgen warten kannst - oder aber du lässt es, und versuchst dich wie jede normale, gut aussehende junge Frau in deinem Alter zu vergnügen.“ Sonokos Stimme konnte sehr penetrant sein. Ran seufzte, riss sich von ihrem Handydisplay los. Er hatte zwar geschrieben, dass er morgen erst anrufen würde - aber sie konnte nicht warten. Es ging nicht. Sie saß den ganzen Tag schon auf Kohlen. Einerseits war es ein gutes Zeichen, dass er sie erst später anrief - allein die Tatsache, dass er nicht sofort geschrieben hatte, dass sie wirklich nur eine Freundin für ihn war, machte ihr Hoffnung. Andererseits konnte es auch sein, dass er schlicht und ergreifend ein wenig Zeit brauchte, um sich zu überlegen, wie er ihr am besten einen Korb gab. Sie seufzte, klappte ihr Handy aber nicht zu. „So wie du, meinst du? Was ist mit dir nur los, Sonoko? Bis gestern wart du und Makoto doch noch total glücklich…?“ „Der Typ ist so ein Hohlkopf.“ Sonoko ließ sich neben sie sinken. „Echt, der checkt gar nichts. Nicht das Geringste. So ein Grobmotoriker, gefühlsmäßig schaltet er wirklich wie ein Nashorn…“ Ran lächelte bitter. „Ich dachte, das wäre deiner Meinung nach nur Shinichi?“ Sonoko verdrehte die Augen. „Also - wenn du’s genau wissen willst, für den fehlen mir momentan total die Worte. Echt mal. Was für ein Mistkerl! Lässt dich da jetzt so auf dem Trockenen sitzen - wobei ich sagen muss, ich fand das sehr mutig von dir, Ran! Wurde Zeit, dass du mal Bewegung in die Sache bringst.“ „Lenk nicht ab. Was hat Makoto denn nun schon wieder angestellt?“ Sonoko verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund, zupfte an ihrem Bikinioberteil rum, bis es wieder richtig saß. „Du hast doch abgelenkt. Aber gut… Er hat nicht gemerkt, dass ich gern diese eine Kette gehabt hätte… du weißt schon, die mit den Perlen und Perlmuttblümchen, aus diesem süßen Lädchen an der Ecke. Die würde mir doch total stehen… aber ich kann sie angucken, soviel ich will. Kann ihm hundertmal sagen, wie schön das Perlmutt funkelt. Weißt du, was er mir gekauft hat? Eine ganze Muschel! Eine ganze Perlmuttmuschel!!!“ Sie holte das handtellergroße Souvenir aus ihrer Strandtasche, wedelte vor Rans Gesicht mit ihm herum. Ran nahm es ihr ab, schaute sie an - ließ die Sonnenstrahlen sich in ihrer glänzend schimmernden Oberfläche fangen, sie in allen Farben schillern. „Sie ist wirklich schön…“, wisperte sie. Sonoko öffnete den Mund - dann schloss sie ihn wieder. Seufzte, schaute ihre Freundin nachdenklich an. „Ruf ihn an, Ran. Entweder er liebt dich - oder er tut’s nicht. Er sollte endlich mal Farbe bekennen - er muss dazu doch eine Meinung haben.“ Sie nahm ihr die Schale wieder aus der Hand, drückte ihre Schulter und stand auf. „Ich lass euch mal kurz allein. Viel Glück.“ Damit tappte sie durch den weißen Sand zurück zu ihren Sonnenschirmen. Ran blieb sitzen, vergrub ihre Zehen im Sand und wählte seine Nummer. Ihre Hände zitterten, als sie das Mobiltelefon an ihr Ohr hob und dem Freizeichen lauschte. Sie saßen am Feuer und machten gerade zusammen mit ihren neuen Weggefährten, die sichtlich amüsiert mit den Kindern plauderten, das Essen, als er spürte, wie sein Handy vibrierte. Er zog es heraus, wusste bereits, wer es war, noch ehe er das Telefon aufklappte. Ai tippte ihn an - er schaute auf, nickte nur. Dann stand er auf, entfernte sich von der Gruppe, hob ab. „Was ist?“ Ran schluckte. Langsam keimte in ihr der Verdacht auf, dass es eventuell keine gute Idee gewesen war, ihn anzurufen. „Ich bins.“ Ihre Stimme klang dünn. Er seufzte leise. „Das weiß ich, Ran, dein Name steht auf meinem Display. Warum rufst du an?“ Er wusste eigentlich, dass die Frage überflüssig war. Er bog um die letzte Biegung des Weges, die ihn noch vom Meer trennte. „Ich…“ Ihre Worte verloren sich. „Es ist…“ Sie setzte neu an, aber auch dieser Versuch scheiterte. Ihre Nervosität hatte ihren Kopf fast völlig leer gefegt. Sie konnte kaum mehr klar denken. Er war am Strand angekommen, ließ sich in den Sand sinken. „Ran-...“ Conan schluckte. „Ich sagte doch - beziehungsweise, ich schrieb doch - dass ich dich morgen anrufe. Das ist doch der Grund, warum du jetzt anrufst, nicht?“ „Ich konnte nicht mehr warten…“ Rans Stimme zitterte. „Und was willst du nun… was willst du von mir hören?“ „Shinichi…!“ Sie krallte ihre Hand in den Sand, biss sich auf die Lippen. Verzweiflung machte sich ihn ihr breit. In ihr schien alles Kopf zu stehen. Er seufzte, starrte aufs Meer hinaus. Was sollte er ihr jetzt sagen? Sie hatte ihn auf dem völlig falschen Fuß erwischt. Er hatte doch keine Ahnung, was er ihr sagen sollte. Wie er reagieren sollte. Er war noch nicht soweit. Und er hatte auch keine Ahnung, wann er je soweit wäre. Beziehungsweise… wann Conan jemals soweit wäre… „Sag mir einfach, wie du denkst.“ Sie versuchte, bestimmt zu klingen. Er biss sich auf die Lippen. Wenn das so einfach wäre, Ran… Du ahnst nicht, wie gern ich das tun würde. „Das - das hab ich doch schon, Ran. Gestern.“ Diese Worte zu sprechen, kosteten ihn seinen ganzen Willen. Es brach ihm das Herz, und ihr auch, das wusste er. Sie schloss die Augen, merkte, wie ihre Lippen bebten. „Und war das die… Wahrheit? Ist das… ist das dein letztes Wort…?“ „Warum fragst du mich das…?“ Er flüsterte die Worte fast. „Weil ich… dir nicht glaube. Weil ich irgendwie spüre… dass da noch was ist. Weil ich denke, dass du mir etwas verheimlichst. Und weil ich dich…“ „Sag’s nicht…“ Sie stutzte. Seine Stimme hatte so anders geklungen, gerade eben. Irgendwie… irgendwie gequält. Verzweifelt, fast. „Shinichi?“ Ihre Stimme drang an sein Ohr. Sie klang besorgt. Er schluckte, riss sich zusammen. „Sag es nicht, Ran. Sag es nicht, ich bitte dich. Ich ruf dich morgen an. Du musst mir Zeit zum Nachdenken geben…“ „Aber worüber musst du denn nachdenken? Entweder ich bin mehr für dich als eine Freundin, oder nicht…“ Ran wusste nicht, woher die Worte kamen. Woher der Mut kam, um sie zu äußern. Sie sprudelten aus ihr hervor, als hätten sie lange darauf gewartet, gesprochen zu werden, und nun war anscheinend der Damm gebrochen - es gab kein Halten mehr. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Mund wurde langsam trocken. Er blinzelte, fuhr sich nervös mit den Fingern durch die Haare. So direkt war sie noch nie geworden. „Das Thema hatten wir doch schon…“ „Aber ich nehm dir deine Antwort nicht ab. Du klingst nicht überzeugt. Ich glaube, du lügst…“ Sie schluckte, merkte, wie es in ihren Augen brannte. Noch nie hatte sie einfach gesagt, was sie dachte. Aber nun hatte sie einen Punkt erreicht, an dem es nicht mehr anders ging. Es war offensichtlich irgendetwas los mit ihm. „Ich weiß nicht, was es ist, aber ich glaube dir nicht. Irgendetwas stimmt doch nicht! Was ist… was ist los mit dir? Warum… wo bist du? Warum redest du mit mir nicht darüber? Warum musst du erst nachdenken, warum brauchst du Aufschub, wenn ich dich frage, wie du… fühlst…“ Sie schluckte schwer. „Ich kann einfach nicht mehr… Shinichi, ich muss Klarheit haben… ich muss dir glauben können, aber du wirkst nicht… nicht glaubhaft für mich… Es ist, als wärst du nicht du selber…“ Er musste an sich halten, um nicht laut los zu lachen. Wie recht sie doch hatte… Aber was sollte er sagen… was sollte er antworten? Sie hatte mit all ihren Fragen recht, aber keine konnte er ihr beantworten. Sie glaubte ihm nicht, weil er sie anlog. Ran durchschaute ihn. Jetzt war wohl der Punkt erreicht, den er so lange schon hatte kommen sehen. Aber er konnte einfach nicht… konnte ihr nicht sagen, was sie so gerne hören wollte, was er ihr so gerne sagen wolle. Er holte Luft. Er wusste, sie wartete auf eine Reaktion seinerseits, und irgendetwas musste er sagen. „Ran, hör zu, ich… ich geb ja zu, du hast nicht ganz Unrecht mit dem, was du sagst, ich… bin wohl wirklich irgendwo in einer etwas… schwierigen Lage. Und deshalb…“ Er versuchte, irgendwie den Schaden zu begrenzen. Sie in der Grauzone zu lassen, wo sie sich die ganze Zeit aufhielten, wenn sie ihm das Schwarz… das hieß, das Nein, nicht abkaufte. Ran schluckte, hörte gar nicht mehr wirklich zu; sie musste es wissen… musste wissen, ob er nun log, oder die Wahrheit sprach, und was es war, das ihn so zaudern ließ. Das ihn, in allem was er sagte, so unüberzeugt wirken ließ, schon seit Wochen. „Liebst du mich…?“ Conan verstummte sofort, saß nur da - den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Als er seine Stimme wieder fand, war sie kaum mehr als ein Krächzen. „Was…?!“ Ran schluckte, riss sich zusammen. Sie war vorgeprescht, jetzt musste sie wohl oder übel auch weiter laufen. „Du hast mich verstanden… Liebst… liebst du mich? Wenn es so ist, warum fällt es dir so schwer, es zuzugeben? Und wenn es nicht so ist, so bitte ich dich, sag es endlich… lass mich nicht so dastehen…“ Ihre Stimme zitterte gewaltig. Conan schluckte, wusste nicht mehr ein, noch aus. „Warum willst du unsere Freundschaft aufs Spiel setzen mit solchen Fragen…?“ Ran schluckte. Genau das hatte sie befürchtet. Sie merkte, wie ihre Hände kalt wurden, wie ihre Finger zu zittern anfingen. Merkte, sie ihr der Atem wegblieb, sich ihr Magen verkrampfte. Diese Ungewissheit, diese Unsicherheit zerriss sie innerlich. Sie wusste nicht, ob sie ihm glauben konnte, wenn er sagte, er war nur ihr Freund. Wusste nicht, woher das Zögern, die Verzweiflung in seiner Stimme kam. Sie wusste nicht, wie nahe sie ihm treten konnte, und hatte doch das Gefühl, gerade eben war sie ihm viel zu nahe gekommen. Und sie hatte Angst. Sie hatte Angst, denn so wie er sich momentan verhielt, so, wie er reagierte, kannte sie ihn nicht. Und andererseits war da noch die Tatsache, dass sie… dass sie in ihn verliebt war. Sie vermisste ihn, vermisste ihn so sehr. So lange hatte sie ihn schon nicht mehr gesehen und sie wünschte sich nichts mehr, als ihn endlich wieder zu treffen - und von ihm zu hören, wovon sie träumte. Sie liebte ihn - liebte ihn so sehr, dass es sie momentan fast um den Verstand brachte; es stimmte wohl, was man sich über unerwiderte Gefühle sagte. Sie wollte, dass er sie liebte, weil sie sich gut fühlte, wenn sie nur seine Stimme hörte. Weil sie sich sicher fühlte, wenn er da war. Er war ihr Halt; ihr Fixstern, in dieser Welt. Aber momentan schien alles zusammenzubrechen. Er entglitt ihr. Weil sie zu voreilig gewesen war? Oder empfand er gar nicht so wie sie, hatte sie sich getäuscht, ihre Freundschaft zerstört, weil sie ihm Dinge gesagt hatte, mit denen er nicht klar kam…? Aber sie konnte so nicht weitermachen. Jedes Mal wenn sie ihn auch nur hörte, verspürte sie dieses Kribbeln… und dieses Glücksgefühl, das sie jedes Mal Lächeln ließ, normalerweise. Der Gedanke, dass eine andere ihn… Sie kniff die Augen zusammen. Hatte sie ihn wirklich so missverstanden? Hatten alle anderen etwas gesehen, das einfach nicht da war? Es fiel ihr schwer, das zu glauben. „Ran?“ Sie schreckte hoch. Sie hatte sich gehen lassen, sich und ihre Gedanken… „Ran, bist du noch dran? Beantwortest du mir meine… meine Frage? Warum… warum tust du das…? Warum stellst mir du solche Fragen…? Sie schluckte, riss sich zusammen. „Weil ich… weil ich… weil ich so nicht mehr weitermachen kann. Ich will dich nicht mehr nur als Freund haben, weil ich in dir nicht mehr nur einen Freund sehe. Ich kann nachts nicht mehr ruhig schlafen. Du fehlst mir. Ganz unglaublich. Ich… schon lange hab ich dieses Gefühl… in deiner Nähe fühle ich mich anders. Du… du bist… du bedeutest mir viel… Wenn du da bist, geht’s mir besser, allein wenn ich deine Stimme höre… Und ich mach mir momentan… so entsetzliche Sorgen um dich… Irgendetwas stimmt doch nicht… bei dir…“ Er schluckte, merkte, wie seine Finger eiskalt wurden. Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass sie ihm einmal ein solches Geständnis machen würde. Ihm. Nicht Conan. Und das macht das alles so grausam für ihn. Denn er wusste, was sie das kostete… und dass sie es umsonst tat. Dann riss ihre Stimme sie wieder aus seinen Gedanken. „Shinichi? Ich… weiß, dass du es nicht… nicht hören willst, aber… aber… ich… Ich lie…“ Er fuhr zusammen, streckte das Handy panisch, ruckartig von sich weg, legte es beiseite. „…be dich.“ Ihre Stimme war kaum lauter als ein Wispern. Conan hörte ihre Worte trotzdem. Er atmete heftig. Dieses Gespräch war ein Alptraum. Ran fuhr sich nervös durch die Haare. Sie fürchtete, dass sie zu weit gegangen war. Aber sie wollte es jetzt wissen. Sie wollte Bestimmtheit in seiner Stimme hören, wenn er ja oder nein sagte. Erst dann würde sie sich zufrieden geben. „Shinichi?“ Er reagierte nicht. Schaute nur auf das Handy, aber rührte sich nicht. „Shinichi?!“ Ihre Stimme klang angsterfüllt. Sie fürchtete seine Zurückweisung, das wusste er. Und er hasste sich dafür. Er hasste sich so sehr, dass er dafür sorgte, dass es ihr so schlecht ging. Weil er wusste, er kam nicht aus. Er musste sie zurückweisen. Er konnte nichts anderes tun. Eine Option, die sie beide glücklich machen würde, gab es nicht. Die gab es schon lange nicht mehr. Wer wusste, ob sie je existiert hatte. Und deswegen hasste er sich. Er hasste sich. Hasste sich. Hasste sich… „Shinichi! Shinichi Kudô, bist du noch dran?“ Die Verzweiflung war aus ihrer Stimme deutlich herauszuhören. Er seufzte, fühlte sich schlecht- dann hob er sein Handy wieder ans Ohr. „Ja, ich bin noch dran.“ „Bitte beantworte mir meine Frage… kannst du das…? Verzeih mir, dass ich sie dir stellen muss, aber ich muss es wissen… verstehst du? Du willst doch… auch immer die Wahrheit finden, das Gefühl sollte dir nicht neu sein…“ Sie schluckte. „Ich seh’ ihn dir mehr als nur einen Freund, und wenn du das nicht auch für mich—fühlst, dann müssen wir… oder fühlst du… genauso…? Sag es… bitte… ich kann nicht mehr… “ Er biss sich auf die Lippen. Er konnte sie hören. Die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten, glänzende, klare Tropfen aus Salzwasser, bereit, ihrem Kummer Ausdruck zu verleihen. Ihre Stimme war schon wieder brüchig. „Shinichi… liebst du mich?“ Ja! Verdammt noch mal… Er hätte schreien mögen. „Ich ruf dich morgen an. Versprochen. Schlaf gut.“ Er presst die Worte hervor, dann hängte er ein, schaltete das Handy aus. Ihr jetzt das Herz vollkommen zu brechen, hatte er einfach nicht geschafft. Er war ein Feigling… und dafür hasste er sich auch. Ran starrte ihr Handy an. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Sie war verwirrt- und zutiefst besorgt. „So jung und schon solche Probleme?“ Er fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen, drehte sich um und starrte nach oben, in ein bildhübsches Gesicht. Die rothaarige Frau aus der Gruppe, Azusa, wie man sie ihnen vorgestellt hatte. „Haben Sie nicht gehört, dass die Jugend immer frühreifer wird?“ Seine Stimme klang alles andere als fest, als er an ihr vorbei ging, den Weg zurück zum Lager einschlug. Seit wann hatte sie hinter ihm gestanden? Wie viel hatte sie gehört? Das sanfte Rauschen des Meeres hatte ihre Schritte gedämpft, der Sonnenuntergang ihren Schatten in die entgegen gesetzte Richtung geworfen. Deshalb hatte er nicht bemerkt, dass sie gekommen war. Und weil er so aufgewühlt gewesen war. Er war es immer noch. Als er wieder beim Zelt angekommen war, verschwand er schnurstracks in dessen Innerem. Die rothaarige Frau stand noch lange am Saum des Meeres - und selbst als die Nacht schon längst hereingebrochen war, hatte sie sich noch nicht vom Fleck gerührt. Sie liebte die Nacht. Sie liebte die Dunkelheit. Sie liebte schwarz, und diese Farbe war es, in die ihre Umgebung momentan getaucht war - schwarz. Das Himmel und das Meer waren schwarz. Schwarz wie ein Ozean aus Kalligraphietusche. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Was für interessante Bekanntschaften man doch auf Wanderausflügen machen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)