Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 6: Niederlage --------------------- Hi! Leider bin ich grad sehr im Stress und kann hier nicht viel dazu sagen... ich möchte mich aber dennoch ganz, ganz herzlich bei allen Kommentatoren bedanken!!!!!! Vielen, vielen Dank und viel Spaß beim Lesen! *düsterlach* Eure Leira :D PS: Weil die Frage fiel- bitte beachtet die Prozentzahlen nicht. Ich hab noch nicht viel Plan, wie lange die Geschichte wird- nur lang wird sie, dessen dürft ihr euch gewiss sein. Mit meinen letzten kann sie locker mithalten - brauchbare Prozentangaben bekommt ihr, wenn ich mir mehr Struktur verschafft hab ;P ______________________________________ Kapitel 6: Niederlage Sie war fast allein am Pool; die meisten Hotelgäste waren bei dem traumhaft schönen Wetter an den Strand gegangen, nur eine Familie und ein junges Pärchen hatten am anderen Ende der Terrasse ein paar Liegestühle besetzt, nur ab und an drangen leise Gesprächsfetzen oder Gelächter an ihr Ohr. Über ihr spannte sich der wolkenlose, azurblaue Himmel und eine leichte, lauwarme Brise streichelte zart über ihre Haut. Für all diese Dinge hatte sie allerdings keinen Sinn. Ran schluckte, ließ ihre Beine in den Hotelpool baumeln und starrte aufs Wasser, wo die Sonne sich brach, die seichten Wellen zum Glitzern und Glänzen brachte. Gleißend helle Lichtreflexe blendeten sie, ihre Augen fingen langsam zu tränen an, aber wandte den Blick nicht ab, schaute hin, so lange, bis vor ihren Augen schwarze Flecken tanzten. Schließlich schloss sie doch die Augen, sah deutlich die Nachbilder flimmern, krallte ihre Hände in die Pooleinfassung, atmete langsam und sehr kontrolliert aus. Dann hörte sie, wie sich jemand neben sie setzte; ein lautes Seufzen, eine leises Platschen, als die Person neben ihr ebenfalls ihre glattrasierten Beine in das Wasser hängen ließ, spürte etwas Eiskaltes an ihrem Arm. Sie zuckte zusammen, wandte sich dem Störfaktor zu. Es war Sonoko, die sich neben sie gesetzt hatte, und ihr eine Eistüte an ihren nackten Arm hielt. Mit einem leise gemurmelten Dankeschön nahm Ran das Schokoladeneis an und wickelte es aus, legte das Papier sorgsam neben sich, bevor sie begann, ihr Eis zu essen. Der schokoladige Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus, schenkte ihr einen ganz kurzen Moment des Glücks, bevor die Sorge um einen gewissen Menschen wieder ihre Gedanken umwölkte. „Ran…“ Sonoko seufzte leise. Ran warf ihr einen schrägen Blick zu, merkte, dass die Soße ihres Erdbeereises rund um ihre Mundwinkel klebte, sagte aber nichts. „Ran, vergiss ihn…“ „Ich kann nicht.“ Ran ließ ihr Eis sinken, schluckte, starrte wieder aufs Wasser. „Sonoko, ich kann nicht.“ „Aber…“ Das blonde Mädchen schaute sie mitfühlend an. „Ran, du kennst meine Meinung. Ich hab dir immer gesagt, wovon ich überzeugt war; dass du ihn liebst, dass er dich liebt, dass ihr zusammengehört. Du wolltest es so lange nicht glauben.“ Sie seufzte schwer, bemerkte, dass sich ihr Eis verflüssigte und leckte einen Tropfen vom Waffelrand, bevor er auf ihre Waden fiel. „Und jetzt Ran… jetzt bin ich immer noch sicher, er liebt dich. Und ich weiß, genau wie du jetzt begriffen hast, dass du ihn liebst. Aber jetzt… jetzt würde ich mir wünschen, dem wäre nicht so. Wenn ich dich so sehe… so niedergeschlagen, so traurig, verletzt und verzweifelt, würde ich mir wirklich wünschen, du und er, ihr wärt nur Freunde, genau wie ihr es immer behauptet habt.“ Ran schaute überrascht auf. So hatte sie Sonoko noch nie reden gehört. „Aber…“ „Ich denke, dein Herr Detektiv hat sich mächtig in die Scheiße geritten, wenn ichs mal so salopp ausdrücken darf.“ Sonoko schleckte an ihrem Eis. „Offensichtlich… bedeutest du ihm was, sonst würde er sich bei dir nicht melden. Wärst du ihm egal, oder hätte er eine andere, warum sollte er dich anrufen? Wo er doch weiß, wie sehr du klammerst? Nimms mir nicht übel…“ Sonoko warf ihrer entrüstet dreinblickenden Freundin einen kurzen, entschuldigenden Blick zu. „Das tust du. Also. Wärest du nichts weiter als eine gute Schulfreundin, dann würde er dir wohl einfach sagen, dass er länger nicht kommt, und es dann dabei belassen. Hätte er eine andere, dann würde er doch versuchen, den Kontakt einschlafen zu lassen, oder? Aber das tut er nicht. Also… bleibt nur eins. Er liebt dich, denn er kann nicht ohne dich. Er will deine Stimme hören… nur, dass du… diese drei Worte sagst, das will er nicht. Offensichtlich, wenn ich euer Gespräch richtig interpretiere und du mir nichts verschwiegen hast. Also… warum will er das nicht? Man sollte meinen, genau das müsste er sich wünschen…“ Ran saß da, starrte Sonoko an, hatte ihr Eis total vergessen. „Sonoko, du denkst ja richtig analytisch…“ Sonoko schaute sie gleichermaßen verärgert wie stolz an. „Sag mal, was soll das denn heißen?“ Sie räusperte sich. „Nun… wenns ums Liebesleben meiner besten Freundin geht…“ Ein Grinsen huschte ihr übers Gesicht. „Nein, im Ernst. Ich hab nachgedacht, mir mal Gedanken gemacht, ausgehend von den Tatsachen und meinen Vermutungen. Warum will er aus deinem Mund nicht hören, dass du ihn liebst? Warum will er dir nicht sagen, dass er dich liebt, wenn er doch offenbar nichts zu verlieren hat und es ganz risikofrei zugeben könnte, so wie du ihm entgegengekommen bist??“ Sie holte tief Luft, stand auf, schaute Ran von oben herab an; ihr Gesicht lag im Schatten, doch Ran konnte erahnen, dass ihre Züge ernst waren. „Ganz einfach… er muss doch etwas zu verlieren haben. Es ist ihm nicht möglich, bei dir zu sein. Deshalb will er nicht, dass du dich quälst, mit einem Freund, der nie für dich da ist. Das ist… sehr nobel von ihm, wirklich. Und der Grund dafür ist wohl… dass das… sein Fall… derartige Ausmaße angenommen haben muss, dass er nicht absehen kann, wann er beendet ist. Deshalb hält er dich auf Abstand. Um dich vor dir selbst und ihm zu schützen. Er hat etwas zu verlieren… und zwar dich.“ Sonoko atmete tief durch, ein leises Seufzen entfloh ihren Lippen. Ran stand auf, schluckte, schaute ihrer Freundin ins Gesicht, schüttelte langsam den Kopf. „Aber…“ „Ran, mit wem auch immer er sich angelegt hat, er hat Angst, dass man dir was antut, würde sein Gegner erfahren, was du für ihn bist…“ Das blonde Mädchen schluckte, drehte seinen Kopf, schaute in die Sonne. In Sonokos Augen spiegelte sich Sorge, etwas, das Ran selten gesehen hatte. „Und deshalb will ich, was er von dir auch will… warum er dich immer wieder wegstößt… er will, dass du dich fernhältst von ihm. Um deiner Sicherheit Willen, und damit du glücklich wirst. Ran, ich bitte dich… hör auf mich. Wenn er dir schon solche Signale sendet… dann halt dich fern von ihm. Ich will nicht, dass dir was passiert. Und ich will nicht, dass du dich weiter so quälst. Und er… offensichtlich will Kudô das auch nicht.“ Ran starrte sie an, ihre Züge verzerrten sich vor Schmerz. Sonoko hatte ausgesprochen, was sie seit Wochen befürchtete. „Ich kann nicht, Sonoko. Ich kann einfach nicht. Ich… ich liebe ihn, ich will…“ „Ran!“ Sonoko griff sie am Handgelenk. „Wenn du schon nicht auf mich hörst, dann überleg doch mal, warum er…“ Ran riss sich los, starrte ihre Freundin mit einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung an. „Sonoko, stell dir vor, dasselbe wäre mit Makoto! Stell dir vor, er wär in so einer Situation… wenn du wüsstest, er ist in Gefahr… wenn du wüsstest, er tut das alles für dich… würdest du ihn fallen lassen?“ Sonoko schüttelte vehement den Kopf. „Und warum verlangst du dann, dass ich Shinichi fallen lasse?“ Sonoko seufzte geschlagen. „Du hast ja Recht…“ Sie stöhnte, griff sich theatralisch an die Stirn. „Was hat sich dieser Freak nur eingebrockt?!“ Ran lächelte müde. „Wenn ich das wüsste, wäre ich erheblich schlauer. Ich hoffe, er ruft heute an…“ Sonoko blickte sie nachdenklich an. „Du glaubst nicht dran, was?“ Ran schluckte, ihre Lippen verzogen sich zu einem missglückten Lächeln, ihre Augen waren dunkel vor Sorge. „Nein…“ Die Tür quietschte leise, als sie aufging. Shinichi hob den Kopf, müde, fuhr hoch, als er erkannte, wer ihn besuchte. Es waren Gin und Vodka. Kurz schoss ihm der Gedanke an Flucht durch den Kopf, verschwand allerdings sofort wieder, als er sah, wie die beiden ihre Waffen zogen. Er bezweifelte zwar, dass man ihn erschießen würde… aber eine Kugel im Bein tat auch verdammt weh. Und vereitelte nachfolgende Fluchtpläne von vorneherein. „Ich sehe, du bist vernünftig.“ Gin lächelte spöttisch. „Mal sehen, wie sich das entwickelt.“ Er winkte ihn mit seiner Pistole nach vorne. Shinichi folgte widerwillig. Als er die beiden Männer erreicht hatte, merkte er, wie sich eine Hand fest um seinen Oberarm schloss. Genervt schaute er auf, sah in Gins kalte Augen. „Glaubst du, das ist nötig?“ Eine Antwort erhielt er darauf nicht; stattdessen stöhnte er schmerzerfüllt auf, als sich die Mündung einer Pistole zwischen seine Rippen zu bohren schien. Dümmliches Gelächter bestätigte seine Annahme, dass es Vodka war, der jetzt hinter ihm stand. „Sagt mal, ernsthaft…“, begann er, brach dann allerdings ab. Es hatte ja sowieso keinen Sinn, zu diskutieren. Shinichi stöhnte unterdrückt auf, als ihn der Lauf der Pistole nach vorne stieß, blieb ansonsten aber still. Innerlich seufzend ließ er sich abführen, fragte sich, immer und immer wieder, welche Dinge da seiner harrten. Und warum er noch am Leben war. Agasa fuhr hoch, als er die zwei Gestalten auf sich zukommen sah. Er hob die Hand, winkte sie zu sich. Jodie und James kamen näher, schauten sich dabei eingehend um. Ai und der Professor saßen allein vor dem Zelt, die Kinder waren ausgeschwärmt, um Spuren zu suchen und um die rothaarige Frau zu beschatten, oder besser gesagt, zu suchen, denn sie war seit heute Morgen wie vom Erdboden verschluckt. James ließ sich schwerfällig auf die Decke, die vor dem Zelt ausgebreitet war, sinken; Jodie vergewisserte sich, dass sie keine unerwünschten Zuhörer hatten, bevor sie dem Beispiel ihres Vorgesetzten folgte. „Shuichi Akai hielt es für angebrachter, sich nicht vor Einbruch der Dunkelheit blicken zu lassen. Er schaut sich in der Gegend um, um Ausschau nach Zeichen und Aktivitäten zu halten.“ Der Professor nickte. „Haben Sie noch was in Erfahrung bringen können? Über momentane Aktivitäten der Organisation?“ „Nein.“ James Black schüttelte den Kopf. „Nachdem mich Jodie gestern anrief, haben wir unsere Fühler natürlich verstärkt ausgestreckt… but they seem very quiet, at the moment. Indeed… too quiet.“ Jodie schluckte – dann bemerkte sie Ai, schaute sie an; und konnte die Augen nicht mehr von ihr wenden. James räusperte sich beunruhigt. „Und bei Ihnen? Auch immer noch keine Neuigkeiten?“ „Nein.“ Agasa seufzte. „Er ist jetzt schon über einen Tag weg, wie Sie ja wissen… die Polizei kommt jetzt dann ebenfalls. Von ihm… haben wir nichts gehört und nichts gesehen… sein Handy wird man ihm abgenommen haben.“ James nickte zustimmend; dann beugte er sich vor, schaute dem alten Mann eindringlich in die Augen. „Ich weiß es zwar jetzt von Jodie… aber ich frage Sie, oder besser gesagt, euch beide noch einmal…“ Seine Augen schweiften zu dem kleinen rotblonden Mädchen. „Stimmt es? Bist du… bist du Shiho Miyano? Und ist er… ist er wirklich Shinichi Kudô? Hat er wirklich einen Mordanschlag der Schwarzen Organisation überlebt?“ Ai schluckte. „Es stimmt jedes Wort.“ James ließ sich zurücksinken. „Dann gibt es für ihn wohl keine Hoffnung mehr. Er sollte schon längst tot sein, offenbar, und sie werden mittlerweile wissen, dass er ihnen ins Handwerk pfuschen will… welchen Sinn hätte es, ihn am Leben zu lassen…? Sie werden wohl versuchen, herauszufinden, was er weiß. Über die Organisation… und vielleicht spannen sie sogar die Brücke, fragen ihn, was er über uns weiß. I guess, they might be clever enough. I don’t presume…“ Er warf diesmal dem Professor einen fragenden Blick zu. „… Mr Holmes is somebody who’s selling his friends?“ Agasa schaute ihn empört an, als er antwortete, seine Stimme lauter als beabsichtigt. „Ganz sicher nicht! Wie kommen sie überhaupt auf-“ James hob entschuldigend die Hand. „I wouldn’t believe it either. Aber bitte entschuldigen Sie mich… ich musste das fragen.” Er seufzte. „Allerdings sind diese Aussichten auch nicht unbedingt… netter. Dann werden sie wohl… versuchen, ihn zu foltern, um an Informationen zu kommen. Und wenn er die nicht geben will… dann wird er nutzlos sein. Then… the’ll kill him at last.“ Sein Blick verlor sich in der Tasse Tee, die Agasa ihm reichte. Jodie schluckte schwer, starrte in den Himmel. Sie traten durch eine letzte Tür, und endlich verschwand der Druck in seiner Seite; beziehungsweise Vodkas Lauf zwischen seinen Rippen. Unwillig rieb er sich kurz über Stelle, ehe er seine Umgebung in Augenschein nahm. Er befand sich wohl in einem Verhörraum. Weiß gekachelte Unendlichkeit, steril und sauber. Er kam sich präsentiert vor. Vorgeführt. Und vor ihm standen sie. Gin, Vodka, die vor ihn getreten waren, als sie hinter ihm die Tür abgeschlossen hatten, und Vermouth sowie Beaujolais, die rothaarige Frau, die ihm das hier eingebrockt hatte. Im Hintergrund saßen drei ältere Herren, die er nicht kannte. Ein Japaner, ein Europäer, er vermutete, dass es ein Engländer oder Franzose war, und ein Afroamerikaner. „Du bist hier, weil der Boss… und das Triumvirat…“, Gin deutete hinter sich auf die drei Männer, „ein paar Fragen an dich haben. Wenn ich vorstellen darf: Absinth, Cachaça, Rum.“ Shinichi warf einen überraschten Blick auf die drei Herren, die ihn ihrerseits mit kühlem Interesse musterten. Seine Gedanken rasten. Ein Triumvirat? Es gibt also noch eine Instanz, außer dem Boss? Ob Ai das weiß? Aber klar, das ist eigentlich logisch… Diktaturen haben sich in der Regel nie als funktionierendes System erwiesen. Kontrolle innerhalb der herrschenden Strukturen ist nur logisch. Aber… wo ist der Boss, wenn er Fragen hat? Diese rothaarige Hexe ist es auf alle Fälle nicht. „Setzen, und Hände auf den Tisch.“ Gins Stimme klang eisig und duldete keinen Widerspruch. Zögernd trat Shinichi an den Tisch, der in der Mitte des Raums stand, setzte sich und hob seine Arme, legte sie auf die Tischplatte. Er versuchte, Sharon keinen allzu auffälligen Blick zuzuwerfen, erhaschte aber einen kurzen Moment des Augenkontakts. In ihrem Blick stand Sorge. Na prima… Einer der drei Männer stand auf, der Japaner; ein außergewöhnlich großer, grauhaariger Mann in einem tadellos sitzenden, dunkelgrauen Nadelstreifenanzug. Anscheinend gilt für die höheren Mitglieder dieses Vereins kein dresscode...? Shinichi fragte sich insgeheim, warum er sich über so banale Dinge wie die Kleiderordnung der Schwarzen Organisation Gedanken machte, merkte dann, dass das nur dem Zweck diente, ihn von sich selbst, seinem eigenen Schicksal und dem, was ihn hier erwartete, abzulenken. Verdammt, benimm dich deinem Alter entsprechend, hör auf damit… auch wenn du es nicht mehr gewohnt bist. Er musste sich dem stellen, was kam, ob er wollte oder nicht, eine Wahl hatte er nicht und etwas anderes kam auch nicht infrage. Also hörte er auf, absurde Schlussfolgerungen zu ziehen und beobachtete den Mann, Absinth, der auf ihn zukam, genau; keine seiner Bewegungen entging ihm, er war wachsam und angespannt, und dem süffisanten Lächeln seines Gegenübers zu entnehmen, sah man ihm das auch an. Der Mann ließ sich elegant in den Stuhl im gegenüber sinken, griff in seine Jackeninnentasche, zog eine Injektionsnadel heraus. Shinichi sog scharf die Luft ein. „Ganz Recht. Wahrheitsserum.“ Die Stimme des Mannes klang sonor und sonderbar angenehm in seinen Ohren. Shinichis Augen hafteten auf der Spritze, dann sah er auf, bemerkte noch aus dem Augenwinkel, wie Absinth die Kappe von der Nadel zog. Ihm wurde schlagartig schlecht. Dann rief er sich zur Vernunft. Auch das hier würde vorbeigehen… es galt nur, es zu ertragen. Es konnte nicht ewig dauern, nichts dauerte ewig… nur durchhalten. Einfach… durchhalten. Was auch immer. Absinths Augen waren braun, wie die der meisten Japaner, aber in ihnen lag eine Unbarmherzigkeit, die zu diesem warmen Farbton so gar nicht passen mochte. Er legte die Spritze vor sich auf den Tisch, verknotete aufgeräumt seine Finger, fast wie zum Gebet, und begann zu sprechen. „Junger Freund, ich nehme an, du fragst dich sicher, was du hier noch zu suchen hast. Nun… wir denken, du könntest noch ein paar Informationen haben, für uns. Deshalb läge uns sehr an einem Gespräch mit dir. Diesbezüglich… wollen wir es erst einmal… durch höfliches Fragen versuchen. Solltest du dich als verstockt erweisen, sehen wir weiter.“ Shinichi öffnete den Mund, wollte widersprechen, doch der Mann hob die Hand- und Shinichi schwieg. Die Geste hatte etwas Gebieterisches an sich, die ihn gehorsam machte, ob er es nun wollte oder nicht. Sie ließ keinen Widerspruch zu. Der Japaner räusperte sich. „Ich stelle hier die Fragen, nicht du, auch wenn du es andersrum gewohnt bist, Detektiv. Aber genug der Vorrede. Lass uns anfangen.“ Er zog eine Zigarette aus seiner Jackettasche, ohne sie jedoch anzuzünden, rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. „Wo und hinter welcher Identität versteckt sich Sherry? Wir sind uns recht sicher, dass du sie kennst, sie hat sich garantiert an dich gewandt, dem fragwürdigen Todesfall…“, ein süffisantes Lächeln huschte über sein Gesicht, „sie wurde bestimmt auch geschrumpft, wie sonst hätte sie entkommen können? Und wie viel weiß das FBI über uns, du kennst sie doch, nicht wahr? Du warst doch dabei… im Krankenhaus, der kleine Junge, der zu viele Fragen gestellt hat? Was haben sie vor? Wen haben sie eingeschleust? Sind Verräter unter uns?“ Shinichi starrte auf die Tischplatte, zwang sich, nicht aufzusehen. Er schüttelte nur den Kopf, biss sich auf die Lippen. Es lag nicht in seiner Absicht, irgendetwas zu sagen. Erst Recht nicht, Ai zu verraten. Oder… Sharon. Oder Hidemi. „Rede!“ Er reagierte gar nicht. „Glaub mir… du tust dir keinen Gefallen, wenn du schweigst.“ Die Stimme des Mannes klang wie berstendes Eis, klirrend und eiskalt. Shinichi schaute nicht auf, verkrampfte seine Finger. Dann atmete er aus, sah auf, lächelte Absinth höflich an. Kurz kreuzten sich ihre Blicke. „Sie können fragen was Sie wollen, ich fürchte, ich kann ihnen leider nicht weiterhelfen. Ich werde keine Antwort geben. Das ist mein letztes Wort zu der Sache, wenn Sie gestatten. Oder nicht, mir soll es egal sein.“ Er legte seine Finger flach auf den Tisch, versuchte, etwas entspannter zu wirken. „Überaus nobel von dir. Du bist wohl in der Tat eine treue Seele, nicht wahr? Treu seinen Freunden, treu seinen Prinzipien. Ein Zug, den man auch in der Organisation sehr schätzt… unbedingte Loyalität für die Sache. Nur das du… leider zu falschen Sache diese Tugend beweist.“ „Wenn Sie meinen.“ Seine Stimme war leise, und eine Gleichgültigkeit schwang in ihr mit, die seine Augen Lügen strafte. In ihnen glänzte die Angst, vor dem, was da kam, aber er ließ sich nicht von ihr beherrschen. Gin starrte ihn an, kam nicht umhin, in gewisser Weise ein wenig Achtung für seinen Feind zu empfinden. Er war ein würdiger Gegner, immerhin. Genauso wie Akai einer gewesen war… Feinde, die man nicht unterschätzte, nichtsdestoweniger trotzdem tötete. Letztendlich waren sie alle unterlegen… aber schwach waren sie nicht. Ein kühles Lächeln schlich sich auf die Lippen, als er die Szene weiter beobachtete. Absinth klopfte mit seinen Fingern auf die Tischplatte, ein monotones Trommeln, das einen wahnsinnig machen konnte. „Ich fürchte, du weißt nicht, auf was du dich einlässt, junger Freund.“ „Kann sein, aber ich weiß, dass ich nicht Ihr Freund bin. Sie vergeuden Ihre Zeit mit all diesen Drohungen und Ihrem Imponiergehabe…“ Shinichis Stimme klang bissig. Langsam hatte er die Schnauze voll, seine Nerven lagen blank. Wenn er schon sterben musste… dann sollte es doch auch endlich mal soweit sein. Und wenn sie ihn vorher noch foltern wollten… fein, aus der Affäre kam er wohl nicht ungeschoren raus. Aber dann sollten sie endlich damit anfangen, damit es auch mal wieder ein Ende hatte. „Da Sie sich wohl alle immer furchtbar gern reden hören, wie es aussieht, ziehe ich vor, für meinen Teil dann eben die Klappe zu halten. Ich ändere meine Meinung nicht. Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Das ist mein letztes Wort.“ Er senkte den Blick. Absinths Mundwinkel verzogen sich zu einer Grimasse, von der man nicht sagen konnte, ob sie missvergnügt oder amüsiert war. „Nun gut. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt…“ „Sag ich n-“ Shinichi fuhr hoch, als er merkte, wie jemand sein Handgelenk umklammerte, schnappte nach Luft. Er sah gerade noch, wie es metallisch aufblitzte, spürte den Pieks an seinem Arm - dann stürzte er in eine Realität, die mit der gerade erlebten nichts mehr gemein hatte. Er öffnete den Mund, aber nicht ein Laut entwich ihm, ehe er sich zusammenkrümmte und in seinen Stuhl sank, um irgendwie zu ertragen, was gerade passierte. Er zuckte zusammen in seinem Sessel, als er auf den Bildschirm starrte, der ihm die Überwachungsvideoaufnahmen aus dem Verhörraum zeigte. Er wollte die Augen schließen, aber es gelang ihm nicht. Eine unsichtbare Macht schien ihn zu zwingen, sich anzusehen, was in dem Raum passierte. Eigentlich war daran gar nichts Schlimmes. Es war… absolut ruhig. Man hörte so gut wie nichts. Alles, was zu sehen war, war die zusammengesunkene Gestalt des jungen Mannes, der die Arme um seinen Leib geschlungen hatte, als hätte er schlimme Bauchschmerzen, und auf der anderen Seite des Tisches den grauhaarigen Japaner, mit vor der Brust verschränkten Armen und einem gespannten Blick auf seinem Gesicht. Obwohl die Kamera auch Ton übertrug, war nichts weiter zu hören als manchmal ein lautes Atemgeräusch oder das Rascheln von Kleidung, wenn sich einer der Anwesenden bewegte. Nach ein paar Minuten entspannte sich die Gestalt wieder; das Leben schien in sie zurückzukehren, mühsam richtete sie sich auf, blickte ihrem Peiniger ins Gesicht. Und der grauhaarige Mann wiederholte seine Fragen. Wo ist Sherry? Was weiß das FBI? Haben wir einen Verräter unter uns? Der junge Mann im Verhörraum schüttelte nur wieder wortlos den Kopf, und dann begann das Spiel von neuem. Absolut ruhig. Er versuchte gar nicht, seinen Arm wegzuziehen. Er hatte ohnehin keine Chance. Und so ging es weiter. Wo ist Sherry? Was weiß das FBI? Haben wir einen Verräter unter uns? Wo ist Sherry? Was weiß das FBI? Haben wir einen Verräter unter uns? Wo ist Sherry? Was weiß das FBI? Haben wir einen Verräter unter uns? Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Gedanken an ein Gespräch mit dem Triumvirat, das dem, bei dem der Tod ihres Gefangenen beschlossen worden war, vorangegangen war. „Warum haben Sie uns verschwiegen, dass er noch lebt?!“ Wut. Blanke Wut auf ihren Gesichtern. Er konnte es ihnen nicht verübeln, dass sie so zornig waren, jetzt, nachdem herausgekommen war, dass er gewusst hatte, das Shinichi Kudô nicht tot war… nicht gestorben war, damals. „SIE wussten es! Sie können uns nicht weißmachen, Sie hätten davon nichts gewusst…“ Er sah den Geifer fast aus ihren Mundwinkeln triefen, diese Mörder, diese Folterknechte, diese… „Er war keine Gefahr. Ich hatte die Situation im Griff, wie Sie sehen.“ Er hatte versucht, Ruhe zu bewahren, wirklich. „Sie können nicht das Gegenteil behaupten. Ich habe die Organisation mit meinen Aktionen nicht gefährdet. Er kam uns nie nahe genug. Einen kleinen Jungen zu ermorden, der derart viel Aufsehen, erregt, der bei der Bevölkerung so beliebt ist, wäre wesentlich offensichtlicher gewesen, als ihn selber wie eine Marionette tanzen zu lassen. Ich hatte alles unter Kontrolle - bis Beaujolais kam.“ Damit hatte er sie einigermaßen überzeugen können. Sie davon abbringen können, etwas zu tun, was er fürchtete… ihn zu bestrafen, indem sie ihm nahmen, was ihm lieb und wichtig war. Und jetzt… jetzt war die Situation eine Ähnliche. Er tauchte aus seinen Gedanken wieder auf, starrte auf den Bildschirm. Der grauhaarige Mann wurde zunehmend wütend. Zornig warf er die Ampulle, die er nun geleert hatte, in einen Papierkorb neben den Tisch, beugte sich nach vorn, zu seinem gefolterten Gefangenen. Shinichi saß vornübergebeugt, öffnete wiederum den Mund zu einem Schrei, aber auch diesmal kam kein Laut kam über seine Lippen. Die Blöße wollte er sich nicht geben, aber… Langsam war es zu viel. Viel zu viel. Alles in ihm war übersensibilisiert, jede Bewegung tat weh. Unerträglich. Er umklammerte mit seinen Händen die Tischkante, stöhnte auf, alles in ihm brannte wie Feuer. Seine Stirn sank auf die Tischplatte, er kniff die Augen zusammen, unterdrückte den Wunsch, einfach nur zu schreien, seiner Agonie Ausdruck zu verleihen, wenn auch das wohl kaum Linderung bringen würde. Und so hing er in seinem Stuhl, halb auf dem Tisch liegend, spürte den Schmerz durch seinen Körper rasen, mit jeder Vene, jeder Arterie, in die das Gift kroch, ein Stückchen mehr. Er konnte kaum atmen, weil er reflexartig die Luft anhielt, um sie sich selbst zum Schreien zu nehmen; dann hielt er sich den Mund zu, als er nicht mehr konnte, schmerzerfüllt aufstöhnte. Sharon stand da, starrte ihn an, merkte, wie Gin neben ihm interessiert zusah. An der Tatsache, dass dieses selbstgefällige Lächeln, das er immer an den Tag legte, verschwunden war, erkannte sie, dass auch er die Selbstbeherrschung ihres Gefangenen bewunderte, etwas, das bei Gin höchst selten vorkam. Irgendwann hörte die Wirkung auf. Sie wusste, die Schmerzen waren kurz, aber heftig. Man gab das Serum, damit die Folter mehr Erfolg hatte; derartige körperliche Schmerzen konnte keine andere Methode auslösen. Für gewöhnlich reichte eine Injektion, und dann gestanden die Gefolterten unter Tränen. Deshalb der eher… ironische Name. Wahrheitsserum. Jeder der ihm einmal ausgesetzt war, sprach hinterher nur allzu gern die Wahrheit… sang wie ein Vögelchen, nur um nie wieder diese Schmerzen ertragen zu müssen. Er war nicht der erste, bei dem sie diese Folter sah. Aber er war der erste, bei dem sie nutzlos war. Bei ihm war es jetzt die vierte Injektion und man sah ihm an, dass er mit den Kräften doch langsam am Ende war. Er würde nicht reden, er würde durchhalten, bis er elendig zugrunde ging an diesem Gift, bis sein Körper diesen Schmerz nicht mehr ertrug, sein Herz seinen Dienst aufgab, weil es den Anforderungen nicht mehr gewachsen war, seine Sinne schwanden, weil seine Lungen mit der Sauerstoffversorgung nicht hinterherkam… das war nun allen in diesem Raum klar geworden. Er lag auf dem Tisch, entspannte sich langsam, sein Brustkorb hob und senkte sich heftig, als er sich das Atmen wieder erlaubte. Langsam schob er sich zurück auf den Stuhl, in seinen Augen ein Ausdruck von Trotz, der ihr imponierte. Sie wusste, er würde auch diesmal nicht antworten. Allerdings würde auch keine weitere Frage mehr kommen. Und die Ampulle war jetzt leer. Er hatte es geschafft. Er hatte nicht gesungen. Nicht einen Ton. Und jetzt würde er sterben. Er war nutzlos, ein Störfaktor, eine Gefahr. Er musste beseitigt werden, und man würde dafür keine Sekunde mehr zögern. Der Gedanke brachte sie an die Grenzen ihres Verstandes. „Nun gut.“ Das Triumviratsmitglied verzog sein Gesicht missvergnügt. „Ich nehme an, dir mit dem Tod zu drohen wird dich auch nicht gesprächiger machen. Dann müssen wir unsere Antworten selber suchen, ich denke, das wird nur unwesentlich länger dauern. Also… bringen wir‘s hinter uns. Gin, wenn du so liebenswürdig wärst…“ Shinichi warf Sharon einen geschlagenen Blick zu, ließ sich hochziehen und gegen die Wand drücken. In ihren Augen war ein gewisser Hauch von Verzweiflung zu sehen. Sie beide wussten, sie war machtlos, in dieser Situation. Sie wussten beide, was jetzt kam. Du warst zu langsam, Sharon. Ran stand am Pool, als das Gefühl sie überkam. Sie war die ganze Zeit, seit… einer Stunde ungefähr schon so schrecklich unruhig, konnte nicht sitzen, nicht stehen, sich auf nichts konzentrieren… und nun war es gänzlich um sie geschehen. Sie fühlte einen Druck in ihrer Brust, ein Gefühl, das ihr die Luft zum Atmen nahm, ihr Herz fast am Schlagen zu hindern schien. Sonoko trat neben sie, als sie von ihrer Sonnenliege aus bemerkt hatte, dass mit Ran etwas nicht stimmte. „Ran… Süße, was ist…?“ Ran griff sich an die Brust, setzte sich. Ihre Beine hatten einfach nachgegeben, und irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie konnte nicht sprechen. Sie wollte auch nicht. Ihre Gedanken waren woanders, nicht mehr am Pool eines Hotels in Izu, sondern weit, weit weg… Ein Gefühl unbändiger Verzweiflung übermannte sie. Und Angst. Unglaubliche, unfassbare, nie gekannte Angst. Es ging um sein Leben, soviel war ihr klar. Er war in Lebensgefahr. In diesem Moment. Und sie konnte nichts tun. Nicht helfen. Nur hier sitzen und warten. Die Angst fraß sie innerlich auf. Shinichi! „Ran?“ Sonokos Stimme klang fast panisch. Ran… Er stand an die Wand gedrückt, die Arme auf den Rücken gebogen, unfähig, sich zu bewegen. Es widerstrebte ihm, so machtlos zu sein, er konnte nicht glauben, dass es das nun gewesen war… er einfach keine Chance hatte, doch noch etwas zu ändern… Aber es war so. Er hatte verloren. Er spürte die Mündung der Waffe an seiner Schläfe, fühlte die Kälte der weißen Fliesen an seiner Wange, stöhnte leise auf, als man ihm die Arme noch mehr verdrehte. Er würde sie nie wieder sehen. Jetzt war es aus, jetzt würde er sterben, ohne ihr gesagt zu haben, wie viel sie ihm bedeutete… im Gegenteil, er hatte ja sogar noch versucht, ihr das Gegenteil glauben zu machen… Ran… bitte verzeih mir… Ich hoffe wirklich, du erfährst nie, wie es hierzu kam… Shinichi schauderte bei dem Gedanken, wie Ran reagieren könnte, würde man ihr sagen, dass sie ihn… streng genommen verraten hatte. Hoffentlich erfuhr sie das nie. Dann atmete er aus, hob den Blick, schaute geradewegs in das Auge einer Kamera, die in der Ecke hing und deren blinkendes rotes Licht ihre Betriebsamkeit signalisierte. „Sag Lebewohl, Kudô.“, flüsterte Gin. Sein heißer, nach kaltem Rauch stinkender Atem verursachte ihm eine Gänsehaut. Er hörte das sanfte Klacken, als die Waffe entsichert wurde und hielt unwillkürlich die Luft an. „Ich muss sagen, du warst ein würdiger Gegner, sehr intelligent, sehr willensstark… aber nun musst du einsehen, wir waren stärker. Du hast dich mit uns übernommen, Detektiv.“ Shinichi schluckte, versuchte, sich nicht ansehen zu lassen, was er fühlte. Es war schrecklich, dieses Gefühl, diese Angst, er wollte nicht sterben, nein… Er wollte sich aus dem Griff winden, aber Gin und Wodka waren ihm kräftemäßig überlegen, ganz davon abgesehen, dass er von der Wirkung des Serums geschwächt war, und er ohnehin diesen Raum nicht lebend verlassen hätte… er wäre tot, bevor er an der Tür angekommen wäre, mal ganz davon abgesehen, dass die immer noch verschlossen war. Eine ganz und gar aussichtslose Situation. Cachaça und Rum erhoben sich, starrten ihn an. Shinichi schluckte, fragte sich, was an ihm so interessant war, dass man ihn derart anglotzen musste, mal abgesehen davon, dass ihm gleich eine Kugel… Nein, den Gedanken wollte er jetzt nicht zu Ende denken. Absinth trat vor ihn, schaute ihm in die blauen Augen, griff sein Kinn mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. „Was bist du ihm ähnlich.“, flüsterte er leise lachend. „Wirklich wahr. Ganz außerordentlich ähnlich. Ich denke, wahrlich… es ist eine Gnade für dich, dass du unwissend sterben darfst.“ Shinichi atmete stockend aus. Wem war er ähnlich? Und welches Unwissen war denn gnadenvoll? Der Mann ließ ihn los, trat zurück, das Lächeln auf seinen Lippen wurde immer breiter. Die Blicke der anderen beiden waren fast schon sensationslüstern. Im Raum herrschte Stille, man hätte eine Stecknadel fallen gehört; alle warteten auf das Kommando, blickten auf Absinth, der sich eine dramatische Kunstpause genommen zu haben schien, in der er einfach nur triumphierend seinen Delinquenten anschaute, seine beiden Gefährten links und rechts hinter ihm, einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Shinichi schluckte, starrte gerade aus, versuchte, Sharon nicht anzusehen, sie sollte nicht sehen, wenn… „Töte ihn.“ Shinichi schloss die Augen. Dann zerriss der Klingelton eines Handys die Stille. Es war das Handy von Absinth. Er hob die Hand, sichtbar genervt, und Gin lockerte seinen Griff unmerklich. Shinichi öffnete die Augen wieder, atmete stockend aus. Nie hatten seine Nerven blanker gelegen als gerade jetzt. „Was wollen Sie, Cognac…?“ Er lauschte in sein Handy, sein Gesicht verzerrte sich von Sekunde zu Sekunde mehr vor Wut. „Sie wissen genau…“ Anscheinend wurde er unterbrochen, denn er fuhr nicht fort. „Nur weil Sie… das können Sie nicht machen! Er muss sterben, er ist eine Gefahr für uns, Sie kriegen ihn nie umgekrempelt!“ Spätestens jetzt starrten alle auf den aufgebrachten Japaner, der sämtliche Fassung verloren hatte. „Glauben Sie nicht, wir wissen nicht, warum Sie das tun!? Ich hoffe, Ihnen ist klar, was… auch für Sie auf dem Spiel steht.“ Seine Lippen umspielte ein grausames Lächeln. Er seufzte ins Telefon, starrte in den Monitor vor ihm auf den Tisch. Sah sein Gesicht, gepresst an die Wand des Verhörraums, sein Gesichtsausdruck ein Beispiel an stoischer Gelassenheit, in seinen Augen Schmerz und Angst. Es war genug jetzt. Er hatte genug gesehen. Er musste handeln. Das… das konnte er nicht zulassen. „Das weiß ich, ja. Glauben Sie mir, ich vergesse das nicht… aber Ihr wisst… genauso gut wie ich, was er für Potential hat! Ihr konntet euch nun ja hinreichend überzeugen… von seiner Stärke. Wenn wir ihn für uns…“ Er verdrehte entnervt die Augen, als er das Ratsmitglied wieder lospulvern hörte. Dann räusperte er sich, in sein Gesicht trat ein Ausdruck von Entschlossenheit. „Erstens bin ich immer noch der Boss hier. Und nein, das stimmt nicht. Wir haben sehr wohl ein Argument, das ihn uns gefügig macht. Sie sagten, wenn ich Ihnen eins präsentiere, dann bekomme ich ihn. Bitte, ich habe eins. Wir kennen…“ Er biss sich auf die Lippen. Er hatte sie raushalten wollen. Hatte extra nichts von dem Telefongespräch gesagt… das Beaujolais ihm und Vermouth berichtet hatte. Er hatte sie raushalten wollen. Das ging jetzt nicht mehr. Im Grunde genommen hatte sie ihn reingeritten… jetzt musste sie ihm helfen. Verzeih mir… „Wir kennen seine Achillesferse. Wir wissen… für wen er alles tun würde. Für wen er sein Leben riskieren würde. Ich weiß es sicher… er liebt… ein Mädchen. Drohen wir ihm damit, ihr etwas anzutun, wird er Wachs sein in unseren Händen. Nichts ist ihm wichtiger als sie, er würde alles für sie tun… sie ist sein Schwachpunkt. Glauben Sie mir. Keiner… keiner kennt ihn besser als ich. Ich hatte viel Zeit, ihn zu studieren, wie Ihnen bekannt sein dürfte. Versuchen Sie es. Sie müssen nicht mal ihren Namen nennen, aber er wird gehorchen. Das muss er auch. Sagen Sie ihm, ihre Identität ist mir bekannt - ich denke, er wird das nicht bezweifeln. Sie werden es gleich sehen.“ Der grauhaarige Mann lächelte auf einmal. Ein maliziöses, furchteinflößendes Lächeln. In Shinichis Kopf erschien das Bild einer zähnefletschenden Bestie. Was auch immer jetzt besprochen worden war, es war nichts Gutes für ihn, und er fragte sich, ob ein schnelles Ende jetzt und hier nicht eventuell doch die bessere Alternative gewesen wäre. Mein Gott, warum erschießt ihr mich nicht? Nicht mehr viel, ihr habt es gleich geschafft… nur noch den Finger krümmen, das kann doch nicht so schwer sein… „Schön. Versuchen wir es. Aber wenn das Experiment scheitert… dann muss er sterben. Ich denke, wir verstehen uns.“ Damit legte er auf. „Gin.“ Der blonde Hühne starrte ihn an. „Lass ihn los. Er soll sich setzen.“ Wortlos gehorchte der hochgewachsene Mann, stieß ihn zu seinem Stuhl. Shinichi sank auf die Sitzfläche, seine Nerven zum Zerreißen gespannt. „Das gerade war der Boss.“ „Wär ich ihm Leben nicht drauf gekommen…“ Absinth lächelte höflich. Rum und Cachaça traten näher, stellten sich neben ihn. „Du bist immer noch ganz schön vorlaut, mein Lieber. Und du scheinst deinen Humor noch nicht verloren zu haben. Sehen wir mal, ob wir dem nicht abhelfen können…“ Shinichi atmete aus, verdrehte die Augen. Die Schmerzen hatten immer noch nicht ganz nachgelassen, vernebelten sein Denken. „Nun, der Boss… hat eine sehr interessante Idee. Er will dir einen Vorschlag machen. Im Prinzip wohl…“ Er grinste noch breiter, zeigte einmal mehr seine makellos weißen Zähne. „Im Prinzip ist es ein Angebot, dass du nicht ablehnen kannst.“ Das fängt ja gut an… der Pate lässt grüßen. Ein leicht ironisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, das ihm buchstäblich aus dem Gesicht fiel, als er Absinths nächste Worte vernahm. „Er möchte gerne, dass du bei unserem Verein Mitglied wirst.“ Shinichis Kinnlade fiel nach unten, ein leises Ächzen verließ seine Lippen. „Das kann er nicht im Ernst meinen!“ „Oh doch.“ Der Japaner lächelte. Seine beiden Amtsgenossen hatten sich interessiert nach vorne gebeugt. Sharons Augenbrauen wanderten nach oben. „Doch, das ist sein voller Ernst. Er will, dass du ordentliches Mitglied wirst. Er schätzt deine Fähigkeiten, deine Brillanz, deine Stärke, und hält sie für verschwendet, wenn man sie einfach so mit einer kleinen Kugel zwischen den Ohren zunichtemacht. Er will, dass du einsteigst. Es ist keine Bitte. Es ist ein Befehl. Und du hast keine Wahl.“ Shinichi schüttelte den Kopf. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen. Er war hellwach – und angespannt bis aufs Äußerste. Er schaute das Gesicht auf dem Bildschirm vor sich an. Beobachtete ihn genau. Sah das Entsetzen – und gleichermaßen den Willen, sich nicht kaufen zu lassen. Nicht klein beizugeben. Und wusste doch, dass er genau das tun würde. Er würde zustimmen, würde sich beugen. Würde sich fügen und mit sich machen lassen, was sie wollten. Und zwar innerhalb der nächsten fünf Minuten. Er würde ihn brechen. „Doch, natürlich hab ich die. Ich kann nein sagen. Und ich werde auch…“ „Halt… bevor du etwas tust, was du bereuen könntest.“ Der Mann hob die Hand, brachte ihn zum Schweigen damit, baute sich vor ihm auf, lächelte ihn überheblich an. „Ich meine, hör dir den ganzen Deal an und versuch das einmal rational zu sehen, Detektiv. Du bist doch ein schlauer Junge. Du wirst hier einsteigen. Oder…“ „Oder?“ „Oder deine Freundin wird sterben. Dem Boss ist ihre Identität bekannt.“ Der Mann machte eine Pause, kostete den Moment sichtlich aus. Jedes Wort war wie ein Schlag ins Gesicht. Ran! Nein, nicht… nicht… Ran… „Ja… sicher…“ „Mein Lieber… mach nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen.“ Absinth lächelte immer noch. Shinichi schluckte, kurz, ganz kurz nur flackerte sein Blick zu Sharon; und wusste es. Sie hatte die Wahrheit gesprochen, als sie ihn mit Kir besucht hatte. Man hatte herausgefunden, mit wem er telefoniert hatte. Und Beaujolais hatte auch gehört, welchen Inhalt dieses Gespräch gehabt hatte. Sie wussten Bescheid über Ran. Alles andere wäre ihm egal gewesen, er ertrug jede Folter, akzeptierte, wenn er sterben musste… sein Leben war ihm im Vergleich zu ihrem nichts wert… Und nun stellte man ihn vor die Wahl… Entweder trat er ein und wurde ein Mörder… Bei dem Gedanken daran drehte sich ihm fast der Magen um. …oder er unterzeichnete ihr Todesurteil. Das durfte er nicht. Dazu hatte er kein Recht. Er wollte sie doch beschützen, wollte, dass sie lebte, dass sie glücklich war… Nicht Ran… Er verwirkte seine Seele, wenn er hier unterschrieb… das war ein Pakt mit dem Teufel, bei dem er nur verlieren konnte… Aber wenn er sich weigerte… hatte er ihren Tod auf dem Gewissen! Dann war er nicht weniger ein Mörder… Der Mann vor ihm räusperte sich, riss Shinichi aus seiner Lethargie. „Du auch, ganz davon abgesehen. Du wirst natürlich dann auch sterben. Der Boss hat unmissverständliche Anweisung gegeben.“ Shinichi starrte ihn an, aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe gewichten. Er atmete hörbar aus, keuchte. Sein Mund war leicht geöffnet, seine Augen starr. Langsam hob er den Blick, schaute dem Mann ins Gesicht. „Warum…?“ „Warum er das tut, willst du wissen?“ Die Miene des Triumviratsmitglieds wurde ernst. „Das tut nichts zur Sache. Wahrscheinlich erfährst du es früher, als dir lieb ist.“ Shinichi schluckte. Egal, wer der Boss war… dieser Mann kannte ihn offenbar. Besser… besser, als er je geahnt hatte. Besser, als ihm lieb sein konnte. „Aber…“ „Was aber? Denkst du, er meint das nicht ernst?“ Nun war Rum es, das amerikanische Mitglied des Triumvirats, des Rats der Drei, der sich eingeschaltet hatte, schaute ihm kalt lächelnd in die Augen. Seine Stimme war unglaublich tief und klang sehr sonor, passte zu seinem Aussehen, seinen breiten Schultern, der dunklen Haut, den dichten, schwarzen Haaren. „Er kennt dein Potential, er kennt deine Schwäche, und er ist bereit, beides auszunutzen, egal ob zu deinem Vor- oder Nachteil, genauso wie wir. Also, wenn dir was daran liegt, dass deine Freundin noch etwas älter wird als zarte achtzehn Lenze, dann solltest du eigentlich nicht lange nachdenken müssen. Es sei denn, du willst sie mit dir in den Tod reißen.“ Shinichi sah aus, als hätte man ihm mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Er war bleich geworden, kreidebleich, seine Augen weit aufgerissen, sein Mund leicht geöffnet. „Nein!“ Er schluckte, merkte, dass sein Hals wie ausgetrocknet war. „Nun denn… dann hast du dich nun entschieden, Kudô? Beziehungsweise- hast du nun erkannt, dass du keine Wahl hast…?“ In Shinichis Gesicht stand Verzweiflung. Ihm war nicht angenehm, bei dem Gedanken, dass sie alle ihn jetzt so schwach sahen, aber er fühlte sich so hilflos in diesem Moment. „Warum bringt er mich nicht einfach um? Wenn er mich doch ach so genau kennt, dann wird er doch wissen, dass ich keinen Menschen töten kann! Ich bin nicht zum Killer gemacht…“ Er starrte auf den Boden, seine Stimme war immer leiser geworden. „Bringt mich doch einfach um und lasst Ran aus dem Spiel…“ Seine Worte verloren sich. „Er will deinen Tod aber nicht. Nur wenn es nicht anders geht, mon chèr.“ Cachaça schaute ihn nicht an, als er sprach. Er verschränkte seine Arme vor der Brust, schaute nachdenklich auf die Tischplatte. Gin räusperte sich, starrte ihren Gefangenen nachdenklich an. Er will vermeiden, ihm oder ihr etwas anzutun, und er will um jeden Preis, dass er hier einsteigt. Warum? Kudôs Einwand ist da… so ungern ich ihm Recht gebe… nicht von der Hand zu weisen. Er ist kein Mörder. Er hat uns all die Jahre zum Narren gehalten, unsere Pläne gestört, wenn er konnte, er ist Detektiv... Warum will er ihn als Mitglied, wo er wohl keinen anderen mehr finden wird, der sich ihm mit mehr Entschlossenheit entgegenstellt, nach Akais Tod… Er schwieg, denn er wusste, seine Meinung war nicht gefragt… allerdings konnte ihm das auch prinzipiell egal sein. Er würde beobachten, und handeln, wenn es ihm für angebracht schien. Cachaça fuhr sich durch seine blonden Locken, räusperte sich vernehmlich, dann wandte er sich Shinichi zu. „Ich warne dich. Nur weil der Boss etwas nicht will, heißt das nicht, dass er es nicht tut, wenn es nötig ist. Er tut, was er tun muss, stets. Toujours, mon fils.“ Jedes seiner Worte traf ins Schwarze. Er tut, was er tun muss, stets. Shinichi fing unwillkürlich an zu zittern. Er wollte sich dieses Zeichen von Schwäche nicht anmerken lassen, biss die Zähne zusammen, krallte seine Finger um die Sitzfläche des Stuhls, auf dem er saß. Absinth räusperte sich ungeduldig. „Also entweder sagst du jetzt ja, und ich richte im aus, dass er sich einen neuen Namen für dich ausdenken muss, oder ich sage ihm, dass dein Mädchen so gut wie tot ist, weil ich höchstpersönlich dafür sorge, dass sie vor dir das Zeitliche segnet. Also…?“ Seine Stimme klang ungeduldig; er begann, mit seinen Fingern auf seinen Arm zu klopfen. Shinichi schluckte, kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren. „Aber ich bin kein Mörder!“ „Doch, das bist du. Egal, was du tust… denn wenn du bei einem Nein bleibst, dann bist du ihrer… ihr todbringender Engel. Ich denke, zu der Erkenntnis bist du aber selber auch schon gelangt.“ Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. Shinichi beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn, vergrub seine Finger in seinen Haaren, sagte nichts, presste die Lippen aufeinander. „Du weißt jetzt, was passiert, wenn deine Antwort zu seinem Missfallen ausfällt, Detektiv…“ Shinichi starrte auf die Tischplatte, weißer Kunststoff, makellos. „Eigentlich solltest du nicht mehr überlegen müssen. Das Töten kann man lernen, weißt du… aber jemanden von den Toten auferwecken war noch nie erfolgreich…“ Beaujolais schaute ihn süßlich lächelnd an, streckte die Hand aus, strich mit einem Finger an seiner Schläfe seine Wange entlang. Als er seinen Kopf unwillig abwandte, griff sie nach seinem Kinn, ließ ihn allerdings wieder los, als sie Absinths warnenden Blick bemerkte. Der knallte seine Hand auf die Tischplatte, zog damit die Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners wieder auf sich. „Wirst du nun ein Mitglied- oder willst du dein Leben und das deiner Freundin auf ewig verwirken?“ Er stöhnte auf. „Ich…“ „Ja...?“ „Ja…“ Er klang unendlich müde. In ihm ging in diesem Moment etwas kaputt. Er wusste, er wollte nicht. Und er hoffte, er konnte ihnen etwas vorspielen. Aber ihm war klar, dass man ihn nicht allein lassen würde - und ihm graute vor den Dingen, zu denen sie ihn eventuell zwingen würden. Er wusste nicht, ob er ihnen diesmal entkam. Aber er musste es tun. Für Ran. Auch wenn er damit sein Leben und seine Seele irreparabel zerstören könnte. Auf den Lippen Absinths breitete sich ein Lächeln aus, als er in die Kamera blickte. Langsam lehnte er sich in seinen Sessel zurück, starrte auf den Monitor, atmete stockend aus - sah zu, wie sie ihn wieder abführten. Er würde nun nicht mehr in seine Zelle gebracht werden, sondern in ein Zimmer. Einsperren würde man ihn nichtsdestotrotz, ihm war noch nicht zu trauen. Er sah sie an, die Gestalt dieses jungen Mannes… ein Bild eines gebrochenen Menschen. Die Hoffnungslosigkeit in Person. Es tut mir Leid. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)