Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 12: Der Baron der Nacht ------------------------------- Hallo liebe Leserinnen und Leser! Ich hoffe, ihr hattet einen fleißigen Osterhasen! Nachdem heute ja noch Ostermontag ist, bin ich auch noch nicht zu spät, euch frohe Ostern zu wünschen ;D Nun, heute kommt Teil zwei des etwas geplatzten ersten Coups von Armagnac- ihr werdet sehen, was daraus geworden ist... aber der Abend ist immer noch jung, fürchte ich ^.~ Und für Armagnac noch nicht zu Ende, aber dazu dann im nächsten Kapitel mehr. ^.~ In diesem Sinne wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen! Liebe Grüße, Eure Leira :D ___________________________________________________________________ Kapitel 12: Der Baron der Nacht Shinichi hetzte die Treppe hinunter, stieß die Tür auf und machte als erstes das Licht aus, versuchte, nicht zu laut zu atmen. Ai fuhr erschrocken auf, schnappte unwillkürlich nach Luft, als es auf einmal finster wurde und sie sich von zwei Armen gepackt fühlte, kam aber nicht dazu, weiter zu schreien, weil sich eine Hand auf ihren Mund presste. Shinichi schluckte, versuchte, nicht die Nerven zu verlieren. Er wagte nicht, sie loszulassen, sie war panisch, ihr kleiner Körper angespannt; er wusste nicht, wie sie reagiert hätte, hätte er sie auf den Boden gesetzt. Er hatte keine Zeit, sich zu erklären, und ohne Erklärung, hätte sie jetzt, in dieser Situation sicher die falschen Schlüsse gezogen und wäre weggelaufen- unter Umständen genau in Gins Arme. Deshalb griff er ein wenig fester, als sie zu strampeln anfing, versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Shinichi holte Luft, dann schaltete er den Computer aus. Am besten sah es so aus, als ob gar keiner daheim gewesen wäre. Mit etwas Glück würde Gin den Rechner nicht anfassen und dessen Wärme fühlen. Sie zwickte ihn in den Arm, woraufhin er sie fast los ließ. „Hör auf damit, Haibara!“, zischte er in ihr Ohr, als sie ihm zu entgleiten drohte, während er zur Tür schlich und angestrengt die Treppe hinauf spähte, in die Dunkelheit lauschte. Er hörte nichts. Wenn Gin schon im Haus war, war er wirklich außerordentlich leise. Ai riss die Augen auf, als sie erkannte, wer sie festhielt. Sie hörte auf, sich zu wehren, ihr Körper erschlaffte, stattdessen krallte sie ihre kleinen Hände in seinen Arm. Kudô! Panik ergriff sie. Sie wusste nicht, ob sie ihm jetzt trauen durfte oder nicht. Du bist jetzt Armagnac… oder? Was tust du hier, Kudô… Sollst du mich entführen, um Ran zu retten? Sind wir schon so weit…? Ai schluckte, presste dann die Augen zusammen. Das wollte sie einfach nicht glauben. Dass er sie entführte, in die Organisation zurückbrachte, sie Gin… zum Fraße vorwarf, das konnte sie nicht glauben. Shinichi Kudô war doch nicht so. Er gab nicht so einfach ein Leben für ein anderes, außer es handelte sich um sein eigenes… Auf keinen Fall aber war er ein Verräter…! Er würde sie doch nie ausliefern… er hatte doch versprochen, ihr immer zu helfen. Nie würde Kudô sowas tun. Nein… doch nicht er… oder? Die Gedanken des rotblonden Mädchens drehten sich im Kreis, sie bekam kaum mit, wie er sie ein Stück die Treppe hinauftrug, bekam nicht mit, wie angespannt er selber war, wie vorsichtig, keinen Laut zu produzieren, sonst… hätte sie wohl längst erkannt, um was es hier ging. Um ihr Leben. Stattdessen dachte sie an ihn; und an jemanden anderen. An Ran. Sie wusste ja, weshalb er überhaupt eingetreten war, in dieses Syndikat, das ihre Schwester auf dem Gewissen hatte. Wegen Ran. Shinichi liebte sie. Mehr als sich selbst. Mehr, als wahrscheinlich irgendjemanden anderen auf dieser Welt. Wenn er also die Wahl hatte, zwischen ihnen beiden, zwischen ihr und Ran… wen würde er wählen? Shinichi… würdest du mich für sie opfern…? Wie weit würdest du für sie gehen… wie weit… wie weit? Liebst du sie genug, um das zu tun? Shinichi… … Armagnac…? Shinichi hielt inne, blieb wie erstarrt auf der Treppenstufe stehen, als er hörte, wie die Haustüre aufgemacht wurde, kniff die Augen zusammen, versuchte, seine Angst zurückzudrängen und sich zu konzentrieren. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Gin lächelte, als er endlich das Haus betrat, sah sich ohne Hast um. Hier also lebte sie… die kleine Sherry. Bei diesem alten Mann, wer hätte das gedacht. Es war leicht, das herauszufinden, nachdem er erst einmal ihre Schule gefunden hatte; was wiederum einfach gewesen war, allzu viele rotblonde Grundschülerinnen gab es nicht, sie stach auf den Fotos auf den Websites der Schulen sofort ins Auge. Ai Haibara. Welch sinniger Name. Sein Lächeln wurde langsam breiter. Ein Anruf im Hauptquartier bei den blassen, schlaksigen und fahrigen Gestalten, die sich die Organisation als Computerspezialisten hielt – und einen Hack-Versuch später hatte er, was er wollte. Die Adresse von Ai Haibara, frisch aus dem Datenfundus der Teitan-Grundschule. Langsam schritt er den Flur entlang, die Hände in den Taschen vergraben, blickte um sich. Es war alles dunkel. Wahrscheinlich lag sie schon im Bett und schlummerte… Kleine Kinder brauchten ja bekanntlich viel Schlaf. Er hörte, wie er näher kam. Shinichi drückte sie fest an sich, hielt ihr den Mund zu, presste sich gegen die Wand der Kellertreppe, als ob er mit ihr verschmelzen wolle, in sie hinein sinken und unsichtbar werden für jeden, der an ihm vorbei ging - er hatte die Augen geschlossen, betete lautlos zu jedem Gott, den er kannte, dass Gin zuerst nach oben ging. Nach oben. Die Treppe hinauf, hinauf, bitte… Nur nicht in den Keller. Langsam öffnete er die Augen wieder, horchte in die Dunkelheit, versuchte, das rauschende Geräusch seines eigenen Blutes in den Ohren zu überhören, hielt den Atem an. Er hörte ihn immer noch, hörte diesen Atem, heiß… ein schwarzer Panther auf der Jagd, bereit zum Sprung, bereit, seine Beute zu schlagen, zu töten… Ai hielt jetzt völlig still. Entweder, weil sie die Gefahr der Situation verstand, oder weil sie ganz einfach gelähmt war vor Angst. Dann hörte er Schritte eine Treppe hinaufsteigen, langsam, leise, aber doch deutlich, verkniff sich ein erleichtertes Aufatmen, schlich sich die letzten Stufen nach oben, das kleine Mädchen immer noch fest an sich gedrückt, huschte lautlos an der Treppe vorbei, den Gang entlang, machte leise die Haustür nach auf und wieder zu und tauchte ein, in die Nacht. Kurz blieb er stehen, genoss die Kühle dieser finsteren Tageszeit, merkte jetzt erst, wie heiß ihm geworden war, schluckte, sortierte sich. Ai hing in seinem Arm, starrte in die Nacht, konnte kaum glauben, was hier passierte. Sie war draußen. Gin war drinnen. Er war nicht gekommen, um sie auszuliefern… Wie hatte sie… Wie hatte sie den Gedanken eigentlich fassen können… Eine Bewegung seinerseits riss sie wieder aus ihren Gedanken. Er drückte sich an die Hausmauer und huschte an ihr gepresst entlang bis zu dem Punkt, wo er unter die Hecken tauchen konnte. Erstaunlich lautlos verschwand er im Dickicht, atmete einmal fast wimmernd aus, als die Anspannung ein wenig wich. Ai blinzelte, schluckte. Der Gedanke, was er gerade durchmachen musste, fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Und sie schämte sich, weil sie gezweifelt hatte, was er vorhatte… weil sie ihm fast unterstellt hätte, für Ran mit ihrem Leben zu bezahlen. Sie kam sich mies vor. Er durchlebte die wahre Hölle und sie… sie dachte nur an sich. Du kamst, um mich zu retten… Sie zitterte, als sie daran dachte, was er für sie aufs Spiel setzte, wen… er für sie aufs Spiel setzte, wurde dann aber aus ihren Gedanken gerissen, als er sie anredete. „Ich lass jetzt deinen Mund los, weil ich meine Hand brauche. Ich denke, ich muss dir nicht sagen, dass du leise sein musst, Haibara?“ Ai nickte nur, ein Schauer rann ihr über den Rücken, als sie seine Stimme hörte. Shinichis Stimme. Dann nahm er seine Hand weg, und sie drehte den Kopf, so gut es ging, schaute ihn an. Er seinerseits beobachtete die Fenster, dann drückte er sich an der Mauer entlang, tastend, im Schutz der Hecke zum zweiten Gartentor des Professors – dem Gartentor, das auf das Grundstück seiner Eltern führte. Gottseidank war das nie verschlossen. Langsam öffnete er es, fiel fast hindurch, schloss es wieder und sah sich einer Gruppe Menschen gegenüber, die ihn alle anstarrten. Langsam ließ er Ai los, die zu Boden sank, immer noch zitternd, ihn nur ansah, zu keiner anderen Reaktion fähig. Sie wusste, was sie ihm zu verdanken hatte. Ihr Leben. Keuchend atmete er aus, merkte erst jetzt, dass er fast die ganze Zeit lang die Luft angehalten hatte. Anspannung fiel langsam von ihm ab, er merkte förmlich, wie sich seine verkrampften Muskeln lösten. Mit einer fahrigen Geste wischte er sich den Schweiß von der Stirn, blickte dann unsicher in die Runde der Menschen, die sich um sie herum versammelt hatten. Und wieder schaute er auf, diesmal allerdings, weil er am Boden saß, und alle anderen standen. Das war es jedoch nicht, was ihm diesen unglaublich bitteren Geschmack im Mund bescherte, sich wie ein Faustschlag in die Magengrube anfühlte. Er rappelte sich hoch, zog sich an den Stäben des Tores in die Höhe, ließ sie nicht los, als er stand. Nein, das half nichts… Es waren die Ausdrücke auf ihren Gesichtern - oder besser, der Ausdruck auf ihren Gesichtern. Sie trugen alle den gleichen. Pures Entsetzen- Ungläubigkeit, Verwirrung in ihrer Reinstform. Shinichi schluckte, fragte sich, wie sie ihn so ansehen konnten… sie wussten es doch, wie konnten sie da noch so erstaunt sein. Das war nicht fair. Ihre entgeisterten Blicke brachten in hart an die Grenze dessen, was er ertragen konnte. Das war nicht richtig so, sie sollten ihn so nicht ansehen. Sie sollten ihn so nicht sehen müssen, überhaupt. Aber was heißt hier schon „richtig“? Dieses Leben läuft doch schon so lange so falsch… Er holte Luft, schaute kurz zu Boden, strich sich erneut einen Schweißtropfen von der Schläfe, versuchte, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann hörte er es. „Kudô!?“ Shinichis Kopf fuhr hoch und er blickte geradewegs Heiji ins Gesicht, der ihn mit Bestürzung, Unglauben… ja fast Abscheu… in den Augen anstarrte. Er wusste nicht, wie viel man ihm schon erzählt hatte, wie viel sie alle überhaupt wussten, aber ihn so zu sehen, in dieser Aufmachung, schwarz wie die Nacht… und in dieser Gesellschaft, musste für sie alle, aber für Heiji wohl besonders, der ihn doch auch immer irgendwie ein bisschen bewundert hatte, der sein Freund gewesen war und zwar nicht irgendein Freund… sondern ein wirklich guter und loyaler Freund… absolut schrecklich sein. Und im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich. „Kudô? Biste… biste das wirklich…?“ Seine Stimme war kaum zu hören, klang unsicher. Fragend. Fassungslos. Ja, das beschrieb wohl recht gut, was Heiji wohl gerade empfand. „Ich wollts nicht glauben, als sie‘s mir gerade erzählt haben…“ Shinichi blickte ihm geschlagen ins Gesicht. Er wusste nicht, ob er jetzt für eine derartige Diskussion die Kraft hatte. Ziemlich sicher war wohl, dass sie die Zeit dafür nicht hatten. Heiji starrte ihn an. Er wollte nicht wahrhaben, was er sah, wollte sich einreden, das das alles nicht stimmte, oder wenigstens einen guten Grund hatte. Nur kannte er diesen Grund nicht. Er wusste, es stimmte, man hatte es ihm gerade im Wohnzimmer erzählt, Shinichi war ein Mitglied… was er noch nicht wusste, war warum, gerade als er die Frage stellen wollte, war Sharon aufgetaucht. Shinichi sagte nichts, schwieg; er wusste nicht, was er hätte sagen können in diesen Minuten, wusste nicht, was Heiji dachte, als er seinem Freund in die Augen blickte, der zusehends immer verwirrter zu werden schien, erahnte mehr, als er es sah, wie Heiji unter seiner Bräune immer blasser wurde. Er, Shinichi Kudô, war tatsächlich ein Mitglied der Schwarzen Organisation. Man konnte fast zusehen, wie der Detektiv aus Osaka diese Erkenntnis nicht weiter leugnen konnte. Heiji atmete scharf aus - dann fing er an zu schreien. „Verdammt noch mal, was zur Hölle tust du da?! Bistde übergelaufen oder was, das kann doch nich' dein Ernst sein?! Das kann nich‘… Warum?!“ Shinichi zuckte zusammen, warf einen schnellen Blick zu Agasas Haus. Noch schien alles ruhig. Er wandte sich Heiji zu, der gerade Kogorôs Arm, der ihn beruhigen wollte, abwehrte. „WIE KONNTESTDE… WIE KOMMSTE AUF DIE IDEE...“ „Sei ein bisschen leiser, ich bitte dich…!“ Seine geraunten Worte schienen zu Heiji gar nicht vorzudringen. Man sah ihm an, wie aufgewühlt er war. Wie sehr ihn das mitnahm. „WAS ZUR HÖLLE MACHST DU HIER? Warum läufst du mit denen da rum? Wolltest du ans Gegengift kommen? So schlimm kann dieses Knirpsdasein doch nich‘ gewesen sein, dassde das tust…! Welchen Grund kannstde denn haben, dich auszuliefern und jetzt mit denen...“ Shinichi wurde langsam immer nervöser. „Mein Gott, Heiji sei still! Erstens siehst du ja, ich kam nicht, um hier irgendwem was anzutun, wir haben herausbekommen, was er vorhat, deshalb sind wir hier, um euch zu warnen! Das muss dir doch klar sein, du Idiot! Und jetzt hör um Himmels Willen auf zu brüllen wie ein Irrer, Gin ist da nämlich noch drin - er hört…“ Heiji starrte ihn an, schwieg tatsächlich. Dann trat er nach vorn, ehe Shinichi reagieren konnte, packte ihn am Kragen. „Schön, ja, danke, du hast uns gerettet – aber das geht auf Dauer doch nich' so, Kudô! Du weißt, dass das so nich' läuft bei denen, du kannst diese Organisation nicht unterwandern, das ist dir auch klar, nich' wahr? So blauäugig kannste gar nich sein! Also bitte, ich kann mir nich' vorstellen, dassde da nur drin bist, um uns zu beschützen - das geht auch anders, verdammt, du musst mitkommen, die Polizei… wieso, verdammt...“ „Willst du mir vorwerfen, ich wär da etwa FREIWILLIG?!“ Jetzt war Shinichi es, der laut geworden war. „Ich weiß es nich‘, sag du’s mir!“ Heijis Stimme klang bitter. Shinichi blickte ihn traurig an, dann griff er nach Heijis Händen, versuchte, seine Finger aufzubiegen. „Na, wenns so einfach ginge, wär ich doch nicht hier… wenn ich eine Chance hätte, mit dem FBI, oder wem auch immer…“ „Aber warum sollt’s nich‘ so gehen? Du hast doch bis jetzt mit der Methode immer Erfolg gehabt, oder nich'?!“ Seine Stimme war wieder lauter geworden, sein Griff fester. Gleichzeitig starrte er ihn verständnislos an, offensichtlich wurde ihm langsam klar, dass hier etwas falsch gelaufen war. Ihm war doch klar, dass Shinichi das nie freiwillig täte, aber ihm fehlten noch die letzten Teile, um es wirklich gänzlich zu verstehen. Shinichi starrte ihn an, als ihm eines klar wurde. Heiji wusste, dass er bei der Organisation eingestiegen war- aber nicht warum. Er kannte die Gründe nicht, sonst würde er kaum so reagieren. „Lass mich los, bitte… lass dir doch erklären… du hast keine Ahnung, Heiji...!“ Der Detektiv aus Osaka hörte ihn gar nicht. „Welchen Grund kannste denn haben? Sag mir, was verdammt is der Grund, dass ausgerechnet du dich denen anschließt?! Dir von ihnen einen Namen geben lässt?“ Heijis Worte klangen nach in seinen Ohren. Shinichi schluckte, wandte den Kopf ab, ließ die Hände sinken. „Warum fängste diesen Mist an, du musst dir doch im Klaren sein, was mit dir da drin passiert, verdammt! Das Spiel kannste nich' gewinnen, du wirst sie auf Dauer nich' täuschen können...“ Die anderen standen stumm daneben, die Szene spielte sich wie ein Theater auf einer Bühne vor ihnen ab; sie schienen unfähig, einzugreifen, und aufzuklären, jeder für sich erstarrt für den Moment. „Lass. Mich. Los.“ Shinichi wand sich nun doch im Griff seines Freundes; sie mussten hier weg. Und noch wichtiger; Heiji musste endlich ruhig werden… sonst wurde Gin am Ende doch noch auf sie aufmerksam. „Nein.“ „Heiji, bitte. Lass mich los jetzt, ich hab keine Zeit, dir-…“ „Vergiss es! Du kommst jetzt mit und wir werden -…“ „Heiji, lass LOS!“ Shinichi fuhr ihn an, stieß mit beiden Händen gegen seine Brust. Der Schlag ließ den Detektiv aus Osaka taumeln, er wich zurück, blickte ihn erschrocken an. Shinichi stand ihm gegenüber, atmete heftig, versuchte, sich wieder zu fassen. Heiji schüttelte benommen den Kopf. „Was is los mit dir… du kannst das nicht wollen… du warst doch nich‘ so, du… Du wirst bei denen Verbrechen begehen müssen, Kudô, die werden dich zum Töten bringen, wenn du weiterleben willst, warum tustde dir das an? Warum kommste nicht einfach mit, die Gelegenheit is günstig, besser kanns gar nicht kommen…“ Shinichis Mimik verzog sich, wandte den Blick ab. An die Optionen, die Heiji ihm aufzählte, wollte er nicht denken; es kam ohnehin keine in Frage, so verlockend das auch war… er konnte nicht. Es ging um Ran. „Ich kann nicht.“ Seine Stimme klang gepresst. Der junge Detektiv schluckte. Was hier passierte, wollte ihm nicht in den Kopf- sein Freund, sein Detektivkollege Shinichi Kudô, der Mensch mit den höchsten moralischen Standards, den er kannte, war übergelaufen…? Wollte… wollte ein Mörder werden? Shinichi beugte sich nach vorne, sein Tonfall war leise, als er sprach. Zögernd legte er seinem Freund, der ihn geschlagen und verständnislos ins Gesicht starrte, die Hand auf die Schulter, schaute ihn traurig an. „Heiji, lass… lass gut sein. Am besten vergisst du mich. Du kannst mir nicht helfen, und wenn du mich siehst, dann geh mir zukünftig aus dem Weg… du… du kennst sie doch. Bring… bring dich in Sicherheit. Du hast keine Ahnung, offensichtlich, was passiert ist, am besten lässt du dich aufklären, ich kann das hier und heute nicht tun, wir sollten gar nicht hier sein...“ Er schluckte, starrte Sharon an. „Du kennst die Gründe nicht, sonst würdest du nicht glauben, dass ich hier freiwillig bin, oder diese Klamotten hier aus Überzeugung trage. Nur ist es so… es zählt nicht mehr, was ich noch will. Ich mache… was andere wollen. Weil es… weil es nötig ist. In gewisser Weise… hab ich mich wohl wirklich kaufen lassen…“ Seine Stimme klang bitter. Ein zynisches, aber doch auch trauriges Lächeln war auf seinen Lippen erschienen. Auf seine Weise sah er verzweifelt aus, auch wenn er versuchte, es zu unterdrücken. „Es interessiert keinen mehr, was ich noch will. Ich bin wieder ich- aber ich war nie weniger ich selber als jetzt…“ „Aber du…!“ Shinichi schnitt ihm mit einem ruckartigen Kopfschütteln das Wort ab. „Was war, zählt nicht mehr. Ich bin… keiner mehr von euch.“ Er schluckte hart. „Es… es tut mir Leid, Heiji. Pass… pass bitte auf dich auf.“ Sharon trat aus der Masse heraus. „Komm schon, wir müssen gehen, bevor er herausfindet, dass die Vögel ausgeflogen sind. Wenn er mitkriegt, dass wir…“ „Du brauchst mir nicht erklären, was dann los ist.“ Seine Stimme, wenn auch kaum hörbar, weil er so unglaublich leise sprach, klang bissig. Der Schreck saß ihm noch tief in den Knochen, und dem bekümmerten Blick Agasas nach zu deuten, sah man ihm ihn auch an. „Ihr solltet verschwinden. So weit weg, wie’s geht. Und kehrt am Besten nicht zurück, denn er wird heute nicht das letzte Mal dagewesen sein.“ Mehr sagte er nicht, dann drehte er sich um, folgte ihr, raus auf die Straße, wurde bald verschluckt von der Schwärze der Nacht. „Er hat Recht.“ Black rührte sich nicht von der Stelle, schaute ihm nur hinterher. Dann wandte er den Kopf, blickte zu Môri, der wie vom Donner gerührt hinter ihn trat, und dem jungen Mann in Schwarz hinterher blickte. Sie alle standen da, wie zu Salzsäulen erstarrt, konnten kaum fassen, was gerade passiert war. Das erste Zusammentreffen mit Armagnac… mit Shinichi Kudô… hatte sie alle mehr mitgenommen, als sie geahnt hatten. Meguré war bleich, zerknüllte seinen Hut, starrte auf den Boden, während Sato und Takagi sich nun langsam wieder fingen und begannen, sich um Ai zu kümmern, die wie in Trance auf dem Boden saß, offensichtlich unter Schock stand. Der Professor stand neben ihnen, blickte immer noch in die Richtung, in der Shinichi und Sharon verschwunden waren, in seinen Augen endloser Gram, in seinem Kopf hundert Fragen, von denen eine alle anderen in den Schatten stellte… Was wird Ran sagen… wie sollen wir es ihr nur erklären… Heiji fuhr herum. „Warum tut er das? Warum will er… warum will er ein Mörder werden!?“ Seine Stimme klang aufgebracht. „Verdammt nochmal, warum tut er das?!?!“ Er schrie fast, hatte sich nur mit Mühe unter Kontrolle. „Weil man ihm angedroht hat, Ran zu töten, und ihn auch, wenn er nicht gehorcht.“ Môris Stimme klang klar und sachlich. Er schien sich erstaunlich gut im Griff zu haben. „Sie werden sie umbringen, beide, so gut können wir sie gar nicht beschützen, als dass es ihnen nicht doch früher oder später gelingen könnte, da brauchen wir uns nichts vormachen. Sie kennen Ran, sie wissen, was sie ihm bedeutet und sie werden sie finden, wenn es denn sein muss - und ihn haben sie sowieso. Und weil… weil das… das allerletzte ist, was er will… wird er tun, was immer man von ihm verlangt. Wie er schon gesagt hat - was er will zählt nicht mehr. Shinichi Kudô, wie wir ihn kannten, ist dabei, zu sterben.“ Heiji ächzte, hielt sich die Hand vor den Mund, drehte sich um. Ihm wurde langsam schlecht. Kudô… Jodie schluckte, half dann Ai auf, die ebenfalls in die Richtung blickte, in der das ungleiche Paar verschwunden war, obwohl Shinichi schon längst nicht mehr zu sehen war. „Wir müssen weg. Er hat absolut Recht, Gin ist noch da drin. We have to leave immediately.“ „Aber warum nehmen wir ihn nicht fest?“ Môri starrte auf das Haus. „Warum nehmen wir diesen Mistkerl da drin nicht fest?!“ Akai wandte sich langsam um, schaute ihn kühl an. „Weil, wenn Gin nicht zurückkehrt heute Abend, jeder in der Organisation weiß, wer das zu verantworten hat, nachdem sie eigentlich zusammen unterwegs sein sollten. Wir hätten Shinichi dann auch gleich hier selber erschießen können, und ihre Tochter auch.“ James Black nickte langsam. „Allerdings, wir sollten jetzt wirklich gehen. Der Zeitpunkt, an dem wir ihn kriegen, wird noch kommen; aber jetzt ist er noch nicht da. Definitiv nicht. Wir sind Kudô das schuldig.“ Damit ging er, wandte sich dem Haus der Kudôs zu und marschierte langsam über den Rasen. Shinichi war müde und ziemlich erschöpft, als sie durch die Straßen zurück zum Auto gingen. Sein Kopf war gesenkt, sein Schritt schleppend und langsam. Ihn schien buchstäblich nichts mehr zu halten, es schien fast, als würde er sich eigentlich nur allzu gern der Schwerkraft beugen und sich einfach hinfallen lassen wollen. Was ihn dazu bewog, sich doch noch weiterzukämpfen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, war ihr schleierhaft. Sharon seufzte, schaute ihn an. Man sah ihm nur allzu deutlich an, wie sehr ihn die Hetzjagd gerade mitgenommen hatte, das Treffen mit den anderen, die nun seine Feinde waren, irgendwie. Vielleicht nicht gerade seine Feinde… aber sie gehörten nicht mehr einem Kreis an. You’re out. Es hatte angefangen, zu regnen; eine Art Platzregen aus heiterem Himmel, der die kühle Herbstnacht noch ungemütlicher machte, als sie ohnehin schon war. Binnen Sekunden waren sie bis auf die Haut nass; sie fluchte leise und ungeniert, aber es schien ihn nicht zu stören. Sie wusste nicht, ob er es überhaupt registrierte. Er schien leise für sich immer wieder den Menschen zu verfluchen, der ihn zu diesem Dasein verdammt hatte. Den Boss. Sie beschleunigte den Schritt nicht, obwohl sei gerne schneller ins Trockene gekommen wäre, aber er machte nicht den Eindruck, als würde er mit ihr mithalten. So passte sie sich seinem Schritt an, als sie in die Einkaufsstraße einbogen, in der ihr Auto geparkt war. Langsam schritten sie vorbei an den Schaufenstern, in denen selbst um diese Uhrzeit noch Licht brannte; sie stutzte, als sie merkte, dass er nicht mehr neben ihr ging. Sie drehte sich um, sah ihn schwach erleuchtet vor einer Buchhandlung stehen, und fragte sich, warum um alles in der Welt er sich nun Bücher anschauen musste. Ein wenig angenervt trat sie näher und erkannte, was ihn so in seinen Bann schlug. Der Baron der Nacht. Shinichi schluckte, starrte durch sein Spiegelbild auf der Scheibe hindurch auf die Auslage, wo sich alle Ausgaben der Romanserie stapelten. Die Bücher, die sein Vater schrieb. Daneben ein DIN A4 großes Foto von ihm selber, Yusaku Kudô. Regen troff ihn aus den Kleidern, als er sich unwillig eine nasse Strähne aus der Stirn strich. „Sie kündigen eine Signierstunde an.“, murmelte er leise, blickte auf eine große Tafel, auf der dieser Event beworben wurde. „Anscheinend sind sie wohl in der Stadt…? Davon wusste ich gar nichts.“ Er schaute sie nicht an. „Wohl um sein neues Buch zu promoten.“ Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle, als er sich langsam zu ihr umdrehte. „Ich frage mich, warum er, als detektivisch engagierter Mann… als jemand, der zur Auflösung von mehreren Verbrechen beigetragen hat, mal Helfer der Polizei war… sein Geld ausgerechnet mit Büchern über einen Serienmörder verdient.“ Ein nachdenklicher Ausdruck war auf seinem Gesicht erschienen. „Ich habe mir da nie Gedanken darüber gemacht, aber jetzt scheint es mir seltsam. Er schreibt über einen Mörder, den Baron der Nacht… ein Mythos, schwarz gekleidet, keiner kennt sein wahres Gesicht. Keiner kennt seinen Namen, niemand weiß, wer er ist… es ist fast wie bei euch. Uns.“ Er verzog gequält das Gesicht, Ekel stand in seinen Augen, dann glättete sich seine Mimik wieder, machte einer seltsamen Ausdruckslosigkeit Platz, die sie bei ihm nicht kannte. „Im Prinzip bist du, zusammen mit dem Triumvirat auch die einzige Person, die um seine Identität weiß. Der Boss ist auch ein Baron der Nacht… er könnte glatt sein Vorbild sein.“ Shinichi lachte freudlos, dann machte er einen Schritt weg vom Geschäft, drehte sich noch einmal um. „Er hat mir nie gesagt, was ihn daran so fasziniert. Aber wer weiß, vielleicht kann er bald Bücher über einen anderen Verbrecher schreiben.“ Er schluckte, Bitterkeit stieg in ihm hoch. „Über seinen Sohn… über Armagnac… ein neuer Baron der Nacht...“ Damit drehte er sich um ging langsam voran. Wasser tropfte ihm aus den Haaren, von der Nasenspitze, vom Kinn, seine Lippen waren verkniffen, seine Augen ernst, und doch leer. Sharon starrte ihn nur an, beeilte sich dann, um mit ihm Schritt zu halten. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der nur schwer zu deuten war, und sie war froh, dass er ihn nicht sah. Diese Nacht hatte es in der Tat in sich gehabt; sie streifte ihn mit einem kurzen Blick, kam nicht umhin, sie zu bemerken, die ersten Merkmale. Sie konnte es sehen, konnte die Zeichen deuten. Es begann bereits. Shinichi Kudô verschwand. Er verlor sich. So sehr er sich wehrte, was hier geschah, hatte auf ihn einen einschneidenden Einfluss, veränderte ihn. Es mochte sich pathetisch anhören, klischeehaft, albern, übertrieben, aber ihr Gedanke von heute Abend, ein paar Stunden zuvor, stimmte. Shinichi Kudô starb. Lass das nicht zu. Kämpf dagegen an. Gib dich nicht auf… Wenn du willst, dass das noch irgendwie ein gutes Ende nimmt, wenn du auch nur noch einen Funken Glauben besitzt, dass sich das Blatt noch wendet für dich, dann kämpfe! Gib nicht auf…! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)