Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 14: Phase 1 ------------------- Hallo, verehrte Leserinnen und Leser :) Ja, ich weiß, diese Woche bin ich etwas später dran. Ich hoffe aber, euch hiermit mitteilen zu können, in zwei, drei Wochen wieder in einen Wochenrhythmus zurückschwenken zu können, der gröbste Stress sollte hier dann bald wieder rum sein. Insofern wünsche ich euch jetzt gute Unterhaltung beim Herausfinden, welches Nachspiel dieser Abend für Shinichi hat und was das Triumvirat mit seinem Trumpf nun zu tun gedenkt. In diesem Sinne, viel Vergnügen beim Lesen, bis in zwei Wochen (richtet euch auf Mittwoch ein, Dienstag werd ich in zwei Wochen wohl nicht schaffen…) – Liebe Grüße, eure Leira :) _______________________________________________ Kapitel 14: Phase 1 Gin dachte nach. Tief zog er an seiner Zigarette, inhalierte den Rauch, blickte hinaus durch die Scheiben seines schwarzen Porsches, sah schwarze Schatten über den Boden kriechen, verursacht durch die flackernde Beleuchtung der Garage, ehe er ausstieg. Er hatte gerade das Hauptquartier erreicht, seinen Wagen, seinen heißgeliebten, schwarzglänzenden Porsche, in der Tiefgarage geparkt und war nun auf den Weg, um seinen Bericht zu erstatten, den Herren des Hauses, den stillen Herrschern, den Schatten des Bosses… dem Triumvirat. Gespenstisch hallten seine Schritte in den katakombenähnlichen Gewölben wieder, nur spärlich erhellten bläuliche Neonröhren das Gemäuer, das ursprünglich zu ganz anderen Zwecken gebaut worden war. Ihm machte die Grabesstimmung hier unten nichts aus, ganz im Gegenteil. Sie brachte ihn erst wirklich in Stimmung. Er würde jetzt das Todesurteil von jemand anderem vorbereiten, auch wenn das, ginge es nach ihm, ganz anders ablaufen würde. Anders, und vor allem schneller. Seine Lippen waren verkniffen, seine Augen zu Schlitzen verengt. Fakt war, er mochte weder diese drei Männer, noch den Boss so wirklich gerne. Er führte ihre Befehle aus, aber in letzter Zeit sank seine Motivation, irgendwie. Dieser Job hatte ihm auch schon mal mehr Spaß gemacht. Das Triumvirat war ihm zuwider, besonders Absinth verabscheute er inbrünstig. Es war offensichtlich, dass der Name eigentlich nur Show und keinesfalls Programm war, der elegante Japaner dominierte klar die beiden anderen Triumviratsmitglieder, auch wenn er sich große Mühe gab, nicht zu offensichtlich zu zeigen, wie sehr er Rum und Cachaça manipulierte; Absinth war ein arroganter Despot, zwar ein intelligenter, aber viel zu herablassender Diktator. Wobei er gegen Despotismus allein ja noch nichts einzuwenden hatte. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. Es war vielmehr die Art an Absinth, die er nicht leiden konnte… wie er seine Leute zu behandeln pflegte. Es war klar, wonach dieser Mann strebte; er fühlte sich zu Höherem berufen, er wollte herrschen. Er wollte Cognacs Platz. Ein schmales Lächeln schlich sich auf Gins Lippen. Gut. Wer will den nicht… Wahrscheinlich war er sogar geeignet für den Posten, er war autoritär, hatte seine Leute im Griff, nahm andere für sich ein, war überzeugend oder manipulativ oder beides; er trat sicher und selbstbewusst auf und erhielt sich ein Flair von Unnahbarkeit, ihn umgab eine Aura, die jeden, der ihm gegenüberstand, einschüchterte und gehorsam machte. Jeden. Bis auf den Cognac, ihn, Vermouth… und Kudô. Gins Stirn legte sich kurz in Falten, als er langsam weiterschritt; nach und nach kam die Tür in Sicht. Der Boss, ja… Cognac. Das Phantom, der Schatten - nicht greifbar, undurchschaubar, unberechenbar. Gin hätte lieber gewusst, wer vor ihm stand, das Gesicht gekannt, dem er Loyalität geschworen hatte, vor vielen Jahren, aber er hatte ihn nie gesehen, wie auch kein anderer; diese Geheimniskrämerei um seine Identität, und die Tatsache, dass Vermouth da viel mehr wusste als er, trugen nicht gerade zu seiner guten Laune bei. Irgendwie ahnte er, dass auch der Boss, dass Cognac nicht der war, der er vorgab zu sein. Auch er hatte sein Geheimnis, wie die meisten hier. Allein die Beharrlichkeit, die er an den Tag legte, bei Sachen, die Kudô betrafen… Irgendetwas war da. Und irgendwann… irgendwann würde der Tag gekommen sein. Irgendwann würde die Stunde der Wahrheit schlagen, und er würde heraustreten müssen, aus den Schatten, die ihn umgaben, ihn schützten, seine Identität verbargen. Vielleicht war dieser Tag gar nicht mehr fern. Nun, Tatsache war… er war ihnen allen gleich loyal - und sich selbst am treusten. Und wenn die Zeit gekommen war… dann würde sich zeigen, für welche Seite der Einsatz am meisten lohnte; welche Ziele zu verfolgen seine Mühen wert waren. Die des Bosses… Die des Triumvirats… … oder seine eigenen. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, blaugraue Rauchfahnen kräuselten sich aus seinen Mundwinkeln. Sherry. Ja… der Abend war durch und durch erfolglos gewesen, zumindest was sie betraf, und er war sich darüber im Klaren, dass diese Aktion Folgen haben würde; das FBI würde sie nicht weiter hier herumlaufen lassen, sie nicht mehr aus den Augen lassen, und damit war sie fürs erste mal wieder außerhalb seiner Reichweite - er musste sagen, das wurmte ihn schon anständig. Seine private Mission für den heutigen Abend war in der Hinsicht ein Fehlschlag gewesen. Eine Pleite, wie er sie selten zuvor erlebt hatte. Aber der Plan des Triumvirats war aufgegangen. Nur das zählte ja schließlich. Er stieß den Rauch aus, ein leises Knurren verließ seine Kehle. Dann nahm er die Zigarette aus seinem Mundwinkel, warf sie achtlos auf den steinernen Boden der Tiefgarage, sah sie als kleinen orangen Punkt in der Dunkelheit davon hüpfen. Er fragte sich, was das Triumvirat mit diesem Wissen nun anstellen würde. Vermouth und Armagnac, beides Verräter. Gut… vielleicht würde sie ihren Kopf nochmal aus der Schlinge ziehen können, ihren aalglatten Körper aus der Falle winden, diese Schlange, Sharon… Schließlich konnte sie behaupten, sie hätte vom Boss die Instruktion erhalten, ihn bei all seinen Aktionen zu begleiten, um eben Armagnacs Treue zu prüfen… er zweifelte nicht daran, dass genau das ihr Argument sein würde, und der Boss würde es stützen, wahrscheinlich, schließlich war sie ja Daddy’s little darling. Aber für ihn… für ihn gab es kein Entrinnen mehr. Kudô konnte nicht ungeschoren davonkommen, nach der Aktion heute Abend. Fast lautlos öffnete er die Tür zum Haupthaus und wanderte durch die Gänge des Hauptquartiers, ein schwarzer Schatten, sein Ziel genau vor Augen. Die Residenz des Triumvirats. Yusaku schaute nach draußen, nahm die Stimmen im Hintergrund nur gedämpft war. Ai war auf dem Sofa eingeschlafen; auch wenn sie eine fast erwachsene Frau war, ihr kindlicher Körper verlangte seinen Tribut, und so schlummerte sie auf den Kissen, eingemummelt in eine weiche, flauschige Decke und sah mehr aus wie ein Kind als je zuvor. Es nahm sie unglaublich mit, was gerade passierte, das war offensichtlich; die Gesichter der anderen verrieten ihm, dass man solches Verhalten von ihr nicht gewohnt war. Er wandte sich nicht um, als Yukiko, die bei dem Mädchen gesessen hatte, bis es eingeschlafen war, neben ihn trat. Er wusste, dass sie es war, er roch ihren Duft, Lilie, bevor er ihr Gesicht in der Spiegelung der Scheibe sah. Ihr Gesichtsausdruck war gesetzt, gefasst, aber er wusste, die Sorge zerfraß sie, höhlte sie innerlich aus, bis nichts anderes mehr übrig war, als dieses Gefühl von Machtlosigkeit und Unruhe. Sie alle hatten den schwarzen Porsche wegfahren sehen, wussten, sie waren jetzt in Sicherheit; aber keiner wusste, ob er es war. Shinichi. Yusaku seufzte, dann straffte er die Schultern. „Ich muss… mal raus. Den Kopf… freikriegen.“ „Aber…“ Yukiko schaute ihn erstaunt an, legte eine ihrer zarten Hände auf seine Schulter. „Aber…“ „Ich kann jetzt nicht hier drin bleiben, ich werd‘ hier wahnsinnig… bitte versteh das.“ Er hatte bis jetzt zu seinem Spiegelbild gesprochen; nun drehte er sich um, strich ihr kurz über ihr Haar, zupfte eine lockige Strähne hinter ihr Ohr, seufzte leise. „Warte nicht auf mich, ich nehm den Schlüssel mit. Ich muss nachdenken.“ Damit drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn, verließ das Zimmer. Yukiko schaute ihm hinterher, ein leises Seufzen schlich ihr über die Lippen, Sorge verdunkelte ihre Augen, schlich sich in ihre sonst so sanften Züge. Sie hatte eine Ahnung, was in ihm vorging. Er gab sich die Schuld. Yusaku, das glaubte sie, fühlte, dass er als Vater versagt hatte, dass es ihm nicht gelungen war, besser auf seinen Sohn aufzupassen oder ihm jetzt zu helfen. Mit diesem Wissen zu leben, fiel ihm unsagbar schwer, das wusste sie; ihr Mann war ein Macher, er war nie jemand gewesen, der sich in die Ecke setzte und die Hände im Schoß faltete, Däumchen drehte und abwartete. Jetzt so machtlos zu sein, machte diese Situation für ihn nur umso schlimmer. Shinichi war schließlich sein Sohn… auch wenn er eigentlich fast erwachsen war, Shinichi würde immer ihr Sohn bleiben. Sie wusste, Yusaku würde für Shinichi alles tun, genauso wie sie. Nur war alles in diesem Fall noch bei weitem nicht genug. Im Zimmer war schlagartig Stille eingetreten, als der Autor den Raum verlassen hatte. Nun hefteten sich die Augen aller auf Yukiko; die ehemalige Schauspielerin zuckte hilflos mit den Schultern, trat dann wieder näher, ließ sich neben Ai aufs Sofa sinken, strich ihr ein paar rotblonde Haare aus dem Gesicht. Sie war blass, ihre Lider zuckten selbst im Schlaf unruhig und hin und wieder entwich ihr ein leiser Seufzer. „Ich weiß nicht, wo er hin ist. Er muss nachdenken, mehr hat er nicht gesagt.“, beantwortete sie die unausgesprochene Frage, die im Raum hing, seit die Tür hinter ihrem Mann zugefallen war. Gin hatte mit seinen Bericht gerade geendet, zündete sich nun eine Zigarette an, wartete. Absinth stand vor ihm, hinter ihm saßen die beiden anderen Triumviratsmitglieder noch in ihren dick gepolsterten Ledersesseln - der Gesichtsausdruck allerdings war bei allen dreien der der Gleiche - unverhohlener Triumph. „Sehr schön…“ Absinth nickte sich gedankenverloren zu, griff nach einem silbernen, aufwändig gravierten Zigarrenetui, das auf dem polierten, runden Mahagonitisch lag, ließ es aufschnappen und wählte sich eine aus der darin befindlichen erlesenen Sammlung exquisit duftender Zigarren aus. „Wirklich sehr, sehr schön.“ Er nickte erneut, entfernte mit einem kleinen Knipser, der ebenfalls auf dem Tisch gelegen hatte, das eine Ende der Zigarre, bevor er sie sich in den Mundwinkel klemmte und sie langsam anzündete, gemächlich an ihr zog, bis das Ende zu glimmen anfing. Dann paffte er die ersten Züge, zelebrierte es fast; blaugrauer, schwer nach Tabak riechender Rauch begann die Luft des kleinen, geschmackvoll eingerichteten Salons zu schwängern. Gin fühlte sich jedes Mal wie in einem dieser englischen Herrenclubs hier drin, die man in manchen dieser alten Filme sah, für den besser verdienenden Mann von Welt; es war nicht sein Stil - aber er musste hier ja auch nicht sein Dasein fristen, also blendete er seine Umgebung in der Regel aus. „Und jetzt?“, fragte er ruhig. „Jetzt beginnt der Mord an Shinichi Kudô. Und weil er sich so vehement an sein erbärmliches Leben klammert, machen wir es diesmal besonders gründlich.“ Absinths Lippen umspielte ein kaltes Lächeln, ehe er die nächste Rauchwolke gekonnt in kleinen Kringeln ausstieß. „Nachdem wir ja wissen, wie loyal…“, er grinste hämisch, „er uns ist, dürfte Cognac nicht viel dagegen zu sagen haben. Vorerst muss er es auch gar nicht wissen, was wir vorhaben, ich fürchte fast, er würde uns den Spaß verderben.“ „D’accord, mon ami.“ Cachaça nippte an seinem Glas Sherry und nickte milde lächelnd. „Er könnte da wirklich etwas missvergnügt reagieren, unser Verehrtester. Aber jetzt sind wir am Zuge, je pense.“ Gin verdrehte unmerklich die Augen. Das geschwollene Gerede dieses Franzosen ging ihm gehörig auf den Zeiger. Allerdings hing er sich nur zu gern an diejenige befehlsgebende Instanz, die ihm gewährte, mit Kudô endlich kurzen Prozess zu machen – und das waren im Moment diese drei feinen Herren hier. „Und was schwebt Euer Durchlaucht nun vor?“, murrte er leise, in seiner Stimme ein Hauch von Ungeduld. Absinth lachte, dann wurde er ernst. „Pass ein wenig auf dein Mundwerk auf.“ Dann stieß er sich vom Tisch ab, an den er sich bis jetzt genüsslich seine Zigarre schmauchend gelehnt hatte; seine Gesichtszüge wurden hart, als er sprach. „Shinichi Kudô soll sterben. Und zwar auf alle Arten, auf die man einen Menschen heutzutage sein kleines, mickriges Leben entreißen kann. In diesem Sinne fangen wir damit an, seinen auf Hochglanz polierten Namen etwas zu beschmutzen, oder sollte ich sagen, wir ziehen ihn so gründlich durch den Dreck, dass man auf ewig nicht mehr lesen kann, wie er lautet. Dann finden wir heraus, wer dieses Mädchen ist, damit wir ihn mit ihr in der Hand haben; zu gegebenen Zeitpunkt bringen wir sie dann um. Und letzten Endes, als krönender Abschluss, wird er sterben. Und falls der Grund, den wir haben, nämlich sein netter Alleingang heut Abend, für Cognac noch nicht reicht, denke ich wird uns der kleine Ex-Schnüffler gern selbst einen wirklich hieb- und stichfesten liefern, ich denke, da fällt mir schon etwas ein…“ Absinth hob beide Hände, genoss seinen Auftritt sichtlich. „Aber zuerst ruinieren wir ihn gesellschaftlich, damit er in dem ruhigen Wissen abtreten kann, dass er als Geächteter stirbt, als Verbrecher, als Mörder… als Freund, Sohn, Detektiv, der sich gegen alles gewandt hat, an was er glaubte, und damit alle enttäuscht hat, die an ihn glaubten.“ Er lächelte dünn, in seinen Augen glomm der Funke des Triumphs. „Un ange baissé.“, flötete der Franzose. „Übertreibs nich.“, brummte mit tiefer Stimme Rum, meldete sich damit zum ersten und einzigen Mal in dieser Konferenz zu Wort. „Auf jeden Fall sollten wir das so gründlich machen, dass er darunter leidet… was optimalerweise heißt, dass man die Hexenjagd, die man auf ihn machen wird, auch auf seine Verwandten, Bekannten, Freunde ausweitet. Es muss etwas Großes sein, das wir ihm anlasten, und es spielt keine Rolle, ob er das Verbrechen auch begeht, beziehungsweise begangen hat… allzu gemein sollten wir ja nun auch nicht sein, wir wollen ihn ja nicht überfordern… das wird ihm sonst zu viel heute Nacht.“ Absinth lächelte mitleidig, hatte die Kommentare seiner Mitstreiter geflissentlich überhört. Auf Gins Lippen erschien nun ein Grinsen. „Ihr denkt an einen Mord?“ „Für den Ritter in strahlender Rüstung ist nur dieses Kapitalverbrechen würdig, um ihn vom Ross zu ziehen, nicht wahr?“ Absinth zog an seiner Zigarre, nickte. „Und zwar noch heute Nacht, wie gesagt, das muss jetzt schnell gehen. Nimm ihn mit, sorg dafür, dass man ihm einen Mord anhängt, und zwar so, dass man es morgen in der Zeitung lesen kann, hörst du? Ich denke, er wird freiwillig keinen begehen, aber für diesen Zweck ist es noch nicht nötig. Wir wollen das Ganze ja genießen, nicht wahr? Also brauchen wir noch nicht die ganz harten Geschütze aufzufahren. Es reicht, wenn man es ihm anlasten kann. Mehr muss heute nicht sein. Alles zu seiner Zeit, er soll ja darunter leiden, und das geht nicht so schön, wenn es zu schnell vorbei ist...“ Er seufzte. „Es ist mir egal, wie du’s anstellst, nur tu’s, bevor Cognac Wind von der Sache kriegt, denn ich fürchte, der wird all unsere schönen Gründe nicht gleich gelten lassen… er kann uns dafür nichts, wir sind abgesichert, nachdem, was er sich heute geleistet hat, aber es kann sein, dass er unseren Plan vereitelt, immerhin ist er noch der Boss.“ Ein missvergnügter Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Aber immerhin sind wir befugt, ihn zu bestrafen. Es wäre also geschickt, wenn du…“, er hob die Hand, zeigte mit einem Finger nach oben und zählte auf, „es erstens: schnell, zweitens: diskret und drittens…“, er lächelte, „bombensicher machst. Da Cognac noch nichts von unserem verschobenen Deal heute Abend weiß, würde es sich anbieten…“ Sharon war gerade gegangen, hatte sich für den Abend verabschiedet, als die Tür erneut aufging. Shinichi fuhr hoch, als er sah, wer ihm die Ehre erwies, versuchte, sich im Griff zu haben, sich nicht anmerken zu lassen, dass er Blut und Wasser zu schwitzen begann. Je normaler er sich benahm, desto unverdächtiger würde er ihm erscheinen. Selbstdisziplin war alles, und so entspannte er sich langsam, schaute seinem Besucher ins Gesicht, gelassen, allerhöchstens milde erstaunt; wie man eben Besuch zu später Stunde anzublicken pflegt. In der Tür stand Gin. „Armagnac, guten Abend.“ Seine Stimme klang gleichgültig, aber Shinichi ahnte, dass das wohl nur Show war. Er brauchte sich nichts vormachen, sie wussten, beide, weswegen er hier war. Besorgt fragte er sich, ob er etwas gehört oder gesehen hatte… leider war diese Möglichkeit durchaus in Betracht zu ziehen. Sein Auftauchen hier war eigentlich fast ein Beweis, dass dem so war. Wenn er hatte aus dem Schlafzimmerfenster des Professors geblickt hatte, als Heiji wie ein Irrer losgebrüllt hatte - an und für sich eine leider nur allzu verständliche Reaktion… - dann war er hiermit offiziell geliefert. Shinichi versuchte, sich ein säuerliches Grinsen zu verkneifen, verdrängte den Gedanken, räusperte sich aufgeräumt und verschränkte die Arme vor der Brust. Zugeben würde er auf jeden Fall nichts. Er würde abwarten müssen, und so blieb er ruhig, tippte sich kurz an die Stirn, zum Gruß, senkte nicht den Blick. „Gin. Guten Abend.“ Es kam ihm seltsam vor, ihn so zu grüßen. Ihn, der ihm vor drei Jahren einen Stock von hinten über den Schädel gezogen hatte, ihn damit halb bewusstlos geschlagen hatte, um dann zu versuchen, ihn mit einem Gift zu töten. Und jetzt standen sie hier und machten Smalltalk unter Kollegen? Wohl kaum. Aber anmerken durfte man ihm nichts; und so gab er sich so… natürlich wie möglich unter diesen Umständen. „Was verschafft mir die Ehre deines späten Besuchs?“ Was zum Henker willst du von mir? Gin lächelte schmal, fischte seine Zigarettenpackung aus seiner Manteltasche, zog sich einen Glimmstängel heraus, zündete ihn in aller Ruhe an und ließ die Packung wieder in seine Tasche gleiten. „Ach. Nichts Besonderes… Ich wollte nur mal mit dir plaudern, Armagnac. Wir sind ja jetzt… Kollegen.“ Shinichi zog die Augenbrauen hoch, war auf der Hut. Ja, klar. Der blonde Mann trat näher, rauchte gemütlich seine Zigarette, füllte ungeniert das Zimmer mit blauen Rauchschwaden, ehe er wieder zu sprechen begann. „Tja… jetzt war dieser Abend für dich doch leider tatsächlich gänzlich ereignislos… wo es doch deine Premiere hätte sein sollen. Dein erster Auftrag im Dienste unserer geliebten, schwarzen Organisation. Das hätte doch viel… größer ausfallen müssen.“ Er lächelte breit. „Fulminanter.“ Gin schlenderte noch näher, stand jetzt direkt vor Shinichi. „Zu schade, ja. Wirklich… bedauerlich.“, presste Shinichi hervor, nahm erstaunt zur Kenntnis, dass Gin es unterließ, ihm den stinkenden Qualm seiner Zigarette ins Gesicht zu blasen; der Blonde wandte immer wieder scheinbar rücksichtsvoll den Kopf ab, als er den Rauch ausstieß. Shinichi schaute ihm immer noch unverwandt in die Augen, und auch Gin brach den Blickkontakt nicht, grinste stattdessen breit. Hut ab, Kudô… das traut sich nicht jeder. Aus dir wär wohl sicher ein gutes Organisationsmitglied geworden… ein sehr gutes, wage ich zu behaupten, denn du hast Mut ja… du bist loyal und intelligent… Nur leider bist du vollkommen verdorben für unsere Sache… Leider, leider ungeeignet… Gin zog erneut an seiner Zigarette, inhalierte tief; der Rauch entwich langsam aus seinem Mund, als er sprach. „Weißt du … ich hätte dir einen großen, ersten Auftritt gegönnt.“ Gin grinste breit, lachte leise. Shinichi schluckte, versuchte zu ignorieren, dass ihm ein Schweißtropfen über die Schläfe zu laufen begann. „Sehr nett von dir.“, murmelte Shinichi pragmatisch. „Ja, wirklich. Aber dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich nicht gewartet habe, bis ihr von eurem Rundgang zurückgekommen seid, heute…“ „Ist es.“ Gin drehte sich langsam um. „Ja, ich konnte dich leider nicht mitnehmen, und auch Sharon nicht. Ich hatte… noch eine andere Mission für heute Abend, weißt du.“ „Nein, weiß ich nicht.“ Shinichi warf ihm einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. Gin wandte sich wieder um, aschte ungeniert auf den Teppich, zog an seiner Zigarette, ehe er sprach. „Weißt du, dein eisernes Schweigen vor ein paar Tagen, als Absinth…“, Gin grinste breit, „… bemerken musste, das eins unserer probatesten Foltermittel an dir scheitert, war umsonst. Du hättest dir die Schmerzen sparen können. Ich hab auch so herausgefunden, wo meine liebe Sherry ist. Wir wissen, wer sie ist und wo sie wohnt. Ai Haibara.“ Shinichi zuckte kaum mit der Wimper. Das ist mir nicht neu. „Gratuliere.“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Oh, Danke. Ich denke auch, das ist besser so für uns alle, nicht wahr? Ich denke, du kannst leichter nachts schlafen, wo du ja weißt, dass du sie nicht verraten hast… nicht wahr? Sie glaubt an dich, vertraut dir blind, dieses Vertrauen würdest du nie missbrauchen, nicht wahr?“ Shinichi merkte, wie sein Magen sich aufreizend langsam umzudrehen begann und unterdrückte den Drang, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er durfte nicht nervös wirken. Zumindest nicht zu nervös. Er musste sich zusammenreißen. Er weiß es… „Nun, wie dem auch sei.“ Gin zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette. „Meine Mission für heute Abend… hatte zwar auch, aber nicht in erster Linie mit Sherry zu tun.“ „Tatsächlich.“, meinte Shinichi kühl, bemühte sich um viel Gelassenheit in seiner Stimme. Ob es ihm gelang, scheinbar unbeeindruckt zu wirken, wusste er nicht. „Tatsächlich.“ Gins Stimme war eisig geworden; Shinichi versuchte, so zu tun als bemerke er das nicht. Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, pustete einmal mehr den Rauch an Shinichis Gesicht vorbei, besah sich den Stummel, warf ihn dann achtlos auf den Teppich, wo er sich in den Teppich brannte – Shinichi sah, wie sich der Rauch zu kräuseln begann, als die Teppichfasern zu kokeln anfingen, trat die Zigarette aus. Gin beobachtete ihn genau, bemerkte, nicht ohne einen Hauch von Erstaunen, die gefasste Reaktion seines Gegenübers. Shinichi begegnete seinen Blick, merkte, wie er langsam wütend wurde. Dieses Machtspielchen zerrte an seinen Nerven. „Warum erzählst du mir das? Was willst du jetzt von mir?“ Seine Stimme klang erstaunlich fest und entschlossen. Gins Lächeln schwand, vom Plauderton war nichts mehr übrig, als er jetzt sprach. Er trat noch näher, blickte auf Shinichi herab, der ein wenig kleiner war als er; seine Stimme klang wie das bösartige Zischen einer Schlange, und doch glomm ein Funke von Triumph in seinen Augen; seine Schadenfreude war unübersehbar. „Ich will dir gratulieren, Armagnac. Ich beglückwünsche dich, du hast heute genauso gehandelt, wie man es von dir erwartet hat.“ Shinichi erstarrte. Nein! „Ich erzähl dir jetzt etwas, Kudô, aber nur einmal, also hör gut zu…“ Seine Lippen kräuselten sich zu einem maliziösen Lächeln. „Ich weiß, was du getan hast. Du hast die Kleine gerettet. Ich habe dich gesehen. Dich. Und deinen Freund mit diesem lächerlichen Dialekt, und Black… um mal einen Anfang zu machen. Ich war auf Befehl in diesem Haus, wie ich schon sagte; der Deal war keinesfalls zufällig verschoben worden, sondern deswegen, damit ich meine Mission durchführen konnte. Ich hatte zwei Aufträge, weißt du… Punkt eins-…“ Er machte eine Pause, hob einen Finger vor Shinichis Gesicht, der ihn mit einigermaßen entsetzt aufgerissenen Augen anstarrte. „… Sherry finden, und ausliefern, wenn möglich. Punkt zwei, und viel wichtiger, war aber…“ Shinichi schluckte, verdrehte die Augen, wandte dann den Kopf ab. „… mich zu testen.“ Langsam atmete er aus. Die Wahrheit hatte ihn getroffen wie ein Schlag ins Gesicht. „Das war eine Falle.“ Ich hätte das wissen müssen! Aber ich hatte keine Wahl… nur… Hab ich jetzt wirklich… Ais Leben gerettet, und mit meinem und Rans… und Rans!... Leben… dafür bezahlt…? Ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken, sein Mund wurde schlagartig trocken, seine Finger eiskalt. Mein Gott, nein…! „Brav geschlussfolgert, Detektiv… aber die Erkenntnis kommt für dich zu spät.“ Gin lächelte milde, in seinen Augen blitzte Spott. „Das Triumvirat traut dir nicht, und das aus gutem Grund, den Beweis hast du heute Abend erbracht. Du hast ihnen den Boden geebnet, mit dir machen zu können, was sie wollen. Bravo.“ Er applaudierte hämisch. „Und weil du so brav warst, heute, bekommst du jetzt auch deine Belohnung. Zieh dich an, Armagnac.“ Er spukte Shinichi den Namen regelrecht vor die Füße; in die Augen des blonden Mannes war ein kaltes Funkeln getreten. „Du gehörst hier nicht her, das wissen wir. Du intrigierst. Du versuchst, dich uns zu entziehen, gegen uns zu arbeiten. Und deshalb… wirst du nun mitkommen. Ich bin mit dir für heute noch lange nicht fertig.“ Er öffnete die Tür. „Das Triumvirat hat Großes mit dir vor, und es nimmt heute seinen Anfang. Ich rate dir, brav zu sein, wer weiß, ob Ungehorsam nicht auch für andere Menschen Konsequenzen haben könnte... ich will fair sein, noch wissen weder das Triumvirat noch ich, wer sie ist… aber verlass dich drauf, ich finde das heraus, wenn ich will. Ich habe Sherry gefunden, glaub mir, dein Vögelchen zu finden wird nicht sehr viel schwerer sein.“ Shinichi keuchte, starrte ihn an, schluckte dann. Was hast du dir eingebrockt…?! Aber das ist jetzt wohl auch egal, du musst tun, was er sagt… Jetzt nur keine Schwäche zeigen… nur keine Angst… Aber die hatte er, er konnte sich nicht wehren. Er glaubte sofort, das Gin herausbekommen würde, dass Ran es war, die er suchte. Ran Mori. Er hoffte nur, das FBI passte auf sie auf. Also folgte er Gin wort- und anstandslos in die Tiefgarage und stieg in sein Auto. In den schwarzen Porsche, um die zweite Fahrt an diesem Abend in diesem Wagen zu… genießen. Hört dieser Abend denn nie auf… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)