Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 15: Nachspiel --------------------- Hallo, meine lieben Leserinnen und Leser! Bitte entschuldigt die lange Wartezeit- ich kann es ja jetzt sagen, ich hatte die letzten Wochen Prüfungen, aber die sind jetzt soweit rum ^_________^ Vielen lieben Dank für all eure Kommentare zum letzten Kapitel! Ich freu mich, wenns euch gefallen hat :D Insofern hoffe ich, den Laderhythmus jetzt wieder langsam einpendeln zu können; vielen Dank für eure Geduld! Dafür gibts heut auch ein langes Kapitel... ich hoffe, es is was geworden, ich war und bin mir nicht ganz grün damit, aber gut... Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, eure Leira :) _________________________________________________________________ Kapitel 15: Nachspiel Irritiert griff sie in ihre Tasche, als ihr Handy zu klingeln begonnen hatte. Sie war gerade in ihrer Wohnung angekommen, ein Privileg, das nur hochrangigen Mitgliedern zuteilwurde - eine eigene Wohnung außerhalb der Mauern des Hauptquartiers besaßen längst nicht alle – erst Recht nicht die Neulinge, deren Vertrauen erst noch erprobt werden musste. Sie allerdings residierte in ihrem eigenen Domizil, einer feudalen einhundertfünfzig Quadratmeter- Penthousewohnung, mit Marmorböden, schweren, weißen Vorhängen, Kissen und Polstern, roten Teppichen und schwarzen Ebenholzmöbeln. Weiß wie die Unschuld, die sie so verehrte, rot wie ihre Lippen, und das Blut, das sie vergossen hatte und schwarz… Schwarz wie ihre Seele, die sie verkauft hatte. Sharon lächelte sinnierend, dann klappte sie mit einer lässigen Handbewegung das Handydisplay hoch, drückte die immer noch offene Wohnungstür mit einem lackpumpsbeschuhten Fuß zu. Als sie sah, wer es war, der sie anrief, blinzelte sie erstaunt – dann nahm sie den Anruf entgegen. „What’s up, boss?“ „Wo ist er?“ Cognacs Stimme klang drängend. Aufgebracht. Wohl auch ungeduldig, ja. Eventuell ein klein wenig besorgt… „Wer?“ Sharon war verwirrt und auch ein wenig genervt. Sie wusste nicht genau, was er wollte, aber sehr genau, was sie wollte- ihre Ruhe nämlich. Ein heißes Bad. Ein Gläschen Wein... „Na wen meine ich wohl, Vermouth?! Jetzt stell dich nicht dümmer als du…“ „Armagnac?“, unterbrach sie ihn langsam. „Wen sonst?!“ Ein ungeduldiges Schnauben seinerseits erfüllte als lautes Rauschen sekundenlang den Äther. Vermouth hielt den Hörer weg, bis das Raschen verklungen war, sie hasste das. Dann seufzte sie, setzte zum Sprechen an. „Im Hauptquartier. Wo auch sonst, er darf nicht – aber wem erzähl ich das, you’re the boss, you made the rules...“ „Armagnac ist nicht hier.“ Schneidend klang der Satz in ihren Ohren, schnell ausgesprochene, harte Worte. Sharon hielt inne, schüttelte den Kopf, ein missvergnügter Zug schlich sich in ihre Mundwinkel. Vergessen war das heiße Bad, das Gläschen Wein. „Impossible. Ich hab den Jungen abgeliefert. Er muss da sein.“ „Ist er aber nicht. Ich hab ihn gesucht, er ist nicht hier. Mir ist zu Ohren gekommen, wie euer Abend verlaufen ist, und da…“ „…wolltest du nach ihm sehen? How touching.“ Ihre Stimme klang leicht spöttelnd, ihre Mundwinkel hatten sich zu einem mitleidigen Lächeln verzogen. „Nein.“ Er klang genervt. „Ich wollte nicht nach ihm sehen… nicht… so. Du weißt, dass das nicht geht. Ich weiß auch nicht, was ich wollte. Auf alle Fälle ist er nicht da. Nicht in seinem Zimmer. Ich weiß nicht, ob er im Hauptquartier rumläuft, auf den Kameras sieht man aber nichts. Und Gin – und das ist es, was mir gerade Kopfschmerzen macht – ist auch nicht da, nicht zu erreichen und sein Auto ist weg. Ich wollte von ihm einen Bericht, wegen des Deals, aber er…“ Sharon starrte blicklos gegen die Wand ihres Wohnzimmers. „Fucking hell. He’s off with him.“, flüsterte sie leise, Grauen machte sich in ihr breit. „That bloody bastard, I’ll…“ „Ja, das denke ich auch. Ich will, dass du sie suchst.“, unterbrach Cognac sie ein weiteres Mal. In seiner Stimme schwangen Wut und Ungeduld. Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Yeah, sure, aber wie stell ich das an, Boss? They could be everywhere and nowhere. Und eine Handyortung dauert zu lange und ist zu unpräzise.“ Ihre Stimme klang patzig, unwillig verdrehte sie die Augen, und merkte doch gleichzeitig, obwohl sie so gelassen tat, wie in ihr Panik hochkroch. Wenn Gin mit Shinichi unterwegs war, bedeutete das nichts Gutes. „Das ist mir egal, Vermouth. Dir fällt schon was ein.“ Damit legte er auf. Sharon starrte das Handy an, ihre Lippen zu einem schmalen Strich gepresst; dann verließ sie ihre Wohnung, fast fluchtartig. Sie hoffte, dass sie sie finden würde, wo sie sie vermutete. Nämlich bei einem der beiden Klienten, mit denen sie heute den Deal gehabt hätten. Sie ahnte, dass Gin Shinichi eine Lektion der ganz anderen Art erteilen wollte… oder sollte. Sie wusste nicht, was das Triumvirat vorhatte, aber es war klar, dass die drei alten Männer immer noch nicht über ihre Niederlage im Exekutionszimmer hinweg waren, und dass sie auch nicht gut hießen, Shinichi hier zu haben, als Mitglied. Wenn der Abend heute… eine Falle gewesen war… dann war klar, was ihm nun blühte. Was ihnen allen blühen könnte, wenn rauskam, was hier wirklich lief. Shinichi fühlte sich rundum unwohl. Sie befanden nun seit ein paar Minuten in der winzigen Küche einer winzigen Wohnung, vor ihnen standen eine junge Frau und ein etwas älterer Mann. Shinichi schätzte die Frau auf etwa sechsundzwanzig Jahre, ihn um die sechzig. Vater und Tochter, vielleicht. Und er hatte Recht damit, wie er gleich erfahren sollte. Gerade eben hatte eine hitzige Diskussion stattgefunden, die damit begonnen hatte, dass Gin dem Alten vorgeworfen hatte, er hätte den Termin platzen lassen. Sie stand am Kühlschrank gelehnt, beobachtete die Szene angespannt. Der Mann trat vor Nervosität von einem Bein aufs andere, wrang seine Hände, wusste offensichtlich nicht, wohin mit seiner Angst. Er war den Tränen nahe, und es verlangte Shinichi ein gutes Stück Selbstkontrolle ab, nicht einzuschreiten, wo er doch wusste, dass der Mann ohne Schuld so litt. Aber er riss sich zusammen, für Ran. Auch wenn er sich innerlich dafür verdammte. Soweit wären wir nun schon… ich sehe zu, wie ein Unrecht geschieht, und was mache ich? Nichts. Große Klasse… Wie naiv war ich eigentlich?! Hab ich echt geglaubt, sowas würde nicht passieren? Dass es ihnen reicht, wenn ich bei ihnen wohne? Ich weiß doch, wer die sind… Und jetzt steh ich hier, und hoffe, dass ich mich diesen Abend nicht ohnehin schon unrettbar in die Scheiße geritten habe, wirklich… läuft ja alles nach Plan, Kudô. Dann riss ihn der alte Mann aus seinen Gedanken. Shinichi hob den Kopf, blieb aber im Schatten stehen, bei der Tür – hielt sich im Hintergrund, um nicht hinein gezogen zu werden. „Aber… Sie haben doch angerufen, dass der Termin verschoben wurde…! Ich wollte ja kommen, fragen Sie meine Tochter Fumiko, wirklich, ich… ich hab auch das Geld hier…“ Seine Stimme zitterte, klang alt. Alt und heiser… voller Furcht. Er hatte panische Angst, und sie auch. Sie leuchtete in ihren Augen, sprach aus dem Zittern ihrer Hände, die sie vor dem Schoß gefaltet hatte. Shinichi wusste, warum sie sich fürchteten, und wovor. Sie hatten Angst um ihr Leben... Die Qual war für den Vater wohl noch größer, denn es schien klar, dass er auch unter Schuldgefühlen litt. In ihrem Haus war der Teufel zu Gast. Und er hatte ihm selbst die Tür geöffnet. Gin lächelte kalt. „Seltsam. An so ein Telefonat kann ich mich nicht erinnern.“ Er zog seine Waffe, aufreizend langsam, besah sie sich interessiert. Shinichi erstarrte, sog scharf die Luft zwischen die Zähne ein. „Ich denke, du weißt, was denen widerfährt, die sich nicht an unsere Abmachung halten, Sohei, alter Junge.“ Gespieltes Bedauern klang in Gins Stimme, sein Lächeln bröckelte dabei nicht den Bruchteil einer Sekunde, seine Augen ruhten kalt auf dem alten Mann ihm gegenüber. Shinichi ahnte, was jetzt gleich kam. Und er wusste, es war wirklich keine gute Idee, als er sich aus dem Schatten löste, von der Tür wegtrat. Er wusste es. Aber er konnte nichts dagegen tun; er kam nicht dagegen an, zu tun, was er tun musste. Zu sagen, was er sagen musste. Nach dem, was Gin heute schon gesagt hatte, über diesen Abend… konnte er wohl ohnehin nichts mehr noch schlimmer machen. Er hoffte nur, auf Ran passte man auf, wenn er offensichtlich schon nicht in der Lage war, diese Aufgabe pflichtgemäß zu erfüllen. Aber würde er jetzt den Mund halten, soviel wusste er, würde er wieder sich selbst noch jemand anderem jemals wieder in die Augen blicken können. Sollte er hier lebend rauskommen. Er wusste auch nicht, ob er Ran nochmal so unter die Augen treten würde können… mit dem Wissen, nicht versucht zu haben, einen Mord zu verhindern. „Lass das. Wenn du mit mir ein Problem hast, dann mach es mit mir aus.“ Er wisperte die Worte nur, aber alle im Raum Anwesenden hörten sie klar und deutlich. Gins Lächeln wurde noch einen Tick breiter; er hatte damit gerechnet, dass er so reagieren würde. Kudô war ein verdammter Moralist, nicht gemacht für dieses Business. Und genau deswegen waren seine Aktionen so vorhersehbar. „Du hast hier nichts zu melden.“ Er wandte sich nicht mal um, während Vater und Tochter den jungen Mann hinter Gin anstarrten wie eine Erscheinung. Lächelnd entsicherte Gin seine Waffe. „Du bist hier nur zum Zuschauen hier.“ Shinichi schluckte, schaute zu Boden, konnte den fragenden Blicken des alten Mannes und seiner Tochter nicht mehr standhalten. Rachefeldzug, ja. Man wollte ihn büßen lassen… Nur deswegen waren sie hier, heute. Er war hier, damit sie sahen, wem sie ihr Schicksal zu verdanken hatten… auch wenn man ihm es wohl jetzt noch ersparen würde, gleich selber Hand anzulegen. Shinichi schauderte, seine Gedanken drehten sich im Kreis. In ihm wühlte das schlechte Gewissen, er fragte sich, ob er in letzter Zeit nur falsche Entscheidungen traf… immer, wenn er jemanden retten wollte, so schien es, opferte er jemand anderen dafür. Sich selbst für Ran, diese beiden hier für Shiho… oder zumindest einen von ihnen. Er biss sich auf die Lippen, merkte, wie sein ohnehin schon hoher Adrenalinspiegel langsam überschwappte. Alles in ihm stand auf Alarmbereitschaft, fieberhaft suchte er nach einer Lösung, einem Ausweg… der nicht nur ihn und diese beiden hier für heute rettete, sondern zudem Rans Leben nicht gefährdete. Dann hörte er Gins Lachen, das ihn aus seinen Gedanken riss. Der Mann schien die Szene mit allen Sinnen zu genießen. Er hatte sie alle in seiner Hand, spielte mit ihrer Angst, mit jedem einzelnen von ihnen, und das Gefühl war erhebend für ihn. Deswegen machte er diesen Job… er verlieh Macht über andere… Macht über Leben und Tod, Glück und Unglück, Himmel, Hölle… Er war Richter und Henker, und er liebte das. Shinichi schluckte, schüttelte angewidert den Kopf. So durfte das nicht enden, heute. Er konnte es nicht einfach hinnehmen, er musste zumindest… zumindest versuchen, ihn davon abzuhalten. Ihm etwas anderes anbieten, im Tausch für die beiden vor ihnen. Irgendwas. Er trat vollends aus dem Schatten neben der Tür, stellte sich vor ihn. Gin stutzte kurz, dann breitete sich sein Grinsen erneut auf seinem Gesicht aus, spöttisch, fast mitleidig lächelte er ihn an. Seine Waffe zielte genau auf seine Brust, aber ihn schien das nicht zu stören. Irgendwo bewunderte er Kudô ja. Er hatte Prinzipien. Er hatte Charakter. Und er hatte einen klaren Verstand. Noch dazu beherrschte er sich wie kaum ein anderer. Und gleichzeitig war er unsagbar dumm. Gin wartete, ließ seine Hand nicht sinken. Shinichi schaute ihm direkt ins Gesicht. „Du hast kein Recht, das zu tun. Wie gesagt, wenn du ein Problem mit mir hast, dann lass uns das gefälligst unter uns ausmachen. Andere da mit hineinzuziehen ist nicht fair.“ Shinichi sprach leise, aber bestimmt. „Armagnac, glaubst du… das Wort ‚fair‘ existiert in meinem Vokabular? Wie ich meine Probleme mit dir bewältige, wirst du mir überlassen müssen.“ Gin lächelte immer noch, ließ die Waffe nicht sinken. Der Oberschüler schluckte. Kurz dachte er an sie… an Ran… Er hatte Angst, er wusste, um was er spielte, aber… Verdammt, kann man hier eigentlich das Richtige tun? Gibt es eine Entscheidung, die für alle gut ist? Er würde sich selbst und ihr nie mehr ins Gesicht blicken können, wenn er nicht sein Möglichstes tat, selbst im bescheidenen Rahmen dessen, was tatsächlich machbar war. Er durfte nicht zu weit gehen, das wusste er. Nichtsdestotrotz räusperte er sich, blickte Gin entschlossen ins Gesicht. „Du weißt genau, dass sie unschuldig sind. Dass sie nichts dafür können, dass es stimmt, was sie sagen. Du…“ Weiter kam er nicht, als ihn der Lauf der Waffe an der Wange traf. Er schrie nicht auf, keuchte nur, blieb weiterhin stehen. Das Lächeln wich von den Lippen des Blonden, in seinen Augen glitzerte nun langsam wieder kalte Wut. Es wurde lästig jetzt. Er hasste es, wenn jemand seine Autorität untergrub, und genau das tat Kudô jetzt. Shinichi starrte ihn wütend an. „Du hast dazu keine Befugnis. Du hast den Deal verschoben, ich weiß das, du weißt das, und Vermouth weiß es auch. Du und das Triumvirat steckt unter einer Decke… aber ich denke, dem Boss dürfte das nicht wirklich gefallen, und das weißt du auch, sonst stünden wir jetzt nicht hier, in einer Nacht–und–Nebel-Aktion, sondern ich stünde vor ihm, wenn ich am heutigen Abend doch angeblich mein Todesurteil unterschrieben hab, wegen eklatantem Ungehorsam und offensichtlicher Rebellion. Wenn dem wirklich so wäre, wenn ich mich heut tatsächlich ins Aus geschossen hätte, dann wäre ich jetzt tot, nicht hier, mit dir, also was soll das hier-“ Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Wange. Gin starrte ihn wütend an, zielte mit der Waffe erneut auf ihn. „Geh da weg jetzt!“, bellte er ungehalten. Shinichi schluckte. Sein Herz raste, Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er atmete heftig, merkte, wie er langsam bleich wurde. Gin bemerkte es mit Genugtuung. „Hau jetzt ab. Du hast genug geredet. Du bist hier nur als Zuschauer gefragt.“ Langsam schüttelte Shinichi den Kopf. Als er schließlich zu sprechen anfing, konnte er kaum glauben, dass er das wirklich wagte. „Man kann mir nicht trauen, das wusstet du schon immer und seit heute hast du den Beweis. Das ist aber unser Krieg, nicht ihrer. Wir beide wissen, dass sie unschuldig sind. Du hast, verdammt noch mal, kein Recht dazu, sie umzubringen! Nicht dass du das Recht hättest, wären sie wirklich heute aus eigenem Antrieb dem Deal ferngeblieben… zum Töten hat man nie ein Recht. Aber das hier ist… pure Willkür. Ich dachte, das wäre eigentlich unter deinem Niveau. Mir kannst du auch anders eine reindrücken. Um mir die Hölle heiß zu machen, musst du sie nicht töten!“ Er hatte ihn, während er sprach, nicht angesehen. Erst jetzt, als er geendet hatte, hob er den Blick, schaute ihm ins Gesicht. Gin lächelte ihn überheblich an. „Ja, man merkt den Detektiv in dir. Den ewigen Moralapostel.“ Er lachte leise. „Schade nur, dass das keinen interessiert - dir wird keiner zuhören. Du kannst nichts tun, außer tatenlos zuzusehen. Wie der Abend heute verläuft, ist vorgeplant; du wirst dich fügen müssen, dir dämmert offensichtlich, was das Triumvirat bezweckt. Wenn du jetzt nicht noch mehr Ärger haben willst, als du ohnehin in ein paar Minuten haben wirst, Armagnac… dann solltest du meinem Rat Folge leisten und beiseite gehen.“ Seine Stimme war auf ein leises Knurren herabgesunken, Shinichi starrte ihn an. Er wusste, worauf er anspielte, und es machte ihn schier verrückt. Langsam strich er sich über die Augen, über die Haare, ließ die Hand sinken. Hörte Vater und Tochter hinter sich atmen, sogar winseln. Der alte Mann wimmerte. Ein Laut, der ihm durch jede Faser seines Körpers ging. Er war ihnen schuldig, zu versuchen, sie zu retten. Er konnte sie doch nicht dem Tod überlassen… Gin wurde es nun langsam wirklich zu bunt. Er presste seine Lippen zusammen, schaute ihn aus kalten, blauen Augen an. „Du weißt du spielst mit dem Leben deiner Freundin, Kudô… dir ist doch klar, dass mir egal ist, ob ich dem Boss einen Strich durch die Rechnung mache, wenn ich sie töte? Und egal, wer auf sie aufpasst, lass dir gesagt sein, mich wird nichts aufhalten. Also… ist das jetzt klar…?“ Gin schob seine Waffe unter Shinichis Kinn, zwang ihn, in die Augen zu sehen. „Dein Tod. Sherrys Tod. Akais Tod. Ende. Das ist es, was ich will, und ich verspreche dir, so wird es auch geschehen. Ob mit oder ohne Unterstützung der Organisation.“ Shinichi schluckte, unfähig, den Blick abzuwenden. „Eigentlich sind es ja nur noch zwei, nicht wahr?“ Dann fuhr er zusammen, als er hörte, wie hinter ihm jemand scharf Luft holte. „Kudô…? Doch nicht etwa… Shinichi Kudô? Der Shinichi Kudô, der Detektiv? Du bist das?“ Shinichi merkte, wie ihm das restliche Blut aus dem Gesicht wich, seine Hände zu zittern anfingen. Gin grinste breit ob der unvorhergesehen, nichtsdestotrotz amüsanten Wendung der Geschichte. „Ah… das ist jetzt aber sehr schlecht. Man hat dich erkannt, das wird den Boss und das Triumvirat nicht freuen.“ Er nahm die Waffe herunter. „Morgen weiß die ganze Stadt, was aus Shinichi Kudô geworden ist…“ Shinichi hob die Hand, hielt sie sich vor den Mund. Zum zweiten Mal an diesem Abend hatte man ihn offensichtlich gelinkt… er war nicht hier, um diese Leute zu bedrohen. Er war hier, um den Sündenbock zu spielen. Man wollte seinen gesellschaftlichen Ruin. Würde ihnen das gelingen, dann war an eine Rückkehr in sein Leben schlichtweg unmöglich. Ihm drohte neben der Verachtung der Massen dann auch die Strafe des Gesetzes, die ihn mit voller Härte treffen würde, wenn es ihm nicht gelang, seine Unschuld zu beweisen. Und wie konnte es soweit kommen? Weil er sich wieder einmal genauso verhalten hatte, wie man es von ihm erwartet hatte. War er wirklich so berechenbar? Langsam drehte er sich um, schaute den beiden Bewohnern dieses Hauses entsetzt ins Gesicht. Verdammt…! Was dann geschah, passierte in Sekundenbruchteilen. Aus dem Augenwinkel sah er es. Gin, der seine Waffe hob, und auf die junge Frau zielte. Sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Ein Knall durchschnitt die Luft, schmerzerfüllter Schrei verließ ihre Lippen, als sie zusammenbrach. Shinichi keuchte, stürzte auf sie zu, fing sie auf. Der alte Mann fing an zu schreien, als er seine Tochter zu Boden gehen sah. Chaos brach aus. Sie hustete, Blut rann aus ihrem Mundwinkel, ihre Augen flackerten. Und Gin begann, zu lachen. Shinichi merkte, wie jemand ihn von hinten hochzerrte, ihn am Kragen packte und festhielt, wie einen jungen Hund. Er roch Gins Atem, als er sprach, er sah den Alten, der sie beide anblickte, einerseits voller Wut, andererseits beherrscht von Angst. „Wenn dich jemand fragt, wer das getan hat… du kennst seinen Namen.“ Der alte Mann nickte zögernd, warf Shinichi einen fast bedauernden Blick zu; allerdings kümmerte ihn sein Leben und das seiner Tochter mehr als das eines Shinichi Kudô. Jeder ist sich selbst der nächste. „Nein!“ Shinichi brüllte, wand sich frei. „Nein! NEIN!“ Er starrte Gin in die Augen, sein Gesicht war leichenblass, seine Hände zitterten. Gin lachte leise. „Glaub mir, dein Leben ist jetzt vorbei. Es wird Zeit, dass du das merkst. Man wird jetzt nach dir suchen… du tust besser daran, den Kopf unten zu halten.“ Sein Atem ging schnell, flach, seine Finger wurden kalt - der Schock begann langsam, mit seinen eisigen Fängen nach ihm zu greifen. „Glaub nicht, er wird sich mir widersetzen. Er wird tun, was ich sage, weil er sonst auch stirbt. Wir verstehen uns.“ Er nickte dem Mann zu, dem bereits die ersten Tränen über die Wangen zu laufen begannen, als er seine schwerverletzte Tochter im Arm hielt. Hilflos schnappte Shinichi nach Luft, konnte nicht fassen, wie ihm geschah. Er glaubte noch, Mitleid zu sehen in den Augen des alten Mannes, dann hörte er die Tür hinter sich zufallen, weil er von Gin nach draußen gezerrt wurde. Vor dem Wohnhaus ließ er ihn stehen, lachte leise. „Nun sieh zu, wie du heimkommst. Und untersteh dich, dich zu stellen oder zur Polizei zu gehen. Ich brauche dir wohl nicht erklären, warum.“, bemerkte er trocken, stieg in seinen Porsche und brauste von dannen. Shinichi blieb zurück, sank gegen die Hausmauer, zu keinem klaren Gedanken fähig. Auf Gins Lippen lag ein zufriedenes Lächeln. Alles war planmäßig verlaufen. Das Triumvirat würde zufrieden sein. Shinichi Kudô war nun ein Verbrecher… der strahlende Retter der Polizei - ein hochgradig Krimineller… Genüsslich zündete er sich eine weitere Zigarette an. Shinichi stand da, zitterte am ganzen Körper, merkte, wie ihm Verzweiflung die Kehle zuschnürte, in ihm der Wunsch aufkeimte, einfach tot zu sein... Seine Knie gaben nach, langsam rutschte er zu Boden. Er biss sich auf die Lippen, versuchte, sich zusammenzureißen. Es regnete immer noch, aber es interessierte ihn nicht. Fast automatisch griff in seine Taschen, zückte sein neues Handy, rief mechanisch den Notarzt, hoffte, dass es noch nicht zu spät für sie war. Bitte… bitte… bitte… Dann hörte er neben sich Reifen quietschen, eine Tür aufgehen und zufallen. Er war nicht in der Lage wegzulaufen. Konnte nicht einmal aufstehen. Er stand unter Schock, das merkte er nur allzu deutlich. Seine Reaktionen waren viel zu langsam, sein Gehirn schien abgeschaltet zu haben, oder nur mit Notstrom zu laufen. Dann merkte er, wie jemand in schüttelte, seinen Namen rief. Irgendwann hatte er es geschafft, das Gesicht zu fokussieren, das ihn anstarrte, hörte Sirenen, von weitem. „Sharon?“, murmelte er schleppend. Sie presste die Lippen aufeinander, zerrte ihn hoch, zog die hintere Tür des Wagens auf, stieß ihn hinein, setzte sich ans Steuer und brauste von dannen, vorbei am Krankenwagen, der ihnen gerade entgegenrauschte, mit Martinshorn und Blaulicht, ein rotweißer Schemen auf regennasser Straße. Sie schaute in den Rückspiegel, sah ihn auf der Rückbank liegen, so, wie er gefallen war, als sie ihn ins Auto geschubst hatte, schüttelte missbilligend den Kopf. Sie konnte sich denken, was Gin getan hatte. Was das Triumvirat getan hatte, und was es plante. Er wachte aus seinem Zustand während der Fahrt nicht wirklich auf. Als sie ankamen, ließ er sich bereitwillig von ihr führen, schien jeglichen eigenen Willen verloren zu haben. Vor seinen Augen fiel sie immer wieder. Sackte zusammen, als die Kugel sie traf, um ihr ihr Leben zu rauben… Sah, wie alle Lebendigkeit aus ihren Augen wich, aus ihrem Körper floh, ihn zusammenstürzen ließ wie ein Hochhaus, nachdem man in seinem Inneren die Abrisssprengung gezündet hatte. Blickte immer wieder in ihre leeren Augen, hörte den Schrei ihres Vaters in seinen Ohren, und ihren eigenen… ein so heller, erschrockener, verletzter Schrei… der letzte Laut, der ihre Lippen verließ, wahrscheinlich. Er war ihr Mörder… Shinichi Kudô war seit heute Abend ein Mörder. Und immer wieder er hörte sein leises Lachen. Es hallte in seinem Kopf, ließ ihn nicht los. Sharon stand vor ihm, starrte ihn an. Mittlerweile hatte sie ihn in sein Zimmer verfrachtet, ihm den tropfnassen Mantel ausgezogen, und auch den Pullover. Hatte die Narbe einer Schussverletzung in seiner Magengegend bemerkt und sich ernsthaft gefragt, warum so ein junger Mensch schon solche Verletzungen hatte. Viel wichtiger war in diesem Moment aber nicht sein körperlicher Zustand. Absinth war gerissen, das musste man ihm lassen… es war nicht ungewöhnlich, auf diese Art Druck auf die Klienten auszuüben. Dass dieser Druck ungerechtfertigt sein würde, weil der Klient für seine Verfehlung nichts konnte, würde keinen interessieren. Niemand würde fragen. Die Organisation befand sich im Krieg. Sie seufzte, dann wandte sie sich ihm wieder zu. „Shinichi… du hast sowas doch schon gesehen… oder?“ Er reagierte nicht. Es war klar, dass er mit den Gedanken woanders war. Wahrscheinlich lebte er schon sein Leben von morgen… als Geächteter in seiner Welt. Sie starrte ihn an. „Shinichi!“ Er rührte sich immer noch nicht. Sie seufzte, verdrehte die Augen. Dann holte sie aus, schlug ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. Er schrie auf, hob den Kopf, starrte sie wütend an. Offenbar hatte die Ohrfeige ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie lächelte kurz. „Wie schön. Du bist wieder ansprechbar.“ Er verbiss sich einen Kommentar, schüttelte den Kopf. „Ich will meine Ruhe für heute.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, schaute ihn an. „Was hat Gin gesagt…?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ Ein wenig aufgebracht klang er, bemerkte sie. Was auch kein Wunder war, denn ja, sie konnte sich ja eigentlich denken, was gelaufen war. Ein kurzer Seufzer entwich ihren Lippen, dann ging sie kurz nach draußen, kam nach ein paar Minuten wieder mit einer Tasse Kaffee und einem frischen Handtuch, wischte ihm über sein Gesicht, reichte es ihm in die Hand. Er rubbelte sich mechanisch die Haare trocken, und sie setzte sich neben ihn. Als er fertig war, drückte sie ihm den Kaffee in die Hand. „Für die Ohrfeige.“ Er verdrehte die Augen, nahm er einen Schluck. „Ich bin so gut wie tot, Sharon.“ Sie zuckte zusammen, schaute ihn erstaunt an. Der Schock saß ihm immer noch in den Gliedern, vor allem in seinen Augen konnte man es sehen… aber er schien wieder zu sich zu kommen. „What has happened…?“ Sie versuchte, sachlich zu klingen. „Er ist gekommen. Hierher. Gin. Ich nehme an, das ist klar.“ Sie nickte. Er seufzte, versuchte sich zu sammeln; seine Stimme klang nichtsdestotrotz abgehackt, als er sprach, seine Sätze waren kurz und knapp. Es schien jemand ganz anderes aus ihm zu sprechen. „Das heute war ein Test. Vom Triumvirat. Man wollte meine Glaubwürdigkeit testen, und was soll ich sagen…“, er lächelte müde, „selten hab ich eine Prüfung mehr vergeigt. Du solltest dir ne gute Ausrede einfallen lassen, Sharon, warum du dabei warst. Gin hat uns gesehen.“ Shinichi unterbrach sich, trank einen weiteren Schluck Kaffee. Seine Finger zitterten. „Nun. Das… Triumvirat will mich wohl endlich weg haben, und ich schätze, sie planen meinen Tod auf Raten. Heute kam mein gesellschaftlicher Ruin dran, damit ja kein gutes Haar an mir bleibt, wenn ich dieser schönen Welt ade sage… wir fuhren also hin, zu diesen Klienten, von heute, er hat mich soweit provoziert, dass ich mich mehr oder minder zu erkennen gegeben habe, wurde erkannt, und dann hat er die Frau angeschossen. Ich hab ihm einmal mehr heute abend in die Karten gespielt. Alles was ich anfange, ist falsch. Ich schaufel mir mein Grab selber, wie es scheint.“ Sharon stöhnte auf. „Du wolltest sie beschützen. Sie retten. Du konntest nicht anders.“ Er nickte bekümmert. „Ich meine, es war… war doch auch meine Schuld, dass sie soweit in den Schlamassel geraten sind. Aber trotzdem….“ Sein Gesicht verzog sich vor innerer Qual und Verzweiflung. Langsam hob er die Hände, verbarg kurz sein Gesicht. Sharons Augen wurden groß, als ihr die Tragweite dessen, was heute Abend passiert war, klar wurde. Dann riss seine Stimme sie wieder aus ihren Gedanken. „Ich schätze, mein Leben ist jetzt vorbei. Er hat dem alten Mann eingebläut, zu sagen, ich hätte sie… angeschossen. Ich hoffe, sie überlebt das, ich hab den Krankenwagen gerufen, ich denke, der Alte hatte kein Telefon, sie schienen recht… mittellos zu sein, aber ich… mein Gott, ich bin ruiniert… es wird morgen in allen Zeitungen stehen… Shinichi Kudô ist ein Schwerverbrecher… Wenn sie stirbt… bin ich ihr Mörder.“ Seine Stimme brach. „Er soll allen sagen, ich hätte das getan. Und genau das wird er auch tun.“ Shinichi biss sich auf die Lippen, schmeckte Blut. Sharons starrte ihn an, verfluchte Gin diesen Bastard, innerlich so an die tausend Mal. Dann vernahm sie ein leises Stöhnen, wandte sich wieder zu ihm, der seinen Kopf schwer auf eine Hand gestützt hatte, als könne er ihn nicht mehr alleine halten… als wäre die Last seiner Gedanken zu groß. „Und ich kann nichts sagen. Darf nichts… sagen… Er wird sie finden und töten, sonst, es ist ihm egal, ob er darf, oder nicht. Ich schätze aber, das Triumvirat gibt ihm gern die Erlaubnis. Was den Boss angeht-.“ Sharon nickte langsam. Shinichi seufzte leise, ein einsamer Tropfen rann ihm über die Nase, fiel auf seine Knie. Sein Blick verlor sich, als er in Gedanken versank. Ein Horrorszenario nach dem anderen tauchte auf vor seinem inneren Auge, die meisten verbunden mit den Menschen, die er liebte. Er hatte versagt, er hatte sie alle enttäuscht, und jetzt… Jetzt würden sie sich wegen ihm wohl den Hohn und den Vorwurf der Gesellschaft noch anhören müssen… Er stöhnte erneut auf, presste sich einen Handballen an die Stirn. Sie beugte sich vor, nahm ihm den Kaffeebecher aus der anderen Hand, als sie merkte, dass er abzudriften begann, als er sich ausmalte, wie sein Leben ab morgen aussehen würde. Es entsetzte ihn. Es ängstigte ihn. Das sah sie ihm an. Und dann kam ihm der schlimmste Gedanke überhaupt. „Mein Gott, wenn Ran das…“ Er atmete stoßweise, wurde kreidebleich, als er erkannte, was das für ihn bedeutete. Langsam wich ihm erneut alle Farbe aus dem Gesicht, sein Blick wurde starr, seine Hände zitterten. „Wenn Ran…“ Sie schaute ihn an, schluckte schwer. Er hatte Recht… sie würde morgen erfahren, was passiert war. „Ran…“ Seine Stimme war kaum zu hören, in seinen Augen ein Ausdruck puren Entsetzens… und Verzweiflung. Sie wusste, damit war es vorbei mit ihm. Er war gänzlich verloren in seinem Alptraum, und würde heute auch nicht mehr daraus erwachen. Sie schaute ihn von der Seite her an, sah diesen bleichen Teint, diesen starren Blick, die aufeinander gepressten Lippen. Mit ihm würde heute nicht mehr zu rechnen sein. Fakt war… er hatte Recht. Es war eine Katastrophe. Man würde eine Hexenjagd veranstalten, auf ihn. Und jeden mit durch den Dreck ziehen, der mit ihm in irgendeiner Verbindung stand. Man hatte ihn ruiniert, gesellschaftlich. Und er konnte, durfte zu seiner Verteidigung nichts sagen. Sie schluckte, dann erhob sie sich. Sie drückte ihn aufs Bett, zog ihm die Schuhe aus und warf ihm die Decke über. Er ließ es willenlos geschehen. „Versuch zu schlafen. Das ist das Beste, was du jetzt noch tun kannst. Überlass alles andere mir.“ Er sagte nichts, starrte die Decke an. Sie presste die Lippen aufeinander, dann ging sie, schaltete das Licht aus. Sharon begann sie zu laufen, die Gänge entlang, zu einem bestimmten Zimmer. Etwas musste getan werden. Leider war das Triumvirat zu beseitigen keine Option, auch wenn sie das liebend gern übernommen hätte – deshalb mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Sie warf die Tür so schwungvoll auf, dass sie gegen die Wand krachte. „Hast du ihn gefunden? Wie geht es ihm?“ Cognacs Stimme drang ungeduldig an ihr Ohr, noch ehe sie die Tür hinter sich wieder zugemacht hatte. Sie verpasste ihr einen Tritt, schmetterte sie regelrecht zu. Dann schaute sie ihn an, atmete heftig; er blickte ihr fragend entgegen. Der Boss stand hinter seinem Schreibtisch, seine Finger trommelten auf blankpoliertes Mahagoni, vor ihm stand ein bauchiges Glas mit einer goldgelben Flüssigkeit. Cognac. Offensichtlich war er etwas nervös. Sharon entfuhr ein hysterisches Lachen, allerdings nur kurz; dann wurde sie wieder ernst. „Oh, he’s fine. Had a nice trip today…“ Ihr Sarkasmus war beißend. Der Boss seufzte, starrte sie an. „Sharon… was ist passiert, verdammt?“ Sie schluckte, merkte, wie auch ihr, wie Shinichi eben, das Blut langsam aus dem Gesicht wich, als ihr die Konsequenzen dieses Abends durch den Kopf schossen. „The triumvirate has gone too far this night.” Cognac zog eine Augenbraue hoch. „Was? Inwiefern?“ Sharon kniff die Lippen zusammen, setzte sich auf eine Tischkante, schlug eins ihrer langen Beine über das andere. Und dann quoll es aus ihr heraus; unaufhaltsam wie ein Tsunami brach der vergangene Abend über sie herein; und jetzt auch über ihn. „Was denkst du denn?! Du bist der Boss, und weißt nicht, was los ist, hier? Verdammt nochmal, warum hast du deine Leute nicht besser im Griff? Absinth has taken over the leadership, as it seems, and you have noticed nothing! Er hat ihn gesellschaftlich ruiniert, innerhalb von fünfzehn Minuten! Gin hat eine junge Frau angeschossen, die jetzt vielleicht schon tot ist, und lässt den Mord Shinichi in die Schuhe schieben. Der Vater der Frau soll aussagen, Shinichi Kudô wäre der…“ „Was?!“ Seine Stimme klang leise, aber sein Entsetzen und auch sein Unwillen, zeigten sich deutlich. Sie nickte, fuhr sich durch die Haare. Er schluckte, wollte die Information erst mal verdauen. Als er sich soweit wieder im Griff hatte, wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, ließ er sich in seinen Stuhl gleiten, griff sich seinen Cognacschwenker, nahm einen kleinen Schluck. Dann atmete er tief durch. „Nun in Ruhe und von vorne, Vermouth. Wo ist er jetzt und was ist heute alles passiert?“ „Er ist jetzt in seinem Zimmer.“ Er nickte, bedeutete ihr mit einer Geste, fortzufahren, blickte dabei auf die Tischplatte seines Schreibtisches. Vermouth atmete durch. Cognacs Ruhe steckte sie an, und auch war sie eigentlich nicht der Typ Frau, der gleich in Panik und Hysterie verfiel. „Well. Gin hat heute den Termin des Deals verschoben, im Namen des Triumvirats, und ging Sherry suchen. Damit… fing das Desaster an.“ „Weiter.“ „Da… der Junge das natürlich nicht hinnehmen konnte, sind wir sie retten gefahren… Nun war es so… diese Aktion war wohl als… eine Art Treuetest gedacht, Gin hat uns beobachtet, alles dem Triumvirat erzählt, die jetzt gegen Shinichi den Beweis seiner Illoyalität in der Hand halten- und ihn deshalb wohl Stück für Stück umbringen wollen. Stufe eins war heute. Gesellschaftlicher Ruin. Man hat dir wohl alles bewusst verschwiegen, weil sie wissen, wie du zu ihm stehst.“ Sie benetzte ihre Lippen mit ihrer Zunge, glitt elegant vom Tisch, ließ sich in den Sessel ihm gegenüber sinken. Er schenkte ihr aus einer Kristallkaraffe ebenfalls ein Glas Cognac ein. Sie nahm es an, nippte daran, seufzte. „Während Shinichi wohl versucht hat, nun Gin davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee ist, die beiden Klienten zu töten, haben die beiden ihn erkannt. Gin hat daraufhin auf die Tochter geschossen und dem Vater aufgetragen, unter Androhung ihn ebenfalls zu töten, Shinichi als Schuldigen zu nennen. He should be blamed for that crime. Soweit sind wir schon.“ Sie seufzte, strich sich über die Augen. „It’ll be big in the papers tomorrow. Everyone will read it. He’s now an outcast. Er kann nichts dazu sagen, darf sich nicht verteidigen, wegen Ran. Er wird nichts sagen, wegen angel. He’s socially dead now. He’s almost gone. You tried to save him, but you’re killing him nevertheless. Der Tod… wäre so viel gnadenvoller gewesen… Cognac.” Der Angesprochene schüttelte den Kopf, fuhr sich über den Bart. Dann zog er eine Zigarette aus einem silbernen Etui, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, zündete sie sich langsam an, nahm einen Zug. „Gibt es Beweise?“ „Für seine Schuld?“ „Ja. Haben wir Fingerabdrücke, eine Tatwaffe oder sonstwas zurückgelassen?“ „Nein. Nicht soweit ich weiß. Nur den Alten als Zeugen, nothing else.“ Sie schüttelte ihr Haupt. „Gut.“ Cognac zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette, inhalierte tief, legte den Kopf in den Nacken und stieß den Rauch langsam aus. „Dann denke ich, soweit ist es noch nicht. Noch ist er nicht gesellschaftlich ruiniert. Wenn man dich fragt, im übrigen, was du heute mit Sherry zu schaffen hattest, dann sagst du, du hattest den Auftrag zu seiner Beobachtung von mir. Was die können, kann ich schon lange.“ Er legte seine Hände aneinander, stützte seine Ellenbogen auf die Tischplatte. „Was Armagnac betrifft… Es wird nichts nützen, den Alten und seine Tochter, so sie denn noch lebt, umzubringen; er wird den Sanitätern im Krankenwagen erzählt haben müssen, was passiert ist, und die haben das Verbrechen bestimmt schon angezeigt. Also… wirst du zu den Klienten fahren, mit diesem alten Herrn reden, und ihm sehr ans Herz legen, dass er seine Aussage am besten soweit revidiert, dass es so aussieht, als ob Shinichi Kudô lediglich anwesend gewesen wäre und dann abgehauen. Wer geschossen habe, wisse er nicht.“ Sie nickte knapp. „Sehr schön. Dann werf ich jetzt mal ein paar Leute aus dem Bett, die diese Geschichte dann auch so weitererzählen, und nicht die…“, er lächelte sanft, wobei sich die Enden seines Schnauzbartes nach oben wanderten, „Unwahrheit verbreiten. So geht das auch nicht. Mal ganz abgesehen von Armagnacs… Shinichi Kudôs… Ruf… ist das nicht unbedingt zuträglich für die Schwarze Organisation… meine Organisation… wenn eine Berühmtheit in unserer Mitte als Schwerverbrecher gesucht wird. Das zieht zu viel Aufmerksamkeit an, und genau das wollen wir ja nicht… nicht wahr… Sharon?“ Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas, hörte ihm nur zu, merkte, wie der Alkohol sie etwas müde machte, überging die kleine Spitze in ihre Richtung. „Absinth darf so nicht auf eigene Faust handeln.“ „Sag ihm das. Ich denke, es interessiert ihn nicht. Du kennst ihn doch… er ist gefährlich.“ „Nicht gefährlicher als ich.“ Ein bedrohliches Lächeln huschte kurz über seine Lippen, Sekundenbruchteile nur. Dann war es weg, aber die Stimmung im Raum war nun anders. Nicht mehr voll Bedrückung und Entsetzen… nein. Kampf lag in der Luft. Er sog gierig an seiner Zigarette, klopfte mit seiner Faust auf den Tisch, sacht, als er nachdachte. „Mit mir legt man sich nicht an.“ Sharon lachte leise. „Not with me either, dear.“ Die Stimmung war in der Tat umgeschlagen. Sie lächelten sich über den Tisch hinweg siegessicher an. „Was für eine Nacht.“, murmelte er dann. Sie stand auf, ging nicht mehr auf diese Bemerkung ein, sondern verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Sie hatte zu tun. Cognac war aufgestanden, mit seinem Glas, schaute aus seinem Panoramafenster und dachte nach… Ja, sie würden ihn da schon rausboxen, heute Nacht. Aber gleichzeitig wusste er, dass das nur ein schwacher Trost war. Ob nun öffentlich oder nicht, Shinichi Kudô würde eines Tages ein Mörder sein… Er hatte ihn retten wollen, stattdessen in die ewige Verdammnis geschickt. Vermouth hatte Recht gehabt, objektiv betrachtet wäre sein Tod… sein leiblicher Tod… gnadenvoller gewesen. Und nun fragte er sich, warum ihm nicht früher klar geworden war, dass es für Shinichi Kudô keine Rettung gab – nie gegeben hatte. Entweder man raubte ihm sein Leben; oder seine Seele. Irgendwie brachten sie ihn immer um. Seine Geschichte hatte kein Happy End. Keins, dass er schreiben konnte, zumindest. Aber jetzt galt es erst einmal, die Wogen zu glätten. Es wurde Zeit, ein paar Kontakte einzuschalten und dem Triumvirat Einhalt zu gebieten. Ein Schuss vor den Bug war schon lange fällig. Diese Geschichte durfte so nicht an die Öffentlichkeit; das Risiko für die Organisation war viel zu hoch, wenn Shinichi Kudô polizeilich gesucht wurde. Er war dann das Risiko. Eins, das beseitigt werden musste… Klar, Absinth hatte genau das beabsichtigt; aber er war immer noch der Boss hier. Er war der Boss. Das Triumvirat interessierte ihn nicht, sie trafen die Entscheidungen nicht, sie legten nur Einspruch ein. Er entschied. Er entschied, wer lebte – und wer starb. Hosted by Animexx e.V. 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