Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 20: Kapitel 2: Erwachen ------------------------------- Hallöchen! Leute, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Wer gerade ausm Urlaub kommt, den heiße ich herzlich willkommen ;D Wer in den Urlaub fährt: gute Reise! :) Dieses Kapitel war eigentlich immens lang- so immens, dass ich es geteilt hab. Eigentlich wären das 14 000 Wörter geworden *lacht* Das wär ein bisschen viel, nich? Gibt's dann nächste Woche :) Ich denke auch, hier zu teilen war sehr sinnvoll. Nun, auf jeden Fall dürft ihr euch nun mit unserem Amnesiepatienten auseinandersetzen; ich muss sagen, ich fands gar nicht einfach, denn wie reagiert Shinichi, wenn er nicht mehr Shinichi is? *seufz* Nun denn, ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen..! Bis nächste Woche, eure Leira :) __ PS: Akai hat jetzt grüne Augen, danke für den Hinweis, SailRose! Ich hatte seine Augen echt nicht im Kopf (komischer Satz ;D), weil ich hauptsächlich den Manga lese; und da sind seine Augen weiß XD PPS: Des zweiten Hinweises bezüglich Akais Augenfarbe von Seiten eines scheinbar hochmotivierten und qualifizierten Kommentators mit extrem charmantem Usernamen hätte es nicht gebraucht, denn ich kann lesen und lese meine Kommentare auch, aber danke trotzdem. -.- Im Übrigen möchte ich anmerken, dass ich es extrem unfair und unsportlich finde, andere Leser und Kommentatoren meiner Geschichte zu beleidigen. Wer ein Problem mit meiner Fanfic hat, der wende sich vertrauensvoll an mich; überdies wollen wir uns doch in gesitteter Sprache verständigen, nicht? (Nachtrag (20.08.2010): Der Fall hat sich nun erledigt, den Kommentar habe ich soeben gelöscht.) Nochmals: freundliche Grüße, eure Leira ________________________________________________________________________ Kapitel 2: Erwachen Weich. Stoff. Das war es, was er unter seinen Fingern spürte. Seit ein paar Minuten war er wach, das wusste er. Es war ein klarer Unterschied zum Traum, zum Schlaf spürbar, auch wenn das, was er geträumt hatte, ihm sehr real schien. Was genau es gewesen war, von dem er geträumt hatte, wusste er nicht mehr. Es hatte etwas mit einer Straße zu tun gehabt, ja… aber an mehr erinnerte er sich nicht. Träume neigten ja dazu, dass man sie vergaß, wenn man erwachte, auch wenn sie noch so wirklich, so echt gewirkt hatten. Diesmal träumte er allerdings nicht, diese Realität war echt - er war bei Bewusstsein. Aber er hatte die Augen noch nicht geöffnet. Absichtlich. Auf seinem Gesicht fühlte er Wärme und einen zarten Lufthauch. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Seife, von Waschpulver, stieg ihm in die Nase. Vor seinen Augen war alles rot- draußen musste es wohl sehr hell sein. Dann schlug er die Augen auf. Er hatte Recht - es war wirklich hell. Strahlend schickte die Sonne ihr Licht in sein Zimmer, tauchte alles in pastelliges Gelb, verlieh dem ansonsten kahlen, kühl wirkenden Raum warmen Glanz. Er lag in einem Bett. In einem… Krankenhausbett? Er war im Krankenhaus? Wie…? Und dann erinnerte er sich. Da war ein alter Mann gewesen, der ihn gefunden hatte. Der ihn angesprochen hatte. Er hatte besorgt gewirkt. Er musste ihn wohl hierher gebracht haben. Also war diese regnerische Nacht, diese Straße… doch kein Traum? Aber wo war er? Wo befand sich dieses Krankenhaus? Wie kam es, dass er hier war? Ich bin verletzt. Da war es wieder, dieses Bild, von dem er gerade noch gedacht wäre, es wär ein in den Tiefen seines Gedächtnisses verschollener Traum. Er sah das Blut an seiner Hand kleben; blinzelte unwillig, merkte, wie sich ein flaues Gefühl in seiner Magengegend einstellte. Unsicher betrachtete er seine Hände, stellte fest, dass sie sauber waren, ließ sie wieder auf die Bettdecke sinken und seufzte. Langsam ließ er sich zurückfallen in die Kissen. Er fühlte sich immer noch müde, wollte wieder schlafen, und konnte doch nicht. Er sah sie immer noch vor Augen, seine Hand… er konnte dieses Bild nicht vertreiben. Blut. Seine Hand wanderte unter die Bettdecke, befühlte seinen Bauch, spürte einen Verband unter dem Stoff des Pyjamas. Ja, das war die Ursache für all das Blut gewesen. Eine Verletzung im Bauchbereich, offensichtlich. Wer hatte ihn verletzt? Wie hatte er sich verletzt? Wie genau war er hierhergekommen, wer war der Mann gewesen, wie kam es, dass er jetzt hier lag, allein? Und nicht wusste, wer ihn verletzt hatte? Er seufzte, zog die Stirn kraus, merkte, wie sich das mulmige Gefühl verstärkte, merkte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach, als er sich gewahr wurde, dass all seine Fragen ins Nichts führten. Mit der nächsten Frage allerdings sollte sich seine Welt fürs erste aus ihren Angeln heben; von leichter Unsicherheit konnte nicht mehr die Rede sein. Wer… wer war er eigentlich? Blanke Panik keimte in ihm auf, verbunden mit dem absurden Gedanken, dass Panik ihm gar nichts half. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass er zu zittern anfing, als er sich klar darüber wurde, dass er sich zwar mächtig viele Fragen stellen konnte, aber auf keine einzige eine Antwort fand. Er wusste es nicht. Wusste nicht, wer er war, wer ihn verletzt hatte, was das überhaupt für eine Verletzung war, wo er sich befunden hatte, und wer dieser alte Mann gewesen war. Er hatte keinen blassen Schimmer. Auf keine dieser Fragen wollte ihm eine Antwort einfallen, so sehr er sich auch abmühte, er erinnerte sich an nichts. An nichts. Er wusste nicht, wie er hieß, wie er aussah - wo er herkam, wer seine Eltern, seine Freunde waren. Wie alt er war, wer seine Freunde waren, woher er kam, wo er wohnte…? Die Tafel in seinem Kopf, wo all diese wichtigen Daten stehen sollten, war wie blank gewischt. Die Schubladen, wo diese Informationen gelagert waren, verschlossen, der Schlüssel verschollen. Sein Puls beschleunigte sich, seine Atemfrequenz schoss in die Höhe. Wer bin ich? Verdammt, wer… wer bin ich?! Unsicher tastete er mit seinen Fingern sein Gesicht ab, griff sich in die Haare, er hatte keine Ahnung mehr, wie er aussah, und das wurde ihm fast zu viel - jeder Mensch wusste doch, wie er aussah…! Er atmete schwer, dann fasste er sich wieder, ließ die Hände sinken. Okay… langsam jetzt. Nur nicht durchdrehen. Schau dich um und denk nach… Die Fakten. Genau. Er brauchte Fakten. Fakten waren gut, auf sie konnte man sich verlassen. Unsicher schaute er an sich herab. Räusperte sich, konnte sich aber nicht dazu überwinden, mit sich selbst zu reden, um seine Stimme zu hören. Aber anhand dessen… wie sich seine Haut anfühlte, im Gesicht, und wie sie an seinen Händen aussah… schloss er, dass er noch relativ jung war. An seinen Körperbau und seiner Größe angelegt… schätzte er sich auf um die zwanzig, plus/minus ein, zwei Jahre. Er rupfte sich ein paar Haare aus. Dunkelhaarig. Okay. Ein etwa zwanzigjähriger, dunkelhaariger, schlanker Mann. Das war er. Nicht unbedingt sehr aufschlussreich – aber immerhin besser als nichts. Gut, wenn er noch genauer wissen wollte, was sein äußeres Erscheinungsbild betraf, musste er wohl aufstehen, und in das kleine Bad gehen, das dem Zimmer angeschlossen war; aber zum Aufstehen fühlte er sich momentan nicht in der Lage. Das musste wohl oder übel warten. Geschlagen seufzte er, blickte um sich, tastete über seinen Bauch. Er war offensichtlich so schwer verletzt, dass man ihn in ein Krankenhaus einweisen hatte müssen. Und er wusste nicht, wer ihm das angetan hatte. Wusste nicht, ob sie vielleicht noch frei rumliefen und hinter ihm her waren. Er wusste nicht, warum er nichts mehr wusste. Das alles drängte ihm einen Schluss auf. Er durfte keinem vertrauen. Keinem. Fürs erste. Aber reden musste er mit jemanden, denn er brauchte Informationen, um sein Leben zu rekonstruieren. Was er auch noch nicht wusste, war… dass bereits einige Leute auf der anderen Seite der Tür standen, etwas weiter den Gang entlang, und sich über ihn berieten. Das wiederum konnte er natürlich auch nicht wissen. Draußen standen der Arzt von gestern, Dr. Katsuragi mit Namen, seines Zeichens Neurologe des Klinikums, zusammen mit Professor Agasa, Ai, Heiji und Jodie Starling, sowie den Detektive Boys, die am Morgen beim Professor aufgekreuzte waren und sich ungefragt angeschlossen hatten, weil sie immer noch dachten, man suche nach Conan. Sie wollten ihn endlich finden, das alles dauerte ihnen schon viel zu lange. Momentan allerdings war von den großen Sprüchen, die sie heute Morgen am Frühstückstisch von Agasa gerissen hatten, nicht viel zu hören. Sie waren leise, schienen von der gedrückten Atmosphäre, der großen Klinik und den vielen Beamten eingeschüchtert – vor allem aber von der Tatsache, dass es Shinichi wohl immer noch nicht wirklich gut ging. Sie unterhielten sich kaum und warteten still neben Ai und Agasa darauf, dass man endlich wieder in den Wald ging. Ayumi, die seit Tagen ihre Farbe nicht zurück ins Gesicht bekommen hatte, weil die Sorge um Conan sie nicht ruhen ließ, schaute zu Ai; sie war ebenfalls auffallend blass und schien nervös. Aufmunternd griff sie nach ihren Fingern, lächelte ihr zu. Ai schaute sie an, zwang sich, die Mundwinkel nach oben zu ziehen und wandte dann den Kopf ab. Ach Ayumi... Wenn du wüsstest, dass deine Suche längst ein Ende hat… Es wird dir das Herz brechen, wenn du es erfährst. Sie schluckte, schaute kurz auf ins sorgenvolle Gesicht des Professors, der den Ausführungen des Arztes lauschte. Er hatte kaum geschlafen, das wusste sie. Weil sie ebenfalls kaum geschlafen hatte. Sie hatte nicht zur Ruhe finden können, ihre Gedanken waren die ganze Nacht nur um ihn gekreist… ihr war bewusst gewesen, dass er ihr viel bedeutete, dass sie ihn sehr schätzte, aber wie sehr sie bereits an ihm hing, wie viel sie tatsächlich empfand, wie sehr es sie treffen würde, wäre er tot… und wie sehr sie jetzt mitnahm, was ihm passiert war… hatte sie erst in diesen Stunden im Bett erkannt, als sie an die Decke starrte und nicht schlafen konnte, aber endlich mal Zeit gefunden hatte, über alles nachzudenken, weil sie nicht von der Angst beherrscht war, dass er längst tot war. Sie seufzte tief, schaute kurz zu Mitsuhiko und Genta, der unter missbilligenden Blicken einer vorbeieilenden Schwester ein Sandwich verschlang. Manche Dinge änderten sich nie. Sie lächelte müde. Andererseits sind ein paar solcher Konstanten auch nicht schlecht. Es beruhigt, dass es etwas gibt, das so bleibt, wie es ist, wenn sich alles herum auf den Kopf stellt… Der alte Mann und Jodie hatten es einfach nicht übers Herz gebracht, die Kinder zurückzulassen, die ihrem Freund Conan so loyal waren… gerade auch, nachdem sie vom gestrigen Tag so enttäuscht waren; gut, man hatte Shinichi gefunden, der wohl ohne ihre Hilfe gestorben wäre, das war sicherlich keine schlechte Sache, Ran-chan würde sich freuen; aber sie hatten doch nach Conan gesucht! Und Conan war immer noch weg. James Black war bei der Polizei und setzte sie vollständig ins Bild, wie sie von Jodie erfahren hatten; er würde nachmittags zu ihnen stoßen. Dann würde man auch beraten müssen, wie man Shinichi bewachte; denn es war klar, dass die Organisation nicht lange brauchen würde, um herauszufinden, wo er war. Und was dann passieren würde, könnte katastrophal sein und war nicht vorhersehbar- also musste man tun, was man konnte, um diesen Fall zu vermeiden. Dann konzentrierte sich Ai wieder auf das, was der Arzt sagte. Nachdem jetzt all die medizinischen Fachfloskeln genannt waren, die Shinichis Zustand beschrieben, schien der gute Mann endlich auf den Punkt zu kommen. Sie blinzelte ihn an, aber er nahm es nicht wahr. „Heute Morgen war er noch nicht wach. Vielleicht verhält es sich ja jetzt anders.“ Der Arzt strich sich über die Haare, warf dann einen ungeduldigen Blick auf seine Uhr. „Er liegt ja nicht im Koma, also könnte er jederzeit aufwachen. Ich würde allerdings anraten, nur die engeren Verwandten hineinzulassen, um ihn mal nicht zu überfordern. Also seinen Opa und seine… Schwester?“ Unsicher blickte er zu Ai, die ihr kindlichstes Gesicht aufsetzte, ihn mit großen Augen ansah und glaubhaft nickte. „Sie anderen warten am besten draußen. Bis wir wissen, wie es um…“, der Mann grinste, „sein Oberstübchen steht. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viel Lärm und zu viele Gesichter könnten ihm im Fall des Falles zu sehr stressen und ihn noch mehr verwirren, als er es vielleicht schon ist. Sie geben mir Bescheid, falls er wach war, ja? Dann sehe ich nach ihm… und muss eventuell eine entsprechende Therapie einleiten. In diesem Sinne muss ich mich jetzt allerdings vorerst verabschieden, ich hab Visite. Ich nehme an, die Herren Polizisten wissen, dass man Sie hineinlassen kann?“, er nickte etwas unwillig in die Richtung der beiden Beamten. „Ja.“ Agasa seufzte leise. „Denen sind wir hinreichend bekannt.“ „Dann entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich hab auch noch andere Patienten.“ Der Arzt drehte sich um, rauschte mit wehendem Kittel von dannen. Heiji, Jodie, Agasa und Ai sahen sich fragend an. „Gehen Sie mal ruhig.“, meinte Heiji langsam. „Wir warten solange hier, nich‘ wahr?“ Jodie nickte nur, setzte sich auf eine Bank. Die Kinder taten es ihr gleich, wenn auch etwas widerwillig. Der alte Professor nickte, ging dann den Gang entlang zu seiner Tür, gefolgt von Ai; sie boten ein seltsames Bild, als sie den spiegelblank gebohnerten Linoleumboden entlang schritten, der alte Mann und das rothaarige Mädchen. Heiji schaute ihnen hinterher, stützte dann seinen Kopf in seine Hände, seufzte leise. Meine Güte Kudô, was haste dir da bloß eingebrockt… Vor der Tür angekommen zögerte Agasa kurz, schluckte hart, warf Ai einen fragenden Blick zu; sie nickte ihm ernst zu, in ihren blauen Augen Sorge und Erleichterung, Angst und Erwartung gleichermaßen. Er schluckte, in unguter Erwartung, was ihn erwarten könnte, und drückte die Klinke herunter. Shinichi zermarterte sich gerade sein Hirn auf der Suche nach Informationen, fand es mit der Zeit immer frustrierender, dass so gar nichts mehr da war in seinem Kopf- dieser Zustand ging ihm gar nicht ein, er wusste doch, dass er Erinnerungen hatte, wo also waren sie? -, als unerwartet für ihn die Tür aufging. Er fuhr ruckartig hoch, hielt sich gleich daraufhin stöhnend eine Hand gegen den Bauch. Schlechte Idee. Dann wandte er sich seinen Besuchern zu, zog die Augenbrauen hoch. Der alte Mann war wieder da. Sieh mal einer an… Besuch für mich. Er starrte ihn an, seine Verwirrung musste man ihm wohl ansehen, so leise, so vorsichtig, wie der Opa die Tür schloss, sich ihm näherte. „Du bist ja wach…!“ Der alte Mann hörte sich erleichtert an. Shinichi runzelte die Stirn, sein Erstaunen wich langsam einem gespannten Interesse. Auch wenn er noch nicht wusste, ob er ihm vertrauen konnte - vielleicht konnte ihm der Mann ein paar Informationen geben. Denn die brauchte er dringend. Er schaute ihn an, musterte den alten Herrn von oben bis unten; erst dann sah er sie. Das kleine Mädchen. Rotblonde Haare, grüne Augen, ein wirklich niedliches Ding - aber irgendetwas passte an ihr nicht ins Gesamtbild. Sie wirkte nicht niedlich, nicht süß, auch wenn sie so aussah. Etwas in ihren Augen schockierte ihn. Sie sahen nicht aus, wie Kinderaugen aussehen sollten, strahlend, voller Erwartung dessen, was das Leben ihnen zu bieten hatte. Eher das Gegenteil war der Fall. Ihre Augen sprachen von einem Wissen, dass so ein kleines Kind nicht haben konnte Sie erzählten von Bildern voller Schmerz, als ob sie schon viele schlimme Dinge gesehen, viel Leid erlebt hätten, Verlust und Tod ins Gesicht geschaut... Sie wirkten, als ob sie zu einem Menschen gehörten, der in seinem Leben schon Schreckliches durchmachen hatte müssen. Und ein kleines Mädchen ihres Alters kam für so einen Erfahrungsschatz eigentlich nicht in Frage. Wer ist das…? Seine Gedanken überschlugen sich; er presste kurz die Augen aufeinander, in der Hoffnung, sein malträtiertes Hirn spiele ihm einen Streich. Er öffnete die Augen wieder und bemerkte, dem war nicht so. Ihre Augen waren immer noch die gleichen… voller Schmerz, Verlust… Enttäuschung und Verzweiflung… diese Augen gehörten keinem Kind. Und doch war sie ein kleines Mädchen. Großer Kopf, schmaler Körper, kleine Nase, zarte Haut. Das war nicht möglich. Mit Mühe wandte er sich von ihrem Gesicht ab. „Shinichi?“ Er zuckte beim Klang des Namens merklich zusammen, schluckte. Das wär dann wohl ich. Shinichi. Sollt ich mir merken… Der alte Mann schaute ihn fragend an, strich sich nervös über seinen Bart. Er hatte ihn nicht begrüßt. Shinichi hatte genau genommen nicht ein Wort gesagt, er starrte sie nur an, mit einem Blick, den Agasa nur allzu gut kannte. Shinichi analysierte. An und für sich ein Vorgang, der hier… überflüssig sein sollte. Schließlich waren sie seine Freunde. Dass er sie nicht als solche begrüßte, sondern sie offensichtlich gerade auf Herz und Nieren prüfte um herauszufinden, wer sie waren und ob er ihnen trauen konnte, ließ nur einen Schluss zu. Shinichi erkannte sie nicht. Sein Magen wurde flau. Unsicher zwirbelte er seinen Bart, ließ seine Hand dann langsam sinken. „Wie geht es dir?“, fragte er zögernd, trat näher, zog sich einen Stuhl heran. Gute Frage. „Nun, ich lebe noch… nicht wahr?“, murmelte Shinichi. Er schaute ihm immer noch ins Gesicht, schluckte. „Hören Sie, verzeihen Sie mir, wenn es unhöflich scheint, aber bevor irgendwelche Missverständnisse…“ „Du weißt nicht, wer wir sind.“ Agasa ließ sich auf den Stuhl sinken, blickte seinen jungen Freund niedergeschmettert an, wusste die Antwort ja, bevor Shinichi sie ihm bestätigte. „So… sieht es aus.“ Langsam wandte der junge Detektiv seinen Kopf ab, seufzte. „Sollte… nicht ein Arzt kommen und mich untersuchen?“ Man hörte ihm den Widerwillen deutlich an. „Wir… haben gerade mit ihm gesprochen, er schaut später nach dir.“ Agasa schaute ihn betroffen an, warf einen Blick auf Ai, die noch bleicher geworden war, und krampfhaft die Hände ballte. Sie zitterte, er wusste es. Sie ahnte, wusste, was das bedeutete. Der alte Mann räusperte sich. „Gut, versuchen wir es anders… ab welchem Zeitpunkt hast du eine Erinnerung…?“ Shinichi schaute ihn kurz an, dann wandte er den Blick ab, schaute auf seine Bettdecke und versuchte, sich ein wenig zu konzentrieren, auch wenn es ihm schwer fiel. Langsam allerdings lüpfte sich der Schleier ein wenig; er erinnerte sich an vergangene Nacht; immerhin. Was bedeutete, dass der Zeitpunkt seines phänomenalen Blackouts irgendwann letzte Nacht gewesen war? Das hieß – welch Freude - nur die letzten zwanzig Jahre davor waren verschütt gegangen. Prima. Wir machen Fortschritte. Er verkniff sich ein ironisches Lächeln, hob stattdessen den Kopf, um die weiße Wand anzustarren und weiter nachzudenken. Es hatte geregnet. Es war Nacht gewesen. Er hatte Schmerzen gehabt, und ihm war schlecht geworden… und dann kam das Auto, dann der Mann. Das kleine Mädchen kannte er nicht. Dafür erinnerte er sich an den Namen… Shinichi. Der kam ihm jetzt etwas bekannter vor. So hatte ihn der nette alte Herr hier auch schon genannt, als er ihm das erste Mal begegnet war. Und jetzt wollte er wissen, an was er sich erinnerte? Wer war er eigentlich? „Gestern Abend.“, antwortete er schließlich, seine Stimme war leise, sein Blick leer. Er drehte ihm langsam wieder den Kopf zu, räusperte sich, weil er gemerkt hatte, wie heiser seine Stimme klang. „Also, ich nehme einfach an, es war gestern, ich weiß nicht, wie lange ich… geschlafen hab. Bewusstlos war. Was auch immer.“ Er seufzte. „Ich… hab ein paar verschwommene Bilder von einem gelben Käfer und einer Landstraße, und Ihnen, Sie haben mich gefunden, stimmt‘s? Aber ansonsten - ist da nichts. Mir fehlen die letzten zwanzig Jahre vor gestern Abend, denn ich schätz mich mal auf… so um die zwanzig? In diesem Sinne, verzeihen Sie mir bitte die Frage, aber… wer - wer sind Sie denn jetzt eigentlich?“ Agasa stöhnte leise auf, strich sich hilflos über die Augen. „Du erinnerst dich an gar nichts…?“ Shinichi legte den Kopf schief, schaute den Mann durchdringend an. Irgendetwas ging hier vor sich, und er wusste davon nichts. Ein Gefühl, das ihm ganz und gar nicht behagte. „Wirklich… nichts?“ Seine Stimme klang bekümmert. Shinichi schüttelte den Kopf. „Wenn ich es Ihnen sage. Ich wusste bis gerade eben nicht meinen Namen, und auch jetzt weiß ich ihn nicht ganz, sondern nur den Vornamen. Und selbst den hatte ich von gestern auf heute vergessen, aber jetzt fällts mir wieder ein… ich war wohl etwas…“, er lächelte entschuldigend, „weggetreten. Aber wie gesagt - ich weiß nicht, wie alt ich bin, wo ich herkomme, wer meine Freunde, meine Eltern sind und wie mir das hier passiert ist. Ich meine, ich denke nicht, dass es alltäglich ist, mit einer derartigen Verletzung im Krankenhaus zu landen? Und bitte- wer sind Sie jetzt eigentlich?!“ „Ich bin ein Freund von dir, mein Name ist Professor Hiroshi Agasa.“ Agasa schaute ihn ernst an, fuhr dann mit seiner Erklärung fort. „Ein alter Freund, um genau zu sein. Ich kenn dich schon dein Leben lang.“ Freund? Könnte im Prinzip gerade jeder behaupten und ich wüsst nicht ob’s stimmt… Shinichi schluckte. Dann wanderte sein Blick wieder zu dem kleinen Mädchen. „Und wer ist das?“ Er starrte sie an. Skepsis lag in seinem Blick, ein Hauch von Verwirrung, auch wenn er sich bemerkenswert gut im Griff hatte. Er war wachsam, angespannt, sie kam ihm wohl seltsam vor, er spürte, dass sie nicht… normal… war. Von ihm so angesehen zu werden, tat ihr weh. Er kannte sie nicht mehr, er begegnete ihr mir Vorsicht. Weg war der selbstbewusste, intelligente Oberschüler – oder Grundschüler, wie man’s nahm - weg war ihr Freund, der Detektiv, der für jedes Problem eine Lösung fand, für jede Situation einen Ausweg und immer für sie da war. Vor allem für sie da war. Stattdessen war er hier. Shinichi - wie ihn noch keiner je erlebt hatte. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie es für Ran sein würde, wenn er sie so ansah. Wahrscheinlich noch um ein Hundertfaches schlimmer. „Sie heißt Ai Haibara.“ Die leise Stimme des Professors riss sie aus ihren Gedanken. Agasa schüttelte langsam den Kopf. Shinichi hörte ihm zu, zog die Augenbrauen hoch. Ja, jetzt bin ich schlauer... Ein paar mehr Infos wären echt nett, Leute… Shinichi seufzte schwer. Mit jeder Sekunde fühlte er sich ein wenig unwohler. Er wollte, dass sie wieder gingen, wenn sie ihm nur noch mehr vor Augen führen wollten, wie wenig er wusste, oder endlich anständig mit ihm redeten. Oder ihm jemand besorgten, der das übernahm. Verdammt, er war schwer verletzt worden, und wusste nicht von wem, er wollte Antworten...! Was… was war, wenn sie...? Was ist, wenn sie mit diesen Leuten, die mir dieses Loch im Bauch verpasst haben und Schuld haben, dass mein Gedächtnis dem Loch in einem Schweizer Käse gleicht, unter einer Decke stecken? Wer garantiert mir denn das Gegenteil…? Dann sah der Mann ihn an - und er wusste es. Der Blick in sein altes, faltiges… und so unglaublich mitfühlendes, sorgenvolles Gesicht, seine warmen Augen, dieser fürsorgliche Blick… er wusste es einfach. Wusste, dass dieser alte Herr nicht sein Feind war. Dass er sein Freund war, wie er es behauptete. Warum auch sonst hätte er ihn herbringen sollen, gestern Nacht? Nein, diese Reaktion war eigentlich bezeichnend gewesen. Er machte sich Sorgen um ihn. Echte Sorgen. Shinichi atmete durch, atmete leise aus, schwieg. Dann begann Agasa zu sprechen. Langsam und ruhig, versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu halten, sich die Nervosität nicht anhören zu lassen- ihn nicht merken zu lassen, wie bekümmert er wirklich war. „Gut, fangen wir von vorne an. Du bist Shinichi Kudô, deine Eltern heißen Yukiko und Yusaku Kudô. Das hier…“ Er seufzte leise, schaute auf das kleine Mädchen. „Ist Ai Haibara, wie gesagt. Sie wohnt bei mir, aber wir sind nicht verwandt, auch wenn wir uns grad als dein Opa und deine Schwester ausgeben, damit wir dich besuchen können.“ Er lächelte entschuldigend. „Sie ist ebenfalls eine Freundin von dir.“ Shinichi legte verwundert die Stirn in Falten. Er war mit kleinen Mädchen befreundet? Wieso das denn? Der junge Mann schüttelte unwillkürlich den Kopf, versuchte, Ruhe zu bewahren. Du musst nicht alles gleich verstehen… bestimmt hat alles einen Sinn… „Wissen Sie, wie ich - ich meine, Sie haben mich hergefahren, nicht wahr? Wann genau war das? Und - was fehlt mir eigentlich? Wissen Sie, woher…?“ Er hustete. Seine Stimme krächzte. Agasa schaute ihn mitfühlend an. Shinichi hatte versucht, es zu unterdrücken - aber man hatte den leisen Anflug von Panik, aber auch von Hoffnung, in seiner Stimme hören können. Er schaute ihn an. „Gestern. Gestern haben wir dich endlich gefunden, du hattest recht mit deiner Zeiteinschätzung.“ Shinichi stutzte. Endlich? Wie lange war ich… weg…? Wo war ich…? Aber bevor er zu der Frage kam, fuhr der Professor mit seiner Rede fort. „Du wurdest, wie du wohl schon festgestellt hast, ziemlich schwer verletzt. Jemand-…“ Agasa seufzte leise, schluckte, fuhr fort, „hat dich angeschossen. Ein Durchschuss. Die Kugel trat im Rücken oberhalb deiner Niere ein, ging glatt durch und verließ deinen Körper vorne. Zwei Rippen sind angebrochen, wohl von einem Sturz. Du hast zahlreiche Hämatome am ganzen Körper, eine schwere Gehirnerschütterung - die wohl unter Umständen auch mit die Ursache für deinen offensichtlichen Gedächtnisschwund ist. Außerdem bist du erkältet, du hast eine Bronchitis. Du kannst von Glück reden, dass keine Lungenentzündung draus geworden ist. Aber das ist wohl dein kleinstes Problem im Moment.“ Shinichi schluckte, nickte dann, war kreidebleich geworden, aber sagte nichts- zu voll war auf einmal sein Kopf mit Fragen. Vielen Fragen. Eine Schussverletzung. Mein Gott… wie kommt man zu sowas? Die Dinger fliegen ja nicht einfach so in der Gegend rum, ich muss… Wer hat auf mich geschossen? War es ein Unfall…? War es Absicht…? Wenn ja, was… War das… war es etwa… Wollte mich jemand… Dann riss ihn der alte Mann wieder aus seinen Gedanken, als er mit seinem Bericht fortfuhr. „Bevor- du verschwunden bist, warst du mit mir, Ai und noch drei anderen Kindern unterwegs. Wir machten einen Campingausflug. Am zweiten Tag bist du verschwunden. Wir haben eine gute Woche lang nach dir gesucht - und ich habe dich gestern gefunden, wie du dich ja erinnerst. Auf der Straße, im Regen.“ Shinichi starrte seine Hände an. „Ja. Das weiß ich ja. Aber von allem anderen hab ich keinen Schimmer.“ Dann warf er dem Professor einen schrägen Blick zu. „Aber wenn ich Sie noch eines fragen darf - warum waren wir mit vier Kindern unterwegs? Sind das Enkel von Ihnen?“ Er seufzte, massierte sich die Stirn, ließ dann seine Hand wieder sinken. „Oder bin ich Kindergärtner? Kann ich mir irgendwie nicht so recht vorstellen…“ Agasa und Ai lächelten kurz bei der Vorstellung - allerdings erlosch ihr Lächeln sofort wieder, als sie in sein verwirrtes, unsicheres Gesicht blickten. „Nein, du bist kein Kindergärtner. Du bist Oberschüler - eher noch Detektiv als sonst irgendetwas anders. Und eigentlich waren wir auch nicht mit vier Kindern unterwegs, sondern mit fünf. Das fünfte Kind…“ „Was ist damit? Ist es auch verschwunden? Und wie komm… wie komm ich überhaupt zu ner Schussverletzung, ich… meine… sowas ist ja auch nicht eben alltäglich… Was.. was ist denn passiert…?!“ Agasa atmete scharf ein. Jetzt waren sie soweit, soweit gekommen… dass er nicht mehr wusste, wie er ihm jedes einzelne Detail erklären sollte, wenn er einen bestimmten Umstand nicht wusste. Wenn er über Conan Edogawa nichts wusste… Denn er… war der Grund für all das hier. „Es war verschwunden…“ Agasa brach ab. Das würde sehr schwer werden, jetzt. Er fragte sich, ob es überhaupt gut war, ihm in seiner Verfassung jetzt von Conan Edogawa zu erzählen. Das kleine Mädchen und der alte Mann sahen sich an. Agasa stand sein Zögern und Zweifeln quer übers Gesicht geschrieben. Ai seufzte, schüttelte betrübt den Kopf. „Wir müssen es ihm sagen. Es führt kein Weg dran vorbei, er versteht es sonst nicht. Und ihn anzulügen ist schlimmer, als ihn einfach nur noch mehr zu verwirren… und wie sollen wir ihm seinen Zustand er klären, wenn er nicht weiß… was die Ursache ist…“ Ai hatte seinen Gedanken erraten. „Aber wird er es uns glauben…?“ „Wohl eher nicht. Aber wir müssen es ihm erzählen. Er ist in Gefahr, mehr noch, als ohnehin schon. Wir dürfen ihn nicht unwissend lassen. Er weiß sonst nicht, was los ist, kann nicht angemessen reagieren-….“ „Kann er ohnehin nicht.“ Ai betrachtete Shinichi skeptisch. Der starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Könntet ihr aufhören, von mir in der dritten Person zu sprechen, wenn ich im Raum bin? Ginge das? Also was ist los…? Was ist das, was ich nicht verstehe, angeblich?“ Agasa und Ai starrten ihn erstaunt an. „Natürlich. D… du hast natürlich Recht. Entschuldige.“ Der alte Herr strich sich müde übers Gesicht. „Es ist nur so, was wir dir gleich sagen werden, ist so unglaublich, dass du es uns nicht glauben wirst.“ „Wie wär’s, wenn Sie’s zuerst mal versuchen und meine Reaktion einfach abwarten? Wenn es erklärt, wie ich… mit einem Loch im Bauch und ohne Gedächtnis hier ankomme, bin ich bereit, ziemlich viel zu glauben, denk ich…“ Er seufzte tief. Ihm war das alles hier nicht unbedingt geheuer, aber langsam verlor er etwas die Geduld. Er hörte sich gern jede Theorie an, die irgendwie erklären konnte, wie er hier landen hatte können. „Also schön. Ich… nehm dich beim Wort,… Kudô.“ Ai nickte ging zur Tür, vergewisserte sich, dass niemand lauschte, keiner kam - dann machte sie die Tür wieder zu. „Ist dir an mir was aufgefallen?“, fragte sie schließlich, als sie wieder neben dem Professor stand. „Was soll mir aufgefallen sein?“ Er war perplex. Warum fragte sie ihn solche Dinge? Wollten sie ihm nicht was sagen? Sie lächelte hintergründig. „Irgendetwas. Wenn dir was aufgefallen ist, Shinichi, dann sag es. Ich weiß, dass du dir was über mich denkst, also sag es.“ Er seufzte leise, lehnte sich zurück. Dieses angespannte Sitzen bereitete ihm dumpfe Schmerzen. Die Situation behagte ihm nicht wirklich; er war im Krankenhaus, wusste nicht wieso, wusste nicht wer er war und wer die anderen waren und woher er kam und nun kamen diese zwei Gestalten und stellten jetzt auch noch komische Fragen. Allerdings… Wenn es ihn irgendwie weiterbrachte, dann war es wohl besser, er spielte das Spiel mit, noch dazu, weil gerade ja keine akute Gefahr von den zweien für ihn auszugehen schien. Wenn es denn Antworten brachte… Wenn es denn Antworten brachte. Ob es tatsächlich Antworten bringen würde, für ihn, konnte er allerdings erst wissen, nachdem er auf ihre Frage reagiert hatte… Er seufzte, verdrehte die Augen. „Deine Augen sind seltsam.“, murmelte er dann, schaute beim Sprechen aus dem Fenster. „Sie erzählen von so viel Leid. Soviel Schmerzen – sie schildern ein Leben, gezeichnet durch Verluste und Qualen. Deine Augen passen nicht zu dir. Das heißt, zu dir vielleicht schon.“ Er wandte den Kopf - man sah ihm an, dass ihm unangenehm war, seine vagen Vermutungen auszusprechen. „Aber sie passen nicht zu einem Kind. Sie haben das Leben in all seinen Facetten gesehen - du bist dafür eigentlich noch zu jung.“ Ein leises Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. In gewisser Hinsicht änderten sich Leute nie. Nicht einmal, wenn ihr Gedächtnis aufgrund retrograder Amnesie das Weite gesucht hatte. Konstanten gibt es immer. Irgendwo in dir drin bist du noch, Kudô. „Ganz Recht, Shinichi. Und was folgerst du daraus?“ Er blinzelte, schaute sie verwirrt an. „Woher soll ich das wissen? Lass den Quatsch, hör auf, dich lustig zu machen, ich find das nicht…“ „Sag es einfach. Ich weiß, der Gedanke spukt dir im Kopf rum…“ Shinichi hustete. Dieses Kind war unheimlich. Definitiv. „Na los. Sprichs aus.“ Ai starrte ihn an, ihre hellen Augen bohrten sich in seine, ihr Blick so wissend… Er drehte den Kopf weg - das war doch absurd. Dann zuckte er zusammen, als er merkte, wie ein zusätzliches Gewicht die Matratze zusammendrückte, sich ihm näherte, und fuhr herum. Sie war aufs Bett geklettert, kniete direkt vor ihm, fixierte ihn mit ihren grünen Augen erneut, fesselte seinen Blick. Er wich zurück, unwillkürlich. Drückte sich in seine Kissen. Sie krabbelte näher an ihn heran, ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Viel zu nah, um auszuweichen. „Sag, was du denkst… Shinichi!“ Er biss sich auf die Lippen, konnte selber kaum fassen, dass er diesen absurden Gedanken aussprach. „Du bist älter als du aussiehst.“ Es war raus. Ai ließ sich zurückfallen, setzte sich in den Schneidersitz, lächelte ein zufriedenes Lächeln und verschränkte locker ihre Arme vor der Brust. „So ist es.“ Er riss sich los von ihr, atmete tief durch. Dann lachte er bitter. „Ja, klar. Ein frühreifes Früchtchen bist du-, nichts weiter.“ „Du warst genauso.“ Shinichi fuhr ruckartig herum, stöhnte dann auf, hielt sich den Bauch. „WAS bitte? Ich bin ein frühreifes-“ Sie sah ihn aus Halbmondaugen an. „Nein. Nicht das. Du warst auch ein Erwachsener in einem zu jungen Körper.“ Agasa schluckte, als er forschend in das Gesicht seines jungen Freundes blickte. Die Reaktion, die kam, war vorhersehbar. „Ja, sicher.“ Er sagte es erstaunlich ruhig. Eine Ruhe, die trog. „Doch. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber es stimmt. Du warst das fünfte Kind.“ Agasa seufzte, warf ihm einen abwartenden Blick zu. Shinichi begann den Kopf zu schütteln. „Herr… Professor. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich glaube fast, das was hier passiert ist, ist ein wenig viel für Sie. Was auch absolut verständlich ist. Ich glaube, die Ärzte hier sind ganz gut, immerhin leb ich noch, also vielleicht sollten Sie…“ Er war immer noch sehr ruhig, aber seine Hände, seine Finger, die sich in seine Decke gekrallt hatten, sprachen eine andere Sprache. Agasa lächelte milde, schüttelte aber ebenfalls den Kopf. „Shinichi, ich weiß, dass klingt unglaublich - Ai und ich haben es dir ja gesagt, du wirst es nicht glauben; es ist auch nicht… nötig, dass du es gleich glaubst, aber bald solltest du es tun, denn dieser Umstand hängt damit zusammen, dass du hier bist…“ Die Fürsorge, die Ruhe in der Stimme des alten Mannes zerrte an Shinichis Nerven. Wie konnte dieser Mann, den er eigentlich für recht vernünftig gehalten hatte, zusammen mit dieser Geisterbahnversion eines Kindes solche Behauptungen aufstellen…! Er schaute kurz die Wand an, atmete dann einmal tief durch, ehe er sich wieder umblickte, dem alten Mann in seine bebrilltes Gesicht sah. „Nein. Sie müssen sich irren, das glaube ich nicht. So etwas ist nicht möglich, das geht doch gar nicht! So etwas gibt es nicht.“ Er griff sich an den Kopf, als ein leises Pochen einsetzte, hörte auf, den Kopf zu schütteln. Der Professor warf Ai einen fragenden Blick zu. „Glaub mir, es ist wahr. Das ganze ging schon fast drei Jahre so. Du wurdest geschrumpft, durch ein Gift, so wie sie. Wie Ai.“ Shinichi starrte ihn an. „Unmöglich. Sagen Sie, wie hätte ich das aushalten können? Gefangen im Körper eines Kindes?! Wie würde sie’s denn aushalten, dieses Mädchen hier? So ein Gift kann es nicht geben. Das wäre eine wissenschaftliche Sensation, davon hätte ich sicher schon…“ Er driftete ab, verdrehte die Augen, griff sich an die Stirn. Ai schaute ihn geschockt an. Shinichi über diese Dinge sprechen zu hören war wirklich paradox. „… lassen wir das.“ Er atmete entnervt aus. „Fakt ist, sowas gibt es nicht. Ich weiß nicht, warum, aber mein Verstand, und den hab ich noch, sagt mir, dass Menschen älter werden, nicht jünger, egal was man ihnen für Substanzen verabreicht. Sie werden nicht jünger. Sie machen sich offensichtlich einen Spaß aus meiner Situation… ich hätte eigentlich gedacht, Sie wollen mir tatsächlich helfen, aber…“ „Aber das wollen wir!“ Ai schluckte, schaute ihn mit drängendem Blick an, merkte, wie sie sich fast ärgerte über seine Verbohrtheit. „Das wollen wir doch. Du musst uns das einfach glauben, du musst uns einfach vertrauen, glaub mir, es ist die Wahrheit. Und es war für dich nicht einfach, und ist es nicht für mich. Du hast schrecklich gelitten, du hast…“ Sie verstummte, als er den Ausdruck in seinen Augen bemerkte. Er war wie versteinert. Herrgott, Shinichi, du weißt es doch… sonst würdest du mich nicht so ansehen…! Er blinzelte, und der Ausdruck in seinen Augen war weg; stattdessen wanderte sein Blick von Agasa zu Ai, hin und her. Schließlich räusperte er sich. „Ich dachte, ich bin der, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Was fällt euch ein, mir so einen Stuss-…“ „Das ist die Wahrheit, Shinichi.“ Agasas Stimme klang ernst. Ernüchternd. Shinichi hielt inne, schaute dem alten Mann ins Gesicht. War der gute Prof senil? Wo war er hier? In einem Horrorfilm? Waren sie denn alle verrückt geworden? Agasa holte tief Luft. Er schaute bedrückt aus, fiel ihm auf. Der alte Herr war sehr betrübt. So sah eigentlich kein Lügner aus. Auf einmal fühlte er sich schrecklich nackt. Er wusste nicht warum, aber er hatte das Gefühl, dass sie in seinen Augen etwas lesen konnten, das ihm nicht bekannt war. Sie wussten mehr über ihn als er über sich selber. Er war allein. Er war ausgeliefert. Verletzt. Entwurzelt. Und er war… Agasa schluckte, dann streckte er die Hand aus, griff über die Decke, berührte ihn am Arm. „Hör zu, ich kann verstehen, dass du das nicht glauben kannst. Es ist ja auch kaum zu glauben. Fakt ist- du bist Detektiv, ein richtig guter sogar. Du bist brillant. Und du hast vor etwa zwei Jahren deine Nase in einen Fall gesteckt, der sich als weit größer herausgestellt hat, als er anfangs den Anschein hatte. Du wurdest erwischt, als du Zeuge zwielichtiger Geschäfte wurdest - man hat dich niedergeschlagen und wollte dich töten. Mit Gift. Mit einem ganz neuen, völlig unbekannten Gift. Es hat dich nur nicht getötet. Es hat dich geschrumpft. Da du nun nicht tot warst, musstest du dich verstecken, denn die Gefahr bestand, dass sie dich und die, die dir etwas bedeuten, töten, wenn herauskommt, dass du noch lebst. Du nanntest dich Conan Edogawa. Er wurde deine zweite Identität. Nun ist es so, dass sie dich wohl gefunden haben, weswegen du-“ Shinichi schüttelte den Kopf, wandte den Blick ab. „Das kann nicht wahr sein… so- so was gibt es nicht…“ „Doch.“ Agasa schluckte, schaute ihn an. „Doch.“ „Und warum bin ich dann jetzt kein Kind mehr - wenn ich doch vor ner Woche angeblich noch eins war? Eine Wunderheilung, oder wie? Und überhaupt - wie soll das vonstattengehen- wie soll man einen erwachsenen Menschen zehn Jahre in der Entwicklung zurückwerfen können, das ist unmöglich-… und wer sind sie, von denen Sie immer reden? Wo war ich dann, als ich ein kleiner Junge war, hm? Bei meinen Eltern? Wie haben die den drauf reagiert? Wo sind sie eigentlich? Haben Sie auf all diese Fragen auch eine Antwort?!“ Er fing an zu husten, bekam kaum noch Luft. Während seiner letzten Worte war er immer weißer im Gesicht geworden - was beachtlich war, war er doch ohnehin schon weiß wie das Kopfkissen, gegen das er sich wieder drückte. Er atmete heftig, hustete weiter - merkte, dass seine Lungen nicht ganz so wollten wie er. Agasa schluckte. Das waren alles durchaus berechtigte Fragen, aber die jetzt alle zu beantworten, das würde dauern. Und er hatte das Gefühl, dass Shinichi jetzt aber eher wieder Ruhe brauchte. Allerdings… Etwas… musste noch gesagt werden. Die Antwort auf eine Frage stand noch aus. „Die… die dir das Gift gegeben hatten, sind auch Schuld an all dem hier. Sie wollten dich… töten, Shinichi. Der Schuss war ein Mordversuch.“ Shinichis Kopf fuhr herum, dann starrte er ihn an - seine Augen weit offen, sein Blick unmöglich zu deuten. Dann wandte er den Kopf ab, sagte nichts mehr. Mord… Lautlos formten seine Lippen das Wort. Ai schaute ihn nur an, merkte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Ihn so hilflos, so… verlassen… zu sehen war schrecklich. Agasa stand auf, reichte ihm ein Glas Wasser. Man merkte, es nahm ihn mit, brachte ihn an die Grenzen seines Verstands. Er wusste nicht, inwieweit ihre Worte in ihm etwas zum Klingen gebracht hatten, er sah nicht so aus, als würde er nicht fühlen, dass ihn das Ganze betraf… dass es wahr war… - aber er wurde nervös. Er fühlte sich sichtlich unwohl, regte sich auf, stresste sich. Und das konnte er jetzt eigentlich nicht gebrauchen. Es war wichtig, dass Shinichi sich beruhigte. Damit er gesund wurde. Sein Gedächtnis wiederfand. Stattdessen verwirrten sie ihn noch mehr. Brachten ihn gegen sich auf. Er ahnte, dass Shinichi misstrauisch jedem gegenüber war - er war verletzt, viel hätte nicht mehr gefehlt, um ihn zu töten, und das wusste er. Aber er wusste, im Gegensatz zu ihnen allen nicht, wer ihm das angetan hatte. Und ihnen glaubte er nicht. Nicht völlig, zumindest. Er musste ihnen wieder vertrauen, vorher brachte alles gute Zureden nichts. Aber zuerst brauchte er Ruhe. Darum ließen sie ihn wohl jetzt besser allein. Der alte Mann warf dem kleinen Mädchen, welches gerade von seinem Bett wieder heruntergerutscht war, einen Blick zu - sie nickte. Sie teilte also seinen Gedanken. Agasa zog einen Zettel hervor, schrieb ihm seine Telefonnummer auf. „Wir gehen jetzt, Shinichi. Denk darüber nach, schlaf ein wenig. Wir kommen morgen wieder. Wenn du etwas brauchst- dann ruf einfach an. Jederzeit. Wenn du reden willst- ruf an. Du kannst uns vertrauen, auch wenn es dir schwer fällt, das weiß ich. Das ist nur allzu nachvollziehbar.“ Er nickte schwer, dann wandte er sich um und ging. Shinichi hüstelte, trank einen großen Schluck Wasser. Irgendwie glaubte er diese Sache, dass er Detektiv war. Dass er sich in Schwierigkeiten gebracht hatte - das beantwortete die Frage, wie er mit einer Schussverletzung im Krankenhaus gelandet war. Aber dass er geschrumpft worden war, dass diese Ai - dieses kleine Mädchen eigentlich so alt wäre wie er - nein. Shinichi ließ sich wieder in die Kissen zurücksinken, atmete langsam aus. Das konnte nicht sein. Er wusste nicht, was er denken sollte. Hatte keine Ahnung, was er glauben sollte. Aber eines wusste er sicher- beruhigter als vorher war er nicht. Eher das krasse Gegenteil. Er schluckte, starrte die Decke über sich an, krallte eine Hand in die Decke über seiner Verletzung. Einer Schussverletzung, wie er nun wusste. Mord… ein… Mordversuch… Man wollte mich umbringen… Ich soll… ein kleiner Junge gewesen sein… Tot… ich sollte… …sterben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)