Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 23: Kapitel 5: Besuch ----------------------------- Hallo, meine lieben Leserinnen und Leser! An dieser Stelle möchte ich mich zuerst sehr bei euch entschuldigen, dass euch einfach so eine Woche länger hab warten lassen... leider muss ich euch ankündigen, dass ich mal wieder nicht für ein regelmäßiges Update garantieren kann... Ich möchte betonen: Diese Fic pausiert nicht. Diese Fic wrid nicht abgebrochen. Allein der Laderyhthmus wird leider ein unregelmäßiger sein. Das tut mir ehrlich Leid...! *sichschämt* Dann möchte ich mich noch sehr herzlich bei allen Kommentatoren bedanken! Vielen lieben Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, mir zu kommentieren! In diesem Sinne... viel Spaß beim Lesen, bis hoffentlich bald, eure Leira :) ______________________________________ Kapitel 5: Besuch „Wo warst du?“ Sie hatte ihn immerhin bis in die Küche kommen lassen, ehe sie sich vor ihm aufstellte und ihre Arme verschränkte, um ihn zur Rede zu stellen. Ihre blauen Augen hielten ihn fest, ihr Mund war ein wenig verkniffen, etwas, dass er von seiner Frau kaum kannte. Yukiko war sauer, auch wenn sie sich gut im Griff hatte - ihren schwelenden Ärger, gepaart mit ihrer Besorgnis um ihren Sohn und wohl neuerdings auch um ihren Ehemann, merkte man ihr nur allzu deutlich an. Yusaku seufzte, fuhr sich mit einer unbestimmten Geste über die Augen, schwieg. Ihm fiel einfach keine passende Lüge ein, mit der er seine Abwesenheit erklären konnte. Eigentlich hatte er ja vorgehabt, vor Tagesanbruch wieder da zu sein, nur leider… leider hatte ihm sein alter Ego, Cognac, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Fahndung nach Shinichi lief auf Hochtouren, nachdem man seine Leiche immer noch nicht gefunden hatte. Und nun stand sie da, und war sauer. Sie wollte zu Recht wissen, wo er gestern gewesen war. Und er wusste keine Antwort. „Yusaku, verdammt, wo bist du gewesen? Und wohin fährst du eigentlich in letzter Zeit immer, wenn du nachdenken musst…?“ So wie sie es aussprach, klang das Wörtchen „nachdenken“ ungemein spöttisch in seinen Ohren. „Yukiko hör mal…“ „Nein!“ Sie schüttelte ihren Kopf, wobei ihre Locken flogen, wippten, ehe sie wieder zur Ruhe kamen. „Nein, Yusaku, du hörst jetzt mal zu.“ Sie seufzte, drehte sich um, strich sich mit einer Hand ihre Haare aus der Stirn, während sie ihren anderen Arm immer noch um ihren Körper geschlungen hielt. „Unser Sohn liegt angeschossen und unter Gedächtnisverlust leidend im Krankenhaus. Wir waren ihn bisher nicht besuchen. Warum? Warum, verdammt?“ Sie wandte sich um. „Ich konnte verstehen, dass du dich schlecht fühlst. Dass du denkst, du hättest ihn im Stich gelassen. Ich konnte auch gerade noch verstehen, dass du ein bisschen nachdenken musstest. Aber…“ Sie trat näher, baute sich erneut vor ihm auf. Er schluckte. „Ich kann diese Geheimniskrämerei langsam nicht mehr ausstehen! Nicht nur dass Shinichi es nicht für nötig hielt und hält uns jemals zu sagen, wenn er Ärger hat; nun haust du noch ständig ab und hast offenbar auch irgendwelche Geheimnisse von mir, die du mir dann mit irrationalen Entschuldigungen erklären willst. Denn, wenn du wirklich so viele Schuldgefühle hättest, Yusaku, weil du ihn allein gelassen hast, dann, warum- warum- sind wir nicht gestern schon hingefahren, zu ihm, um ihn endlich einmal nicht allein zu lassen? Aber gut, du musstest nachdenken.“ Sie knurrte das Wort fast. „Versteh ich ja gerade noch. Aber wo warst du die ganze Nacht?!“ Yusaku starrte sie an, merkte, wie ihm langsam immer heißer wurde. „Nimm deine Tasche, wir fahren ihn besuchen. Jetzt gleich.“ Sie starrte ihn an. Er starrte zurück, ehe er den Blick abwandte und in die Eingangshalle ging. Yukiko schaute ihm hinterher, ehe sie ging, um ihre Handtasche zu holen, und kam nicht umhin, festzustellen, dass er ihrer Frage bewusst ausgewichen war, und zwar mit dem einzigen Ablenkungsmanöver, das immer zog… Shinichi. Yusaku schluckte, als er die Tür seines Wagens öffnete und sich auf den Fahrersitz sinken ließ. Er ahnte, was Yukiko dachte und er wusste, dass diese Diskussion noch lange nicht beendet war. Aber er brauchte Zeit, um sich etwas einfallen zu lassen, und die Wahrheit- die Wahrheit konnte er ihr einfach nicht sagen. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, jetzt zu Shinichi zu fahren. Er war nicht vorbereitet, in keiner Weise. Einerseits war er innerlich überhaupt nicht gewappnet gegen das, was ihn erwartete, im Krankenhaus. Und zweitens hatte er keine Zeit gehabt, irgendwie sicher zu stellen, dass er sie nicht direkt zu ihm führen würde. Zwar wusste außer dem Triumvirat und Vermouth keiner um seine Identität in der Schwarzen Organisation… keiner außer ihnen wusste, wo er wohnte. Aber wer konnte in diesen Zeiten schon sicher sein, dass dem so blieb. Er hatte Angst, dass er sie direkt zu ihm führte. Allerdings, und das konnte er nicht ausschließen, waren sie vielleicht schon da; und wenn sie das waren, dann wurde es höchste Zeit, dass Shinichi da weg kam. Nun. Er würde sich überraschen lassen müssen und die Augen offenhalten. Shinichi stutzte. Der Professor war wieder da. Und mit ihm Ai, dieses komische Kind, aber diesmal waren sie nicht allein; hinter ihnen standen drei weitere Kinder. Das waren bestimmt diese Kinder, die mit auf dem Ausflug gewesen waren. Sie alle starrten ihn ängstlich an. Und mitleidig. Vielleicht sogar ein wenig böse. Verwirrung machte sich in ihm breit. Wenn ich mich doch wenigstens ein wenig erinnern könnte… Kurz bevor sie die Tür erreicht hatten, stand er auf - kümmerte sich nicht weiter um den Protest der Krankenschwester, ging zur Tür, machte sie auf und bedeutete seinem Besuch mit einem Nicken, einzutreten. Er wollte nicht so schwach erscheinen. Er fühlte sich zwar so - aber er wollte nicht, dass man es ihm allzu deutlich ansah. Er hasste das. Hinter sich schloss er die Tür, tappte zum Bett und ließ sich darauf nieder. Sie alle schauten ihn erwartungsvoll an. Er seufzte, dann warf er dem Professor einen Blick zu. Der alte Mann räusperte sich. „Wie geht’s dir heute?“ Shinichi zog die Beine aufs Bett. „Was genau wollen Sie wissen? Wenn Sie interessiert, ob ich über Nacht eine Eingebung hatte - nein. Nein, leider nicht - oder nein, Gott sei Dank nicht? Ich weiß seit gestern ehrlich gesagt nicht mehr, was ich denken soll.“ Er schaute ihn prüfend an. „Können Sie’s denn beweisen?“ Agasa starrte ihn an. Etwas war heute anders als gestern. Er war heute etwas anders als gestern. „Beweisen, dass du Conan warst?“ Shinichi nickte nur, zog dann langsam seine Bettdecke hoch. Agasa schüttelte bedauernd den Kopf. Ai schaute ihn an, zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. „Eigentlich nicht. Da du dich an nichts erinnern kannst, wird es dir nicht reichen, wenn wir dir nur Bilder zeigen, von Conan und von dir als Grundschüler, weil du keine Vorstellung von dir selber hast. Und es wird dir nicht reichen, wenn dir jeder sagt, dass du Conan warst, inklusive deiner Eltern, weil du momentan keinem richtig kennst und vertrauen willst.“ Der Professor zog sich einen Stuhl heran. „Das stimmt nicht ganz.“ Shinichi seufzte. „Ich will schon. Allein das mit dem Können ist so eine Sache…“ Er lächelte bitter. „Wissen Sie, ich habe nachgedacht, und ich finde das meiste eigentlich ziemlich… plausibel. Es… erklärt viel.“, murmelte Shinichi leise, ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. „Die Sache mit dieser Organisation, der Mordversuch… meine… detektivischen Ambitionen, das alles erklärt, wie ich hierherkomme. Nur die Sache mit Conan nicht. Das klingt einfach zu abenteuerlich, seien Sie mir nicht böse, auch wenn ich mir andererseits wieder nicht vorstellen kann, dass Sie mich anlügen. Deswegen hab ich gefragt, ob Sie’s beweisen können, aber wenn das offensichtlich nicht der Fall ist…“ Ai warf dem Professor einen schrägen Blick zu. Der fing ihn auf, wandte dann ruckartig den Kopf ab, schaute stur in die andere Richtung. Das rotblonde Mädchen schluckte, dann krabbelte es aufs Bett, ließ die Füße über die Kante baumeln. Wir haben einen Beweis, Professor. Das wissen Sie. Shinichi seufzte, warf ihr einen musternden Blick zu - stutzte dann, als ein weiteres Mädchen, ein brünettes, süßes Ding, ebenfalls auf sein Bett kletterte und ihn ansah. Er blinzelte - dann wandte er sich wieder dem Professor zu. „Sagen Sie – sind sie das?“ Er nickte in Richtung der Kinder, musterte sie kurz. Der alte Mann nickte. „Ja, das hier sind Ayumi, Genta und Mitsuhiko, die du als Conan in der Grundschule-…“ Er bemerkte seine hochgezogenen Augenbrauen. „Nun gut, lassen wir das fürs erste. Du bist jedenfalls mit ihnen befreundet. Sie wissen nun, was passiert ist und wollten unbedingt mitkommen, um dich zu besuchen.“ Shinichi ließ seine Augen von einem zum anderen schweifen - bekannt kam ihm jedoch keines der Kinder vor. Shinichi warf ihnen einen betroffenen Blick zu, merkte, wie sich seine Lippen verkniffen und bemühte sich, ein irgendwie geartetes Lächeln aufzusetzen. Lächeln, irgendwie. Nicht merken lassen, dass ihn das doch traf… denn irgendwie… glaubte er es. Wenn er in ihre unschuldigen, zweifelnden, aber doch entschlossenen Gesichter blickte, glaubte er, dass sie ihren Freund suchten, gesucht hatten, mal dahin gestellt, ob er es wirklich war… ob sie ihn in ihm gefunden hatten. Das waren Kinder. Sie sollten wohl eigentlich gar nicht hier sein… das hier war wohl nicht gerade die Art Sache, mit der sich kleine Kinder wie sie auseinandersetzen müssen sollten. Mit so etwas sollten sie nicht konfrontiert werden… mit Mordversuchen und retrograden Amnesien. Er holte Luft, merkte, wie sein Versuch, zu lächeln, langsam fruchtete. „Das… ehrt mich. Aber ich fürchte, ich hab da ein Problem.“ Er seufzte, das Lächeln rutschte von seinen Lippen; nachdenklich rieb er sich mit seinen Fingern die Stirn. „Ich weiß nicht… sollte ich mich entschuldigen? Bei euch?“ Er warf dem Professor einen fragenden Blick zu. „Wenn das mit Conan stimmt, dann sollte ich das wohl… dann wäre eine echte, aufrichtige Entschuldigung für dieses Monstrum von einer Lüge mehr als angebracht… aber ich… ich kanns einfach nicht glauben…“ Unbestimmt ließ er seinen Blick von einem zum anderen wandern, schluckte. „Und deshalb wär auch eine Entschuldigung nicht aufrichtig… ich hoffe, ihr vergebt mir das… Sollte ich mich mal daran erinnern, tatsächlich solchen Bockmist gebaut zu haben, dürft ihr aber mit einer formvollendeten Entschuldigung rechnen.“ Er lächelte hilflos. „Lädst du uns dann ein zum Essen?“ Genta starrte ihn an, mit seinen Gedanken ganz klar bei Aal auf Reis. Mitsuhiko stieß ihm seinen Ellenbogen in die Rippen. Der dickliche Junge stöhnte auf, warf ihm einen wütenden Blick zu. „Was denn? Ich finde, ein gutes Essen entschuldigt fast alles-…“ „Natürlich.“, seufzte Shinichi. „Wenn ich mich erinnere, lad ich euch zur Wiedergutmachung zum Essen ein.“ Die drei Kinder jubelten, allerdings nur kurz; zu schnell dämpfte die Gegenwart ihre Vorfreude. Es wusste ja keiner, ob diese Zukunft, die sie sich wünschten, je eintreffen würde. „Sagen Sie…“, begann Shinichi schließlich, nach ein paar Sekunden unangenehmer Stille. Agasa, der gerade seinerseits eine Frage stellen wollte, hielt inne. „Ja?“ „Wissen Sie, was passiert ist?“ Shinichi schluckte. „Letzte Woche. Nach meiner… Entführung. Meinem… Verschwinden. Wie auch immer. Wo war ich? Was hab ich da gemacht, was hat man mit mir gemacht, ich meine- es muss doch einen Grund geben, weshalb...“ Der junge Detektiv hatte seinen Blick abgewandt, studierte die weiße Wand vor ihm. „Das hier muss doch seine Ursache haben, irgendwo. Man verliert doch nicht einfach so sein Gedächtnis, dazu noch so… gründlich.“ Zynismus schwang in seiner Stimme, er versuchte gelassen zu klingen, und Ai wunderte sich, dass sie ihm seine Gelassenheit sogar fast abkaufte. Agasa blickte in forschend an. „Du wurdest enttarnt, bei unserem Ausflug, das weißt du. Ein Organisationsmitglied hat dich entführt, und du bist wohl geflohen, als man dich töten wollte. Auf der Flucht dann…“ Shinichi starrte ihn an. „Das ist alles? Man hat mich ne Woche eingesperrt? Warum hat man mich nicht gleich erschossen, wo doch anscheinend alles darauf hinauslief?“ Der alte Professor schaute ihn unbehaglich an, merkte, wie der junge Detektiv ihn musterte, wusste, er würde sich nicht ohne Antwort zufrieden geben. Aber Shinichi… das willst du jetzt noch nicht wissen… oder doch? „Sie verheimlichen mir doch etwas.“ Er stellte es mit sehr sachlicher Stimme fest. Der weißhaarige Mann schluckte. „Unter Umständen.“ „Warum?“ „Shinichi…“ Agasa rang mit sich. „Das ist nicht wichtig, jetzt…“ Shinichi schüttelte bestimmt den Kopf. „Das ist Schwachsinn, das wissen Sie. Für mich ist alles wichtig, ich muss alles wissen, weil ich nämlich nichts mehr weiß! Wie soll ich mein Gedächtnis wieder bekommen, wenn man mir nicht sagt, was genau passiert ist? Und außerdem ist es nicht fair, wenn alle anderen mehr über mich wissen als ich selbst. Das ist… kein gutes Gefühl. Also bitte…“ Der junge Mann schaute ihn eindringlich an. „Ich bitte Sie…! Sagen Sie’s mir, ich werd schon klar kommen damit, irgendwie. Alles ist besser als das hier!“ Professor Agasa seufzte, nahm seine Brille ab und wischte sich über seine Augen. „Nun gut. Wahrscheinlich hast du Recht, aber ich sage dir… Es wird dir nicht gefallen. Deshalb ist es wichtig, dass du gut zuhörst….“ Die Blicke aller Anwesenden im Raum richteten sich auf ihn. Ai wusste, was jetzt kam. Und wenn sie in die Gesichter der Kinder schaute, dann waren wohl auch an ihnen die Nachrichten nicht vorbeigegangen. Ein gewisser Artikel in einer gewissen Zeitung. Der Professor schaute die Kinder kurz an, dann wandte er sich an Ai. „Wollt ihr nicht vielleicht für alle Kuchen holen gehen?“ Ai kapierte sofort. Sie sprang vom Bett, zog dabei Ayumi mit sich. „Sicher. Ich denke, ein bisschen Zucker könnte uns allen guttun.“ Ehe die Kinder große Proteste beginnen konnten, hatte Ai sich das Portemonnaie des Professors aushändigen lassen, und die Kinder vor sich her nach draußen gescheucht. Shinichi hatte während alledem nichts gesagt; jetzt allerdings fokussierte er den alten Mann musternd. „War es denn… so schrecklich?“, fragte er dann langsam. „War es so schlimm, dass Sie den Kindern diese Geschichte nicht antun wollten?“ Agasa schaute ihn stumm an, wiegte seinen Kopf nachdenklich, ehe er sprach. „Es ist für einen Erwachsenen schon schlimm zu hören, und ich denke wirklich nicht, dass die Kinder das wissen müssen. Für dich wird das jetzt auch nicht leicht, aber gut… du wolltest es so, und wahrscheinlich muss es wohl auch sein. Allerdings haben wir keine Zeit für Details, heb dir die Fragen für später auf, wenn die Kinder weg sind.“ Der junge Detektiv nickte ernst. Die Stimme des Professors klang gefasst, als er schließlich nach mehrfachem Räuspern ansetzte. „Du weißt, du wurdest von Mitgliedern dieser Organisation entführt. Was ich dir jetzt erzähle weiß ich von einer Insiderin, einer Undercoveragentin, die für die CIA arbeitet.“ Shinichi nickte. „Also. Sie haben dich da… ungefähr einen Tag behalten. Dann hat man dich dem sogenannten Triumvirat vorgeführt; das Triumvirat bildet zusammen mit dem Boss die herrschende Macht der Organisation. Nun. Man hat dich unter Folter verhört…“ Seine Stimme versagte, als er in Shinichis Gesicht blickte, der sich unwillkürlich eine Stelle an seinem rechten Unterarm berührt hatte, wo wohl zweifellos noch immer ein Hämatom zu sehen war. „Weiter?“ „Du hast keine Informationen preisgegeben. Daraufhin wollte man dich töten, du warst ja jetzt nicht mehr von Nutzen, eher das Gegenteil… eine Gefahr, eine Last.“ Agasa geriet ins Schwitzen. „Dazu kam es aber nicht. Der Boss widersprach dem Beschluss des Triumvirats, er… hatte andere Pläne für dich. Er wollte… er wollte, dass du einsteigst.“ Shinichis Mimik schien unbewegt. „Lassen Sie mich raten. Ich bin eingestiegen.“ „Ja.“ Agasa nickte, bewunderte ihn für diese Ruhe, mit der er diese Nachricht auffasste. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber vielleicht nicht ganz diese… Gelassenheit, konnte man es fast schon nennen. „Woher weißt du das?“ Shinichi schaute ihn an, ein bitteres Lächeln huschte ihm über die Lippen. „Es fällt Ihnen so derart schwer, mir diese unangenehme Nachricht zu überbringen, dass eigentlich der Schluss, wie meine Entscheidung ausgefallen sein könnte, nur der sein konnte, dass ich zugesagt habe. Ich bin ein Mitglied der Schwarzen Organisation gewesen.“ Der Professor schaute ihn etwas bedrückt an. „Dein Deckname war Armagnac.“ Shinichi nickte langsam. „Es scheint einleuchtend. Hätte ich nein gesagt, wär ich jetzt tot.“ „So ist es.“ Shinichi kniff die Lippen zusammen, schien angestrengt nachzudenken, wahrscheinlich, das zumindest vermutete Agasa, versuchte er, herauszufinden, was er in dieser Woche getan hatte. Versuchte sich zu erinnern, ob irgendetwas vorgefallen war, das… Seine Augenbrauen waren zusammengerutscht, seine Stirn zeigte eine leichte Denkerfalte. Dann seufzte er, schüttelte frustriert den Kopf. „Sie sagten, eine Woche etwa…?“ Agasa nickte langsam. „Ja, etwa eine Woche warst du da.“ Shinichi biss sich kurz auf die Lippen, dann fixierte er den Professor mit seinen blauen Augen, blickte ihn starr an, merkte doch, wie sein Puls nach oben schoss, als er die Frage stellte, die ihn so sehr beschäftigte. „Hab ich… wissen Sie, ob ich…“ Er atmete durch, wischte sich unwillig über die Stirn, riss sich dann sichtlich zusammen. „Habe ich in dieser Woche eine Straftat begangen? Ein Verbrechen?“ Der Professor schüttelte den Kopf. „Nein. Soweit wir wissen, nicht.“ Ein erleichtertes Seufzen verließ seine Lippen, müde hob er die Hand, strich sich erneut über sein Gesicht, auf die eine einzelne Schweißperle getreten war, dann rieb er sich die Schläfe, massierte sie mit zwei Fingern. „Aber das kapier ich nicht… irgendetwas stimmt da doch nicht.“ Der Professor schaute ihn fragend an. „Was?“ Shinichi seufzte, starrte auf die Bettdecke, ließ seine Hand sinken. „Ich kann mir nicht vorstellen… ich meine… bestand denn eine Aussicht, dass ich da schnell wieder rauskomme?“ „Nein.“ Agasa schüttelte langsam sein Haupt. „Eher das genaue Gegenteil, Shinichi.“ „Das heißt, ich wurde ein Mitglied, ohne die Hoffnung, je raus zu kommen… blickte einer Karriere in einem Verbrechersyndikat entgegen, einer Zukunft, die wohl von Mord, Raub, Anschlägen und Erpressung gezeichnet sein würde…?“ Der junge Detektiv warf ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Lachen Sie jetzt bitte nicht, aber irgendwie will mir das nicht in den Schädel. Sie versuchen gerade, mir zu erklären, dass ich lieber ein Verbrecher… ein Mörder, womöglich… geworden wäre, als zu sterben? Ich… ich schätz mich so aber selber gar nicht ein… lieg ich denn da so kolossal daneben? Ist mir echt das nackte Überleben wichtiger, als die Umstände, wie ich lebe? Der Preis dafür? Ich meine, ich kann jetzt leicht sagen, dass ich lieber gestorben wäre als mir mein Leben mit dem Leben anderer zu erkaufen… ich weiß es ja nicht besser…“ Der alte Professor berührte ihn am Unterarm, brachte ihn so dazu, zu schweigen und ihn wieder anzusehen. „So war das nicht. Du bist nicht wegen deinem eigenen Leben eingestiegen, und nein, du schätzt dich da ganz und gar nicht falsch ein… du bist ein Mensch mit unglaublich hohen Wertvorstellungen und moralischem Anspruch, gerade an dich selbst. Diesen Preis für dein Leben hättest du nicht gezahlt.“ Shinichi schluckte, starrte ihn an, seine Augen unbewegt. „Aber…?“ „Aber du warst bereit, dir ein anderes Leben damit zu erkaufen.“ Shinichis Kopf fuhr ruckartig hoch, sein Mund wurde schlagartig trocken. „Was meinen Sie damit?“ Seine Stimme klang ungewöhnlich scharf. Agasa sah ihn an, seufzte lautlos. Man sah ihm an, dass er sich denken konnte, was man ihm jetzt sagen würde, und es schien ihm jetzt schon nicht zu gefallen. „Nun, wie du dir wohl denken kannst, hat man dich erpresst. Der Grund, warum du dem Deal zu gestimmt hast, war nicht dein eigenes Leben zu retten, sondern das einer anderer Person zu schützen.“ Man hörte, wie er pfeifend die Luft einsog. Ein paar Sekunden war außer dem Geräusch seiner heftigen Atmung und dem leisen Singen der Vögel vor dem Fenster nichts zu hören, dann… „Wen? Wer war diese Person? Sie? Oder diese Ai?“ Er klang drängend, seine ganze Haltung sprach von Anspannung und Nervosität. „Nein, nicht Ai, obwohl du sie wohl auch geschützt hast; du weißt ja, sie ist ein Ex-Mitglied der Organisation, hat dieses… nun, Gift, an das du nicht glaubst, weiterentwickelt, maßgeblich, und gilt seit ihrer Flucht als Verräterin… aber sie war es nicht, für den du dein Leben eingetauscht hast.“ Agasa holte Luft. „Man hat dir gedroht, eine gute Freundin von umzubringen, wenn du nicht einsteigst. Du hast als Conan die letzten drei Jahre bei ihr gewohnt.“ Er überging Shinichis missvergnügten Gesichtsausdruck, seufzte. „Eine gute Freundin?“ Seine Stimme klang zweifelnd. „Ja.“ Agasa nickte langsam. „Ihr Name lautet Ran Môri, sie ist in etwa so alt wie du … du hast bei ihr die letzten drei Jahre gewohnt…“ „Ran?“ Agasa hob den Kopf. Seine Stimme hatte fragend geklungen. „Kommt dir der Name bekannt vor?“ Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. Shinichi schüttelte traurig den Kopf. Auf seinen Zügen lag Resignation. „Nein. Nicht bekannt…“ …aber vertraut. „Du kennst sie schon ewig. Sie ist… ein wirklich nettes, freundliches, liebenswertes Mädchen. Ihr seid schon lang sehr gut befreundet. Eigentlich seid ihr so was wie…“ Und dann passierte etwas, was Agasa verblüffte. Shinichi beugte sich vor, hielt ihm den Mund zu. „Sagen Sie’s mir nicht, bitte. Ich würde sie das… ich würde gern selber mit ihr reden. Wenn wir uns schon so lange kennen, dann wird wohl wenigstens sie mich irgendwann besuchen… und dann würde ich gern selber mit ihr reden.“ Agasa nickte langsam, beobachtete, wie Shinichi sich die Worte für seine nächste Frage zurecht legte. „Also wegen ihr… bin ich… eingetreten?“, murmelte er dann langsam, schleppend kamen ihm die Worte über die Lippen, in Gedanken war er bereits schon ganz woanders. Und sie ist nur eine gute Freundin? Das kann ich kaum glauben… Ich meine… wie wichtig muss mir ein Mensch denn sein, wie groß… wie stark die Bindung, dass ich das mache… dass ich zulasse, dass man mein Ich zerstört? Ist es… Liebe… liebe ich sie denn…? Würde ich… für die, die ich liebe, mein Leben aufgeben…? „Ich finde das unfair.“ Genta schnaubte, als er beladen mit ein paar in Papier eingeschlagenen Kuchenstücken neben Mitsuhiko und Ayumi hertrabte, die Becher mit Kaffee und heißer Schokolade trugen. Ai ging ihnen allen voran, seufzte. „Versteht das doch einmal, bitte. Das ist einfach nichts für kleine Kinder. Shinichi ist fast zwanzig und hat über diese Erlebnisse wohl sein Gedächtnis verloren.“ Sie drehte sich um, warf den dreien einen schrägen Blick zu. „Ihr seid grad mal halb so alt. Außerdem ist das seine Leben, seine Sache, seine Geschichte. Er würde nicht wollen, dass ihr die Details hört, das müsst ihr respektieren, und wenn ihr euch seine Freunde nennt, dann sollte das für euch kein Problem darstellen.“ Sie seufzte, vergrub sinnierend ihre Hände in den Taschen ihrer Tunika, war mit den Gedanken fast schon woanders. „Außerdem - ihr müsst einfach auch nicht alles wissen.“ Damit schwieg sie, gestattete es ihrem Kopf, sich den Dingen zuzuwenden, die sie dringender beschäftigten als ein paar neugierige Kinder. Er hatte sich langsam zurücksinken lassen, als Agasa ihm den Rest dieser Woche erzählt hatte. Er war blass geworden, ja. Sein Gesicht wie versteinert, seine Augen blicklos – er starrte auf die Wand und schien sie doch gar nicht wahrzunehmen. Nun war der alte Professor mit der Geschichte fertig und Shinichi lag im Bett, seine Lippen leicht geöffnet, einerseits wohl vor Entsetzen, andererseits, um ihm das Atmen zu erleichtern – und das war auch nötig. Seine Pulsfrequenz war in die Höhe geschossen, und dem hatte sich sein Atemrhythmus angepasst. Ansonsten war es still. Schon seit einem ziemlich langen Augenblick. Und dieser zog sich weiter, wie Kaugummi, der unter der Schuhsohle kleben geblieben war, so zumindest kam es Agasa vor, der sich fragte, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, sich von Shinichi breitschlagen zu lassen und ihm die ganze Geschichte am Stück zu erzählen. Dann ließ ihn das Rascheln des Kissens hochfahren und bemerkte, dass Shinichi sich aufgesetzt hatte und ihn anschaute. „Das ist heftig.“, murmelte er dann. Agasa nickte matt. „Und das alles in einer Woche… kein Wunder, dass sich mein Gedächtnis verabschiedet hat.“ Shinichi lachte hohl, schüttelte dann den Kopf. „Ich fass es nicht. Wie kann ein Mensch sich allein in so ne Scheiße reiten…“ Der alte Mann zog die Augenbrauen hoch. „Wird dir bestimmt wieder einfallen.“ Shinichi wandte ihm den Kopf wieder zu. „Witzig.“ Er verzog kurz genervt das Gesicht, dann wurde er wieder ernst. „Und Sie sagen, er ist jemand, den ich kenne? Ich lebe noch, weil mich der Boss dieser Organisation persönlich kennt? Es ist jemand aus meinem Umfeld?“ Er stützte sich auf die Ellenbogen. „So ist es.“ „Nicht gut.“ Shinichi stemmte sich weiter hoch, schob das Kissen zurück und lehnte sich dagegen, nun in einer etwas aufrechteren Sitzposition. Er hob die Hände, begann sich die Schläfen zu massieren, als er nachdachte. „Das ist nicht gut. Nein, eher schlecht.“ Ein leiser Seufzer entfloh seinen Lippen. „Denn das heißt, es könnte potentiell jeder sein, den ich kenne. Auch Sie.“ Der Professor zuckte kurz zusammen, nickte dann aber. „Leider wahr, ja. Auch wenn ich dir gern versichere, ich bin es nicht, aber beweisen kann ichs dir nicht.“ Im nächsten Moment ging die Tür auf, und die vier Kinder traten ein, bis auf Ai alle mit sehr missvergnügtem Gesicht, und wild entschlossen, sich lautstark Luft zu machen, doch erstarrten, als sie sahen, was für ein Anblick sich ihnen bot. Shinichi saß im Schneidersitz auf seinem Bett, seine Ellenbogen auf seine Knie gestützt, seine Hände gefaltet, wobei sein Kinn auf den Spitzen seiner Daumen ruhte und seine ausgestreckten Zeigefinger seine Lippen berührten. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Konzentration, dass sie alle verstummen ließ und ihnen jeden Mucks verbot. Ai starrte ihn an. Irgendwo tief drin in dir, da fühlst du es. Es ist da. Und du weißt das. Du bist noch da… Sein Blick schien gedankenverloren, es war klar, dass er gerade intensiv über etwas nachdachte; dann wurde er sich gewahr, dass er beobachtet wurde, blinzelte, versuchte, nicht mehr ganz so weggetreten zu wirken, wenn ihn auch doch der Gedanke noch beschäftigte… dass er den Boss persönlich kannte. Gut kannte. Er versuchte stattdessen ein Lächeln, schaute die Kinder fragend an. „Kuchen?“ Ai nickte. „Ja.“ Sie zerrte Genta hoch, der es sich mit der Kuchentüte bereits auf dem Boden bequem gemacht hatte, und bedeutete ihm unmissverständlich, den Kuchen so aufzuteilen, wie es gedacht gewesen war; nämlich für sechs Personen je ein Stück, nicht sechs Stücke für eine Person. Ayumi drückte ihm lächelnd einen Becher Tee in die Hand, während Agasa ihn eher etwas skeptisch anblickte. „Darfst du den trinken?“ Shinichi warf ihm einen gelassenen Blick zu, setzte sich den Becher an die Lippen. „Mir egal, wenn nicht.“ Wenige Augenblicke später saß die ganze Bande dann auf seinem Bett und krümelte die Decke voll; er nahm es hin, lehnte sich etwas erschöpft zurück. Einzig Ai hatte sich einen Stuhl neben den Professor gezogen und darauf Platz genommen; ihre Beine schwebten ein gutes Stück über dem Boden. Shinichi schaute sie an, war sich offenbar nicht gewahr, dass er sie anstarrte; er wurde sich dessen erst dann bewusst, als Agasa ihn ansprach, hob den Kopf hastig und erhaschte einen Blick in Ais mysteriös lächelndes Gesicht. Der Professor hatte seinen Kuchen bereits gegessen und schaute ihn nun seinerseits fragend an. „Gibt es noch etwas, das du wissen willst?“ Shinichi stellte seinen leeren Becher auf den Nachttisch. Den Kuchen hatte er kaum angerührt, reichte ihn schweigend an Genta weiter, als er dessen sehnsüchtigen Blick bemerkte; der machte sich begeistert darüber her, und beachtete den empörten Blick Ayumis und Mitsuhikos missbilligendes Räuspern nicht im Geringsten. „Gibt es denn noch etwas, das ich wissen sollte? Über mich?“ Er grinste säuerlich. „Natürlich… das solltest du auch wissen.“ Agasa nickte. Shinichi seufzte, griff sich kurz an den Kopf, massierte sich mit Zeige- und Mittelfinger seine Schläfe. „Sind meine Eltern eigentlich - immer noch in den Staaten? Ich meine… lassen sie sich auch mal blicken?“, Er starrte auf seine Hände, wusste gar nicht, warum er das eigentlich fragte. Es konnte ihm doch eigentlich egal sein - er würde sie wohl genauso wenig kennen wie diese Kinder hier, oder den alten Mann. Aber er glaubte, sich besser zu fühlen, wenn die beiden Menschen, denen er seine Existenz auf dieser Erde verdankte, bei ihm waren. Wenn er wüsste, dass es noch andere gab, die sich sorgten. „Was deine Eltern anbelangt… sie sind schon in Tokio. Sie werden… sie werden wohl auch bald kommen…“ Shinichi atmete langsam aus. „Nun, man kann es ihnen nicht verdenken, oder…? Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wüsste ich, mein Sohn kennt mich nicht mehr…“ „Das ist es nicht, was sie abhält, zu kommen…“ „Also wollen sie nicht.“ Shinichi hob den Blick, schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen durchdringend an. „Das darfst du nicht denken!“ Agasa klang entsetzt. „Sie denken, sie haben dich im Stich gelassen. Sie machen sich Vorwürfe, weil es so weit gekommen ist… Sie bleiben nicht aus Desinteresse fern…!“ Shinichi schüttelte den Kopf sacht, ließ sich gegen sein Kopfkissen sinken. „Na Klasse - und haben die auch schon mal gedacht, was sie in diesem Moment tun? Gerade eben lassen sie mich nicht im Stich, oder wie? Eine seltsame Logik haben die beiden, das muss man ihnen lassen…“ Er wandte den Blick ab. „Meinetwegen brauchen sie auch gar nicht kommen, wenn es ihnen so zuwider ist. Oder wenn sie solche Angst haben. Sie müssen sich das wirklich nicht antun.“ Sein Gesichtsausdruck verriet Trotz, seine Stimme klang bitter. Agasa starrte ihn an. Dann beugte er sich vor, griff nach seinem Arm, drückte ihn- versuchte, so mitfühlend wie möglich zu klingen, als er sprach. „Sag so was nicht.“ Shinichi blinzelte, schaute ihn verwirrt an. „Sie sorgen sich um dich. Es ist nur leider für sie auch nicht einfach - aber sie werden schon noch kommen, für dich da sein. Glaub mir.“ Der Oberschüler presste die Lippen aufeinander, seufzte leise. Eine Weile war es still im Raum. „Und du weißt echt gar nichts mehr?“ Genta war näher getreten. „Genta!“ Mitsuhiko zischte ihn wütend an, warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Ich frag ja nur. Ich meine, damals bei Ran…“ „Damals bei Ran…?“, hakte Shinichi nach. Agasa warf Genta einen strengen Blick zu. „Das soll sie dir selber sagen, was damals bei ihr war.“ Er schluckte. „Sie ist bereits auf den Weg hierher. Sie sollte schon im Flugzeug sitzen… soweit ich das von Jodie heute Morgen erfahren habe.“ Agasa seufzte, um die eingetretene Stille im Zimmer zu füllen, knetete seine Hände, fuhr sich dann durch seine weißen Locken. „Nun, ich nehm an, Heiji wird dann morgen auch kommen… er bemüht sich gerade mit der Polizei und dem FBI, deine letzten Stunden zu rekonstruieren, um herauszufinden, wo dein Gedächtnis auf der Strecke geblieben ist…“ Agasa lächelte hilflos. „Heiji?“, murmelte Shinichi. „Also ein Freund, ja?“ Der alte Professor nickte. „Ja, ein Freund von dir, er ist in deinem Alter. Heiji und Ran…und Ai… sind wohl deine besten Freunde, du hattest nicht viele, eigentlich… hauptsächlich die zwei… abgesehen von…“ Er warf einen unsicheren Blick auf die Kinder, lachte dann unbeholfen. „Nun, wenige, aber dafür sehr gute. Er ist ein Schülerdetektiv wie du. Soll ich ihn fragen, wann er kommt?“ Er strich sich gedankenverloren über den Bart. Shinichi nickte nur - damit drehte sich der Professor um, verließ das Krankenzimmer. Genta hüpfte auf den Stuhl, auf dem gerade noch Agasa gesessen hatte, Mitsuhiko nahm auf dem Bett Platz. Alle starrten sie ihn erwartungsvoll an. Ein paar Sekunden lang spannte sich das Tuch des Schweigens über dieses Szene; keiner wagte es, ein Wort zu sagen, obwohl allen nur zu viele Fragen auf den Lippen brannten. Schließlich war Shinichi es selbst, der die Stille durchbrach. Die Frage um Conan Edogawa bereitete ihm langsam wirklich Kopfschmerzen. „Könnt ihr es glauben? Ich meine, bis auf dich…“ Er warf Ai einen prüfenden Blick zu. „Bis auf dich, Ai, seid ihr ja alle normale Kinder, oder? Könnt ihr diese Geschichte mit Conan glauben? Kann das denn wahr sein?“ Er massierte sich die Schläfen. Es wollte ihm nicht in den Kopf. Mitsuhiko starrte ihn an. „Willst du - willst du eine ehrliche Meinung? Shin… Shinichi?“ Shinichi hob den Kopf. „Sicher. Ich würde nicht fragen, wollte ich keine.“ Mitsuhiko straffte die schmalen Schultern. „Ich wollts gestern selbst nicht glauben. Aber jetzt, wo ich es sehe… wo ich den Vergleich habe…“ Er schluckte. „Du bist Conan. Du warst Conan. Du wirst immer Conan sein - denn du und Conan Edogawa, ihr seid ein- und dieselbe Person. Das merkt man sofort. Wir wissens auch erst seit gestern, wie gesagt… aber… es ist so verdammt offensichtlich, eigentlich…“ Er schluckte, schaute in die Runde - der dicke Junge nickte entschlossen, und auch das brünette Mädchen schaute ihn an, signalisierte ihre Zustimmung durch ein leichtes Kopfnicken. Ai rührte sich nicht. Sie schaute nur in seine Augen, sah diesen Willen, das alles zu verstehen, aber in diesem Fall, und das war schon fast tragisch… war es ausgerechnet sein Verstand, die Logik, die er so verehrte, die ihm versagte, die Wahrheit zu glauben. Das ist wirklich traurig, Kudô. Und gefährlich… Denn wir sind in Gefahr. Du bist in Gefahr… … mehr noch als ich, denn du kennst die Gesichter deiner Dämonen nicht mehr. Agasa seufze, dann wählte er Heijis Nummer, die er vorsorglich eingespeichert hatte. Es läutete genau zweimal- dann hob der junge Detektiv des Westens ab. „Hattori?“ „Hallo, Heiji. Ich bins, Hiroshi Agasa- es geht um…“ „Shinichi?“ Heiji merkte, wie ihm die Luft wegblieb. Sein Puls beschleunigte sich. „Ja. Um Shinichi… ich wollte fragen, ob du…“ Heiji schloss die Augen, atmete tief durch. „Wie geht‘s ihm? Was hat er gesagt? Geht’s ihm heut besser als gestern? Wann kann ich ihn besuchen? Weiß er vielleicht wieder was, wir könnt‘n hier wirklich…“ „Heiji.“ Agasa unterbrach ihn. „Er erinnert sich immer noch an nichts. Wie läufts bei euch?“ „Schlecht.“ Heiji seufzte, wandte sich kurz um, warf den drei Polizisten und den zwei FBI-Agenten am Konferenztisch einen kurzen Blick zu. „Die Polizei hat ihn gesehn, an dem Abend, wissense…“ Der alte Mann stutzte. „Was?“ „Ja. Sie… wollten wohl die Hände nicht länger in den Schoß legen, und da sie wussten, dass Akai auf dem Weg zu Ran war, beziehungsweise schon bei Ran angekommen war, dachten sie, sie könnten es riskieren, zum Ort des Deals zu gehen. Dort haben sie sie gesehn. Einen großen Blonden, einen untersetzten Mann mit Hut und Sonnenbrille, eine Frau mit langen, blonden Locken und… ihn.“ Heiji schluckte. „Sie haben beobachtet, wie der Deal vonstattenging. Der erste Klient wurde wohl ohne Zwischenfall abgefertigt, aber beim zweiten stimmte wohl etwas mit der Bezahlung nicht. Und da hat Shinichi… sie bemerkt. Und Gin auch.“ Der Professor seufzte. „Weiter?“ „Die Polizei hat also gewusst, dass sie aufgeflog‘n war, und deshalb verhielt sie sich ruhig. Allerdings schien Gin… so heißt der große Blonde… ihm unbedingt… er…“ Heiji schluckte. „Meguré, Sato und Takagi sagen, Gin wollte, dass Shinichi den Klienten erschießt, weil off’nbar was mit dem Geld nicht stimmte.“ Agasa fing an zu husten, bekam sich nur mühevoll wieder ein. „Ja…?“, krächzte er dann fassungslos. „Ja. Es muss `n ziemliches Theater gegeben haben. Shinichi hat sich wohl zuerst geweigert, sie müssen ziemlich gestritten haben und…“ „Zuerst?!“ Agasa war weiß geworden. „Bitte sag mir jetzt nicht, dass Shinichi jemanden getötet hat…“, flüsterte er drängend ins Telefon, warf einen unsicheren Blick auf die Tür, hinter der Shinichi im Bett lag und von nichts mehr eine Ahnung hatte. „Nein.“ Agasas langes Seufzen blockierte für Sekunden durch lautes Rauschen die Leitung. Der Oberschüler schluckte. „Nein, keine… keine Sorge. Sato sagt, es habe ausgesehen, als hätte Shinichi… er wär weggegangen, ein paar Schritte, wohl weil ihm die Situation zu viel geworden is‘. Dann isser er auf einmal stehengeblieben, wie angewurzelt und hat sich nich‘ bewegt. Sie denkt, dass er entweder jemanden gesehen hat oder ihm irgendetwas eingefallen is‘. Auf jeden Fall isser laut ihr wieder zurückgekommen, hat den Schalldämpfer der Waffe abgeschraubt und in die Luft geschossen, damit provoziert, dass die Gasse binnen Sekunden voller Leute war. Die Organisation musste fliehen. Und ich schätz‘, man hat ihn dann zum Boss gebracht. Er hat einen Befehl verweigert. Eigentlich hat er damit Rans und sein Todesurteil unterschrieben, er kann nich‘ gewusst haben, dass wir vorsorglich Akai zu Ran geschickt hatten… ich denke, er muss sich aus irgendeinem Grund sicher gewesen sein, dass Ran nichts passiert, wenn er sich weigert… ich kann mir das anders nich vorstellen, er würd nie… nie Rans Leben gefährden, Professor!“ Agasa atmete langsam aus. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. „Du denkst, für Ran würde er töten?“ Heiji atmete scharf ein. „Ich… weiß nich. Ich hab mir vorgestellt, was ich machen würd, in seiner Situation, ich habs versucht, echt. Und ich weiß es immer noch nich‘ …“ „Also denkst du, denkt ihr, er hat jemanden oder etwas gesehen, das ihm versichert hat, Ran wäre in Sicherheit.“ Der Professor erlöste Heiji von der Pflicht, seinen Satz zu Ende zu führen. „Ja.“, bestätigte der junge Detektiv. „Aber. Heiji… er hat damit doch sein eigenes Todesurteil…“ „Unterschrieben, ja. Ich denke, dass war ihm… egal.“ Heiji starrte an die Decke. „Ich denke, ihm gings nur um Ran… Ich denke, er kennt den Boss… persönlich, und schon länger, aber wusste es nicht. Ich denke, wirklich, was wir schon alle vermuten, is wahr… der Boss is unter uns. Und als er das erkannte, und damit wusste, dass Ran in Sicherheit is‘, hat er das Handtuch geworfen.“ Ein langes Seufzen entfloh Agasas Kehle. „Wahrscheinlich… aber auch das weiß er nicht mehr. Er weiß nur, was er sieht, und das ist, dass er fast umgebracht wurde. Ich denke, er vertraut mir einigermaßen - schließlich hab ich ihn her gebracht. Nun ist es wichtig, dass er wieder lernt, wer seine Freunde sind… “ „Ich bin morgen da.“ Heiji schluckte, hatte den Hinweis sofort verstanden. „Heute muss ich hier noch helfen, aber morgen hält mich nichts mehr davon ab! Darauf könnense Gift nehmen.“ Zum ersten Mal huschte ein kurzes Lächeln über Agasas Lippen. „Lieber nicht. Bis später, Heiji.“ Agasa holte Luft, legte dann auf. Heiji hielt sein Handy noch lange in der Hand, starrte aufs Display. Schließlich steckte er es kopfschüttelnd wieder ein, schloss sich der Runde im Konferenzraum wieder an. Er hielt seiner Frau die Türe auf, als sie das Krankenhaus betraten, warf dabei unauffällig einen Blick in ihr Gesicht. Yukiko war kreidebleich, ihre Lippen fast blutleer. Er sah ihr an, dass sie sich zermürbte, sich Vorwürfe machte und sorgte. Und dass sie sich fürchtete. Sie strahlte Sorge und Angst ab, wie die Sonne Wärme und Licht. Und sie war misstrauisch. Er wusste, auch wenn sie das Thema auf der Fahrt hierher nicht angesprochen hatte… es war noch lange nicht vom Tisch. Er fragte sich, ob man ihm auch etwas ansah… seine Sorge… und dieses etwas, das ihn von Innen her auffraß, in ihm nur schwarze Ödnis, Finsternis und Kälte zurückließ. Yusaku seufzte, strich sich übers Gesicht. Er hatte Angst. Angst, in dem Ausmaß, dass er nicht mehr wusste, wo sie anfing, und wo sie endete. Sie umgab ihn, war in ihm, beherrschte sein Denken, sein Handeln- sein ganzes Sein. Yusaku Kudô wusste, er wandelte momentan auf ziemlich dünnem Eis in der Organisation. Das Triumvirat war misstrauisch und ließ ihn das spüren, auch wenn er sich wie immer gab und scheinbar ohne Gnade die Jagd auf seinen Sohn organisierte. Er fühlte sich verfolgt, musste mit Gewalt den Drang unterdrücken, sich ständig umzusehen und in jedem Menschen, der seinen Weg irgendwie kreuzte, einen Spitzel der Organisation zu entdecken. Und dennoch… die Augen musste er offen halten. Er durfte nicht verraten, wo Shinichi war. Nicht durch Worte, nicht durch Taten. Denn sonst wäre er tot. Genauso wie Yukiko. Stockend atmete er aus, fuhr sich nervös über sein Gesicht. Das durfte nicht geschehen; seine Familie durfte nicht das Opfer dieser Organisation werden. Sein Sohn durfte nicht das Opfer seiner eigenen Feigheit werden. Seiner Unfähigkeit, seiner Furcht. Und nicht zu vergessen… die Angst vor dem, was ihn erwartete, was er sehen würde, wenn er das Krankenzimmer seines Sohns betrat. Shinichi hatte sein Gedächtnis verloren… sein eigener Sohn würde ihn nicht mehr erkennen. Diese Erfahrung würde den letzten Rest der väterlichen Beziehung zu seinem Sohn, die noch nicht durch Schuld zerfressen war, vernichten. Er würde einen jungen Mann finden… beraubt seiner Identität, bar jeder Ahnung, was und wie ihm geschehen war. Der Gedanke, der ihm dabei zudem Unbehagen bereitete, war, was passieren würde, wenn Shinichi sich wieder erinnerte. Wenn die Bilder, die Worte, die Gefühle jener Tage ihren Weg zurückfanden… Wenn er wieder klarkommen musste, mit dem, was er erfahren hatte. Wieder ein Wissen besaß, dass er, und so viel war ihm anzusehen gewesen, nie erlangen hatte wollen. Denn dann war er vor eine Entscheidung gestellt, bei der er in jedem Fall nur verlieren konnte. Mit jedem Ausgang dieses Prozesses würde Shinichi sich miserabel fühlen. Verriet er seinen Vater, wurde er damit neben seinem Richter auch zu seinem Henker, mehr oder weniger. Er unterzeichnete sein Todesurteil mit seiner Aussage gegen ihn. Damit, das wusste Yusaku, würde Shinichi nur schwer leben können. Oder ließ er ihn laufen und machte sich zum Komplizen seiner Verbrechen? Ein Zustand, der für ihn genauso schwer erträglich war, für ihn, den Moralisten, den Verfechter der Gerechtigkeit und der Wahrheit par excellence. Einerseits hoffte er, Shinichi würde es schaffen, die Organisation zu zerstören… andererseits hoffte er, er würde sein Gedächtnis doch bloß nie wieder bekommen. Dann könnte er nämlich noch mal von vorne anfangen. Das wäre die Chance für ihn, Dinge ungeschehen zu machen… die Gelegenheit, das Buch neu zu schreiben. Der Vater zu sein, den er verdiente, dafür Sorge zu tragen, dass sich diese Ereignisse nicht wiederholten. Yusaku stöhnte auf, zog sich die Brille von der Nase, wischte sich mit einer Hand fahrig über seine Augen, sein Gesicht, merkte, wie seine Hand leicht feucht wurde vom kalten Schweiß, der sich auf seiner Stirn gesammelt hatte. Was dachte er denn da… er wollte ein schöneres, leichteres Leben auf Kosten seines Sohns?! Was für ein miserabler Vater er doch war. Shinichi war in Gefahr. Solange er sich nicht erinnerte, noch mehr als ohnehin schon. Er konnte doch nicht wirklich glauben, dass man ihn jetzt in Ruhe ließ, nur weil er nicht mehr wusste, wer oder was die Schwarze Organisation war? Er konnte doch nicht wirklich wollen, dass er dieser Gefahr ausgesetzt war? Nur damit er selbst sich besser fühlte?! Nein… Man würde die Chance nutzen, ihn so hilflos vorzufinden. Man würde bestimmt nicht darauf warten, dass er sein Gedächtnis wiederfand und zur Polizei petzen ging. Und deswegewar das Umschreiben, die Neufassung dieser Geschichte nicht drin. Die alte Geschichte musste ihren Weg zurück auf die blankgewischten Seiten finden… Buchstabe für Buchstabe musste sie zurückkehren, nur dann… nur dann war für diese Geschichte auch ein… leidlich positives Ende anzunehmen. Nur damit… könnte der Protagonist dieses Drama auch überleben. Yusaku presste sich den Handballen gegen die Stirn. Verdammt…! Solange das aber nicht der Fall war- die Seiten weiß und jungfräulich waren… musste er auf ihn aufpassen. Er musste ihn beschützen. Und deshalb war wichtig, dass er das Vertrauen seines Sohnes erlangte. Natürlich waren die Voraussetzungen hierfür optimal; er war seit knapp zwei Tagen im Krankenhaus und seine Eltern hatten nicht mal angerufen. Yusaku lächelte säuerlich. Egal was er anstellte, er machte momentan einfach alles falsch. Dann zuckte er zusammen, als Yukiko seine Hand drückte. „Was meinst du? Wie wird er reagieren?“ Ihre Stimme klang leise, unsicher, und er wusste genau, was sie für eine Antwort hören wollte. Sie wollte beruhigt werden. Aber genau das konnte er nicht… ihr die Sicherheit zu geben, die sie wollte, dazu fehlte ihm in diesem Moment die Macht. Er versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen, was ihm, wie er feststellte, schwer fiel, schüttelte dann unter großer Anstrengung den Kopf. „Ich weiß es nicht, Yukiko.“ Er fühlte sich so schuldig. Wenn sie nur wüsste, dass ihr Ehemann es war, der Boss der Organisation war, die ihrem Sohn das angetan hatte… Dass er selber wohl einen nicht unwesentlichen Anteil zu verantworten hatte, was den Gedächtnisverlust von Shinichi betraf… Yusaku schluckte schwer, räusperte sich, versuchte, nicht zu nervös zu werden und konnte doch nicht verhindern, dass sein Puls zu rasen anfing. Yukiko schaute ihn beunruhigt an, warf dann einen kurzen Blick auf ihre Umgebung, ehe sie sich wieder ihm zuwandte. „Ich meine… wird er uns vertrauen? Wird er tief in sich drin wissen, dass wir ihm nichts Böses wollen? Er kann uns doch nicht ganz vergessen haben… wir sind doch seine Eltern…!“ Yusaku blieb fast die Luft weg. Krampfhaft versuchte er, sich seine Betroffenheit, sein Schuldgefühl nicht ansehen zu lassen, als er langsam den Kopf schüttelte. Wenn er mir nicht vertraut, könnte ich es ihm nicht übel nehmen…wenn er sich an mich nicht erinnern will, auch nicht. Ich bin… ja schließlich nicht mehr sein Vater. Welchen Grund hätte er, mich nicht einfach zu vergessen… „Ich weiß es nicht, Yukiko. Frag mich nicht. Bitte.“ Er presste die Worte mühselig hervor. Sie schaute ihm in die Augen und erschrak. Noch nie waren sie so dunkel gewesen- noch nie waren so betrübt gewesen und nie, noch nie war so viel Sorge in ihnen zu lesen gewesen. „Tja… wir sind seine Eltern. Du bist seine Mutter… ich sein… sein Vater. Wir werden sehen, was er nun von uns hält. Eine objektivere Meinung von unserem Sohn über uns werden wir nie bekommen.“, murmelte er. Der Zynismus in seiner Stimme war kaum zu überhören. Dann waren sie vor seiner Tür angekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)