Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 35: Kapitel 17: Feind und Freund ---------------------------------------- Tja, viel gibts heute nicht zu sagen... Viel Spaß beim Lesen! Eure Leira ___________________________________________________ Kapitel Siebzehn: Feind und Freund In Absinth kochte es. Kochte es seit jenem Abend, als er sie alle düpiert hatte. Absinth hasste es, düpiert zu werden. Gedemütigt zu werden. Er hasste es, wenn man ihn auflaufen ließ, wenn man ihm seine Fehler aufzählte, wenn man ihm sein Versagen vor Augen führte, ihn wie eine Puppe tanzen ließ. Absinth war keine Puppe. Er liebte es viel mehr, der Puppenspieler zu sein – der große Meister, der seine Marionetten an langen Fäden tanzen ließ. Manche merkten, wessen Püppchen sie waren, doch ändern konnten sie es nicht – nie hatte es einer geschafft, den unsichtbaren Faden zu durchtrennen, egal wie sehr er daran ziehen, zerren, reißen oder auch schneiden mochte. Die meisten jedoch… die meisten merkten es nicht, gehorchten stumm und ohne es zu merken den Befehlen Absinths, und dachten doch, sie handelten aus eigenem Antrieb. Ihr Narren. Sie waren ihm die Liebsten; aber diesmal schien er die Puppe zu sein. Und nun galt es, diesen Faden schleunigst zu kappen. Absinths Augen verengten sich, als er nachdachte. Er saß in seinem Büro, einen großen, geräumigen Zimmer, wenn auch nicht so groß und geräumig und edel ausgestattet wie das des Bosses. Cognacs Büro war eines Königs würdig, mit dunklem Marmor, Kristallglaslampen und kostbaren Stoffen auf Edelholzmöbeln, Lackarbeiten, antiken Wandschirmen mit Kranichen und Bambus, nach denen sich jedes Museum hier die Finger lecken würde. Sein Büro war immerhin teuer tapeziert, hatte weißen Marmor auf dem Boden, und an manchen Stellen eine sündhaft teure Mahagonivertäfelung, die extravagante Kontraste setzte zum Champagnerton der Tapete. Vor ihm stand ein Kännchen Mocca, daneben eine teure Flasche Bourbon. Genüsslich schenkte er sich eine kleine Tasse ein, verfeinerte sie mit dem Whiskey, rührte kurz um und nahm einen Schluck, nein, ein Schlückchen. Diese Art Kaffee schüttete man nicht in sich hinein wie billigen Espresso zum Wachwerden. Er zelebrierte seinen Irish Coffee, oder zumindest seine Version eines Irish Coffee, und dachte nach, wie er sich rächen konnte, für diese Schande. Er konnte ihn so nicht durchkommen lassen. Das machst du nicht mit mir, Kudô. Er wusste, an Yukiko Kudô kam er nicht ran, zumindest momentan nicht. Überhaupt, wenn ihr etwas zustieß und man es ihnen nachweisen konnte, dann waren sie dran… dann waren sie per Vertrag kündbar, und auch wenn die Organisation ihre dunklen Geschäfte führte, so war sie, allein bedingt durch ihre Größe, geführt wie eine Firma, mit entsprechenden Strukturen und Verträgen. Anders könnte sich so ein System nicht tragen. Es brauchte Regeln und Gesetze und eine klare Hierarchie, nach der alles funktionierte. Er lächelte bitter, kam nicht umhin, ein irres Vergnügen zu empfinden, darüber, wie ironisch diese Situation doch war. Der, der diesen Laden einst aufgezogen hatte, war ein echter Zyniker gewesen, wie es aussah. Einen bis ins Mark von illegalen und kriminellen Geschäften durchzogenen Verein als Firma einzutragen und für jeden Angestellten einen Vertrag aufzusetzen – für jeden Buchhalter, der ihre Geschäftsbücher frisierte, zusammen mit der ganzen Anwaltschaft, die sich um sie scharte und auf ihrer Gehaltsliste stand… das war Sarkasmus pur. Und er fragte sich seit jeher, wie das alles funktionierte - aber das tat es. Angst und Geld ergaben eine mächtige Kombination. Angst und Geld waren der Kleister, der diesen Laden hier vorzüglich zusammenhielt. Es stand natürlich nirgendwo geschrieben, dass der Mord an Yukiko Kudô per se ein Kündigungsgrund war… aber „ein Bruch mündlicher oder schriftlicher Vereinbarungen, der nachweisbar begangen wurde, ist ein Grund für eine fristlose und abfindungsfreie Auflösung des Arbeitsverhältnisses.“ Absinth zog die Augenbrauen hoch. Und für seine Liquidation. Was für eine Absurdität war das. Aber gut. Es ging auch anders. Yukiko schied aus, genauso wie Shinichi, aus Gründen, die ihr lieber El Cheffe aufgeführt hatte, an jenem Abend, als er geglaubt hatte, sie mal wieder wie Ameisen unter seiner Schuhsohle zerquetschen zu müssen. Allerdings war da noch dieses Mädchen. Und wenn aufgrund der Tatsache, dass sie sich in Ihren Räumlichkeiten hier aufhielt, sich ein gewisser Möchtegerndetektiv dazu verpflichtet fühlte, ihnen ebenfalls einen Besuch abzustatten… dafür konnten sie ja nichts. Man würde ihn mit offenen Armen willkommen heißen… und weder ihn noch sie jemals wieder gehen lassen, so gern hatte man sie hier. Egal ob tot oder lebendig. Er lächelte, drückte auf den Türöffner, als ein leiser Klingelton ihm verkündete, dass seine Mitstreiter angekommen waren, zusammen mit Gin. Beaujolais hatte ihren Namen herausgefunden. Das war nicht schwer gewesen, nachdem sie ja ihren Vornamen mitgehört hatte, bei jenem schicksalsträchtigen Telefonat, das den ersten Spatenstich für Shinichi Kudôs Grab darstellte; sie hatte nur nach einem Mädchen suchen müssen, mit Vornamen Ran, das mit Shinichi Kudô eine Klasse in der Teitan Oberschule besucht hatte. Die Auswahl war denkbar klein gewesen. Er starrte auf das Foto, das vor ihm auf dem Bildschirm flackerte. Ein junges Ding im Karateoutfit, strahlend lächelnd und mit einem Pokal in den Händen. Ran Môri. Die Tochter des schlafenden Kogorô, wie schön. Wenigstens eine Sache, die diese Schnepfe gut gemacht hat, nach dem Desaster gestern. Lässt ihn da einfach unter ihrer Nase hinausfahren in die Freiheit - ihn und Sherry! Wie dumm muss man sein… Wie entsetzlich dumm. Er nahm noch einen Schluck von seinem Mokka, rieb sich die Schläfen, hörte Schritte, die sich nun näherten, und seine Vorzimmerdame, die die Besucher begrüßte und aufstand, um sie anzukündigen. Kurz darauf ging die Tür auf, und sie streckte ihren Kopf herein. Er winkte nur unwirsch, ließ sie nicht zu Wort kommen. Gin würde sie hierher bringen. Er, dessen war er sich sicher, würde ihrer Einladung von alleine folgen, wenn er die Mitteilung erhielt, wer sie hatte und wo sie war… und was mit ihr passieren würde, wenn er irgendeiner Menschenseele davon erzählte. Egal ob mit oder ohne Gedächtnis, er zweifelte nicht daran, dass Shinichi Kudô dieses Mädchen liebte. Und sich immer noch verpflichtet genug dafür fühlte, sie nicht im Stich zu lassen, auch wenn er vergessen hatte, wer sie war. Und angesichts der Tatsache, dass der Wald bereits von Polizisten wimmelte, ahnte er auch schon, wann eine gute Gelegenheit sein würde, die junge Dame aufzugabeln. Wenn sie ihn wirklich hierher bringen, um seine Spur zurückzuverfolgen, dann wird sie ihn sicher nicht allein lassen. Sicher nicht, nie wieder, damit sie ihn nicht noch einmal verliert. Dabei wird sie es sein, die verloren geht… Und dann… „Also, der Boss ist jemand, den ich kenne? Seh ich das richtig?“ Shinichi schob sich gedankenverloren ein Stück Kuchen in den Mund, wandte dabei seine Augen nicht von Heiji. Er musste zugeben, der Gedanke daran, mit dem Chef der wohl größten Verbrecherorganisation Japans neben der Yakuza derart vertraut zu sein, verursachte in ihm ein Gefühl, dass nahe dran war, ihn dazu zu bringen, seinen Kuchen wieder hochzuwürgen. Er ließ es. Allein schon weil der Schokoladenkuchen köstlich schmeckte. Allerdings gab es auch noch einen anderen Grund dafür. Auch wenn das alles sehr beunruhigend klang… so bedeutete diese Tatsache doch auch eines: egal wie böse dieser Mensch war, egal wie grausam und skrupellos anderen gegenüber; er selbst war ihm anscheinend so wichtig, dass er ihn um jeden Preis beschützen wollte. Irgendwie. Auch wenn das mit dem Beschützen wohl eher nach hinten losgegangen war und seine Probleme ganz und gar nicht löste. Besser für mich als gegen mich, nicht wahr? Aber wer… Wer ist er? Dennoch; neben der Tatsache, dass unter Umständen der Staatsfeind Nummer eins mit ihm unter einem Dach oder in unmittelbarer Nachbarschaft hauste, brachte ihn das Ganze in ein Dilemma ganz anderer Natur. Wenn der Boss jemand war, der ihm nahe stand, dem er selbst offenbar blind vertraut hatte… Dann war das jemand, den er sehr mochte. Den er wohl schon seit Jahren kannte, vielleicht sein ganzes Leben lang. An dem er hing, und dessen wahre Identität ihm wohl den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. Er schluckte, merkte, wie sich der Kuchen in seinem Mund auf einmal unerwartet trocken anfühlte, nahm seine Kaffeetasse, spülte den Bissen runter, schluckte schwer. War das der Grund für mein Vergessen? Konnte mich das so schockieren? Oder war es doch eher das Trauma dieser Flucht, das aus mir jegliche Erinnerung rausgeprügelt hat… Der Sturz vom Baum, der Blutverlust… das war bestimmt nicht ohne. Was sollte er tun, wenn er sich daran erinnerte? Könnte er einfach einen Freund, einen Verwandten, vielleicht… hinhängen? Der Mann, wer auch immer er war, hatte offenbar genug Dreck am Stecken, um die Todesstrafe zu verdienen. Wollte er das? Ich unterzeichne sein Todesurteil, wenn mir wieder einfällt, wer er ist… und dann auspacke. Ich wäre sein Richter, sein Henker. Schuld am Tod durch Hinrichtung eines guten Freundes oder Verwandten. Er stöhnte auf, leise. Ran sah ihn beunruhigt an. „Alles in Ordnung?“ Ein leicht zynisches Lächeln huschte über seine Lippen, verschwand so schnell, wie es gekommen war. „Nein, irgendwie wohl nicht. Aber das muss dich nicht kümmern, Ran.“ Sie seufzte, zog ihre Stirn kraus. „Ja, das sagst du immer.“ Ein missvergnügter Unterton war in ihrer Stimme zu hören. „Wie-…“ Sie winkte ab, verschränkte ihre Arme vor der Brust, schüttelte dann den Kopf. „Entschuldige, ich wollte nicht bohren. Ich weiß es ja eigentlich besser.“ Sie wandte ihm ihren Kopf zu lächelte dann. Shinichi versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. Es blieb beim Versuch. Heiji sah den beiden etwas verdutzt zu, hob dann die Gabel, um die Aufmerksamkeit seines Freundes wieder auf sich zu ziehen. „Leute! Ich dacht‘, wir reden über ernste Themen. Turteln könnt ihr später.“ Kazuha gab ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Seite, der ihn dazu brachte, seinen Kuchen quer über den Tisch zu spucken. Er hustete Tränen, warf ihr einen bitterbösen Blick zu, fragte sich dennoch, warum Kazuha so reagiert hatte. Während er noch um Atem rang, stand Ran auf, um einen Lappen zu holen. Kazuha folgte ihr, um ihr zu helfen. Shinichi erhob sich und klopfte Heiji auf den Rücken, bis der wieder einigermaßen Luft holen konnte. „Sag mal, kannst du dir erklären, warum Kazuha…“, fragte Heiji unwirsch, schaute seinen Freund an, ohne eine Antwort zu erwarten und stutzte umso mehr, als der Angesprochene seinem Blick auswich. „Kudô?“ Heiji sah ihn an, abwartend. Shinichi setzte sich wieder ihm gegenüber, warf einen kurzen Blick zur Küche; die Mädchen suchten wohl immer noch nach den Putzlappen. Da er sich momentan hier auch nicht auskannte, würde er da auch keine große Hilfe sein können. Er kratzte sich nervös am Hinterkopf, beugte sich vor, langsam. Eigentlich wär er lieber abgehauen, jetzt; er konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas brachte, mit Heiji darüber zu reden. Andererseits… offenbar wusste Kazuha bereits, was Sache war. Wahrscheinlich würde Heiji es dann so oder so bald wissen, da konnte er auch gleich selbst die Katze aus dem Sack lassen, so schwer es ihm auch fiel. Er räusperte sich, merkte, dass ihm die Sache doch unangenehm war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er jemand war, der gern über Liebesdinge mit anderen redete, aber gut. Diesmal kam er wohl nicht davon. „Du… du weißt, dass ich gestern… bei den Môris übernachtet hab.“, begann er also zögernd. „Auf… auf der Couch.“, fügte er rasch an. Heiji seufzte. „Jaaaahhh…“ Er hob eine Augenbraue. „Un‘ weiter?“ Shinichi schluckte schwer. „Ich denke… ich weiß nicht, ob…“ Der Detektiv des Westens verdrehte die Augen. „Kudô, wir sind Freunde, mir kannstes sagen. Was auch immer es is, so wie Kazuha reagiert hat, hat Ran es ihr wohl gesagt. Mich allein unwissend zu lassen wär etwas unfair, abgesehen davon, dass ich dann gnadenlos weiter in jedes Fettnäpfchen trete, das hier rumsteht.“ Shinichi fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, merkte, dass seine Finger eiskalt geworden waren. „Ja, das dachte ich mir.“, murmelte Shinichi sarkastisch, warf Heiji einen genervten Blick zu. „Seid ihr eigentlich ein Paar, du und Kazuha? Ihr…“ „Nein!“ Heiji hob abwehrend die Hände. „Bloß nich`, wie kommste darauf, wir…“ „… benehmt euch wie eins.“ „Du lenkst ab.“ Heiji ließ sich zurücksinken, verschränkte die Hände vor der Brust, blickte Shinichi stur an. „Jetzt schieß endlich los. Es wird nich‘ besser, wenn du länger wartest.“ Shinichi atmete leise aus, pustete dabei einen Krümel über die Tischplatte, betrachtete seine Finger. „Ich konnt‘ nicht schlafen, nach der ganzen Sache gestern.“ „Hm.“, grummelte Heiji zum Zeichen, dass er zuhörte. „Zuerst der Überfall im Krankenhaus, dann dieses Horrorszenario mit Shiho, und… keine Schmerzmittel…“ Er lächelte bitter. „Ich hatte Kopfweh, und meine Schussverletzung schmerzte. Ich bin in die Küche, deshalb. Um was zu trinken, und mir… irgendwas für meinen Kopf zu suchen, ich dachte, er platzt, echt.“ Heiji stützte seinen Kopf in seine Hände. „Lass mich raten. Ran hat dich da gefunden.“ Shinichi nickte. „Ja. Und gefragt, was ich hier mach, ich meine… das wunderte mich nicht, es ist eigentlich klar, ich sollte ja im Krankenhaus sein. Also hab ich‘s ihr gesagt. Und sie hat sich vorgestellt, wer sie ist, und… äh.“ Er merkte, wie sein Hals zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten abscheulich trocken wurde. Er griff nach seiner Kaffeetasse, bemerkte, dass sie leer war, fluchte. Dann warf er nochmal einen Blick in die Küche, ehe er eilig fortfuhr, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Sie hat’s mir gesagt. Sie sagt, sie hätte es mir schon an dem Tag, bevor ich entführt wurde, gesagt. Dass… dass… nun, du weißt schon, was…“ Heiji begann zu grinsen. „Nein, weiß ich nich‘. Klär mich auf.“ Shinichi schaute ihn genervt an, merkte, wie ihm die Hitze immer mehr ins Gesicht stieg. „Das machst du mit Absicht! Du weißt doch, wovon…“ „Was mach ich mit Absicht?“, unterbrach ihn Heiji; sein Grinsen wurde immer breiter. Shinichi lehnte sich zurück, warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. „Idiot. Ich muss dir eigentlich gar nichts sagen.“ Er atmete langsam aus, schluckte erneut. „Sie sagte, sie hätte mir gesagt, dass sie mich… dass sie mich… mich…“ Heiji lächelte jetzt. „Liebt, heißt das Wort, Kudô.“ „Das weiß ich selber.“ Shinichi winkte unwirsch mit der Hand, als verscheuche er eine Fliege. „Nun, wie du dir vorstellen kannst, angesichts der Tatsache, dass ich null Ahnung von nix hab, war ich ziemlich… platt…“ Er schaute etwas beschämt zu Boden. „Aber du hättest sie sehen sollen, Heiji. Und ich, na…“ Das Lächeln auf Heijis Lippen war auf einmal verschwunden, wich einem ersten Gesichtsausdruck. „Du liebstse auch. Das weißt du, nich‘ wahr?“ Shinichi nickte nur noch, schwach. „Hastes ihr gesagt?“ „Ja.“ Heiji schüttelt den Kopf, einigermaßen verständnislos. „Warum benehmt ihr euch dann so? Ich meine… ihr müsstet die glücklichsten Menschen der Welt sein, abgesehen, von…“ Shinichi verzog das Gesicht. „Irgendwie… es war einfach alles zu viel gestern, und sie…“ Ein leises Stöhnen entwich seinen Lippen, als er angestrengt nach Worten suchte. „Du weißt nicht, wie das ist, wenn man nichts mehr weiß. Man ist froh um alles, was noch da ist, auch um ein Gefühl, dass man sich nicht erklären kann. Und deshalb…“ Shinichi ließ seinen Blick ins Leere schweifen. „Deshalb hab ich ihr gesagt, was Sache ist. Es… tat gut, zu wissen, dass man eine Sache noch hat, eine Verbindung zu einem Menschen, die man tatsächlich spürt…“ Heiji ließ sich ebenfalls zurücksinken. „Und du spürst se? Diese… Verbindung?“ Das Geräusch von zuschlagenden Türen und gefrusteter Mädchenstimmen klang an ihre Ohren. „Verdammt, die müss‘n doch mal putz‘n? Du warst hier doch schon, oder?“ „Ich hab meine Putzsachen immer selber mitgebracht…“ Ran klang etwas kleinlaut. „Was, du bist hier zum Putzen hergekommen?! Freiwillig?“ Unglaube schwang deutlich hörbar in Kazuhas Stimme. Heiji fing wieder zu grinsen an. Shinichi wurde noch roter, vergrub sein Gesicht in seinen Händen, atmete schnaufend aus. „Ja… ich meine, als Shinichi nicht da war, und das Haus unbewohnt, da musste es doch jemand sauber machen…“, verteidigte Ran sich. „Ich meine…“ Shinichi fuhr sich mit einer hilflos wirkenden Geste übers Gesicht. Im Hintergrund hörten sie die Stimmen leiser werden. Offenbar durchsuchten sie den nächsten Raum nach Putzutensilien. „Verdammt, sie macht mein Haus sauber, wenn ich nicht da bin?!“ Er schaute Heiji verständnislos an. „Guck‘ nich‘ mich so an. Und lenk nich‘ ab. Also… diese… Verbindung?“ Sein Grinsen schien fast von einem Ohr zum anderen zu reichen. Der Blick des gedächtnislosen Detektivs glitt zur Tür, diesmal nicht, um sich zu vergewissern, dass keiner zuhörte. Ran… Dann nickte er. „Ja.“ Heiji zog an einer Kappe, pfiff leise durch die Zähne. „Und du bist dir sicher, dass du nich‘… du hast keine Erinnerung an sie?“ Shinichi schüttelte den Kopf, ein Ausdruck von Verzweiflung trat auf sein Gesicht. „Nicht die leiseste. Ich wusste nicht ihren Namen, wusste nicht, wie sie aussieht. Kenne ihre Geschichte nicht, und nicht die Geschichte unserer Freundschaft. Weiß nicht wann sie Geburtstag hat, was ihre Lieblingsfarbe ist, was sie am liebsten isst. Aber da ist etwas, das ich nicht leugnen kann, seit ich sie gesehen hab, gestern. Mir wurde schlagartig so klar, warum ich das alles gemacht hab, und ich weiß, auch wenn es schrecklich gewesen sein muss, was mir passiert ist… ich würds wieder tun, unbesehen.“ Er starrte ihn an, in seinen Augen blanke Verständnislosigkeit. „Kannst du dir das vorstellen? Ich meine…“ Als er sprach, senkte er seine Stimme. „…das ist es eben, Heiji. Das ist es. Ich… ich liebe sie. Ich kann… irgendwie nachvollziehen, warum, und warum ich das alles gemacht habe. Aber ich hab keine Erinnerung an sie. An unser Verhältnis vorher. Ich weiß nicht, ob das, was ich jetzt fühle, bleibt, wenn ich mich wieder erinnere, vielleicht hab ich unsere Freundschaft zerstört, gestern Nacht, als ich… nachgegeben hab, und… ich… ich weiß jetzt nicht…“ Heiji verschränkte seine Arme ebenfalls vor der Brust, warf seinem Freund einen beruhigenden Blick zu. „Also erstens kann ich dir versichern, dass du hoffnungslos in dieses Mädel verschossen bist, schon seit du dich erinnern kannst.“ Er grinste kurz. „Und zweitens, wenn sonst nichts passiert ist, außer ein paar Worte spätabends…“ Shinichi schaute nicht auf, als er sprach. Sein Atem kam ihm auf einmal verräterisch laut vor, und er hoffte, dass man ihm die Hitze, die ihm zu Kopfe stieg, nicht sah. „Wir haben uns geküsst.“ Heiji ächzte, schluckte dann, rieb sich an der Nase, unbewusst. „Okay. Jetzt versteh ich dein Problem…“ „Welches Problem?“, fragte Kazuha, kam mit einem nassen Lappen zur Tür herein, hinter ihr ging Ran, warf den beiden Jungen einen fragenden Blick zu. Shinichi kam ihr bedrückt vor, wie den ganzen Tag schon. Heijis Miene war ernst, gesetzt, etwas, das man kaum an ihm sah. Allerdings änderte sich das jetzt, als er einen genervten Gesichtsausdruck aufsetzte. „Welches Problem wohl, Nervensäge. Er hat kein Gedächtnis mehr, man möchte meinen, das allein wär Problem genug…“ Als Antwort klatschte ihm der nasse Lappen ins Gesicht. Er zog ihn wütend ab, prustete, wischte dann unter vernehmlichem Gemotze den Tisch sauber, wobei er Shinichi einen schnellen Blick zuwarf. Er sah immer noch bekümmert aus, und Heiji war sich sicher, auch wenn Ran Kazuha davon erzählt hatte, und das alles kein Geheimnis war… seine Gefühle und seine Beziehung zu Ran, waren bestimmt nichts, dass der Kerl jetzt gern unter acht Augen erörtert hätte. Du musst ganz von vorn anfangen, Kudô. Nicht nur mit ihr. Mit uns allen. Heiji seufzte. So wie Shinichi aussah, war ihm das bewusst. Nach diesem Gespräch blieben sie nicht mehr lange; Kazuha ging zum Professor, wo sie mit Heiji dessen Gästezimmer bewohnte, während Heiji sich aufmachte, zum Ermittlungstrupp zu stoßen. Die beiden verabschiedeten sich kurz, und ließen Shinichi und Ran allein. Unschlüssig hatte er die Tür hinter seinen beiden Freunden aus Osaka geschlossen, wandte sich um. Ran stand hinter ihm, sah ihn fragend an. „Was jetzt?“, murmelte sie. In ihrem Gesicht stand ein Fragezeichen, unübersehbar, und er wusste, wie die Frage lautete, ehe sie sie etwas diplomatischer formuliert, als er sie in seinem Kopf hatte, aussprach. „Ist es dir lieber, wenn ich auch gehe? Willst du allein sein?“ Shinichi lehnte sich gegen die Tür, spürte das harte Holz in seinem Rücken, unter seinen Fingerkuppen, starrte auf den gefliesten Boden, als könne er im Mosaikmuster eine Antwort herauslesen. „Ich weiß nicht, Ran. Ich…“ Er schluckte, kniff die Lippen zusammen, warf kurz einen Blick durch die Eingangshalle. Selbst in seinen Ohren hörten sich seine Worte lauwarm an, und er wusste ganz genau, dass mit ewiger Unsicherheit keinem geholfen war. Ihr nicht… und ihm auch nicht. Und so stieß er sich von der Tür ab, nahm sie dann bei der Hand, zog sie die Treppe hinauf, in sein Zimmer, schloss die Tür hinter sich. Tief atmete er ein, und wieder aus, las in ihrem Gesicht ihre Überraschung. Dann führte er sie zum Bett, wobei sie über seine Sachen steigen mussten, und ließ sie sich setzen, nahm neben ihr Platz. Er sah ihr Erstaunen über die Verwüstung seines Zimmers, aber sie stellte keine Fragen. Sie konnte sich vorstellen, wozu das ganze dienen sollte, schließlich war sie ja selbst schon so weit gewesen, sich ihr Leben aus Fundstücken und Relikten rekonstruieren zu müssen. „Hör zu, ich… sag das nicht gern, und will einfache Dinge nicht unnötig kompliziert machen, aber Ran, ich… ich denke, wir müssen reden.“ Er lächelte hilflos, sah sie dabei nicht an. Ran seufzte leise, verknetete ihre Hände. „Gestern war zu schnell.“, bemerkte sie dann leise. Versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken; einerseits hatte sie Angst vor diesem Gespräch, andererseits war sie froh, dass er reden wollte. Dass sie redeten, überhaupt. Er seufzte, nickte langsam. „Ja.“ Zögernd wandte er sich ihr zu. „Irgendwie schon. Nicht, dass… dass es… unangenehm gewesen wäre.“ Er wurde rot. Sie lächelte, merkte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Und ich habe… hab meine Meinung auch nicht geändert, über Nacht. Ich… ich liebe dich. Immer noch. Aus Gründen, die ich nicht kenne…“ Sie sah, wie er schluckte. „Aber ich bin heute ehrlich ratlos. Ich weiß nicht, was ich tun soll, weil ich nicht weiß, was wir sonst so getan haben. Ich weiß nicht, wie wir als Freunde miteinander umgegangen sind, deshalb weiß ich nicht, wie ich mich als… Freund… dir gegenüber verhalten soll. Eine Beziehung ist eigentlich doch eine Steigerung von Freundschaft… aber ich hab diesen Grund nicht, auf dem du aber stehst. Ich muss dich von vorne kennenlernen, so wie ich bei allen von Null anfangen muss, und deshalb…“ Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, lehnte dann ihre Stirn gegen seine. „Ich weiß.“, wisperte sie. Ein Zittern lief durch ihren Körper, als sie spürte, wie stockend sein Atem war. „Genau das beschäftigt mich seit heute Morgen auch…“ Er biss sich auf die Lippen, nahm ihre Hand in seine. „Ich meine, du stehst nicht bei null, wie ich. Was ist, wenn ich eine ganz andere Ran kennenlerne, als die, die ich… in Erinnerung haben sollte? Was ist…“ Ran hielt ihm den Mund zu. Er zog ihre Hand weg, rückte ein wenig von ihr ab. „Nein, Ran, wir müssen das durchdenken.“ Shinichi sah sie fest an. „Ich bin nicht der, in den du dich verliebt hast. Das muss dir klar sein! Was ist, wenn ich nie wieder derjenige werde? Du lernst mich von einer Seite kennen, die nie jemand gesehen hat an mir. Die nicht mal ich kenne. Ein gänzlich unbeschriebenes Blatt, beinahe. Ran… wie kannst du dir sicher sein, dass das alles funktioniert? Was machen wir, wenn nicht? Wir hätten bestimmt Freunde werden können, aber… ein Paar? Da gehört so viel mehr dazu, und enttäuschte Erwartungen können…“ Sie starrte ihn an, merkte, wie sich ihr Magen in ihrem Bauch zu einem kleinen harten Ball zu formen schien. „Wenn wir es nicht versuchen, nicht einfach von Null anfangen, uns neu kennenlernen, wie willst du das dann wissen?“ „Das kann ich nicht.“, gab er zu, seufzte. „Dazu fehlt mir das berühmte Dritte Auge.“ Ein mattes Lächeln huschte über seine Lippen. Sie hatten den Zynismus in seiner Stimme deutlich gehört. Ran nahm sein Gesicht in ihre Hände, zwang ihn, sie anzusehen. Er gab dem sanften Druck ihre Hand nach, merkte, wie das Gefühl von gestern zurückkehrte, dieses einmalige, wundervolle Gefühl… Dieses Gefühl, das er gestern hatte spüren dürfen, an das er heute im Auto gedacht hatte, das ihn nicht losließ, nach dem er sich so sehnte. Weil es ihm guttat. Er hoffte nur, er tat ihr genauso gut. „Dann lass es uns probieren.“ Sie seufzte, strich ihm über die Schläfe, versuchte ein Lächeln. „Wir sind gestern schon zu weit gegangen, als es nochmal gänzlich zu vergessen…“ Ich will doch. Ich will. Ich will… Er merkte, wie er langsam nickte. Fühlte, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen zu einem Lächeln; einem schiefen zwar, aber es war ein echtes Lächeln. „Nun denn, Ran Môri“, murmelte er dann leise, „leg los, wenn du’s unbedingt wissen willst. Wer zum Henker bist du eigentlich?!“ Sie lachte auf, schlug ihm vor die Brust. „Ran Môri, achtzehn Jahre alt, und Karate-Stadtmeisterin.“ Sie grinste. „Uh.“, machte Shinichi. „Jetzt hab ich aber Angst.“ „Solltest du auch. Ich leg dich im Handumdrehen um.“ „Soso.“ „Jap.“ Sie nickte, ließ sich nach hinten sinken, gegen ein Kissen, spürte, wie er es ihr gleichtat. Zögernd griff sie nach seiner Hand, sah ihn kurz an. Dann starrte sie an die Decke, auf die die Nachmittagssonne goldene Muster streute. „Wir kennen uns, seit wir ganz klein sind, Shinichi. Wir hingen immer miteinander rum. Meine Mum war eine Zeitlang gar nicht begeistert von dir, denn immer wenn ich mit dir spielen war, kam ich starr vor Dreck wieder heim.“ Sie kicherte. Er folgte ihrem Blick an die Decke, lächelte. „In der Oberschule dann… kamen wir in eine Klasse. Du sitzt hinter mir. Immer schon. Ich sitz mit Sonoko vor dir.“ „Sonoko?“, murmelte er fragend. „Sonoko Suzuki. Meine beste Freundin, du wirst sie sicher bald kennenlernen.“ Sie wandte sich ihm zu, drehte sich auf die Seite, atmete den Duft frisch gewaschener Bettwäsche ein. „Mag ich sie denn?“ „Sie nervt dich ein wenig.“ Stille entstand, als sie kurz nachdachte. „Du warst immer schon so intelligent. Und ein echter Detektiv.“ Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen, sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Er starrte an die Decke, sah den Lichtern zu, die sich sacht bewegten, weil ein leiser Wind durch die Gardinen fuhr. „Du hast mir immer geholfen. Immer. Auf dich konnte ich mich stets verlassen…“ „Bis Conan kam.“, murmelte er tonlos. Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst, dann schüttelte sie den Kopf, setzte sich auf, sah ihm ins Gesicht. „Nein. Du… hast mich nicht im Stich gelassen. Auch als Conan nicht. Du warst… da für mich, auf eine andere Weise zwar, aber…“ „Wie kannst du das nur schönreden?!“ Seine Stimme hatte ungehalten geklungen. Ran schreckte hoch, sah, wie er sich hochstemmte, kurz das Gesicht verzog, als er einen kurzen Stich in seiner Seite spürte, und sie dann fast ein wenig wütend anstarrte. „Verdammt, Ran. Nachdem, was ich jetzt weiß, hab ich dich dreist angelogen. Über Jahre. Ich hab dich ausgenutzt, hab bei dir gewohnt, mich von dir bemuttern lassen, es zugelassen, dass du dich um mich kümmerst, und mir vertraust, und ich hab das wohl alles fein genossen. Sowohl Conan als auch Shinichi haben das ausgenutzt. Und so, verdammt nochmal, benimmt sich kein Freund! Weißt du, wann ich dir das denn je erzählt hätte? Ich kann’s dir nicht sagen, ich weiß es nicht, aber offenbar nicht allzu bald. Du solltest mich hassen deswegen. So wie du von mir redest, bin ich ein Heiliger. Das bin ich nicht… so viel weiß ich sogar noch selber.“ Seine Stimme klang bitter, als er sprach. Ran schluckte, merkte wie ihr Tränen in die Augen stiegen. „Du hast mir, egal in welcher Form auch immer, stets geholfen.“ Sie sah, wie er erneut ansetzte. „Nein!“ Er spürte ihre Finger auf seinem Mund. „Es stimmt. Du hast mich angelogen, betrogen, ausgenutzt. Und ich bin davon nicht erbaut.“, zischte sie dann. „Aber du hast das nicht getan, weil es dir Spaß macht. Du magst kein Heiliger sein, aber du bist ein verdammter Moralapostel, dir geht nichts über Wahrheit und Gerechtigkeit, außer vielleicht eine Sache, wie ich gelernt habe… wie ich schmerzhaft lernen musste.“ Sie ließ ihre Hand sinken. „Mein Leben, Dummkopf.“ Ran hörte ihn schnauben. „Ohne Grund oder gar zum Spaß hättest du das nie gemacht. Und wäre das der Fall, Shinichi, das darfst du mir glauben, dann säße ich nicht hier. Dann wärst du wahrhaftig gestorben für mich.“ Sie starrte ihre Füße an, bohrte ihre Zehen in den weichen Teppich vor dem Bett. In ihr wühlte es. „Aber weil du das nicht getan hast, weil deine Taten immer einen anderen Zweck hatten, als Spaß, Schadenfreude oder pure Gedankenlosigkeit, weil deine Lügen nie ohne Grund geschehen sind, deshalb bin ich hier, deshalb will ich dir helfen, deshalb…“ Sie starrte ihn an. Er starrte zurück, schluckte. Sah eine Träne aus ihrem Auge perlen, kniff die Lippen zusammen, hob dann eine Hand, strich sie vorsichtig weg. Sie schloss die Augen, genoss die Berührung. „So leicht solltest du mir dennoch nicht verzeihen“, wisperte er. „Wir reden darüber, wenn du dich wieder erinnerst, Sherlock.“ Sie versuchte ein Lächeln. „Du sollst doch eine faire Chance haben, dich zu verteidigen. Und damit du dich bald wieder erinnerst, schlage ich vor, reden wir mal darüber… über den Detektiv Shinichi Kudô. Den Retter der japanischen Polizei.“ Er verdrehte die Augen. „Sag mir bitte, dass dir das gerade eben eingefallen ist…“ „Nein, das stand schon auf Titelseiten der Tokioter Tageszeitungen.“ Sie sah das Entsetzen auf seinem Gesicht und lachte. „Nicht dein Ernst.“ „Doooch.“, sie nickte. „Der Sherlock Holmes der Heisei-Ära.“ „Fürchterlich.“ Sie starrte ihn an, lächelte immer noch, merkte jedoch, wie sie bereits jetzt eine kleine Wahrheit piekte, eine Veränderung an ihm bemerkbar wurde, die, wie sie vermutete, von Dauer sein würde. Der Shinichi von früher war begeistert von solchen Schlagzeilen. Dieser hier ist es nicht… und ich schätze, er wird es auch nie wieder sein. Er hat Recht. Er ist nicht mehr der, in den ich mich verliebt habe. Aber… Unwillkürlich biss sie sich auf die Lippen. „Dein erster Fall…“, begann sie langsam. Shinichi stutzte, dann drehte er sich ebenfalls auf die Seite, wandte sich ihr zu, sah ihr ins Gesicht. „Ich war also wirklich ein Detektiv?“ „Oberschülerdetektiv, aber ja. Ein echter Detektiv. Du hast echte Kriminalfälle gelöst, mit echten Kriminellen, echten Morden, Entführungen, und mit der Polizei zusammengearbeitet. Du kamst groß raus, Shinichi. Ganz Tokio kennt dich, und darüber hinaus. Heiji kam nur deinetwegen hierher. Er wollte wissen, ob du’s mit ihm aufnehmen kannst. Ich denke nicht, dass er damals schon plante, sich derart gut mit dir anzufreunden.“ Sie lächelte kurz. „Dein erster Fall, um darauf zurückzukommen. Er spielte auf einem Flugzeug, wir waren knappe sechzehn Jahre alt und auf dem Weg zu deinen Eltern. Klingelt da was bei dir?“ Kazuha rührte gewissenhaft die Suppe um, in die Ai gerade kleingeschnittene Frühlingszwiebeln schüttete. Das Mädchen kam ihr seltsam vor, auch jetzt, nachdem sie wusste, wer Ai wirklich war. Mittlerweile hatte Heiji sie vollkommen ins Bild gesetzt, als er wieder zurückgekehrt war, aus der Polizeizentrale. Nachdem sie heute Nachmittag von Ran ja schon die Eckdaten erfahren hatte, hatte er lediglich noch die restlichen Zusammenhänge geknüpft. Sie schluckte, hob die Zwiebeln unter, warf Ai einen nachdenklichen Blick zu, beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie umständlich, mit dem Teller in einer Hand, vom Stuhl kletterte, den sie sich vorher rangeschoben hatte, um mit ihren Zwiebeln zum Topf zu kommen. Sie hatte Shinichi heute gesehen. Und sie erinnerte sich nur allzu gut an Conan. Unfassbar. Sie hörte es hinter sich rascheln, und drehte den Kopf ein wenig. Heiji stand hinter ihr, hielt ihr die Sojasoße entgegen. „Ein Schuss gehört rein.“, meinte er gelassen. Kazuha blies sich eine Haarsträhne aus den Augen, steckte sie hinter ihren Ohren fest und nahm ihm die Flasche ab. „Ran hat…“, brach es dann aus ihr heraus. Sie puhlte ungeschickt am Verschluss herum, zeigte damit nur allzu deutlich ihre Aufregung. Er nahm ihr die Flasche ab, schraubte den Deckel fertig ab, reichte sie ihr zurück. „Ich weiß.“ Kazuha sah ihn mit großen Augen an. „Woher?“ Heiji starrte in die Suppe, sah zu, wie sie träge zu blubbern anfing. Kazuha drehte sich um, begann die dunkle braune Soße in die Suppe zu träufeln, während Heiji nach dem Reis sah. „Shinichi.“ Kazuha blickte auf, vergaß, dass sie die Sojasoße noch in den Topf hielt. „Er hat’s dir gesagt? Das mit Ran?“ Ihr Jugendfreund nickte langsam. „Ja. Aber sei so gut, und lass ihn Ruhe damit. Er hat’s momentan ganz und gar nicht leicht. Abgesehen ist das nicht unsere Sache. Das müssen die beiden unter sich ausmachen. Einen Schuss, sagte ich, nicht die ganze Flasche.“ Er griff nach Kazuhas Handgelenk, zog es zu sich und drehte ihre Hand nach oben, stoppte so den Soßenfluss, grinste kurz. Das Mädchen sah ihn an, schluckte, spürte seine Finger um ihre Hand, merkte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Hoffte, dass er nicht sah, was ihr gerade durch den Kopf ging. Sie lieben sich, und doch steht immer irgendeine Macht zwischen ihnen, zwischen Ran und Shinichi. Ob es nun zehn Jahre körperlicher Entwicklung sind oder zwanzig Jahre an Erinnerungen, die einfach verschwunden sind. Sie kämpfen so hart, aber das Schicksal scheint sie ständig auszulachen, ihnen wieder und wieder ein Bein zu stellen, wer weiß, wann sie einfach aufgeben, wenn es einfach nicht sein soll… Und ich… Ich weiß gar nicht, wie schön ich es habe… Nur bekomme ich meinen Mund nich‘ auf. „Ein Schuss reicht völlig.“, wiederholte er dann, riss sie aus ihren Gedanken, ließ ihre Hand los. Sie nickte schusselig, rührte dann die Soße schnell unter, wandte sich ab. Heiji stutzte, sagte aber nichts dazu. „Er will an den Ort, an dem er gefunden wurde, zurückfahren. Weil er ein bisschen was von seiner Flucht wieder weiß.“, bemerkte er dann, wich aus, als Ai neben ihm vorbei huschte, mit einer Schüssel gewürfeltem Hähnchenfleisch, stellte ihr dienstfertig den Stuhl hin. Er ahnte, dass sie es nicht mochte, wenn er sie entweder hochhob oder ihr die Schüssel abnahm, und so sah er ihr zu, wie sie wieder hochkletterte und das Fleisch in die Brühe kippte, damit es gar kochte. „Das ist gefährlich.“, meinte sie dann. Heiji wandte sich ihr zu, lehnte sich gegen die Kante des Küchentisches, stützte sich dabei mit beiden Händen ab. „Er lebt momentan generell gefährlich.“ Ai hüpfte vom Stuhl, zog ihn wieder beiseite, damit er Kazuha nicht im Weg stand. Professor Agasa, der bisher im Hintergrund weiteres Gemüse klein geschnitten hatte, zog eine Augenbraue hoch. „Ich nehme an, man wird auf ihn aufpassen…? Es wird doch sicher ein Polizeiaufgebot mitkommen, und die Agents vom FBI?“ „Klar.“ Heiji nickte zustimmend, stieß sich vom Tisch ab. „Natürlich wird man das. Aber seien wir ehrlich-?“ Er schüttelte den Kopf, legte eine Hand an sein Kinn, schlang den anderen gedankenverloren um seinen Oberkörper. „Ich denke nicht, dass das gut geht.“ Irgendwas wird sicher passieren. Die haben ihre Augen doch überall… Die wissen doch, was er tut, sie kennen sicher jeden Schritt, den er macht. Sicher is Kudô nur solange, solange der Boss noch erfolgreich seine Leute unter Kontrolle hat. Aus den Augenwinkeln warf er verstohlen einen Blick aus dem Fenster. In der angehenden Dämmerung sah die Villa Kudô fast aus wie ein Geisterhaus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)