Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 49: Kapitel 31: Showdown -------------------------------- Tja, Leute- Was soll ich sagen. Wir nähern uns dem Unvermeidlichen mit großen Schritten. Diese Kapitel haben wirklich lange – laaaange – gegoren auf meiner Festplatte, sich unzähligen Überarbeitungen unterzogen, bevor sie zu dem wurden, das ihr jetzt lest. Deshalb – ich wäre sehr glücklich über ein Feedback eurerseits; sie sonst kann ich wissen, wie ihr darüber denkt ;) Vielen Dank im Voraus für jeden Kommentar, Viel Spaß beim Lesen, eure Leira ___________________________________________________________________ Kapitel Einunddreißig: Showdown Es war die Kälte, die ihn weckte. Shinichi kam langsam wieder zu sich, als seine Glieder zu schlottern anfingen, seine Kiefer kurz aufeinander klapperten, als der Frost ihn packte. Er stöhnte leise, fühlte diese ekelhafte nasse Kälte, spürte den kühlen, rauen Asphalt unter seinen Fingern - und fühlte sich erinnert an eine ganz ähnliche Situation vor nicht allzu vielen Tagen. Auf seiner Haut lag ein kalter Film Kondenswasser, da die Luftfeuchtigkeit auf ihn niederschlug und so dafür sorgte, dass seine Klamotten klamm wurden und er zu zittern anfing. Ich hasse Déjà-vus. Er presste die Zähne aufeinander, damit sie nicht noch einmal aufeinanderschlugen. Dann hörte er erregte Stimmen wie durch Watte; nur langsam wurden sie wieder klar, und damit allerdings so laut, dass sie wie scharfe Nadeln durch seine Trommelfelle zu piksen schienen. „Ihren Krieg führen Sie doch mit mir! Mein Sohn… “ Vater. „Hat sich schon längst eingeschaltet, und das ziemlich deutlich. Und wir beide wissen, für welche Seite er kämpft. Falls nicht…“ Absinth. „…ich geb Ihnen einen Tipp. Meine ist es nicht.“ Damit wandte er seinen Blick nach unten. Shinichi drehte den Kopf, um sich aufrichten zu können und bereute es gleich wieder; sein Schädel schien explodieren zu wollen. Er wollte sich mit der Hand an die Stirn greifen, um diese Explosion wohl zu verhindern, aber Absinth stieg ihm auf die Finger. Shinichi schnappte nach Luft und biss gleichzeitig die Zähne zusammen um nicht zu schreien. Ihre Blicke trafen sich. „Ah.“ Ein unheilverkündendes Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er sein Gewicht noch ein wenig mehr auf seinen Fuß verlagerte. „Ah, ah, ah…“ Shinichi kaute auf seiner Unterlippe, schmeckte Blut – und schwieg. Er starrte Absinth nur ausdruckslos an, versuchte nicht zu zeigen, wie sehr er ihn eigentlich hasste. „Du bist wieder wach, wie nett. Gerade rechtzeitig zu Abschlussbesprechung deiner Performance bei uns, Armagnac.“ Er betonte den Namen genüsslich, dann stieg er von Shinichis Hand, der sie umgehend weg zog, mit seiner anderen Hand die malträtierten Finger betastete. „Du bist einfach verschwunden, ohne dich zu verabschieden, das war reichlich unhöflich von dir… dabei hätte dir doch eine abschließende Bewertung deiner Arbeit bei uns zugestanden. Ein Zeugnis, wenn man so will.“ Er lachte leise, steckte sich die Hände in die Hosentaschen, trat dann leichtfüßig näher - und verpasste Shinichi dann mit Wucht einen Tritt in die Seite, die ihn auf den Bauch drehte. Shinichi keuchte vor Schmerz auf; Absinth hatte zielsicher seine Schusswunde getroffen „Nun, Armagnac…“ Er ging noch näher, bückte sich ein wenig um nach Shinichis Haaren zu greifen, schaute ihm in die Augen, zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. Genugtuung und Triumpf standen ihm quer übers Gesicht geschrieben, Hohn und Spott troff aus jedem seiner Worte. „Du wurdest geprüft…“ Er ging um den Oberschüler herum, ließ dessen Haare aber nicht los, zog ihn hoch. Shinichi kam taumelnd auf die Beine. Sein Blick und der seines Vaters trafen sich; hinter Yusaku stand Gin, hielt ihm offensichtlich den Lauf einer Waffe zwischen die Rippen. „…und bewertet…“ Shinichi erschauderte, als Absinths heißer, leicht nach Alkohol riechender Atem seinen Hals streifte, in seine Nase stieg, und gab nach, als er seinen Kopf weiter nach unten zog. Dann spürte er etwas Kaltes, Hartes auf seiner Haut an seinem Kehlkopf und erstarrte auf der Stelle. Er sah das Entsetzen in den Augen seines Vaters, und wusste, was hier abging. „… und leider, leider für ungeeignet befunden.“ „Nein!“ Er hörte die Stimme seines Vaters – und spürte den Schmerz, scharf, schneidend. Allerdings kratzte die Klinge seine Haut nur auf; das allein tat weh genug. Absinth stieß ihn von sich, und er stürzte, fing sich auf seinen Händen ab, rieb sich die Haut auf dem rauen Boden auf. Seine Kopfhaut schmerzte und die Verletzung an seinem Hals, so oberflächlich sie auch sein mochte, brannte wie als ob jemand weißglühenden Draht gegen seine Haut presste. Er fasste sich mit seiner Rechten an die Stelle, spürte, dass nicht viel passiert war – an seinen Fingerkuppen klebte nichtsdestotrotz Blut. Absinth wandte sich um, schaute Yusaku kühl an, der ihm mit hasserfülltem Blick beobachtete, warf das Messer gelassen weg, zog einen Revolver aus der Innentasche seines Sakkos, hob die Waffe an und zielte auf Shinichi. „Was denn… glaubten Sie, ich mache ihm ein schönes, schnelles Ende, ohne noch ein wenig gespielt zu haben? Nicht doch. Sie kennen mich besser, Cognac.“ Der Schriftsteller biss sich auf die Lippen. Sein Gesicht war weiß vor Zorn und Angst. Shinichis Unruhe wuchs. Diesen Gesichtsausdruck hatte er selten bei seinem Vater gesehen. Tja, Plan A ist wohl schiefgelaufen. Plan B hatten wir nicht… Zu dumm, nicht wahr? Shinichi warf Absinth einen hasserfüllten Blick zu, rang nach Atem. Absinths Lippen verzogen sich zu einem kleinen, spöttischen Lächeln, als er seine Macht kurz auskostete; dann wurde er ernst. „Aufstehen.“ Seine Stimme schnitt durch die Nacht, scharf und befehlend. Shinichi hob den Kopf, schaute ihn kalkulierend an, schaffte es, ruhig zu werden, sein stark in Mitleidenschaft gezogenes Hirn wieder einzuschalten und nachzudenken, die Situation zu analysieren. Er brauchte dieses Kalkül, er musste ruhig bleiben, wollte er hier überleben. Er konnte sich nicht blind vom Hass oder von der Panik lenken lassen, wenn die Verlockung auch groß war; aber das allerdings, soviel war ihm klar, würde in einer Katastrophe enden. Also in einer noch größeren, als der, in der wir uns ohnehin schon befinden, heißt das. Momentan allerdings half auch alles Denken noch nicht viel; er konnte nur hoffen, ihm fiel noch etwas ein, das sie hier retten konnte, bevor alles ohnehin zu spät war. Shinichi lächelte bitter, hievte sich dann langsam auf Hände und Knie, taumelte leicht, als er auf seinen Füßen zu stehen kam, hielt sich die Seite, aber nur kurz, um nicht zu viel Schwäche zu zeigen. Leises Lachen erfüllte den Parkplatz, klang gespenstisch in der fast jeden Laut verschluckenden Nebelsuppe, die über ihren Köpfen hing. „Nun“, begann Absinth schließlich leise, genoss jedes Wort, das er sprach. „… eines würde mich nun doch noch interessieren, am Ende dieses Tages, am Ende dieser Geschichte… nach allem, was du nun weißt, findest du nicht auch, dass ich Recht hatte, damals? Es wäre gnadenvoller gewesen, hätten wir dich unwissend sterben lassen. Sag mir, wie oft hast du dir seither gewünscht, ich hätte deinem Vater nicht nachgegeben, sondern Gin dich erschießen lassen…?“ Shinichi starrte ihn an, schluckte. Fühlte, wie der Wind durch seine Haare strich, entlang an seiner Haut, nichts weiter als einen kühlen Schauer hinterlassend; hörte nichts, außer dem Rauschen seines Bluts in seinen Ohren und seines immer noch etwas keuchenden Atems. Er fühlte den Blick seines Vaters auf sich ruhen und hatte eine ziemlich gute Ahnung von dem, was in seinem Kopf gerade vorging. Kurz wanderten seine Augen zu ihm, analysierten seine Mimik und fanden seine Ahnung bestätigt. Dann schüttelte er langsam den Kopf, ballte seine Fäuste, biss dabei die Zähne zusammen, um keinen Laut von sich zu geben, der verriet, wie sehr sein Schädel immer noch dröhnte. Dann hob er den Kopf, in seinen Augen sture Entschlossenheit, fixierte Absinths Gesicht. „Ich sagte es Ihnen schon einmal, aber anscheinend muss man es für Sie wohl öfter wiederholen; ich bin nicht willens, auf ihre Fragen zu antworten. Auf keine. Nicht heute, nicht morgen. Nie.“ Auf Gins Lippen schlich sich ein feines Lächeln. Yusaku schaute ihn nur an, stumm, fühlte, wie es in ihm wühlte und rumorte. Ein leises Klicken durchbrach die nächtliche Finsternis, als Absinth seine Waffe entsicherte. Shinichi schaute ihm ruhig dabei zu, verriet mit keinem Zucken in seinem Gesicht, wie sehr alles in ihm in Aufruhr war. Ihm lief die Zeit davon. Wie endet das hier…? Genta saß auf der Couch, hatte eine Schachtel Kekse ganz für sich alleine beschlagnahmt. Und sein krümelndes, schmatzendes Keksevertilgen war auch das einzige Geräusch, das man hörte. Allerdings hätte er sich gar nicht bemühen zu müssen, sich genügend Gebäck zu reservieren; alle anderen schienen keinerlei Appetit zu haben. Yukiko bemühte sich, eine zuvorkommende Gastgeberin zu sein, und ebenso bemühte sie sich, nicht den Schreibtisch anzuschauen; und dennoch schweiften ihre Blicke, wie auch ihre Gedanken, immer wieder hin zu diesem Möbelstück. Gestern… Sie ertappte sich bei dem Ausflug in ihre Erinnerungen, schüttelte den Kopf. Leider war ihr erst zu spät eingefallen, dass hier ja der Schreibtisch stand, und was sie mit diesem Möbel verband, gerade nach gestern Nacht – sie hatte ihren Mann heute Morgen nicht mehr gesehen, er war vor ihr aufgestanden und hatte sich den ganzen Morgen nicht blicken lassen. Dann war sie Agasas Einladung, mit ihm Einkaufen zu fahren gefolgt, weil sie geahnt hatte, wie gut sie die Ablenkung gebrauchen konnte – und als sie wieder gekommen war, war er bereits weg gewesen. Sie ahnte nun, was ihn umgetrieben hatte. Du hast ihn gestern verfasst, deinen Brief, nicht wahr? Kurz, bevor ich gekommen bin. War das wirklich das letzte Mal, dass ich mit dir gesprochen habe? Dass ich dich gesehen habe, lebendig? Wirst du… wirst du zu mir zurückkommen, Yusaku? Du glaubst sicher, ich kann dir das alles nicht verzeihen. Ich muss ehrlich sein, ich weiß auch nicht, ob ich das kann. Aber ich weiß, dass ich will, dass du lebst. Sie war blass, versuchte krampfhaft zu verstecken, wie sehr ihre Hände zitterten. Ran sah sie an, mitfühlend; wagte allerdings nicht, etwas zu sagen. Das Mädchen ahnte, was in Shinichis Mutter vorging; sie musste gestehen, sie selbst hatte sich mit diesem Gedanken noch nicht so wirklich befasst. Shinichis Vater war ein Mörder. Es war ein Leichtes für sie gewesen, Shinichi zu verteidigen, denn er konnte nichts dafür, wer sein Vater war. Sie kannte ihn lange genug, wusste, wie er tickte. Shinichi war ganz anders, er stand gerade für das, woran er glaubte. Und das war Gerechtigkeit, Wahrheit, Menschlichkeit. Stand immer ein für das, was er tat. Und wenn er manchmal doch seinen Prinzipien eine Abfuhr erteilen musste, so immer mit einem wirklich guten Grund. Allerdings, wie verhielt es sich mit Yusaku Kudô? Eigentlich hatte sie immer geglaubt, mit ihm verhalte es sich genauso; schließlich hatte er seinen Sohn nach diesen Werten erzogen. Nun stellte sich heraus, dass er sie in Wahrheit all die Jahre mit Füßen getreten hatte. Mehr oder minder. Sie kannte kaum die Gründe, weswegen er all das getan hatte. Zwar konnte Ran kaum glauben, dass er mit Leidenschaft und aus Überzeugung ein Unternehmen leitete, dass es mit der Yakuza aufnehmen konnte, allerdings… wusste sie im Moment nicht, was sie überhaupt glauben sollte. Unsicherheit machte sich in ihr breit. Sie erinnerte sich daran, wie er ihnen entgegen gekommen war, ihr und Shinichi, als sie aus dem Hauptquartier geflohen waren; vorgestern hatte sie es für Zufall gehalten, heute wusste sie es besser. Allerdings, er war dagewesen, um ihnen zu helfen, soviel war sicher; sonst hätte er sie ja gleich wieder zurückfahren können. Also konnte er kein schlechter Mensch sein. Auch wenn er… all diese Dinge getan hatte. All diese schrecklichen Dinge. Sie warf einen Blick zu Ai, deren Beine knapp über dem Boden endeten und die mit zwischen die Zähne gezogener Unterlippe ihre Zehenspitzen anstarrte, fragte sich, was sie gerade dachte. Ran wusste, ihre Moralpredigt hatte gesessen, aber andererseits konnte sie sie auch verstehen. Sie hatte unter dieser Organisation wirklich gelitten. Sie hatte ihre Eltern verloren, und ihre Schwester. Ihre ganze Familie. Warum man sie umgebracht hatte, wusste sie nicht; ob sie einfach ungehorsam geworden waren, oder die Organisation zu sabotieren anfingen, oder ob sie ganz einfach zu viel wussten. Wenn sie aber eins wusste, dann war das das, dass die Organisation keine großen Begründungen brauchte, um jemanden zum Tode zu verurteilen. Und damit wohl auch er nicht. Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken. Angesichts dieses Gedankens war Ais Reaktion gar nicht mehr so unlogisch; der Gedankengang war nicht abwegig, sich zu fragen, wie ähnlich Shinichi seinem Vater in dieser Sache wirklich war. Ob er wirklich immer der loyale Freund gewesen war, er vorgab zu sein, wo doch sein eigener Vater… Sie schüttelte unwillig den Kopf, griff sich an die Stirn. Nicht Shinichi. Sie strich sich über die Augen, müde, ließ die Hand wieder in ihren Schoß sinken, verknotete ihre schlanken Finger. Shinichi ist nicht wie sein Vater. Ran schluckte, bemerkte Ais Blick, der nun auf ihr ruhte. Dir ist doch auch klar geworden, dass es so nicht ist, nicht wahr? Shinichi ist nicht wie er, und er hat von nichts gewusst… Auch wenn es seltsam scheint. Auch wenn man kaum glauben will, dass er, der brillante Detektiv, von all dem nichts ahnte… Vielleicht wollte er es einfach nicht sehen, oder hielt es für Zufall… Man kann ihm kaum einen Vorwurf machen… Offenbar ist Herr Kudô ein ebenso guter Schauspieler wie seine Frau. Andererseits, wusste sie seine Beweggründe nicht, ahnte sie bestenfalls. Und wenn Shinichi und sein Vater sich doch nur ein bisschen ähnlich waren… Ran schluckte, ließ ihren Blick zu Yukiko gleiten, die versuchte, ruhig zu sein und doch kläglich dabei scheiterte. … dann sitzt der Grund, warum er das alles getan hat, vor mir auf dieser Couch. Wie angreifbar doch ein Mensch ist, wenn er anfängt, sein Leben zu teilen, wenn er anfängt… zu lieben. Sie schluckte. Den Ausdruck auf Shinichis Gesicht an jenem Abend in der Küche würde sie nie vergessen, dass wusste sie. Deine Achillesferse bin ich. Ich bin nicht nur dein rettender Engel, ich könnte dir auch den Tod bringen. Kann ich dich auch dazu bringen, jemand anderen zu töten? Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, ließ sie kerzengerade sitzen. Ai sah sie an, sah diesen Ausdruck von Angst und Entsetzen für Sekundenbruchteile über ihre Züge huschen, zog ihre Schlüsse. Es gab nicht viele Gründe, die Ran so reagieren ließen; und momentan konnte sie wohl kaum an jemand anderen denken, als an diesen einen jungen Mann, an dem ihr Herz hing. Ein bitteres Lächeln huschte ihr über die Lippen. Wenn es eine kann, dann du. Das ist dir klar, nicht wahr? Es ist erschreckend… so eine Macht über einen Menschen zu haben… dass er für einen an seine Grenzen geht, bis zum Äußersten… Mehr tut, als er zu ertragen bereit sein kann… Das muss erschreckend sein. Und ich bin beinahe froh… dass es in meinem Leben keinen gibt… der das für mich tun würde. So muss ich mich auch nicht mit diesen Gedanken quälen. Tief atmete James Black die feuchte, schwere Nachtluft ein. Neben ihm kniete Meguré im Dreck und spähte durchs Gebüsch. Der Boden war derart morastig vom Regen geworden, dass jeder ihrer Schritte ein schmatzendes Geräusch hinterließ. Sie waren noch viel zu weit weg, um wirklich etwas ausrichten zu können, auch wenn sie nun das Gebäude gefunden hatten; dunkel und bedrohlich erhob es sich vor ihnen aus dem Schlamm, wie es schien, herrschte stumm über die Nacht. „Es is noch viel zu weit weg.“, murrte Heiji leise, starrte missmutig auf das Display des Navigationsgerätes. „Eigentlich sind’s Luftlinie nur knapp achthundert Meter, aber da wir durch diesen Dreckssumpf hier durchwaten müssen…“, er hob angewidert ein Bein, zog es aus dem Morast, hörte das glucksende Schmatzen. Er rutschte in seinen Schuhen, sie waren voll mit Wasser und Schlamm. Hätt ich ne Schlammpackung gewollt, hätt‘ ich das gesagt, verdammt…! Meguré wandte sich ihm zu. Jodie war aus ihren Schuhen geglitten, trug sie in der Hand und lief barfuß; sie waren für diese Art von Wanderung einfach nicht gemacht. Shuichi warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Weißt du, das ist typisch für euch Frauen…“ Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. „How on earth would I know, that I’m going to make a survival trip in this bloody forest today?“ Ihre Stimme klang wütend. „Außerdem kann ich mit diesen Schuhen eigentlich gut laufen auf normalem Boden. Aber, mein Lieber, dies ist kein normaler Boden…“ „Be quiet, both of you.“, sprach Black in die nasskalte Finsternis, brachte seine beiden Agents zum Schweigen; sie warfen sich noch kurz herausfordernde Blicke zu, wandten sich dann aber ebenfalls ihrem Ziel zu. Meguré nickte zustimmend; dann schaute er an sich herab, fluchte ungehalten als er die Sauerei auf seinem Mantel sah, und begann an einem Dreckfleck an seinem alten Trenchcoat zu reiben, was zur Folge hatte, dass er den Schlamm nur noch weiter in die Fasern trieb - er fluchte noch lauter, ehe er wieder einen Blick nach vorne warf. „Wir kommen ohnehin nicht schnell voran, also sollten wir umso weniger Zeit mit solchen Debatten vergeuden. Dort ist unser Ziel – also schlagen wir uns durch.“ Er hob die Arme um sein Gleichgewicht zu halten, stakste voran. Heiji verkniff sich ein Grinsen, als er den behäbigen Mann wie einen Storch durch den Sumpf waten sah, marschierte dann neben ihm her, die Augen fest auf den Boden geheftet auf der Suche nach trittfesten Stellen. Yusaku legte den Kopf in den Nacken, starrte in den Mond. „Ich fürchte fast, es bringt nichts, wenn ich darauf beharre, der Boss zu sein und hier das Sagen zu haben?“ Seine Stimme klang zynisch, und in seinen Augen lag der dazu passende Ausdruck, als er seinen Kopf wieder senkte, Absinth aus den Augenwinkeln heraus beobachtete. Der grauhaarige Mann lächelte amüsiert. „Im Gegenteil. Diesmal würde es sogar etwas nützen.“ Er fixierte Shinichi mit kalten Augen, richtete die Waffe auf seine Brust. „Allerdings nicht Ihnen, sondern mir. Da Ihr den Feind mit ins Hauptquartier gebracht habt, Boss… wird mir durch das Statut als Triumviratsmitglied mehr Entscheidungsgewalt zuerkannt. Ich kann tun, was ich für richtig halte. Und ich halte für richtig…“ „Nein!“ Die Worte kamen Yusaku hastig über die Lippen, in seiner Stimme schwang blanke Panik. Er starrte seinen Sohn an, schluckte hart. Shinichi starrte in die Mündung des Revolverlaufs, seufzte. Dann schüttelte er den Kopf, schloss kurz die Augen. Egal wie er es drehte und wendete, es gab keinen Ausweg. Keiner wusste, wo sie waren; sie waren unbewaffnet, ihre Gegner bewaffnet; sie waren in den Händen ihrer Feinde. Es war vorbei. Sie hatten versagt. „Bringen wir’s doch endlich hinter uns. Ich hab diese Warterei ehrlich satt.“ Seine Stimme klang ungewöhnlich ruhig, in seinen Augen stoischer Gleichmut. Während das Triumviratsmitglied ihn interessiert musterte, schaute sein Vater ihn nur kopfschüttelnd an. „Nein. Was hatte das alles für einen Sinn, wenn du jetzt stirbst...“ Shinichi wandte den Kopf, stutzte. Der Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters war ein seltsam drängender; aus ihm sprach die verzweifelte Entschlossenheit, an dieser Situation mit Biegen und Brechen etwas zu ändern. Du stirbst hier und heute nicht…! Dann hörte er Absinths kühle Stimme, drehte aber nicht den Kopf. Der alte Japaner sah seinen ehemaligen Vorgesetzten kühl an, strich sich mit seiner freien Hand übers Kinn, steckte sie dann locker ins eine Hosentasche, während er mit seiner anderen Hand immer noch auf Shinichi zielte, als er ihm antwortete. „Keinen. Es hat keinen Sinn, wenn er stirbt, aber auch keinen, wenn er lebt. Und das sagte ich Ihnen vor gut einer Woche bereits, Cognac. Sie hätten ihm viel ersparen können…“ Shinichi sah ihn an, unverwandt. Spürte, wie sein Herz raste, gegen seinen Brustkorb schlug, fühlte, wie seine Lungenflügel sich mit jedem Atemzug weiteten, merkte, wie das Blut in seinen Adern pulsierte, in seinen Fingerspitzen kribbelte - er fühlte sich auf irrsinnige Weise so lebendig wie nie zuvor. Muss man dafür erst dem Tod ins Auge sehen? Er wusste, ihm konnte niemand helfen. Und ein Blick in Absinths Gesicht sagte ihm, dass es nun soweit war. Fast bereute er, ja sogar darum gebeten zu haben, um sein Ende; und irgendwie konnte er nicht fassen, dass es das nun wirklich gewesen sein sollte. Er atmete tief ein, spürte die Schmerzen seiner Blessuren und genoss sie doch irgendwie – sie zeigten ihn immerhin, dass er noch am Leben war. Noch. Kurz huschte sein Blick über die Fassade des Gebäudes, und bemerkte erst jetzt die vielen Zaungäste, die ihre kleine Vorstellung hier eigentlich hatte. Sie hatten sie wohl tatsächlich einsperren können, aber wie es aussah, kam Heiji zu spät. Zu viele unbekannte Parameter… es wäre ein Wunder gewesen, wäre dieser Coup geglückt. Nur… Wunder gibt es nicht. Dann wanderte sein Blick zurück zum Gesicht seines Vaters. Der Ausdruck in seinen Augen war sonderbar gesetzt, sehr ruhig, wenn auch in hohem Maße traurig. Klar, es muss einen traurig machen, wenn man zusieht, wie der eigene Sohn erschossen wird. Irgendwie ist es tröstlich, dass du so empfindest. Nach allem, was du wohl schon gesehen und getan hast… …musst du doch reichlich abgestumpft sein. Shinichi schluckte, räusperte sich, wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was, und ließ es dann lieber. Yusaku hingegen holte Luft, sammelte sich, ehe er zum Sprechen ansetzte. „Shinichi, bitte… vergib mir.“, murmelte er, sah ihn fest an. Shinichi biss sich auf die Lippen, atmete kurz ein, dann wieder aus. „Du musst dich nicht – also, nicht für dieses spezielle… Verbrechen hier…“ Er brach ab, sah sich außer Stande, den Satz zu beenden. „Das meinte ich nicht.“, entgegnete ihm sein Vater ruhig. Shinichi stutzte, schaute ihn fragend an. „Was…?“ „Genug jetzt.“, unterbrach Absinth das Gespräch. Seine Stimme verriet seine Anspannung, wie auch seine Ungeduld. Er hob die Waffe an, sah nach, ob sie auch wirklich geladen und entsichert war, und war sich Shinichis beobachtenden Blicken dabei vollstens bewusst. Er lächelte zufrieden, sah ihn dabei aber nicht an. Dann hob er den Blick, gleichzeitig mit seinem Waffenlauf, zielte wieder auf seine Brust. „Bereit, vor deinen Schöpfer zu treten?“ Shinichi schluckte unbehaglich, merkte, wie alles in ihm einzufrieren schien. „Wann ist man das je?“, wisperte er leise. Dann herrschte Stille. Ein kühler Windhauch schlüpfte unter seine Jacke, strich um seine Nase, wie eine kleine Vorankündigung auf die Kälte, die sicher gleich folgen würde. Gepresst atmete er aus, machte sich auf sein Ende gefasst. Er hörte den Schuss, nein hörte zwei; aber er spürte nicht den Schmerz, den er erwartet hatte. Stattdessen fühlte er, wie plötzlich ein Gewicht, ein Körper gegen ihn sackte, hörte ein ersticktes Keuchen. Instinktiv streckte er die Arme aus, um ihn aufzufangen, öffnete im gleichen Moment die Augen - und sah, wen er gefangen hatte. Wer ihm… sein Leben gerettet hatte. Er sah ihn an, in seinen Augen eine stumme Bitte. Vergib mir. Sie schluckte, beobachtete mit zusammengekniffenen Augen die Szene vor sich. In ihr war jede Faser angespannt – besonders die, die ihren Finger um den Abzug krümmten. Sharon kauerte hinter einem Auto, hatte gezielt und geschossen. Sie hatte ihn leider nicht voll getroffen. Schussfeld hatte sie nur auf Gin gehabt – und auch hier war es nicht komplett frei gewesen, deshalb hatte sie auch nur seinen Arm erwischt. Immerhin aber seinen linken. Ein maliziöses Lächeln schlich sich über ihre Lippen, als sie aufstand. Ein ersticktes Keuchen zwang sich über ihre Lippen; sie merkte, wie diese Anstrengung, hierher zu kommen, an ihren Kräften gezehrt hatte. Sie befühlte vorsichtig ihre Verletzung, spürte Feuchtigkeit durch den Verband sickern, lächelte bitter. Nebel umzog ihre Gedanken, machten ihr das Denken schwer; in ihrem Kopf schien weiche Watte zu stecken, die jedes Gefühl dämpfte. Sie spürte nicht die Kälte, spürte nicht die Feuchtigkeit; spürte nicht den Schmerz und auch nicht die Angst. If that’s death, it’s not that bad at all. No need to be afraid of… Sie warf einen letzten Blick auf die Szene die sich ihr bot, merkte, wie sich in ihr Bedauern ausbreitete. But the time is still not ripe, now. Not yet. Regen setzte ein, als sie aus ihrer Deckung trat. Absinth stand da, starr wie ein Standbild, seine Waffe ruhig vor sich ausgestreckt; sein Kopf jedoch schaute in eine andere Richtung, genau wie der Gins. Der blonde Mann hielt sich den Arm, fluchte, gab aber ansonsten mit keinem Zeichen zu erkennen, dass er den Schmerz überhaupt wahrnahm. Shinichi war mit seinem Vater zu Boden gesunken; seine Knie waren schlagartig weich wie Wackelpudding geworden, als er in Sekundenbruchteilen realisiert hatte, wer wirklich getroffen worden war. Er kniete auf dem Asphalt, hielt seinen Vater fest, spürte, wie angestrengt er atmete, hörte ihn keuchen. Vergib mir? Ihre Blicke trafen sich - dann zog ein leichtes klackerndes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich. Das hört sich an wie… High heels auf Asphalt... Der junge Detektiv schaute angestrengt in die Richtung, aus der der zweite Schuss gekommen war. Eine schlanke Silhouette schälte sich aus der Dunkelheit; bald zeichnete sich die Figur einer Frau ab. Einer Frau mit langem, welligem Haar, aufregenden Kurven, und in hohen Stiefeln mit schwindelerregendem Absatz. Sharon, wie kannst du mit den Dingern laufen? Ein kurzes Grinsen huschte ihm übers Gesicht, als er erkannte, wer es war, der sich da mit entschlossenem Schritt näherte. Absinth starrte sie an, wartete. Er warf einen Blick auf die beiden Kudôs, dann zu Gin, der seinen stummen Befehl mit einem kurzen Nicken registrierte und seine Waffe auf Shinichis Kopf richtete. Der Oberschüler registrierte es gar nicht. Absinth hingegen trat ihr entgegen, wenn auch nur ein paar Schritte. Vermouth. Yusaku hatte Sharon gesehen, im Fenster eines Autos, hatte gewusst, sie würde Gin erledigen, wenn er es wollte; und sie hatte es auch getan. Zumindest hatte sie es versucht. Ein bitteres Lächeln huschte über seine Lippen, als er spürte, wie warmes Blut über seine Haut lief, mit jedem Atemzug - langsam, aber doch unaufhörlich. Ein seltsames Gefühl. Haben wir denn heute gar kein Glück? Sag, will uns der Engel nicht lächeln, Sharon? Mittlerweile war sie bei den Männern angekommen, blieb stehen; nur kurz warf sie einen Blick auf ihren zu Boden gegangenen Boss, realisierte sofort, wie es um ihn stand; dann wandte sie sich Absinth zu, dem sein arrogantes Lächeln mittlerweile wieder wie festzementiert im Gesicht klebte. Erst jetzt, aus der Nähe, sah Shinichi, in welchem Zustand sie sich befand. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen verkniffen, ihre Haltung aufs Äußerste angespannt. Den Gang, der gerade noch so entschlossen gewirkt hatte, hatte sie wohl nur mit Mühe aufrechterhalten können. Schmerz sprach aus ihren Bewegungen, und er ahnte, dass auch sie bereits dem Tod näher war als dem Leben; dennoch, ans Aufgeben schien sie nicht zu denken. Sie hatte ihr Leben teuer verkaufen wollen. Entschlossen stand sie da, schön und gefährlich wie eh und je, ihr Gewehr in der Hand. Sie wusste, es war keine Kugel mehr darin; sie hatte sie alle verschossen, alle, bis auf eine. Und die steckte jetzt in Gins Schulter. Allerdings, die anderen wussten das nicht. „Ich muss gestehen, mit dir hatte ich nicht gerechnet auf unserer Party, Sharon.“ Absinths Stimme hallte klar durch die Nacht. Er hatte keine Sekunde seine Souveränität verloren, fühlte sich absolut sicher, das sah man ihm an. „Allerdings hätte ich von dir erwartet, dass du dir mit deinem Outfit etwas mehr Mühe gibst, wenn du schon zu einem derartigen Spitzentreffen ohne Einladung erscheinst.“ Er warf Yusaku, der am Boden mehr lag als saß und eine Hand auf seine Verletzung presste, einen gewinnenden Blick zu. Sie indessen lächelte unterkühlt, ließ ihn nicht aus den Augen. „Bin ich dir nicht hübsch genug, Hayao?“ In Sharons Stimme klang noch immer das gewisse Etwas; ein wenig Verführung, ein wenig Charme – und sehr viel Drohung und Gefahr, Provokation pur. Du gibst nicht auf, Sharon, nicht wahr? Aber dir ist schon klar, dass auch du nicht unsterblich bist? Warum tust du das? Was erhoffst du dir…? Shinichi sah, wie der Mann zusammenzuckte bei der Nennung seines echten Namens. „Was spielst du für ein Spiel?“, fragte er; sein Tonfall war auf einmal nicht mehr so locker, sein Lächeln für Sekundenbruchteile bröckelnd. „Eins mit meinen eigenen Regeln.“ Sie schüttelte ihren Kopf, ihre Haare fielen sanft über ihre Schultern, flossen ihren Rücken hinab wie flüssiges Gold. Sie warf Gin einen gelassenen Blick zu, schob den Riemen ihres Gewehrs zu Recht. Absinth lachte leise, schien sich aus irgendeinem Grund köstlich zu amüsieren. „Egal was du für ein Spiel spielst, egal, wie, und nach welchen Regeln – du verlierst es. Jetzt.“ Ein feines Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. „Ich denke nicht.“ Ihr Lächeln verbreiterte sich. „Ich spiele nämlich nicht allein – sondern im Team.“ Dann überschlugen sich die Ereignisse. Es knallte, der Schuss kam aus nächster Nähe. Shinichi riss unwillkürlich die Hände hoch, presste sie auf seine Ohren. Während sie alle Sharon ihre volle Aufmerksamkeit geschenkt hatten, hatte sein Vater die Waffe aus dem Sakko gezogen, die dort immer noch gesteckt hatte, und sie auf Gin gerichtet. Er hatte die Wahl gehabt zwischen ihm und Absinth. Da allerdings Gin der gewesen war, der auf seinen Sohn zielte, war auf ihn seine Wahl gefallen. Gin hätte keine Sekunde gezögert, Shinichi zu erschießen, wäre Absinth vor seinen Augen tot umgefallen. Die zweite Kugel traf Sharon. Ihr Blick traf Shinichis. Sie wankte kurz, ließ ihr Gewehr los, griff an ihre Brust, besah sich ihre Finger, die im schwachen Licht schwarz glänzten. Sie seufzte leise, ging zu Boden, lautlos, wie in Zeitlupe. Lag auf dem Boden und atmete schwer, fühlte, wie ihr auf einmal das Leben, das gerade noch sehr langsam aus ihr herausgetröpfelt war wie aus einer undichten Karaffe, auf einmal aus ihr herausquoll wie Wasser durch einen gebrochenen Damm. Now it’s up to you, silver bullet. Er starrte in ihre Augen, bis sie brachen, merkte, wie ihm schwummrig wurde. Er war den Tod gewohnt, er hatte ihm oft genug ins Auge gesehen – aber jemanden sterben sehen, dabei zusehen, wie der Tod sich jemanden holte, das war etwas anderes. Etwas gänzlich anderes. Mühevoll wandte er sich ab, seinem Vater zu, der immer noch die Waffe in der Hand hielt und zu Gin starrte, der tot auf dem Boden lag. Shinichi keuchte, als ihm so wirklich gewahr wurde, wer ihn erschossen hatte. Entsetzen packte ihn, ihm wurde schlagartig kalt, und übel. Richtig übel. Yusaku hatte sich hingekniet, mühsam, die Waffe immer noch in seiner Hand, starrte Shinichi an, konnte diesen Ekel und dieses pure Entsetzen in seinen Augen kaum ertragen. Es musste sein, das weißt du doch! Absinth starrte sie an, dann drehte er sich um, wandte sich Yusaku zu, trat ihm die Waffe aus der Hand. „Genug jetzt!“ Er packte Yusaku am Kragen, zog ihn hoch, nur um ihn von sich zu stoßen. Wut flammte in seinen Augen, sprach aus seinen Gesten, aus seiner Stimme, in die sich ein bedrohliches Knurren mischte. Yusaku schrie auf, kurz, ehe er nach hinten fiel, hart auf den Boden prallte. Ächzend stemmte er sich mit den Ellenbogen wieder hoch, merkte, wie ihm kalter Schweiß aus allen Poren trat, er vor Schmerzen zu zittern anfing; sein Blick suchte Shinichi, der auf dem Boden kniete und wie gelähmt schien. Und das war nicht gut, schließlich schwebte er immer noch in Lebensgefahr. Allerdings war er gerade einfach nicht ganz Herr über sich, erfasste nur langsam, was soeben passiert war… und was gerade geschah. „Shinichi!“ Yusaku schaute ihn starr an, presste seine Hand auf eine Wunde in seiner Brust, atmete qualvoll ein, merkte, wie ihm die Sinne schwinden wollten. Noch nicht… „Shinichi!!!“ Noch nicht, Shinichi… du bist aus der Sache noch nicht raus. „Es reicht jetzt, sagte ich!“ Absinth starrte ihn an, sein Blick definitiv furchteinflößend; allerdings kannte Yusaku ihn zu gut, als dass er ihn noch beeindrucken könnte. Der Schriftsteller fixierte starr seinen Sohn, der nur wenige Meter von ihm weg saß, sich unwillig über die Augen wischte, dabei den Schmutz des Asphalts in seinem Gesicht verteilte. „Schau mich an! Hörst du!?“ Shinichi zuckte kurz zusammen, blinzelte. Sein Blick klärte sich wieder ein wenig. Und dann stieg ihm der Geruch ihm in die Nase, von Blut, Rauch von den Schüssen… und holte ihn endgültig in die Realität zurück. Dann wandte er seinen Blick, drehte seinen Kopf, bis er in das Gesicht seines Vaters schaute. Yusaku kniete auf dem Boden, presste sich eine Hand auf eine Wunde in der Brust. Einer weniger auf der Seite der Bösen, Shinichi. Mit ihm musst du leider allein fertig werden. Aber dazu musst du dich zusammenreißen! Shinichi starrte ihn an. Dann erst spürte er es; ein seltsam unvertrautes Gefühl auf seiner Haut, auf der Höhe seiner Hüfte. Dennoch musste er nicht nachsehen, um zu wissen, dass sie da steckte. Eine Pistole. Er biss sich auf die Lippen. Yusaku sah ihn an, nickte. Nun, du hast Recht, die Situation ist jetzt eine andere… Jetzt könnten wir… Offenbar hatte sein Vater ihn noch gesucht und im Computerraum das Ding gefunden; er konnte sich nicht erklären, wie er sonst an eine zweite Waffe gekommen sein könnte. Und gerade, als Sharon sie alle abgelenkt hatte, hatte er die Gelegenheit nicht nur dafür genutzt, sich um Gin zu kümmern. Absinth hingegen schien langsam seine Gelassenheit wieder gefunden zu haben. Ihm war nicht entgangen, wie schwer der Schriftsteller verletzt war, und auch nicht, wie handlungsunfähig sein Sohn schien. Langsam trat er näher, ließ seine Augen zwischen ihnen wandern. Absinth liebte diesen Blick von oben herab – und er kostete ihn voll aus. Dann fing er an zu lachen; es war ein klirrendes, eiskaltes Gelächter, das Vater und Sohn einen Schauer über den Rücken jagte. Dann wandte er sich Shinichi zu, auf seinen Lippen ein selbstgefälliges Grinsen, in seiner Stimme Spott und Hohn. „Nein, wie rührend.“ Er trat näher, seine Pistole in der linken Hand, locker. Sein Finger krümmte sich um den Abzug, sein Lauf zielte einmal mehr auf ihn. Shinichi presste seine Kiefer zusammen, so fest, dass seine Zähne knirschten. „Freust du dich? Dein Vater würde doch tatsächlich sein Leben für deins geben. Genau genommen hat er das wohl. Genauso wie unsere liebe Vermouth, die da hinten in ihrem eigenen Blut liegt – die Frau ist aber auch zäh!“ Ein Ausdruck von Abscheu und Verachtung trat auf sein Gesicht, dann taxierte er Yusaku mit einem kalkulierenden Blick. Der ehemalige Boss der Organisation starrte düster zu ihm hoch. „Ich…“, er hustete qualvoll, „ich warne dich, Absinth. Lass…“ „Ihn in Ruhe? Ha?“ Er lachte hohl. „Du weißt genau, wie lächerlich deine Forderung ist. Er wird sterben, jetzt, noch vor dir, so wie ich das sehe, wenn auch nur knapp.“ Ein kühles Lächeln war auf seine Lippen getreten. „Ich denke, einen Moment der Freude über die Liebe seines Vaters kann ich ihm schenken, dann muss Schluss sein…“ Er beugte sich kurz nach vorn, griff Shinichi am Kragen, der versuchte sich zu wehren, zerrte ihn zu Yusaku, hielt seinen Kopf an den Haaren fest, zog ihn nach hinten. Dann ging er in die Hocke, bis sein Gesicht auf Augenhöhe mit dem seines einstigen Vorgesetzten war, lächelte. Shinichi reagierte kaum, zu schmerzhaft war die Haltung, in die er gezwungen wurde, stöhnte nur einmal kurz auf, als sich die Schussverletzung in seiner Seite einmal mehr bemerkbar machte. Mach jetzt keine Dummheit. „Sieh ihn dir ein letztes Mal an, Yusaku. Schau ihn dir genau an, schau dir an, was du ihm für ein Leben geschenkt hast. Und was für ein Ende.“ Yusaku brüllte, wollte nach ihm greifen, verfehlte ihn aber. Absinth ließ den jungen Detektiv los, sprang leichtfüßig zurück, lachte höhnisch. „Aber, aber – wer wird denn…?“ „Lassen Sie das.“ Shinichi glaubte nicht, Herr über sich zu sein, als er aufstand, bei der Bewegung wie automatisiert seine Waffe aus seinem Hosenbund zog. Er schien neben sich zu stehen, sich selbst dabei zuzusehen, merkte, wie ein seltsames Gefühl von Ohnmacht ihn ergriff. Dann verschwand das Gefühl, auf einmal spürte er das Gewicht der Waffe in der Hand, merkte, wie sein Vater scharf den Atem anhielt, als er ihn sah. Absinth drehte sich erst um, als er das sanfte Klicken hörte, als Shinichi die Pistole entsicherte. Interessiert hob er die Augenbrauen, pfiff anerkennend durch die Zähne. „Ihr zwei seid gewiefter, als ich dachte. Wann hast du ihm die denn wieder untergejubelt?“ Er warf einen Seitenblick aus seinen Augenwinkeln auf Yusaku. „Ich denke, das tut nichts zur Sache. Für Sie ist nur interessant, dass ich sie habe.“ Shinichis Stimme klang seltsam emotionslos, sehr sachlich und nüchtern; er stand da, absolut starr, merkte, wie er am ganzen Körper zitterte. Übelkeit keimte in ihm hoch, und er tat sein Bestes, um sie in den Griff zu kriegen und sich nichts anmerken zu lassen. Er ahnte, dass er diesmal keine Wahl haben würde. Diesmal kam keiner, um ihm zu helfen. Es war vorbei. Diesmal… „Großer Gott!“ Meguré nahm seinen Hut ab, zog einen Fuß aus dem Matsch, machte einen Schritt nach vorn, nur um zu merken, dass Gehen wirklich nichts brachte. Und so stand er da, seine Augen starr auf das Geschehen gerichtet, das sich vor ihren Augen abspielte. Sie waren in Sichtweite des Parkplatzes gekommen, allerdings immer noch zu weit entfernt, als dass sie hätten eingreifen können; mal ganz abgesehen von all den Autos, die im Weg standen, die ihnen ohnehin kein Schussfeld gewährten. Dutzende Wagen standen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude, gerufen, wie es schien, zu einer Versammlung; und nur in einem Raum brannte Licht. Sie konnten von weitem die Leute sehen, die sich gegen das Fensterglas pressten. Sie sahen wohl dem Schauspiel zu, dem auch sie beiwohnten, mit gebundenen Händen, genauso wie sie. Unübersehbar und dramatisch beleuchtet von zwei hellen Laternen am Eingang des Gebäudes waren sie; drei Gestalten, kaum mehr als schwarze Schatten im Gegenlicht. Einer kniete am Boden. Zwei von ihnen standen, und waren sehr deutlich bewaffnet. Besser hätte das kein Regisseur inszenieren können. Black strich sich über seinen Schnauzbart, seine grauen Augen erstaunlich ruhig auf die Szene fokussiert. Diesem Treffen, diesem Augenblick generell, wohnte etwas so Endgültiges inne, dass er kaum glaubte, irgendwie handelnd eingreifen zu können, selbst wenn sie näher dran wären. Neben ihm jedoch schien Meguré diesen Gedanken nicht zu teilen, und auch keinen Sinn zu haben für die Dramatik des Augenblicks; er fluchte, sah mürrisch aus, und irgendwie frustriert. No surprise. It is beautiful in its own way, seeing the incarnation of good and evil fighting in the endgame… but quite frustrating, if you can’t take part in that play. „Sie sind zu weit weg. Und wegen der Bäume habe ich hab auf ihn kein freies Schussfeld.“ Akais geflüsterte Worte brachen durch die Stille. Black wandte den Kopf, nickte wissend, sah seinem Agent zu, wie der angewidert einen Fuß aus der Erde zog, wobei sein Schuh stecken blieb. Er zerrte ihn heraus, verursachte ein lautes Glucksen des Bodens dabei. „Das wird er allein schaffen müssen…“ Jodie schaute ihn von der Seite an. Shuichi hatte seine Waffe zwar im Anschlag, suchte mit den Augen das Gelände ab, aber seine Ahnung bestätigte sich nur aufs Neue. Sie kauerte sich neben ihn, die braune Suppe, die ihre feinen Hosen tränkte, komplett ignorierend. „Das kann doch kaum möglich sein, oder? Wir sind hier, und alles was wir tun können, ist hier sitzen, und zusehen…“ James Black erhob sich umständlich, fiel fast hintenüber, weil sein Schuh im Matsch feststeckte, behielt aber die Balance. Er warf seinem Tokioter Kollegen einen ernsten Blick zu. „Wird er das können? Diesmal?“ Meguré zuckte hilflos mit den Schultern; eine halbherzige Geste, er hob sie kaum an, zu schwer schien das Gewicht zu sein, dass sie nach unten drückte. Die Sorge. Die Angst. Shuichi stand auf, unwillig, ließ die beiden Kontrahenten nicht aus den Augen. Dann zog er sein Gewehr zu sich, schlüpfte aus seinen Schuhen. „Du gehst?“ „Ja.“ Jodie schluckte, starrte ihn an. „Du weißt…“ „Dass ich leise sein muss, weil eine einzige Ablenkung seinen Tod bedeuten kann, ja.“ Black seufzte, nickte langsam. „Er ist nur noch nicht tot, jetzt, weil Absinth scheinbar doch fürchtet, er drückt ab. Die stecken momentan in einer Situation, die so angespannt ist ist…“ „… dass ein einziger Tropfen reicht, um das Fass überlaufen zu lassen.“ Heiji hatte gesprochen, ohne den Blick von Shinichi abzuwenden. Shuichi ersparte sich eine Antwort, schlängelte sich durchs Geäst, so leise wie möglich. Heiji folgte ihm. Absinth schaute in abfällig an, konnte allerdings einen gewissen Grad an Anspannung nicht verbergen; er hasste es, wenn Pistolenläufe auf ihn gerichtet waren. Und Kudô war in einer Ausnahmesituation; welche Entscheidungen er treffen würde, war nicht vorherzusehen. Dennoch erhielt er sich einen spöttelnden Ton in der Stimme; er wollte ihn verunsichern, nicht zeigen, dass er ihn fürchtete – in diesem Moment tatsächlich fürchtete. „Sieh einer an. Du hast wohl doch mehr Rückgrat, als wir alle dachten. Oder hat dich doch das Training bei uns ein wenig härter gemacht? Wie auch dem sei, es ist egal - das…“ Er kniff die Augen zusammen. „Das schaffst du nicht.“ Shinichi nahm die Waffe mit klammen Fingern in die linke Hand, streckte den Arm vor seiner Brust aus. In seinem Blick lag Resignation, Starrsinn und Verzweiflung. Und unsägliche Wut. „Woher wollen Sie das wissen? Wir konnten es nie richtig testen.“ Sein Vater neben ihm stöhnte leise, aber Shinichi wagte es nicht, sich ihm zuzuwenden, Absinth aus den Augen zu lassen. Er starb neben ihm, das ahnte er. Und er hasste das Gefühl, fühlte er doch, wie der Tod um sich griff, immer mehr, immer stärker. Und geduldig wartete, ob ihn nicht doch noch eine Seele mehr begleiten mochte. Shinichi merkte, wie es ihn am ganzen Körper schüttelte, und er hatte keine Ahnung, wie lange er diese nervliche Zerreißprobe durchstehen konnte. „Shinichi.“, flüsterte Yusaku leise. Sein Sohn schüttelte den Kopf, ohne seinen Gegner aus den Augen zu lassen. Absinth hielt seine Waffe ebenfalls mit der linken Hand und scheinbar absolut ruhig auf ihn gerichtet. „Das traust du dich nicht. Du bist doch kein Mörder… und glaub mir, du wirst mich töten müssen, wenn du das überleben willst.“ Er grinste hämisch. „Solange auch nur ein Funken Leben in mir ist, werde ich den dazu nützen, dich umzubringen, das muss dir klar sein. Dich, und alle die du liebst. Also – was ist nun…?“ Shinichi starrte ihn an, die Waffe in seiner Hand zitterte stark. Er hob seinen anderen Arm, umschloss mit seinen Fingern seine starre linke Hand, versuchte das Gefühl von Übelkeit zu verdrängen, zwang sich dazu, ruhig zu atmen. Ruhig und langsam. Ein und aus. Du kommst aus der Sache nicht mehr raus, also sieh zu, dass du das Beste draus machst. Was auch immer dieses dämliche „Beste“ ist… Er kniff die Augen zusammen, fokussierte sein Ziel. Absinth schaute ihn kalkulierend an, fing wieder an zu reden, nicht ohne den spöttelnden, aufreizenden Unterton in der Stimme, der sie schon die ganze Zeit begleitete. „Ich zähle bis drei, soll ich? Und einer von uns… wird dann schießen. Noch länger hältst du doch den Nervenkrieg sonst nicht aus.“ Der grauhaarige Japaner sah ihm gelassen in die Augen. Shinichi blickte zurück, ohne zu blinzeln. Er wusste, sein Vater sah ihn an; er hörte seine unregelmäßigen Atemzüge. Fest presste er die Lippen zusammen. Dann räusperte er sich, schloss kurz die Augen. „Eins.“, flüsterte er leise. Absinths Augenbrauen rutschten abrupt nach oben; überrascht schaute er seinen Gegner an, ehe sich sein überhebliches Grinsen auf seinen Lippen wiederfand. „Zwei.“, setzte er dann den Countdown selbstsicher fort. Shinichi fokussierte ihn; sah die Waffe, die immer noch auf seinen Kopf zielte, spürte diese Kälte, die sich seiner ermächtigte. „Drei.“ Dann fiel der Schuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)