Amnesia von Leira (Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?) ================================================================================ Kapitel 52: Kapitel 34: The day after -------------------------------------- Tja, Leute… ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber sicherlich nicht das. Lange, lange hab ich überlegt, ob ich diesmal bis zum Äußersten gehe, Shinichi den Schritt in den Abgrund tun lasse und ihm dann beim Fallen zuschaue; nachdem es eine Version gab, in der ich ihn nicht hab schießen lassen, da dachte ich, es wäre wieder eine feige Lösung, als würde ich mich drücken, um etwas, worauf die ganze Geschichte rausläuft. Also ging ich aufs Ganze und schrieb es um… und nun hat ers getan. Eigentlich dachte ich, das sorgt für mehr Zündstoff. Ihr wisst, ich habe nie nach Kommentaren gefragt, weils ne freiwillige Sache ist, einen zu hinterlassen. Andererseits wissen es viele von euch, die selber schreiben – Kommentare sind eine wertvolle Rückmeldung des Publikums für jeden Autor. Das mal nur am Rande. So… und jetzt geht’s darum, zu sehen, ob unserem lieben Protagonisten noch zu helfen ist. Die Silberkugel hat eingeschlagen, im wörtlichsten Sinne - sehen wir mal, was der Engel noch leisten kann. Beste Grüße und viel Spaß beim Lesen. _______________________________________________________________________________________________ Kapitel vierunddreißig: The day after Er wusste nicht, wie er ins Bett gekommen war. Er wusste nur, dass er fix und fertig war, immer noch. Dennoch erschien ihm im ersten Moment der gestrige Tag wie ein Traum, als er die Augen aufschlug, und vanillefarbene Muster auf seiner Zimmerdecke sah, die die aufgehende Sonne mithilfe der Spitzengardine als Schablone produzierte und den frischen Geruch des Morgens roch, der durch das gekippte Fenster quoll. Er spürte warmen Stoff an seinen Fingern und eine tiefe Ruhe in sich, atmete tief durch. In diesem seligen Moment zwischen Wachen und Träumen, in dem die Gedanken noch schlafen, die Sorgen noch tief im hintersten Winkel des Schädels verborgen liegen, blinzelte er nur in die langsam aufgehende Sonne, die sich vor seinem Fenster zeigte, und dachte einfach an nichts. Im nächsten Moment überfuhren ihn seine Gedanken wie ein Schnellzug. Schmerzerfüllt stöhnte er auf, als sein Kopf unter der Belastung zu pochen anfing, hob die Hände, presste sie auf seine Augen. Davon wiederum wachte Heiji auf, kämpfte sich von seiner Luftmatratze auf dem Boden hoch, schaute ihn an. Shinichi hob eine Hand von seinen Augen, als er es rascheln hörte. Kurz trafen sich ihre Blicke – ein Blick, der Heiji schaudern ließ; ein Blick, der ihm einen Abgrund zeigte, wie er ihn von einer solchen Tiefe, einer solchen Finsternis, nie in einem Menschen vermutet hätte. … und blickst du in den Abgrund, so blickt der Abgrund auch in dich. Dann verging der Moment. Leise stöhnend stand Shinichi auf, stieg wortlos über Heiji und die Luftmatratze hinweg, wankte ins Badezimmer. Nichts gab Zeugnis vom vergangenen Tag ab. Er roch sauber, stellte er fest, als er sich sein Pyjamahemd über den Kopf zog - also war er gestern wohl noch duschen gewesen; seine Kleider lagen sicher schon im Mülleimer vor der Tür. Er drehte den Wasserhahn auf, hielt seinen Kopf unter den Strahl. Das Wasser war eiskalt; aber es störte ihn nicht. Im Gegenteil. Dann merkte er, wie eine Hand ihn an der Schulter packte, vom Waschbecken wegzog. Er schaute in Heijis aufgebrachtes Gesicht. „Willste dich ersäufen?“ Shinichi seufzte leise, griff nach einem Handtuch. Heiji verdrehte die Augen. „Kudô…“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf, krallte seine Finger ins Handtuch, so fest, dass der Stoff leise knirschte. „Lass mich in Ruhe, ich bitte dich. Du kannst mir nicht helfen. Ich will auch keine Hilfe.“ Der Osakaer Oberschüler schüttelte verständnislos den Kopf, sah seinen Freund streng an. „Das is mir egal, das weißte. Ich geb dir fünf Minuten. Länger solltest du fürs Zähneputzen und Anziehen nicht brauchen. Kommst du in der Zeit nicht runter, komm ich rauf.“ Shinichi erwiderte nichts; Heiji warf ihm einen warnenden Blick zu, verließ dann das Badezimmer. Shinichi schluckte, drehte sich um, fand sich seinem Spiegelbild direkt gegenübergestellt. Ein eisiger Schauer kroch aufreizend langsam seinen nackten Rücken hinab. Unwillkürlich fasste er sich an die dünne Schnittwunde am Hals, zog die feine rote Spur mit einem Zeigefinger nach. Sein Blick verlor sich, als sich in seinem Kopf wie in einem Film der gestrige Abend abspulte. Er spürte das Gewicht der Waffe in seinen Händen. Hörte den Schuss, spürte den Rückschlag, der gegen seine Mittelhandknochen schlug und über sein Ellenbogengelenk bis in seine Schulter kroch, roch den Rauch. Und hörte ihn lachen. Herzlich willkommen in der Organisation, Armagnac! Irgendwo in seinem Kopf brannte eine Sicherung durch. Shinichi schrie auf, holte aus, ließ seine Faust mitten in sein Gesicht krachen. Herzlich willkommen… Es klirrte laut, als der Spiegel zu Bruch ging. Blitzend und glitzernd fielen sie zu Boden, ein Regen aus Splittern, die auf den Boden prallten und zerbarsten, Bilder, die zu Scherben zersprangen, kaputt, zerstört... Er sah sie wie in Zeitlupe fallen und fand den Anblick beinahe schön. Dann setzte sich die Zeit schlagartig in gewohnter Geschwindigkeit fort - Schmerz vom Aufprall schoss durch seine Knöchel in sein Handgelenk, dumpf; gefolgt vom scharfen Brennen der Glassplitter, die durch seine Haut schnitten. Blut lief in dünnen Rinnsalen über seine Hand, rann über seine Finger, sammelte sich an den Fingerspitzen und tropfte zu Boden. Scharf atmete er aus, biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, starrte auf den Boden in sein tausendfach zersplittertes Spiegelbild und fand sich zum ersten Mal seit Langem darin wieder. Es war fast gespenstisch still im Haus. Unten hörte man ein leises Rumpeln, herannahende Schritte, aber außer diesen Geräuschen war nur sein eigener, keuchender Atem zu vernehmen. Seine Brust hob und senkte sich heftig, sein Blick war absolut leer, starr, ausdruckslos. Den Schmerz schien er nicht zu spüren; er schien unterzugehen in ganz anderen Qualen. Diese Stille. Diese unterdrückte Wut. Es vergiftete ihn, diese Frustration, diese Ohnmacht, fraß ihn von innen her auf. Langsam schloss er die Augen ließ den Kopf nach hinten sinken, als seine Knie nachgaben, er zusammensackte, mit den Händen in die Scherben griff, als er sich abfing. Er öffnete den Mund, ein lautloser Schrei verließ seine Lippen. Dann ging die Tür auf, Heiji stürzte ins Bad. „Shinichi!“ Bestürzt schaute er seinen Freund an, merkte erst dann die Zerstörung im Badezimmer. Der Osakaer stieg vorsichtig über die Scherben, griff ihm dann von hinten um den Bauch, zerrte ihn hoch. Hinter ihnen betrat Yukiko das Zimmer. „Shinichi...“ Yukiko ließ das Wasser an, hielt seine verletzte Hand unter den Strahl. Die Wunde war glücklicherweise nicht sehr tief, schien aber trotzdem weh zu tun, wie sie daran sehen konnte, dass er das Gesicht verzog. Kurz warf die Schauspielerin einen Blick auf ihren zerstörten, großen Spiegel, dann wandte sie sich wieder ihrem Sohn zu, der langsam aber sich wieder zu sich zu kommen schien. Und so versuchte sie es noch mal. „Shinichi?“ Der Angesprochene reagierte langsam; blinzelte sie an, begriff dann Stück für Stück das Ausmaß der Zerstörung, die er angerichtet hatte. „Entschuldige.“, murmelte er leise, ließ seinen Blick zum Spiegel schweifen. „Entschuldige, Mama... Ich... ich werd‘ dir selbstverständlich den Spiegel...“ „Lass gut sein.“ Sie stellte das Wasser ab, griff nach einem sauberen Handtuch, wickelte es straff um Shinichis Hand. Dann strich sie ihm über die Schläfe, merkte, wie er zusammenzuckte. Suchte nach einer Erklärung für sein Verhalten in seinem Gesicht, und fand doch nichts außer unterdrückte Qual und Schmerz. „Shinichi, was ist passiert, gestern…?“ „Ich will nicht darüber reden.“ Seine Stimme klang sachlich; nur kurz schaffte er es, ihren forschenden Blicken stand zu halten, ehe er seinen Kopf abwandte. „Shinichi.“ Yukiko seufzte, ihre Augen huschten von Heiji zu ihrem Sohn und wieder zurück. „Sollte nicht einer von euch langsam reden? Wie lange denkst du, kannst du so weiter machen? Du sahst gestern schrecklich aus, das war nur natürlich… aber heute sehe ich, dass noch viel mehr dahinter steckt, als ich gestern ahnte.“ Sie schaute ihn an, intensiv, suchte seinen Blick, fand ihn, hielt ihn fest. „Shinichi, ich bin deine Mutter, mir kannst du…“ Shinichi blinzelte, atmete schwer, kniff dann die Augen zu. „Nein.“ Sie warf ihrem Sohn einen besorgten Blick zu. Dann wandte sie sich zu Heiji um. „Schön. Dann sag du’s mir. Was ist passiert? Was ist los...?“ „Gar nichts!“ Shinichis Stimme schnitt durch die Luft wie ein Peitschenhieb; er starrte Heiji an, sein Gesicht war kreidebleich, seine Faust um das Handtuch geballt. „Ich... hab nur die Nerven verloren, das ist alles. Kommt nicht wieder vor.“ Ihm wurde heiß, die Hitze stieg ihm zu Kopf. „Das ist nicht wahr, und das weißt du.“ Yukikos Stimme war leise geworden. „Ich hab deinen Vater verloren. Ich will nicht dich auch noch verlieren. Sag mir, was passiert ist, damit ich dir helfen kann!“ Er schaute sie an, öffnete seine Lippen. Für einen Moment sah es so aus, als würde er nachgeben. Dann schloss er seinen Mund, presste seine Kiefer aufeinander, verließ das Badezimmer. Mir ist nicht zu helfen… Heiji schluckte, schüttelte den Kopf, als Yukiko ihn mit hochgezogener Augenbraue ansah. Gleichzeitig wunderte er sich, wie sie so zerbrechlich und blass aussehen konnte, offenbar so sehr trauerte um ihren Mann, und gleichzeitig so stark und unnachgiebig sein konnte. Den Blick, den Shinichi aufsetzte, um Antworten von seinen Zeugen zu bekommen, hatte er ganz offensichtlich von seiner Mutter. Aber egal, wie lang se mich so ansehn, Frau Kudô, ich werd‘ nichts sagen. „Zwingense mich nicht dazu, ihn zu verraten. Er is mein bester Freund. Er muss es selber sagen können, erst dann wird ihm zu helfen sein.“ Yukiko schüttelte den Kopf, ging dann ihrem Sohn nach in die Küche, wo sie seine Hand verband. Nach dem Frühstück, das im Großen und Ganzen aus einer Tasse Kaffee bestand – im Kleinen und Halben bestand sie aus einer nachtschwarzen Tasse Kaffee ohne Zucker – machten sich die beiden Oberschüler auf den Weg ins Präsidium. Professor Agasa stellte sich als Chauffeur bereit; Shinichi, der ohne ein Wort im Fond Platz nahm, begrüßte er mit einem verzweifelt freundlichen Lächeln. Ihm war der Zustand seines guten Freundes nicht vergangen. Und ihm dämmerte langsam, dass der Tod seines Vaters nicht allein verantwortlich dafür war. Kurz warf er einen Blick aus dem Fenster zu Ai, die an der Haustür stand; der Blick ihrerseits, den sie ihrem Freund zuwarf, war für Agasa ein guter Indikator dafür, dass man ihm hier lange nicht alles erzählt hatte. Er war durch und durch finster – vor Angst und Sorge. Heiji nahm neben ihm Platz, seufzte. Er warf einen Blick zu Agasas Haustür, wo Kazuha hinter der kleinen Grundschülerin stand und winkte. Er hob die Hand zum Gruß, lächelte ihr müde zu. In Megurés Büro war alles totenstill, als sie es betraten. Sowohl Meguré selbst als auch Jodie und James Black waren anwesend; Shuichi war, soweit er wusste, immer hoch beim Professor, aus welchem Grund auch immer. Neben Shinichi betrat allerdings nur Heiji das Zimmer. Der Professor wartete draußen. „Also gut.“ Der Kommissar räusperte sich unwillkürlich; ein kurzer Laut, jedoch unwirklich laut in der Stille des Raums. Ihm war die Situation sichtlich unangenehm; der Zustand, in dem Shinichi sich befand, war an ihm keinesfalls vorbeigegangen. „Dann… erzähl mal, Shinichi. Langsam, von vorne, und der Reihe nach. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.“ Shinichi hob den Kopf, sah ihm in die Augen. „Setzen Sie sich besser.“, meinte er dann leise. Der alte Kommissar sah ihn an; dann nickte er Takagi zu, weitere Stühle wurden geholt, bis alle im kleinen Büro des Kommissars einen Sitzplatz hatten. Dann nickte er, langsam. „Also schön, fangen wir an. Ganz… von vorn.“ Er lächelte bitter. „Es begann vor etwa zwei Jahren. Ich hatte Ran versprochen, wenn sie Stadtmeisterin wird, würde ich mit ihr ins Tropical Land gehen… was soll ich sagen, sie hat gewonnen, also gingen wir dahin…“ So fing die Geschichte an. Sie sah es immer noch vor sich, deutlich, messerscharf. Sein Gesicht, diesen Blick in seinen Augen, diese Geschlagenheit in seinen Zügen. Diese Kapitulation. Diese Ratlosigkeit, wie er auch nur einen weiteren Tag überstehen sollte. Ai sah das alles. Sie wartete am Fenster, seit er losgefahren war, wie eine Katze, die im Winter nach draußen schaut, voller Sehnsucht an die Tage der Freiheit denkt, an wohliges in der Sonne liegen und an ausgedehnte Streifzüge – und sich scheut, auch nur eine samtige Pfote in den eisigen, nassen Schnee zu setzen. Ein tiefer Seufzer entfloh ihrer Kehle, abrupt gestoppt von der kühlen Fensterscheibe, die den Hauch ihres Atems in Form eines Filmes aus winzigsten Wassertröpfen auffing. Und durch diesen Hauch von Kondenswasser auf dem Glas sah sie jetzt die Haustür der Kudô-Villa aufgehen, und seine Mutter heraustreten, mit einem dünnen Plastiksack in der Hand, in der es gedämpft blitzte und blinkte. Eine Scherbe, die durch die Hülle stach, verriet, wie der Inhalt des Sacks beschaffen war. Spiegelscherben, Shinichi. Also erträgst du dein Spiegelbild immer noch nicht? Oder… nicht mehr? Was siehst du, wenn du in den Spiegel blickst… sagt er dir denn endlich die Wahrheit? Sie hörte, wie er hinter sie trat, wusste, dass er es war, ohne sich umzudrehen. Sie konnte den Umriss seiner schlanken Gestalt in der Scheibe erkennen, roch einen Hauch von kaltem Rauch. Akai. „Zerkratzt und schmutzig.“, murmelte sie dann leise. „Hm?“, machte er, stellte sich eben sie ans Fenster, mit dem Rücken gegen das Sims gelehnt, sah sie ruhig an. „Was einst rein und makellos war, ist seit gestern zerkratzt und schmutzig.“ „Du drückst dich sehr poetisch aus.“ „Nur, wenn mir danach ist.“ Nun hob sie doch den Blick. „Ihn…, meine ich. The silver bullet, wie Sharon ihn nannte. Eine silberne Kugel, rein, glänzend, makellos - sie ist nun… befleckt. Zerkratzt. Wie konnte sie auch unbeschädigt bleiben, nun, da sie ihr Ziel getroffen hat… jede Kugel, die ihr Ziel trifft, verformt sich, zerkratzt, wird… beschmutzt. Würde ein Romantiker sagen, und ein Ballistiker, aber nun, ich bin keine Romantikerin. Und auch keine Ballistikerin.“ Sie lächelte bitter. „Aber ich kenne niemanden, der ehrlicher, aufrichtiger, moralischer ist, als er. Er konnte sich immer in die Augen sehen, selbst als Conan; vor sich selbst hatte er nie etwas zu verbergen, seinen eigenen Anblick ertrug er immer, im Gegensatz zu mir. Seit heute, oder besser gestern, scheint er das nicht mehr zu können. Dafür… gibt es nur einen Grund.“ Sie schluckte, schüttelte dann den Kopf, drehte sich abrupt um. In ihren Augen spiegelte sich plötzlich unsägliche Wut und Anklage, und er fragte sich, wie sie es schaffte, ihre Stimmung so schnell kippen zu lassen. Lange darüber nachdenken konnte er aber nicht; sie ließ ihm nicht die Zeit dazu. „Wie konntest du zulassen, dass er das tun muss?!“ Anklage lag in Ais Stimme. Der FBI-Agent schaute sie ernst an. „Kannst du dich weniger kryptisch aus…-“, begann er sachlich. Sie schnitt ihm mit einer harschen Handbewegung das Wort ab; ein seltsames Schauspiel, für jeden Außenstehenden zweifellos unverständlich. Ein erwachsener Mann, ein FBI-Agent, der sich von einer Grundschülerin unterbrechen ließ. „Ich bitte dich.“ Sie lachte humorlos, rutschte vom Fensterbrett, verschränkte die Arme vor der Brust, merkte, wie in ihr immer mehr die Wut hochkochte. „Du weißt, wer ich bin, also behandle mich so. Ich bin weder ein Kind, noch blöd. Jeder, der es einmal selbst tun musste, gegen seinen Willen, kennt diesen Blick, und du weißt, auch ich…“ Sie brach ab, würgte fast, als sie versuchte, zu schlucken, um ihren Mund zu befeuchten, der auf einmal so unerwartet trocken geworden war – und es nicht konnte. Ein Zittern durchfuhr sie, schüttelte ihren kleinen kindlichen Körper kurz. „Er hat getötet, Shuichi. Gestern. Shinichi Kudô hat töten müssen, weil ihr nicht…“ „Er hat diese Entscheidung alleine getroffen.“, wisperte er leise. „Wir haben unser Bestes getan, um…“ „Dann war euer Bestes nicht gut genug!“ Sie keuchte, wunderte sich, dass sie derart schnell in Rage geraten war, ihre Brust hob und senkte sich rasch. Dann fasste sie sich wieder, wenn auch mühsam. Ihr Blick wanderte nach draußen, fing sich an der Person Yukiko Kudôs, die sich immer noch mit ihrem Müllsack abmühte. Ihre Augen waren leicht gerötet, ihr Teint blass, ihre Haare etwas zerzaust. Eine Frau, die gerade ihren Mann verloren hatte. Und wer wusste, vielleicht auch ihren Sohn. „Er hat jemanden umbringen müssen.“, stellte sie dann leise fest, schluckte hart. „Ja.“ Akai seufzte, strich sich über die Augen. „Es hat wohl keinen Zweck, das zu leugnen. Aber ich hoffe, du…“ Sie wandte ruckartig den Kopf, unterbrach ihn mit nichts weiter als einem scharfen, fragenden Blick. „Wen…?“ „Absinth.“ Ai starrte ihn an, fassungslos. „D- den - Absinth?“ „Ja.“ Akai seufzte, strich sich eine gelockte Haarsträhne zurück, die ihm in die Augen fiel - die einzige, der er ihren eigenen Willen ließ, während wie immer eine Mütze seinen Kopf bedeckte. „Den Absinth.“ Er lächelte säuerlich. „Sein Vater war tot, Sharon auch, Gin ebenfalls. Es war eine Entscheidung zwischen ihnen beiden, Leben oder Tod, sie fiel zu Shinichis Gunsten aus. Notwehr, ohne Frage. Zweifellos aber hat wohl auch Absinth nicht mit diesem Ausgang gerechnet, auch wenn es… ihn amüsiert hat.“ Akai zog eine Zigarettenschachtel aus seiner Jackentasche, puhlte einen Glimmstängel heraus und zündete ihn an, zog ein paar Mal daran, gedankenverloren. Er konnte ihn heute noch hören, und wusste, dass auch er ihn hörte, ihn seine Stimme verfolgte, wer wusste, wie lange… vielleicht sein Leben lang. Willkommen in der Organisation, Armagnac… „Zweifellos.“ Ais Blick verlor sich kurz. „Der Mann hatte eine Schwäche für die Launen des Schicksals…“ Leises Splittern dran an ihre Ohren, als Yukiko Kudô die Scherben in den Mülleimer schüttete. Ai schüttelte bedrückt den Kopf. „Ihr hättet auf ihn besser aufpassen sollen, nichtsdestotrotz.“ Akai lächelte kühl. „Er ist erwachsen, Shiho. Genauso wie du, wenn ich dich daran erinnern darf. Er hat die Entscheidung getroffen, weiterzuleben, und etwas dafür zu tun. Er hat entschieden, euch zu beschützen, mit allen Mitteln, die er zur Verfügung hatte. Nun muss er mit den Konsequenzen leben… er wird es müssen. Wer weiß, wie oft ihn das Leben vor diese Wahl stellt.“ Das kleine Mädchen schaute ihn ernst an. „Dennoch…! Er ist nicht der Typ, der so etwas leicht wegsteckt… auch nicht, wenn es in Notwehr war. Er wird es nicht mal als Notwehr sehen. Er sieht nur, was er getan hat. Bei sich selbst sieht er nie das Motiv, sucht nicht mal danach, er sieht nur die Tat.“ Akai seufzte, zog ein weiteres Mal an der Zigarette, blies den Rauch in langen Schwaden gegen das Fenster, beobachtete, wie das kleine Mädchen neben ihm, Yukiko Kudô bei ihrem Kampf mit den Scherben. „Das ist allerdings ganz und gar allein sein Problem. Keiner wird ihm helfen können, es zu lösen.“ Yukiko Kudô ahnte das Schlimmste – auch wenn sie nicht so recht wusste, was dieses ominöse Schlimmste eigentlich war. So durch den Wind kannte sie ihren Sohn nicht. So labil. So selbstzerstörerisch. Und es machte ihr Angst. Und zum ersten Mal dachte sie darüber nach, was Sharon am Vortag gemeint hatte. War es das…? Diese Dinge, zu denen er gezwungen sein würde…? Was hast du damit gemeint, Sharon? Geistesabwesend bückte sie sich, um eine weitere Scherbe aufzusammeln, die sich mit ihrer scharfen Kante durch den Müllsack geschnitten und sich so den Weg in die Freiheit erkämpft hatte, um sie nun doch ihrem Bestimmungsort zuzuführen, als sie mit einer Kinderhand zusammenstieß. Zuerst erschrak sie – dann erkannte sie, dass es sich um eine kleine Mädchenhand handelte. Wenig später wusste sie auch, zu welchem Mädchen sie gehörte. „Ai.“, murmelte sie leise. Das Mädchen sah sie an, aus unergründlichen blauvioletten Augen wie immer. Es schockierte sie nicht mehr so sehr wie früher, diesen Blick einer Erwachsenen in diesem niedlichen Gesicht zu finden, aber dennoch rann ihr ein kalter Schauer über den Rücken; wenn auch kein ganz so kalter wie heute Morgen, als sie ihren desolaten Sohn im Badezimmer gefunden hatte, und in seine Augen geschaut hatte; anders als hier hatte sie dort nämlich gar nichts gefunden. Sie seufzte, nahm dankend die Scherbe an, die Ai für sie aufsammelte und warf sie in den Mülleimer. Dann wandte sie sich ihrem Überraschungsbesuch zu. „Falls du Shinichi suchst, er ist nicht hier, ich dachte…“ „Das weiß ich, danke.“ Ai verdrehte ihre Arme, fasste ihre Hände hinter ihrem Rücken, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Wolken. Tief atmete sie die kühle Morgenluft ein, dann wandte sie sich wieder der Erwachsenen zu. „War er das?“ Yukiko, die sich bereits umdrehen wollte, hielt inne. „Du weißt es doch, warum fragst du?“ Ai schluckte, seufzte leise. „Wissen Sie, warum er sein eigenes Spiegelbild nicht mehr ertragen kann?“ Die blonde Schauspielerin drehte sich nun vollends um. „Ich denke, ich hab eine gute Ahnung… auch wenn ich hoffe, dass sie sich nicht bestätigt.“ Nur das leise Ticken der Wanduhr war zu hören. Shinichi schluckte, fühlte die Blicke aller auf sich ruhen, fuhr sich unsicher mit schweißnassen Fingern durch die Haare. Er hatte ihnen erzählt, wie er Conan geworden war, was Conan herausgefunden hatte, wie er entführt wurde, was er in seiner Woche als Armagnac erlebt hatte. Hatte ihnen seinen Schlachtplan erläutert, die letzten Stunden seines Vaters. Das, bis zu dem Moment, an dem sie erwischt wurden. Dann hatte er inne gehalten, scheinbar unfähig, weiter zu erzählen, auch nur ein weiteres Wort zu äußern. Meguré war daraufhin aufgestanden, hatte ihm ein Glas Wasser besorgt, während Takagi seine Aufzeichnungen durchlas; Jodie und James Black sahen ihn nur schweigend an. Shinichi griff mit einem leise gemurmelten Dankeschön nach dem Wasserglas, trank einen Schluck und wunderte sich, wie schwer es schien, den Inbegriff von Flüssigkeit seine Kehle hinunter zu befördern. Er schüttelte den Kopf, unwillig. Jetzt sind wir schon so weit gekommen… nun bringen wir’s auch zu Ende. „Wir… standen also draußen, nur wir… vier.“, fuhr er schließlich fort, räusperte sich kurz. „Wie Sie sich denken können, hatten mein Vater und Absinth sich… einiges zu sagen. Noch dazu… nunja, ich war noch immer einigermaßen schachmatt, nur mein Vater hatte eine Pistole, und Gin und Absinth…“ Er seufzte. „Wie dem auch sei. Nach einigem Hin und Her entschloss sich Absinth, zuerst… mich…“ Shinichi brach ab, sammelte sich, schloss kurz die Augen. „Er zielte auf mich, drückte ab. Er hat mich nicht getroffen, weil mein Vater sich ihm ihn den Weg stellte. An der Verletzung ist er gestorben, etwas später, noch nicht gleich.“ Unwillig massierte er sich die Schläfen, starrte auf Takagis Hand, die fleißig mit dem Füller übers Papier kratzte, beobachtete sie, als er weiter sprach. „Es folgte eine weitere, recht sinnlose Konversation, da Absinth nicht unkommentiert lassen wollte, dass mein Vater sein Leben für mich geopfert hatte. Dann kam Sharon. Sie hatte auf Gin geschossen, der Einzige, auf den sie wohl freie Sicht hatte, allerdings hat sie ihn nur verletzt. Sie kam zu uns, und erst da sahen wir, wie schwer sie verletzt war; sie hätte die Nacht ohne medizinische Hilfe sicher nicht überlebt, schätze ich. Sie blutete aus einer ziemlich großen Wunde am Oberschenkel und hatte auch schon recht viel Blut verloren, sie… war so blass…“ Er hielt inne, sah ihre Gestalt im fahlen Mondlicht; ihr schwarzer Overall, hauteng sitzend, ihre Kniestiefel mit den schwindelerregend hohen Absätzen, ihr goldenes Haar, das im Licht des Mondes silbern schimmerte und diese roten Lippen in einem unglaublich weißen Gesicht. Schön, aber dem Tod näher als dem Leben. „Absinth hat sie erschossen.“ Er presste die Augen zusammen. „Dann knallte es ein zweites Mal, und Gin fiel… mein… Vater war ja noch bewaffnet und hatte die Gunst des Augenblicks genutzt. Dabei hat er mir… meine Waffe wieder zugesteckt, ich hatte es… zuerst gar nicht gemerkt. Sie steckte in meinem Hosenbund.“ Shinichi biss die Zähne zusammen, so fest, dass sie knirschten und sein Kiefer zu schmerzen anfing. „Absinth war… nicht sehr amüsiert, wie man sich denken kann. Er hat ihn weggezogen, ihm seine Pistole abgenommen, und dachte, es wäre jetzt zu Ende. Allerdings… war es das noch nicht. Da… fing es eigentlich erst an.“ Ran hatte miserabel geschlafen, wenn man den Zustand, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatte, überhaupt als Schlaf bezeichnen konnte. In ihren Gedanken sah sie immer nur sein Gesicht. Was ist passiert, Shinichi? Was ist nur geschehen, gestern, das dich so verändert hat…? Sie hatte gerade die Reste ihres Frühstücks abgeräumt; eine Scheibe kaum angerührten Toasts, eine halbleere Tasse Tee. Ihr Vater war in die Detektei gegangen, wohl weil er ahnte, dass sie allein sein wollte; allein mit sich und ihren Gedanken über ihn. Dann klingelte es an der Tür, und sie fuhr hoch, unwillig. Als ihr der Gedanke kam, dass es Shinichi sein könnte, beschleunigte sich ihr Puls. Als sie an der Tür ankam und öffnete, merkte sie ihren Irrtum. „Hallo Kazuha.“ Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit, so sehr sie sich auch mühte, sie zu verbergen. Kazuha trat ein, sah sie entschuldigend an. „Tschuldige, Ran. Aber Shinichi wird so schnell nich‘ kommen, er und Heiji sind aufs Revier…“ Ran horchte auf. „Ach so?“ „Ja.“ Kazuha nickte, schlüpfte aus ihren Schuhen und in die Pantoffeln, die Ran ihr vor die Füße stellte. „Ich schätz, in ein, zwei Stunden sind se wieder da. Ich dachte, ich komm dich besuchen, solange, Shinichi…“ „Sah schlimm aus, gestern.“ Ran seufzte. Kazuha drückte mit einem Fuß die Tür hinter sich ins Schloss. „Ja. Hat er dir…?“ „Erzählt, was passiert ist? Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Eher das Gegenteil. Möchtest du eine Tasse Kaffee, Kazuha? Ich hatte grad Tee, aber ich fürchte, ich brauch was Stärkeres.“ Sie lächelte müde. Kazuha nickte. „Gern! Und, äh… Ran…“ „Hm?“ Ran, die gerade den Weg in die Küche eingeschlagen hatte, drehte sich um, hielt inne. „Könnt ich mir wohl… dein Handy ausleihen? Heiji hat mir gestern ne SMS geschickt, und ich konnt se nich lesen, und…“ „Du willst ihn nicht fragen, was er geschrieben hat? Hat er dich denn drauf angesprochen?“ „Nein.“ Kazuha schüttelte den Kopf. „Nein, das isses ja. Er sah mich nur so grübelnd an, heut Morgen. Kann aber auch sein, dass er sich nur wegen Shinichi Gedanken gemacht hat.“ Ran zog ihr Handy aus ihrer Tasche, zog ihre SIM-Karte heraus und reichte es ihrer Freundin. „Tu dir keinen Zwang an, Kazuha.“ „Danke!“ Wenige Minuten später herrschte absolute Stille in der Küche der Môris. Kazuhas Hand zitterte so stark, dass das kleine Handy-Tag an Rans Mobiltelefon stetig zappelte. Ihre Augen waren starr auf das Display gerichtet, auf dem nur diese drei Worte zu lesen waren. Ran saß ihr gegenüber, wie zur Salzsäule erstarrt, seit sie den Inhalt kannte. Ich liebe dich. Sie wusste, sie sollte sich freuen, für Kazuha. Sollte mit ihr reden, darüber. Und gleichzeitig fühlte sie, wie in ihr alles leise zu schreien anfing, ihr Herz in Stück zerspringen wollte, weil es sie doch auch hören wollte. Nur endlich hören wollte, diese drei Worte, von ihm. Dann riss Kazuhas Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ran? Is alles in Ordnung?“ Ran schüttele sich kurz, warf ihre Gedanken ab, wusste doch, sie würden wiederkehren, und schaute ihre Freundin an, zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. „Nein, aber das spielt keine Rolle. Du musst mit ihm reden, Kazuha!“ Sie zog ihren Stuhl neben den ihrer Freundin, griff nach ihrer Hand. „Du musst mit Heiji reden. Du… empfindest doch genauso wie er, oder?“ Die junge Frau aus Osaka nickte langsam. „Ja. Doch… aber das… kommt etwas überraschend, wenn ich ehrlich bin.“ Ran seufzte. „Es spielt keine Rolle, ob überraschend oder nicht. Ihr… solltet genießen und teilen, was ihr habt, bevor ihr es vielleicht nicht mehr könnt.“ Sie schluckte, biss sich auf die Lippen. „Shinichi.“, murmelte Kazuha. Ran nickte langsam. „Ich weiß es, weißt du. Alles was er tut, wie er mich ansieht, wie er mit mir redet und was er für mich aufgibt… das alles sagt mir deutlich, dass er mich liebt. Nur er – er tut es nicht. Er sagt es nicht. Und wahrscheinlich wird er es auch nicht mehr.“ Sie merkte, wie die Tränen über die Wangen liefen. „Ran…“ Kazuha sah sie an, ihre Augen voller Mitgefühl. „Irgendwas muss passiert sein, dass ihn… ich weiß auch nicht. Er…“ „Du musst mit ihm reden.“, warf Kazuha ein. „Du musst mit ihm in Ruhe reden, ihm sagen, was dich bedrückt, dass du dir Sorgen machst…“ „Ich habs doch versucht!“ Ran schniefte. „Ich habs versucht. Gestern. Ich will ihm auch helfen. Ich hab ihm versichert, ich lass ihn nicht allein. Aber er will nicht reden. Er sagt, er wäre nicht der Richtige für mich, und nicht mehr der, der er vorher war. Ich… aber ich… ich liebe ihn. Ich hab ihm das sogar noch einmal gesagt.“ Kazuha schluckte schwer. „Und er?“ Ein bitteres Lächeln schlich sich auf Rans Lippen. „Sag doch sowas nicht… das war es, was er gesagt hat. Dann ist er gegangen.“ „Ich wollte ihn nicht töten.“ Er sah auf, zum ersten Mal, schaute in Blacks Gesicht. Die blauen Augen des alten Mannes erwiderten seinen Blick, ruhig und freundlich. Shinichi schluckte trocken, spülte einen weiteren Schluck Wasser hinunter. „Ich dachte, es reicht, wenn ich ihm das dumme Ding aus der Hand schieße.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Mein Vater hat mir das beigebracht, im Urlaub auf Hawaii. Ich kann ganz gut zielen, und ich hab auch diesmal getroffen. Er schrie auf, ließ die Waffe los, fiel hin. Und ich dachte, das wärs jetzt gewesen. Ignorierte die Warnung, die er mir mitgegeben hatte, Minuten vorher – dass nur sein Tod ihn davon abhalten könne, mich und alle anderen von diesem Planeten zu fegen.“ Er lächelte bitter. „Ich hab… mich also umgedreht, weil da immer noch… mein Vater lag. Und starb.“ Shinichi schnappte nach Luft, brach den Blickkontakt zu Black, starrte an die Decke und kämpfte sekundenlang um seine Fassung. Er gewann mit Mühe. „Ein dummer Fehler… sich umzudrehen und nicht nachzusehen, ob der Gegner wirklich unbewaffnet ist.“ Er krallte seine Finger in die Tischplatte. „Abgesehen davon… hätte er sich aber auch genauso gut Gins Waffe holen können. Oder die meines Vaters. Es lag… ja genug herum. Und er war ja nur an der Hand verletzt.“ Er biss sich auf die Lippen, sah wieder auf, ließ seinen Blick wandern, von einem zum anderen. „Den Rest kennen Sie. Er stand auf einmal hinter mir, mit einer anderen Waffe, und… ich wusste, diesmal entkam ich nicht, und auf ein weiteres Spiel würde er sich nicht einlassen. Ich hatte nur noch diese eine Chance, und deshalb… schoss ich. Diesmal aber nicht, um ihn nur zu entwaffnen. Er… ließ keinen Zweifel offen, dass er es nicht ernst meinte.“ Shinichi kniff die Augen zusammen. „Ich war am Ende, und allein. Mein Vater war gerade gestorben, und dieser Irre stand vor mir, mit einer Waffe, und erzählte mir, was er plante, mit mir, mit meiner Mutter, meinen Freunden, mit… Ran. Und ich wollte ihn aufhalten, irgendwie, und wusste, einfach nur die Pistole aus der Hand schießen reichte nicht, offensichtlich; er würde einen Weg finden, sein Ziel zu erreichen, dieses Versprechen kaufte ich ihm ab. Dennoch…“ Er schluckte hart. „… ich wollte ihn nicht töten. Und doch hab ichs getan.“ Als er geendet hatte, war es still im Raum. Eine kurze Weile kratzte Takagis Füller noch über das Papier, der mitnotiert hatte, was der junge Mann erzählt hatte; man hatte sich bewusst gegen das Tonband entschieden. Hier sollte bei weitem nicht alles ins Protokoll. Shinichi war blass, noch blasser, als er es ohnehin war, seit gestern. Meguré knetete seinen Hut mit beiden Händen, seine Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet gewesen, seine Gedanken drehten sich beständig um eine einzige Frage. „Warum hast du uns nichts gesagt, Shinichi?“ Shinichi, der seine Fingerspitzen fixiert hatte, er die flach gegen die Tischplatte drückte, blickte auf, fasst verwirrt über diese banale Frage. „Zu gefährlich.“ „Aber du wusstest doch gar nicht, wer die sind, zu diesem Zeitpunkt…“ Shinichi schüttelte den Kopf, seufzte. „Nicht für sie… für mich. Ich… musste doch befürchten, dass sie hinter mir her wären, würden sie erfahren, dass ich noch lebe. Und dafür hätten sie andere angreifen können, die mir nahe stehen. Die… ewig alte Geschichte. Außerdem…“ Ein unerwartet zynisches Lächeln kreuzte seine Lippen. „Sie kennen mich doch. Überheblich, arrogant, selbstsicher und der Meinung, es mit allem und jedem allein aufnehme zu können. Ich… musste einige Lektionen lernen in den letzten Jahren.“ Damit stand er auf. „Sind wir… fertig?“ James Black sah ihn lange an, fuhr sich mit seinen Fingern über seinen Bart. „Fürs erste, ja.“ „Gut.“ Shinichi schob seinen Stuhl langsam unter den Tisch. „You must get over this, you know.“ Shinichi blickte auf, sah den alternden FBI-Agent ernst an. „Do tell me how to do it, and I will.” Er schüttelte den Kopf. „Sie sagen das, als ob’s so einfach wäre. Ich habe gestern einen Menschen umgebracht, und egal, wie schlecht er war als Mensch, egal wie sehr er den Tod verdient hat oder aus welchen Gründen ich es getan habe, ob ich es wollte oder nicht… er war ein Mensch, und ich hab… ihm das Leben genommen. Und darüber hinaus habe ich einen zweiten in den Tod getrieben, meinen eigenen Vater! Er hat das nur wegen mir getan, er wusste doch, wie die Geschichte enden würde, enden… musste. Erklären Sie mir, wie ich das so leicht wegstecken soll…“ „Als Polizist oder FBI-Agent wirst du das auch tun müssen…“, meinte Jodie nüchtern. „Woher wollen Sie wissen, dass ich einen dieser beiden Berufe anstrebe…?“ Der junge Mann seufzte tief, schaute kurz an die Decke, stopfte beide Fäuste soweit es ging in seine Hosentaschen, um sich etwas standfester zu fühlen, und merkte doch, dass es nichts half. „Was ich tun wollte, war Fälle zu lösen. Die Welt gerechter zu machen, die Wahrheit zu finden… stattdessen bin ich zum Mörder geworden.“ „Even Sherlock Holmes killed once – when he rid the world from James Moriarty.“ Shinichi hielt inne, nachdenklich. Black schaute ihn an, fest, machte es ihm unmöglich, den Blickkontakt zu brechen. „Du weißt, wie abscheulich Holmes das Töten fand… nevertheless, he did not refrain from pushing his archenemy down the falls of Reichenbach. And as we all now, though he would have welcomed it, he did not have to let his life as well. Genauso verhält es sich doch mit dir… man kann Absinth als kriminelles Genie bezeichnen, ein mastermind, ein Meisterverbrecher… wir werden erst im Laufe der Zeit sehen, was alles auf ihn zurückzuführen ist. Er war dein Erzfeind, auch wenn du seinen Namen lange nicht kanntest… und wie Holmes hast du ihn die Reichenbachfälle hinabgestoßen. Und wie Holmes, auch wenn du es wohl akzeptiert hättest, hättest du dein Leben lassen müssen, hast auch du dennoch überlebt.“ Shinichi schwieg lange, schaute unfokussiert auf die Tischplatte, dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf, lächelte traurig. „You all don’t want to understand. As I told Mr. Meguré not long time ago… Sherlock Holmes is just fiction, Mr. Black. He had never to cope with a crime he committed.” Shinichi schaute James Black fest in die Augen. „Aber ich. Und ich weiß nicht, wie.“ Als er nach Hause kam, wartete seine Mutter bereits auf ihn. Neben ihr, halb versteckt, bemerkte er Ai, seufzte leise. „Danke, nein, ich will nicht reden, Ai. Allerdings… warte kurz.“ Er verschwand im Haus, kam kurz darauf wieder mit einer Festplatte in der Hand. „Die exakte Kopie der Dateien auf der Festplatte, die mit dem Gift zu tun haben. Die Festplatte selbst hab ich heute der Polizei übergeben. Ich hoffe, das hilft dir, was gegen… deinen Zustand zu tun. Auf jeden Fall… kannst du’s dir anschauen, aber sei so gut und hängs nicht an die große Glocke.“ Sie lächelte ihn bitter an. „Wer sagt dir, dass ich etwas ändern will?“ Shinichi schluckte, schüttelte dann kurz den Kopf. „Im Prinzip ist es mir egal, was du tust. Vielleicht hast du Recht, und ein Neuanfang ist das Beste. Diese… Entscheidung wurde mir ja abgenommen.“ Er zuckte mit den Schultern, unentschlossen. „Grüß den Professor von mir. Und sei so gut, nimm Heiji gleich mit rüber.“ Heiji, der bisher hinter ihm gestanden hatte, starrte ihn entrüstet an. „Sag mal, wirfste mich raus?“ Shinichi wandte sich um, schaute ihn an, ruhig. „Ich bitte dich zu gehen. Ich möchte gerne meine Ruhe haben, das ist alles. Du… verstehst das doch? Und so nervös…“ Ein leichtes, trauriges Lächeln huschte über seine Lippen, färbte seine Augen kurz dunkel und umwölkte seinen Blick. „… wie du den ganzen Tag schon auf dein Handy schaust, hast du mit jemand anderem ohnehin noch etwas zu klären.“ Der junge Mann aus Osaka schaute ihn überrascht an. „Du… bist wirklich ein Meister deines Fachs, weißt du.“ Shinichi sah ihn an, schüttelte den Kopf. „Wen interessierts. Bis später. Oder morgen. Oder wie auch immer.“ Damit schob er ihn aus der Tür, achtete darauf, dass Ai ihm folgte, deren Blick auf ihm haftete, bis er die Tür schloss. Gepresst atmete er auf. Dann drehte er sich um, unterdrückte ein leises Aufstöhnen, versuchte, sich seinen Unwillen nicht anmerken zu lassen, als er sich seiner Mutter zuwandte, die hinter ihm mit verschränkten Armen wartete. Er wollte allein sein, aber er wusste auch, dass es nicht nur um ihn ging. Seine Mutter hatte Schreckliches erfahren und erlebt, und es war seine Pflicht als Sohn, für sie da zu sein. Also zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen. „Hallo, Mama.“ Yukiko sah ihn an, erschauderte. Dieses Lächeln, die Art und Weise, wie er sprach, sie ansah – in diesem Moment war er seinem Vater so ähnlich wie selten zuvor. Sie ahnte, woher das rührte – und das bestätigte sie in ihrem Vorhaben. Sie räusperte sich, verschränkte ihre Arme vor der Brust, schaute ihn starr an. Merkte, wie sich seine Haltung änderte, als ihm schwante, was die Stunde geschlagen hatte. Er schüttelte den Kopf, wich zurück. Yukiko nickte nur. „Doch. Wir müssen reden.“ Er sah sie gequält an. „Bitte Mama… kann das nicht noch warten, ich…“ „Nein. Wenn das noch länger wartet, ist es vielleicht zu spät für dich.“ Sie schaute ihn streng an; gleichzeitig sprach aus ihren Augen von der Sorge einer Mutter um ihren Sohn. „Dein Zustand gestern, die Sache mit dem Spiegel heute, die Art und Weise, wie du mich ansiehst… Shinichi…“ Yukiko schluckte. „Ich will dir helfen.“ Er lächelte matt. „Das wollen alle. Aber ich bezweifle, dass das jemand kann.“ Die Schauspielerin hob die Augenbrauen, trat vor. „Tja, das sagte schon einmal jemand. Und dreimal darfst du raten, was aus ihm geworden ist.“ Ihre Stimme klang scharf. Sie sah, wie ihr Sohn kurz zusammenzuckte, als die Erkenntnis ihn traf. „Vater.“, tonlos formten seine Lippen dieses eine Wort. Yukiko nickte langsam. „Er hat sich auch nicht helfen lassen… geglaubt, das allein zu schaffen. Du weißt…“ Shinichi hob die Hand, eine hilflose Geste, um sie zum Schweigen zu bringen, drehte sich weg, lehnte sich mit der Stirn gegen die Tür, als das Bild ihn überrannte; das Gesicht seines sterbenden Vaters. Hörte diese Worte, spürte noch einmal dieses unglaublich beängstigende und beklemmende Gefühl, das ihn gestern ergriffen hatte und ihn auch heute noch nicht völlig aus seinen Klauen entlassen hatte. Ein Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet, und nur mit Mühe hielt er die Tränen zurück, diesmal. Presste sich die Handballen gegen die Augen und hielt den Atem an, um nur ja nicht die Beherrschung zu verlieren. Yukiko trat langsam näher, fasste ihn jedoch nicht an. „Eines Abends kam dein Vater nach Hause, Shinichi.“ Ihre Stimme war leise, klang etwas rau; die ersten Tränen, die sie noch unterdrückte, schwangen bereits in ihr mit. „Er war blass. Seine Augen irgendwie… gerötet. Ich hätte nicht gedacht, dass er geweint hätte… so sah er nicht aus. Aber in seinen Augen war etwas zu lesen, das ich bei ihm noch nie so gesehen hatte. Namenloses Entsetzen, Shinichi. Ich wusste nur nicht, worüber.“ Shinichi drehte sich wieder um, zögernd, schaute sie betroffen an, konnte ihren Anblick aber nicht lange ertragen; beschämt starrte auf den Boden. Yukiko strich sich über die Augen, hielt sich mit einer Hand an der Telefonkonsole fest. „Ich hab ihn gefragt, was los ist. Ob etwas passiert ist. Ob er einen Unfall hatte oder etwas Ähnliches.“ Shinichi räusperte sich. „Lass mich raten. Er hat nein gesagt.“ „Richtig.“ Sie sah auf, lächelte müde. „Er hat gesagt: Alles in Ordnung, Yuki, mach dir keine Sorgen. Ich bin nur etwas erschöpft von der Arbeit, das ist alles; die Verleger sitzen mir im Nacken, wie immer. Ich werde… heute bald im Bett sein, schätze ich. Ich liebe dich.“ Shinichi schluckte, sah sie an. Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. „Alles in Ordnung, Mama, mach dir keine Sorgen. Ich bin ziemlich erschöpft, wegen Vater, das ist alles. Ich werde heute bald im Bett sein. Hab dich lieb.“ Seine Stimme klang rau, emotionslos. Yukiko nickte, kaum merklich. „Mir rann es eiskalt den Rücken hinab, Shinichi. Als ich das hörte, gestern… und als ich heute diesen Spiegel…“ „Das ist nichts!“, unterbrach er sie schärfer als beabsichtigt, biss sich sogleich auf die Zunge. Yukiko starrte ihn an, in ihren Augen Unnachgiebigkeit und Sorge gleichermaßen, vereint zu einem Blick, der ihn schier zu durchbohren schien. „Er sah damals genauso aus wie du gestern. Wie du heute. Verkauf mich bitte nicht für blöd, Shinichi. Du hast gestern nicht nur deinen Vater sterben sehen. Dich… quält ein Dämon ganz anderer Art, und er wird dich auffressen, genauso wie er deinen Vater gekriegt hat. Wenn du ihn nicht loswirst.“ Er schüttelte den Kopf, hilflos. „Ich kann nicht.“ „Doch du kannst!“ „Nein!“ Er atmete heftig. „Versteh doch, ich kann nicht! Ich kann mir selbst nicht mehr in die Augen sehen, wie du ja… mitbekommen hast. Ich kann euch kaum in die Augen sehen, ich halte es nur mit Mühe aus, weil ich mich selbst nicht mehr ertragen kann. Ich will mich euch nicht zumuten, und ich kann euch das nicht sagen, das, was ich getan habe… ich…“ Yukiko lächelte bitter. „Dein Vater hat es mir nicht gesagt, bis gestern. Ich rate dir, warte nicht solange. Schon allein um ihretwillen nicht.“ Shinichi schüttelte den Kopf, unwillig, fast wütend. „Was denkst du nur… Glaubst du, es gäbe noch irgendeine Chance für Ran und mich nach gestern Nacht?!“ Er lachte hohl, ein gruseliger Laut in ihren Ohren. Er jedoch fuhr unbeirrt fort. „Ich komm mit mir selbst nicht klar, wie kann ich von euch erwarten, dass ihr es könnt. Wenn alle wüssten, was ich getan habe, wenn Ran wüsste… ich will gar nicht, dass sie mit mir zusammen sein will. Mit so jemandem wie mir… sollte man nicht zusammen sein. Ich gehöre auch gar nicht hierher, ich gehöre…“ Yukiko griff ihn an der Schulter, brachte ihn so abrupt zum Schweigen. Sie hatte genug gehört. Ihr Sohn stand vor ihr, die Hände fest in die Tür hinter seinem Rücken gekrallt, kämpfte sichtlich mit sich. Sie hatte ihn so noch nicht erlebt; wohl aber jemand anderen. „Du hast gestern jemanden umgebracht.“ Shinichi hielt abrupt inne mit dem Gemurmel, sich in das sein Selbstgespräch verwandelt hatte. Langsam hob er den Kopf, in seinen Augen unbändige Angst. Yukiko hob die Hand, strich über seine Schläfe, ließ sie auf seiner Wange liegen. „Das ist es doch, oder?“, flüsterte sie leise, ließ ihn nicht aus den Augen. „Ja.“ Das Wort kroch ihm förmlich über die Lippen, unendlich langsam, unendlich mühsam. In ihm schwang ein Ekel mit, eine Abscheu vor sich selbst, die sie Schaudern machte. „Wen?“ „Absinth.“ Shinichi schluckte, strich sich über die Augen, merkte, wie müde er eigentlich war. „Es waren nur noch… wir beide. Und er wollte nicht… wollte einfach nicht aufgeben. Er hielt mir seine Waffe vor die Nase und hat aufgezählt, was er mit euch macht, und mit mir, und da hab ich…“ „Aber das war Notwehr.“, bemerkte Yukiko. „Du hast dich verteidigt. Und uns. Das ist Notwehr, das sehen doch sicher…“ „Ja, das sagen alle.“ Shinichi stöhnte laut auf. „Deshalb bin ich auch hier, und nicht im Knast. Sie alle machen sich Sorgen und Vorwürfe und versuchen mir einzureden, dass das Notwehr war, dass ich nicht anders handeln konnte. Aber es fühlt sich an wie Mord, für mich, will ihnen denn das nicht in den Schädel? Und verstehst du nun… wie könnte ich… jemals wieder mit Ran zusammen sein? Ich bin nicht mehr der, den sie kannte. Der, den sie liebt. Ich… bin nun ein anderer. Jemand, der einen anderen Menschen getötet hat. Ich kann mich selbst nicht ansehen. Ich weiß nicht, was ich mit mir machen soll. Wie kann ich… von euch, gerade von Ran… erwarten, mit mir zusammen sein zu wollen. Sie soll doch glücklich sein…“ Seine Stimme klang gequält. „Aber das wird sie mit mir nicht.“ Damit drehte er sich um, ging in sein Zimmer. Er sollte es an diesem Tag nicht mehr verlassen. Und Yukiko wurde erst so wirklich klar, warum in Sharons Plan Ran so wichtig gewesen war. Angel. Kazuha war nur mit sehr viel Überzeugungskraft dazu zu bringen gewesen, das Haus zu verlassen und zurück zu Heiji zu gehen. Nun marschierte sie allerdings sehr zügig zurück nach Beika und wusste buchstäblich nicht, wo ihr der Kopf stand. Fakt war, sie musste das klären, jetzt gleich; später würde sie keine Zeit mehr haben, denn, wie sie feststellen musste, hatte nicht nur Heiji versucht, sie zu kontaktieren, sondern auch ihre Mutter. Und die forderte, wie sich herausstellte, die baldige Rückkehr ihrer Tochter, da diese offenbar vergessen hatte, dass sie ein Aikido-Turnier zu bestreiten hatte. Kazuha verzog das Gesicht. Heiji…! An der Haustür des Professors angekommen, stoppte sie. Unsicher betrachtete sie ihr Handy, das nun wieder keinen Mucks von sich gab, biss sich auf die Lippen. Heiji liebte sie. Und sie? Sie liebte ihn wohl auch. Aber das jetzt… eine Beziehung? Sie hatte doch keine Ahnung, wie man so etwas führte. Heiji und sie kannten sich, seit sie klein waren, sie waren… eine Zeitlang wie Bruder und Schwester gewesen. Sie waren wie Pech und Schwefel, Heiji war ihr bester Freund, jemand, auf den sie sich immer hatte verlassen können, immer verlassen können würde… ihr Leben lang, beließ sie es dabei. Es würde sich ändern, von jetzt auf gleich, wenn sie… jetzt ernst machte. Es würde sich ändern, vollkommen, und nie wieder werden, wie es gewesen war. Wie es jetzt noch war. Es lag in ihrer Hand. Wollte sie das wirklich? Dann ging die Tür auf; vor ihr stand dieser FBI-Japaner, Akai, wie fast immer mit einer Zigarette in der Hand, schaute sie mit seinen eisgrauen Augen an. Sie wurde rot, kam sich seltsam gläsern vor und steckte hastig ihr Handy weg; so hastig, dass sie ihre Tasche verfehlte und es zu Boden fiel, wo es sich zuerst mal in seine Einzelteile zerlegte. Kazuha fluchte, klaubte die Teile wieder auf und stopfte sie in ihre Tasche. Akai beobachtete sie stumm, lächelte ein schmales Lächeln. „Warum machen Sie einfach die Tür auf?!“, fuhr sie ihn dann erhitzt an, als sie sich mit hochrotem Kopf wieder aufrichtete, an ihm vorbeiquetschte. „Ich sah dich kommen, und da du momentan hier wohnst, war ich so verwegen anzunehmen, du willst rein.“, bemerkte er sachlich. „Mit Recht, offenbar.“ Sie drehte sich um, als sie sich ihre Schuhe auszog, indem sie auf die Fersen ihrer Schuhe trat, blitzte ihn ärgerlich an. „Jaja!“ Sie schlüpfte ungelenk aus ihrer Jacke, warf sie gegen den Garderobenhaken, der den Teufel tat, sie aufzufangen, sondern sie zu Boden fallen ließ, und hastete außer Sichtweite ins Wohnzimmer. „Also, wenn du diesen Eindruck auf alle Frauen machst, dann frage ich mich doch, was meine Schwester an dir finden konnte.“ Ai war im Kelleraufgang erschienen, sah ihn aus Halbmondaugen an. Akai lachte; es war das erste Mal, dass sie ihn lachen hörte. Dann griff er nach seiner Jacke, und verließ seinerseits das Haus. Das kleine Mädchen grinste; dann folgte es neugierig den lauter werdenden Stimmen mit heftigem Dialekt, die aus dem Wohnzimmer an ihr Ohr drangen. „Du liebst mich!?“ Kazuha war kaum durch die Tür, hinter der sie ihn, auf dem Sofa sitzend und eine wissenschaftliche Zeitschrift lesend, gefunden hatte. Hinter ihr erschien Ai, deren Grinsen immer breiter wurde. Er stand auf, trat auf sie zu, bedachte sie mit einem vernichtenden Blick von oben. „Was willste? Hast du nicht ne Festplatte, die du filzen musst?!“ „Nur die Ruhe.“ Ai hob die Hand, immer noch lächelnd. „Ich stör euch beiden Turteltäubchen schon nicht.“ Damit ging sie den Flur entlang und die Treppe hinab, aufreizend langsam. Heiji starrte ihr hinterher, verdrehte die Augen. Dann griff er Kazuha am Handgelenk, zerrte sie mit ins Wohnzimmer, um ungestört zu sein. „Musst du das so laut rausposaunen? Ich bin nicht taub!“ Er drückte sie auf die Couch, setzte sich neben sie. „Haste jetzt etwa endlich die SMS gelesen?“, fragte er unwirsch. Kazuha wurde rot, merkte, wie sie nervös wurde. „Ja… gestern war mein Akku leider leer.“ Sie kramte in ihrer Handtasche, fand die Handyeinzelteile und bekam den Akku zu fassen, hielt ihn hoch, einigermaßen konsterniert. Dann wandte sie sich ihrem Freund wieder zu. „Was is das überhaupt für ne Art! Sowas sagt man doch nicht per SMS!“ Er starrte sie an, merkte, wie sein Kinnladen langsam nach unten fiel, gefühlt bald den Teppichboden streifen würde. „Aa- also hör mal, du kannst froh sein, dass ichs dir überhaupt sage, ich meine…“, fing er an. „A-also… stimmt’s?“ Heiji verdrehte die Augen, merkte, fühlte, wie die Anspannung seinen Puls in die Höhe trieb. „Nein. Ich schreib dir sowas zum Spaß, weißte.“ Er verengte seine Augen zu Schlitzen. Kudô, du Idiot. Wenn das hier in die Hose geht, dann mach ich dich dafür verantwortlich, mir gleich, in welch desolatem Zustand du dich befindest. Kazuha sah ihn an, sagte nichts. Dann beugte sie sich zu ihm vor, hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Lippen. Er starrte sie nur an, seine Augen groß vor Erstaunen, und war zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos, als er sie in seine Arme zog. „Ich liebe dich.“, wisperte sie leise, seufzte. Dann richtete sie sich ein wenig auf, sah ihn an, lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln, kam allerdings nicht umhin, zu bemerken, wie es festfror, als er an den dachte, dem er dieses Glücksgefühl zu verdanken hatte. Kazuha musterte ihn fragend. „Was ist?“ Er schüttelte den Kopf, hilflos. „Weißt du, wem du die SMS zu verdanken hast?“ Sie stutzte kurz; dann sah sie ihren Freund bestürzt an. „Doch nich‘…“ „Doch. Er hat mir gesagt, als ich ihn ihm Knast besucht hab, ich soll endlich ehrlich mit dir sein… und mit mir… und’s dir sagen. Weil’s so viel schöner wäre… dieses Gefühl endlich teilen zu können. Und nun…“ Er konnte nicht verhindern, dass sein Blick auf die Villa der Kudôs fiel. Kudô. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)