Wie Schnee auf seinen Schultern von inkheartop (Verbindung) ================================================================================ Kapitel 1: [Untitled] --------------------- nichts fiel dir leichter als schnee zu sein vom himmel zu fallen und zu verzaubern nichts fiel dir schwerer als lautlos vom frühling geküsst zu gehen (schnee; Klaas Klaasen) Cooper Perabo saß auf dem Dach und ließ die Beine über den Rand baumeln. Es ging zehn Meter in die Tiefe, vielleicht mehr. Schnee fiel. Auf seine Schultern, auf sein Haar, das langsam einen schmutzig grauen Ton annahm, gefärbt von Wolken und geschmolzenen Flocken. Cooper Perabo saß auf dem Dach. „Willst du springen?“, fragte Haley. Ihre Füße tasteten sich fast blind weiter, Schritt für Schritt, sie musste aufpassen nicht auszurutschen. „Nein.“ Cooper sah sie nicht einmal an. Haley hatte Höhenangst. Das musste nicht unbedingt jemand wissen, es würde ihren ganzen Ruf zerstören, aber im Moment machte ihr das herzlich wenig aus. Sie sah nur auf Coopers Rücken und dachte darüber nach, was sie tun, sagen würde, wenn er sprang. Was würde sie fühlen? „Wolltest du?“ Jetzt drehte Cooper sich doch zu ihr um und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie das, was einige andere Mädchen in Cooper Perabo sahen. Wenn er sich nicht gerade die Fäuste blutig prügelte. Erst sagte er nichts. Dann grinste er und der Augenblick, der Wimpernschlag, war vorbei. Seine Lippe war krustig aufgesprungen, die ganze Schule sprach noch vom großen Kampf Perabo vs. Fairchild. „Was tust du, wenn ich Ja sage?“ Haley zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sollte ich dich davon überzeugen, es doch zu tun, viele Leute wären mir dankbar.“ Cooper nickte. Dann drehte er sich wieder um und lehnte sich gerade genug nach vorn, um ihr einen Schrecken einzujagen. Musste er das gleich so wörtlich nehmen? „Schon gut, schon gut“, murmelte sie, setzte weiter einen Fuß vor den anderen bis sie sehr, sehr nah an der Kante stand. Und sich neben ihn setzte. Eins musste sie zugeben: Der Gedanke war hier geradezu verführerisch nah. Und es wäre so einfach. „Mach ich dir Angst, Haley Opal?“, grinste er und beugte sich etwas weiter. Haley widerstand dem Drang, ihn am Arm zu packen und zurückzuzerren. Funkelte ihn nur so herablassend an, wie sie konnte. „Nicht mehr als ein Kaninchen, Cooper Perabo.“ Und dann: „Coop.“ Sein Gesicht wurde mit einem Schlag so finster wie eine lichtlose Nacht, eiskalt. Normalerweise sah er so aus, wenn er wütend war. Und jemandem im nächsten Moment die Zähne ausschlagen würde. War alles schon vorgekommen. „Schon gut, schon gut!“ Beschwichtigend hob Haley die Hände. Cooper wandte sich wieder von ihr ab, behandelte Haley Opal so, wie er die meisten Leute behandelte, wenn sie ihn in Ruhe ließen: Wie Luft. Aber Haley war nicht die meisten Leute. Und sie hasste das Gefühl, nicht beachtet zu werden. So war sie nun mal. Eine Weile hielt sie es noch aus, doch der Schnee schmolz schneidend auf ihren bloßen Fingern, auf ihrem Gesicht, und tropfte ihr vom Nacken den Rücken hinunter. Es war kalt. „Warum wolltest du springen?“ Cooper schwieg. Sein Blick folgte den weißen Punkten, für die das Fallen so einfach war, er starrte in den Abgrund. Und wie immer sah er dabei so weiß aus wie der Winter selbst, sie nannten ihn nicht umsonst Die Eisfaust. Wie würde sich sein Gesicht verzerren, wenn er sprang? Haleys Seufzen gefror in der Luft zur Nebelwolke. Loser waren dermaßen kompliziert; und Perabo war nicht mal ein echter Loser. Er war schlimmer. „Du solltest wirklich mit mir reden, Perabo“, sagte Haley nach ein paar weiteren Minuten schneeerfüllten Schweigens. „Die Chance kriegst du wahrscheinlich nie wieder.“ Er schien nicht mal die Lippen zu bewegen, als er antwortete. Blaue Lippen. „Pech. Opal.“ Dann verdrehte er die Augen. Am liebsten hätte sie ihn runtergestoßen. Es hätte wie ein Unfall ausgesehen. Haley rappelte sich auf, umschloss ihren Oberkörper zitternd mit ihren Armen. Sie war wütend. Auf Cooper – vor allem auf Cooper –, auf den Schnee, der ihre Frisur zerstörte, auf die ganze Welt, Ashley eingeschlossen, dieses Arsch. Auf sich selbst. Weil sie es versucht hatte. Weil sie wirklich gedacht hatte, sie könnte mit Cooper Perabo einigermaßen vernünftig reden. Sie hatte es gehofft in dem Moment, als sie ihn auf dem Dach gesehen hatte und ihr fast die Tränen gekommen wären. „Ich wollte wirklich mit dir reden, du Vollidiot“, fauchte Haley, ließ ihrer Wut ein bisschen Luft. Ihrer verdammten Hoffnung gleich mit. „Aber du bist wirklich so gefühlstot…“ Sie spürte Schneeflocken auf den Wangen, kalte Tropfen. Weihnachtsengel kamen ihr in den Sinn, die auf den Schneeflocken zur Erde flogen. Als sie schon fast wieder bei der Tür war, die sie ins Warme brachte, der einzige Zugang zum Dach, hörte sie hinter sich etwas. Wie Perlen, die auf Glas fielen. Wie Fingernägel auf den Saiten eines Cellos. Cooper hatte sich zurückfallen lassen, lag ausgestreckt auf dem Rücken. Die Augen geschlossen, in seinen Mund tropfte der Schnee. Haley konnte hören, wie schwer er atmete. Sie hörte, wie er das Weinen mit aller Kraft unterdrückte, wie sich seine Fingernägel in seine klammen Hände bohrten. All das. Konnte nicht der Cooper Perabo sein, den sie kannte. Eher hatten Frösche in Rüschenkleidchen ihn durch eine fast perfekte Kopie ausgetauscht, das erschien ihr logischer. Eine Weile beobachtete Haley ihn. Dann kam sie wieder näher, die weiße Decke knirschte unter ihren Sohlen. Sie stand direkt über ihm, als Cooper die Augen öffnete. Nie hätte sie gedacht, dass seine Augen braun sein könnten. Hellbraun wie der Wald Anfang November. Eigentlich hatte sie nie darüber nachgedacht, was für eine Augenfarbe Die Eisfaust hatte, der Name hatte ihr genügt, um ihm fern bleiben zu wollen. Jetzt aber sah Haley ihn ganz direkt an und wunderte sich, wie normal er aussah. Weder besonders gutaussehend. Noch furchtbar hässlich. Einfach ganz normal, ganz schrecklich normal. Haley dachte an Ashleys grünblaue Wasserfarbenkastenaugen, an sein außergewöhnliches Lächeln und seine weichen dunklen Haare. Sie hasste ihn. Das war der einzige Punkt, der für Cooper sprach. „Hast du noch nie überlegt, es zu tun, Prinzessin?“, fragte er. „Nein.“ Sie war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen. „Natürlich.“ Cooper schloss die Augen wieder. Ein brauner Blick weniger in der Welt. Wieder seufzte Haley, leichter dieses Mal, und wieder verfing sich ihr Atem in der Luft. „Da denkt doch jeder Teenager mal dran. Entweder das oder Mord.“ „Hast du daran schon mal gedacht?“ „Nein.“ Noch eine Lüge, warme Luft blies aus Coopers Nase. „Nicht mal deine Eltern?“ „Nein.“ „Deine Geschwister?“ „…Nein.“ „Fairchild?“ Ganz kurz stoppte Haleys Herz in ihrer Brust, arbeitete nicht mehr, bis sie sich fragte, ob Sterben sich so anfühlte. „Frag so was nicht“, sagte sie irgendwann, als ihr Herzschlag sich wieder normalisiert hatte, wich seinen geschlossenen Augen aus. Sicher war sicher. „Du wolltest reden.“ Cooper sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand. „Über dich.“ Er grinste wieder, es verzerrte sein Gesicht. „Ach ja?“ In ihrem ganzen, bisher ziemlich kurzen Leben hatte Haley niemanden getroffen, der so viel Bitterkeit in einen einzigen Augenblick schmeißen konnte. Der den Himmel über ihr noch viel grauer werden ließ, die Welt noch viel, viel schrecklicher. Sie kniff die Augen fest genug zusammen, um bunte, schillernde Kreise an den Innenseiten ihrer Lider entstehen zu lassen. Die Bilder verschwanden dann immer. Oder meistens. Ashley kam ihr in den Sinn, wundervoller Ashley. Sie hasste ihn, aber in diesem Moment hätte sie ihn gern bei sich gehabt, hätte ihr Gesicht in seinem Haar vergraben und den Frühling darin gerochen, hätte seinem Flüsterlachen gelauscht. Cooper richtete sich auf, bedachte sie mit einem Blick, den sie nicht zu deuten wusste. „Was denkst du, Prinzessin?“ Warum sprach er sie so an? Weil er wusste, dass Ash sie immer so genannt hatte, weil er wusste, wie sehr es ihr das Herz zerriss. „Das weißt du“, gab Haley zurück, und sie hatte Recht, sie hatte so Recht. Cooper Perabo wusste vermutlich besser als jeder andere Mensch, wie sie sich fühlte. Seit diesem einen Tag wusste er es. Seit diesem einen Tag. Verband sie etwas. Für immer. Cooper bewegte sich nicht, regte sich nicht, sah nur weiter ins Schneetreiben vor seiner Nase und Haley hätte schwören können, dass seine Lippen blauer wurden. Und dass er genau das wollte. Wenn sie sich schon so fühlte? „Du musst mich hassen“, sagte Cooper nach einer Stille, nur durchbrochen vom Klang des fallenden Schnees auf ihren Schultern. Seine Stimme war hart wie zerrissener Diamant. Langsam schüttelte Haley den Kopf. Selbst als er sie überrascht ansah, machte sie damit weiter bis ihr schwindlig wurde, bis sich alles drehte. Darüber hatte sie so lange nachgedacht, dass die Worte fast von selbst kamen, sie musste kaum noch denken. „Du bist nicht schuld“, sagte sie leise. Ließ zu, dass sie zitterte. „Was kannst du schon dafür? Genauso gut könnte ich den verfickten Autofahrer hassen, oder die vereisten Straßen, oder jeden an dieser Schule, der ihn geliebt hat.“ Ließ zu, dass sie doch ganz kurz weinte, ein paar Tränen, nicht verboten. Selbst nicht vor Cooper Perabo. „Und es haben ihn viele geliebt.“ Wieder waren da die Bilder. Manche verschwommen, wie hinter Milchglas, die meisten aber so scharf, dass sie sie schon fast schmeckte. Sie schmeckte. Ihn. „Es…“ Er zögerte. „Tut mir leid, dass du es erfahren musstest.“ „Heißt es nicht: Dass du es so erfahren musstest?“, murmelte Haley, strich sich mit der kalten Hand über die heißen Wangen, auf denen die Tränen klebten. Perabo zuckte mit den Schultern. „Er wollte es dir auch nicht sagen.“ Ein bisschen fand sie es schade, dass sie beschlossen hatte, Perabo nicht zu hassen. Nicht hassen zu können. Ganz kurz fand sie es schade, ihn nicht vom Dach stoßen und es wie einen Selbstmord aussehen lassen zu wollen. Aber. „Ich hätte es mir auch nicht gesagt“, gestand Haley. „Ich hätte es niemandem gesagt.“ Sie wusste, was in Coopers Kopf vorging – in diesem kranken Schädel, der dem ihren wahrscheinlich gar nicht so unähnlich war. Ach, Ashley. Sie hatten es niemandem sagen wollen. Nicht Haley, nicht irgendwem. Manchmal bildete sie sich ein, dass er sie nicht hatte verletzen wollen, dass noch so viel Anstand in ihm gesteckt hatte. Dann befahl sie sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Er hatte sich selbst nicht verletzen wollen. „Ich hab mich immer gefragt: Warum ausgerechnet Perabo?“ Sie sprach mehr zu sich selbst, spuckte die grauen Worte in den grauen Tag. „Warum ausgerechnet er, den er doch verabscheut hat, wie alle anderen auch. Warum er, das Schläger-Arschloch, der Hassfeind, der Widerling, der…“ „Danke“, unterbrach er sie. „Ich hab’s verstanden.“ Sie entschuldigte sich nicht. Wieso auch? Sie hatte nur das laut ausgesprochen, was er sowieso schon wusste. Cooper seufzte unhörbar. „Ich weiß nicht mal selber, warum ich ausgerechnet ihn… ich meine…“ Er brach wieder ab, schüttelte den Kopf, klappte den Mund auf und zu. „Wie soll ich dir dann das sagen können?“ Wenn Haley angestrengt lauschte, hörte sie manchmal Ashleys Stimme im Wind, hörte ihn summen, singen. Einfach seine Stimme. Nur konnte sie sich nie sicher sein, ob er nach ihr rief. Oder nach ihm. „Es tut weh“, sagte sie, irgendwann, als sie schon das Gefühl hatte, kein Gefühl mehr in irgendeinem Körperteil zu haben. „Es tut weh“, wiederholte Cooper, im gleichen Tonfall. Und dann: „Was hast du… Hast du jemandem davon erzählt?“ Anscheinend wollte er ihr Herz in noch kleinere Stücke zerreißen, ganz langsam, sehr blutig. Er wollte sie wohl nicht vergessen lassen. „Keine Sorge“, ihre Stimme klang kalt wie der Wind, „das wäre nicht nur für ihn eine Demütigung gewesen. Perabo.“ Der Blick, mit dem er sie durchbohrte, tat ihr schon fast körperlich weh. Fast schon tat es ihr leid, gesagt zu haben, was sie gesagt hatte. Immerhin litt er doch auch, immerhin war er doch der einzige Mensch, der wirklich wirklich wirklich nachvollziehen konnte, wie sehr ihr jede Minute des Tages verschwendet erschien. Nur weil Ashley nicht da war. Trotzdem. Hatte Haley nicht vor, sich jemals bei Cooper zu entschuldigen. Weil sie wusste, dass er sich auch nie entschuldigen würde. Und weil sie es immer noch als unfair empfand. „Warum hast du gegen ihn gekämpft?“, fragte sie. Nicht, dass es sie interessieren würde. Aber sie hasste die Stille, und die Gedanken, die mit ihr kamen, jedes verdammte Mal. Erst befürchtete sie, er würde nicht antworten. In seinen Augen lag so viel Wut und Schmerz und Trotz, sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. Doch dann. Wandte er sich ab, stand auf und überragte sie, schien mit dem Wind zu schwanken. „Ich kann damit leben, wenn ihr mich nicht leiden könnt, wenn ihr mir aus dem Weg geht oder Streit mit mir anfangt; das ist eure Sache. Ich kann damit leben, nicht beliebt zu sein; weil ich euch nicht brauche, um zu wissen, dass ihr nichts von mir wisst.“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten, kurz, entspannten sich wieder. Und plötzlich sah er kraftlos aus und am liebsten hätte Haley ihn festgehalten, damit er nicht fiel, nicht weggeweht wurde wie ein Blatt Papier. „Aber“, murmelte Cooper, „ich kann… ich konnte nicht damit leben, wie er war, wenn er nicht bei mir war. Wie er sich verdrehte. Ich konnte mich selbst nicht ertragen, weil ich mich verdrehte. Nicht einfach hinnehmen, was… gesagt…“ Ein trockenes Schlucken. Zitternd sog er die Luft ein, kalt und klar. „Es ist aus dem Ruder gelaufen.“ Aus dem Ruder gelaufen? „Seine Schulter war ausgekugelt“, sagte Haley. Cooper schüttelte den Kopf, als würde er aufwachen, sah sich um, sah sie an, von oben herab. Dann breitete er die Arme aus und trat ein Stück nach vorn, die Spitzen seiner Schuhe hingen über dem Abgrund. „Kanntest du das Gefühl, wenn er dich anlächelte und du wusstest, dass er nur dich sah? Kanntest du es, wenn du bei ihm lagst und du dachtest, du bist high, du fliegst?“ Er lächelte. Plötzlich. „Er war da, wenn ich ihn brauchte. Er war da, wenn ich ihn nicht brauchte. Wenn ich bei ihm war, war ich für immer bei ihm…“ Haley hörte ihn sprechen. Sah sein Lächeln. Fühlte das gleiche wie er. Fühlte nicht das gleiche. Sie wusste, wovon Cooper sprach. Hatte es selbst erlebt. Nur… was hatte Ashley gefühlt, wenn er bei ihr war? Und was hatte er gefühlt, wenn er bei Cooper war? Vor etwas mehr als einer Woche hatte sie noch geglaubt, Ashley zu kennen, seine Seele spüren zu können, wenn er in ihre Küsse atmete. Bis plötzlich alles zu einer Lüge wurde. Bis sie sich plötzlich fragte, fragen musste, was Ashley dachte, was er sagte, was er tat. Träumte. Haley wollte es gar nicht verstehen, sie wollte nur wissen, woran sie war. Vielleicht hätte sie damit leben können, wenn… dass… vielleicht… hätte sie es besser ertragen, wenn es nicht ausgerechnet Cooper Perabo gewesen wäre. Noch immer hielt er die Arme ausgebreitet, doch sein Lächeln war wie fortgewischt, ein Grimmen klammerte sich an seinen Zügen fest. Das übliche Perabo-Gesicht. „Fairchild war ein Arsch“, meinte er unvermittelt. Haley hatte Cooper noch nie weinen sehen. Er sah zu hart dafür aus, zu sehr. Aber da waren Tränen, sie konnte sie sehen. Er leckte sich mit der Zunge über die salzigen Lippen. Ashley-geküsste Lippen. „Weißt du, was seine letzten Worte zu mir waren: Fick dich. Dann ist er gegangen, einfach gegangen und…“ Er sprach nicht weiter, aber Haley wusste, wie es weiterging. Sie wusste, was passiert war, wenn auch nur aus Erzählungen. Wusste vom Glatteis, das in jener Nacht die Straßen überzogen hatte, wusste von Ashleys Art, blind durch die Welt zu laufen, und wusste von dem Auto. Von dem Zusammenprall. Von dem Notarzt. Wusste von dem noch am Unfallort verstorben. Sie wusste fast alles. So wie sie eben immer nur fast alles über Ashley gewusst hatte. Das Wort fast war eigentlich ein einziger Irrtum. Es gab kein fast. Wenn sie nur fast alles gewusst hatte über Ashley Fairchild, dann hatte sie nichts gewusst. Lüge. Lüge. Lüge. „Ich hab noch sein Grinsen gesehen“, wisperte Cooper. Coop. Hatte er ihn so genannt? Wie viel Verletzlichkeit verbarg sich hinter Perabo? Wie viel von Coop steckte in Cooper? Selbst wenn sie gekonnt hätte, hätte Haley nicht fragen wollen. Sie wollte gar nicht wissen, wie der Cooper war, den Ashley ge… gekannt hatte. „Weshalb wolltest du springen?“ Cooper sah sie lange an, Haley wich seinem Blick nicht aus. Ausnahmsweise. „Weil es keinen Sinn gehabt hätte. Genauso wenig wie sein Tod einen Sinn hat.“ Das klang so unlogisch, dass es schon wieder logisch war. „Warum bist du nicht gesprungen?“ Haley lief bei seinem Grinsen ein Schauer über den Rücken, den sie nicht für möglich gehalten hatte, weil sie doch sowieso schon erfror. Langsam stand sie auf, langsam stand sie vor, neben und immer noch unter ihm, weil er so viel größer war als sie. Er war sogar größer als Ashley. Cooper zeigte an einen Punkt in der Ferne, der beinahe vollständig im Schneetreiben verschwand. Es war eine der Kirchen der Stadt, die mit dem dunklen Dach, der weißen Fassade und dem kleinen Friedhof. „Da liegt er“, sagte er. „Deshalb?“, hakte Haley nach, wunderte sich. Deshalb? „Was hätten die anderen gedacht, wenn ich gesprungen wäre?“, fragte er sie, redete gleich weiter. „Niemand kann so dumm sein und das Offensichtliche nicht sehen. Außer natürlich, man will es nicht sehen.“ Deshalb. Es ging immer nur um die anderen. Und Cooper ertrug es. Wie auch immer er das anstellte. In seinen Augen lag etwas, das sie zu kennen glaubte, von Ashley. Stolz. Freiheit. Und. „Habt ihr euch geliebt?“ Zum ersten Mal sah sie in Cooper nicht, was manche Mädchen sahen, sondern was Ashley in ihm gesehen hatte. Darum fragte sie zum ersten Mal eine Frage, die ihr so schwer auf dem Herzen lag, dass es sie fast erdrückte. Und zum ersten Mal glaubte sie, die Antwort auch wirklich ertragen zu können. Er verzog den Mund, was wohl ein Lächeln darstellen sollte. Das Wort, das hinter dem Versuchslächeln hervorkam, tat nicht so sehr weh, wie sie gedacht hätte. „Schon. Ja." Haley nickte, zögerlich lächelnd. Nickte. „Dann ist es vielleicht okay“, sagte sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)