Last Desire 11 von Sky- ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- Stimmen… ja er hörte Stimmen und zuerst war er sich nicht ganz sicher, ob er vielleicht träumte, ob er tot war oder ob er wie ein Wunder tatsächlich überlebt hatte und er nun langsam wieder zu sich kam. Da! Da waren sie wieder diese Stimmen. Und dann wurde eine Tür geschlossen. Wer sprach da nur und was war mit ihm überhaupt? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Also öffnete er die Augen und wurde sogleich vom grellen Licht der Deckenbeleuchtung geblendet. Tja, so wie es aussieht, lebe ich wie durch ein Wunder noch. Mensch, mein Schutzengel muss echt Überstunden leisten, anders kann man sich doch nicht erklären, dass ich nach der Attacke noch lebe. Und sogleich war sein nächster Gedanke Ezra… L… die anderen! Ruckartig setzte er sich auf, was er aber sofort wieder bereute, weil ihm sofort wieder schwarz vor Augen wurde. „Bleib besser noch etwas liegen“, hörte er eine Stimme sagen, die ihm verdächtig bekannt vorkam. „Du hast ganz schön was abgekriegt und hattest verdammtes Glück, dass euer Freund noch da war, um euch zu helfen.“ Beyond blinzelte ein paar Male, da er ziemlich Mühe hatte, klar zu sehen. Was er sah, waren dunkelrote Augen und ein goldener Ring in der rechten Iris. Moment mal, das war doch Liam. Was zum Teufel war denn hier los und wo war er überhaupt? „Kann mir bitte mal jemand erklären, was passiert ist? Irgendwie scheine ich so einiges verpasst zu haben, seit ich das Messer in den Rücken abgekriegt habe.“ Nun setzte er sich deutlich langsamer als vorher auf und bemerkte auch, dass er eigentlich gar keine Schmerzen hatte. Zwar fühlte er sich ziemlich erschöpft und müde, aber ansonsten fehlte ihm nichts, soweit er das beurteilen konnte. Liam, der offenbar gewartet hatte bis sein „Patient“ aufgewacht war, hatte wie immer einen finsteren Blick und betrachtete Beyond schweigend, bevor er dann antwortete „Nachdem ihr angegriffen worden seid, habe ich einen Anruf erhalten und bin mit dem nächsten Flieger nach England gekommen. Euer Freund Dathan hatte sich schon zusammen mit Elion um euch gekümmert und geschildert, was passiert ist. Keine Sorge, den anderen geht es gut. Ezra steht zwar nach wie vor noch unter Schock, aber so wie es aussieht, seid nur ihr beide schwer verletzt worden. L, Nastasja und Sheol fehlt nichts.“ Diese Nachricht war eine unglaubliche Erleichterung für den Serienmörder und er war heilfroh, dass den anderen nichts passiert war. Aber irgendwie hatte er doch in Erinnerung gehabt, dass Jeremiel gesagt hatte, dass er die anderen getötet hätte, oder war das nur Einbildung gewesen? Irgendwie war das Ganze ziemlich verwirrend und so ganz konnte sich Beyond einfach nicht erklären, wie das alles nur passieren konnte. Und sogleich stellte auch Liam die Frage, die Beyond befürchtet hatte. „Was ist mit Jeremiel passiert? Ezra sagte, er habe versucht, euch zu töten.“ „Das war nicht Jeremiel“, murmelte Beyond und legte eine Hand auf seine Stirn, um sie irgendwie zu kühlen, denn sie fühlte sich unangenehm heiß an. Auch seine Augen brannten leicht. „Ich weiß nicht wieso, aber er war plötzlich wieder Sam Leens. Keine Ahnung, warum das so war, aber das war eindeutig er. Eine der Proxys… Simrah hieß sie, wenn ich mich recht erinnere… sie hat Elion und Jeremiel befohlen, Ezra und mich umzubringen. Und sie sagte, dass kein Proxy sich gegen den Einfluss des Alphas wehren kann. Elion hätte Ezra tatsächlich erschossen, aber da richtete Jeremiel die Waffe auf ihn und schoss das ganze Magazin leer, bevor er mit den Proxys verschwunden ist. Was danach passiert ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Aber wie kann es sein, dass den anderen nichts passiert ist?“ „Sheol sagte mir, Jeremiel hätte zwar auf sie geschossen, aber er hätte nie getroffen. Lediglich Nastasja bekam einen Streifschuss ab, aber das war auch nichts Ernstes. Und L war auch vollkommen unversehrt, so wie ich erfahren habe.“ Soso, dann hatte Jeremiel offenbar gelogen, als er Simrah gesagt hatte, er hätte die anderen umgebracht. Aber wieso hat er überhaupt geschossen und wieso war er mit den Proxys mitgegangen? Irgendwie verstand der Serienmörder gar nichts mehr und er spürte rasende Kopfschmerzen. Sogleich reichte Liam ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten. „Wie lange war ich weggetreten?“ „Fast zwei Tage. Dathan hat deinen ganzen Körper zurückgesetzt, da er seine Fähigkeiten offenbar noch nicht gezielt einsetzen kann. Leider hat er es ein bisschen zu gut gemeint und ich musste das wieder geradebiegen. Deshalb ist dein Körper noch vollkommen ausgelaugt und ich würde dir dringend anraten, dich heute auf jeden Fall noch nicht allzu viel zu bewegen. Ansonsten könntest du einen Kreislaufzusammenbruch erleiden. Du hast momentan eh noch eine etwas zu niedrige Körpertemperatur, das Gleiche gilt auch für deinen schwachen Puls.“ „Ich hatte eh nicht vor, heute noch einen Marathon zu machen.“ Dathan hatte seinen Körper zu weit zurückgesetzt? Nun, was das bedeutete, wollte der Serienmörder lieber nicht wissen. Also fragte er auch nicht weiter nach und schluckte die Tabletten. „Was ist mit Elion?“ Als der Name fiel, wurde der Unvergängliche deutlich ernster. Das bedeutete wohl nichts Gutes, oder? „Als ich eintraf, wirkte er auf mich verwirrt und leicht orientierungslos. Wie es scheint, erinnert er sich überhaupt nicht, was passiert ist und was er getan hat. Alles, woran er sich noch erinnert ist, dass eine Stimme ihn gerufen hat, aber das war es auch schon. Bevor er wieder in diesen willenlosen Zustand verfällt, habe ich ihn vorsichtshalber im Keller einquartiert und dafür gesorgt, dass er nicht ausbrechen kann. Solange wir nicht wissen, wie der Alpha-Proxy es fertig bringt, ihn zu steuern und wie wir dagegen vorgehen können, ist er eine Gefahr für uns alle und das weiß er auch. Deshalb hat er auch extra darum gebeten, eingesperrt zu werden.“ „Und wie geht es ihm?“ „Nicht gut. Er steht völlig neben sich und spricht kaum ein Wort. Seit Tagen nimmt er auch nichts mehr zu sich und will niemanden an sich heranlassen. Ezra ist in einem ähnlichen Zustand, aber Dathan kümmert sich gerade um ihn.“ Oh Mann, dass es Elion so schlecht ging, hätte selbst Beyond nicht gedacht. Aber andererseits… was hatte er denn auch erwartet? Elion war die Sanftmut in Person und er liebte Ezra über alles. Dass er in diesem Zustand versucht hatte, ihn zu töten, war natürlich der absolute Schock für ihn und da konnte man auch nicht erwarten, dass er sich so schnell davon erholte. Aber es hätte ja auch schlimmer kommen können. Wenn Dathan nicht da gewesen wäre, dann wären er und Ezra noch draufgegangen. Gerade wollte Beyond noch etwas fragen, da klopfte es an der Tür und L kam herein. Als er dann sah, dass Beyond wieder bei Bewusstsein war, lief er direkt zu ihm hin und schloss ihn in die Arme. Doch sogleich setzte es auch schon eine Kopfnuss, woraufhin der Vorwurf kam „Was hast du dir wieder bei dieser Aktion gedacht, du Idiot? Du hast mir versprochen, keine gefährlichen Sachen mehr zu machen und was ist? Du gehst mal wieder fast dabei drauf. So langsam habe ich den Eindruck, du machst das mit Absicht.“ „Entschuldige. Beim nächsten Mal warne ich dich eben vor, wenn ich ein Messer in den Rücken kriege.“ „Den Sarkasmus kannst du dir sparen. Fast zwei Tage warst du nicht bei Bewusstsein und ich mach mir Sorgen um dich.“ Irgendwie wird er seiner Mutter auch immer ähnlicher, hab ich langsam das Gefühl. Als nächstes beginnt er wohl auch noch auf Russisch zu fluchen. Aber wo er Recht hat, hat er eben Recht. Im Grunde war das ja eine riskante Aktion gewesen. Doch wenn ich es nicht gemacht hätte, dann wäre Ezra womöglich jetzt tot. „Wie gesagt: es tut mir Leid, aber sag mal, wo sind wir hier überhaupt? Das ist jedenfalls nicht unser Hotelzimmer.“ „Nein, das ist Wataris alte Villa. Dathan hat uns angeboten, solange hier Quartier zu beziehen, nachdem die Proxys im Hotel so ein Chaos angerichtet haben. Liam hat sämtliche Spuren beseitigt, damit die Polizei auch keine Probleme macht. Watari selbst ist noch im Krankenhaus und wird wahrscheinlich die nächsten Tage auch noch dort bleiben. Frederica ist aber schon wieder zurück.“ Nun, wenn alle da sind, kann ich genauso gut aufstehen. Also stand Beyond auf, woraufhin ihm wieder schwarz vor Augen wurde und er kurz ins Straucheln geriet, doch L hielt ihn fest und stützte ihn ein wenig. „Das hast du nun davon, dass du auch immer übertreiben musst.“ „Ja Mama…“ Sie verließen das Zimmer und sogleich trafen sie auf einen jungen Mann mit roten Augen und ordentlich frisierten schwarzen Haaren. Er trug zwei Nietenhalsbänder und hatte ein etwas blasses und schüchtern wirkendes, aber dennoch freundliches Gesicht und bemerkte sofort „Oh, wieder unter den Lebenden?“ Beyond sah ihn verständnislos an und versuchte sich zu erinnern, ob er den Kerl schon mal irgendwo gesehen hatte. Nein, das Gesicht konnte er beim besten Willen nicht zuordnen und so fragte er „Äh… und du bist?“ „Dathan“, antwortete der junge Mann und senkte etwas verlegen den Blick, wobei er rot um die Wangen wurde. „Nachdem ich es endlich mit der Zeitrücksetzung drauf habe, wollte ich die Brandverletzungen endlich verschwinden lassen, damit ich nicht mehr ganz so abstoßend aussehe. Ehrlich gesagt muss ich mich ja selbst noch an diesen Anblick gewöhnen. Immerhin kenne ich mich ja nur mit diesen Narben.“ Wow, das war wirklich mal eine Radikalveränderung. Vor dem Brand hatte Dathan gar nicht mal so schlecht ausgesehen. Er hätte wirklich das Zeug zum Model, wenn Beyond ganz ehrlich war. Sogleich konnte er sich auch nicht den nächsten Kommentar verkneifen und stieß L scherzhaft in die Seite. „Da hat sich deine Mutter ja einen hübschen Freund ausgesucht, findest du nicht?“ Als Dathan das hörte, riss er weit die Augen auf und verfiel in ein fürchterliches Gestammel, woraufhin er dann unbeholfen und wild mit den Händen gestikulierte. L schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts. Und als Beyond dann nicht aufhörte, sondern zur Krönung des Ganzen sagte „Stell dir mal vor: Dathan wird dein neuer Stiefvater“, da reichte es dem Detektiv endgültig und sofort setzte es was mit der Zeitung, die er dem Serienmörder über den Kopf zog. Dieser rieb sich schmollend die getroffene Stelle und grummelte beleidigt „Hey, ich bin immer noch ziemlich angeschlagen.“ „Dann benimm dich auch entsprechend und hör auf, solch einen Blödsinn zu erzählen. Noch ein solcher Kommentar und es gibt wieder was mit der Zeitung.“ „Wo nimmst du bloß immer diese Zeitung her?“ Diese Frage würdigte L mit keiner Antwort, stattdessen wandte er sich Dathan zu und fragte „Wo willst du eigentlich hin?“ „In den Keller und sehen, ob ich für Elion etwas tun kann. Ezra geht es übrigens wieder besser und er fragt auch schon nach, ob er Elion vielleicht sehen kann. Ich komme gleich zu euch ins Wohnzimmer, wenn ich fertig bin.“ Damit ging der Unvergängliche und Beyond und L sahen ihm noch nach. „Scheint so, als hätte er sich ganz gut mit der Tatsache abgefunden, dass er kein Mensch ist.“ „Frederica und Mum haben einiges dazu beigetragen, dass er sich damit besser abfinden kann.“ Mit einem Mal war L deutlich wortkarger geworden und Beyond ahnte schon, was los war. Er konnte sich wohl noch nicht so ganz mit der Tatsache anfreunden, dass seine Mutter jetzt offenbar einen Freund hatte. Naja, er tat sich ja auch immerhin noch sehr schwer damit, dass sein älterer Zwillingsbruder mit Liam zusammen war. Und Dathan hatte nun mal eine sehr fragwürdige Vergangenheit, das konnte man nicht leugnen. Immerhin wusste keiner so wirklich, wer er war. Fest stand nur, dass es sich bei ihm um einen Unvergänglichen handelte, der vor 28 Jahren Alice Wammy begegnet war. Schließlich gingen sie ins Wohnzimmer, wo auch schon die anderen waren. Und so wie es aussah, herrschte gerade Streit zwischen Ezra und Nastasja. Worum es ging, konnte Beyond noch nicht so ganz feststellen, doch als Liam als Dazugekommener die Lage zu entschärfen versuchte, stellte sich dann doch recht schnell heraus, worum es ging. Nämlich um Elion. „Verdammt noch mal, warum müsst ihr ihn im Keller einsperren wie ein Tier? Er hat das doch nicht gewollt. Wie könnt ihr das nur tun?“ „Weil es sowohl um seine als auch um unsere Sicherheit geht. Außerdem geschah es auch auf seinen eigenen Wunsch hin. Solange wir noch nicht wissen, wie es der Alpha-Proxy schafft, Elion unter seine Kontrolle zu bringen, müssen wir ihn einschließen.“ „Damit er wieder so eingesperrt ist wie im Institut? Fuck, wir sind doch seine Familie und von dir hätte ich das am allerwenigsten erwartet. Du bist für ihn wie seine Ersatzmutter und du lässt zu, dass er weggesperrt wird. Du bist echt verlogen.“ „Rede nicht in diesem Ton mit mir, junger Mann! Wer austeilen kann, der sollte auch einstecken können. Du hast verdammtes Glück gehabt, dass Dathan in der Nähe war, ansonsten wärst du noch auf der Intensivstation des Krankenhauses gelandet. Ich arbeite bereits an einer Möglichkeit, wie wir Elion vor dem Alpha-Proxy schützen können, aber das braucht seine Zeit und bis dahin wird er wohl oder übel im Keller bleiben müssen, bevor wir nach Jeremiel auch noch ihn verlieren.“ Beide waren laut geworden und schließlich schaffte es Liam, die beiden Streithähne auseinander zu bringen und die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Frederica kam schließlich mit einem Tablett herein und servierte Tee und Gebäck. „Es bringt doch nichts, wenn wir alle streiten“, sagte das Albinomädchen schließlich und goss jedem eine Tasse ein. „Wenn wir die Proxys stoppen und Jeremiel befreien wollen, müssen wir zusammenhalten und uns überlegen, was wir am besten tun können. Wahrscheinlich werden sie zurückkommen und auch versuchen, Elion in ihre Gewalt zu bringen. Wir müssen auf jeden Fall vorbereitet sein, wenn sie kommen und uns eine gute Strategie überlegen.“ „Soll der Alpha-Proxy doch kommen“, sagte Beyond und schob sich einen Zuckerwürfel in den Mund. „Nennt mir einen guten Grund, warum ich ihn nicht für das umbringen sollte, was er getan hat. Er oder besser gesagt sie ist doch das reinste Monster. Nicht nur, dass sie L’s Eltern umgebracht hat, nein sie tötete auch Alice Wammy, führt bis heute noch Experimente an Menschen durch und züchtet Hybride heran, die sie kontrolliert und auf uns hetzt. Wegen ihr ist Jeremiel jetzt zu einem willenlosen Proxy geworden und Elion hätte uns beinahe umgebracht. Nenn mir auch nur einer einen guten Grund, wieso ich sie nicht umbringen sollte.“ „Weil das absoluter Unsinn ist“, antwortete Liam kühl und trank seinen Tee ohne Zucker. „Selbst ich hatte Schwierigkeiten mit ihr und wir sollten diese Frau nicht unterschätzen. Sie ist extrem stark und deshalb ist es die absolut dümmste Idee, wenn sich ihr ein Mensch entgegenstellt. Ich habe sie zwar nur kurz gesehen, aber was ich gespürt habe, war eine so unfassbar starke Macht, die auch voller Groll war. Wer auch immer sie ist, sie kann definitiv kein Mensch sein. Oder sie ist irgendwann mal einer gewesen. Das wäre auch möglich.“ Schöne Scheiße. Wenn Liam sagt, dass diese Frau genauso stark ist wie er, dann konnte das doch nur in einem Fiasko enden. Frederica war nicht stark genug, Sheol war kein Proxy mehr und Elion konnte sich nicht gegen die Kontrolle des Alpha-Proxys wehren. Also was sollten sie tun? Viele Möglichkeiten blieben ja nicht mehr. „Toll“, sagte Ezra, der genauso demotiviert war. „Wir sind also voll am Arsch!“ „Das habe ich nicht gesagt“, erklärte der Mafiaboss ruhig und sein kühler Blick ruhte auf ihnen. Eigentlich hätte Beyond erwartet, dass er sauer wurde sogar selbst den Vorschlag brachte, Jeremiels Entführer zu töten. Aber so wie es aussah, hatte er stattdessen beschlossen, einen kühlen Kopf zu bewahren, um so einen Weg zu finden, um Jeremiel zu retten, ohne sein Leben unnötig in Gefahr zu bringen. Außerdem hielt er immer noch an seinem Versprechen fest, seine Familie zu beschützen. „Es gibt da jemanden, der sogar um einiges stärker ist als ich und Eva. Nämlich Dathan.“ „Wie jetzt?“ rief Sheol, als er das hörte und ungläubig glotzte er den Mafioso an. „Du machst wohl Witze. Allein bei unserer ersten Begegnung hatte ich fast die Hosen voll, weil du so verdammt stark warst. Und ausgerechnet Dathan ist sogar noch stärker als du? Wie soll das denn gehen?“ „Das weiß ich auch nicht“, erklärte der Unvergängliche ruhig und verschränkte nachdenklich die Arme. „Mich verwirrt das Ganze eh momentan. Dass es Hybride gibt, ist ja alles noch im Rahmen des Erklärbaren. Aber ich verstehe nicht, dass es noch mehr von unserer Sorte gibt. Ich bin immer davon ausgegangen, dass Eva und ich die Einzigen wären und Delta, Johnny und Marcel sind Abkömmlinge von mir. Und nun komme ich nach England und erfahre sogleich, dass es einen weiteren Unvergänglichen gibt, der obendrein so stark ist, dass er mir echt noch gefährlich werden könnte.“ „Na von irgendwoher müssen die Unvergänglichen doch kommen“, erklärte Nastasja, die sogleich damit begann, Lakritzschnecken auseinanderzudrehen und sie dann zu essen. „Und soweit unsere Theorie mit den Aussagen des Alpha-Proxys stimmig ist, ist Ajin Gamur als das Ur-Nichts und der Anfang aller Dinge die Quelle der Ewigkeit. Aus ihm entstand Ain Soph und dieser spaltete sich in unzählige Fragmente, nämlich die Sefirot, besser bekannt als die Unvergänglichen. Und du und Eva, ihr gehört auch dazu. Warum du allerdings nichts davon weißt, wundert mich ehrlich gesagt auch. Ich meine, du bist immerhin ihr älterer Zwillingsbruder und ihr ward ursprünglich ein gemeinsames Wesen. Da ist es schon merkwürdig, dass du nichts weißt. Vielleicht seid ihr den anderen ja nie begegnet.“ „Das ist nicht ganz richtig“, warf Frederica vorsichtig ein und blickte kurz zu Liam, als zögere sie noch, es zu sagen. „Als ich in Nowgorod in Evas alten Körper aufgewacht bin und die Opritschnina getötet habe, da bin ich in der Welt der leeren Träume gelandet. Das ist eine surreale Welt, die die Grenze zum Nichts darstellt. Dort lebt ein Sefira mit dem Namen Nazir, den sie auch den Beobachter nennen. Er ist der mächtigste aller Sefirot und er fungiert auch als neutraler Ratgeber und Mentor. Er hat mir beigebracht, wie ich meine Kräfte gezielt einsetzen kann und er sagte mir, dass er dies jeden Sefira gelehrt hätte. Auch Eva und Liam. Ich habe ihn auch letztens wieder aufgesucht und gefragt, aber er sagte nur, dass Liam seine Erinnerungen verloren habe, aber er wollte mir auch nicht sagen wieso das so ist. Er sagte, dass dies ein abgeschlossenes Kapitel ist, über welches nur die wenigsten ein Wort verlieren. Demnach also muss Eva wissen, warum du deine Erinnerungen verloren hast.“ „Vielleicht sollte ich mal diesen Nazir aufsuchen und ihm ein paar Fragen stellen.“ „Besser nicht“, sagte Frederica sofort, als sie das hörte. „Es gibt wohl einige Sefirot, die auch als die großen Alten bekannt sind. Sie sind die mächtigsten Unvergänglichen und die meisten haben kein Interesse an der Menschenwelt und kümmern sich hauptsächlich nur um ihre eigenen Belange. Und so weit ich von Nazir erfahren habe, sind einige von ihnen richtig gefährlich. Wir sollten nichts riskieren, vor allem da Nazir direkt Ajin Gamur unterstellt ist und dieser steht sogar noch weit über den Sefirot.“ „Wie weit?“ fragte Sheol, der sich nicht sonderlich viel darunter vorstellen konnte. Doch auch Frederica musste sich einen geeigneten Vergleich überlegen, denn es war in so einer beschränkten Sprache wie die der Menschen nicht einfach, etwas so Gewaltiges in Worte zu fassen. „Nehmen wir mal als Vergleich die Religion. Die Proxys wären sozusagen etwas Ähnliches wie Propheten, die göttliche Macht herbeiführen können, ohne selbst etwas Göttliches zu sein. Die untergeordneten Sefirot wie Delta, Johnny, Marcel und ich könnte man mit Engeln vergleichen, Liam und Eva mit Erzengeln und die großen Alten mit Gott. Und Ajin Gamur steht sogar noch über Gott, weil er den Anfang und das Ende aller Dinge verkörpert. Er hat keine Grenzen und deshalb gibt es nichts und niemanden, der gegen ihn eine Chance hätte. Die großen Alten sind die Einzigen, die ihn in seiner Entscheidung beeinflussen könnten und deshalb ist es immens gefährlich, sich mit ihnen anzulegen. Denn wenn sie die Zerstörung unserer Welt wollen, werden sie es entweder selbst tun, oder sie werden Ajin Gamur bitten, sich darum zu kümmern. Und wenn er für sich einen Grund sieht, uns alle zu töten, wird er es definitiv tun. Das kann schon alleine aus einer Laune heraus passieren, dass er das will. Deshalb möchte ich dich in aller Freundschaft bitten, davon abzusehen, Liam. Nazir ist zwar neutral, aber er wird es sich definitiv nicht gefallen lassen, wenn man unhöflich ihm gegenüber wird.“ „Pah“, sagte der Unvergängliche abschätzig und wirkte sichtlich verärgert. „Und was sollen wir dann tun? Ich würde schon gerne wissen, was das alles zu bedeuten hat und wieso ich mich an nichts erinnern kann, aber Eva anscheinend schon. Wahrscheinlich ist das ja wohl auch wieder der Grund, wieso sie schon wieder untergetaucht ist und ich sie nicht finden kann. Und wenn dieser Alpha-Proxy ebenfalls ein Unvergänglicher ist, dann Prost Mahlzeit. Irgendwie gefällt mir die ganze Sache nicht. Allein schon wenn ich das mit den großen Alten oder diesem Ajin Gamur höre, kommt mir die Galle hoch. Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, als wäre hier eine ganz große Sache im Gang und dass vielleicht sogar noch mehr von der Sorte mit drin stecken. Und eines verrate ich euch: wenn die großen Alten oder wie die sich auch sonst nennen meinen, sie könnten sich alles erlauben und Gott spielen, dann wird es zappenduster. Ich lasse nicht zu, dass die hier noch mehr Unheil anrichten, als Eva eh schon angerichtet hat und wenn die es wagen sollten, Jeremiel auch nur ein Haar zu krümmen, dann ist es mir vollkommen egal, wie mächtig sie sind. Dann ist endgültig Schluss mit lustig.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)