Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Prolog: Die Geburt eines Löwen ------------------------------ Ein Ruck ging durch die Maschine und der Druck auf seine Ohren wurde immer stärker, sodass er kaum noch etwas hören konnte. Er hatte sich ganz klein zusammengekauert und war mucksmäuschenstill. Obwohl die Motoren des Fliegers ohnehin einen gewissen Geräuschpegel hatten, wollte er es nicht riskieren, gehört zu werden. Noch waren sie nicht in Sicherheit. Noch waren sie nicht am Ziel ihrer Reise. Der kleine Junge mit den zerzausten schwarzen Haaren, der zerfetzten und blutverschmierten Kleidung war wachsam. Er war es immer und sein Wille war trotz der Schmerzen und des Fiebers ungebrochen. Jetzt, wo er seinem Ziel so nah war, durfte er nicht aufgeben. Natürlich wusste er dass das, was er da tat, ein Himmelfahrtskommando war und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte sich heimlich in einen Flieger geschlichen und sich versteckt, um abzuhauen. Er wollte fort von hier und raus aus diesem Land, welches eh keine Zukunft für ihn bereithielt. Weg von diesem Krieg, der schon seit Jahren wütete und kein Ende fand. Weg von den Straßen, auf denen es schon zu oft Angriffe gab und wo er schon zu oft Leichen liegen sah. Zu oft hatte er die Menschen in Angst gesehen und den Alarm ausrufen hören. Seine Flucht war für ihn der einzige Weg, dieser Hölle zu entkommen und er würde sich diese Chance nicht nehmen lassen, von niemandem. Und wenn er sich mit aller Gewalt seine Chance auf eine Zukunft und ein besseres Leben erzwingen musste. Dabei ging es ja nicht nur um seine Zukunft. Fest im Arm hielt er ein kleines Mädchen, das höchstens drei Jahre alt war und am ganzen Leib zitterte vor Angst. Die ganze Zeit hatte er sie im Arm gehalten, damit sie ruhig blieb und sie beide nicht noch verriet. Das kleine Mädchen trug nichts als ein zerschlissenes und dreckiges weißes Kleid und ihr langes blondes Haar war zu einem einfachen Zopf gebunden. Sie war sehr blass und dünn. Nicht einmal Schuhe hatte sie an. Die meiste Zeit hatte sie brav geschwiegen und keinen Ton von sich gegeben. Und bis jetzt hatte niemand sie bemerkt. Gut so. So etwas konnte er eh als Letztes gebrauchen. Immerhin war die Gefahr groß, dass sie entdeckt werden könnten und der Flieger daraufhin wieder zurückkehrte und sie dann wieder auf der Straße landeten. Doch selbst für diesen Fall hatte er vorgesorgt. Auch wenn er selbst noch ein Kind war, sein Wille, in ein besseres Land zu kommen, war so stark, dass er über sich hinausgewachsen war und sich für jeden Fall vorbereitet hatte. Auch wenn es vielleicht etwas gefährlich und leichtsinnig erscheinen mochte, mit einer geladenen Pistole herumzulaufen. Aber da in ihrem Land eh ständig Krieg herrschte, war es nicht schwer, an Pistolen oder Maschinengewehre zu kommen, wenn man wusste, wo man nachfragen musste. Naja… nachgefragt hatte er nicht unbedingt. Er hatte sie einem der Zahal gestohlen, als seine kleine Schwester nach Essen gefragt hatte. So lief es meistens ab, wenn sie sich irgendwie durchschlagen wollten. Entweder bettelten sie, oder sie stahlen einfach. Das war der einzige Weg für sie, um auf der Straße zu überleben. Ins Waisenhaus konnten und wollten sie eh nicht. Er war dort schon mit sieben Jahren weggelaufen, als sich herausgestellt hatte, dass diese Waisenhäuser nur dazu da waren, um Arbeitskräfte auszubilden, nur um sie dann wieder schnellstmöglich loszuwerden. Er wollte nicht so enden und hinterher noch als Arbeitssklave herhalten müssen. Vor allem weil die Heimleiter die Kinder oft schlugen. Da lebte er lieber auf der Straße. Doch selbst da war das Leben hart und so war es seine einzige Hoffnung, in ein Land zu fliehen, in welchem die Lebensbedingungen deutlich besser waren. Und zu diesem Zweck war er in ein Flugzeug gestiegen, von dem er wusste, dass es ein Privatflieger war. Diese wurden nicht so streng kontrolliert wie die normalen und so war es leichter, sich an Bord zu schmuggeln. Wochenlang war alles geplant worden und nun hatte er es geschafft. Jetzt galt es nur, nicht erwischt zu werden, bevor sie lang genug in der Luft gewesen waren. Plötzlich aber zupfte seine kleine Schwester an seinem Ärmel und sah ihn mit ihren großen himmelblauen Augen gegangen. „Ich hab Durst“, flüsterte sie und schaute ihn mit einem bettelnden Blick an. Er sah sich um, doch er wollte lieber kein Risiko eingehen. „Halt noch etwas durch, ja? Wir müssen warten.“ „Aber ich hab jetzt Durst!“ Sofort hielt er ihr den Mund zu, denn da hörte er plötzlich Schritte, die näher kamen. Sein Herz begann schneller zu schlagen und kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Er hörte, wie jemand etwas sagte, was er mit etwas Mühe als Englisch identifizieren konnte. Nun, Englisch verstand er zum Glück, zumindest teilweise, aber mit dem Sprechen hatte er es hingegen weniger. Ob der Flieger etwa in die USA flog? Das traf sich ja noch besser. Dann hatten sie vielleicht tatsächlich eine Zukunft. Plötzlich kamen die Schritte näher und dann stand auch schon ein groß gewachsener glatzköpfiger Mann mit Sonnenbrille vor ihm. Er trug einen Anzug und sah furchterregend aus. „Was zum Teufel…“ Der Junge reagierte sofort und zog seine Pistole, entsicherte sie und richtete sie direkt auf das Gesicht des Mannes. Schnell stand er auf und stellte sich schützend vor seine kleine Schwester und machte sich bereit, sofort zu schießen. Auch wenn er niemanden töten wollte, so wollte er noch weniger wieder nach Hause zurückkehren müssen. Und jetzt konnte er sowieso nicht mehr zurück. Seine Pistole und seine Willenskraft, die ihn seine Schmerzen und sein Fieber vergessen ließ, waren seine einzigen Waffen, die ihm noch blieben. Stimmen von weiter hinten ertönten und der Junge hörte, wie der Mann nach einem gewissen „Boss“ rief. Der Junge wusste, dass der Mann Verstärkung holen wollte und rief deshalb in einem sehr gebrochenen Englisch „Du still oder du sterben! Ich will Amerika.“ Der Mann hob die Hände, doch es war schon zu spät. Es kamen noch zwei weitere Anzugtypen mit Sonnenbrillen und sie sprachen so durcheinander, dass der Junge kein Wort verstehen konnte. Er hörte immer wieder das Wort „Boss“ und wusste nicht, was das bedeutete. Da er rein gar nichts verstehen konnte, was die Männer sagten, feuerte er einen Schuss vor ihre Füße ab und rief „Ruhe! Nicht reden. Ihr mich bringen nach Amerika oder ich töte euch!“ Das kleine Mädchen, das durch den abgefeuerten Schuss aufgeschreckt wurde, schrie kurz auf und begann zu weinen vor Angst. Doch davon ließ er sich jetzt auch nicht ablenken. Die drei Männer würden ihn sofort überwältigen, wenn er jetzt die Pistole herunternahm und dann war es endgültig vorbei. Doch dann hörte er plötzlich eine weitere Stimme. Offenbar war noch ein vierter Mann an Bord. „Was ist hier los und wer hat da geschossen?“ Ein ziemlich reich aussehender Mann mit Kinnbart und Brille kam zum Vorschein. Er hatte sein schwarzes Haar akkurat zurückgekämmt und wirkte wie ein sehr wichtiger Geschäftsmann. Sofort stellten sich die Männer schützend vor ihn und nannten ihn Boss, während sie mit ihm sprachen. Ob das sein Name war? Der kleine Junge von der Straße ließ sich nicht beirren und hielt die Pistole weiterhin auf die Männer gerichtet. Zwar hatte ihn die Wucht des Rückstoßes fast aus dem Gleichgewicht gebracht und seine Hand tat weh, aber er ließ sich nicht beirren. Wild entschlossen stand er da und wirkte wie ein kampfbereiter Löwe, auch wenn er noch ein Kind war. Der Mann, der von den anderen „Boss“ genannt wurde, wirkte im Gegensatz zu den anderen Männern nicht so hektisch, sondern lächelte etwas amüsiert über den Anblick der beiden Kinder. „Na so was“, bemerkte er und lachte. „Ein blinder Passagier. Sag mal Junge, wie bist du hier reingekommen und was willst du mit der Knarre?“ „Wir gehen nach Amerika“, antwortete der Junge im gebrochenen Englisch. „Du mich hinfliegen, ja? Sonst ich schießen!“ „Boss, das ist gefährlich!“ rief einer der drei Männer und wollte ihn wegbringen, doch der „Boss“ blieb gelassen und trat näher. Er schien gar keine Angst zu haben, dabei hielt der Junge ihm eine geladene Pistole vor die Nase. Was war das nur für einer? Hinter ihm weinte seine kleine Schwester immer noch und kauerte sich ängstlich zusammen. Doch jetzt konnte der Junge von der Straße nichts für sie tun. Die Situation war zu gefährlich und er durfte sich bloß nicht ablenken lassen. Alles hing davon ab, dass er sich mit aller Gewalt durchsetzte und sie beide sicher nach Amerika brachte. Aber dann sagte der Mann plötzlich klar verständlich in seiner Heimatsprache „Du gefällst mir, Junge. Du scheinst mir ein richtiger Kämpfer zu sein und hast nicht mal einen Funken Angst in deinem Blick. Und du hast es geschafft, dich in mein Flugzeug zu schleichen zusammen mit der Kleinen, das war sicher nicht leicht. Sag mal, wie alt bist du denn?“ Es irritierte den Jungen ein wenig, dass der Mann tatsächlich israelisch sprach. Normalerweise beherrschten die Ausländer immer nur die Weltsprache Englisch und selbst dieses war teilweise sehr dürftig. Ein klein wenig entspannte sich der Junge als er sah, dass der „Boss“ ruhig blieb und offenbar vernünftig mit ihm sprechen wollte und sogar extra für ihn auf israelisch sprach. Darum antwortete er ihm auch ehrlich „Ich bin zehn.“ „Und das kleine Mädchen hinter dir?“ „Meine Schwester. Sie ist drei.“ „Habt ihr keine Eltern?“ Der Junge schüttelte den Kopf und antwortete, dass sie beide Waisenkinder waren und er seine Eltern durch eine Bombenexplosion verloren habe und es keine anderen Verwandten gab und er deshalb auf der Straße lebte. Der „Boss“ nickte und erkundigte sich „Und du wolltest mit deiner Schwester nach Amerika?“ „Ja“, antwortete der Junge. „Wir wollen nicht mehr im Krieg leben! Und darum wirst du mich nach Amerika bringen.“ Wieder richtete der Junge die Pistole auf den Mann und zielte direkt auf seinen Kopf. Er wusste, dass das ausreichte, um einen Menschen zu töten. Doch der „Boss“ ließ sich nicht sonderlich beirren und rückte seine Brille zurecht. Ein freundliches Lächeln spielte sich auf seine Lippen und irgendwie wirkte er ganz nett, auch wenn sich der Junge von der Straße nicht sicher war, wie er ihn wirklich einschätzen sollte. Dann aber sagte der Mann „Ich mag dich wirklich, Junge. Du kennst keine Angst und du kämpfst wie ein Löwe. Weißt du, ich habe meinen einzigen Sohn kurz nach seiner Geburt verloren und habe sonst keine anderen Kinder. Wenn er noch leben würde, dann wünschte ich, er wäre genauso ein tapferer Kämpfer wie du. Wie wäre es, wenn ich dich bei mir aufnehme, zusammen mit deiner kleinen Schwester? Dann kannst du bei mir in Amerika bleiben und ich hätte Kinder, für dich ich dann doch sorgen könnte.“ Die Männer, die den „Boss“ offenbar beschützen wollten, verstanden kein einziges Wort von dem, was gesprochen worden war und fragten deshalb nach, was denn los war. Daraufhin wurde ihnen auf Englisch erklärt, dass er die Kinder nach Amerika mitnehmen würde, doch sonderlich begeistert reagierten die Männer nicht und einer meinte auch „Boss, das ist verrückt. Der Bengel wollte uns töten! Er hat eine geladene Pistole!“ „Er wollte sich und seine Schwester schützen, du Trottel“, erklärte der „Boss“ daraufhin in einem strengen und herrischen Ton, der nichts von dem freundlichen Mann von eben hatte. „Und wenn ihr Hornochsen unfähig seid, es mit einem zehnjährigen Straßenjungen und einem dreijährigen Mädchen aufzunehmen, ist das allein eure Schuld. Der Kleine da hat wesentlich mehr Grips und Mumm als ihr alle zusammen und darum sage ich auch, er kommt mit uns. Wenn er erst mal alt genug ist, kann noch etwas Großes aus ihm werden. Dessen bin ich mir sicher.“ Und damit gaben sich die drei Leibwächter geschlagen und wurden weggeschickt, sodass nur der „Boss“ blieb. Langsam ließ der Junge die Pistole sinken, als er merkte, dass die Gefahr wohl vorbei war. Aber dennoch blieb er misstrauisch. Dann aber merkte er, wie ihm schwindelig wurde. Ihm war heiß zumute und er verlor das Gleichgewicht. Das Fieber rächte sich jetzt an ihm. Sofort fing ihn der Mann auf und rief einem seiner Leibwächter zu „Hol mal einer ein Glas Wasser. Der Junge hat Fieber!“ Behutsam nahm der Mann ihn auf den Arm und trug ihn zu einer Couch, auf welche er ihn legte. Ängstlich folgte das kleine Mädchen ihm. Wenig später kamen die Leibwächter wieder zurück und der Junge bekam noch einen kühlen Lappen auf die Stirn. „Du erstaunst mich wirklich, Kleiner“, sagte der Mann und lächelte wieder. „Obwohl du krank bist, hast du so etwas Gefährliches gemacht und dich an Bord eines Flugzeuges geschlichen und ohne zu zögern einen Mafiaboss bedroht, nur weil du dich und deine Schwester schützen wolltest. Du bist wirklich sehr tapfer. Mein Name ist übrigens Stephen Mason. Und darf ich deinen Namen erfahren?“ Der Junge rieb sich benommen die Augen und ihm war, als würde ihm sämtliche Kraft entzogen werden. Er war müde und erschöpft, was sicherlich vom Fieber her kam. Und obwohl er immer noch die Pistole festhielt und er Angst hatte, zurück nach Israel zu müssen, wirkten die Worte des Mannes so angenehm beruhigend und freundlich auf ihn wie ein Vater es vielleicht tun würde. Und darum antwortete er auch ohne weiteres: „Ich bin Araphel.“ „Und deine kleine Schwester?“ Damit deutete Stephen Mason auf das kleine Mädchen, das sich langsam wieder beruhigte, nachdem sie gemerkt hatte, dass die Gefahr vorbei war. „Das ist Ahava“, antwortete der Junge und wies seine Schwester mit einer winkenden Handbewegung, zu ihm zu kommen. Zögernd kam sie näher und blieb schüchtern zusammengekauert bei ihm. Mit einem freundlichen Lächeln streckte Stephen eine Hand aus und streichelte ihr den Kopf. „Ihr braucht keine Angst mehr zu haben“, sagte er schließlich. „Ich werde gut für euch sorgen, ihr beiden. Es wird euch gut gehen in Amerika.“ Kapitel 1: Der Hinterhalt ------------------------- „Strafe und der natürliche Hass gegen Schufte und der unausrottbare Drang, sich an ihnen zu rächen, ihnen heimzuzahlen, was sie verdient haben: das ist immerdar ein natürliches, richtiges, ja sogar göttliches Gefühl im Herzen eines jeden Menschen. Nur das Übermaß darin ist teuflisch.“ Thomas Carlyle, schottischer Philosoph Es herrschte eine ziemliche Lautstärke in der Bar, obwohl die Happy Hour noch gar nicht angefangen hatte. Aber da derzeit die Footballsaison lief, war es ja eigentlich nicht verwunderlich, wenn so ein Andrang herrschte und sich die Fans in Scharen um die Fernseher versammelten, um ihre jeweilige Mannschaft anzufeuern. Nun, auch Sam Leens war ein Fan der New England Patriots und ließ es sich bei gemeinsamen Abenden mit seinen Freunden nicht nehmen, aus voller Kehle den Quarterback Tom „Terrific“ Brady anzufeuern, wenn er über das Feld rannte und seinen Pass machte. Bei einer Flasche Bier klappte das alles ohnehin problemlos und man ließ sich halt schnell von anderen mitreißen. Aber heute war ihm nicht danach, insbesondere nachdem die Patriots das letzte Spiel gegen die Red Socks eh verloren hatten. Außerdem war er nicht zum Vergnügen her, sondern weil er sich mit seinem Kumpel Marco Illes traf, den er noch von der Polizeiakademie her kannte. Auch wenn es eine Zeit lang her war, so pflegte er immer noch sehr freundschaftlichen Kontakt zu seinen alten Kameraden von der Akademie, auch wenn er selbst nie Polizist geworden war so wie sein Bruder Lawrence. Es war nicht so, dass er dumm war oder so, dass er die Prüfung nicht geschafft hatte. Er hatte die Bestnoten gehabt und war der beste Schütze gewesen. Doch ein einziger Makel hatte ausgereicht, um ihm seine Hoffnung zu nehmen, in die Fußstapfen seines Vaters treten zu können. Warum nur musste er auch mit diesem verdammten Asthma gestraft sein, welches ihm immer wieder aufs Neue im Weg stand? Alle in seiner Familie waren Polizisten. Sein Vater Henry, sein älterer Bruder Lawrence und sogar sein Onkel Jeffrey. Selbst sein Großvater. Die Familie Leens hatte eine lange Polizeitradition und er war das schwarze Schaf, nur weil er bei extremen Stresssituationen einen so heftigen Asthmaanfall bekam, dass er während eines Trainings sogar kollabiert und fast gestorben wäre, weil sein Asthmaspray gerade nicht greifbar gewesen war. Sein Vater hatte ihn seitdem kaum noch beachtet und all seine Aufmerksamkeit auf Lawrence gerichtet. Lawrence Leens, der viel versprechende Sprössling, der keine solche Enttäuschung wie sein jüngerer Bruder war. Nun, zumindest hatte seine Mutter hinter ihm gestanden und gesagt, dass es Schlimmeres gäbe. Es hätte ja noch die Möglichkeit gegeben, dass er im Innendienst anfangen konnte, aber damit hatte sich Sam nicht zufrieden geben wollen. Er wollte aktiv sein und dem Abschaum der Bostoner Unterwelt den Kampf ansagen. Sein Ausbilder hatte ihm daraufhin die Adresse eines Detektivs gegeben, der ihn daraufhin unter seine Fittiche nahm. Und das war die beste Entscheidung gewesen, die er getroffen hatte, denn seitdem unterstützte er die Polizei auf seine Weise. Als Detektiv hatte er meist bessere Möglichkeiten und war nicht an unzählige Vorschriften gebunden, was ihm zusätzlich Bewegungsfreiheit gab. Und so hatte er auf seine Weise ja doch noch sein Ziel erreichen können, trotz des Asthmas. Aber dennoch nagte es bis heute an ihm, dass ihm gesagt wurde, er würde niemals Polizist werden. Sein Vater war mit Sicherheit schrecklich enttäuscht von ihm. Allein bei dem Gedanken schnürte sich bei Sam die Brust zusammen. Inzwischen war es knapp acht Monate her, seit sein Vater bei einem Einsatz ums Leben gekommen war. Bei einem Versuch, einen Menschenschmugglerring zu fassen, hatte es eine Schießerei gegeben, der Henry Leens dann schließlich zum Opfer gefallen war. Die Verantwortlichen hatte man dennoch festnehmen können und das war zumindest ein kleiner Trost. Dennoch war es für Sam ein schwerer Schlag gewesen und seitdem hatte er es sich zum Ziel gemacht, alles in seiner Macht stehende zu tun, um dem organisierten Verbrechen den Kampf anzusagen. Doch es nicht einfach. Insbesondere die drei Oberhäupter waren quasi unantastbar. Zwar gab es in Boston unzählige kriminelle Gruppen, aber es gab drei Gruppen, die die Bostoner Unterwelt regierten und sie waren die einflussreichsten und gefährlichsten. Alle drei Oberhäupter waren längst bekannt und jeder war auf seine Weise gefährlich. Sergej Camorra war auch als „der Patriarch“ bekannt, da er das älteste der drei Oberhäupter war. Seine Mutter, die der russischen Petrow-Familie abstammte, hatte damals den italienischen Mafiasprössling Giacomo Camorra geheiratet und dadurch hatte sich eine mächtige Allianz zweier Mafiamächte vereint. Er galt als geschickter Geschäftsmann, der den diplomatischen Weg bevorzugte, sich allerdings in einen wahren Teufel verwandeln konnte, wenn man es wagte, sich mit ihm anzulegen. Die Camorras kontrollierten das Glücksspiel, diverse illegale Untergrundgeschäfte und sogar Organ- und Menschenhandel. Außerdem hatten sie sehr viele Beziehungen in der Politik und der Polizei, was auch mit unter anderem der Grund war, warum sie so lange bestehen konnten. Der zweite war Araphel Mason, der Adoptivsohn des verstorbenen Mafiabosses Stephen Mason, der einem Giftanschlag zum Opfer gefallen war. Obwohl Araphel mit 31 Jahren noch recht jung für die Rolle des Oberhauptes war, hatte er durch seine Hartnäckigkeit und Willensstärke die Mafiafamilie, die nach Stephens Tod vor dem Zerfall gestanden hatte, zur derzeit mächtigsten in Boston gemacht und hatte seine Finger überall im Spiel. Schwarzmarkt, Immobiliengeschäfte, Schutzgelderpressungen, Drogenhandel, Erpressungen und illegale Glücksspiele sowie Anteile an Casinos in Las Vegas. Aufgrund seiner Unnachgiebigkeit, seinem gefürchteten Kampfgeist und seiner Entschlossenheit nannte man ihn auch „Araphel den Löwen“. Er war ein geborener Anführer und darum die wichtigste und stärkste Figur für die Mason-Familie. Würde er fallen, dann würde es das Ende der Mason-Familie bedeuten. Relativ neu in Boston war hingegen der Chinese Shen Yuanxian, der vor einigen Jahren die Kontrolle über die Shanghaier Triade Yanjingshe übernommen hatte und ihren Einfluss auch auf das Bostoner Vergnügungsviertel und ganz Chinatown ausgebreitet hatte. Er galt als skrupellos, kaltblütig, absolut gnadenlos und brutal und wurde am meisten gefürchtet. Es war kein Geheimnis, dass er nicht mal davor zurückschreckte, sogar seine eigenen Leute auf besonders grausame Art und Weise zu verstümmeln, zu foltern oder zu töten. Selbst vor Polizisten schreckte er nicht zurück und hatte den Unmut mehrerer Mafiagruppen auf sich gezogen, bevor er sie erbarmungslos vernichtete. Und das Schlimmste war: so grausam wie er war, so intelligent war er zur gleichen Zeit. Er verstand es bestens, seine Spuren vollständig zu verwischen und selbst den Giftmord am Polizeipräsidenten, der eindeutig Shens Handschrift trug, hatte man ihm nicht nachweisen können. Aufgrund seiner kaltblütigen Vorgehensweise, dem Hang zu Giftmorden und dem Töten der eigenen Leute wurde Shen meist als „Schlange“ oder sogar als „Schlangendämon“ bezeichnet. Nicht selten hatten Marco und die anderen gemeint, dass Shen kein Mafioso, sondern ein Killer war. Denn selbst die Mafia wagte es nur in den allerseltensten Fällen, einen Polizisten zu töten. Es gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen, denn einen Polizisten zu töten bedeutete, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen und die Mafia zog es vor, im Verborgenen zu agieren. Darum war es auch kein Geheimnis, dass in den letzten Jahren sehr heftige Spannungen zwischen den drei mächtigsten Clans herrschten. Insbesondere die Mason-Familie hatte es auf das Oberhaupt der Yanjingshe abgesehen, um den Mord an ihren letzten Boss zu rächen. Beide Clans bekriegten sich bis aufs Blut und es hatte besonders in der letzten Zeit viel Blutvergießen gegeben. Doch gleichzeitig konnte die Polizei wiederum Vorteile aus dieser Blutfehde ziehen. Denn da die Mason-Familie es anscheinend darauf abgesehen hatte, die Geschäfte der Yanjingshe zu vereiteln und zu sabotieren, hatte man viele illegale Bordelle hochnehmen und unter anderem auch Opfer von Menschenhändlern retten können. Doch es änderte nichts daran, dass der Krieg der beiden Clans zu einem großen Problem geworden war und man konnte von Glück reden, dass der alte Sergej Camorra sich aus dieser Geschichte raushielt und sich ruhig verhielt. Man konnte diesen Krieg auch schon als das Spiel von Schlange und Löwe um die Vorherrschaft betrachten. Und nun stellte sich die Frage, ob nun die Schlange oder der Löwe als Sieger hervorgehen würde. Auf jeden Fall würde der Kampf noch sehr hässlich werden. „Yo Sam!“ Sofort wurde Sam aus seinen Gedanken gerissen und sah auch schon seinen Kumpel Marco, der direkt neben ihm Platz nahm. Er grinste breit und wirkte gut gelaunt. „Na du machst ja ein Gesicht, Mann. Sag bloß, du bist immer noch frustriert, weil das mit dem Drogengeschäft fehlgeschlagen ist. Mach dir keinen Kopf deswegen. So was passiert und wir haben wenigstens die Dealer schnappen können.“ „Ja, aber dafür ist Araphel mal wieder fein raus…“ Es war kein Geheimnis, dass Sam es ganz besonders auf Araphel Mason abgesehen hatte. Schon seit dieser nach der Giftmordaffäre das Ruder übernommen hatte und die Mason-Familie zum derzeit mächtigsten Mafiaclan geworden war, lag Sams größte Motivation darin, ihn zu schnappen, denn er wusste, dass Araphel im Spiel der König war. Er war die treibende Kraft der Mafia-Familie und da es keinen potentiellen Nachfolger geben würde, da Stephen Mason sonst keine anderen Kinder oder Verwandten hatte, war es nur allzu klar, dass Araphels Sturz das Ende der mächtigsten Mafia-Familie bedeuten würde. Und als amtierende Nummer 1 der Bostoner Unterwelt war er ein beliebtes Ziel. Außerdem würde auch endlich der Krieg zwischen der Mason-Familie und der Yanjingshe enden, wenn einer von beiden zu Fall gebracht werden würde. Und momentan war die Yanjingshe noch unantastbar. Darum war es strategisch vorteilhafter, erst jenen zu Fall zu bringen, bei dem die Erfolgsquote höher lag. Marco wandte sich schließlich an den Barkeeper und bestellte zwei Drinks, dann klopfte er Sam freundschaftlich auf die Schulter. „Wieso bist du eigentlich so fixiert auf den Mason-Sprössling?“ „Warum wohl… na weil es Vaters Ziel gewesen war, die Mason-Familie dingfest zu machen. Und nun, da er tot ist und Lawrence genug um die Ohren hat, liegt es halt an mir, es zu Ende zu bringen. Das ist der Vorteil eines Detektivs: er kann sich seine Arbeit öfter aussuchen als ihr. Und außerdem… ich kann es nicht mit ansehen, wie Boston langsam aber sicher zu einem korrupten Drecksloch wird, das von der Mafia kontrolliert wird.“ Marco lachte und schüttelte den Kopf. „Du bist und bleibst wohl immer ein Idealist, was? Ich finde, du siehst das ein bisschen zu negativ. So verdorben ist Boston ja nun auch wieder nicht und es gibt genug Polizisten, die genauso sehr wie du diese ständigen Bandenkriege stoppen wollen.“ „Als ob nicht auch schon die Polizei korrupt genug wäre. Schlimmer als die Mafia sind doch im Grunde Staatsleute, die sich von der Mafia kaufen lassen und all das verraten, wofür sie eigentlich einstehen. Diese Menschen behaupten, so etwas wie Ideale zu haben, aber wer sie einfach so verrät, der hatte nie welche und ist nichts anderes als ein Heuchler.“ Damit schlug Sam mit der Faust auf den Tresen und rief die letzten Worte regelrecht. Diese ganze Situation regte ihn so sehr auf, dass er ihm plötzlich die Luft wegblieb und er nicht mehr atmen konnte. Schnell holte er das Asthmaspray aus seiner Tasche und rettete sich noch rechtzeitig genug vor einem erneuten Anfall. Marco schüttelte den Kopf und trank seinen Drink. „Es nützt nichts, sich darüber aufzuregen. Natürlich ist es frustrierend, den Abschaum in den eigenen Reihen zu haben, aber wenn du nicht auspasst, bringt dich das noch in Schwierigkeiten, Sam. Du bist kein Polizist, sondern nur Detektiv. Darum ist die Gefahr durch die Mafia wesentlich höher und ich kann nicht immer auf dich aufpassen.“ „Ich brauche keinen Aufpasser. Alles, was ich brauche, ist ein Mittel, mit dem ich Araphel endlich dingfest machen kann. Vater pflegte stets zu sagen, dass man das Übel immer an der Wurzel packen muss, um das Unkraut zu entfernen. Ansonsten wächst es immer wieder nach. Und deshalb… deshalb müssen wir die Mafiabosse schnappen. Auch wenn es lebensmüde ist, ich werde schon dafür sorgen, dass Vater nicht umsonst gestorben ist und wir endlich die Mason-Familie zerschlagen.“ Marco schmunzelte und schüttelte den Kopf. Natürlich wusste Sam, dass das, was er da von sich gab, ziemlich naiv klang. Aber das waren nun mal seine Überzeugungen. Auch wenn er aufgrund seines schweren Asthmas niemals Polizist werden würde, so wollte er auf seine Weise das Erbe seines Vaters fortführen, genauso wie es Lawrence tat. Er würde schon seinen eigenen Weg finden, um gegen die Mafia zu kämpfen, auch wenn es schwer und vor allem gefährlich war. Insbesondere in diesen Zeiten. Schließlich aber seufzte sein alter Kamerad von der Akademie und trank seinen Drink aus, wobei er nach einer Weile wieder zum Reden ansetzte. „Sag mal Sam, hast du eigentlich schon mal von dem Informanten gehört, der sich Morphius Black nennt?“ Nun wurde Sam hellhörig. Natürlich war ihm dieser Name bekannt. Morphius Black war ein gefürchteter Informant der Bostoner Unterwelt, der bis vor zwei Jahren regelmäßig die Bostoner Polizei mit Informationen versorgt hatte. Mit seiner Hilfe hatten viele illegale Geschäfte aufgedeckt werden können. Doch dann hatte Morphius seine Zusammenarbeit mit der Polizei schlagartig beendet und man hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört. Es war nicht mal sicher, ob er überhaupt noch am Leben war. Immerhin hatte er sich sogar in fremde Mafiaorganisationen eingeschlichen und war sogar an Insiderinformationen der Yanjingshe gekommen. Erstaunt hob Sam die Augenbrauen und fragte: „Morph ist wieder aktiv geworden?“ „Es scheint so“, murmelte Marco und reichte ihm einen kleinen Zettel. „Anscheinend ist er aus den Tiefen der Bostoner Unterwelt zurückgekehrt und will uns offenbar wieder unterstützen. Es soll wohl heute Abend ein Handel über die Bühne gehen.“ „Und was für ein Handel?“ „Druckermaschinen für Blüten. Die Camorra-Familie will sie für ein stolzes Sümmchen an die Mason-Familie verkaufen. Allerdings gibt es da ein Problem: zum gleichen Zeitpunkt soll ein Treffen der Oberhäupter stattfinden und darum hat die Polizei alle Hände voll zu tun. Immerhin wird es auch ein gewaltiges Mafiaaufgebot geben.“ So langsam verstand Sam, worauf das alles hinauslief. Die Clans nutzten die Gelegenheit während des Treffens, um weitere Geschäfte abzuwickeln, da sie wussten, dass die Polizei sich auf das Hauptgeschehen konzentrieren würde. Nun, in solchen Momenten war Sam froh, ein Detektiv zu sein. Er konnte sich um solche Sachen problemlos kümmern. „Also schön. Was genau verlangst du von mir?“ „Überwach alles und erstatte Bericht, wenn die Festnahme erfolgen soll. Es reicht, wenn du die Observation übernehmen würdest. Wenn du das Signal gibst, würde die Festnahme erfolgen. Mehr brauchst du nicht machen. Meinst du, du kriegst das hin?“ Bei dieser Frage musste Sam lachen und er bestellte sich sogleich noch einen Drink. „Ich bin ein Leens. Natürlich kriege ich das hin.“ Es war still und ein kühler Wind wehte. Sam harrte nun seit knapp zwei Stunden aus und wartete geduldig darauf, dass es endlich losgehen würde. Er hatte seine Kamera dabei, das Funkgerät und für alle Fälle seine Smith & Wesson. Man musste als guter Detektiv eben immer auf alles vorbereitet sein und nach allem, was er so über die Mason-Familie wusste, verstand diese überhaupt keinen Spaß, wenn sich irgendjemand in ihre Angelegenheiten einmischte. Es wäre also nur gefährlich, unbedacht zu handeln und unbewaffnet da reinzugehen. Na hoffentlich ging alles gut. Sicherheitshalber holte er noch mal das Fernglas heraus und suchte die Umgebung ab. Aber seltsamerweise sah er hier rein gar nichts. Ob wohl etwas dazwischengekommen war und die Übergabe an einen anderen Ort verlegt worden war? Womöglich hatte sich Morphius aufs Kreuz legen lassen, aber das konnte sich Sam nicht wirklich vorstellen. Morphius’ Informationen waren immer exakt gewesen und er galt als bester Informant in Boston. Die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums war hiermit ziemlich gering. Nun holte er sein Funkgerät, um Kontakt mit Marco aufzunehmen. „Hier ist Sam. Immer noch keine Spur von Mitgliedern der beiden Familien. So langsam beschleicht mich das Gefühl, als wären sie gewarnt worden, over.“ „Bleib erst mal hier und warte noch“, hörte er Marco von der anderen Leitung sagen. „Es kann gut möglich sein, dass sie absichtlich warten, um auf Nummer sicher zu gehen, over.“ Ja, das war auch möglich, allerdings hatte Sam irgendwie ein ganz merkwürdiges Gefühl bei der Sache. Er konnte es nicht genau benennen, aber manchmal hatte man einfach das Gefühl, als wäre etwas nicht in Ordnung. Ja, er war sich sicher, dass etwas Unangenehmes passieren würde, das sagte ihm einfach sein Bauchgefühl und auf dieses hatte er sich bis jetzt immer verlassen können. Irgendetwas stimmte hier nicht, er konnte aber noch nicht sagen, was es war. Nein, vielleicht steigerte er sich ja auch nur in irgendetwas hinein. Sam schüttelte den Kopf und versuchte diesen Gedanken zu vergessen und sich wieder auf die eigentliche Sache zu konzentrieren. Es brachte ohnehin nichts, sich jetzt verrückt zu machen. Wenn er jetzt nervös wurde, begann er nur nachlässig zu werden und das konnte er sich jetzt momentan eh nicht erlauben. Also atmete er noch mal tief durch und trank einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne, die er sicherheitshalber mitgenommen hatte, falls es länger dauern sollte. Einen Koffeinschub war jetzt ohnehin genau das, was er jetzt am Besten brauchen konnte, um konzentriert bei der Sache zu bleiben. Und während er da saß und die seit Jahren leer stehende Schuhfabrik beobachtete, musste er über so einiges nachdenken. Es war schon einige Monate her, seit sein Vater gestorben war, aber so ganz losgelassen hatte ihn das trotzdem nicht. Sein ganzes Leben hatte Henry Leens sein Leben der Mafiajagd gewidmet. Nicht nur er, sondern die ganze Familie Leens hatte den Camorras und Masons mehr als oft schwere Zeiten bereitet und ihnen jedes Mal die Stirn bieten können, ganz egal wie groß die Gefahr auch war. Doch kaum, dass dieser Shen aufgetaucht war, drohte alles zu zerbrechen, weil dieser nicht einmal den Gesetzen der Mafia folgte. Er tötete Polizisten, Politiker, andere Mafiagruppen und gewann immer mehr Einfluss und der Krieg zwischen den Mafia-Familien drohte früher oder später endgültig zu eskalieren. Tagtäglich ereigneten sich Schießereien, es gab Fälle von Auftragsmorden und es schien, als würde es kein Ende nehmen. Die einzige Hoffnung bestand darin, erst Araphel zu schnappen und dann einen Weg zu finden, Shen das Handwerk zu legen. Eine plötzliche Bewegung lenkte Sams Aufmerksamkeit auf das Geschehen zurück. Er sah, wie zwei Wagen zur alten Fabrik vorfuhren, die als Übergabeort bestimmt worden war. Es waren schwarz lackierte Wagen und eine Gruppe Männer stieg aus, von denen einer einen silbernen Koffer bei sich trug, in dem sich wohl Geld befand. Das waren dann also Leute der Mason-Familie. Sam schnappte sich sein Funkgerät und erstattete kurz Bericht, bevor er aus dem Wagen stieg und den Männern leise folgte. Zur Sicherheit hatte er eine kugelsichere Weste an, da die Leute aus der Mason-Familie schnell zum Waffengebrauch neigten. Außerdem war er schon mal angeschossen worden und hatte wahnsinniges Glück gehabt. Dieses Mal wollte er auf alles vorbereitet sein. Geduckt schlich er zwischen den alten verstaubten Maschinen her und blieb schließlich an einer Tür stehen, die in eine große Halle führte. Drinnen brannte Licht, also musste dort wohl die Übergabe stattfinden. Langsam kam er näher und blieb in allerhöchster Alarmbereitschaft. Jetzt durfte er sich um Gottes Willen keine Fehler leisten, ansonsten würde es noch brenzlig werden. Vorsichtig näherte er sich der Tür und lugte durch einen Spalt. Doch als er niemanden in dem Raum sah und diesen komplett leer vorfand, stutzte er für einen Moment und verstand nicht, was das sollte. Zumindest bist zu dem Moment, in welchem er das Klicken einer Pistole hörte, die gerade entsichert wurde. „Sieht so aus, als wäre da ein Mäuschen in die Falle getappt.“ Sam gefror das Blut in den Adern, als er realisierte, dass er erwischt worden war. Und nun begriff er es auch endlich: das war alles eine hinterhältige Falle gewesen. Langsam drehte er sich um und sah direkt in die dunklen Augen eines Mannes, der nur wenige Jahre älter war als er. Er trug einen Anzug, hatte schwarzes Haar und einen feindseligen und angriffslustigen Blick und auch sonst harte Gesichtszüge, die von einer abgehärteten und rauen Persönlichkeit herrührten, die keine Sanftmut kannte. Er war fast zwei Meter groß und sein Blick sah verdächtig danach aus, als wolle er seinem Gegner direkt eine Kugel durch den Schädel jagen. Mit einem inneren Entsetzen erkannte Sam, dass das nicht bloß irgendein Strohmann der Mason-Familie war. Es war das Oberhaupt der Familie selbst: Araphel Mason. Aber was machte er denn hier? Sollte denn nicht ein Treffen der Clanoberhäupter stattfinden? Ein amüsiertes und auch spöttisches Grinsen zog sich über das Gesicht des jungen Mafiabosses. „Für einen Schnüffler bist du echt miserabel, weißt du das? Auf so eine simple Falle hereinzufallen und nicht mal Verdacht zu schöpfen, ist ja wohl mehr als erbärmlich. Und ich dachte, du hättest echt mehr Grips für einen, der von einer Familie aus Cops abstammt, aber anscheinend bist du wirklich so dämlich wie du aussiehst.“ „Fahr zur Hölle!“ gab Sam zurück und hielt diesem alles durchdringenden Blick stand. Diese Augen, in die er da blickte… das waren nicht die eines Menschen. Das waren die eines Raubtieres, das keine Furcht kannte und niemals Schwäche zeigte. Es hatte schon fast eine dämonische Erscheinung, doch auf Sam wirkte es eher wie die eines schwarzen Löwen, der sich vor seiner Beute aufgebaut hatte, um seine Zähne in ihre Kehle zu vergraben, um sie zu erlegen. Eine wirklich respekteinflößende und furchterregende Erscheinung trotz der Tatsache, dass Araphel Mason gerade mal drei Jahre älter war als er. Doch davon wollte sich Sam gewiss nicht einschüchtern lassen. Er war ein Leens und er war stolz darauf, einer Familie anzugehören, die alles dafür tat, um es mit der Mafia aufzunehmen. Sein Vater hatte es sogar mit Shen aufgenommen und mit dem Leben bezahlt, darum würde er dessen Beispiel folgen, wenn es sein musste. Nie im Leben würde er sich von der Mafia einschüchtern lassen, dafür besaß er zu viel Stolz. Araphel, der diesen entschlossenen Blick sah, lächelte nur abschätzig und schlug die Pistole gegen Sams Stirn, woraufhin dieser durch den heftigen Schlag zu Boden fiel. Ein erneuter Tritt folgte, dann riss Araphel ihm das Funkgerät vom Gürtel und zertrat es auf dem Boden. „Tja, das war es dann wohl für dich. Und? Was ist? Willst du nicht wenigstens um dein Leben betteln?“ „Als ob ich so etwas nötig hätte“, gab Sam zurück und sah ihm direkt in die Augen. „Was soll die miese Tour hier überhaupt und warum ausgerechnet ich? Normalerweise legt sich die Mafia nie direkt mit Polizisten an!“ „Na warum wohl?“ rief Araphel und drückte seinen Fuß auf Sams Kopf, um ihn auf dem Boden festzunageln. „Ich hab die Schnauze voll von euch Schnüfflern und du hast dich oft genug in fremder Leute Angelegenheiten eingemischt. So etwas wie dich kann ich halt nicht gebrauchen. Und außerdem bist du kein Cop, sondern nur ein kleiner lästiger Schnüffler. Und da interessiert es mich einen Scheiß, wer deine Ve…“ Sam reagierte sofort und trat Araphel die Beine weg. Ein Schuss löste sich, der den 28-jährigen nur knapp verfehlte. Als der Mafiaboss zu Boden ging, riss Sam ihm die Waffe aus der Hand und wollte ihn schon festnehmen, da ertönte ein Schuss und eine Kugel streifte seine Schulter. Die anderen Männer kamen zur Verstärkung. „Shit!“ rief Sam und entschied sich lieber für den Rückweg. Das hier war eindeutig zu gefährlich für ihn. Schnell sprang er auf und rannte los. Er musste schnellstmöglich raus aus der Fabrik und die Polizei benachrichtigen. Doch wo sollte er hin? Den Haupteingang zu nehmen war jedenfalls Schwachsinn. Die würden ihn dort garantiert abfangen und erschießen. Es brachte nichts… er musste sich wohl einen anderen Weg einfallen lassen. Zum Glück hatte er sich noch vorher über die Fabrik erkundigt war nicht völlig unvorbereitet hergekommen. Also bog er direkt nach links ab und rannte weiter, seine Verfolger waren dicht hinter ihm und mit ihnen auch Araphel. Nie hätte Sam gedacht, dass er mal in so eine Falle geraten würde. Und noch mehr beschäftigte ihn die Frage, warum das passiert war. Konnte es tatsächlich sein, dass Marco ihn verraten hatte? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Marco und die anderen waren seine besten Freunde und er vertraute ihnen auch. Selbst sein Bruder Lawrence, der ein arrogantes Arschloch sein konnte, würde sich niemals mit der Mafia einlassen. Also wer war dann verantwortlich? War bereits die Nachricht von Morphius eine Falle gewesen? Nein, selbst der beste Informant hätte nicht wissen können, ob Henry Leens’ jüngster Sohn auch wirklich mit von der Partie sein würde. Und Morphius hatte nie gegen die Polizei gearbeitet, also gab es auch keinen Grund, dass dieser jetzt gemeinsame Sache mit der Mafia machte. Es musste also einen Verräter innerhalb der Polizei geben, der ihn verraten hatte. Schöne Scheiße… Selbst die Polizei war inzwischen vollkommen korrupt geworden. Nachdem er durch die Werkhalle gerannt war, verbarrikadierte er erst mal die Tür und hielt kurz inne um Luft zu holen. Seine Brust schmerzte und das Atmen fiel ihm sehr schwer. Na hoffentlich bekam er jetzt nicht noch einen Asthmaanfall, das konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Irgendwie musste er wieder zu Atem kommen und sich beruhigen, ansonsten sah es schlecht aus. Nachdem er kurz Luft geholt hatte, rannte er zu einem der Fenster, zerschoss es und kletterte hindurch, ungeachtet der Splitter, an denen er sich schnitt. Außerdem schmerzte seine Schulter, wo ihn der Streifschuss erwischt hatte. Aber angesichts der Tatsache, dass er Araphel gegenübergestanden hatte, konnte er von Glück reden, das Ganze überlebt zu haben. Doch irgendwie war es doch zu einfach gelaufen. Hatte dieser Kerl ihm vielleicht absichtlich einen Vorsprung gewährt, um seinen Jagdspaß zu haben? Tja, Araphel wurde eben der „Löwe“ genannt und war ein Kämpfer und Jäger. Und offenbar stand er wohl auf so einen abartigen Nervenkitzel. Etwas ungeschickt kletterte der 28-jährige durch die Öffnung und erreichte somit den Hinterhof. Zum Glück war das Gelände so dunkel, dass man kaum etwas erkennen konnte. So konnte er schnell zu seinem Wagen flüchten. Also lief er weiter und hörte die Schritte seiner Verfolger hinter sich. Sein Herz raste und er spürte, wie immer mehr Adrenalin durch seinen Körper gepumpt wurde. Verdammt noch mal, warum musste es auch so schief laufen und wieso hatte er nicht gleich erkannt, dass er gelinkt worden war? Wer um alles in der Welt hätte denn bitteschön einen Grund, ihn an die Mafia zu verraten? Wer? Sam rannte weiter, doch sein Atem wurde immer schwerfälliger und seine Brust schnürte sich immer mehr zusammen. Das war nicht gut, ganz und gar nicht! Wo zum Teufel war nur der verdammte Wagen? In der Dunkelheit konnte man doch so gut wie gar nichts sehen! Allmählich wurde er hektisch und seine Atmung ging immer schneller, doch es kam immer weniger Luft in seine Lungen. Durch die ganze Aufregung stand er kurz vor einem Anfall und das ausgerechnet in so einer Situation, wo er die Mafia auf den Fersen hatte. Beschissener konnte das Timing aber auch wirklich nicht sein. Heute war aber auch wirklich nicht sein Tag. Als er endlich die Hauptstraße erreichte, sah er seinen Wagen und eilte darauf zu. Zu spät sah er die Lichter des Wagens, der auf ihn zufuhr. Zu spät reagierte sein Körper auf die drohende Gefahr und alles, was Sam Leens noch wahrnahm, war das gleißende Licht, welches sein gesamtes Sichtfeld ausfüllte. Danach spürte er nur noch, wie ein rasender Schmerz durch seinen Körper jagte, als die Kühlerhaube des Wagens ihn erfasste und er von den Füßen gerissen wurde. Durch die Wucht dieser einwirkenden Kraft wurde er daraufhin gegen die Windschutzscheibe geschleudert es gelang ihm nicht, sich irgendwie zu schützen oder festzuhalten. Ihm war, als würde gewaltsam alles Leben aus ihm herausgepresst und sein Körper regelrecht zerschmettert werden. Er schaffte es nicht einmal, geistesgegenwärtig genug zu reagieren, um seinen Kopf zu schützen. Der Schmerz raubte ihm jegliche Kontrolle und als er nach einer Vollbremsung des Wagens auf dem Asphalt aufschlug, war ihm so, als würde sich für einen kurzen Moment wirklich alles in seinem Kopf ausschalten und jegliche Empfindung völlig betäuben. Erst als der Schmerz langsam wieder zurückkehrte und er nur schwach am Rande realisierte, was gerade passiert war, konnte er nur verschwommen etwas sehen. Er wollte aufstehen und gehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Alles, was er noch wahrnahm, war Schmerz und ein seltsames Schwindelgefühl in seinem Kopf, das eine fremdartige Lähmung mit sich brachte. Es fühlte sich seltsam an… es tat nicht mal mehr weh… offenbar war nun der Schockzustand eingetreten… Nur schwach am Rande hörte er Schritte und Stimmen. Doch er konnte kaum etwas hören. Er fühlte sich so benommen und kraftlos. Seine Lider wurden schwer und er wusste, dass ihn gleich die Ohnmacht überkommen würde. „Hey, Boss!“ rief einer der Männer, die inzwischen den Unfallort erreicht hatten. „Da liegt er!“ Nun war auch Araphel eingetroffen und sah, was passiert war. Ein Autounfall. Seine Leute, die ihm mit dem Auto den Weg abschneiden wollten, hatten den Detektiv wohl über den Haufen gefahren. Umso praktischer. Dann fand die Jagd jetzt zumindest auch ein Ende. Langsam trat er näher an ihn heran und sah, dass dieser wohl nicht mehr lange wach bleiben würde. Dafür hatte es ihn ziemlich böse erwischt. Er lachte und drehte Sam mit seinem Fuß auf den Rücken, um sein Gesicht sehen zu können. „Na?“ fragte er ihn. „Willst du immer noch weglaufen? Versuch es doch.“ Sams Blick war glasig und wirkte ziellos. Offenbar war er schon halb bewusstlos. Und doch… selbst jetzt zeigte er keine Angst. Obwohl er wusste, dass er hier nicht lebend rauskommen würde, hatte er keine Angst. Und mit letzter Kraft schaffte es der 28-jährige tatsächlich noch, etwas zu sagen, bevor er das Bewusstsein verlor. Worte, die den Mafiaboss sichtlich amüsierten: „Als ob ich vor jemandem wie dir weglaufen würde…“ Stille trat ein und als Araphel ihn mit dem Fuß anstieß, wurde er bestätigt: der Kerl war endgültig weggetreten. Nach dem Unfall war es ja auch kein Wunder, das musste ihn ja ziemlich böse erwischt haben. Er blutete ganz schön am Kopf und mit viel Pech waren ein paar Knochenbrüche auch dabei. Araphel warf seine Zigarette zu Boden und trat sie aus, wobei er mit einem spöttischen Lächeln „Was für ein Idiot“ murmelte. Danach wandte er sich zu seinen Leuten um, die von ihm neue Anweisungen erwarteten. Etwas herablassend deutete er auf den Schwerverletzten hinter ihm. „Packt ihn ein und bringt ihn zu Heian, der soll ihn wieder zusammenflicken.“ „Aber Boss!“ rief einer der Männer. „Er ist ein Detektiv! Wollten Sie ihn nicht…“ Bevor der Mann ausreden konnte, hatte der 31-jährige ihn auch schon an der Kehle gepackt und drückte zu, wobei er ihn mit einem Blick ansah, als wolle er ihn gleich hier auf der Stelle umbringen als Strafe für seine Widerworte. „Ich hasse es, mich wiederholen zu müssen, Jefferson. Packt ihn ein und bringt ihn zum Doc, oder sonst wirst du hier der Nächste sein, der unter die Räder kommt, verstanden?“ Als ein „Ja, Boss!“ zur Antwort kam, ließ Araphel von ihm ab und ging zusammen mit seinem Wagen, doch es war ihm anzusehen, dass es ihm immer noch in den Fingern juckte, den Kerl zu töten, der es gewagt hatte, seine Befehle anzuzweifeln. Beim nächsten Mal würde er nicht so nachsichtig sein, immerhin gehörte es zu den Gesetzen der Mafia, dem Boss bedingungslos zu gehorchen und ihm niemals zu widersprechen. Wenn er seine Pläne eben änderte, dann hatte das niemanden zu interessieren. Dieser Sam war aber schon eine Nummer für sich. Obwohl sein alter Herr von der Mafia getötet worden war und er genau wusste, was ihm geblüht hätte, hatte er nicht mal Angst gehabt und ihm bis zuletzt die Stirn geboten. Ein wirklich interessanter Kerl… die Frage war nur, wie lange das noch so bleiben würde und was es wohl brauchte, um ihn endgültig das Fürchten zu lehren. Tatsache war, dass die Familie Leens ihm schon genug Scherereien gemacht hatte. Und dafür, dass dieser kleine Schnüffler ihm schon oft genug Geschäfte versaut hatte, war es jetzt auch mal an der Zeit, ihm das alles zurückzuzahlen. Was brachte es schon, ihn einfach zu töten, wenn er ihn genauso gut brechen konnte? Das machte eindeutig mehr Spaß und brachte vor allem mehr Genugtuung. Kapitel 2: In der Falle ----------------------- „Unser Empfinden entscheidet viel rascher wie der Verstand, worauf auch zurückzuführen ist, dass wir einen Menschen vom ersten Augenblick an hassen können, ohne ihm je früher im Leben begegnet zu sein – ein Hass, der sich im Laufe der Zeit nicht als unberechtigt herausstellt.“ Wilhelm Vogel, deutscher Aphoristiker Es war ein seltsamer Traum gewesen, den Sam geträumt hatte. So ganz sicher war er sich aber nicht, ob es ein Traum gewesen war, oder ob sein Bewusstsein soweit genug zurückgekehrt war, dass er zumindest kleine Fetzen wahrnehmen konnte. Ihm war, als hätte er Stimmen miteinander reden hören und dann hatte er eine Melodie gehört. Sie war ihm irgendwie vertraut vorgekommen. Ein Chor hatte ein Lied gesungen, welches er schon in seiner Jugend in der Schule singen musste. Aber woher war Mozarts „Lacrimosa“ gekommen und warum war es erklungen? War es wirklich nur ein verrückter Traum gewesen? Langsam öffnete Sam seine Augen und das Erste, was er wahrnahm, war helles Licht. Er lag in einem Bett und für einen Moment dachte er, dass er zuhause war. Ja, mit Sicherheit hatte er gestern zu tief ins Glas geschaut und deshalb so einen Scheiß geträumt. Nun denn, jetzt musste er erst mal aufstehen und Sokrates, seinen Hauskater füttern. Ansonsten würde dieser noch den ganzen Tag beleidigt sein. Langsam setzte sich Sam auf, bemerkte dann aber sehr schnell, dass etwas nicht stimmte. Das hier fühlte sich nicht nach seinem Bett an und außerdem entsann er sich, dass da doch noch etwas anderes gewesen war. Aber was? Irgendwie waren seine Erinnerungen ziemlich verschwommen und außerdem tat ihm der Kopf ziemlich weh. Zudem fühlte er sich so seltsam. Ihm war schwummrig und heiß und ein merkwürdiges Gefühl ging durch seinen Körper. Als er auf seine Hände sah, bemerkte er, dass sie bandagiert waren. Und kurz darauf bemerkte er auch, als er sich umsah, dass er sich in einem völlig anderen Raum befand. Das hier war nicht sein Schlafzimmer… das war ein Keller, der mehr einer Gefängniszelle glich. Hier gab es nur ein Waschbecken und eine Toilette und ansonsten war der Bereich, indem er sich befand, von Gitterstäben abgegrenzt. Es sah wirklich aus wie in einem Gefängnis und nicht nur das. Als er seinen Hals ertastete, erkannte er, dass er sogar eine Fessel dort trug. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten und wieso trug er eine Halsfessel? Erneut versuchte er, sich an die letzten Geschehnisse zu erinnern, doch es fiel ihm mehr als schwer, die einzelnen Bruchstücke seines Gedächtnisses zusammenzufügen. Er wusste, dass er sich mit Marco in einer Bar getroffen hatte und dass es um einen Handel zwischen der Mason-Familie und den Camorras gehen sollte. Dann war irgendetwas schief gelaufen und er erinnerte sich nur noch, dass er geflüchtet war. Und dann… dann war da auf einmal ein grelles Licht gewesen und alles war daraufhin dunkel geworden. Aber wieso war er an einem solchen Ort? Fakt war, dass er hier so schnell wie möglich weg musste. Dieser Ort hatte nichts Gutes zu bedeuten, ganz bestimmt nicht. Also stieg er aus dem Bett und wollte zu der Tür gehen, die als Einzige aus dieser Zelle rausführte, doch kaum, dass er auf beiden Füßen stand, entwich ihm sämtliche Kraft und er verlor den Halt, woraufhin er auf die Knie fiel. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Seine Beine fühlten sich wie Gummi an und sein Herz klopfte wie verrückt. Und was war das nur für ein seltsames Gefühl in seinem Körper? Irgendetwas musste noch passiert sein, an das er sich nicht erinnern konnte. Er musste so schnell wie möglich weg von hier… irgendwie… Doch als er versuchte, zur Tür zu kriechen, musste er feststellen, dass die Kette an seinem Hals nicht lang genug war, dass er die Tür erreichen konnte. Egal wie sehr er sich auch streckte, es trennte sie knapp eine Handlänge voneinander. Verdammte Scheiße… was sollte das nur? Plötzlich hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde und sich Schritte näherten. Augenblicklich hielt er inne und sah einen groß gewachsenen Mann von 31 Jahren, der schwarzes Haar und einen angriffslustigen wie stolzen Blick und ein gefährliches Lächeln hatte. Er trug einen Anzug und strahlte etwas Erhabenes und gleichzeitig Bedrohliches aus wie ein Löwe, der seine Beute endgültig in die Enge getrieben hatte. „Ah, wie ich sehe bist du schon wieder fit genug, um herumzulaufen. Hast wirklich Glück gehabt, weißt du das? Jeder andere hätte sich noch massive Knochenbrüche bei so einer Aktion geholt, aber bei dir ist es lediglich bei einer Platzwunde, ein paar Schrammen und Prellungen geblieben. Wie es scheint, ist das Glück wirklich mit den Dummen.“ Araphel… der Boss der Mason-Familie und wohl auch sein Kidnapper. Allein sein Anblick reichte aus, um die verloren geglaubten Lebensgeister wiederzuerlangen und Sam schaffte es tatsächlich, aufzustehen. Doch immer noch war ihm ganz schummrig zumute und es fiel ihm schwer, das Gleichgewicht zu bewahren. „Was soll das heißen und wo bin ich hier?“ „Oh, hast dir wohl den Schädel zu hart aufgeschlagen? Nun, dann werde ich dich mal aufklären: du bist meinen Leuten vors Auto gelaufen und hattest einen Unfall. Du bist gegen die Scheibe gedonnert und auf der Straße liegen geblieben. Dann hab ich dich eingesammelt und hergebracht und dich verarzten lassen. Bin ich nicht ein barmherziger Samariter?“ „Barmherzig?“ rief Sam und versuchte, ihn zu packen, doch da die Kette an seiner Halsfessel nicht lang genug war, brachte es rein gar nichts. „Ein Retter würde einen Verletzten sicher nicht an die Kette legen wie einen Hund. Was hast du mit mir vor? Willst du von meiner Familie Geld erpressen? In dem Fall muss ich dich enttäuschen. Seit die Yanjingshe meinen Vater erschossen hat, lebt meine Mutter von der Witwenrente und Cops werden miserabel bezahlt. Und ich bin sogar mit der Miete im Rückstand. Von mir oder meiner Familie ist kein Geld zu holen.“ „Glaubst du echt, ich würde so ein Risiko eingehen?“ fragte Araphel kühl und öffnete nun die Tür, die in die Zelle führte und blieb mit verschränkten Armen direkt vor Sam stehen, der sich nur mit Mühe konzentrieren konnte. „Selbst wenn deine Familie in Geld schwimmt, wer wäre denn schon so dämlich, das Kind einer Copfamilie zu entführen? Den Ärger tu ich mir ganz sicher nicht an. Und dein Bruder wird sowieso nicht kommen, um dir zu helfen, genauso wie deine Freunde. Die stecken doch selbst bis zum Hals in der Scheiße.“ Sam hielt inne, als er das hörte und ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er das hörte. Nur mit Zögern fragte er: „Was?“ Araphel lachte herablassend und schien den Anblick seines Gefangenen sehr zu genießen. „Was glaubst du wohl, wer dich erst in diese Lage gebracht hat? Sowohl dein Bruder als auch dein angeblich bester Freund Marco Illes sind gute Kunden und haben mir schon des Öfteren mal den einen oder anderen Gefallen erwiesen als Ausgleich dafür, dass ich ihnen nicht die Arme breche, wenn sie die Schulden bei mir nicht zahlen. Tja, ich glaub dein alter Herr hat da wohl vergessen, euch einzutrichtern, die Finger von illegalen Glücksspielen zu lassen.“ Sam überkam eine unbändige Wut, als er das hörte. Nie und nimmer hatten Marco und Lawrence ihn verraten. Marco war sein bester Freund und er vertraute ihm. Sie hatten auf der Polizeiakademie sogar das gleiche Zimmer geteilt und auch wenn Lawrence manchmal ein arroganter Arsch war, so war er ein guter Polizist und es war einfach unvorstellbar, dass er sich auf solche Sachen einließ. „Den Scheiß kannst du jemand anderes erzählen, da musst du dir echt was Besseres einfallen lassen.“ „Du willst es also nicht wahrhaben?“ „Ich weiß, dass sie mich niemals hintergehen würden!“ „Du solltest mal besser aus deinem Wunschtraum aufwachen und in der Realität ankommen. Gerechtigkeit ist nichts Weiteres als eine fadenscheinige Illusion. Eine Schönfärberei, genauso wie solche Worte wie Idealismus, Moral, Rechtschaffenheit und Anstand. Das sind alles nichts als bloß Wörter, die die Menschen erfunden haben, weil sie nicht wahrhaben wollen, wie verdorben sie in ihren Herzen wirklich sind. Jeder Mensch hat seinen Preis, selbst Cops. Oder was glaubst du, warum Leute wie ich der Polizei immer entwischen können? Ganz sicher nicht wegen solch bescheuerten Vorstellungen und Weltansichten wie deinen. Ich hab dich ja echt für klug gehalten, weil du es immer wieder geschafft hast, mir in die Parade zu fahren und meine Geschäfte zu sabotieren, aber in Wahrheit bist du nichts anderes als ein naiver Schwachkopf. Und Leute wie du werden ihren Lebtag nur von anderen herumgeschubst und ausgebeutet, weil ihr euch an so dummen Werten haltet, auf die die gesamte Menschheit einen Scheißdreck gibt. Was für eine Enttäuschung… ich hatte wirklich mehr von jemandem erwartet, der so darauf versessen ist, mir ständig ans Bein zu pinkeln.“ Damit packte Araphel ihn und verpasste ihm einen kräftigen Schlag ins Gesicht, bevor er die Kette zu fassen bekam, die an der Halsfessel befestigt war und seinen Fuß draufsetzte und Sam somit zu Boden zwang. „Schau dich an, wo du gelandet bist“, rief der Mafiaboss und baute sich wie ein grausamer Herrscher vor ihm auf, der jeden Moment das Todesurteil verkündigen wollte. „Du kannst von Glück reden, dass ich so gnädig war, dir so viel Freiheit zu lassen, anstatt dir gleich die Arme und Beine zu brechen und dich in einem dreckigen Loch verrecken zu lassen wie einen räudigen Köter. Ich hätte dich genauso gut mit Drogen vollpumpen und dich an ein Bordell verkaufen können, bis du an AIDS verreckst. Du lebst einzig und allein deshalb noch, weil ich mir noch ein wenig Spaß mit dir erhoffe. Also sorg ja dafür, dass du mich auch gut unterhältst, ansonsten machen wir es nach guter alter Manier und ich behandle dich, wie es sich für jemanden geziemt, der sich die mächtigste Mafia-Familie von Boston zum Feind macht. Deine bescheuerten Ideale und Vorstellungen von Gerechtigkeit haben dich erst in diese Lage gebracht, also tätest du besser daran, sie einfach abzulegen und dich gut mit mir zu stellen, ansonsten wird das noch eine ziemlich unangenehme Zeit für dich.“ „Als ob ich dein Geschwätz nötig hätte“, giftete Sam zurück, doch es gelang ihm nicht, Araphel kräftemäßig die Stirn zu bieten. Sein Körper hatte kaum Kraft und ihm war so seltsam heiß zumute. Sein Herz raste regelrecht und da war so ein merkwürdiges Kribbeln… irgendetwas stimmte nicht mit ihm, doch er wollte sich möglichst nichts anmerken lassen. „Mag sein, dass meine Vorstellungen für manche naiv klingen, aber ich werde sicher nicht meine Ideale und Überzeugungen wegen jemandem wie dir einfach wegwerfen. Dann wäre ich kein Deut besser als die Cops, die du gekauft hast. Wer seine Ideale verrät, der hat keine und lieber sterbe ich, als so ein Mensch zu werden!“ Hier aber schien endgültig eine Sicherung bei Araphel zu platzen. Der nächste Tritt traf Sam gegen die Brust und presste alle Luft aus ihm heraus. Keuchend sank er auf dem Boden zusammen, doch da zerrte der Mafiaboss ihn hoch und schleifte ihn zum Bett. Ehe Sam sich versah, lag er auf der Matratze und sein Hemd wurde aufgerissen. Araphel selbst legte sein Jackett beiseite und öffnete die Knöpfe seines Hemdes, wobei ein mörderischer Ausdruck auf seinen Augen lag. Es war blanker Zorn und in diesem Moment traute Sam ihm alles zu. Tief in seinem Herzen wusste er, dass dieser Mensch zu allem bereit war und nur eines wollte: ihn quälen und ihn brechen. „Fein, du hast es so gewollt“, kam es von dem 31-jährigen, der nun damit begann, seinem Gefangenen die Hose zu öffnen und sie ihm mitsamt der Unterhose herunterzureißen. „Wenn du dein Leben aufgeben willst, dann gehört es von nun an mir.“ „Mo-moment mal… was soll das? Hey, was hast du vor?! Lass mich los!“ Als Sam erkannte, dass Araphel ihm da tatsächlich die Kleidung vom Leib gerissen hatte, bekam er nun wirklich Angst. Irgendwie schwante ihm Böses und er versuchte den Mafiaboss wegzudrücken, doch seine Arme hatten kaum Kraft und als Araphel sich zu ihm herunterbeugte und seinen Hals küsste, da ging mit einem Male ein heftiges Kribbeln durch seinen Körper und er verlor endgültig das letzte bisschen Kraft, um erfolgreich Widerstand zu leisten. Ein lautes Stöhnen entwich ihm und er spürte, wie ihm schwindelig wurde. „Hör… hör auf“, rief er und versuchte immer noch, Araphel wegzudrücken, doch er wusste selbst, dass er es nicht schaffen konnte. Und als eine Hand über seine Brust strich, spürte er nur allzu deutlich, wie sehr ihn dies erregte. Das war verrückt… vollkommen verrückt. Warum geschah das hier gerade und wieso reagierte sein Körper so merkwürdig? Mit Sicherheit war ihm irgendetwas verabreicht worden. Aber wieso machte der Boss der Mason-Familie so etwas mit ihm? War der Typ etwa… „Hör auf“, rief er erneut und versuchte seine Kraftreserven zu mobilisieren, doch das erschien ihm kaum noch möglich. „Wir sind beide Männer, verdammt!“ „Ja und?“ fragte der Mafiaboss unbeeindruckt. „Dafür scheint dich das ja ganz schön wild zu machen. Oder stehst du etwa drauf, wenn dein schlimmster Feind so etwas mit dir macht?“ Das war nicht gut… gar nicht gut. Wenn das so weiterging und er sich nichts Gescheites einfallen ließ, dann würde das hier vollkommen eskalieren. Doch egal wie sehr sich auch sein Geist dagegen sträubte, sein Körper wollte ihm einfach nicht gehorchen. Ehe er sich versah, hatte Araphel seine Handgelenke mit der Krawatte, die er abgenommen hatte, zusammengebunden, um seine Bewegungen zusätzlich einzuschränken. Wie ein Raubtier hatte er sich über ihn aufgebaut und nagelte ihn regelrecht auf dem Bett fest. Es gab kein Entkommen mehr. Beinahe hilflos lag der 28-jährige auf dem Bett und schaffte es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Körper wurde von einer unbeschreiblichen Welle der Lust und Erregung ergriffen, als Araphel wieder seinen Hals küsste und mit seinen Händen langsam seinen Körper umspielte. „Du hattest sicher noch nie solch einen intimen Kontakt mit einem Mann, oder?“ Irgendwie klang Araphels Stimme anders als in der Fabrik, vielleicht lag es aber auch an seiner verzerrten Wahrnehmung. Von dieser tiefen und nun fast hypnotischen Stimme ging eine seltsame Anziehungskraft aus, die ihm eine Gänsehaut bescherte. Er verstand es nicht, er verstand einfach nicht, was mit ihm los war. Wieso nur erregte es ihn so sehr, wenn Araphel ihn berührte? Ausgerechnet jener Mensch, den er mehr selbst unter Einsatz seines Lebens ins Gefängnis bringen wollte? Warum nur… warum war ihm so heiß zumute? Sein letztes bisschen Widerstandskraft schien dahinzuschmelzen, als er eine feuchte Zunge spürte, die seine Brustwarzen umspielte. „Das scheint dir ja wirklich zu gefallen, was?“ „Du Schwein… ni… nimm deine dreckigen Hände…“ Noch bevor Sam zu Ende sprechen konnte, hatte Araphel ihm einen Knebel in den Mund gestopft und mit einem bösen Funkeln warnte der Mafiaboss ihn: „Du solltest aufpassen, was du sagst. In deiner jetzigen Situation wäre es besser für dich, dich mit mir gut zu stellen und mich nicht zu verärgern. Ansonsten schneide ich dir die Zunge raus.“ Für einen Moment überkam Sam Panik, als Araphel ihn plötzlich auf den Bauch drehte und sein Gesicht aufs Kissen drückte. Er versuchte, sich irgendwie herauszuwinden und zu schreien, doch er wusste, dass es nichts bringen würde. Sein Körper war einfach zu schwach dazu und gegen Araphel kam er nicht an. Und schreien hätte sowieso nichts gebracht. Wer sollte ihn denn schon hören? „Du solltest besser stillhalten, wenn du nicht willst, dass ich dir den Arsch komplett aufreiße.“ Sam spürte plötzlich eine Berührung an seinem Gesäß und bekam Angst. Hatte dieser Kerl etwa wirklich vor, so etwas mit ihm zu machen? Das konnte doch nicht wahr sein! Er versuchte durch den Knebel zu schreien und Araphel aufzufordern, damit aufzuhören. Doch als er spürte, wie sich langsam ein Finger durch seinen Schließmuskel schob und tief in ihn eindrang, da überkam ihn wieder dieses irrsinnige Gefühl der Hitze und des Schwindels. Es fühlte sich so falsch an… ja es fühlte sich auf der einen Seite vollkommen falsch an, dass jemand ihn auf so eine Art und Weise berührte und dann noch ein anderer Mann. Und doch… warum reagierte sein Körper so heftig darauf? Wieso nur war da so ein widersprüchliches Gefühl, obwohl er falsch war? Obwohl Araphel ihn grob am Genick gepackt hielt so wie ein Löwe, der seine Beute auf dem Boden festnagelte, war ihm so, als würde es da auch etwas anderes geben. Eine Seite, die behutsamer war. Wieso nur machte sich der Kerl extra die Mühe und bereitete ihn vor, wenn er ihn doch genauso gut einfach so nehmen konnte, wenn es ihm doch so ein Vergnügen bereitete, ihn leiden zu sehen? Wo lag darin die Logik? Das machte doch keinen Sinn… Sams Hände verkrallten sich in das Kissen und still ließ er diese Prozedur über sich ergehen. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Er konnte dem Unvermeidlichen nicht entkommen und jede Gegenwehr würde nur dazu führen, dass es schlimmer werden würde. Selbst wenn die Tür nicht verschlossen wäre, die Halskette würde er nicht öffnen können und gegen Araphel konnte er körperlich eh nichts ausrichten. Wie man es auch drehte und wendete, er hatte nicht den Hauch einer Chance. Also blieb ihm keine andere Wahl. „Wie es scheint, hast du es langsam kapiert, dass du mir nicht entkommen kannst“, stellte Araphel fest und lachte. „So ist es fein. Und zur Belohnung dafür mache ich es weniger schmerzhaft für dich.“ Da Sam keine Gegenwehr mehr leistete, lockerte sich der Griff um sein Genick und dann ließ Araphel ihn los. Dabei war sich der 28-jährige nicht mal wirklich sicher, ob es nur ein Test war, um zu sehen, ob er immer noch versuchen würde zu fliehen. Er tat es nicht. Wie denn auch wenn es sowieso zwecklos war? Der Löwe hatte seine Beute schon längst festgenagelt und ihr jegliche Fluchtmöglichkeit geraubt. Als Araphel einen zweiten Finger hinzunahm und sie langsam zu bewegen begann, da durchfuhren heiße Schauer Sams Körper. Sein Körper hatte sich jeglicher Kontrolle entzogen. Obwohl es ein Mann war und dazu noch sein Feind, erregte es ihn dennoch, so berührt zu werden. Und als Araphel eine ganz empfindliche Stelle berührte, die erneut eine unbeschreibliche Woge der Erregung und Lust in ihm auslöste, zuckte er zusammen und ein und er rang nach Luft. Doch durch den Knebel wurde es mehr als schwer und zeitlich war ihm so, als würde er ersticken. Als Araphel seine Finger herauszog, entfernte er auch sogleich den Knebel aus Sams Mund, sodass dieser wieder vernünftig atmen konnte. Keuchend rang er nach Luft und er sank auf dem Bett zusammen. Sein Körper glühte regelrecht und Schweißperlen glänzten auf seiner Haut. So heiß… ihm war so heiß… „Entspann dich“, hörte er Araphel sprechen, doch sein Hirn schaffte es nicht, diese Worte zu verarbeiten. Eine fremdartige Lähmung hatte über seinen Verstand Besitz ergriffen und er konnte nicht einen klaren Gedanken fassen. Diese Gefühle, die sich in ihm aufgestaut hatten, wurden immer stärker und er konnte es nicht mehr länger ertragen. Es war zu viel für ihn. Er konnte es nicht mehr länger aushalten. Als er nun einen erneuten Druck auf seinen Schließmuskel spürte, verkrallten sich seine wieder in das Kissen, doch sein Geist war nicht mehr fähig, Widerstand auszuüben. Und als sein Schließmuskel gewaltsam auseinandergedrückt wurde, als etwas viel Größeres in ihn eindrang, da durchfuhr ein stechender Schmerz sein Innerstes. Immer tiefer drang dieser Schmerz ein und instinktiv begann er zu schreien. „Ah… hör auf… es… es tut weh…“ „Entspann dich, das lässt nach.“ „Nein, bitte… nimm ihn raus…“ „Du bist hier nicht in der Position, etwas einzufordern. Also beiß die Zähne zusammen.“ Sam keuchte und hatte das Gefühl, als würde es kurzzeitig dunkel um ihn herum werden. Alles in seinem Kopf drehte sich und ihm war, als befände er sich in einer Art Rausch. Er war nicht mehr fähig, richtig von falsch zu unterscheiden. Alles war wie hinter einem dichten Nebelschleier verschwunden, durch den er nicht hindurchsehen konnte. Alles, was er noch wahrnahm, war diese unbeschreibliche Woge der Lust, die über ihn kam, gepaart mit dem stechenden Schmerz, der nur für kurze Zeit diesen dichten Nebelschleier in seinem Kopf klären konnte. Doch es reichte nicht aus… immer und immer wieder verdichtete sich dieser Nebelschleier wieder und lähmte seinen Verstand. Araphels Bewegungen waren stark, unerbittlich und auch in einem gewissen Maße forsch. Und doch war da diese wilde Leidenschaft, die ihn vollständig in ihren Bann zog und der Sam nicht widerstehen konnte. „Ah…aaah!“ Araphels Stöße waren hart und jagten ihm immer wieder diesen stechenden Schmerz durch sein Innerstes, als wollte er ihm diesen für alle Zeit einprägen. Doch selbst dieser war für Sam kaum noch als solcher wahrzunehmen. Stattdessen füllte dieses atemberaubende Gefühl der Luft seinen gesamten Geist aus und ließ ihn wirklich alles um sich herum vergessen. Sein Verlangen, endlich abzuspritzen, wurde immer stärker und das Gefühl wurde langsam unerträglich. Das Blut kochte in seinen Adern und sein Herz schien förmlich zu explodieren. Alles in ihm schrie danach, endlich zu kommen. Doch etwas hielt ihn zurück. Etwas schnürte sich schmerzhaft um seinen Penis und seine Hoden und nahm ihm diese Möglichkeit. Doch was war es nur? „Wenn du kommen willst, musst du schon etwas dafür tun“, hörte er Araphels Stimme dicht an seinem Ohr raunen. „Sag, dass du willst, dass ich dich ficke, dann werde ich dir deinen Wunsch erfüllen.“ Sam biss sich auf die Unterlippe und versuchte in einem letzten Akt der Verzweiflung, wenigstens denn letzten Rest seiner Würde zu bewahren, dagegen anzukämpfen. Doch es war sinnlos. Genauso sinnlos wie der Gedanke, aus eigener Kraft von hier zu entkommen. Das alles brachte nichts… es war der Kampf eines Schmetterlings gegen einen Orkan. Wenn er nicht wollte, dass seine Flügel von der Böe in Fetzen gerissen wurden, musste er sich von der Woge freiwillig davonreißen lassen, um zu überleben. Er hielt es nicht mehr aus. Was brachte ihm sein Stolz denn jetzt noch in einer Situation, wo sein Leben in der Hand eines solchen Menschen lag? Er würde es nicht schaffen, das wusste er. Und darum musste er auch seinen Stolz hinunterschlucken und es ertragen. „Bitte…“ „Hä?“ fragte Araphel nach. „Du musst schon etwas lauter sprechen. Ich kann dich nämlich nicht hören.“ Mochte es an seinem Zustand liegen oder an seiner Verzweiflung, die ihn zu so etwas trieb. Doch in seiner jetzigen Lage war es ihm einfach nicht möglich, genügend Kraft aufzubringen, um sich an seinen Stolz festzuhalten. Tränen ließen seine Sicht verschwimmen, während er wie im Fieberwahn darum kämpfte, wenigstens Worte formulieren zu können. „Bitte… ich will, dass du mich fickst… ich will dich… tief in mir drin! Bitte, ich… ich halte es nicht mehr aus…“ Sam stöhnte laut, als Araphel immer härter und tiefer zustieß. Und als er eine Hand an seinem Penis spürte und der Druck, der ihn einengte und ihn bis jetzt unerbittlich zurückgehalten hatte, wich, brachen sämtliche Dämme bei dem Detektiv. In einem letzten Kraftakt kam er zu seinem Orgasmus und schweißgebadet sank er auf dem Bett zusammen. Doch eine Atempause wurde ihm nicht gegönnt. Araphel drehte ihn auf den Rücken und ihre Blicke trafen sich. Obwohl Sam nicht mehr ganz bei klarem Verstand war und der Nebelschleier in seinem Bewusstsein immer dichter und undurchdringlicher wurde, stachen diese zwei lauernden Augen dennoch deutlich hervor. „Vergiss niemals, dass du von heute an mir gehörst“, hörte er diese tiefe und hypnotische Stimme sprechen. „Dein Leben liegt von nun an allein in meiner Hand.“ Das war so ziemlich das Letzte, was Sam noch bewusst wahrnahm. Nachdem Sam endgültig das Bewusstsein verloren hatte und regungslos auf dem Bett lag, war Araphel längst dabei, sich wieder anzuziehen und knöpfte gerade sein Hemd zu. Ein zufriedenes Lächeln zog sich über seine Lippen, als er seinen Gefangenen in diesem Zustand da liegen sah. Alles lief perfekt und es hatte ihm mehr Spaß gemacht als erwartet. Als dann aber die Tür zum Keller geöffnet wurde und das Geräusch von Schuhen mit harten Absätzen zusammen mit der Musik von Schuberts „Ave Maria“ ertönte, drehte er sich um und sah, dass es Dr. Yugure Heian war, sein persönlicher Leibarzt, der auch für die medizinische Betreuung der anderen Mitglieder verantwortlich war. Dr. Heian war nur ein paar Jahre älter, hatte schwarzes Haar und trug eine Brille, die ihm eine kühle intellektuelle Ausstrahlung verlieh. Wie alle Ärzte trug auch er einen weißen Kittel und strahlte Kompetenz, aber auch etwas aus, das man schnell für kühle Arroganz halten konnte, auch wenn dem nicht so war. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte, dass er noch Schonung braucht.“ „Und ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte, dass es mir egal ist und dass du dich da raushalten sollst.“ Dr. Heian stellte den kleinen tragbaren Lautsprecher, aus dem die Musik ertönte, auf dem Tisch ab, zusammen mit seinem Koffer und rückte seine Brille zurecht, wobei er Araphel einen kühlen Blick zuwarf. „Als Arzt ist mir das Wohl meiner Patienten heilig und das gilt sowohl für dich, als auch für jeden anderen, den ich betreue. Ich mische mich nicht in deinen Bereich ein und du dich nicht in meinem.“ „Ts“, gab Araphel zurück und knöpfte sein Hemd weiter zu. „Hast du ihm was verabreicht?“ „Das musste ich wohl“, gab Dr. Heian ohne Umschweife zu. „Hätte ich es nicht getan, hätte er sich nur aufgeregt, was in seiner jetzigen Lage nicht förderlich wäre. Und für dich war das ja wohl auch zum Vorteil. Aber sag mal, was genau bezweckst du damit überhaupt? Hattest du nicht vor, ihn zu töten, um dich an seinen Bruder zu rächen? Wieso hast du ihn gerettet?“ „Weil ich halt noch ein bisschen Spaß mit ihm haben will, bevor ich ihn töte.“ Darauf sagte Dr. Heian nichts, sondern holte die nötigen Instrumente aus seinem Koffer, um mit der Untersuchung seines Patienten zu beginnen. Dazu prüfte er sowohl die Atmung, als auch den Puls und die Herzfrequenz. Es waren keine Auffälligkeiten feststellbar, wenigstens etwas. Eine Weile beschäftigte er sich nur mit seinem Patienten und sprach kein Wort, doch dann unterbrach er schließlich das Schweigen, als hätte er die Zeit lediglich dazu gebraucht, um richtige Worte zu finden für das, was ihm durch den Kopf ging. „Glaubst du, dass es dir etwas bringt, noch weiter an dieser Geschichte festzuhalten? Es ist vier Jahre her und es sollte auch mal der Zeitpunkt kommen, gewisse Dinge ruhen zu lassen.“ Hieraufhin wandte sich Araphel zu ihm um und warf ihm einen eiskalten und tödlichen Blick zu. „Willst du mir etwa sagen, ich soll das vergessen, nach dem, was sie meiner Familie angetan haben?“ „Das meine ich nicht“, erwiderte der Japaner und ließ sich von diesem Ton nicht im Geringsten einschüchtern, sondern blieb die Ruhe selbst. „Aber Gandhi sagte mal: ein Auge für ein Auge lässt die Welt erblinden. Ich würde wahrscheinlich genauso wütend sein und Rache nehmen wollen wie du. Aber du solltest nicht vergessen, was sie dir und deiner Schwester angetan haben und wie sehr ihr gelitten habt. Du solltest aufpassen, dass du dich nicht gänzlich von deinem Wunsch nach Rache zerfressen lässt, dass du Unbeteiligten das antust, was du am meisten verabscheust und nicht mehr in der Lage bist, die Situation klar zu erfassen, in die du dich bringst. Ich sage das, weil wir uns schon lange genug kennen und fast schon so etwas wie Freunde sind: ein Löwe ist ein starker und stolzer Herrscher und nicht umsonst das Symbol eines Anführers. Doch sowohl der Löwe als auch die Schlange stehen auch für das Symbol des Teufels. Wenn du dich zu sehr vom Gift der Schlange zerfressen lässt, wird aus dir genauso ein Dämon wie die Schlange selbst. Werde nicht zu dem, was du am meisten hasst, das ist meine einzige Bitte an dich. Denn ein Dämon ist weder ein Mensch noch ein Tier und nichts verwandelt eine Seele so schnell in einen Dämon wie eine, die von Hass und dem Hunger nach Rache und Vergeltung zerfressen ist. Rache holt die Toten nicht zurück, noch bringt sie die Erlösung. Stattdessen reißt sie uns unerbittlich ins Verderben und ertränkt uns in unserem eigenen Schmerz, in welchem wir dann endgültig zugrunde gehen.“ Nachdem der Arzt mit seiner Untersuchung fertig war und dem bewusstlosen Sam noch eine Spritze gegeben hatte, packte er seine Instrumente wieder in den Koffer. Dann verließ er den Keller wieder und Araphel blieb alleine zurück. Sein Blick wanderte zu Sam, der immer noch bewusstlos auf dem Bett lag. Eine Weile lang betrachtete er ihn, doch er sagte nichts, stattdessen wandte er sich nur von ihm ab und verließ ebenfalls den Keller. Kapitel 3: Das Treffen der Bosse -------------------------------- „Rache übe ich nie aus; in Fällen, wo ich gegen andere Menschen handeln muss, tue ich nichts mehr gegen sie, als was die Notwendigkeit erfordert.“ Ludwig van Beethoven, deutscher Komponist Das Licht im Raum war ein wenig gedämpft und obwohl die Atmosphäre auf einer unterschwelligen Ebene zum zerreißen gespannt war, büßte Sergej Camorra nicht eine Sekunde etwas von seinem charismatischen Lächeln ein, welches ihn oft wie ein durchtriebener Geschäftsmann erscheinen ließ. Er war ein wenig zu früh, aber er war es ohnehin gewohnt, lieber zu früh als zu spät zu kommen. Selbst als Oberhaupt einer Mafia-Familie, die hauptsächlich vom Menschen- und Organhandel lebte, legte er großen Wert auf Höflichkeit und die zeichnete ihn auch aus. Doch obwohl er wie immer fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit den Treffpunkt erreichte, wartete sein Gesprächpartner bereits auf ihn. Auf einem Sessel saß ein Mann, der einen Kimono mit goldenen Schmetterlingen trug. Trotz seines Alters von 42 Jahren wirkte er noch sehr jung und schön und seine fein geschnittenen Gesichtszüge und sein langes Haar verliehen ihm etwas sehr Erhabenes. Wie ein fernöstlicher Kaiser aus einer alten Zeit. Doch seine Augen verrieten seine wahre Natur. In ihnen befand sich kein Glanz, keine Wärme und kein Hoffnungsschimmer, nur Kälte und Tod. Augen, die keinem Menschen gehören konnten, da sie mehr den Augen eines Dämons glichen, den es nach nichts anderes mehr dürstete, als nach dem Blut seiner Feinde. Ein Grund dafür, wieso Shen auch als „Schlangendämon“ betitelt wurde. Auch wenn es wie ein gewöhnliches Treffen zwischen zwei Geschäftspartnern aussah, so war es gleichzeitig ein Spiel mit dem Tod und das wussten beide Parteien. Shen erhob sich von seinem Sessel und kam zu ihm hin, um ihn zu begrüßen. „Pünktlich wie immer, wie man es vom Bostoner Patriarchen erwartet, Mr. Camorra. Es ist mir jedes Mal eine Freude, Sie zu treffen. Allerdings wundert es mich, dass Mr. Mason nicht zugegen ist. Ich hoffe doch sehr, es ist ihm nichts zugestoßen.“ Shens Lächeln wirkte freundlich und vertraut, doch ein erfahrener Blick genügte um zu erkennen, dass es das falsche Lächeln eines Dämons war und bei Sergej Camorra verhielt es sich nicht anders. Doch das gehörte dazu. Freundlichkeit und vor allem Respekterweisung gegenüber dem Boss eines anderen Clans, mit dem man Geschäfte zu machen gedachte, musste man diese erweisen. Es gehörte zu den Gesetzen des Clans, die sogar Shen befolgte, da er seine geschäftlichen Beziehungen nicht gefährden wollte. „Es ist ihm etwas dazwischengekommen und er lässt sich entschuldigen“, erklärte der Patriarch auf Russisch und als Shen ihm die Hand zum Gruß reichen wollte, zog Sergej seine Hand mit der Erklärung zurück „Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, wenn ich aus Gründen des Selbstschutzes auf solche Förmlichkeiten verzichte. So wie ich höre, haben Sie immerhin den Polizeipräsidenten durch einen Giftring getötet, wie sie von Attentätern gerne verwendet werden.“ „Wie ich sehe, gehen Sie kein Risiko ein, wie es ebenfalls vom Patriarchen zu erwarten ist. Aber was ist der Grund, dass Sie mir nicht entgegenkommen wollen und wir uns auf amerikanischen Boden nicht in amerikanischer Sprache unterhalten?“ Sergej lächelte souverän und setzte sich Shen gegenüber und legte seinen Mantel ab. Aus seiner Tasche holte er ein kleines Metallkästchen, öffnete es und nahm eine Zigarre heraus. „Ich bin ein Mann mit Prinzipien“, erklärte der 51-jährige und zündete sich die Zigarre an. „Verhandelst du mit einem Freund, sprich in seiner Heimatsprache. Verhandelst du mit einem Feind, sprich in deiner Heimatsprache. Beleidigst du jemanden, verwende eine Sprache, die er nicht versteht.“ „Sie betrachten mich also als Ihren Feind? Etwa, weil Araphel Ihr Schützling ist?“ Das war eine äußerst gefährliche Frage, mit der Shen ihm auf eine unterschwellige Weise das Messer an die Kehle setzte. Unbedachte Antworten hätten sofort den Anschein erweckt, dass Sergej aus privaten Gründen Partei für die Mason-Familie ergriff und da diese eine Fehde mit der Yanjingshe hatte, wäre das auch für die Camorra-Familie äußerst gefährlich. Außerdem könnte Sergejs jetzige Position darunter leiden. Doch der 51-jährige war viel zu gelassen und vor allem ausgekocht, um sich von so einer Frage in die Falle locken zu lassen. Vor Shen hatten schon genug andere Bosse versucht, ihn zu Fall zu bringen und waren kläglich gescheitert. „Ich glaube, da verstehen Sie etwas falsch. In erster Linie bin ich Unternehmer und dann ein Mensch. Meine Beziehung zu Araphel Mason hat nichts mit meinen Geschäften zu tun. Ich bin seinem alten Herrn einen Gefallen schuldig und habe ein Auge auf ihn, nicht mehr und nicht weniger.“ „Das ist schön zu hören, dass Sie sich die Neutralität bewahrt haben, für die der Bostoner Patriarch doch erst bekannt geworden ist“, gab Shen darauf mit einem zufrieden wirkendem Lächeln zurück und goss sich eine Tasse Tee ein. Sie beide wirkten entspannt und redeten gesittet miteinander, doch die Luft zwar dick und die Spannung wäre für einen normalen Menschen kaum auszuhalten gewesen. Es war kein Geheimnis, dass Shen es auf die Macht der gesamten Bostoner Unterwelt abgesehen hatte und dazu auch die anderen Oberhäupter ins Visier genommen hatte. Wie eine Schlange lag er bereits auf der Lauer und wartete nur auf eine Gelegenheit, in der sich sein Opfer eine Blöße gab. Doch Sergej Camorra hatte weit genug gedacht, um sich fürs Erste abzusichern. Als Geschäftsmann hatte er Shens Interesse am Bostoner Rotlichtviertel genutzt und geschäftliche Beziehungen zu ihm geknüpft. Immerhin ließ er Frauen aus Russland einschleppen, um sie an Bordelle zu verkaufen. Diese gehörten Shen und so war eine Zusammenarbeit von Nöten, von der sie beide profitierten. Nicht selten verglich man Sergej deshalb mit einem Fuchs, der die Tatsache nutzte, dass er dieselbe Beute jagte wie die Schlange und darum einen Pakt mit ihr schloss, anstatt sich gegen sie zu wenden. Und doch durfte er nicht einen Augenblick lang Blöße zeigen, ansonsten würde die Schlange ihn mit ihren Giftzähnen beißen und töten, wenn er ihr auch nur für eine Sekunde den Rücken zuwandte. „Ich hoffe, ich kann weiterhin mit Ihrer freundlichen Unterstützung rechnen. Ihre Ware ist in meinen Bordellen sehr gefragt und insbesondere der „besondere Service“ ist in den letzten zwei Jahren rapide angestiegen. Darum würde es mich sehr freuen, wenn wir als Geschäftspartner weiterhin gut miteinander auskommen, mein sehr verehrter Mr. Camorra.“ „Das liegt ebenso in meinem Interesse, Mr. Yuanxian.“ Ein freundliches und fast schon warmherzig andeutendes Lächeln zeichnete sich auf Shens Gesicht ab und auch Sergej erwiderte diese Geste. Doch hatte diese Geste nicht die geringste Spur von Ehrlichkeit an sich und dieser Tatsache waren sich beide Parteien durchaus im Klaren. Dennoch war diese Geste von Nöten, denn eine Kränkung hätte fatale Folgen. Es galt, die Situation souverän zu meistern und oberste Vorsicht zu wahren. Normalerweise war die Atmosphäre nicht so sehr angespannt, wäre da nicht die Tatsache, dass Shen gnadenlos jeden jagte, der in seine Reichweite kam und der eine willkommene Beute darstellte. Schließlich aber, nachdem Shen seinen Tee ausgetrunken hatte, stellte er eine Frage an Sergej. „Bei unserem letzten Treffen hatten Sie mir deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie die Yanjingshe nicht als Mafiaorganisation anerkennen. Dürfte ich erfahren, was Sie dazu veranlasst hat?“ „Nun, die Mafia ist ein Unternehmen, kein Killerkommando. Sie unterscheidet sich nicht sonderlich von einem gewöhnlichen Unternehmen, lediglich darin, dass das eine vom Staat verfolgt und das andere vom Staat geschützt wird. Ich bin nicht sehr versiert darin, wie die Gesetze der chinesischen Triaden aussehen. Aber mit den westlichen Familien verhält es sich so, dass es bestimmte Gesetze gibt. Mein Vater erklärte mir einst, dass eine Familie wie ein Staat ist. Es gibt eine Hierarchie und feste Gesetze, die einzuhalten sind. Der markante Unterschied besteht darin, dass die Mafia es nicht nötig hat, ihre Gesetze zu verkomplizieren und sie schriftlich festzuhalten. Der Boss ist das Familienoberhaupt, der Patriarch. Er führt sie an und hält sie zusammen. Die Hierarchie wird streng eingehalten und alle gehorchen ihrem Patriarchen bedingungslos.“ „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Allerdings erklärt dies nicht, warum Sie die Yanjingshe nicht als Mafia anerkennen wollen.“ „Ich sprach nie von der Triade an sich. Es sind Sie, den ich nicht als Boss anerkenne. Verstehen Sie dies nicht als persönlichen Angriff. Als alter Hase und als Sprössling einer alteingesessenen Familie, die schon den ersten Weltkrieg und die Depression überstanden hat, mögen meine Ansichten vielleicht nicht mit denen anderer Bosse übereinstimmen. Aber Sie müssen eines wissen: ein Boss ist nicht bloß ein Alleinherrscher. Er ist wie der Anführer eines Rudels. Er kämpft an vorderster Front für den Fortbestand seines Rudels, hält die Gesetze ein und bewahrt ebenso die Hierarchie. Um ein Boss zu sein, bedarf es nicht nur eines guten Geschäftssinns, sondern vor allem auch Führungsqualitäten. Er beherrscht seine Untergebenen nicht nur, er führt sie an und muss die Gabe besitzen, auf sie einzugehen und dennoch seine Autorität zu wahren. Der Unterschied zwischen Araphel und Ihnen ist einfach: ein Löwe jagt niemals um der Jagd willen, sondern lediglich um den Fortbestand zu sichern. Er jagt im Rudel und ist ein geborener Anführer, der das tut, was nötig ist, um das Überleben seines Rudels zu sichern und seine Macht zu wahren. All seine Handlungen stehen allein im Interesse des Rudels und sind nicht seine allein. Eine Schlange hingegen jagt immerzu alleine. Sie ist ein strikter Einzelgänger und sie kennt so etwas wie Gemeinschaftssinn nicht. Von Geburt an ist sie auf sich allein gestellt und das Fatale an der Schlange ist ihre Gier: verfangen sich zwei Schlangen in ein Beutetier, verschlingen sie die andere Schlange einfach mit und da sie oftmals ihre Grenzen nicht kennen, wird die Gier zum Todesurteil der Schlange. Verstehen sie nun? Eine Schlange ist ein äußerst mächtiges und gefährliches Tier, aber sie kann keine Gruppe anführen, da sie dazu neigt, selbst ihre eigenen Artgenossen zu fressen.“ „Das sind also Ihre Ansichten?“ fragte Shen und er lachte amüsiert. Selbst sein Lachen war eiskalt. Normalerweise hätte Sergej es nicht gewagt, solch gefährliche Worte an das Oberhaupt der mächtigsten Shanghaier Triade zu richten, doch da er durch seinen Pakt mit Shen ein gewisses Maß an Sicherheit hatte, konnte er sich dieses Recht durchaus nehmen. Es galt nur, den formellen Ton zu bewahren und seine Wortwahl gut abzuwägen. „Ihre Ansichten einer Familie sind wirklich sehr interessant und vielleicht auch inspirierend, allerdings erscheint sie mir wirklich etwas altmodisch. Uns trennen zwar nur neun Jahre Lebenserfahrung, allerdings kann ich von mir behaupten, modernere Ansichten zu haben und mit der Zeit zu gehen. Die Zeiten ändern sich, genauso wie die Mafia.“ „Mag sein, dass ich nicht immer mit der Zeit gehe, aber als alter Hase hat man eine andere Sicht der Dinge und geht sie auch anders an. Der Vorteil des Älterwerdens liegt darin, dass man eine größere Gelassenheit und Geduld entwickelt. In meiner Jugend war ich ein ziemlich energiegeladener Jungspund gewesen und die Dinge konnten sich nicht schnell genug für mich entwickeln. Inzwischen weiß ich, dass Pflanzen Zeit brauchen, bis sie Früchte tragen und mit den Jahren habe ich die nötige Gelassenheit und Geduld entwickelt, die von Nöten ist, um auf den perfekten Zeitpunkt zu warten, an dem die Ernte am größten ist. Vor allem aber erlangt man mit dem Alter eine gewisse Nachsicht gegenüber seinen Mitmenschen. Wenn man mich ein Mal beleidigt, sehe ich darüber hinweg und vergesse den Vorfall. Beim zweiten Mal belasse ich es bei einer Verwarnung. Beleidigt man mich aber ein drittes Mal, verteile ich dessen Schädelinhalt höchstpersönlich über den Tisch.“ Einen Augenblick herrschte Stille und die Luft war vergleichbar mit jenem Phänomen, welches man insbesondere kurz vor einem schweren Unwetter deutlich wahrnahm. Man wartete darauf, dass es mit einem lauten Donnern hereinbrechen würde. Man wusste, dass es kommen würde, weil man es mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte. Doch niemand konnte sagen, wann es endlich soweit sein und wie verheerend es wirklich werden würde. Schließlich aber holte Sergej aus seinem Mantel einen kleinen Flachmann hervor, wobei er weiter erzählte. „Die Gesetze der Mafia unterscheiden sich zu einem gewissen Teil je nach Nationalität und Gruppe, aber in folgenden Punkten ist fast jede in ihren Ansichten gleich: die Ehefrau eines Mafioso ist ihm heilig und er wird sie niemals betrügen. Kein Mafioso hat Kontakt oder Verwandtschaft zur Polizei und ähnlichen Organisationen und die Mafia steht an alleroberster Stelle, selbst dann wenn die Ehefrau gerade entbindet. Wer eine Vendetta beginnt, der muss gute Gründe vorweisen können, wie etwa der Mord an einem hochrangigen Mitglied. Fußleute zählen nicht dazu. Den Befehlen des Bosses ist bedingungslos Folge zu leisten, Frauen haben in der Mafia nichts zu suchen, ebenso wie Drogensüchtige in einer Familie, die mit Drogen handelt. Gegenüber seinem Boss und seinen Kameraden besteht unbedingte Wahrheitspflicht, Diebstahl innerhalb der Familie ist genauso untersagt wie der Diebstahl an anderen Familien. Und Aussteiger werden genauso bestraft wie Verräter. Nun, einige der Gesetze mögen etwas konservativ erscheinen, was aber auch größtenteils daher kommt, weil diese Gesetze von alten, konservativen Herren geschrieben worden sind. Tja, das mit dem Alter ist so eine Sache… Je älter man wird, desto mehr Laster kommen hinzu. Ich habe noch nie einen guten Wein oder einen wahren russischen Wodka verweigert. Eine kleine Schwäche, könnte man sagen. Aber wissen Sie, darum gibt es die Mafia ja erst. Sie lebt von den Schwächen der Menschen, nämlich ihrer Gier. Es sind so einfältige Wesen, die sich so leicht verführen lassen, dass es den Herrgott wirklich grämen muss, wie sehr seine Schöpfung verkommen ist. Sie und ich bilden keine Ausnahme. Wir alle werden von unserer eigenen Gier getrieben und beherrscht. Sei es die Gier nach Macht und Reichtum, das Verlangen nach Vergeltung, sexuelle Gelüste oder der Hunger nach Wissen. Der Mensch ist ein gieriges Wesen und selbst wenn er ein Jahrhundert lebt und ein Jahrhundert lernt, so stirbt er letzten Endes doch als Dummkopf. Darum braucht das Neue auch das Alte, damit es lernen kann. Ich mag trotz meiner 51 Jahre schon zum alten Eisen gehören, aber ich erteile der Jugend gerne den einen oder anderen Rat, das macht einen guten Patriarchen nun einmal aus. Sie und ich, wir haben viel gesehen, Sie vielleicht sogar noch mehr als wir alle. Sie mögen es verbergen, aber es steht in Ihren Augen geschrieben, dass Sie die tiefsten Abgründe der Menschheit erblickt haben. Ich weiß nicht, was Sie dazu bewegt hat, das zu tun, was Sie jetzt tun. Ich will Sie weder belehren, noch Sie in irgendeiner Art und Weise kränken. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich trotz meiner schlechten Augen sehr wohl in der Lage bin zu erkennen, wann eine Schlange frisst um zu leben, oder wann sie ihre eigenen Artgenossen aus einem anderen Hunger heraus frisst. Verzeihen Sie, wenn ich zu viel rede. Meine Redseligkeit zählte schon stets zu meinen Schwächen.“ Doch Shen winkte nur mit einem Lächeln ab und versicherte „Es ist immer schön, weisen Männern zuzuhören, die bereit sind, ihren Erfahrungsschatz mit anderen zu teilen.“ Nach einer sehr höflichen Verabschiedung erhob sich Sergej und verließ das Hinterzimmer des Clubs, welches Zwecks für dieses Treffen reserviert worden war. Eine Weile blieb Shen sitzen, bevor er sich ebenfalls erhob und ging. Draußen vor dem Club wartete sowieso die Limousine, die ihn zurück zu seiner Villa fahren würde. „Und wie ist das Treffen verlaufen, Boss?“ fragte sein Berater und Vertrauter Liu Cheng, der wie angewiesen in der Limousine gewartet hatte, da zu einem Clantreff niemand sonst als die Bosse Zutritt hatten. Einzige Ausnahme bildete der Unterboss, der in absehbarer Zeit die Nachfolge übernehmen würde. Ein eisiges Lächeln spielte sich über Shens Lippen und er hob vorsichtig seinen rechten Arm. Unter den Ärmel seines Gewandes kam langsam der Kopf einer Schlange hervor, näher gesagt der Kopf einer schwarzen Mamba. „Ich habe ihn unterschätzt“, erklärte er seinem Berater, mit dem er sich genauso wie mit allen anderen Mitglieder der Triade auf Chinesisch unterhielt. „Er hat meine Absichten sofort durchschaut und sich keinen Moment lang die geringste Blöße gegeben. Er hat selbst meine Person durchschaut, genauso wie meine Mordabsichten. Er ist klüger als erwartet.“ „Sollen wir uns um ihn kümmern?“ „Nein, das ist nicht nötig. Fürs Erste profitieren wir noch von unserem Geschäftsbündnis und darum verschieben wir unsere Pläne bis auf Weiteres.“ Shen strich vorsichtig über den Kopf der Schlange, die ihrerseits vollkommen ruhig blieb und nicht die geringsten Anstalten machte, ihn anzugreifen. Warum auch? Shen hatte schon seit seiner Kindheit eine sehr enge Bindung zu diesen Tieren gehabt. Er war mit ihnen groß geworden und sie waren zu einem Teil seines Wesens geworden. Selbst als er damals als kleiner Junge in eine Schlangengrube geworfen worden war, war er nicht ein einziges Mal angegriffen worden. Vielleicht, weil sie gespürt hatten, dass er ihnen ähnlich war. Ja, es war wie Sergej gesagt hatte: er war eine Schlange, die ihre eigenen Artgenossen verschlang und vor nichts zurückschreckte. Ja, auch er schreckte vor nichts zurück. Er würde jeden verschlingen und ins Verderben reißen, der ihm zu nahe kam. Doch das war ihm nicht genug. Er wollte nicht bloß zerstören und alles vernichten, was ihm in die Quere kam. Das reichte ihm nicht aus. Sein größtes Werk war ja noch nicht vollendet. Nicht mehr lange würde es dauern, bis er sein Geschöpf auf diese Welt loslassen und den Zorn entfesseln konnte, den er so lange in sich getragen hatte und den er seiner wohl größten Schöpfung hinterlassen würde… seinem Monster, das noch nicht vollständig erweckt war. Allein der Gedanke ließ bei ihm ein gewisses Gefühl der Genugtuung aufkommen. Sollte der Patriarch ihn doch für einen Killer halten, der die Mafia nur für seine eigenen Zwecke benutzte. Es war ihm egal und er war auf die Belehrungen dieses altmodischen Mafioso nicht angewiesen. Schon bald würde es eh vorbei sein. Dann war die Mafia allein in seiner Hand und er selbst würde der Schöpfer eines Dämons werden, der alles vernichten würde, was er nicht beherrschen konnte. Genauso wie er, Shen Yuanxian, ein Dämon war, der alles beherrschen würde, was er nicht zerstören konnte. Es würde ein herrliches Spiel werden, fast schon zu einfach mochte man meinen. Alles, was er nur dazu brauchte war, den Hass weiter zu schüren. Selbst der stolze schwarze Löwe hatte seine Wildheit längst verloren und merkte nicht, dass er sich schon längst in einem Käfig befand. Er musste nur noch entsprechend abgerichtet werden, damit man mit ihm spielen konnte. Darauf freute sich Shen schon besonders. Denn was nutzte es ihm, einen Löwen niederzustrecken, wenn er ihn genauso gut kontrollieren konnte? Kapitel 4: Aussichtslos ----------------------- „Vielleicht rächen wir uns für unsere Unfähigkeit, indem wir andere Wesen foltern.“ Alexander Iwanowitsch Herzen, russischer revolutionärer Schriftsteller Sams Kopf fühlte sich bleischwer an, als er langsam aufwachte und selbst danach war ihm noch ziemlich flau im Magen. Sein linker Arm tat weh und als er sich aufsetzen wollte, durchfuhr ein stechender Schmerz sein Gesäß und er biss sich auf die Unterlippe. „Du solltest besser noch liegen bleiben. Nach dem, was passiert ist, brauchst du Bettruhe.“ Erst einen Moment später registrierte Sam, dass ein Mann neben seinem Bett stand, der einen weißen Kittel trug und den Gesichtszügen nach ein Asiate war. Dabei sprach er vollkommen akzentfrei Englisch. Benommen rieb sich der 28-jährige die Augen und spürte, wie trocken eigentlich seine Kehle war. Selbst als er den Mann „Wer sind Sie?“ fragte, war ihm so, als würde nur ein kratziges Flüstern herauskommen. Hieraufhin reichte der Arzt ihm eine Flasche Wasser, aus der Sam ein paar Schlucke trank. „Ich bin Dr. Heian, der Leibarzt von Mr. Mason und ich bin auch für Ihre medizinische Betreuung zuständig. Sie befinden sich derzeit im Keller des Anwesens der Familie Mason. Ich war es auch, der Sie verarztet hat, nachdem Sie einen unglücklichen Zusammenstoß mit einem Auto hatten.“ Sam versuchte, sich näher an die Geschehnisse zu erinnern, doch seine Erinnerungen an den gestrigen Tag waren sehr schwammig und erschienen mehr wie ein Traum gewesen zu sein. Doch dann tauchte ein Bild von ihm auf. Ein Bild, wie er nackt auf dem Bett lag und Araphel ihn fest aufs Bett gedrückt hielt. Mehr noch… er erinnerte sich bruchstückhaft an die Berührungen und wie Araphel mit ihm geschlafen hatte. Plötzlich überkam ihn ein erneuter Anflug von starker Übelkeit. Er sprang aus dem Bett und schleppte sich zur Toilette, wo er sich schließlich erbrach. Erst, nachdem sich sein Magen wieder einigermaßen wieder beruhigt hatte, torkelte er wieder zum Bett zurück und ließ sich auf die Matratze fallen. Er konnte nicht glauben, was gestern passiert war und allein bei dem Gedanken überkam ihn Scham und Selbsthass. Araphel hatte tatsächlich mit ihm geschlafen und er war hier in einem Keller eingesperrt mit einer Kette am Hals wie ein Hund. Wie um alles in der Welt hatte er nur in so eine Lage geraten können? Warum nur musste ausgerechnet ihm das passieren? Durch die Aufregung geriet Sam wieder in Atemnot. Seine Lunge war wie zugeschnürt und er bekam keine Luft mehr. Hastig begann er nach seinem Asthmaspray zu suchen, fand es aber nirgendwo. Dann aber drückte Dr. Heian ihm eines in die Hand und so nahm Sam einen rettenden Zug davon, sodass er wieder vernünftig Luft holen konnte. „Warum? Was wollt ihr Dreckskerle von mir und was soll das alles?“ In seiner Wut und Verzweiflung wollte Sam den Arzt am Kragen packen, doch dieser wehrte ihn ab und hielt sein Handgelenk fest. „Sie sollten dankbar sein, dass Mr. Mason Ihnen das Leben gerettet hat. Solange Sie sich ruhig verhalten und kooperieren, wird Ihnen nichts Schlimmeres zustoßen und Sie haben die nötigsten sanitären Anlagen. Und für die Zeit Ihres Aufenthaltes bei uns werde ich Sie regelmäßig untersuchen und mich um Ihr gesundheitliches Wohlergehen kümmern.“ „Und wozu das alles? Warum hat er mich gerettet und wieso hat er mir so etwas angetan? WIESO?!“ Der Arzt seufzte leise und rückte seine Brille zurecht, woraufhin er erklärte „Mr. Mason hat seine Gründe. Ich bin nicht befugt, nähere Informationen preiszugeben und ich kann Ihnen leider keine andere Hilfe anbieten als diese, die ich genannt habe. Mr. Mason wird ohnehin gleich kommen, wenn ich meine Visite beendet habe. Ihr Essen werde ich Ihnen gleich bringen. Das hier sollten Sie übrigens trinken, wenn Sie wieder zu Kräften kommen wollen.“ Damit holte der Arzt eine Thermoskanne heraus und goss etwas davon in eine Tasse und reichte sie Sam, der sich allerdings vehement dagegen wehrte. „Woher soll ich wissen, dass Sie mich nicht vergiften wollen?“ „Weil es mir der hippokratische Eid verbietet, etwas zu tun, was meinen Patienten schaden könnte. Und auch wenn ich der Leibarzt von Mr. Mason bin, so bin ich in erster Linie Arzt und kein Mafioso. Ich habe keinerlei Beweggründe, etwas zu tun, was Ihnen schaden könnte. Der Tee ist ein altes Rezept aus meiner Heimat und fördert den Kreislauf und beruhigt zudem den Magen. Sollten Sie weitere gesundheitliche Beschwerden haben, lassen Sie es mich wissen.“ Damit wandte sich Dr. Heian um und wollte gehen, doch so schnell wollte sich Sam nicht abspeisen lassen. Ungeachtet der Schmerzen und dem bleiernen Gefühl im Kopf sprang er auf und nahm die Kette, die an seiner Halsfessel befestigt war und schaffte es, sie dem Arzt um den Hals zu legen und ihm die Luftzufuhr abzuschnüren. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, um den Doktor in seiner jetzigen Verfassung im Schach zu halten, doch so schnell so schnell wollte er nicht aufgeben. „Sie werden mich hier rausbringen, kapiert? Ich werde garantiert nicht hier in diesem Loch bleiben, das könnt ihr euch abschminken!“ „Da… das geht ni… nicht…“, brachte Heian hervor und versuchte, sich von der Kette an seinem Hals zu befreien. „Nur er… ha… hat den Schlüssel für die Fessel.“ „Verarschen Sie mich ni…“ Ein heftiger Stoß in die Magengrube raubte Sam jegliche Kraft und stöhnend vor Schmerz sank er in die Knie. Im nächsten Moment wurde er am Kragen gepackt und gegen die Gitterstäbe gedrückt. An seiner Halsschlagader blitzte ein Skalpell auf und der Doktor hatte einen tödlichen Blick angenommen. „Wagen Sie das noch einmal und ich werde Ihnen die Leber und die Nieren operativ entfernen und somit feststellen, wie lange Sie ohne diese Organe überleben können. Ich bin zwar Arzt, aber ich werde mir solche Unverschämtheiten sicherlich nicht gefallen lassen.“ Sam erstarrte, als er die eiskalten Worte des Arztes hörte, die ihm einen Schauer über den Rücken jagten. Es war so, als hätte dieser Kerl zwei Gesichter. Die eines geduldigen und kompetenten Arztes und die eines Mannes, dessen Fantasien so schauerlich und widerwärtig waren, dass sie die finstersten Abgründe der menschlichen Seele widerspiegeln konnten. Langsam nahm Dr. Heian wieder das Skalpell von Sams Hals und steckte es wieder ein, rückte seine Brille zurecht und schickte sich an, den Keller zu verlassen. „Wenn ich Ihnen noch einen guten Rat geben darf, Mr. Leens: Sie sollten sich nicht noch mehr Feinde machen, als Sie eh schon haben. Von einem verwundeten Raubtier sollte man sich besser fernhalten, denn es wird alles und jeden attackieren, was ihm zu nahe kommt. Wenn Sie so weitermachen wie bisher, wird das nur Ihren Tod bedeuten. Und ich hasse es, Totenscheine ausstellen zu müssen. Das ist mir zu viel Papierkram.“ „Was meinen Sie damit? Hey, Sie können doch nicht einfach gehen! Bleiben Sie hier!“ „Sie sollten Ihre Kräfte schonen, Mr. Leens. Wenn Sie sich zu sehr aufregen, erleiden Sie noch einen weiteren Asthmaanfall und das wäre auch nicht sehr förderlich.“ Damit verließ Dr. Heian den Keller und so war Sam wieder allein. Doch lange blieb er nicht untätig. So schnell wollte er sich nicht mit seinem Schicksal als Gefangener abfinden und dazu musste er nur diese verdammte Halsfessel loswerden. Wenn er sie wenigstens knacken könnte, nur das Problem war, dass er nichts Genaues sehen konnte. Er spürte lediglich, dass es eine Art Schlüsselloch gab und dass damit wohl die Halsfessel geöffnet werden konnte. Wenn er wenigstens Handschellen getragen hätte, dann wäre es kein Problem gewesen, denn er wusste sehr gut, wie er sie auch ohne Schlüssel öffnen konnte. Das war keine Kunst. Wenn er sie wenigstens am Fuß tragen würde, dann hätte er auch mit irgendetwas so lange auf die Fessel einschlagen können, bis sie so demoliert war, dass sie sich öffnen ließ. Doch ob das wirklich etwas gebracht hätte? Wenn er so die Tür betrachtete, die seinen Bereich von dem des restlichen Kellers abgrenzte, war es höchst unwahrscheinlich. Wenn er die geschilderte Methode angewandt hätte, wäre sein nächstes Hindernis, diese Tür zu öffnen und bei der Aktion hätte er sich wahrscheinlich den Fuß ziemlich verletzt, wodurch sich eine Flucht schwierig gestaltet hätte. Für das Knacken der Zellentür hätte er zu viel Zeit gebraucht und bis dahin wäre man schon längst auf seinen Fluchtversuch aufmerksam geworden. Danach gab es noch die Kellertür und er musste sich durch das Anwesen voller Mafiosi rausschleichen. Wie er es auch drehte und wendete, er kam zu dem Schluss, dass es keine andere Möglichkeit gab, als zu versuchen, Araphel zu überwältigen. Und ob er das schaffte, da war er sich leider nicht ganz so sicher. „Es bringt nichts, dir den Kopf zu zerbrechen. Hier kommst du eh nicht raus.“ Sam blickte auf und sah, dass es Araphel war. Dieser hatte sich gegen den Türrahmen gelehnt und die Arme verschränkt, während er ihn mit seinem lauernden und durchbohrenden Blick beobachtete. Sam erstarrte, als er ihn sah und wieder diese Erinnerungsfetzen zurückkehrten. Wie Araphel ihn geschlagen, zu Boden gedrückt und ihm gedroht hatte… und wie dieser über ihn hergefallen war. Allein der Gedanke daran jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Dies entging dem Mafiaboss durchaus nicht, der auch sogleich fragte „Was denn? Nicht mehr so großmäulig wie gestern?“ Sam schwieg, er wusste in diesem Moment einfach nicht, was er darauf entgegnen sollte. Dann aber trat Araphel näher und blieb auf der anderen Seite des Gitters vor ihm stehen. „An deiner Stelle hätte ich auch besser verdammt Angst. Anscheinend wirst du dir langsam dem wahren Ausmaß deiner Lage bewusst.“ „Was willst du von mir?“ rief Sam und ballte die Hände zu Fäusten. „Na meinen Spaß, ist doch klar“, erklärte der 31-jährige und betrat Sams Zelle, nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte. Dabei bekam er die Kette zu fassen und zerrte ihn näher an sich heran. „Und eine kleine Genugtuung dafür, indem ich den Spieß einfach umdrehe.“ „Wovon zum Teufel redest du?“ „Beschwer dich ruhig bei deinem Bruder und deinem Freund, dass sie dich in diese Lage gebracht haben. Immerhin haben sie dich verkauft, um ihre eigenen mickrigen Existenzen zu schützen. Sie solltest du hassen und nicht mich. Glaub bloß nicht, ich hätte dich aus Barmherzigkeit gerettet oder so. Ich hab dich nur deshalb nicht getötet, weil jetzt die Zeit gekommen ist, in der alles abgerechnet wird. Du lebst nur, weil ich allein es so will und wenn du für mich nicht mehr von Wert bist, entsorge ich dich einfach auf den Abfall, auf den du gehörst. Dann verkaufe ich dich einfach an den Patriarchen. Vielleicht bringen deine Organe ja noch etwas Kohle ein, oder eventuell könnte man dich als Callboy abrichten lassen. Wie hört sich das für dich an?“ Wieder wurde an der Kette gezerrt und Sam sah dabei in Araphels Augen und bemerkte, dass sich etwas verändert hatte. Sie wirkten mit einem Mal so kalt und leer… nicht mehr wie die eines stolzen und furchtlosen Jägers, sondern wie die eines Wesens, das nichts als Finsternis in sich trägt. Das waren zweifelsohne die Augen eines Dämons. Allein dieser Anblick machte ihm Angst. Diese Augen zeigten nur allzu deutlich, dass sein Leben keinerlei Wert mehr besaß. Wenn er irgendetwas tat, was Araphel verärgern könnte, würde dieser ihn endgültig vernichten. Aber warum? Was hatten Marco und Lawrence damit zu tun? Wieso sprach Araphel von einer Abrechnung? Ehe er darüber nachdenken konnte, traf ihn ein Schlag ins Gesicht, der ihn zu Boden riss. Als nächstes raubte ihm ein kräftiger Tritt in die Magengrube fast das Bewusstsein und stöhnend krümmte er sich vor Schmerzen. „Wenn du spurst und schön das tust, was von dir verlangt wird, verlängert das dein Leben. Wenn du sterben willst, dann sag es ruhig und ich werde dich von deiner kümmerlichen Existenz befreien.“ Eine Weile lang ruhten diese leeren und kalten Augen, die keinen Glanz in sich trugen, auf Sam. Einen Moment lang hatte er wirklich Angst, dass Araphel ihn gleich töten würde und schaffte es nicht, ihm eine Antwort zu geben. Doch dann wurde er plötzlich hochgezerrt und aufs Bett verfrachtet. Bevor er reagieren konnte, wurden seine Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. „Hör auf!“ rief Sam und versuchte sich irgendwie herauszuwinden. Er wollte das nicht. Das hier war einfach nicht richtig. Sie waren beide Männer und Araphel ein Schwerverbrecher, der bis ans Lebensende hinter Gittern gehörte. Dieser Kerl tötete Menschen, er hatte ihn entführt, unter Drogen gesetzt und dann vergewaltigt. Und nun sollte das wieder passieren? „Wenn du dich noch mehr wehrst, wird es nur umso schlimmer für dich“, hörte er Araphels Stimme dicht an seinem Ohr. Diese tiefe und ruhige Stimme hatte irgendwie eine seltsame Wirkung auf ihn, als sie so nah an seinem Ohr ertönte. Sam spürte, wie er eine Gänsehaut bekam und für einen Moment seine Panik wich. Sein Widerstand erlosch, als Araphels Stimme nachwirkte und sich tief in seinen Verstand einprägte. Doch warum? Wieso nur machte ihn diese Stimme so wehrlos? Selbst als sein Hemd geöffnet wurde und Araphel seinen Körper zu liebkosen begann, da konnte er sich nicht dazu durchringen, ihn wegzutreten oder zumindest zu versuchen, ihn davon abzuhalten, dieses Spielchen noch weiterzuspielen. Nein, stattdessen schien sein Körper irgendwie darauf zu reagieren. Ein seltsames Kribbeln durchfuhr ihn, als Araphels Zunge seine Brustwarzen umspielte und ihn dabei gewaltsam aufs Bett gedrückt hielt, sodass Sam keine Chance hatte, sich diesen Liebkosungen zu entziehen. Selbst als er etwas grob am Kiefer gepackt wurde und Araphel ihn daraufhin küsste, leistete er keinen Widerstand. Er wollte es. Er wollte sich dagegen wehren, aber sein Körper weigerte sich und er verstand nicht wieso. Was zum Teufel hatte dieser Kerl bloß mit ihm gemacht, dass so etwas gerade wirklich passierte? Er verstand es einfach nicht. Unwiderstehlich pressten sich ihre Lippen aufeinander zu seinem wilden und forschen Kuss,. Selbst als Sam spürte, wie Araphels Zunge mit seiner zu spielen begann, ließ er es zu. Noch nie in seinem Leben hatte er einen derartigen Kuss gehabt. Er war forsch, dominant und vor allem fordernd. Erst jetzt wurde ihm so wirklich bewusst, wie wehrlos er eigentlich war. Selbst wenn seine Hände nicht auf dem Rücken gefesselt wären, bezweifelte er, dass er wirklich in der Lage gewesen wäre, sich dieser seltsamen Anziehungskraft, die von diesem Menschen ausging, zu entziehen. Ja, es ging eine starke Anziehungskraft von Araphel aus und auch wenn sie beide Feinde waren und Sam ihn zutiefst für das verachtete, was er tat, so konnte er sich diesem Bann nicht entziehen. Sein letzter Widerstand erstarb und stattdessen wurde sein Körper von einem Gefühl der immer stärker werdenden Erregung beherrscht. Wer hätte gedacht, dass jemand wie Araphel so gut küssen konnte? Egal wie grob er auch war und wie sehr er ihm damit wehtat, es war eine ungezähmte und wilde Leidenschaft, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Und gerade diese war es, die Sam so in den Bann zog. Es wurde ihm kein Freiraum gewährt, keine Möglichkeit der Flucht, keine Wahl… und genau das erregte ihn so sehr trotz der Tatsache, dass er Araphel verachtete. Aber gab es so etwas überhaupt? Oder hatte dieser komische Doktor ihm vielleicht doch heimlich etwas verabreicht? Das war so ziemlich die einzige Lösung, die ihm einfiel. Ja, es mussten irgendwelche Drogen im Spiel sein. Um seine Stimme zu unterdrücken, biss sich Sam auf die Unterlippe. Doch es fiel ihm zusehends schwerer, insbesondere als Araphels Hand zwischen seine Beine wanderte und er dabei weiterhin Sams Oberkörper liebkoste. Dem Detektiv wurde langsam heiß zumute und dieses Gefühl der Lust und Erregung, die er empfand, erschwerten ihm zusätzlich das Denken. Ehe er sich richtig bewusst wurde, war er unten rum vollständig entkleidet worden und – sehr zu seiner Scham – war seine Erregung mehr als deutlich zu sehen. Beschämt wandte er den Blick ab und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er hasste sich selbst dafür, dass ihn die Berührungen eines anderen Mannes so sehr erregen konnten… und dann auch noch ausgerechnet Araphel Mason. „Du brauchst dich nicht schämen“, hörte er ihn sagen, als ob dieser seine Gedanken gelesen hätte. „So etwas wie Stolz wirst du ab heute eh nicht mehr brauchen. Wirf diesen nutzlosen Ballast einfach ab.“ Als Sam plötzlich eine Hand an seinem Penis spürte, da schloss er instinktiv in einer Kurzschlussreaktion die Beine und wollte protestieren, doch da schlug Araphel ihn wieder ins Gesicht und der Schlag hatte es in sich. „Wenn du dich weiterhin wehrst, wird es nicht bloß bei einem Schlag bleiben.“ Diese Drohung genügte, dass Sam seine Beine wieder spreizte und Araphel gewähren ließ. Beschämt wandte er den Blick ab und wieder überkam ihn das durchbohrende Gefühl des Selbsthasses. Das hier war nicht richtig! Es konnte doch nicht sein, dass er sich so leicht von Araphel beherrschen ließ und nach seiner Pfeife tanzte. Er war ein Leens und er hatte sich geschworen, alles zu tun, um den Bostoner Löwen zu bezwingen und hinter Gittern zu bringen. Und was war jetzt? Nun war er dabei, als dessen Sexsklave zu verkommen, oder wie? Was hatte er nur falsch gemacht, dass die ganze Situation so dermaßen eskalieren musste? „Du kannst dich noch so sehr in deinem Selbstmitleid suhlen wie du willst. Aber glaubst du wirklich, dadurch könntest du etwas an deiner Lage ändern?“ „Wozu die Belehrung?“ rief er und war selbst erschrocken darüber, wie sehr seine Stimme zitterte. „Willst du mich etwa aufbauen, obwohl du mich verprügelst und solche Dinge mit mir machst?“ „Als ob du es nicht tief in deinem Herzen genießen würdest. Dein Körper spricht ja wohl eine ganz eindeutige Sprache.“ Nein, das ist nicht so, wollte er am liebsten rufen. Es ist nicht so wie du denkst! Doch was hätte das gebracht? Was hätte es geändert? Gar nichts… Als Sam spürte, wie sich ein Finger durch seinen Schließmuskel schob und dabei ein stechender Schmerz durch seinen Körper jagte. Er schrie auf und sogleich verkrampfte sich sein Körper, was es nur noch schlimmer machte. „Ah… hör… hör auf… bitte… das tut weh!“ „Jetzt hör schon auf, dich so anzustellen.“ Es brachte nichts. Araphel würde nicht aufhören und Sam wusste, dass noch Schlimmeres bevorstehen würde, wenn er nicht still wurde. Also biss er die Zähne zusammen und versuchte, den stechenden Schmerz zu ignorieren. Doch es wurde nur stärker, als Araphel einen zweiten Finger hinzunahm und es war nicht mit diesem Gefühl zu vergleichen, welches er gestern verspürt hatte. Vielleicht lag es daran, weil sich sein Körper noch nicht erholt hatte und diese erneute Belastung zu viel war. Doch dieses Mal nahm sich Araphel nicht so viel Zeit, um ihn vorzubereiten. Nachdem Sam ein paar Sekunden Atempause vergönnt waren, drang Araphel nun vollständig in ihn ein. Der Schmerz war bei weitem stärker als gerade eben noch. Es kostete Sams ganze Willenskraft, um nicht zu schreien. Und doch… trotz dieser starken Schmerzen, die vor allem von seinem lädierten Körper herrührten, war da doch diese gewaltige Hitze, die ihn vollständig ausfüllte und ihn in einen reißenden Strudel aus Schmerz und Lust riss. Es lähmte seinen Verstand und füllte seinen gesamten Geist aus. Unter den kräftigen Stößen des Mafiaboss war ihm so, als würden ihn die Lust und der brennende Schmerz unaufhörlich und unwiderstehlich immer tiefer in den Abgrund reißen. Auf der einen Seite war es unerträglich und er wollte, dass es aufhörte, doch da war noch etwas anderes in ihm, was sich bereitwillig in diesen Abgrund reißen ließ. Er verstand nicht mal wieso. Vielleicht gab es dafür keine logische Erklärung, warum ein Teil von ihm diese Qualen hasste und der andere Teil nach mehr hungerte und darin vollständig ertrinken wollte, weil es ihm eine seltsame Befriedigung brachte. Seine ganze Wahrnehmung schien immer mehr von dieser unbeschreiblichen Lust und den brennenden Schmerzen in seinen Lenden getrübt zu werden. Und doch nahm er am Rande das schwere Atmen von Araphel wahr und sah wieder in seine Augen, die wieder ihren Glanz zurück hatten und die mit einem Mal so tief und unergründlich wirkten. Es waren die Augen eines Menschen, der viel gesehen und viele Kämpfe bestritten hatte. Eines stolzen und furchtlosen Kämpfers. Augen, die einen in ihren Bann ziehen konnten. Seine gefesselten Hände verkrallten sich ins Bettlaken, als sein Körper von einem intensiven Schauer gepackt wurde und ihm für eine Sekunde schwarz vor Augen wurde. Es gelang ihm auch nicht mehr, seine Stimme zurückzuhalten, als er zu seinem Orgasmus kam. Keuchend sank er auf dem Bett zusammen. Erst jetzt bemerkte er, dass er schweißgebadet war und sein Herz wie verrückt in seiner Brust hämmerte. Erschöpft lag er da und rang nach Luft. Doch Araphel war nicht so nachsichtig mit ihm und gönnte ihm diese Pause. Nein, er hatte genug Energie übrig, um weiterzumachen. So ganz konnte Sam irgendwann auch nicht mehr sagen, wie lange es dauerte, bis Araphel endlich genug hatte. Die Schmerzen hatten seine Wahrnehmung so sehr betäubt, dass er nicht mehr imstande war, bei vollem Bewusstsein zu bleiben. Vielleicht war er auch zwischendurch ohnmächtig geworden. Das nächste, woran er sich nur noch erinnern konnte, waren wieder irgendwelche Fragmente. Stimmen, die sich miteinander stritten, wie diese Stimmen fortgingen und er sich zum Waschbecken schleppte, um sich irgendwie notdürftig zu waschen. Man sagte, dass sich Menschen nach einer Vergewaltigung schmutzig fühlten und oft einen Waschzwang entwickelten. Seltsam, dass er sich nicht in so einem Sinne schmutzig fühlte. Lediglich der Selbsthass und die Scham waren da. Vielleicht war er auch einfach nur zu erschöpft, um die Kraft aufzubringen, an so etwas zu denken. Jedenfalls war noch etwas, woran er sich später noch erinnerte, dass Dr. Heian mit dem Essen zu ihm kam, ihm eine Tablette gegen die Schmerzen gab und ihm nahe legte, sich auszuruhen. Nachdem Sam seinen leeren Magen gefüllt hatte, ließ er sich aufs Bett fallen und lag eine Zeit lang wach da. Dann aber überkam ihn die Verzweiflung und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Erst jetzt wurde ihm wirklich das ganze Ausmaß seiner Situation bewusst. Er war gefangen und es gab keinen Ausweg. Und sein Leben lag nun in der Hand eines gefährlichen und gewaltbereiten Mafioso, der ihn zu seinem persönlichen Spielzeug gemacht hatte. Noch tiefer hätte Sam wirklich nicht sinken können. Er war ganz unten angekommen und schlimmstenfalls würde er nie wieder rauskommen. Wahrscheinlich erst dann, wenn Araphel genug von ihm hatte und dann würde er ihn irgendwo hin verkaufen. Hoffnungsloser konnte seine Lage eigentlich kaum noch sein. Kapitel 5: Besorgniserregende Entwicklung ----------------------------------------- „Im Rausch der Rache wird auch ein guter Mensch zur Bestie.“ Von den mexikanischen Indios Johann Sebastian Bachs „Air“ hallte in einer dezenten Lautstärke im Zimmer wieder und gab dem Raum eine sehr friedliche und entspannte Atmosphäre. Da gerade nichts zu tun war, hatte sich Dr. Heian die Freiheit genommen, weiter in seinem Buch „Die Leiden des jungen Werther“ zu lesen und seinen liebsten Musikstücken zu lauschen. Auf die Überwachungskamera, die den Keller zeigte, wo der Gefangene war, achtete er bewusst nicht, denn da Araphel gerade bei ihm war, wäre es sehr unhöflich gewesen, sie zu beobachten. Und nach dem letzten Ausbruchversuch würde es noch eine sehr unschöne Geschichte werden, die sich im Keller abspielen würde. Natürlich gefiel es ihm nicht, was da passierte, denn auch wenn Sam Leens ein Feind der Familie war, so war dieser dennoch sein Patient und als solcher lag ihm auch dessen gesundheitliches Wohl am Herzen. Doch da er kein wirkliches Mitglied der Familie war, sondern nur ein Arzt, stand es nicht in seiner Macht, Araphel abzuhalten. Er konnte lediglich dafür sorgen, dass es nicht noch schlimmer für Sam wurde. Diese ganze Entwicklung gefiel ihm überhaupt nicht. Araphel war nicht mehr er selbst und belehren ließ er sich auch nicht. Er war vollkommen taub geworden für anderer Leute Worte und schien offenbar nichts anderes mehr im Kopf zu haben als seinen Rachefeldzug. Eine Entwicklung, die mehr als gefährlich war und schlimmstenfalls die Zukunft der Mason-Familie gefährden könnte, wenn er noch weiter außer Kontrolle geriet. „Oi, Yu-chan!“ Der Arzt sah auf und bemerkte einen Mann, der fast das gleiche Alter hatte wie Araphel. Er hatte eine recht zynische Miene im Gesicht, trug einen Hut und hatte dunkelrot gefärbtes Haar. Seine Gesichtszüge verrieten, dass er Asiate war und er trug recht lässige Kleidung und auch an seiner Haltung und seiner Gangart war zu erkennen, dass er die bequeme Weise durchaus bevorzugte. An seinem linken Ohr hatte er sich piercen lassen und seine Augen wirkten ein wenig mürrisch und ähnlich zynisch wie der Rest seines Gesichts. Es war Morphius Black, der berüchtigte Informant aus der Bostoner Unterwelt, der selbst in feindlichstes Territorium eindringen und Informationen sammeln konnte, ohne aufzufliegen. Dr. Heian legte das Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er sein Buch zuklappte und es beiseite legte. „Na sieh mal einer an. Unser verehrter Informant… So schnell schon wieder zurück?“ „Es ist halt verdammt einfach gewesen, an die Infos zu kommen und die falschen zu streuen. An manchen Tagen wundere ich mich echt, wie der Mensch nur vom Affen abstammen kann. So wie er alles nachblökt, was man ihm sagt und er ständig der Herde nachrennt, scheint es mir eher, als wäre der Großteil der menschlichen Bevölkerung nur eine Herde dummer Schafe. Ja du schmunzelst zwar, aber wir wissen beide, dass wir das Gleiche denken, Yu-chan.“ „Ich kann mich nicht daran erinnern, dir erlaubt zu haben, mich noch weiterhin Yu-chan zu nennen. Das ist ein ziemlich unreifer und kindischer Spitzname.“ „Sag bloß, du bist immer noch nachtragend. Ich habe dir doch den ganzen Sachverhalt erklärt und dass ich wohl kaum eine Wahl hatte und ich sonst das Sorgerecht für Kaguya verloren hätte. Außerdem wurden wir damals ja wohl beide über den Tisch gezogen.“ Doch Dr. Heian warf ihm einen kühlen Blick zu und man hätte meinen können, er wolle damit einen Giftpfeil abschießen. Also eindeutig: er war noch sauer. Und das machte er auch mehr als deutlich, als er ganz klar sagte „Es ist ja wohl nicht mein Problem, wenn du dich von den Frauen ständig aufs Kreuz legen lässt, Makoto.“ „Ich hab es dir tausend Mal gesagt, dass das die einzige Möglichkeit war und ich bin auch nicht sonderlich der Fan von Flintenhochzeiten. Außerdem habe ich mich ja scheiden lassen, kurz bevor ich dann letztendlich Witwer wurde. Ich mach diesen ganzen Morphius-Black-Quatsch ja auch nur noch so lange, bis wir endlich fertig sind. Ich hab auch keine Lust, den Rest meiner Tage Informant zu sein und stets und ständig meinen Arsch zu riskieren. Immerhin braucht Kaguya eine Familie und sie kann nicht für immer bei meiner Mutter bleiben. Darum sagte ich doch auch, dass du sie adoptieren kannst. Immerhin habe ich doch gesagt, dass ich dir eine kleine Prinzessin schenken werde.“ „Als ob ich an so etwas wie Kindern interessiert wäre“, gab Dr. Heian in einem kalten und abweisenden Ton von sich, wobei er auch ein wenig mürrisch aussah. „Diese Bälger machen nichts als Lärm und Arbeit, außerdem sind sie dreckig und anstrengend.“ „Sagt der, der eineinhalb Jahre auf der Frühchenstation gearbeitet hat und die Kleine gar nicht mehr loslassen wollte. Du benimmst dich zwar manchmal wie ein arroganter Arsch, aber tief in deinem Herzen bist du ein absoluter Tsundere.“ „Tu mir einen Gefallen und stirb hier und jetzt gleich an deiner teerverseuchten Lunge oder noch besser: an dem Hirnparasiten, der dich diesen Nonsens erzählen lässt.“ Doch davon ließ sich Morph nicht sonderlich aus dem Konzept bringen. Stattdessen rauchte er seelenruhig weiter und seine Miene schien sich ein wenig aufzuhellen. Es lief ja nie anders zwischen ihnen beiden ab. Dann aber wurde Morphs Aufmerksamkeit auf den Monitor gelenkt und seine Stimmung verdüsterte sich merklich. „Sag mal, Yu-chan… was ist denn da eigentlich am Laufen?“ Morphius ging zum Monitor hin, der die Überwachungskameras zeigte. Inzwischen rauchte er jetzt seine zweite Zigarette, nachdem er die andere zu Ende geraucht hatte. Er war schon seit Jahren Kettenraucher und für die meisten gehörte die Zigarette genauso zu ihm wie sein Hut, den er für gewöhnlich nie abnahm. Morphius zog die Augenbrauen zusammen, als er sah, was sich da im Keller abspielte. Seine Gesichtszüge erstarrten einen Augenblick und ihm fiel die Zigarette aus dem Mund. „Was zur Hölle…“ Dr. Heian nahm seine Brille ab und begann die Gläser zu putzen, wobei seine Miene vollkommen unbewegt und etwas kühl blieb. Das Einzige, was er sagte war „Deine Zigarette brennt mir noch ein Loch in den Tisch.“ Morph hob daraufhin die Zigarette wieder auf und wandte sich dem Arzt zu und sein Blick war ziemlich ernst geworden. „Sag mal Yu-chan, wie lange läuft das da schon?“ „Seit knapp einer Woche.“ „Und du lässt das zu? Hast du denn nicht wenigstens mal ein Machtwort mit ihm gesprochen? Du bist doch Arzt und du bist mit ihm befreundet. Warum geigst du ihm nicht mal die Meinung? Siehst du denn nicht auch, was er da abzieht? Er benimmt sich schon wie Shen! Oder hat der Doktor Tod in dir etwa irgendwie seinen Spaß hieran?“ Morph blies den bläulichen Nikotinqualm aus, woraufhin Dr. Heian aufstand, das Fenster öffnete und dem Kettenraucher einen Aschenbecher hinstellte. Das Kalte und Unbewegte wich aus seiner Miene und er wirkte tatsächlich ein wenig besorgt und das sah man bei ihm sehr selten, da der Japaner es perfekt verstand, seine Gefühle zu verbergen. Doch hier war die Sorge einfach zu groß. „Glaubst du tatsächlich, ich hätte das nicht auch schon längst gemerkt? Natürlich habe ich versucht, ihm ins Gewissen zu reden, sogar mehrmals. Aber man kommt einfach nicht mehr an ihn ran und er hört auf niemanden mehr. Er ist so sehr von dem Gedanken besessen, seine Schwester zu rächen, dass er für jegliche Vernunft taub geworden ist.“ Als Morphius ihm wortlos eine Zigarette reichte, nahm der Doktor sie dankend an und gemeinsam setzten sie sich wieder. Inzwischen hatte er seine kühle und leicht arrogant erscheinende Miene wiedergefunden und schien nachzudenken. Auch der Informant schien sich so seine Gedanken zu machen. „Als er sagte, ich solle mir was einfallen lassen, um Lawrences Bruder in die Falle zu locken, da hätte ich echt nicht gedacht, dass so etwas dabei rauskommt. Ich dachte echt, dass er ihn umbringen will.“ „Das hatte er auch ursprünglich vor“, erklärte Dr. Heian. „Aber dann änderte er seine Meinung, als Sam von einem Auto angefahren wurde. Woher der plötzliche Sinneswandel kam, weiß ich nicht. Aber seine Beweggründe kann ich nachvollziehen. Nach dem, was er und Ahava erleiden mussten, will er all jene, die seiner Familie Schaden zugefügt haben, genauso quälen und sie nicht bloß töten, sondern brechen. Ich kann es durchaus verstehen, wenn ich ehrlich bin. Es ist auch eine Flucht aus dieser Opferrolle und dieses Phänomen findet sich überall wieder. Wenn Opfer eine Chance bekommen, ergreifen sie die Gelegenheit und rächen sich an ihren Peinigern, indem sie ihnen dasselbe antun, um ihre Macht auszuleben.“ „Das mag sein, aber das Verständnis fehlt mir trotzdem“, murmelte Morphius und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wenn es danach ginge, dann hätte ich jeden Cop abgeknallt, der mir über den Weg gelaufen wäre. Aber wenn wir Araphel nicht endlich wieder zur Vernunft bringen, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis Shen erneut zum Schlag ausholt und dann sehen wir alt aus. Ohne Araphel schaffen wir das nicht.“ „Da muss ich dir leider zustimmen, Makoto. Doch die Frage ist, wie wir ihn wachrütteln können. Dass wir es tun müssen, steht ja ganz außer Frage. Auf uns wird er jedenfalls nicht hören und von selbst wird er es nicht erkennen. Er ist nicht nur komplett taub, sondern auch völlig blind geworden.“ Stille trat ein und der ernsten und düsteren Stimmung zum Trotz spielte die friedvolle Melodie weiter. Und selbst Schuberts „Ave Maria“, welches im Anschluss danach spielte, wirkte sehr deplatziert. Grübelnd hatte Morph die Augenbrauen zusammengezogen und seine dunklen Augen starrten nach wie vor auf den Monitor der Überwachungskamera. Aber dann überraschend Dr. Heian eine Idee, die er Morph auch sogleich mitteilte. „Wenn wir Christine mit einbeziehen und sie bitten, mit ihm darüber zu sprechen, wird er mit Sicherheit auf sie hören. Immerhin steht sie in einer schwesterlichen Beziehung zu ihm.“ Doch so ganz überzeugt wirkte Morph nicht gerade und das hatte auch seine Gründe. Er mochte Christine sehr, sie war eine sehr gute Freundin und er wusste, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hatte und was sie durchleiden musste. Da konnte man doch kaum erwarten, dass sie mit solchen Dingen belastet wurde. Immerhin hatte er sich geschworen, ein wachsames Auge auf sie zu haben. „Also ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee wäre, Yu-chan. Du weißt doch, wie sie auf so etwas reagieren wird. Entweder dreht sie total durch und geht an die Decke, oder sie erleidet noch einen Nervenzusammenbruch. Willst du ihr das wirklich antun?“ „Fällt dir eine bessere Lösung ein?“ Nein, da musste Morph leider passen. Von ihnen dreien hatte Christine definitiv das engste Verhältnis zu Araphel und da sie selbst Schlimmes hatte durchmachen müssen, würden ihre Worte auch wahrscheinlich eine andere Wirkung auf den Mafiaboss haben. Dennoch war Morph alles andere als wohl bei dem Gedanken. „Dann rede ich gleich mal mit ihr. Aber wenn wir ihr die Bänder zeigen, dann möchte ich, dass du dabei bist. Ansonsten kriegt sie noch einen Anfall und du wirst dann besser mit ihr fertig.“ „Du kannst mir rechnen“, versicherte Dr. Heian und tatsächlich stahl sich ein Lächeln über seine Lippen. Morph seinerseits verabschiedete sich und ging, um nach Christine zu suchen, damit sie diesen Sturkopf endlich wieder zu Verstand brachte. Tja, wenn ein wildes Tier außer Kontrolle geriet, dann konnte nur der Mensch helfen, zu dem eine große Vertrauensbasis herrschte. Blieb nur zu hoffen, dass es auch wirklich klappte. Ansonsten würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Yanjingshe zum Schlag gegen die Mason-Familie ausholen würde. Und lieber machte Morph die Biege, als schlimmstenfalls noch mit diesem sadistischen Psychopathen aneinander geraten zu müssen. Es war ihm ohnehin ein Rätsel, wie Shen es geschafft hatte, Araphel so dermaßen zu manipulieren, dass dieser sich inzwischen fast genauso wie ein sadistischer Psychopath aufführte. „Tja“, murmelte er und nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. „Wenn ein Mensch zu lange unter Hunden lebt, ist es nicht verwunderlich, wenn er irgendwann selbst wie ein Hund zu bellen beginnt.“ Sam hatte das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen. Seine Stimme wurde durch den Knebel gedämpft und er bekam kein einziges Wort hervor. Es wäre ihm wahrscheinlich ohnehin schwer gefallen, überhaupt Worte zu bilden, denn alles, was er hervorbrachte, war ein ersticktes Stöhnen, das mehr einem hilflosen Wimmern nahe kam. Sein Körper war inzwischen von blauen Flecken übersät und sein Körper wurde von Schmerz und Lust beherrscht. Seine Handgelenke waren an seine Fußgelenke gefesselt worden und Araphel drückte sein Gesicht mit seinem Fuß auf den Boden. Die Vibration, die durch sein Innerstes ging und ihm immer wieder neue Schauer der Lust durch seinen Körper jagte. Es war zu viel, um es noch weiterhin zu ertragen und er hatte schon längst sein Limit erreicht. Er wollte kommen… es war kaum noch auszuhalten und es tat weh. Doch Araphel trieb sein Spielchen immer weiter mit ihm und drückte den Vibrator nur noch tiefer in seinen After. „Ich kann nicht mehr!“ hätte er am liebsten geschrieen. „Bitte hör auf! Es ist zu viel…“ Doch er konnte es nicht. „Das hast du nun davon, weil du mich wütend gemacht hast. Ich habe dich oft genug gewarnt und jetzt wirst du die Konsequenzen tragen müssen.“ Tränen rannen Sams Wangen hinunter und sein Stöhnen war nun mehr ein erstickter Schrei. Es war nicht mehr auszuhalten. Wenn er nicht endlich von seinen Qualen erlöst wurde, dann würde er noch wahnsinnig werden. Schuld daran war nur dieses gottverdammte Penisgeschirr, das man um seinen Penis geschnürt hatte und welches er beim besten Willen nicht abbekam. Er trug es schon die ganze Zeit. Schon seit er das erste Mal im Keller aufgewacht hatte, nur hatte er das in diesem berauschten Zustand, in welchem er unter Drogeneinfluss gestanden hatte, irgendwie nicht bemerkt. Und als er sich dieser Tatsache bewusst geworden war, hatte er natürlich alles sofort daran gesetzt, es irgendwie loszuwerden, doch es wollte einfach nicht gelingen. Es war jedes Mal so erniedrigend, dass er nicht einmal in der Lage war, zu kommen. Immer, wenn er es wollte, musste er Araphel darum bitten, was im Grunde noch erniedrigender und beschämender war. Er hasste sich selbst dafür, dass er so tief gesunken war und zu Araphels Sexspielzeug verkommen war und am allermeisten hasste er sich dafür, dass ihn all das so erregte. Er hasste es, dass er sich von Araphels Charisma so in den Bann ziehen ließ und dass es sich so gut anfühlte, wenn sie Sex hatten, ungeachtet der Schläge, die er oft einstecken und die Demütigungen, die er dabei immer ertragen musste. Ja, er hasste sich dafür, dass sich sein Körper ausgerechnet nach jener Person verzehrte, die er so sehr verachtete. Er verstand ja nicht einmal, warum das so war. Sein ganzer Körper bebte und glühte regelrecht. Schweißgebadet kauerte er auf dem Boden, gefesselt und hilflos. Sein Verstand war vollständig gelähmt und er konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, endlich von diesem unerträglichen Zustand befreit zu werden. „So du herumwimmerst, musst du ja wirklich Notstand haben, was? Aber von alleine wirst du ganz sicher nicht kommen. Dieses kleine Geschenk hier ist ein ziemlich hochmodernes Spielzeug, was momentan der letzte Schrei auf dem Schwarzmarkt ist. Es wird sich erst genug lockern, wenn ich es will und bis dahin kannst du so viel herumwinseln wie du willst.“ Schließlich aber schien Araphel wohl genug von diesem Spiel zu haben. Nachdem er den Vibrator ausgeschaltet hatte, zog er ihn heraus und warf ihn beiseite. Immer noch kauerte Sam wie ein Häufchen Elend auf dem Boden, mit zitterndem Körper und glühenden Wangen. Inzwischen malträtierte Araphel ihn schon seit knapp eineinhalb Stunden und wegen dem Aphrodisiakum, welches er von Dr. Heian hatte, war es für Sam umso schlimmer. Doch so schnell wollte er ihn nicht erlösen. Es bereitete ihm eben ein ziemliches Vergnügen, ihn in diesem Zustand zu sehen. Und gleichzeitig fühlte er nichts als Wut und hätte am liebsten weiter auf ihn eingeprügelt. Warum er auf ihn so wütend war, dazu fielen ihm genug Gründe ein. Vor allem machte ihn die Tatsache wütend, dass er es nicht geschafft hatte, ihn einfach zu töten. Es wäre so verdammt einfach gewesen, ihn umzubringen. Er hatte ja vollkommen wehrlos und verletzt da gelegen, nachdem er über den Haufen gefahren worden war. Doch aus irgendeinem Grund wollte er es nicht mehr. Egal wie sehr ihn dieser kleine Schnüffler nervte und ihm die Geschäfte versaute, irgendetwas in ihm wollte ihn nicht töten. Eine Schwäche, die er sowohl sich selbst, aber vor allem auch Sam nicht verzeihen konnte. Er wollte ihn dafür büßen lassen, dass er wegen ihm schwach zu werden drohte. Und wenn es eben bedeutete, ihn so lange zu bearbeiten, bis er das Interesse an ihm verlor. Im Grunde war es ihm ja selbst ein Rätsel, wieso er solche Dinge mit ihm tat, wo seine „Liebschaften“ im Grunde nur Edelnutten waren, mit denen er sich für gewöhnlich vergnügte. So ein Verhalten sah ihm nicht ähnlich. Das war nicht er selbst. Wieder sah er dieses von Hitze gerötete Gesicht und die eisblauen Augen, die wie Kristalle zu leuchten schienen und so klar wirkten. Ein stummes Flehen lag in diesem Blick. Ein Blick, den er nicht ertragen konnte. Es war, als würde er für einen Moment sie sehen. Ihren flehenden Blick, der verzweifelt „Hilf mir!“ rief. Eine Erinnerung, die in ihn wieder diese Macht- und Hilflosigkeit erweckte. Das war zu viel für ihn. Er packte Sam an den Haaren und schlug ihm ins Gesicht. „Hör auf, mich so anzusehen, kapiert?“ Hieraufhin nahm er Sam den Knebel aus dem Mund und sah wieder in seine Augen. Immer noch lag darin dieser Blick, der etwas in ihm auslöste, was er nicht wollte. Doch egal was er Sam auch antat, egal wie oft er ihn schlug und ihn erniedrigte, es brachte rein gar nichts. Er fühlte wieder diese Dinge, die er eigentlich hatte abtöten wollen. Warum nur wollte es ihm nicht gelingen, dieses verdammte Stechen in der Brust zu bekämpfen, indem er die Person zerstörte, die diese Gefühle in ihm auslöste? Zerstöre, was du nicht beherrschen kannst. Das war die Art, nach der er lebte und damit hatte er bisher immer Glück gehabt. Nur jetzt nicht… „Bitte…“, hörte er Sam flehen und allein dessen zitternde und hilflose Stimme ließ ihn für einen kurzen Moment seine Wut vergessen. „La… lass mich kommen… ich kann nicht mehr…“ Wieder überkam Araphel dieses fremdartige Verlangen, was ihn erst so wütend gemacht hatte. Ein so widersprüchliches Verlangen. Er wollte ihn an sich binden, ihn vollständig vereinnahmen und ihn nie wieder loslassen. Ja, am liebsten würde er Sam noch mehr Ketten anlegen, um sicherzugehen, dass dieser niemals fortgehen würde. Egal wie sehr sich dieser auch sträubte, Sam gehörte allein ihm und dass sollte dieser auch zu spüren bekommen. „Wenn du nie wieder einen Fluchtversuch wagst und schön brav hier bleibst…“ „Ja, das werde ich…“ Nun, in dieser Lage hätte Sam wahrscheinlich alles versprochen, solange er nur endlich von diesem Zustand befreit wurde. Aber das konnte Araphel auch egal sein. Solange er nur das bekam, was er wollte, kümmerten ihn auch die Umstände nicht. „Dann solltest du mich erst einmal überzeugen und mich in eine geeignete Stimmung bringen.“ Nun wurden Sam die Fesseln an den Gelenken abgenommen, sodass er sich wieder vernünftig bewegen konnte. Sein Blick wanderte zu Araphel hinauf, er sah ihn fragend an und dieser begann seine Hose zu öffnen. Im nächsten Moment wurde er auch schon wieder an den Haaren gepackt und hochgezerrt, wobei der Mafiaboss meinte „Dann zeig mal, dass dein Mund auch für was anderes gut ist, als bloß zum Quatschen.“ Normalerweise hätte sich Sam dagegen gesträubt und sich geweigert. Nie im Leben hätte er sich zu so etwas herabgelassen, doch sein Körper ließ keinen solchen Widerstand mehr zu. Wirklich alles in ihm schrie danach, endlich zu kommen und das war wahrscheinlich auch einer der Gründe, wieso es mit seiner Hemmschwelle endgültig dahin war und er Araphels Aufforderung nachkam, woraufhin er seinen Mund öffnete und Araphels Penis hineingleiten ließ. Der Mafiaboss hielt ihn dabei fest an den Haaren gepackt, um zu verhindern, der Sam es wagen könnte, sich doch irgendwie hier aus der Affäre zu ziehen. Doch diese grobe Behandlung störte ihn im Moment nicht. Nein, er war durch das Aphrodisiakum und dieser fast fiebrigen Hitze, die von ihm Besitz ergriffen hatte, völlig benebelt. Stattdessen schien sein Körper seinem eigenen Willen zu folgen und gab sich diesem Moment vollständig hin. Doch das schien Araphel nicht zu genügen. Dieser begann ihn nun dazu zu zwingen, seinen Kopf zu bewegen und sein Glied noch tiefer in den Mund zu nehmen. Für einen kurzen Augenblick kämpfte Sam mit seinem Würgereflex und auch das Atmen fiel ihm mehr als schwer. Erst versuchte er sich instinktiv dagegen zu wehren, doch Araphel hielt ihn unerbittlich fest und ließ ihm keine andere Wahl. Mit Mühe gelang es ihm, sich wieder zu beruhigen. Das Gefühl dieser pulsierenden Hitze, die seinen gesamten Mundraum ausfüllte, war schwer mit Worten zu beschreiben, doch es kam ihm nicht so schlimm vor wie zuerst gedacht. Ein wenig ungeübt umspielte er den Schaft und spürte, wie Araphels Glied unter dieser Stimulation anschwoll. Als er den Blick hob, sah er, wie sich die Gesichtszüge des Mafiabosses änderten. Es hatte nicht mehr diese Härte und diesen Ernst und Zorn in sich, stattdessen wurden sie ein wenig weicher. Als würde eine andere Seite von Araphel zum Vorschein treten, die er mit aller Gewalt zu verbergen versuchte. Diese Stimulation verfehlte ihre Wirkung nicht. „Mn…“ Araphels Griff lockerte sich ein wenig, doch Sam machte keine Anstalten, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Stattdessen gab er sich einfach dem Moment hin und blendete alles andere um ihn herum aus. Als ein schweres Atmen zu hören war und Araphel dann endlich zu seinem Orgasmus kam, wollte Sam schnell einen Rückzieher machen, doch der Mafiaboss hielt ihn an den Haaren fest und daraufhin spritzte sein Sperma in Sams Gesicht. „Scheinst ja einiges an Erfahrung zu haben. Oder du bist ein Naturtalent im Blasen. Aber… noch bin ich nicht fertig mit dir.“ Damit wurde Sam wieder auf alle Viere gezwungen und ohne weitere Vorbereitung drang Araphel in ihn ein. Ein lautes Keuchen entwich dem Detektiv, der das Gefühl hatte, als würde sein Körper jeden Augenblick zerfließen. Sein ganzer Körper schrie nach der befreienden Erlösung wie ein Verdurstender in einer heißen Wüste nach einem rettenden Schluck Wasser. Doch er wollte nicht einfach nur kommen, nein er wollte Araphel tief in sich spüren, von ihm zu Boden gedrückt und grob angefasst werden. Er wollte von ihm beherrscht und erniedrigt werden. Warum, das konnte er selbst nicht sagen. Seine einzige Erklärung war das Aphrodisiakum, welches ihn in diesen Zustand versetzt hatte. Und selbst als Araphel ihn endlich erlöste und das Geschirr um seinen Penis so weit lockerte, dass er endlich kommen konnte, war es nicht genug. Bei weitem nicht. Sein Körper hungerte nach mehr und würde keine Ruhe geben. Er war wie ein Drogensüchtiger auf einem kalten Entzug. „Willst du mehr?“ fragte Araphel ihn schließlich. Und Sam, der schon längst nicht mehr Herr seiner Sinne war, antwortete unter schwerem Keuchen ein „Ja, bitte…“ hervor. Kapitel 6: Das Erwachen ----------------------- „Wenn jemand dich schlägt und du schlägst zurück – wer von euch ist dann der Bessere?“ Dr. Mohinder Singh Jus, Homöopath Als Araphel genug hatte und Sam ohnehin schon völlig ausgelaugt war, ließ er seinen Gefangenen auf dem Boden ließen und schloss die Tür der Zelle ab. Danach verließ er den Keller und wollte sich eine heiße Dusche gönnen und wieder an die Arbeit gehen. Es galt noch, eine Geschäftsabwicklung vorzubereiten, die er unmöglich verschieben konnte und außerdem mussten die gestohlenen Autos transportfertig gemacht werden. Dabei war es schon fast 20 Uhr. Na was soll’s, dachte er sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Manchmal gab es halt viel Arbeit und morgen würde er wahrscheinlich gar nicht die Zeit haben, sich seinem Gefangenen zu widmen. Aber er konnte das Treffen mit Sergej nicht verschieben, insbesondere weil dieser nach dem Tod seines Adoptivvaters quasi eine Art Vaterfigur für ihn geworden war und er brauchte Sergejs Hilfe, um seinem Ziel näher zu kommen, die Yanjingshe zu zerschlagen und ihren Boss zu töten. Immerhin hatte er es am Grab seiner Schwester versprochen und solange er dieses Monster nicht gestoppt hatte, würde es niemals Ruhe geben… keine Vergeltung für die Verbrechen, die Shen zu verantworten hatte. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein, dass es morgen auch wieder mal an der Zeit war, Ahavas Grab zu besuchen und so wie er Sergej kannte, würde dieser ihn sicherlich begleiten wollen. Immerhin lag neben ihrem Grab auch das von Stephen Mason, jenem Menschen, der ihnen ein Zuhause, eine Familie und eine Zukunft gegeben hatte. Und dabei hatte es für ihn keine Rolle gespielt, ob diese Zukunft die eines Mafiabosses war und Verbrechen sein Geschäft sein würden. Er konnte damit leben, er konnte mit jeder Last leben und er war es gewohnt, in einer Welt zu leben, die gefährlich war. Er war in ihr geboren worden und das hatte ihn zu einem Kämpfer gemacht. Und doch… ganz egal wie sehr er auch gekämpft hatte… die schlimmste Katastrophe hatte er damals nicht verhindern können. Stattdessen war er Zeuge eines Dämons geworden, der erbarmungslos alles zerschlug, was ihm zuwider war. Jedes Licht… jede Hoffnung. Araphel hatte sich geschworen, nicht eher Ruhe zu geben, bis seine Vendetta gegen Shen beendet war. Vendetta… ein Gesetz, das viel älter war als das Gesetz selbst. Ein dunkler Teil der menschlichen Natur, die auch das erste Gesetz war, was niedergeschrieben worden war: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Beule um Beule, ein Toter für einen Toten. So lautete das älteste von Menschenhand verfasste Gesetz und es hatte sich in die Natur des Menschen eingebrannt und unterschied ihn auch von den Tieren. Die Mafia war nicht bloß ein Verbrechersyndikat, sondern auch Verfechter dieses ältesten Gesetzes. Wer ein hochrangiges Mitglied der Familie tötete, wurde selbst getötet. Und so waren über die Jahre hinweg Blutfehden entstanden, die zahllose Opfer gefordert hatten. Fehden, die niemals enden würden, weil man bereits zu tief drin war und es keinen Ausweg mehr gab. Es wäre vielleicht einfach gewesen, den Mord an seinen Adoptivvater als „rein geschäftlich“ abzustempeln und Araphel wäre auch bereit gewesen, es damit auf sich beruhen zu lassen. Denn es war ein rein geschäftlicher Mord gewesen, weil Stephen Mason ein Hindernis für die Yanjingshe war. Aber an dem Zeitpunkt, an dem Shen es gewagt hatte, seine Schwester mit in die Sache reinzuziehen, obwohl diese nicht einmal zur Mafia dazugehörte, da war es mit dem „rein geschäftlichen“ Kram auch vorbei. Das war längst nicht mehr bloß ein Teil der Mafiageschäfte gewesen, sondern eine direkte Kriegserklärung. Und nach dem, was Shen ihnen beiden angetan hatte, war das einzige, was er verdiente, einen besonders qualvollen und grausamen Tod. Allein der Gedanke daran bereitete ihm eine wahre Genugtuung. Als er ins Bad ging, sich einschloss und seine Sachen mitsamt einer Pistole griffbereit legte (denn er war aufgrund der Fehde mit der Yanjingshe extrem vorsichtig geworden), ertastete seine Hand instinktiv jene Stelle an seinem Rücken, an der er gezeichnet worden war. Wo sich eine Erinnerung besonders tief in seinen Körper gebrannt hatte, dass sie tiefe Narben hinterlassen hatte. Nicht nur auf seinem Körper, sondern auch tief in seiner Seele. Shen Yuanxian. Dieser Mann hatte ihm so gut wie alles genommen und selbst nach vier Jahren ließ dieser keine einzige Gelegenheit aus, um ihn zu verspotten, ihn zu provozieren und diese alten Wunden immer und immer wieder aufzureißen. „Um etwas zu töten, das nicht menschlich ist, muss der Mensch seine Menschlichkeit ablegen. Also werde zu einem Dämon, um einen Dämon zu töten.“ Das hatte Shen ihm vor vier Jahren gesagt. Und die letzten vier Jahre hatte er hart gearbeitet, um die Mason-Familie zum mächtigsten Syndikat in Boston zu machen. Er hatte Menschen erpresst, verletzt, verkauft, manipuliert und getötet. Und doch hatte er es nicht geschafft, Shen zu schlagen. Egal was er tat, dieser Hurensohn war ihm stets überlegen. Er durchschaute jeden Schachzug und selbst Attentate waren wirkungslos, da Shen selbst ein perfekter Attentäter war. Er brauchte keine Leibwächter, er selbst war tödlicher als eine Pistole und beherrschte 27 Kampfkünste, war den Umgang mit Waffen gewohnt und aufgrund seines Charismas und seiner Intelligenz schaffte er es, die Leute auf seine Seite zu ziehen. Es schien so, als wäre er unantastbar und das machte ihn umso wütender. Als er unter der heißen Dusche stand, spürte er erst, wie erschöpft er eigentlich war. Und dabei wartete noch so viel Arbeit auf ihn. In dem Moment musste er daran denken, wenn solche Tage waren, an denen er so lange arbeiten musste. Abends pflegte Ahava dann immer mit einem Tablett in sein Büro zu kommen, nachdem sie Tee und Snacks vorbereitet hatte und sagte dann „Du solltest ein wenig mehr auf dich Acht geben, Bruderherz. Überarbeite dich nicht allzu sehr, okay?“ Sie hatte sich immer sehr rührend um ihn gekümmert, wenn er bis spät in die Nacht arbeiten musste. Seitdem ihre Adoptivmutter sehr früh an Lungenkrebs verstorben war, hatte Ahava immer die Rolle der Frau in der Familie ausgefüllt und ihm Halt gegeben. Sie war der einzige Mensch, den er je gebraucht hatte und obwohl sie ihm mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie niemals etwas mit der Mafia zu tun haben wollte und die kriminellen Geschäfte nicht gutheißen konnte, war sie dennoch stets treu an seiner Seite geblieben. Und dann war Shen gekommen und hatte alles zerstört. Er hatte ihren Adoptivvater getötet und Ahava auf dem Gewissen. Und schlimmer noch: er hatte sie völlig gebrochen. Doch als er wieder an Ahavas gütiges und sanftmütiges Lächeln dachte und an ihre warmherzigen strahlend blauen Augen, da tauchte plötzlich dieses andere Bild auf. Das von Sam Leens, der dieselben Augen hatte wie Ahava. Und das konnte er nicht akzeptieren. Wieso nur hatte der Bruder jenes Mannes, der Ahava verraten hatte, die gleichen Augen wie sie? Und wieso nur gelang es ihm nicht, sich dazu durchzuringen, ihn endlich zu töten, so wie er es ursprünglich vorgehabt hatte? Was hatte ihn nur dazu getrieben, ihn stattdessen zu retten, in den Keller zu sperren und mit ihm zu schlafen? Das war ganz und gar nicht seine Vorgehensweise. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich! Wieso nur brachte dieser Schnüffler ihn so aus dem Konzept? Er verstand sich selbst nicht mehr. Nachdem er mit der Dusche fertig war und sich angezogen hatte, trocknete er seine Haare nur mit dem Handtuch und wollte in sein Arbeitszimmer gehen, doch da sah er blieb er stehen, als er eine Frau auf ihn zukommen sah. Sie hatte schulterlanges feuerrotes Haar, trug eine weiße Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln und eine rote Weste, auch ihre Hose und ihre Stiefel waren rot. An ihrer Hüfte trug sie einen Werkzeuggürtel und in ihrer Hand hielt sie einen Schraubenschlüssel. Es war Christine Cunningham, die Mechanikerin und das einzig weibliche Mitglied der Mason-Familie. Verwundert zog Araphel die Augenbrauen zusammen, denn normalerweise war Christine um die Zeit in der Werkstatt, um an ihrem Plymouth zu schrauben. Und noch etwas fiel ihm auf: sie war kreidebleich im Gesicht und sie hatte Dr. Heian und Morph im Schlepptau. Verwundert fragte er „Ist etwas vorgefallen?“ Wortlos kam Christine näher und man sah ihr an, dass ihre Hände zitterten. Etwas stimmte nicht mit ihr. Araphel ging direkt zu ihr hin und fragte besorgt „Christine, geht es dir nicht gut? Was hast du?“ Doch kaum, dass seine Hand ihre Schulter berührte, drehte sie endgültig durch und schlug mit dem Schraubenschlüssel nach ihm, doch Araphel reagierte noch schnell genug, um ihren Arm festzuhalten, bevor der Schraubenschlüssel ihn noch am Kopf treffen konnte. „Wie kannst du es wagen?“ schrie sie und versuchte wieder zuzuschlagen, doch gegen den Mafiaboss hatte sie keine Chance. Sie war völlig von der Rolle und schien sich gar nicht mehr beruhigen zu können. Doch er verstand nicht so ganz, was dir Ursache dafür war und wieso sie sich so aufregte. „Christine, jetzt beruhige dich doch und erklär mir, wa…“ „Wie kannst du uns das nur antun, du elendes Stück Scheiße?“ schrie sie und unkontrolliert flossen Tränen ihre Wangen hinab. Sie wehrte sich nach Leibeskräften und schien sich in einem Zustand zu befinden, in der sie zwischen einer Raserei und einem Nervenzusammenbruch hin und her schwankte. „Du hast versprochen, dass das nie wieder passiert und dass du uns beschützen wirst. Wie kannst du da nur so etwas tun?“ „Wovon zum Teufel sprichst du?“ „Na davon, dass du einen Menschen im Keller wie ein Tier einsperrst und ihm diese schrecklichen Dinge antust, du Bastard!“ Hieraufhin schien der Tobsuchtsanfall abzuebben und stattdessen ließ Christine den Schraubenschlüssel fallen und ließ schluchzend den Kopf hängen. Und als Araphel sie losließ, verpasste sie ihm eine Ohrfeige, wobei ihr Körper heftig unter den Schluchzern bebte. „Hast du etwa vergessen, was sie uns angetan haben? Wie sehr wir durch diese Leute gelitten haben und welche Hölle wir gesehen haben? War es denn nicht schon schlimm genug, dass uns das passieren musste und dass Ahava gestorben ist und sie… sie…“ Weiter kam sie nicht, ihre Stimme versagte und sie schien einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein. Hieraufhin wandte sich Araphel an Morphius und Dr. Heian und forderte in einem scharfen Ton „Erklärt mir, was das zu bedeuten hat!“ „Wir wollen dir die Augen öffnen, Araphel“, erklärte Morphius, der einen Rauchkringel ausblies, nachdem er einen langen Zug von seiner Zigarette genommen hatte. „Auf uns hörst du nicht, darum haben wir Christine die Bänder der Überwachungskameras gezeigt.“ „Ihr habt WAS?“ rief er und bekam nicht wenig Lust, sie beide windelweich zu prügeln. Eine solche Unverschämtheit kam der Beleidigung eines Clanbosses gleich und so etwas duldete Araphel nicht. Doch Christine ließ ihm nicht die Zeit, um sich seinen beiden Untergebenen zu widmen, die sich diese Unverschämtheit erlaubt hatten. Denn da ergriff sie seinen Arm und verpasste ihm mit der anderen Hand eine zweite Ohrfeige. „Ich dachte wirklich, ich könnte dir vertrauen und dass du Shen das büßen lässt, was er getan hat. Aber dass du wie er wirst, ist einfach das Letzte.“ „Christine…“, sprach er nun besänftigend und wollte sie in den Arm nehmen, um sie zu beruhigen, wobei er ihr tröstend über den Kopf strich. „Beruhige dich doch erst mal, Christine. Es ist nicht gesund für dich, wenn du dich zu sehr aufregst und…“ „Hör auf, mich wie deine Schwester zu behandeln“, rief sie und stieß ihn von sich, wobei unaufhörlich Tränen über ihre Wangen flossen. „Hör endlich auf damit, mich wie ein Ersatz zu behandeln. Ahava ist tot, verdammt! Sie ist gestorben, nachdem diese Mistkerle sie endgültig gebrochen hatten. Warum also tust du nur so etwas Schreckliches, wenn du doch selbst weißt, wie sehr wir gelitten haben und was sie Ahava angetan haben… was sie mir…“ Christines Stimme versagte endgültig. Ihre Augen verdrehten sich und sie sank kraftlos zusammen. Sofort war Dr. Heian bei ihr und fing sie auf. „Shit“, kam es von Morphius, der dem Arzt schnell zur Hand ging und half, die bewusstlose Christine zu stützen. „Ich hab dir ja gesagt, dass das passieren wird. Und was jetzt?“ „Ich werde ihr erst einmal etwas zur Beruhigung geben, dann wird sie für eine Weile schlafen. Das Beste wird sein, sie erst mal auf ihr Zimmer zu bringen.“ Damit ging Dr. Heian, der die Bewusstlose bei sich trug und so blieb Morphius alleine mit Araphel zurück. Dieser stand schweigend mit gesenktem Blick da und es war schwer zu erkennen, ob er wütend oder betroffen war. Es war, als hätte etwas seinen Kampfgeist und seinen Willen geraubt und das war ein Anblick, den Morphius noch nie bei ihm gesehen hatte, seit er ihm das erste Mal begegnet war. Natürlich war es ihm alles andere als leicht gefallen, solch eine fiese Methode zu wählen, aber er sorgte sich auch um Araphel und im Notfall musste man auch manchmal zu solch unfeinen Methoden greifen, um sein Ziel zu erreichen. Das war insbesondere in der Welt der Mafia wichtig und vor allem unvermeidlich. Er seufzte und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Tut mir wirklich leid, dass wir zu solchen Mitteln gegriffen haben. Aber du wolltest ja einfach nicht hören und hast dich immer weiter verändert. Und jetzt hör mir mal gut zu: die Menschen sind ein dummes Volk. Sie lassen sich manipulieren, belügen, benutzen und sie sind sogar bereit, ihr Leben für einen infantilen Schwachsinn wie einer Gottheit zu opfern. Es gibt nicht gerade viele Dinge, auf die die Menschen sonderlich stolz sein können. Aber ihre Menschlichkeit ist es, die sie erst wirklich zu Menschen macht. Wenn wir unsere Menschlichkeit über Bord werfen, sind wir es auch nicht mehr länger wert, Menschen genannt zu werden. Man nennt uns dann nur Abschaum… oder Dämonen. Wenn deine Schwester sehen würde, zu was dich diese Vendetta gemacht hat, würde sie Tränen vergießen und sagen, dass sie das niemals gewollt hätte. Sie wusste, dass du trotz allem ein guter Mensch bist, genauso wie Christine, Yugure und ich es wissen. Wir sind deine Gefolgsleute und deine Freunde und wenn wir sehen, dass du dich von diesem Kerl manipulieren lässt, werden wir auch jedes Mittel ergreifen, um dich wieder aufzuwecken. Warum hast du Sam Leens in den Keller gesperrt und ihm diese Dinge angetan? Ganz einfach: weil Shen dich zerstören will. Erst will er dir das nehmen, was du liebst und dann nimmt er dir deine Menschlichkeit, damit du genauso ein Monster wirst wie er. Ein Monster, das nichts beschützen, sondern nur zerstören kann. Und bevor es so weit kommt, greifen wir eben ein, das ist nun mal unsere Pflicht: das Oberhaupt der Familie zu beschützen. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, als dass du dich von ihm manipulieren lassen kannst. Nicht nur das Leben anderer oder dein eigenes oder die Existenz der Familie. Nein, im Grunde ist diese Fehde ein Krieg. Wenn du dich von Shen schwächen lässt, wird er uns vernichten. Dann wird als nächstes der Patriarch folgen und dann wird niemand mehr in der Lage sein, es mit dieser Schlange aufzunehmen, wenn sie erst einmal all ihre Feinde gefressen hat. Darum hielten Yugure und ich es für das Beste, dich auf diese Weise mit der Wahrheit zu konfrontieren, auch wenn es schmerzt. Lass nicht zu, dass dieser Kerl Macht über dich hat und dich noch tiefer in die Finsternis reinzieht. Denn ich weiß nicht, ob wir dann noch in der Lage sein werden, dich zu retten.“ Hier legte Morphius ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihn ernst mit seinen Augen an, die alles mit einem scharfen Zynismus zu betrachten schienen. Augen, die die tiefsten Abgründe der Menschheit erblickt hatten und die Wahrheit im Sumpf dieser Verderbtheit ergründet hatten. „Nach der Tragödie, die sich mit deiner Schwester ereignet hat, willst du sie wirklich einem anderen antun?“ „Ich weiß selbst, dass es nicht der richtige Weg war“, seufzte Araphel und rieb sich die Augen. „Aber nach dem, was Lawrence Ahava angetan hat, ist es nur mehr als fair, wenn er das Gleiche durchmacht.“ „Das würde aber bedeuten, dass du ihn und nicht Sam quälst. Sam ist sein Bruder, das stimmt und ich verstehe, dass du Lawrence das Gleiche fühlen lassen willst, was du erlebt hast. Aber ist das wirklich eine gerechte Rache? Sam ist ein Unschuldiger in dieser Vendetta, auch wenn er uns ständig Probleme macht. Er ist nur eine Person, die für ihre dummen und völlig naiven Ideale lebt und diese verteidigen will. So wie es Ahava getan hat. Willst du, dass sich so eine Tragödie etwa noch mal ereignet wie vor vier Jahren? Hasse den Menschen, aber nicht die Menschheit, ansonsten wirst du letzten Endes nicht besser sein als Shen.“ Wortlos verschwand Morphius und ließ Araphel alleine. Er wusste, dass dieser erst mal seine Ruhe brauchte, um über all das nachdenken zu können und es war ohnehin genug gesagt worden. Während er sich auf den Weg zu Christine machte, um Dr. Heian noch zu treffen, zündete er sich wieder eine Zigarette an. Es wurmte ihn wirklich, dass sie Christine benutzt hatten, um Araphel wachzurütteln. Insbesondere, wo sie aufgrund ihres Zustandes in eine Klinik gehörte. Normalerweise wäre sie dort auch eingeliefert worden, wäre da nicht die Gefahr durch die Yanjingshe so groß. Innerhalb der Mason-Familie war sie sicher und es drohte kaum Gefahr, wenn sie hier blieb und Dr. Heian ein Auge auf sie hatte. Aber dennoch wäre sie in einer Klinik deutlich besser aufgehoben. Dann hätte sie nicht schon wieder einen Zusammenbruch erleiden müssen. Schließlich aber, als er ihr Zimmer erreichte, kam Dr. Heian gerade heraus und schloss die Tür hinter sich. „Und? Wie geht es ihr?“ fragte der Informant besorgt. Dr. Heian rückte seine Brille zurecht und atmete geräuschvoll aus. „Den Umständen entsprechend. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben und sie wird bis morgen erst mal schlafen. Aber wirklich helfen kann ich ihr nicht und das wissen wir alle. Was sie braucht, ist kein Arzt wie ich. Ich kann nur einen Körper behandeln, doch es ist nicht ihr Körper, der leidet. Sie wird morgen aufwachen als wäre nichts gewesen und vergessen haben, wovon wir gesprochen haben und was sie gesehen hat. Es wird ihr vorkommen, als hätte es diese Szene niemals gegeben. Sie wird in ihrer eigenen Welt weiterleben, die sie sich geschaffen hat und glücklich damit sein. Ich kann ihr nicht helfen und das wurmt mich wirklich, Makoto. Du weißt, ich bin Arzt geworden, weil ich Menschen helfen will. Aber dennoch werden wir oft genug mit der Tatsache konfrontiert, dass es auch für Ärzte Grenzen gibt und sie nicht die Götter in weiß sind, die sie gerne wären. Ich kann keine Wunder vollbringen, ich kann nicht alle Krankheiten und Wunden heilen. Und nicht selten hasse ich meine eigene Unfähigkeit. Sogar mehr noch als diese Kurpfuscher, die mit dem Leben ihrer Patienten spielen, um ihre Fehler zu vertuschen.“ „Jetzt lass den Kopf nicht gleich hängen, Yu-chan. Na komm, der Tag ist noch nicht vorbei und wir haben eh Feierabend. Lass uns doch in eine Bar was trinken gehen und ein wenig über die guten alten Zeiten reden.“ „Welche guten alten Zeiten?“ fragte der Arzt in einem mehr als frostigen Ton und warf Morphius einen eiskalten und giftigen Blick zu. „Wer hat denn bitte dieses impertinente Frauenzimmer geehelicht, nachdem er sie geschwängert hat? Ich für meinen Teil kann mich an keine guten alten Zeiten erinnern.“ „Warum klingt das trotz deiner gehobenen Wortwahl so… schäbig?“ „Weil es so ist. Nein danke, ich habe kein Interesse mit dir noch mehr als unnötig Zeit zu verschwenden. Vielleicht solltest du mal ernsthaft in Betracht ziehen, mal dein Leben besser auf die Reihe zu bekommen, anstatt dich immer so verantwortungslos aufzuführen und dich von einem Fettnäpfchen ins nächste ziehen zu lassen. Glaub bloß nicht, dass ich dir das so schnell verzeihen werde, Makoto. Und nimm endlich diesen bescheuerten Hut ab. Der steht dir sowieso nicht.“ Damit drehte sich Dr. Heian um und ging, wobei mehr als deutlich war, dass er Morphius für heute anscheinend nicht mehr sehen wollte. Dieser seufzte und rückte seinen Hut zurecht, wobei er doch noch letzten Endes lächelte und leise für sich sprach „Du warst es doch, der ihn mir damals geschenkt hat, Yu-chan.“ Kapitel 7: Gespräche -------------------- „ Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache.“ Friedrich Wilhelm Nietzsche, Philosoph Es regnete und ein kalter Wind wehte auf dem Friedhof. Unter diesen Umständen war es nicht möglich, sich eine Zigarette anzuzünden und das verleitete den Patriarchen dazu, etwas wehmütig zu seufzen. „Das Wetter meint es wohl nicht gut mit uns. Da treffen wir uns schon am Grab und einem alten Mann ist nicht mal eine Zigarette vergönnt.“ „So alt bist du nun auch wieder nicht“, gab Araphel zurück und legte den Strauß weißer Lilien ans Grab seiner Schwester, nachdem er auch welche für seine Adoptiveltern hingelegt hatte. Auch Sergej war gekommen, nachdem sich der Tod von Stephen Mason schon zum vierten Mal jährte. Und bald würde auch Ahavas Todestag folgen. Jedes Mal, wenn er ihr Grab besuchen kam, kehrten diese quälenden Fragen zurück, die ihn wie Geister verfolgten. Was hatte er nur falsch gemacht, dass er sie nicht hatte retten können? Warum war er nicht fähig gewesen, sie zu beschützen? Was hätte er tun können, um sie zu retten? Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er hörte Sergej leise seufzen. „Mag sein, dass ich mit 51 Jahren in der heutigen Zeit noch gut sieben Jahre davon entfernt bin, alt genannt zu werden. Aber ich finde, dass das Alter wesentlich mehr Vorzüge hat als die Jugend. Man hat dann eine gute Entschuldigung, um unliebsamen Dingen aus dem Weg zu gehen, indem man einfach sagt, dass man zu alt für diesen Unsinn ist. Außerdem kann man sich das Recht ausnehmen, die Dinge auch langsamer anzugehen. Ich mag zwar noch nicht gänzlich alt sein, aber es ist auch eine Frage des Gefühls. Ich habe in meinem Leben schon viele Menschen zu Grabe tragen müssen. Meinen älteren Bruder Iwan, meine erste Ehefrau Catherine und später meine zweite Frau Lucia. Dann stirbt mir noch derjenige weg, der vor elf Jahren eine Kugel für mich abgefangen und mir das Leben gerettet hat. Das Leben ist manchmal wirklich eine grausame Ehefrau.“ Es erstaunte Araphel so manchmal, wie Sergej solche Dinge so locker dahersagen konnte, wenn er schon so viel im Leben verloren hatte. Seine Familie, seinen besten Freund… „Wie schaffst du es nur, so stark zu sein und über solche Sachen drüber zu stehen?“ „Das entwickelt sich mit den Jahren. Außerdem muss man gewisse angeborene Charakterzüge für so etwas besitzen, was heißt: man muss von Geburt an eine gesunde Kaltherzigkeit besitzen, um schnell über solche Dinge hinwegzukommen. Ich war schon immer ein abgebrühter Geschäftsmann gewesen und habe schon in der Schule die anderen Schüler um ihr Essensgeld betrogen. Dafür besitze ich aber nicht mehr diesen Elan und Kampfgeist wie du, Junge.“ Nachdem der Wind immer stärker wurde und auch der Regen zunahm, gab es Sergej auf, sich eine Zigarette anzuzünden und steckte sie wieder ein, wobei er leise „Beschissenes Wetter“ auf Russisch murmelte. Eine Weile des Schweigens verging, ohne dass einer der Beteiligten Anstalten machte, etwas zu sagen, dann aber beendete Sergej schließlich die Stille, indem er wieder zum Reden ansetzte. „Beim Treffen hat Shen versucht, mich zu töten. Offenbar kümmern ihn auch unsere geschäftlichen Beziehungen kaum noch mehr. Oder aber er wollte mich auf die Probe stellen, ob ich noch fit genug bin, um ihm die Stirn zu bieten und ihm ein ebenbürtiger Gegner zu sein.“ „Das ist doch Irrsinn!“ rief Araphel und schüttelte den Kopf. „Wieso tötet er seine besten Geschäftspartner? Das würde ihm doch mehr schaden als nützen. Wo liegt darin die Logik? So geht doch kein vernünftiger Boss vor.“ „Er ist auch kein Mafiaboss“, erklärte Sergej und blieb gelassen. Es wirkte fast schon unheimlich, wie ruhig er war angesichts der Tatsache, dass er knapp einem Mordanschlag entgangen war. „Er ist ein Wolf im Schafspelz, der die Mafia nur für seine Zwecke missbraucht. Und dabei kann er seine Rolle nahezu perfekt spielen. Allerdings hab ich ihn gleich schon zu Anfang durchschaut und deshalb will er mich loswerden, weil ich ihm offenbar zu gefährlich bin. Aber da muss er früher aufstehen. Er ist ja nicht der Erste, der mich umbringen will und mit Sicherheit nicht der letzte. Tja, der Posten eines Bosses ist und bleibt eben ein Damoklesschwert. Und wenn wir nicht Acht geben, wird die Schlange alles verschlingen und immer weiter wachsen, bis sie die ganze Welt umspannt.“ Hier aber stieß Araphel einen ungläubigen Laut aus und fügte hinzu „Das Glaubst du doch wohl selbst nicht. Es ist unmöglich, dass der Kerl weltweit so eine Kontrolle erlangen könnte.“ „Vielleicht hast du Recht und es geht der Schlange nicht ums Wachstum, sondern einfach nur ums Fressen. Darum will ich dir raten: gib Acht auf dich und biete ihm keine Angriffsfläche. Denn wenn du es tust, wird die Schlange dich mit ihrem ganzen Körper umspannen und dich mit ihrer ganzen Kraft an sich binden und dann erbarmungslos zerquetschen. Ich sage dir nicht, dass du deine Rache vergessen sollst. Es wäre nur ein Zeichen von Schwäche für uns, wenn wir solche Dinge stillschweigend hinnehmen, ohne es unseren Feinden gebührend heimzuzahlen. Ich sage immer, dass Rache im Allgemeinen keine Lösung ist, ebenso wenig wie keine Rache. Menschen brauchen die Rache, um sich Gerechtigkeit zu verschaffen, das war schon immer so gewesen. Aber man darf sich nicht zu sehr hineinsteigern, ansonsten verlieren wir noch unseren Blick fürs Objektive und das ist sehr gefährlich. Denn blind hast du keine Chance gegen Shen. Zwar denken meine Leute, ich könnte es locker mit ihm aufnehmen, aber sie irren sich. Ich kann ihn lediglich in seine Schranken weisen, aber vernichten kann ich ihn nicht. Vor fünfzehn Jahren hätte ich das vielleicht noch geschafft. Naja, das bringt uns aber auch nicht weiter. Die beste Art, sich an seinem Feind zu rächen ist die, besser als er zu werden. Ich habe Kontakte zu einem Drogenring in Russland. Das sollte dir eine kleine Hilfe meinerseits sein, um deine Macht weiter zu festigen und dir ein zusätzliches Standbein zu verschaffen.“ Damit reichte Sergej ihm unauffällig einen Zettel mit den Kontaktdaten. „Könntest du mir im Gegenzug deinen wunderbaren Informanten ausleihen? Ich wollte da ein paar Dinge in Erfahrung bringen, für die ich seine Hilfe bräuchte.“ „Klar, das sollte kein Problem darstellen. Aber sag mal… warum machst du mit diesem Kerl eigentlich Geschäfte, wenn du mich gleichzeitig unterstützt, um ihn zu Fall zu bringen? Mir kannst du ja erzählen, dass du mir hilfst, weil du meinem Vater was schuldest, aber du ziehst deinen Profit aus Shen und demnach wäre es wiederum von Nachteil für dich, wenn er wegfällt. Es sei denn, du nutzt unsere Fehde aus, um dir seine Geschäfte unter den Nagel zu reißen und deine eigene Macht auszubauen, was wiederum bedeutet, dass ich nur ein Mittel zum Zweck für dich bin. Das würde dich nicht zu einem Fuchs machen, sondern zu einer Hyäne, die sich über die Kadaver von Beutetieren her macht, die bereits von Raubtieren erlegt worden ist.“ Araphel warf Sergej einen misstrauischen und zugleich prüfenden Blick zu, doch der Patriarch lächelte nur selbstsicher und konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. „Nun, du hast sowohl Recht als auch Unrecht, mein Junge. Ich unterstütze dich hauptsächlich deswegen, weil ich deinem alten Herrn versprochen habe, mich um dich und deine Schwester zu kümmern, sollte er der Triade zum Opfer fallen und ich bin ein Mann, der sein Wort hält. Selbst als Mafioso sollte man sich zumindest seine Ehre bewahren. Aber was hätte ich denn davon, wenn die Triade aus Boston vertrieben ist und sowohl das Rotlichtviertel als auch Chinatown an irgendwelche kleinen Fische gehen und mir ein gutes Geschäft abhanden kommt? Ich bin in erster Linie Geschäftsmann, vergiss das nicht. Wer Schulden bei mir hat, der muss sie abbezahlen. Und wenn er das nicht kann, muss er entweder seinen Körper oder seine Organe verkaufen. Und warum sollte ich die Triade vernichten, ohne mir meinen Vorteil aus dem Geschäft zu ziehen? Selbst aus einem räudigen Schaf kann man noch ein Büschel Wolle gewinnen. Du solltest das auch machen. Ich würde mich also nicht unbedingt mit einer stinkenden Hyäne vergleichen lassen, sondern viel eher mit einem Krokodilwächter. Ich unterstütze dich und nehme im Gegenzug das, was ich selber brauche. So funktioniert letzten Endes unsere Zusammenarbeit. Die Einflussgebiete der Yanjingshe sind deine Hauptbeute, was also auch Chinatown betrifft. Die Rotlichtviertel hingegen sind die Würmer und Parasiten, von denen ich mich hingegen ernähren werde, weil du damit sowieso nichts anfangen willst. Spätestens seit diesem Vorfall von vor vier Jahren. Es ist ein unangenehmes Kapitel für dich, mit dem du dich genauso wenig befassen willst, wie mit dem Menschenhandel, von dem letztendlich ich lebe. Also ist es letztendlich nur fair, wenn ich Shens Bordelle und Nachtclubs erhalte und du dafür Chinatown. Mit den Asiaten kann ich ohnehin nichts anfangen. Für mich sehen die eh alle gleich aus.“ Zuerst schien es, als würde sich Wut in Araphel breit machen, doch stattdessen erwiderte er nur das selbstsichere Lächeln seines Mentors und mit einem Handschlag besiegelten sie ihre Abmachung. „Sergej, du machst deinem Titel als Patriarch und alter Fuchs wirklich alle Ehre.“ „Tja, ich weiß eben meine Brötchen zu verdienen. Und solange wir uns bei unseren Geschäften nicht in die Quere kommen, besteht auch kein Anlass, dass sich an unserer Freundschaft etwas ändert.“ Damit kehrten sie wieder zu ihren Wagen zurück. Sergej hätte wohl noch eine Verabredung mit seiner Verlobten (er gedachte nämlich trotz seines Alters ein drittes Mal zu heiraten) und Araphel hatte auch einige Dinge, die er zu erledigen hatte. Sam erwachte langsam aus einem sehr tiefen Schlaf und fühlte sich ziemlich gerädert. Er hatte einen seltsamen Traum gehabt, den er erst nicht so wirklich deuten konnte. Er hatte von einem schwarzen Löwen geträumt, der aus zahlreichen Wunden blutete. Sein lautes Brüllen war ihm durch Mark und Bein gegangen und da war noch eine Schlange gewesen. Sie war so gewaltig, dass man sie kaum noch als Schlange bezeichnen konnte. Viel größer als eine Anakonda und ihr Körper war dicker als ein Baumstamm. Immer und immer wieder schlug der Löwe seine Krallen in den Körper der Schlange, doch er hinterließ nicht einmal Kratzer bei ihr. Stattdessen riss die Schlange nur ihr Maul auf, ließ ein gefährliches Zischen vernehmen, was dem angriffslustigen Fauchen einer Katze nachkam. Immer und immer wieder schnellte der Kopf der Schlange vor und vergrub ihre Zähne in den Körper des Löwen und visierte dabei immer wieder seine Vorderläufe an, um ihn zu Fall zu bringen. Doch der Löwe kämpfte ungeachtet seiner Verletzungen immer weiter, um es mit der Schlange aufzunehmen. Sam hatte dieses grausame Schauspiel beobachtet und versucht, die beiden aufzuhalten und hatte immer wieder gerufen, dass sie damit aufhören sollten. Doch es hatte nichts gebracht. Die Schlange schnappte immer wieder nach dem Löwen, während der Löwe vergebens versuchte, ihren Kopf zu erreichen. Und als er dann nahe genug war, umwickelte die Schlange ihn und zerquetschte ihn. Im selben Moment biss ihr der Löwe ins Genick, woraufhin beide starben. Und in dem Moment, wo der Löwe noch während seines Todes ein letztes Mal sein Brüllen erklingen ließ, da war Sam auch schon aufgewacht. Zuerst war er völlig orientierungslos, denn als er die Augen öffnete, fand er sich selbst gar nicht die grauen Betonwände des Kellers wieder. Und er lag nicht in diesem alten Bett. Der Raum war hell und als er sich aufsetzte, erkannte er, dass er sich in einem gewöhnlichen Zimmer befand. Es gab Schränke und auch ein Fenster. Was war nur los? Wieso war er hier? Träumte er noch? Nein, das hier fühlte sich viel zu real für einen Traum an. Araphel hatte ihn offenbar aus einem unerklärlichen Grund in ein richtiges Zimmer verlegt, oder aber es war der Hilfe dieses Doktors zu verdanken. Sein erster Gedanke war, die Gelegenheit gleich beim Schopf zu packen und zu verschwinden. Also stand er auf und eilte zum Fenster hin. Tatsächlich ließ es sich öffnen und zu seinem Glück war er gerade mal im ersten Stockwerk. Unter ihm befanden sich Sträucher und Büsche. Wenn er also raussprang, würde er sich allerhöchstens ein paar Prellungen und Kratzer holen. Eine bessere Gelegenheit konnte man ihm kaum bieten. Schnell kletterte er auf den Fenstersims und wollte sich schon dem Abstieg widmen, da durchfuhr ihn plötzlich ein heftiger Schlag, der jeden Muskel in seinem Körper verkrampfen ließ. Es war ein Stromschlag, der ihn fast an den eines Tasers erinnerte. Er verlor augenblicklich die Kontrolle über seinen Körper, der unter schmerzhaften Krämpfen unkontrolliert zu zucken begann und er wäre schlimmstenfalls noch hinuntergefallen, wenn ihn da nicht jemand am Kragen gepackt und zurückgezogen hätte. Etwas ungeschickt fiel er zu Boden und sogleich hörten auch die Stromstöße auf. „Oi, ich deiner Stelle würde das lieber lassen. Du kriegst nur eine gewischt, wenn du abzuhauen versuchst.“ Sam blieb erst mal stöhnend liegen und brauchte einen Moment, um wieder ein Gefühl in seinem Körper zu bekommen. Er erkannte einen Mann mit dunkelrot gefärbtem Haar, der einen Hut trug und eine Zigarette rauchte. Den Gesichtszügen nach war er Asiate. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ fragte er und bekam sogleich auch schon eine Hand gereicht, die er annahm. Der Mann half ihm wieder hoch und brachte ihn zum Bett. „Mein Name oder besser gesagt mein Deckname ist Morphius Black. Du hast ja schon von mir gehört.“ Etwas ungläubig starrte Sam den Mann an, der einen eher desinteressierten und etwas zynischen Eindruck machte, so als wäre er nicht gerade an Smalltalk interessiert. Er konnte nicht glauben, dass das wirklich der Morphius Black war. Noch nie hatte er ihn persönlich getroffen und es war auch schwierig, ihn persönlich zu treffen, denn er zog es vor, möglichst anonym seine Informationen weiterzugeben. Und nun stand dieser leibhaftig und wie selbstverständlich vor ihm. Das ließ nur einen Schluss zu und auch wenn Sams Hirn noch ein wenig geröstet war, schnallte er ziemlich schnell, was Sache war. „Du bist Morphius? Dann bedeutet das, dass dieser Hinterhalt deine Schuld war?“ „Schuld würde ich es nicht nennen. Ich hab lediglich die Anweisungen befolgt, die ich erhalten habe und mehr nicht.“ „Dann arbeitest du für die Mafia? Aber ich dachte, du würdest ausschließlich der Polizei helfen.“ Morphius blies eine Nikotinwolke aus und starrte Sam mit Augen an, die ihn im Moment irgendwie an die einer grimmigen Katze erinnerten. Anders konnte man es einfach nicht beschreiben. Irgendwie machte dieser Kerl den Eindruck, als würde ihm alles am Arsch vorbeigehen, oder als würde ihm alles auf die Nerven gehen. „Wer sagt, dass ich nur der Polizei helfe? Ich verkaufe Informationen an den, der welche haben will und ob es nun ein Cop oder ein Krimineller ist, ist nicht mein Bier. Aber dass ich für die Mason-Familie arbeite, ist korrekt. Seit zwei Jahren schon, wenn du es genau wissen willst.“ Sam konnte es nicht glauben, dass jener Informant, auf den die Bostoner Polizei baute, so gestrickt war und tatsächlich sogar gegen die Polizei arbeitete. Dabei hatten Marco und die anderen immer so positiv von ihm gesprochen und dank seiner Hilfe unzählige Verbrecher schnappen können. Und dann stellte sich jetzt heraus, dass Morphius Black nicht den leisesten Hauch von Prinzipien hatte? Das war in Sams Augen einfach nur unvorstellbar und vor allem unverzeihlich. Wie konnte ein solcher Mensch nur ehrlos sein? „Und ich habe immer gedacht, du wärst ein Informant mit Prinzipien, weil die Polizei dank dir so viele Verbrechen aufklären konnte. Und jetzt stellt sich heraus, dass du ein ehrloser und geldgeiler Kleinmafioso bist?“ „Willkommen in der Realität“, gab Morph nur zurück und begann sich am Ohr zu kratzen. „Ist doch egal, für wen ich arbeite. Ob nun für die Cops oder die Mafia, keiner von denen hat eine weiße Weste. Die Polizei ist nicht so toll, wie du es dir in deiner naiven Welt ausmalst. Die Realität sieht nun mal so aus, dass sie ziemlich korrupt ist und die meisten von denen ohnehin von der Camorra-Familie und der Yanjingshe bestochen werden. Auch die Mason-Familie hat viele Kontakte. Oder was glaubst du, warum dein bester Freund dir den Job mit der Beschattung aufs Auge gedrückt hat? Ganz einfach: weil er seinen eigenen Arsch retten wollte.“ Ja, das hatte auch schon Araphel gesagt, aber so ganz wollte Sam das einfach nicht glauben. Marco und seine anderen Freunde waren ehrliche Menschen und er wollte einfach nicht glauben, dass sie als Polizisten wirklich so korrupt waren, dass sie ihn einfach an die Mafia verraten würden. Doch dann warf Morphius ihm einen Umschlag aufs Bett mit den Worten „So langsam solltest du der Realität ins Auge sehen. Boston ist ein verdammt heißes Pflaster geworden und so etwas wie Aufrichtigkeit und Prinzipientreue wirst du hier kaum finden. Marco Illes hat hohe Schulden bei illegalen Pokerrunden gemacht und steht seitdem in der Schuld der Mason-Familie. Und dein Bruder macht gemeinsame Geschäfte mit der Yanjingshe, indem er Bestechungsgelder annimmt und er hat dafür vor vier Jahren eine 20-jährige Studentin an die Yanjingshe verkauft. Deine anderen Kumpels Joe Banner, Tyson Dyer und Nigel Bless sind in Drogengeschäfte verwickelt. Das halbe Polizeirevier ist ein einziger korrupter Sauhaufen und du gehörst leider zu denen, die verraten wurden, damit die ihren Arsch retten konnten. Du kannst es noch so oft abstreiten und in deiner heilen Welt leben, oder einfach mal der Realität ins Auge sehen und akzeptieren, dass sie dich verraten haben. Ich mach das hier nur, weil du die Wahrheit wissen solltest und endlich aus deinem Traumland aufwachst. Du hast wirklich tapfer gekämpft, um deine Ideale und Prinzipien zu verteidigen, aber letzten Endes sind dir jene in den Rücken gefallen, denen du vertraut hast und die du für deine Freunde gehalten hast. In der Hinsicht hast du wirklich mein Mitgefühl. Glaub nicht, dass es mir leicht gefallen ist, dir das anzutun. Zu hören, dass die eigenen Freunde und die eigene Familie bereit ist, jemanden zu verraten, um sich selbst zu retten, ist wirklich das Allerletzte und geht sogar mir gegen den Strich.“ „Warum sollten sie mich verraten? Wieso ausgerechnet ich?“ „Das ist eine komplizierte Kiste“, erklärte Morphius und blies nun einen Rauchkringel aus, während er gedankenverloren gegen die Wand zu starren schien. „Dein älterer Bruder Lawrence hat es sich ziemlich mit Araphel verscherzt und aus Rache hat er dich in die Falle gelockt. Du musst wissen: Araphels Schwester war mit deinem Bruder zusammen. Sie waren ein Paar, aber Lawrence hatte Ärger mit der Yanjingshe und hat die Schwester daraufhin an die Yanjingshe verraten. Und die ist durch diese Leute zu Tode gekommen.“ Sam wich das Blut aus dem Kopf und ihm war, als würde er den Halt unter den Füßen verlieren. Sein Bruder sollte den Tod eines Menschen verantwortet haben? Nein, das würde Lawrence doch niemals tun! Zumindest hätte er das noch zu Anfang gesagt. Aber inzwischen begann er selbst zu zweifeln, dass da gar nichts dran war. Morphius Black war ein brillanter Informant und er irrte sich mit seinen Informationen nie. Er musste wissen, was passiert war und welchen Grund sollte er haben, das Ganze hier zu erfinden? Es wäre eine zu schlechte Lüge und er hätte sich jederzeit eine bessere einfallen lassen können. Und nun verstand Sam auch, was der Grund war, wieso es ausgerechnet ihn treffen musste: es war ein Ausgleich. Lawrence hatte Araphel seiner Schwester beraubt und nun nahm er diesem Mann ebenfalls einen Geschwisterteil weg. So war die Vorgehensweise der Mafia. Aber das erklärte nicht, warum er jetzt hier war. Als er Morphius diese Frage stellte, erklärte dieser: „Araphel hat seine Pläne halt geändert. Anstatt, dass er mit dir kurzen Prozess macht, will er dich am Leben lassen, aber dafür wirst du hier bleiben müssen. Und da der Keller wohl auf Dauer keine vernünftige Lösung ist, hat er entschieden, dir ein richtiges Zimmer zur Verfügung zu stellen. Allerdings unter gewissen Bedingungen.“ Damit tippte er auf ein Halsband, das Sam trug. Da dieser aber schon durch die Halsfessel im Keller so sehr daran gewöhnt war, hatte er erst nicht realisiert, dass er immer noch so etwas um den Hals trug. „Das ist eine andere Halsfessel als die im Keller. Funktioniert eigentlich fast genau nach dem Prinzip einer Fußfessel. Du kannst dich in einem bestimmten Radius bewegen, nämlich innerhalb des Hauses und dem Garten am Festflügel. Da du das äußerste Zimmer im Ostflügel hast, kannst du nicht aus dem Fenster klettern. Wenn du den Radius verlässt, kriegst du ordentlich eine gewischt wie bei einem Hundehalsband. Zudem verfügt die Halsfessel über ein GPS, mit dem man dich orten kann, solltest du dennoch abhauen. Falls du versuchst, die Fessel zu zerstören oder zu beschädigen, wird ein ziemlich lautes Alarmsignal gesendet, das genauso laut und nervtötend ist wie die Alarmanlage eines Autos. Solltest du dennoch das Halsband zerstören und abhauen, wird ein versteckter Sender ein GPS-Signal senden, sodass man dich sofort wiederfindet. Das sind die Rahmenbedingungen, dass du nicht im Keller versauern musst. Dafür hast du wesentlich mehr Bewegungsfreiheiten und vor allem deutlich mehr Komfort. Ach ja, bevor ich es vergesse: Araphel wies mich an, dir eine Zusatzinfo auszurichten.“ Damit holte Morphius noch einen versiegelten Briefumschlag hervor und gab ihn Sam. „Solltest du Kontakt nach draußen aufnehmen, werden die Bilder im Netz landen und dann wirst du dich nirgendwo mehr blicken lassen können. Das sind seine Worte. Keine Bange, ich hab nicht reingeschaut. Auch ein „ehrloser“ Informant wie ich hat Prinzipien.“ Zögernd öffnete Sam den Umschlag und als er die Fotos sah, durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Auf den Fotos war er abgebildet. Nackt, an der Halsfessel gekettet, gefesselt und in einer mehr als eindeutigen Situation. Entsetzt starrte er auf die Bilder. Wenn diese an die Öffentlichkeit gerieten, wäre das sein Ende. „Was verspricht er sich davon, mich hier gefangen zu halten? Und wieso hat er mich in dieses Zimmer gesteckt und nicht im Keller gelassen?“ „Er hat eben seine Gründe. Eigentlich plaudere ich nicht mehr als nötig über meinen Boss aus, aber Araphel ist nicht der schlechte Mensch, für den man ihn halten mag.“ „Und warum arbeitest du für die Mason-Familie?“ „Tja, das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist der, weil die Mason-Familie mir, meiner Tochter und jenen, die mir nahe stehen, Sicherheit garantieren.“ „Sicherheit vor wem?“ „Na vor wem wohl? Vor der Yanjingshe. Sie haben versucht, mich abzuknallen, indem sie einen gekauften Polizisten mit meiner Ermordung beauftragt hatten. Allerdings bin nicht ich dabei draufgegangen, sondern meine Ex-Frau, mit der ich zu dem Zeitpunkt unterwegs gewesen war. Aus diesem Grund haben sich auch viele andere der Mason-Familie angeschlossen: weil sie entweder aus der Triade ausgestiegen sind oder anderweitig verfolgt werden. Denn da Shens Einfluss sehr weit in der Polizei reicht und er sogar Beziehungen zu Politikern hat und diese auch ausnutzt, wird er das ausnutzen, um seine Feinde zu verfolgen und zu töten. In solchen Zeiten ist auf die Polizei kein Verlass. Aus diesem Grund schließt man sich lieber dem Feind seines Feindes an, weil dieser einen besser beschützen kann. Du solltest dich also vorsehen. Denn es ist weitaus gefährlicher, sich Shen zum Feind zu machen und wenn er schon deinen Bruder im Visier hat und erfährt, dass dieser dich an Araphel verkauft hat, wirst du der nächste sein, den er jagen wird. Überlege dir also, was du tun willst. Ich für meinen Teil kann gerne darauf verzichten, in einer Stadt zu leben, die von einem Psychopathen regiert wird. Natürlich respektiere ich auch deine Ideale und deine Bemühungen, das organisierte Verbrechen in Boston zu bekämpfen. Aber du solltest dein Augenmerk lieber auf die größere Bedrohung richten. Wenn die Yanjingshe erst einmal Araphel gestürzt hat, wird ihm niemand mehr standhalten können. Der Patriarch ist alt und kein Kämpfer mehr, die Polizei ist längst unter Shens Kontrolle und darum würde ich dir anraten: überdenke deine Vorgehensweise. Ist es wirklich sinnvoll, einen Pfeiler einzureißen, wenn über dir dann das gesamte Gebäude zusammenbricht? Unser Ziel ist es, Shen aus dem Weg zu räumen und die Yanjingshe zu zerschlagen, um Rache zu nehmen und seinem Terror ein Ende zu setzen. Jeder in der Mason-Familie hat große Verluste durch die Yanjingshe erlitten. Am meisten Araphel. Naja, ich hab auch erst mal genug gequasselt. Dir raucht sicherlich schon die Birne. Bevor ich mir noch endgültig den Mund fusselig rede, lass ich dich erst mal alleine. Araphel kommt sowieso gleich und da will er sicher nicht, dass ich noch hier bin.“ Bevor Morphius aber ging, holte er noch etwas aus seiner Tasche und warf es Sam zu. Es war eine Tafel Schokolade. Dabei sagte der Informant noch „Sorry übrigens für die linke Tour, betrachte es als kleine Wiedergutmachung“, bevor er ging. Sam sah ihm nach, bis er durch die Tür verschwunden war, dann sah er sich die Schokoladentafel an. Als er sie öffnete, fand er einen Schlüssel, der darin versteckt worden war. Verwirrt runzelte der Detektiv die Stirn. Wozu der Schlüssel wohl gut war? Jedenfalls nicht der für das kleine Vorhängeschloss am Halsband, das stellte er bei einem Test schnell fest. Nein, es sah aus, als könnte man damit einen Raum aufschließen. Aber was bezweckte Morphius damit? Wollte er ihm irgendetwas Bestimmtes zeigen? Nun, dazu musste er wohl erst mal die passende Tür finden. Doch dazu kam er nicht, denn da betrat auch schon Araphel das Zimmer. Kapitel 8: Narben ----------------- „Es gibt eine sichere, unentrinnbare Strafe auf dieser Welt für den Schurken. Welche? Die Gewissensbisse, die nie ausbleiben, und die Rache der Menschen, die selten ausbleibt.“ Voltaire, französischer Philosoph Es gelang Sam noch rechtzeitig, den Schlüssel zu verstecken, bevor Araphel etwas bemerken konnte. Der Mafiaboss lockerte seine Krawatte ein wenig und setzte ein kühles, selbstsicheres Lächeln auf, als sich sein Blick mit Sams traf. „Na? Gefällt dir deine neue Unterkunft?“ „Sie wäre wesentlich angenehmer, wenn ich nicht dieses Schockerhalsband tragen müsste und ich diese Bildererpressung nicht im Nacken hätte.“ „Irgendwie muss ich mich doch absichern, dass du mir keinen Ärger machst.“ Araphel kam näher und zog nun sein Jackett aus und legte es über einen Stuhl, dann nahm er auch endgültig die Krawatte ab. Sam wusste, was das bedeutete und was ihm bevorstand. Araphel würde wieder mit ihm schlafen, so wie die letzten Tage zuvor. Doch seltsamerweise erschien ihm dies nicht mehr so unangenehm und unvorstellbar wie noch zu Anfang seiner Gefangenschaft. Auch wenn Araphel ihn oft misshandelt hatte und sein Körper nach wie vor von Hämatomen übersät war, so konnte er schon längst nicht mehr abstreiten, dass von dem Mafiaboss eine Anziehungskraft ausging, der er sich nicht ganz entziehen konnte. Auch wenn er auf die Schläge und Tritte gut verzichten konnte, so empfand er den Sex selbst schon längst nicht mehr als unangenehm. Darum versuchte er nicht einmal, wegzulaufen, als Araphel ihn aufs Bett niederdrückte und eine Hand unter sein Shirt schob, während er ihn küsste. Es war ein wilder und forscher Kuss, den Sam, ehe er sich versah, ohne zu zögern erwiderte. Auch wenn sich seine Meinung über Araphel nicht geändert hatte, fühlte es sich seltsamerweise nicht falsch an, so etwas wie das hier zu tun. Zumindest nicht mehr. Es war einfach so, als hätte sein Körper Araphel akzeptiert, so bescheuert das auch klingen mochte. Selbst diese Hand, die über seine Brust strich, langsam und begierig seinen Körper erforschte und ihre Aufmerksamkeit insbesondere seinen sensibelsten Punkten widmete, löste nicht mehr diesen Widerwillen in ihm aus. Stattdessen fühlte er eine angenehme Gänsehaut und wie sein Herz vor ungeduldiger Erwartung höher zu schlagen begann. Er bemerkte sofort, dass Araphel gar nicht die Anstalten machte, grob zu ihm zu sein, ihn einzuschüchtern oder zu demütigen. Es war seltsam. Zuerst dieses Zimmer und jetzt war er auf einmal so zärtlich zu ihm. Doch es störte ihn nicht im Geringsten, im Gegenteil. Als er spürte, wie Araphels Zunge seine Brustwarzen umspielte und sie durch diese besonders süße Stimulation spürbar hart wurden, fühlte es sich bei weitem intensiver und schöner an als sonst. Ein angenehmes, heißes Kribbeln ging durch seinen Körper und er schloss die Augen, um dieses Gefühl noch weiter auszukosten. Selbst als eine Hand seinen Schritt ertastete, machte er keinerlei Anstalten, ihn zurückzuweisen. Mochte es an der instinktiven Angst vor Schlägen liegen, oder aber er hatte wirklich bereits so viel Gefallen daran gefunden, so berührt zu werden. „Mh…“ Etwas beschämt darüber, dass er so errötete und dass ihn dieses Spiel hier so sehr erregte, wandte er den Blick ab, während Araphel weiterhin seinen Körper liebkoste, an Sams Ohr knabberte und mit seiner Hand über dessen Körper strich, wobei er bemerkte „Du bist ganz schön dürr geworden.“ Zugegeben, Sam hatte zwischendurch mit dem Gedanken gespielt, in eine Art Hungerstreik zu treten, um so seine Freilassung zu erzwingen. Aber da hatte Dr. Heian nicht mitgespielt, der ihm daraufhin angedroht hatte, ihn noch künstlich zu ernähren und ihm einen Schlauch durch den Hals zu schieben, wenn er damit nicht aufhörte. Und das hatte er auch nicht wirklich gewollt, weshalb er letztendlich doch wieder seinen Hungerstreik beendet hatte. Dennoch hatte er seitdem nicht viel zu sich genommen, insbesondere weil sein Magen nach den Prügelattacken von Araphel zwischendurch ziemlich rebelliert hatte. Und dann war vor kurzem auch sein Asthma schlimmer geworden. Es ging ihm sogar so dreckig, dass er kaum aufstehen konnte und Dr. Heian sich sogar mit Araphel angelegt hatte, als dieser wieder in den Keller gekommen war. Wenn es um das Wohl seiner Patienten ging, schien er nicht mal davor zurückzuschrecken, sich mit Araphel dem Bostoner Löwen anzulegen. Als Sam nichts auf Araphels Bemerkung erwiderte, biss dieser halb zur Strafe in seine Brustwarze. Der Schmerz, der wie eine Art zusätzliche Stimulation wirkte, ließ Sam zusammenzucken und er konnte sich nur mit Mühe beherrschen, um seine Stimme zurückzuhalten. Doch dem Mafiaboss entging das durchaus nicht. Und als er damit begann, Sams Hose zu öffnen, da sah er direkt, dass dieser erregt war. Sehr zur Beschämung des Detektivs, der sein Gesicht zu verbergen versuchte, damit Araphel nicht sah, wie rot er um die Wangen war. Araphel beobachtete ihn mit einer gewissen Verwunderung, denn mit der Reaktion hatte er nicht gerechnet. Es sah nicht danach aus, als würde es Sam zuwider sein, wenn er so etwas mit ihm machte. Und es sah nicht danach aus, als hätte er zu viel Angst davor, um sich zu wehren. Nein, es sah mehr danach aus als… als würde es ihm gefallen. Nun war der Mafiaboss wirklich erstaunt, doch zugleich amüsierte es ihn auch. Wer hätte gedacht, dass ihm ausgerechnet jene Person verfallen würde, die ihn so sehr verachtete und die er tagelang wie ein Tier im Keller an eine Halsfessel gekettet hatte? Das war wohl wirklich blanke Ironie. Doch als er die vielen blauen Flecken sah, die er Sam in seiner Wut zugefügt hatte, wurde ihm anders zumute. Er musste an Christine denken, wie sie auf ihn losgegangen war und die Nerven verloren hatte. Wie sehr das alles sie selbst an jene Hölle erinnerte, aus der er sie damals gerettet hatte. Vor vier Jahren, als er sie gerettet und dafür seine Schwester verloren hatte. Welcher Wahnsinn hatte ihn nur dazu geritten, so etwas zu tun? Er musste wirklich den Verstand verloren haben und auch wenn er es nur äußerst ungern zugab und es niemals laut ausgesprochen hätte, er bereute es wirklich. Das alles hätte nicht passieren dürfen. Nie hätte er sich so gehen lassen dürfen, dass er sich wie jene Person zu verhalten begann, die seine Schwester auf dem Gewissen hatte. Hätten Christine und die anderen beiden ihn nicht wachgerüttelt, dann hätte er Sam eines Tages vielleicht endgültig totgeprügelt, wenn er ihn nicht schon vorher komplett gebrochen hätte. Womöglich wäre dieser sogar so weit gegangen, dass er Selbstmord begangen hätte, um seinem Leid zu entfliehen. Er hatte definitiv nicht weit genug gedacht bei seinem Plan. Es wäre nur natürlich gewesen, wenn Sam alles Erdenkliche getan hätte, um hier rauszukommen, oder sich für die Tortur zu rächen, die man ihm angetan hätte. Er hatte alles Recht der Welt dazu. Und doch leistete er keinen Widerstand und verhielt sich so, als wollte er das hier. Warum? Fast hätte er diese Frage laut ausgesprochen, doch er schluckte sie sogleich auch wieder runter und verwarf diese Gedanken wieder. Er nahm Sams Hand weg, die sein Gesicht verbarg und drückte sie aufs Bett nieder. „Ich will alles von dir sehen.“ Nur zögernd zeigten sich wieder diese strahlend hellen eisblauen Augen, die jedes Mal wie Kristalle zu leuchten schienen. Augen, die keine Dunkelheit zu trüben vermochten. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatten diese eisblauen Augen ihn irgendwie fasziniert. Nicht bloß, weil sie ihn an Ahavas Augen erinnerten. Doch so wirklich erklären konnte er sich das nicht. Als er nun auch Sams Boxershorts ausgezogen hatte und der Detektiv nackt auf dem Bett lag, da verlor Araphel jegliche Beherrschung. Er wollte sich nicht mehr zurückhalten. Er wollte ihn jetzt sofort und er war jemand, der sich auch das nahm, was er wollte. Dieser doch recht schmale Körper mit dieser zarten und blassen Haut wirkte so fragil und schön, trotz der Hämatome, die ihn mehr oder weniger entstellten. Spuren der Wutausbrüche, die Araphel an ihm ausgelassen hatte. Sam hatte sich völlig in diesem unbeschreiblichen Gefühl verloren, das ihn übermannte. Nie hätte er gedacht, dass Araphel so leidenschaftlich vorgehen konnte. Und wahrscheinlich war auch das der Grund, wieso er nicht mal verbal den Versuch wagte, Widerstand zu leisten, sondern sich einfach diesem Moment hingab. Selbst als eine Hand sein Glied umfasste und zu massieren begann, da ließ er es einfach zu. Er dachte in diesem Moment auch nicht mehr über richtig oder falsch nach. Sein Gefühl sagte ihm einfach, dass es in Ordnung war und darum gab es sein Kopf auch auf, ihm einreden zu wollen, dass er das hier beenden und von hier verschwinden sollte. Als er dann aber spürte, wie sich ein Finger langsam durch seinen Schließmuskel drückte, da hielt er sich instinktiv an Araphels Schultern fest. Der Mafiaboss selbst hatte sein Hemd nicht ausgezogen. Er tat es nie, wenn sie miteinander schliefen. Und selbst jetzt machte er keinerlei Anstalten. Ob das wohl so eine seltsame Angewohnheit von ihm war? „Wenn du dich verkrampfst, wird es gleich umso schmerzhafter für dich.“ Sam versuchte ruhig zu atmen und etwas lockerer zu werden. Als er die Luft einsog, roch er den Duft eines Aftershaves. Diesen Duft nahm er nicht zum ersten Mal wahr, sondern er hatte ihn schon des Öfteren gerochen. Aus irgendeinem Grund war ihm so, als wäre das Araphels eigener unverkennbarer Duft und allein diesen wahrzunehmen, wirkte seltsam beruhigend auf ihn. Und ohne es zu wollen, rutschte ihm auch versehentlich die Bemerkung heraus „Dein Aftershave riecht gut.“ Ein amüsiertes Schnauben war zu hören, woraufhin Araphel nur erwiderte „Ist ne billige Marke.“ Als ein zweiter Finger eindrang und der Druck auf seinen Schließmuskel nur verstärkt wurde, verkrallte Sam seine Hände in Araphels Hemd. Sein Körper reagierte unbeschreiblich sensibel auf diese Stimulation und insbesondere als Araphel einen besonders sensiblen Nerv berührte, durchfuhr Sams Körper ein heißer Schauer der Erregung und ein lustschweres Keuchen entfuhr ihm. Er wollte schon eine Hand auf seinen Mund pressen, um sich so davon abzuhalten, noch mal so etwas zu tun, doch da kam Araphel ihm zuvor und küsste ihn erneut. Schließlich aber, als Araphel seine Finger wieder herauszog und Sam einen kurzen Moment zum Durchatmen bekam, hörte er, wie der Mafiaboss den Reißverschluss seiner Hose öffnete und dann drang der Mafiaboss auch schon in ihn. Ohne Vorwarnung wurde sein Innerstes auseinandergerissen und erneut verkrallten sich seine Hände in Araphels Hemd, wobei er laut aufstöhnte, als er diesen heißen und pulsierenden Druck in sich spürte. Für einen Moment raubte es ihm den Atem und er war von einer unbeschreiblich intensiven Mischung aus Lust und Schmerzen ergriffen, die ihn endgültig alles vergessen ließen. Er klammerte sich regelrecht an Araphel fest und ihm war, als würde sein Körper in dieser Hitze dahinschmelzen. Und nun sah er auch Araphels Gesicht deutlicher. Zuvor hatte dieser ihn immer von hinten genommen, vermutlich weil er sein Gesicht nicht sehen wollte. Doch warum war es jetzt anders? Wieso sah Araphel ihn jetzt so direkt an und warum schlug er ihn nicht? Was hatte ihn dazu bewegt, ihn jetzt auf einmal so zärtlich und leidenschaftlich zu berühren und ihn nicht mehr zu demütigen und erniedrigen wie einen räudigen Hund an der Leine? Und wieso fühlte er diesen Stich in der Brust, als er da etwas in Araphels Augen sah, was so unendlich dunkel und traurig wirkte. Es war, als würde er in diesem Moment etwas in ihm sehen, was Araphel niemals einem Menschen jemals zeigen würde. Selbst aus seinen Augen hatte er sie verbannt, um niemals schwach zu wirken, nicht eine Sekunde lang. Und dennoch sah es Sam deutlich. Tief verborgen war da der verwundete Löwe, der sich die Seele aus dem Leib brüllte. Entweder, um nach Erlösung aus seiner Qual zu rufen, oder aber um sich einfach nur seines Schmerzes zu entäußern. Und da verstand Sam auch, wieso diese grausamen Dinge in den letzten Tagen passiert waren und was Araphel dazu veranlasst hatte, ihn so zu misshandeln. Es war seine Art, sich seiner Wut und seines Schmerzes zu entäußern, der tief in seiner Seele saß. Und der Gedanke daran schmerzte Sam gleichermaßen. Er fragte sich, was wohl geschehen sein mochte, dass dieser stolze Löwe all diese tiefen Wunden hatte und die ihn so unendlich schmerzten. Vor allem aber fragte er sich, was er tun könnte, um dieses Leid zu beenden. Kaum vorstellbar, aber er empfand tatsächlich Mitleid mit dieser verletzten Seele, die er in diesem Moment der Schwäche in Araphels dunklen Augen sah. Verborgen hinter einem finsteren Gesichtsausdruck, der Ernst, Ruchlosigkeit und Kampfgeist verriet. Ohne sich gänzlich darüber bewusst zu werden, schloss er seine Arme um Araphels Körper, um ihn festzuhalten. Seine Hände wanderten unter das Hemd und ertasteten dabei den muskulösen Rücken, der darauf schließen ließ, dass der Boss der Mason-Familie sehr sportlich war. Sein Körper fühlte sich so heiß an. Er glühte regelrecht in den Wogen der Lust und Leidenschaft, während Araphel immer und immer wieder hart und tief zustieß und Sams Gedanken immer wieder aufs Neue ausgelöscht wurden und nichts als eine weiße Leere in seinem Kopf hinterließen. Doch es war nicht schlimm, es war in Ordnung so. Solange es diese verletzenden Worte, diese Gewalt und diesen Hass nicht gab, war es vollkommen in Ordnung für ihn. „Ah… aaah…“ Sein Körper fühlte sich so unbeschreiblich heiß an und ihm war, als würde sein Körper zerfließen. Immer und immer wieder wurde er aufs Neue von diesem wohligen Gefühl der Lust und Begierde davongetragen, die seine Wahrnehmung trübten und ihn alles um sich herum völlig vergessen ließen. Er konnte Araphels heißen Atem spüren, der ihm ein angenehmes Kribbeln auf der Haut verursachte. „Vergiss nicht, dass du allein mir gehörst“, hörte er diese tiefe Stimme dicht an seinem Ohr raunen. „Und niemandem sonst.“ Für gewöhnlich hätte er spätestens jetzt Widerworte gegeben. Er hätte gesagt „Ich gehöre niemandem und dir schon gar nicht, klar?“ oder irgendetwas anderes in der Art. Aber sein Kopf war vollkommen leer. Er war nicht imstande, über solche Worte nachzudenken, da sein Körper von diesem unbändigen Verlangen beherrscht wurde, Araphel tief in sich zu spüren. Er gehorchte keiner Logik mehr, sondern nur noch einer wilden Begierde, die er nicht kontrollieren konnte. Mehr, er wollte mehr. Seine Hände tauchten immer tiefer unter sein Shirt und ertasteten seinen kräftigen Rücken. Doch da ertastete er etwas anderes. Eine Unebenheit… eine harte und raue Unebenheit, die sich so falsch und hässlich anfühlte. Und erst einen Augenblick später wurde ihm klar, dass das Narben waren, die er da ertastete. Lange dünne Narben und dann noch eine besonders tiefe, die unverkennbar von einer alten Brandwunde stammte. Araphels Rücken war von unzähligen Narben gezeichnet worden. Im nächsten Augenblick wurden seine Hände aufs Bett gedrückt und mit dem Gürtel zusammengebunden. Diese provisorische Fessel war so stramm, dass es wehtat und er wollte Araphel bitten, ihm die Hände wieder loszubinden, doch kaum, dass er das Wort erhob, drückte der Mafiaboss ihn nieder und seine Augen funkelten wütend. „Wag es nie wieder, das zu tun.“ Erst da erkannte Sam, dass er etwas getan hatte, was er nicht hatte tun dürfen. Araphel hatte sein Hemd niemals ausgezogen, weil er diese Narben auf seinem Körper niemandem zeigen wollte. Niemand durfte sie sehen, weil sie etwas von ihm preisgaben, was er niemanden sehen lassen wollte. „Es tut mir leid“, sagte Sam und senkte den Blick. Er wollte nicht, dass Araphel wieder so wütend auf ihn war und seine ganze Wut an ihm ausließ. Er wollte diese Schmerzen und diese Demütigungen nicht mehr ertragen, aber vor allem wollte er nicht, dass Araphel auf ihn wütend war. Und darum protestierte er auch nicht mehr gegen die Fesseln, sondern akzeptierte sie stillschweigend als seine Strafe dafür, dass er etwas Verbotenes getan hatte. Doch wie sich herausstellte, folgte kein Schlag ins Gesicht, kein Würgen oder eine unmenschliche Demütigung. Stattdessen drückte Araphel ihn dieses Mal mit sanfter Gewalt aufs Bett nieder, um sicherzugehen, dass Sam sich nicht noch einen solchen Fehltritt leistete. Erleichterung überkam den Detektiv. Die Angst, diesen Moment mit seiner Unbedachtheit zerstört zu haben, verflüchtigte sich und er atmete fast schon erleichtert auf. Dieses Mal bewahrte Araphel seine Beherrschung. Wieder stieß Araphel hart und tief zu und trieb Sam immer näher an sein Limit. Der Detektiv rang nach Luft und er spürte, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte. Er keuchte schwer und ihm war, als würden Sterne vor seinen Augen tanzen. „A… Araphel…“ Für einen Moment wurde seine Sicht von einem blendenden Weiß verschleiert, als er zu seinem Orgasmus kam. Kurz darauf hörte er auch Araphel laut aufkeuchen, spürte, wie sich dieser in einem letzten Kraftakt aufbäumte, als auch er seinen Höhepunkt erreichte. Schwer atmend und schweißgebadet lag Sam auf dem Bett und ließ seinen Kopf gänzlich ins Kissen sinken. Er glaubte sogar, den angenehmen Duft von Weichspüler zu riechen. Doch als er die Luft einatmete und ihm plötzlich so war, als würde sich seine Lunge zuschnüren, da überkam ihn erst mal ein Hustreiz, bevor er nach Atem zu ringen begann. Schnell befreite Araphel ihn von der Fessel und holte aus dem kleinen Nachtschränkchen neben dem Bett den Inhalator, den er Sam sogleich in die Hand drückte. Mit einem befreienden Zug von dem Asthmaspray befreiten sich seine Atemwege sogleich wieder, sodass er wieder durchatmen konnte. „Geht’s wieder?“ Es war das erste Mal, dass Araphel sich nach seinem Zustand erkundigte. Irgendwie war es ein wenig seltsam, aber diesen leicht besorgten Unterton bei ihm zu hören, ließ in ihm doch ein gewisses Glücksgefühl aufkommen. „Ja, alles bestens“, antwortete er und legte das Asthmaspray beiseite. „Mein Asthma ist schon immer sehr problematisch gewesen. Darum konnte ich auch nie Polizist werden, so wie der Rest meiner Familie. Aber dennoch wollte ich unbedingt in ihre Fußstapfen treten. Darum bin ich letzten Endes Detektiv geworden.“ Araphel stand auf und begann sich wieder anzuziehen. Wahrscheinlich hatte er noch zu tun. Er sah auch nicht danach aus, als würde ihn diese Erzählung sonderlich interessieren und das bestätigte sich auch ein Stück weit, als er mit einem trockenen „Verstehe“ antwortete. Als er sich seine Krawatte und sein Jackett schnappte, wandte er sich noch einmal Sam zu. „Innerhalb des Hauses sowie im Garten des Westflügels kannst du dich frei bewegen. Wag es aber nicht, mir Ärger zu machen, kapiert? Sonst findest du dich schneller im Keller wieder, als dir lieb ist. Und dann wirst du da unten nicht mehr rauskommen und dann werde ich dir nichts außer deiner Haut lassen. Halte dich aus Dingen raus, die dich nichts angehen und lass dir eines gesagt sein: manche Türen sind nicht dazu da, um geöffnet zu werden. Misch dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten ein, denn solange du hier bist, bist du kein Detektiv. Also provozier es nicht, sonst wirst du es bereuen.“ Damit verließ Araphel das Zimmer, ohne ihn auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Als Sam so da saß auf dem Bett, kam er sich in diesem Moment irgendwie schäbig vor. Ob Araphel wütend auf ihn war, weil er nun über diese Narben auf seinem Rücken Bescheid wusste? Irgendetwas musste es mit diesen Narben auf sich haben, dass er niemanden davon wissen lassen wollte. Es musste etwas sein, was Araphel selbst vergessen wollte. Etwas Schreckliches, das nicht nur Wunden auf seiner Haut hinterlassen hatte, sondern auch in seiner Seele. Kapitel 9: Sex mit dem Ex ------------------------- „Wenn man sich durchaus an seinem Gegner rächen will, so soll man solange warten, bis man die ganze Hand voll Wahrheiten und Gerechtigkeiten hat und sie gegen ihn ausspielen kann mit Gelassenheit: so dass Rache üben mit Gerechtigkeit üben zusammenfällt.“ Friedrich Wilhelm Nietzsche, deutscher Philosoph Dr. Yugure Heian war nach seiner langen Schicht tief und fest eingeschlafen. Mit einem Buch in der Hand, welches den Titel „Effie Briest“ trug und seine neueste Lektüre war, lag er auf dem Bett und war in einen tiefen Schlaf gefallen, ohne es zu merken. Es war ein angenehmer Traum gewesen, denn er war umso ungehaltener, als er aus dem Schlaf geweckt wurde, als er plötzlich spürte, wie es etwas enger im Bett geworden war. Irgendjemand küsste seinen Hals und eine warme und vertraute Hand strich über seine Haut. Da sich das zu echt für einen Traum anfühlte, wachte er langsam wieder auf und öffnete die Augen. Da man ihm die Brille abgenommen hatte, sah er das Gesicht vor sich ein klein wenig verschwommen, doch er brauchte es auch nicht zu erkennen. Allein der Geruch der Zigaretten war unverkennbar. Finster blickte er den Störenfried an, der ihn aufgeweckt hatte. Sofort verpasste er diesem einen Klaps mit dem Buch auf den Kopf und fragte mit gereizter Stimme: „Was soll das werden, wenn es fertig ist, Makoto?“ Der Informant unterbrach seine Aktion, drückte aber Heians Handgelenke aufs Bett, um zu verhindern, dass er aufstehen konnte. „Wie lange ist es schon her, seit du mit mir Schluss gemacht hast, Yu-chan?“ Diese Frage reizte den Arzt nur noch mehr und er atmete entnervt aus. „Offenbar noch nicht lange genug, um dir klar zu machen, dass das endgültig zwischen uns vorbei ist. Und ich wüsste auch nicht, wann ich dir je die Erlaubnis erteilt habe, mich im Schlaf in solch einer Art und Weise zu berühren. Also geh runter von mir, bevor…“ „Yu-chan!“ Dr. Heian hielt inne, als Morphius laut wurde und stutzte. Es war so gut wie nie vorgekommen, dass der Informant laut wurde. Normalerweise hatte dieser immer so eine ist-mir-scheißegal-Haltung und hatte auch sonst eine recht lockere Lebensart. Schon seit sie seit der Flintenhochzeitsgeschichte auseinandergegangen waren, hatten sie zwar zwischendurch immer wieder ein kurzes Techtelmechtel gehabt, waren dann aber direkt wieder auseinander gegangen und so war es immer wieder ein ständiges hin und her zwischen ihnen gewesen. Ihn selbst hatte es nicht gestört und auch nach der ganzen Zeit war er immer noch wütend auf den Informanten und er war auch der Überzeugung, dass das auch sein gutes Recht war. Aber er konnte nicht abstreiten, dass er trotzdem noch etwas für Morphius empfand. „Wie lange willst du noch sauer auf mich sein?“ fragte Morphius und sah ihn mit diesen Augen an, die nicht selten an die Augen einer mürrischen Katze erinnerten. „Ich habe mich doch wohl mehr als oft genug entschuldigt, also warum bist du dann immer noch so abweisend zu mir, obwohl du mich noch liebst?“ „Weil du ein unverbesserlicher Idiot bist, der nie aus seinen Fehlern lernt!“ gab der Arzt zurück und schaffte es, ihn wegzudrücken, wobei er auch seinen verärgerten Ton wiederfand. „Dass wir uns dazu entschließen würden, eine Leihmutter zu engagieren um eine Familie zu gründen, das ist eine Sache. Aber dass du dich von dieser Person über den Tisch ziehen lässt und sie heiratest, um das Sorgerecht nicht zu verlieren und mir nichts von all dem erzählst, das ist es, was mich so wütend macht. Was glaubst du wohl, wie es um meine Gefühle stand? Oder soll ich die nächstbeste Frau heiraten, nur weil sie mein Kind austrägt? Wir hätten das alles auch anders lösen können, aber du hast komplett alles überstürzt und diese… diese Metze gleich geheiratet!“ „Ja ich weiß, dass das ein Fehler war und ich blöd gehandelt habe. Und sie eine Metze zu nennen, ist ja wohl etwas hart, oder?“ „Jetzt nimm sie nicht auch noch in Schutz! Mein Problem ist einfach, dass du das alles auf die leichte Schulter nimmst und nicht darüber nachzudenken scheinst, was du da anrichtest. Wie soll ich dir denn noch vertrauen?“ „Dann gib mir wenigstens die Chance, dir zu beweisen, dass du mir vertrauen kannst.“ „Dass du mich im Schlaf überfallen hast, spricht nicht gerade dafür, dass ich dir vertrauen kann.“ „Und du bist nachtragend wie ein Elefant, Yu-chan. Und dabei weiß ich genau, dass du mich immer noch liebst. Ganz egal, wie oft du mir auch den Tod an den Hals wünschst.“ Hier beugte sich Morphius zu ihm herunter und küsste ihn. Es war ein zärtlicher und dennoch leidenschaftlicher Kuss und als sich ihre Lippen voneinander lösten, verschwand auch das Zynische und Mürrische aus Morphius’ Blick. „Die Flintenhochzeit war bescheuert, ich weiß es ja selbst und ich bereue es auch wirklich, dass ich mich so hab verarschen lassen. Aber… Ich wollte die Dinge auch alleine regeln.“ „Da sieht man, dass du ein Idiot bist.“ „Aber ein liebenswerter Idiot.“ Bei diesen Worten konnte der Arzt sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, was der Informant auch sogleich zum Anlass nahm und einfach weitermachte. Er begann ihm nun die Krawatte und das Hemd auszuziehen. Diese Schwierigkeiten hatten sie schon immer gehabt, denn der Arzt war vier Jahre älter als Morphius und zudem Akademiker, sehr gebildet und kultiviert. Er wurde nie vulgär oder ausfallend und hatte ein großes Wissensspektrum. Morphius, der vor seiner Zeit als Informant ein einfacher Journalist gewesen war, der zwar auch studiert hatte, aber nicht diesen Hang zum Kulturellen hatte, versuchte eben immer trotz der vier Jahre Altersunterschied mit ihm auf einer Stufe zu stehen. Und dabei realisierte er manchmal auch zu spät, dass er dabei völlig den Karren in den Dreck fuhr. Es brachte wohl nichts. Dr. Heian schüttelte den Kopf und kniff ihm in die Wange. „Du musst endlich mal mit dem Unsinn aufhören, dass du meinst, du müsstest irgendetwas alleine auf die Beine zu stellen, um mir etwas zu beweisen. Du siehst ja wohl, wohin das führt. Also lass diese Aktionen in Zukunft. Ich habe nie von dir verlangt, dass du irgendetwas beweisen musst und wenn du dir noch mal so etwas erlaubst, werde ich deine Labia an das Rektum eines Anthropidea festnähen. Darauf kannst du dich verlassen.“ „Zwar hab ich nicht alles verstanden, was du mir da androhst, aber dein Wunsch ist mir Befehl, Dr. Tod.“ Wieder küsste Morphius ihn, dieses Mal aber leidenschaftlicher und forscher. Als der erst anfängliche simple Kuss in ein wildes Zungenspiel überging, schmeckte Dr. Heian auch die Zigarette, die Morphius vorhin noch geraucht hatte. Wie oft hatte er ihm eigentlich schon in den Ohren gelegen, seinen Konsum wenigstens ein bisschen einzuschränken? Zwar hatte Morphius immer wieder mal Phasen gehabt, wo er gar nicht mehr geraucht hatte, aber aus irgendeinem Grund war er immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Darum drückte er ihn auch von sich mit der Erklärung „Du stinkst nach Nikotin.“ „Du rauchst doch selber.“ „Drei Mal in der Woche, wenn’s hochkommt, aber du rauchst schlimmer als ein Schornstein. Und dieser Geruch ist eben désagréable.“ „Schon verstanden. Dann werde ich eben aufhören. Ich hätte es spätestens eh dann getan, wenn wir Kaguya zu uns geholt hätten.“ „Dann hätte ich dich zum Rauchen auch vor die Tür gesetzt, bevor du die Kleine noch vergiftest.“ Nun hatte Morphius die letzten Knöpfe von Dr. Heians Hemd geöffnet. Dieses Hemd war quasi lupenrein weiß und der Informant nahm einen verräterischen Duft wahr, woraufhin er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Selbst nach dem heftigen Streit und der Trennung benutzte sein Ex-Lover immer noch das gleiche Parfüm, was er ihm jedes Jahr zu Weihnachten schenkte. In der Hinsicht waren sie wohl beide unverbesserlich. Auch wenn der Arzt es niemals zugegeben hätte und sich manchmal ziemlich arrogant und kalt gab, er empfand immer noch etwas für ihn. Und darum stand für Morphius auch fest, dass er es dieses Mal nicht verbocken würde. Dr. Heian hatte sich in seiner Rolle gefügt und nachdem er sich seines Hemdes entledigt hatte, ließ er sich von seinem Ex-Lover verwöhnen. Eigentlich war er es gewohnt, den dominanten Part innezuhaben, aber eine Abwechslung schadet auch nicht. Morphius auch mal die Chance zu lassen, mal den aktiven Part zu übernehmen, zeigte ja auch, dass er ihn als gleichberechtigten Partner ansah und es hatte auch durchaus seine Vorzüge, mal der Passive zu sein. Aber meist kam es immer auf die Situation an, wer welche Rolle übernahm und absprechen taten sie sich eigentlich so gut wie nie. Es war immer eine impulsive Entscheidung, bei der einer von ihnen spontan die Initiative ergriff und meist kam es auch auf die Laune an. Und da Morphius ja offensichtlich schon für sich beschlossen hatte, den aktiven Part zu übernehmen, ließ er ihm das Vergnügen auch. Immerhin wollte dieser ja unbedingt eine zweite Chance, da lag es auch an ihm, die Initiative zu ergreifen. „Hast du was für gleich?“ „In der Kommode ist ein Öl, was ich für meine Hände benutze. Das geht auch.“ Morphius holte besagten Gegenstand heraus und legte ihn für gleich bereit. Dann aber begann er fast schon ungeduldig damit, Dr. Heian den Gürtel auszuziehen, was diesem durchaus nicht entging. Und das war eine der Eigenschaften, die er weniger an Morphius schätzte: jedes Mal, wenn er den aktiven Part übernahm, ging er direkt ans Eingemachte und war kaum zu bremsen, wodurch man wirklich den Eindruck gewinnen konnte, als würde er Druck auf der Leitung haben. Und das konnte schon recht schnell die Stimmung ruinieren. Andererseits fiel das Küssen wegen dem Zigarettengeruch ohnehin flach. Also sagte er nichts. „Du hast mir verdammt gefehlt, Yu-chan“, hörte er den 30-jährigen flüstern, während dieser zärtlich seinen Hals und seine Brust liebkoste. Doch der gebürtige Arzt erwiderte nur „Wir sehen uns jeden Tag.“ „Das ist nicht dasselbe.“ Natürlich wusste Dr. Heian das auch. Auch für ihn war es nicht dasselbe, aber er hätte es nie im Leben zugegeben. Vielleicht war es ihm zu peinlich, vielleicht hatte er aber auch einfach nur zu viel Stolz dafür. Er war kein Mensch, der offen über seine Gefühle sprach oder seinen Emotionen freien Lauf ließ. Er behielt sie lieber für sich und redete auch nicht darüber, wenn ihm etwas auf der Seele lastete. Diese etwas introvertierte Art ließ ihn oft recht kühl und sogar arrogant erscheinen, weshalb er kaum von seinen Mitmenschen wirklich verstanden wurde. Doch Morphius war anders gewesen. Als sie sich vor knapp acht Jahren auf der Harvard Universität begegnet waren, hatte Dr. Heian damals sein Studium dort gemacht und war extra dafür aus Japan hergerreist. Morphius, der das Kind von Migranten war, war in Boston aufgewachsen und hatte Literatur studiert und auf eine Journalistenkarriere hingearbeitet. Keiner von ihnen beiden konnte so wirklich erklären, wie sie zusammengekommen waren, wo sie eigentlich kaum etwas miteinander zu tun gehabt hatten. Zurückblickend war es eher ein dummer Zufall gewesen, als Morphius während einer Feier so viel getrunken hatte, dass er schließlich die Treppen hinuntergestürzt war und sich dabei den Kopf so heftig aufgeschlagen hatte, dass er eine Platzwunde davongetragen hatte. Dr. Heian, der damals noch ein Medizinstudent gewesen war, war als Erster vor Ort gewesen und hatte Erste Hilfe geleistet und ihn sogar ins Krankenhaus begleitet, obwohl er ihn nicht kannte. Bei einem Krankenbesuch hatte er Morph einen verantwortungslosen Narr mit einer stark eingeschränkten Alltagskompetenz nannte. Und was hatte der Verletzte daraufhin gesagt? Ganz einfach nur „Ich hab zwar keine Ahnung, was du gesagt hast, aber ich finde dich echt scharf.“ Zwar hatte Dr. Heian ihn mehrmals abgewiesen, aber Morphius war hartnäckig geblieben und so war dem Medizinstudenten fast gar nichts anderes übrig geblieben, als nachzugeben, denn Morphius’ Hartnäckigkeit (und sein gut gebauter Körper) hatten ihm sehr imponiert. Nachdem er zum Doktor der Medizin promovierte und nach Japan zurückkehren musste, hatte sein Entschluss bereits festgestanden, dass sein Platz in Boston bei Morphius war. Eine Zeit lang waren sie ein recht glückliches Paar, bis sich dann dieser Vorfall vor fast drei Jahren ereignete, der das Ende ihrer Beziehung eingeläutet hatte. „Yu-chan…“ Als er wieder diesen Namen hörte, vergaß er seinen Ärger und führte Morphius’ Gesicht näher an seines heran und küsste ihn, ungeachtet des Nikotingeruchs, den er nicht mochte. Ach was soll’s, dachte er sich einfach. Dann liebe ich eben diesen Idioten halt. Den werde ich doch eh beim besten Willen nicht los. Es macht ja auch keinen Sinn, sich noch weiter wie eine eingeschnappte Ehefrau aufzuführen. „Ich dachte, der Zigarettengestank nervt dich.“ „Scheiß drauf…“ Hier konnte Morphius sich sein Grinsen nicht verkneifen. Er begann nun selbst seine Sachen abzulegen und ihn so ganz ohne Hut zu sehen wirkte auf den 34-jährigen schon etwas ungewohnt. Es war ein Geschenk gewesen, nachdem Morphius als Journalist den Pulitzerpreis gewonnen hatte. Seitdem trug er diesen Hut ständig und es war quasi sein Markenzeichen geworden. Manchmal hatte dieser Kerl wirklich etwas von einem treuherzigen Hund, sodass sich Dr. Heian nicht selten die Bemerkung verkneifen konnte, dass Morphius sich wie „Hachiko“ aufführte. „Ich liebe es, wenn du vulgär wirst, Yu-chan.“ Als der Informant sein Shirt ausgezogen hatte, bemerkte Dr. Heian, dass sein Ex-Freund an Muskeln zugelegt hatte. Nun, er wusste, dass Morphius ein talentierter Freerunner war, aber dass er selbst bei seinen vielen Beschäftigungen sogar noch fitter als früher war, beeindruckte den 34-jährigen, auch wenn er nichts dergleichen sagte. Und zugegeben, es erregte ihn schon, diesen kräftig gebauten Oberkörper zu sehen, den Morphius geschickt unter seinen schlabberigen Shirts zu verstecken wusste. Er selbst achtete da nicht so direkt drauf, da er mehr ein Kopfmensch war und nie ein begeisterter Fan des Sports war. „Offenbar gefällt dir, was du siehst.“ Sofort wandte der Arzt den Blick ab und murmelte etwas auf Japanisch, was wohl „Dummkopf“ bedeuten sollte, doch es brachte nichts, es zu leugnen. Seine roten Wangen sowie seine mehr als deutlich zu erkennende Erregung waren eindeutig genug. Eine Situation, die ihm mehr als peinlich war. Warum auch musste der Anblick von Morphius’ durchtrainiertem Körper ihn auch jedes Mal so erregen? In der Hinsicht musste der gebürtige Arzt zugeben, dass er eben seine gewissen Vorlieben hatte. Und als Morphius ihm nun auch die restliche Kleidung auszog, wandte Dr. Heian mit einer etwas verärgert wirkenden Miene den Blick ab, doch Morphius wusste genau, warum sich sein Ex so verhielt. Es war ihm halt unangenehm, wenn man seine andere Seite sah, die nicht so kühl und unantastbar wirkte. „Yu-chan…“ Der 34-jährige antwortete nicht, als er seinen Spitznamen hörte und als er ein zaghaftes Eindringen zweier Finger spürte, versuchte er, sich seine mehr als eindeutigen Gefühle nicht allzu sehr anmerken zu lassen, doch es brachte nichts. Kaum, dass Morphius’ Finger sich ihren Weg in sein Innerstes gebahnt hatten, ertasteten sie auch schon jenen sensiblen Punkt, bei dem keine Willenskraft mehr half, um die immer stärker wachsende Erregung zu verbergen. Morphius wusste genau, wo er ihn am besten kriegen konnte. Er kannte jeden Zentimeter seines Körpers und all seine erogenen Punkte. Und das ließ er ihn auch deutlich spüren, als er sich an einer besonders sensiblen Stelle am Hals festsaugte und einen Knutschfleck hinterließ, die hart gewordenen Brustwarzen mit der Zunge umspielte und spielerisch in eines der Ohrläppchen biss. Der 34-jährige keuchte leise und hatte sichtlich Mühe, seine Stimme zurückzuhalten. Sein Körper war bereits am Glühen und das Blut staute sich immer weiter. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der letzte Sex gut und gerne eineinhalb Monate zurücklag. Dafür aber schien sich alles nur noch umso intensiver anzufühlen. Oder lag es daran, weil er es aufgegeben hatte, noch weiter wütend auf Morphius zu sein? „Ma… Makoto…“ „Ja, Yu-chan?“ „Lass mich nicht noch länger warten.“ Ein leises Schmunzeln war zu vernehmen, bevor der Informant mit „Okay“ antwortete. Langsam entfernten sich die Finger wieder und da er wusste, was nun kommen würde, spreizte der Arzt die Beine ein wenig mehr und als er einen deutlich stärkeren Druck auf seinen Schließmuskel spürte und wie eine starke Hitze von ihm Besitz ergriff, umschlangen seine Arme beinahe reflexartig Morphius’ Körper und drückten ihn fest an sich. Dr. Heian spürte den schnellen Herzschlag und die vertraute Wärme dieses durchtrainierten Körpers und in dem Moment vergaß er auch seine ganze Wut und den Ärger, den er seinem Ex gegenüber empfunden hatte. Als Morphius sich in Bewegung setzte, spürte der 34-jährige, wie sich seine Muskeln immer wieder aufs Neue anspannten, spürte den heißen Atem und hörte das lustschwere Keuchen dicht an seinem Ohr. Morphius ließ keine Rücksicht walten. Seine Stöße waren hart und tief und raubten dem Arzt fast den Atem. Seine Finger vergruben sich in den Schulterblättern und es gelang ihm nicht mehr, seine Stimme weiterhin zurückzuhalten. In dem Moment, als Morphius wieder seinen sensibelsten Nerv traf und seinen ganzen Körper in eine unbeschreibliche Ekstase versetzte, verlor er jegliche Kontrolle über sich selbst und seine Lustschreie erfüllten den Raum. Hätte er nicht eh schon eine Sehschwäche, so wäre alles gänzlich um ihn herum völlig verschwommen. Selbst Morphius’ Gesicht konnte er ohne seine Brille nicht erkennen, woran nur seine Weitsichtigkeit schuld war. Verdammt, warum nur musste dieser Idiot auch so verdammt gut im Bett sein? Oder lag es daran, weil sie schon seit sechs Wochen nicht mehr miteinander geschlafen hatten, obwohl sie eigentlich getrennt waren? Er konnte es beim besten Willen nicht sagen. Als ein elektrisierendes Kribbeln durch seinen Körper fuhr und er spürte, dass er sich nicht mehr länger zurückhalten konnte, hielt er Morphius fest an sich gedrückt, als er sich dann in einem finalen Kraftakt aufbäumte und vor seinen Augen alles weiß wurde. Einen Moment spürte er eine heiße Flut, die sein Innerstes durchströmte und dann sank Morphius schwer atmend neben ihm aufs Bett nieder. Einen Moment lang brauchte der Arzt, um zu Atem zu kommen, doch als er wieder seine Sinne beisammen hatte, griff er wieder zu seinem Buch und gab Morphius damit einen Klaps auf den Kopf. „Hey!“ rief dieser. „Wofür war das jetzt?“ Mit einem sichtlich finsteren und bösen Blick funkelte er den Informanten an und drückte ihn nun aufs Bett nieder. „Wer hat dir bitteschön die Erlaubnis gegeben, in mir zu kommen, hm? Das hast du nicht umsonst gemacht, mein Lieber.“ Morphius sah ihn erst einmal verdutzt an und registrierte erst nicht, was los war. Erst als er auf den Bauch gedreht und seine Handgelenke an die jeweiligen Bettpfosten gebunden wurden, erkannte er so langsam, was hier vor sich ging. Vor allem erkannte er auch den Fauxpas, den er begannen hatte. „Äh… Yu-chan, was… was hast du vor?“ „Du weißt doch, was man sagt“, hörte er die Stimme des Arztes sprechen, die den bedrohlichen und respekteinflößenden Unterton seiner dunklen Seite „Dr. Tod“ angenommen hatte. „Wie du mir, so ich dir. Und du weißt doch, Makoto, dass ich alles immer doppelt und dreifach zurückzahle. Mal sehen, ob du danach noch vernünftig sitzen kannst, wenn ich mit dir fertig bin.“ In dem Moment wurde dem Informanten klar, dass das hier wohl noch eine ganze Weile dauern würde. Denn wenn er wollte, hatte der gute Doktor eine verdammt gute Ausdauer. Kapitel 10: Sex mit dem Ex Teil 2 --------------------------------- „Rache ist süß.“ Deutsches Sprichwort „Äh… Yu-chan… was hast du vor? Wieso die Fesseln?“ „Na was glaubst du? Das wird deine Bestrafung“, erklärte Dr. Heian und bevor Morphius wieder das Wort erheben konnte, bekam er auch schon einen kräftigen Schlag auf den Hintern. „Ich glaube, ich habe dir oft genug in der Vergangenheit zu verstehen gegeben, dass ich so etwas nicht mag und da du ja offensichtlich meinst, das ignorieren zu können, brauchst du dich nicht wundern, wenn du Ärger kriegst.“ „Oi, hör mal: ich bin bedient, okay? Ich bin erledigt. Lass uns morgen weitermachen.“ „Versuch dich hier bloß nicht aus der Affäre zu ziehen, du Feigling. Erst hast du deinen Spaß mit mir und machst nach einer Runde schon schlapp? Das könnte dir so passen. Vergiss nicht, ich bin Mediziner. Ich kenn genug Mittel, um selbst den Papst in Stimmung zu bringen.“ Der Informant schluckte schwer bei diesen Worten. Sein Ex war ja richtig drin in seiner Rolle als finsterer Dr. Tod, der quasi den kleinen Sadisten in Dr. Heian verkörperte und fast schon eine eigene Persönlichkeit sein konnte. Und vor dieser Seite hatte Morphius wirklich Respekt. Denn wenn sein Ex in dieser Rolle war, konnte er wirklich ein Teufel sein. Da er gerade etwas angebunden war, konnte er nicht sehen, was der Arzt da trieb. Dann spürte er aber einen Stich im Gesäß, als würde er von einer Nadel gestochen werden. „Oi, Yu-chan. Was… was machst du da mit mir?“ „Dafür sorgen, dass du wieder in Stimmung kommst.“ „Hast du mir etwa gerade irgendetwas in den Arsch gespritzt?“ „Man sollte sich niemals einen Arzt zum Feind machen, Makoto. Merk dir das!“ Ja, irgendwie hätte er sich das auch so denken können. Aber dass der Kerl gleich so hart durchgreifen würde, hätte er nicht gedacht. Und ihn beschlich so irgendwie das Gefühl, als würde ihm noch deutlich mehr blühen. „Dass du mir echt so was antust, hätte ich nicht gedacht, Yu-chan. Ich nehme alles zurück. Du bist kein Tsundere, sondern ein Yandere!“ „Als ob mich das kümmert.“ Morph spürte, wie ihm langsam heiß wurde und sein Herz kräftiger schlug als zuvor. Ein wohliges Kribbeln ging durch seinen Körper und als er spürte, wie eine Hand über seinen Rücken strich, spürte er, dass sein Körper deutlich sensibler reagierte als sonst. Und es dauerte nicht lange, bis sein Glied wieder steif war. Doch so leicht wollte der Doktor ihn nicht davonkommen lassen. Immerhin hatte der Informant noch eine Bestrafung abzuarbeiten und auch wenn sie für gewöhnlich eher auf solche BDSM-Spielchen verzichteten, weil sie ohnehin nicht so darauf standen, so war eine solche Behandlung auch mal nötig. Insbesondere wenn Morphius mal wieder komplett über die Stränge schlug. Morphius, der in seiner aktuellen Lage rein gar nichts sehen konnte, was sein Ex so trieb, konnte nur abwarten. Alles was er wahrnahm, war das Klicken von einem Feuerzeug und er glaubte auch, einen vertrauten Geruch wahrnehmen, nur konnte er diesen Geruch erst nicht richtig definieren. Als dann aber wenig später ohne Vorwarnung etwas Heißes und Dickflüssiges auf seinen Rücken tropfte und an seiner Haut klebte, erkannte er, dass es flüssiges Wachs war. Dieser Sadist machte also wirklich Ernst. Dieses kurzzeitige Brennen versetzte seinen Körper in Ekstase und steigerte seine Erregung zusätzlich zu dem Aphrodisiakum nur noch mehr. Er keuchte leise und das Verlangen nach dem wilden Sex mit seinem Angebeteten wurde immer stärker, je mehr das Aphrodisiakum seine Wirkung entfaltete und seine Lust immer weiter steigerte. Doch in der Hinsicht war Dr. Yugure Heian anders. Er ließ sich gerne Zeit mit dem Vorspiel, weil er eben der Romantiker von ihnen beiden war, auch wenn er es nie und nimmer zugegeben hätte. Und Morphius, der selbst wusste, dass es bei ihm ziemlich schnell zur Sache ging und sein Ex nicht immer damit glücklich war, versuchte sich auch wenn möglich zurückzunehmen. Aber das wollte ihm nicht immer gelingen, eben weil er in manchen Dingen ein sehr ungeduldiger Mensch war. Und hier ließ der Arzt ihm keine andere Wahl. „Scheint so, als könntest du es kaum erwarten, dass es endlich losgeht, oder? Aber da muss ich dich enttäuschen. Zur Strafe werde ich dich noch ein wenig zappeln lassen.“ „Und wenn ich dir einen blase, überlegst du es dir dann?“ „Überlegen werde ich es mir sicher nicht, aber das Angebot nehme ich trotzdem gerne an.“ „Manchmal bist du echt ein Teufel…“, knurrte der Informant und ließ sich weiterhin ärgern. Schließlich aber, als sein Rücken und sein Gesäß mit Wachstropfen bedeckt waren, band der Arzt ihn los und sah ihn mit einem teuflischen Blick an. Morphius konnte sich nicht helfen, aber irgendwie sah sein Ex wirklich fast dämonisch aus mit diesem Blick. Diese zwei Seiten waren es auch, die er so verdammt heiß an ihm fand. Auf der einen Seite war der gute Doc ein heimlicher Romantiker mit einer kühlen Ausstrahlung, aber auf der anderen Seite konnte er auch ein Sadist sein. Und meist kam diese zweite Seite zum Vorschein, wenn dieser den dominanten Part übernahm. Zwar war Dr. Heian als heimlicher Romantiker verdammt niedlich und einfach nur zum Vernaschen süß, aber als „Dr. Tod“ war er einfach nur heiß. Und da ließ sich Morphius dann auch mal gerne von diesem teuflischen Doktor dominieren. „Also wie war das noch mal mit deinem Angebot?“ fragte Dr. Heian noch mal nach und hob Morphius’ Kinn, um ihm in die Augen zu sehen. Der Informant seufzte geschlagen. Jetzt war es eh zu spät, um seine Worte zurückzunehmen. Also diskutierte er auch nicht lange und ließ den Penis des Arztes in seinen Mundraum gleiten. Zwar war er ein kleines bisschen aus der Übung, wusste aber dennoch ganz genau, wie es sein Ex am liebsten mochte. Und da er fest entschlossen war, seinen „Yu-chan“ zurückzuerobern und ihn gnädig zu stimmen, war er umso motivierter. Er hielt sich nicht sonderlich zurück und bearbeitete den Schaft mit der Zunge, widmete seine Aufmerksamkeit insbesondere der Eichel und genoss auch insgeheim selbst ein Stück weit dieses kleine Spiel. Er spürte deutlich, dass dem 34-jährigen diese Stimulation gefiel und das machte ihn auch selbst glücklich. Er wollte, dass es wieder so wie früher war. Wo sie als glückliches Paar zusammengelebt hatten, auch wenn der Altersunterschied und ihre verschiedenen Ansichten nicht selten für Schwierigkeiten sorgten. Morphius hätte sich selbst oft genug in den Arsch beißen können, dass er das Vertrauen seines Partners so mit Füßen getreten und dieser quasi erzwungenen Heirat zugestimmt hatte, um das Sorgerecht für Kaguya nicht zu verlieren. Es war ein massiver Vertrauensbruch gewesen, der einem Betrug fast gleich kam und es waren wirklich die Fetzen geflogen zwischen ihnen. Zum ersten Mal war Dr. Heian richtig laut geworden und es waren auch ein paar heftige Dinge gesagt worden. Nie hätte es so weit kommen brauchen, wenn er sich nicht mal wieder in diese Wahnidee reingesteigert hätte, er müsste alles alleine regeln, um zu beweisen, dass sie beide auf einer Stufe standen. Letzten Endes hatte es nur dazu geführt, dass es ihre Beziehung zerstört hatte und es danach nur kurze Sexbeziehungen waren, die aber nie wieder zu etwas Engerem geführt hatten, weil der Schmerz bei dem 34-jährigen zu tief saß. Wie konnte er ihm auch vertrauen, wenn der Mensch, den er liebte, einfach mal Hals über Kopf eine andere Person geheiratet hatte, die auch noch mit seinem Kind schwanger war? Sein Herz war gebrochen worden und das konnte man nicht so schnell verzeihen. Das war auch Morphius klar und ebenso wusste er, dass dies hier seine allerletzte Chance war. Nie wieder durfte er solch einen Fehler machen und leichtfertig mit den Gefühlen der Person spielen, die er so liebte. „Mh…“ Das Dämonische wich aus Dr. Heians Gesicht und man konnte sehen, dass diese Stimulation ihn nicht kalt ließ. Nein, es schien ihm sehr zu gefallen, was Morphius auch sogleich als Anlass nahm, das Ganze noch etwas zu intensivieren. Er wollte sehen, wie sein Ex-Freund auch mal seine andere Seite zeigte. „M… Makoto…“ Der Informant spürte, wie eine Hand auf seinen Kopf gelegt wurde. Der Atem des Arztes ging nun deutlich anders als zuvor. Morphius spürte, wie dessen Penis langsam anschwoll und während er ihn mit seinem Mund verwöhne, begann er noch die Hoden zu massieren. Er wollte ihn bis an seine Grenzen treiben und dafür sorgen, dass der 34-jährige es auch wirklich genoss. Und das schien ihm wohl ganz gut zu gelingen. Schließlich aber drückte Dr. Heian seinen Kopf weg, als er zu seinem Orgasmus kam. Er keuchte laut auf, als sein Sperma zum Teil über Morphius’ Gesicht spritzte und sagte mit einer leichten Reue in der Stimme „Tut mir leid.“ Doch der Informant machte sich nicht allzu viel daraus. Dafür liebte er seinen „Yu-chan“ eben einfach zu sehr und wenn dieser auf Japanisch zu sprechen begann, dann war es meist ein Zeichen dafür, dass es ihm verdammt gut gefallen hatte. Für gewöhnlich vermied es Dr. Heian, Japanisch zu sprechen, wenn er in den USA war, weil es seiner Ansicht nach unhöflich anderen gegenüber war, die die Sprache nicht beherrschten. In der Hinsicht war er eben ein bisschen eigen. Wenn er dann Japanisch sprach, dann meist beim Sex, wenn er gar nicht mehr die Motivation aufbringen konnte, in einer anderen Sprache zu sprechen. Morphius, der zwar in den USA geboren worden war, aber dennoch fließend Japanisch sprechen konnte, ging sogleich darauf ein und erwiderte mit einem Grinsen „Ist doch halb so wild, Yu-chan. Und weißt du: du bist noch viel heißer, wenn du Japanisch sprichst.“ „Dummkopf.“ „Ich liebe dich auch.“ „Das sagst du nur, weil du es nicht mehr aushalten kannst. Ich sehe es dir ja an.“ „Du bist echt gemein, Yu-chan.“ „Und hör bloß auf damit, dich wie ein kleines Mädchen aus der Mittelschule zu benehmen, Makoto. Das ist einfach nur pervers.“ Da sich der Informant sein Grinsen nicht verkneifen konnte, kniff Dr. Heian ihm zur Strafe in die Nase und drückte ihn aufs Bett nieder und ehe Morphius sich versah, wurde ihm auch schon ein Band stramm um den Penis geschnürt. Der Informant stöhnte laut auf, ließ es sich aber dennoch gefallen. Der 34-jährige lächelte siegessicher und genoss diesen Anblick auch eine Weile. Er sah nur allzu deutlich, wie es um Morphius’ Verfassung stand. Seine Wangen glühten und sein Körper bebte regelrecht. Ein kleines bisschen tat er ihm ja schon leid. Aber nur ein bisschen. „Du siehst wirklich heiß aus, wenn du leidest.“ „Du bist echt fies, Yu-chan.“ Schließlich wurde Morphius auf den Bauch gedreht und ein heißer Schauer überkam ihn, als ein Finger in ihn eindrang und seine inneren Wände berührte. Der 34-jährige wusste genau, wo er ihn am besten kriegen konnte und wo er es am liebsten hatte. Nicht zuletzt kam ihm sein Wissen als Arzt zugute. Zu schade, dass er keine Latexhandschuhe da hatte und sie hier in seinem Schlafzimmer waren. Ansonsten hätte er noch so einige andere Spiele mit Morphius spielen können, um ihn noch ein wenig zappeln zu lassen. Aber nachdem dieser schon den Eindruck machte, als könne er nicht länger warten, wollte er nun auch nicht so gemein sein und ihm das geben, was er wollte. Mit Genugtuung beobachtete er, wie der Informant diese Behandlung genoss und nun auch ganz brav wurde. So hatte er es definitiv am liebsten. Wenn er die Rolle des Dominanten übernahm, dann aber auch richtig. Doch es brannte ihm eine Frage auf den Lippen. „Wieso hast du mir nichts von dem Mordanschlag erzählt?“ „Was meinst du?“ „Tu nicht so. Ich habe von Harvey erfahren, dass der Polizist beauftragt wurde, dich zu erschießen und stattdessen deine Ex-Frau gestorben ist. Hast du geglaubt, ich würde das nicht herausfinden, warum du dich Araphel angeschlossen hast? Man hat versucht, dich umzubringen und ich mache mir Sorgen.“ „Darum habe ich doch nichts gesagt: weil ich nicht wollte, dass du dir Sorgen machst. Dass man einem Informanten nach dem Leben trachtet, gehört halt dazu und dass es ein korrupter Cop sein würde, hatte ich eben nicht bedacht.“ „Du solltest nicht so ein gefährliches Leben führen, Makoto. Ich will nicht derjenige sein, der eines Tages deinen Totenschein ausstellt.“ Natürlich wusste der 34-jährige, warum damals aus dem talentierten Journalisten Makoto Narimono der Informant Morphius Black geworden war. Er hatte es für den Menschen getan, den er liebte, denn Dr. Heian war, ohne irgendetwas Falsches gemacht zu haben, vor einigen Jahren in ernste Schwierigkeiten geraten, als die Organisation S.S.S. ihn unter fadenscheinigen Vorwänden in ihre Machenschaften mit reinziehen wollten, weil sie kompetente Ärzte und Chirurgen brauchten. Zwar hatte Dr. Heian schnell erkannt, was diese Leute da wirklich taten und war sofort ausgestiegen, aber dennoch waren ihre Auftragskiller hinter ihm her gewesen, weil sie verhindern wollten, dass irgendetwas an die Öffentlichkeit dringen würde. Morphius hatte sein Informationsnetzwerk genutzt, um die Gefahr abzuwenden schließlich hatten sie sich der Mason-Familie angeschlossen, um vor der Organisation und der Yanjingshe sicher zu sein. „Das Gleiche gilt für dich, Yu-chan. Was glaubst du, was ich für Ängste ausgestanden habe, als ich hörte, dass der S.S.S. dich in der Mangel hat?“ „Anscheinend sind wir beide nicht gerade vom Glück verfolgt.“ Als der 34-jährige der Meinung war, dass es jetzt genügte, zog er seine Finger wieder heraus und hielt Morphius’ Hüften fest gepackt, als er in ihn eindrang. Der Informant stöhnte laut und verkrallte seine Finger in das Bettlaken, während er Dr. Heian seine Hüften noch weiter entgegenstreckte. Selbst nach knapp acht Jahren Beziehung war Morphius immer noch so verdammt eng wie damals. Ähnliches durfte er sich auch immer wieder anhören, wenn Morphius meinte, ihm beim Sex sagen zu müssen „Ein Wunder, dass dein Arsch noch nicht so ausgeleiert ist“, woraufhin er ihm nicht selten eine Retourkutsche gegeben hatte. Das mit ihrer Beziehung war eben eine Geschichte für sich. Und auch wenn es vielleicht nicht immer so deutlich danach aussah, sie liebten sich trotz allem und selbst die Trennung hatte nichts daran geändert. „Yu-chan…“ Der Arzt entschied spontan, die Positionen zu ändern, sodass Morphius schließlich auf dem Rücken lag und er ihm ins Gesicht sehen konnte. Zugegeben, der mürrische Katzenblick, der bei dem Informanten wohl angeboren war, hatte nie wirklich etwas Anziehendes gehabt, ebenso wenig wie seine Art, die Dinge manchmal zu überstürzen und so direkt zu sein. Für ihn war Morphius am Anfang ein totaler Idiot gewesen und dennoch hatte er sich in ihn verliebt. Auch wenn er sich manchmal fragte, wie das nur passiert war. Bereut hatte er es eigentlich nie… zumindest fast nie. „Ah… aaah!“ Die Lustschreie des 30-jährigen wirkten wie eine zusätzliche Droge auf den Arzt. Er wollte mehr davon hören und seinen Ex-Freund endgültig an die Grenzen treiben. Ohne Rücksicht oder Gnade und was konnte es denn Besseres geben, als Versöhnungssex mit dem Ex? „Yu-chan… bitte mach es endlich ab.“ Die Stimme des Informanten wurde immer durch schweres Keuchen und Stöhnen unterbrochen, während er sich den 34-jährigen Japaner festhielt, dessen Herz regelrecht in der Brust hämmerte. Schweißperlen glänzten auf seiner Haut und seine Hüften bebten. Doch so schnell wollte der Doktor ihn nicht erlösen. Immerhin sollte das ja eine kleine Strafe sein. „Noch nicht…“ „Yu-chan…“ Doch er blieb unnachgiebig und ließ ihn weiter zappeln. Erst, als er endlich zu seinem Orgasmus kam, nahm er Morphius das Band ab und erlöste ihn von seinem Leid. Erschöpft lagen sie eine Weile im Bett, einander in den Armen liegend in einer so vertrauten Weise, als hätte es diesen heftigen Streit und die Trennung nie gegeben. Normalerweise hätte Morphius spätestens jetzt eine Zigarette geraucht, aber er ließ es bleiben, da er die Stimmung nicht kaputt machen wollte. Stattdessen schloss er den 34-jährigen Japaner fest in seine Arme, als wolle er ihn nie wieder loslassen. „Ich liebe dich, Yu-chan.“ Daraufhin stahl sich ein kleines Lächeln auf die Lippen des Arztes, der diese Umarmung schließlich erwiderte. „Wag es nie wieder, so einen Mist zu fabrizieren, nur weil du irgendetwas beweisen willst, okay? Das ist deine allerletzte Chance, also vermassele es bloß nicht. Ansonsten bin ich wirklich weg.“ „Versprochen. Und wenn wir endlich Ruhe vor dem S.S.S. und den Chinesen haben, dann können wir endlich eine richtige Familie sein. Dann arbeite ich wieder als Journalist, wir holen unsere kleine Prinzessin endlich zu uns und wer weiß… dann können wir auch mal übers Heiraten nachdenken. Inzwischen ist es ja in ganz Amerika erlaubt.“ „Jetzt mach mal halblang. Wir sind gerade erst wieder zusammen und du sprichst schon vom Heiraten! Du änderst dich aber auch nie, Dummkopf.“ Damit stand Dr. Heian aus dem Bett auf und begann nun seine Klamotten aufzusammeln. Morphius setzte sich auf und fragte verwundert „Wo willst du jetzt hin?“ „Ins Bad. Ich brauch dringend eine Dusche.“ „Hey, wieso gehen wir nicht zusammen und waschen uns gegenseitig?“ Geschlagen seufzte Dr. Heian und schüttelte den Kopf. „Offenbar hast du ja doch genug Energie übrig.“ „Gib nicht mir, sondern dem Mittel die Schuld, das du mir gespritzt hast.“ Nun, es hatte keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Die Aussicht auf eine kleine Fortsetzung im Bad hatte zugegebenermaßen schon etwas Verlockendes. Und deshalb sagte der Doktor auch nichts weiter und so gingen sie beide ins Bad, um die Wiederbelebung ihrer Beziehung gebührend zu feiern. Kapitel 11: Lügen über Lügen ---------------------------- „Eine Lüge, die ein Leben erhält, ist besser als eine Wahrheit, die ein Leben zerstört.“ Aus Island Da Sam am gestrigen Abend recht früh eingeschlafen war, nachdem er sich das erste Mal seit Tagen endlich mal wieder eine heiße Dusche gönnen durfte (sein Halsband hatte Araphel hierfür abgenommen und es ihm danach wieder angelegt), war er am nächsten Morgen recht früh wach. Das Frühstück konnte er dieses Mal im Esszimmer einnehmen, wobei er Gesellschaft von Dr. Heian hatte, der ein wenig übernächtigt wirkte, als hätte er sich ein wenig übernommen. Es fühlte sich fast schon ungewohnt an, so frei durch ein fremdes Haus zu gehen, wenn man überhaupt von einem Haus sprechen konnte, denn im Grunde war es eine riesige Villa. Viele der Räume waren offenbar Gesprächszimmer, in denen Araphel seine Geschäfte abwickelte, zudem erfuhr er in einem kleinen Gespräch von dem Arzt, dass hier auch ein paar Untergebene von Araphel lebten, die besonders von der Yanjingshe bedroht wurden. So wohnten auch Morphius Black und der Doktor hier, was den Detektiv doch erstaunte und er deshalb auch nach dem Grund fragte, vor allem weil er doch wusste, dass Dr. Heian kein Mitglied der Mafia war, sondern einfach nur Arzt. Dieser wich mit einer ernsten Miene Sams Blick aus und erklärte „Ich bin mit der Yanjingshe in Konflikt gekommen, als sie mich für spezielle ärztliche Dienste in Anspruch nehmen wollten. Da aber die dortigen Methoden mehr als fragwürdig und vor allem gefährlich waren, lehnte ich ab und da sie solche Menschen für gewöhnlich zum Schweigen bringen, hat Mr. Mason mir angeboten, in seinem Anwesen zu wohnen, um so vor der Yanjingshe sicher zu sein.“ „Was für Dienste denn?“ Doch Dr. Heian antwortete nicht darauf und man sah ihm an, dass er auf keinen Fall darüber sprechen wollte. Zumindest nicht mit jenen, die er kaum kannte. Also respektierte Sam vorerst diesen Wunsch und fragte stattdessen nach, wer denn noch hier lebte. Hier zeigte sich der Arzt um einiges gesprächiger. „Da wäre zum einen Morphius Black, der aber gerade nicht im Haus ist, Mr. Mason selbst, meine Person und dann noch unsere Mechanikerin Christine Cunningham und ihre Assistenten Asha und Yin.“ „Du hast von mir gesprochen?“ Beide wandten sich um und Sam erkannte eine groß gewachsene Frau um die 30 bis 32 Jahre mit feuerrot gefärbtem Haar, die eine weiße Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln trug, die ein wenig schmutzig war. Sie trug Handschuhe und hatte einen Werkzeuggürtel dabei. Sie machte einen sehr taffen Eindruck und gehörte nach Sams Ersteinschätzung zu der Sorte Frauen, die sich nicht so leicht von einem Mann unterbuttern ließen. Sie strahlte eine enorme Energie und großes Selbstbewusstsein aus. Sofort wanderten die hellbraunen Augen der Frau zu ihm und ein lebhaftes Lächeln spielte sich auf ihr Gesicht, wobei eine Reihe strahlend weißer Zähne zum Vorschein kam. „Hey Doc, wer ist der Blonde da? Etwa ein Neuzugang?“ „Er ist ein persönlicher Gast von Mr. Mason“, erklärte Dr. Heian, woraufhin er Sam kurz anstieß und ihm zuflüsterte „Kein Wort dazu, okay?“ „Ein Ehrengast?“ fragte Christine überrascht, wobei sie Sam direkt mit einem Händegruß begrüßte, der aber verdammt fest war, sodass er fast das Gefühl hatte, als würde sie ihm die Hand zerquetschen. „Freut mich sehr! Ich bin die Mechanikerin hier im Laden. Ich halte den Fuhrpark in Schuss, kümmere mich um alle Geschäfte, die mit Karosserien zusammenhängen und schraube in meiner Freizeit an Oldtimern rum. Hey, hast du Lust, dir mal ein paar alte Schätze anzusehen?“ Nun, eigentlich hatte Sam vor, sich dem mysteriösen Schlüssel zu widmen, den Morphius ihm da gelassen hatte, aber andererseits interessierte es ihn ja doch sehr, was für Schlitten die Nummer eins der Bostoner Unterwelt bei sich hatte. Also nahm er das Angebot an und ließ sich von Christine in die Werkstatt führen. Die Mechanikerin machte einen sehr sympathischen Eindruck und sie schien offenbar zu der lebhaften Sorte Mensch zu zählen. Kaum zu glauben, dass sie für die Mafia arbeitete. Und auch dass sie Mechanikerin war, sah man ihr irgendwie nicht an. Viel eher machte sie den Eindruck eines Rockstars auf ihn. Was ihm zudem auffiel, war ein leichter Südstaatendialekt. Vermutlich kam sie aus Mississippi oder Alabama. Als sie schließlich am Ziel angekommen waren, zeigte Christine ihm mit sichtlich stolzer Miene einen 58er Plymouth Fury in einer sehr eigentümlichen Rotweißlackierung. Sam, der ein klein wenig von Oldtimern verstand, begutachtete das Schmuckstück, welches sich in einem nahezu perfekt restaurierten Zustand befand und fragte nach, warum der Wagen diese seltsame Lackierung habe, denn seines Wissens nach war diese Serie nie in dieser Farbe produziert worden. Hieraufhin lachte die Südstaatlerin laut und erklärte „Das ist ein Nachbau von Christine, dem Fury aus Stephen Kings Roman. Meine Eltern haben mich quasi nach diesem Wagen benannt, darum ist der Wagen mein ganzer Stolz. Hab ihn selbst restauriert, nachdem ich ihn ziemlich angerostet von einem Schrotthändler abgekauft habe. Mein zweites Baby ist ein 54er Hudson Hornet, mit dem ich auch selbst oft unterwegs bin. Derzeit versuche ich, einen Rolls Royce aus dem Baujahr 1934 zu restaurieren. Das wird quasi meine sixtinische Kapelle. Aber ich schraub nicht nur an Motoren rum. Nee, weißt du: ich bastle auch hin und wieder mal technischen Schnickschnack zusammen. Wenn man als einzige Tochter neben drei älteren Brüdern und einem allein erziehenden Vater in einer Werkstatt aufwächst, hat man es quasi im Blut.“ Staunend begutachtete Sam den Fury und den Hornet und musste zugeben, dass das wirklich die Arbeit eines Profis war. Sie sahen fast wie neu aus und gerne würde er damit mal eine Runde drehen, nur um zu wissen, wie es sich anfühle, in so einem Oldtimer zu fahren. Aber darauf würde er wohl erst mal verzichten müssen, solange er dieses Halsband trug. Es war ja schon ein Glück, dass Christine ihn nicht darauf ansprach. Oder aber sie bemerkte es erst gar nicht, was aber doch etwas unwahrscheinlich war, denn so schwer zu erkennen war es nicht. „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du für die Mason-Familie arbeitest?“ fragte er schließlich und begann sich das Innenleben des Hornets unter der Motorhaube anzusehen. „Wieso? Etwa weil Frauen nicht zur Mafia gehören?“ fragte die Rothaarige listig nach, doch er erklärte ganz souverän „Du scheinst mir vom Charakter her nicht der Typ Mensch zu sein, der sich auf kriminelle Geschäfte einlassen würde.“ „Hat sich halt ergeben“, erklärte sie und setzte sich auf einen Stuhl. „Mein Vater ist früh gestorben und meine Brüder versuchen, die Werkstatt am Laufen zu halten, haben dabei aber einen Riesenberg an Schulden gemacht. Louis war blöd genug, sich bei Kredithaien Geld zu pumpen und der Schuldenberg ist zu groß, da muss man halt Opfer bringen.“ „Und wieso hast du Ärger mit der Yanjingshe?“ „Ich hab denen ein paar Autos geklaut, um sie zu verkaufen und die Werkstatt zu retten“, antwortete sie ganz lapidar, wobei sie mit den Schultern zuckte. Ungläubig starrte Sam sie an und fragte sich, wie verrückt man sein musste, um dem gefährlichsten Menschen in Boston einfach so ein paar Autos zu klauen? „Du… du hast der Triade Autos gestohlen?“ „Jep. Fünfzig Wagen in einer Nacht. Und ich hatte nichts außer einem Kugelschreiber dabei. Ich hab die Wagen schnell wieder verkauft, allerdings haben sie mich dann doch gefunden und Ärger gemacht, aber Araphel hat mich da wieder rausgeboxt.“ „Wo hast du ihn denn kennen gelernt?“ „Wir kennen uns schon seit unserer Jugend“, erklärte Christine mit einem fast schon stolzen Grinsen. „Er hat mit seiner Schwester bei uns in der Nachbarschaft gelebt und wir sind so etwas wie Sandkastenfreunde.“ Ein lautes Krachen hallte durch die Werkstatt und erschrocken zuckte Sam zusammen. Christine wandte sich um und sie sahen einen Jungen von schätzungsweise 20 Jahren. Er hatte ein sehr fein geschnittenes Gesicht mit asiatischen Zügen und hatte sein langes schwarzes Haar zu einem Kopf geflochten. Er hatte offenbar einen Werkzeugkasten fallen lassen und rief laut „Entschuldigung!“ als er sah, dass er den anderen wohl einen ziemlichen Schreck eingejagt hatte. Sofort winkte Christine den Jungen zu sich und erklärte Sam „Das ist Asha. Zwar ist er ein ziemlicher Schussel, aber er hat deutlich was auf dem Kasten. Yin hat heute ihren freien Tag und ist deshalb nicht da. Asha, das ist Sam. Er ist Araphels Ehrengast.“ „Freut mich!“ Mit einem freundlichen Lächeln reichte der Asiate ihm die Hand und erkundigte sich direkt „Hat Christine dir schon ihre Oldtimer gezeigt? Das macht sie mit jedem, der hier neu ist. Mich lässt sie da noch nicht ran.“ Sam bemerkte direkt, dass etwas mit Ashas Bewegungsablauf nicht stimmte. Sein Gang wirkte ein wenig humpelnd, so als könne er seine Beine nicht richtig bewegen. Christine bemerkte das auch und fragte direkt „Klemmt da wieder was?“ „Kann sein“, murmelte der 20-jährige mit einem Schulterzucken. „Irgendwie klappt das linke Bein nicht so wirklich. Kannst du mal drüberschauen?“ „Klaro, setz dich einfach hin.“ Damit stand Christine von ihrem Stuhl auf, damit Asha sich hinsetzen konnte. Dieser krempelte sein linkes Hosenbein hoch und entblößte dabei eine Prothese. Aus ihrem Werkzeuggürtel holte Christine einen Schraubendreher und begann nun an der Prothese zu werkeln. Doch etwas schien nicht so zu funktionieren, wie es sollte und so legte Christine den Schraubendreher beiseite und erklärte „Ich muss eben das Werkzeug holen. Bin gleich wieder da!“ Damit verabschiedete sich die Rothaarige vorerst und ließ Sam und Asha allein. Der Detektiv wandte sich dem Jungen zu und fragte „Wie ist das mit deinem Bein passiert?“ „Ich hab zwei Prothesen“, korrigierte der Asiate und zeigte ihm seine andere, wobei er erklärte „Das passiert, wenn man in die Fänge der falschen Mafia gerät. Christine hat diese Prothesen gebaut und mit denen kann man wirklich gut laufen und darum ist sie auch für die Wartung zuständig. Und? Hat sie dir schon von ihrer Diebeskarriere mit ihrer großen Schwester in Texas erzählt?“ „Hä?“ fragte Sam irritiert. „Schwester? Christine hat erzählt, sie hat drei Brüder.“ Sofort stutzte Asha und sah einen Moment verwirrt aus. Dann aber sagte er „Äh… entschuldige, da muss ich mich vertan haben. Sorry.“ Doch so ganz kaufte Sam ihm das nicht ab. Sein Gefühl verriet ihm, dass etwas ziemlich merkwürdig war. Schließlich aber kam Christine wieder zurück, nachdem sie anscheinend das richtige Werkzeug gefunden hatte und begann nun damit, Ashas Kniegelenk zu reparieren, wo offenbar etwas klemmte. „Und Sam? Wie gefällt’s dir hier?“ erkundigte sich die Rothaarige, während sie weiter an der Prothese arbeitete. Der Detektiv überlegte sich erst ein paar passende Worte, da er nicht sonderlich Lust dazu hatte, jedem seine Geschichte unter die Nase zu reiben. Das war auch wirklich mehr als peinlich. „Es ist ganz toll hier und das Haus ist auch ganz schön groß.“ „Ja, aber hier geht es trotzdem immer sehr lebhaft zu, insbesondere hier in der Werkstatt. Den Doc kennst du ja bereits und Morph sicher auch, oder? Die beiden liegen sich ständig in den Haaren, aber ich wette um meine Prothese, dass die beiden da heimlich was am laufen haben.“ „Du hast auch eine Beinprothese?“ Christine nickte und krempelte ihr linkes Hosenbein hoch und zeigte damit eine ähnliche Prothese, wie Asha sie hatte. Zu sehen, dass auch sie ein amputiertes Bein hatte, riss ihn erst mal ziemlich vom Hocker. War auch sie etwa Opfer der Yanjingshe geworden? Bevor er fragen konnte, verdeckte Christine ihre Prothese wieder und erzählte „Ist mir bei einer Reise durch Australien passiert. Ich bin bei einer Wanderung im Outback in eine Schlucht gestürzt und ein herunterfallender Steinbrocken hat mir dann das Bein zerquetscht. Zwei Wochen war ich in der Schlucht gefangen und hab mich von Regenwasser und Insekten ernährt, bis mich ein paar Jäger gefunden haben. Mein Bein haben die Ärzte aber nicht flicken können. Aber die Prothese ist echt klasse. Mit der habe ich Chuck Norris in seiner Kampfsportschule versehentlich mit einem Roundhouse Kick den Kiefer gebrochen.“ Sam konnte sich nicht helfen, aber irgendwie klang diese Geschichte doch sehr ähnlich nach dem Film „127 Stunden“. Und auch sonst klang das, was sie erzählte, ein bisschen hanebüchen. Ob sie gerne prahlte? Irgendwie war er sich nicht ganz so sicher, wie er Christines Charakter einordnen und was er von ihren Geschichten halten sollte. Und irgendwie ließ ihn die Sache mit Asha nicht los. Dieser hatte von einer Schwester in Texas erzählt und es hatte nicht den Eindruck gemacht, als hätte er etwas verwechselt. Er hatte genau gewusst, wovon er da sprach. „Deine Geschichte erinnert irgendwie ziemlich stark an den Typen, der sich selbst den Arm amputiert hat.“ „Ja, witzig oder?“ Die Rothaarige lachte und legte nun das Werkzeug aus der Hand, nachdem sie mit der Arbeit fertig war. „Manchmal gibt es wirklich witzige Zufälle auf der Welt. Hey, hast du Lust gleich mal eine Runde mit mir in dem Fury zu fahren?“ Sam lehnte das Angebot dankend ab und blieb noch eine Weile bei Christine, da sie trotz ihrer etwas seltsamen Geschichten sehr sympathisch war und eine sehr aufgeschlossene und lustige Art besaß. Er ging ihr bei den Reparaturarbeiten zur Hand und er erzählte ihr von seiner gescheiterten Polizeikarriere und nutzte auch die Gelegenheit, um mal etwas näher über Araphel nachzufragen. „Wie ist Araphel denn früher so gewesen?“ „Nicht sonderlich anders als heute“, erklärte sie, während sie sich den Restaurationsarbeiten an dem Rolls Royce widmete. „Er war schon immer ein absoluter Kämpfer und keiner hat es gewagt, sich mit ihm anzulegen. Nur seine Schwester durfte ihm die Meinung geigen. Ahava war quasi die wichtigste Person für ihn und die beiden waren ein Herz und eine Seele. Sie hat ihn immer unterstützt und war quasi seine rechte Hand, als sie nach dem Tod des alten Masons die Nachfolge übernommen hatten.“ „Wie ist Ahava gestorben?“ „Schlimme Sache. Sie ist von der Yanjingshe umgebracht worden und ihren Tod hat Araphel nie ganz verkraftet, vor allem weil er sich selbst die Schuld dafür gibt, dass er sie nicht beschützen konnte.“ „Und woher stammen die Narben auf seinem Rücken?“ Hier veränderte sich Christines Gesichtsausdruck schlagartig. Hatte sie vorher noch ein Lächeln auf den Lippen gehabt, war dieses nun endgültig verschwunden und es war schwer zu erkennen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Aber es sah fast danach aus, als hätte sie irgendein Bild vor Augen, das sie eigentlich nicht sehen wollte. „Was für Narben?“ fragte sie zögernd, woraufhin Sam erklärte, dass er eine Brandnarbe und andere alte Verletzungen bemerkt hätte. Christines Gesicht verlor immer mehr an Farbe. Sie ließ einen Schraubenschlüssel fallen und für einen Moment war es so, als würde sie ins Leere starren. Dann aber schüttelte sie den Kopf und erklärte „Ich weiß nichts von Narben. Zwar hab ich ihn noch nie nackt gesehen, aber ich weiß, dass er keine hat.“ „Aber ich habe doch genau gefühlt, dass er am ganzen Rücken alte Narben hat und eine alte Brandwunde. Und irgendwie fühlte sie sich an, als… als wäre das eine Art Brandzeichen gewesen.“ Christines Hand begann zu zittern. Ihr Blick ging nun völlig ins Leere und das Entsetzen stand ihr für einen Moment ins Gesicht geschrieben. Dieser Zustand dauerte aber überraschenderweise nicht lange an. Sie blinzelte einmal und danach schien sie sich wieder komplett gefangen zu haben. Ihr freches Lächeln kehrte wieder zurück und völlig aus dem Konzept gerissen fing sie plötzlich an „Hab ich dir eigentlich schon erzählt, wie ich Araphel kennen gelernt habe?“ „Äh… wie bitte?“ „Das ist echt eine unglaubliche Geschichte. Ich war mit seiner Schwester Ahava gemeinsam auf der Uni und wir waren auf einer Verbindungsparty eingeladen. Die Feier ist aber ziemlich außer Kontrolle geraten und eigentlich wollten wir gehen, aber die Jungs waren schon stockbesoffen und wollten uns nicht gehen lassen. Ahava hat dann ihren Bruder angerufen, damit er sie abholen kommt und das hat ganz schön zum Streit mit den Jungs geführt. Schließlich gab es eine schlimme Prügelei und in dem Chaos ist dann ein Feuer im Verbindungshaus ausgebrochen. Die Flammen waren überall und es gab keinen Weg raus. Es war wirklich heftig. Es war heiß und überall hat es gebrannt, dann ist die Decke auf uns runtergekracht und dabei hat es auch mein Bein erwischt.“ Hieraufhin zeigte Christine ihm erneut die Prothese und fuhr direkt fort. „Araphel war es, der uns schließlich rausgeholt hat. Allerdings hat er sich dabei selbst einige Verletzungen zugezogen. Ich hab zwar dabei mein linkes Bein verloren, aber ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.“ Sam starrte sie entgeistert an und wusste nicht, was er von dem ganzen Unsinn halten sollte. Was für eine Story tischte Christine ihm da gerade bloß auf? Wollte sie ihn etwa auf die Schippe nehmen, oder ihn einfach für dumm verkaufen? „Was soll das jetzt?“ fragte er sie mit fast schon gereizter Stimme. „Und was war mit den geklauten Autos und den drei Brüdern?“ „Hä?“ fragte Christine nun ihrerseits und starrte ihn ratlos an. „Sorry Sam, aber welche drei Brüder und was für geklaute Autos?“ „Na du hast doch erzählt, dass du drei Brüder hast.“ „So ein Quatsch“, rief sie. „Ich hab keine Geschwister, ich bin Einzelkind und bin bei meiner Tante aufgewachsen.“ Diese ganze Geschichte war Sam nun doch zu blöd geworden. Er hatte echt keine Ahnung, was der ganze Schwachsinn bedeuten wollte und ob Christine das mit Absicht machte, um ihn zu verarschen. So dreist in einer Tour zu lügen, das musste er sich doch nicht gefallen lassen. „Hey Sam, jetzt warte mal!“ Er blieb stehen und drehte sich um. Es war Christine, die ihm offenbar hinterhergelaufen war. Dafür, dass sie eine Beinprothese hatte, bewegte sie sich ziemlich schnell und konnte sogar mühelos rennen. Sie ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. „Was ist denn los? Hab ich irgendetwas Falsches gesagt oder deine Gefühle verletzt?“ „Jetzt hör doch auf, mich für blöd zu verkaufen“, gab er gereizt zurück und riss sich von ihr los. „Du tischst mir hier eine Geschichte nach der anderen auf und behauptest zuerst irgendwas, nur um später zu sagen, dass das gar nicht stimmt. Und auf so etwas habe ich keine Lust.“ Doch die Rothaarige blieb hartnäckig und stellte sich ihm in den Weg. Und ihr war anzusehen, dass es ihr sehr ernst war und sie das unbedingt klären wollte. Dieses Verhalten gab Sam nur noch umso mehr Rätsel auf. Warum nur war ihr das so wichtig, nachdem sie ihm nur Märchen aufgetischt hatte wie Baron Münchhausen? „Ich verstehe nicht, was du damit meinst. Wann soll ich denn irgendwelche Unwahrheiten erzählt haben?“ „Na du hast mir doch erzählt, dass du drei Brüder hast, du die Familienwerkstatt retten willst und du deshalb der Yanjingshe Autos geklaut hast.“ „Wie bitte? Das ist doch kompletter Unsinn. Ich würde mich doch an so etwas erinnern. Wann soll ich das denn gesagt haben?“ „Vorhin erst, als ich dich auf Araphels Verletzung angesprochen habe, von der eine höchstwahrscheinlich ein Brandzeichen ist.“ Dieses seltsame Verhalten gab ihm Rätsel auf. Entweder war Christine wirklich eine absolut dreiste Lügnerin, oder aber sie hatte tatsächlich völlig vergessen, was sie vorhin noch gesagt hatte. Aber wie sollte das denn möglich sein, wenn sie sich doch an ihn selbst erinnern konnte? Irgendetwas schien da wohl mit Christines Gedächtnis nicht ganz zu stimmen. Sie machte wirklich den Eindruck, als könne sie sich nicht daran erinnern, was sie vorhin noch gesagt hatte. Dabei fiel ihm ein, dass sie sich ja sehr seltsam verhalten hatte, als sie auf Araphels Brandnarbe angesprochen und den Verdacht geäußert hatte, dass es ein Brandmal sein könnte. Irgendwie war das doch echt seltsam. Und dass sie ihr Bein bei einem Brand oder bei einem Sturz in die Schlucht verloren hatte, konnte er auch nicht so wirklich glauben. Nein, es musste etwas mit dieser Andeutung von Asha zu tun haben, der erzählt hatte, dass er seine Beine verloren habe, weil er in die Fänge der falschen Mafia geraten sei. „Jetzt hör mal Christine: Asha hat mir schon angedeutet, dass er wegen der Yanjinshe seine Beine verloren hat. Ist es nicht vielleicht so, dass sie dir dasselbe angetan haben? Ich hab keine Ahnung, was vorgefallen ist, aber…“ Er sprach nicht weiter, denn da regte sich etwas in der Rothaarigen. Ihr Gesicht wurde aschfahl und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie sah aus, als hätte sie Todesangst. Und dann plötzlich begann sie zu schreien. Erschrocken wich er vor ihr zurück, als sie plötzlich wie in Panik zu schreien begann und sich völlig verängstigt zusammenkauerte. „Christine!“ Er versuchte, sie zu beruhigen, doch sie war völlig von der Rolle und ihr Schrei, der von nackter Todesangst zeugte, ging ihm durch Mark und Bein und erinnerte ihn für einen Moment an den Schrei einer Sterbenden. Unfähig, irgendetwas zu machen, blieb er ratlos stehen, bis Christines Augen sich verdrehten und sie bewusstlos zusammenbrach. Kurz darauf eilte Dr. Heian herbei, um Hilfe zu leisten. Kapitel 12: Begegnung mit der Schlange -------------------------------------- „Vergeltung ist die Angst vor der Folgenlosigkeit. Rache ist die Angst vor der Abwesenheit von Sühne. Abschreckung ist die Angst vor der Machtlosigkeit.“ Gerd Peter Bischoff, Schriftsteller Durch den heftigen Schreck nach Christines Zusammenbruch hatte Sam einen Asthmaanfall erlitten und hatte sich erst mal setzen müssen, nachdem er dank seines Sprays wieder vernünftig Luft holen konnte. Da der japanische Arzt Christine ruhig stellen musste, durfte erst mal niemand zu ihr. Wenig später kam Dr. Heian zurück, nachdem er fertig war und sah bei Sam nach dem Rechten. Dabei erkundigte er sich auch danach, was vorgefallen war und als Sam ihm in kurzen und knappen Worten erzählte, was vorgefallen war, fragte er auch direkt nach, was denn mit Christine los sei und wieso sie ohnmächtig geworden war. Der 34-jährige atmete tief durch, nahm seine Brille ab und begann die Gläser zu putzen. „Um es einfach auszudrücken: Christine ist psychisch krank. Sie leidet an einer speziellen Form der krankhaften Verdrängung. Man kann es spezifisch ausgedrückt als Realitätsverleugnung mit verzerrter Wahrnehmung von realen Ereignissen bezeichnen. In ihrer Vergangenheit hat sie schwere psychische Traumata erlitten, die sie nicht verkraften konnte. Darum begann ihr Verstand systematisch damit, jegliche Erinnerung sofort zu verdrängen, die mit diesen Traumata in Verbindung stehen. Und um diese Lücke in ihrem Gedächtnis zu füllen und zu verhindern, dass sie sich daran erinnern könnte, erfindet sie Lügen. Sie erfindet für sich selbst eine völlig neue Vergangenheit, die nichts als ein Lügenkonstrukt ist, aber sie glaubt daran, als würde sie sich wirklich daran erinnern. Dabei unterscheidet sich ihre Motivation stark von der eines Menschen, der krankhaft lügt. Krankhafte Lügner erzählen Geschichten, weil sie im Mittelpunkt stehen wollen und nach Aufmerksamkeit suchen, Christine hingegen erschafft sich ein Lügengehäuse, was ihre Vergangenheit betrifft, um nicht daran erinnert werden zu müssen, was ihr wirklich passiert ist.“ „Dann… dann hat sie nicht absichtlich gelogen?“ Dr. Heian nickte und setzte sich seine Brille wieder auf, bevor er fortfuhr. „Christine ist nicht in der Lage, ihre Lügen als solche zu erkennen, stattdessen hält sie die Wahrheit für eine Lüge und sie versteift sich auf ihre Geschichten. Gerät sie jedoch zu sehr in Zweifel und beginnt dann ihre eigene Vergangenheit zu hinterfragen, kommen ihre wahren Erinnerungen offenbar wieder durch, was dann zu einer heftigen Schockreaktion bei ihr kommt. Das hat zur Folge, dass sie einen Nervenzusammenbruch erleidet und schlimmstenfalls das Bewusstsein verliert. Wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert wird, kommt es zu einer erneuten Verdrängung. Ihr Verstand verdrängt sofort sämtliche vorherigen Lügen aus ihrem Gedächtnis und erfindet sich neue. Das heißt also: wenn Christine wieder aufwacht, wird sie sich an nichts von dem erinnern, was passiert ist und wenn du sie nach ihrer Vergangenheit fragst, wird sie etwas völlig anderes erzählen als zuvor und sie wird sich nicht daran erinnern können, was sie vorher noch erzählt hat. Sie ist ein Buch, das sich immer und immer wieder selbst neu schreibt, wenn das Lügengebäude in sich zusammenfällt.“ Als Dr. Heian das so alles erklärte, konnte Sam so langsam nachvollziehen, was passiert war. Als er das Brandmal angesprochen hatte, da hatte Christine so seltsam reagiert und das hatte wahrscheinlich schlimme Erinnerungen bei ihr geweckt, woraufhin ihr Verstand als Schutzreaktion alle gefährlichen Erinnerungen sofort wieder verdrängt hatte und sie sich ein neues Lügengebäude aufbaute, an welches sie glauben konnte. Darum hatte sie ihm plötzlich eine völlig andere Geschichte erzählt. Und das war dann wohl auch der Grund, wieso sie plötzlich nicht mehr wusste, was sie vorhin erzählt hatte. Doch eines verstand er bei der ganzen Sache nicht: „Wenn Christine psychisch krank ist, dann muss sie doch in Behandlung, am besten in eine Klinik, wo man ihr helfen kann.“ „Das wäre längst geschehen, wenn sie nicht in Lebensgefahr schweben würde, so wie fast jeder hier, der in diesem Anwesen lebt. Christine wird von der Yanjingshe verfolgt und wenn sie sie finden, werden sie sie töten. Im schlimmsten Fall wird Christine wieder das gleiche Schicksal erleiden, was sie erst zu dem gemacht hat, was sie jetzt ist.“ „Was meinen Sie damit?“ Dr. Heian schwieg und trank einen Schluck Kaffee. Irgendwie schien es wohl in diesem Haus eine Art Tabuthema zu geben, über das niemand sprechen wollte. Aber was war es denn? Urplötzlich stand Dr. Heian auf, entschuldigte sich und ging einfach, ohne näher auf Sams Frage eingegangen zu sein. Ratlos stand der Detektiv da und wurde nicht schlau aus der Situation. Was war nur los mit allen und wieso die Geheimniskrämerei? Es brachte wohl nichts, da näher nachzufragen. Da ihm offenbar niemand eine Antwort geben wollte, entschloss er sich, lieber weiter wegen seinem Schlüssel nachzuforschen, den Morphius ihm zugesteckt hatte. Vielleicht hatte er ja Glück und er bekam hilfreiche Informationen. Auf dem Weg zu seinem Zimmer hörte er irgendwo Araphel mit einen seiner Untergebenen schimpfen. Er klang ziemlich wütend und darum beschloss Sam, ihm lieber erst mal aus dem Weg zu gehen, bevor er noch derjenige war, der als Prügelknabe herhalten musste. Als die laute Stimme jedoch näher kam, beschloss er, sich erst mal zu verstecken und flüchtete schnell in eines der Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Geräuschvoll atmete er aus und hoffte innerlich, dass Araphel jetzt bloß nicht nach ihm suchte und in dieses Zimmer kam. Doch da hörte er plötzlich eine andere Stimme im Raum, die ihm verriet, dass er nicht alleine war. „Na sieh mal einer an. Sie machen ja den Eindruck, als wären Sie auf der Flucht.“ Die Stimme hatte einen chinesischen Akzent und klang aalglatt und gefährlich, dass dem Detektiv ein Schauer über den Rücken lief. Als er sich langsam umdrehte, sah er einen Mann auf einem Sofa sitzen, der traditionelle chinesische Kleidung trug. Seine dunklen Augen hatten etwas Lauerndes und eine sehr charismatische Ausstrahlung ging von ihm aus, die andere Menschen in ihren Bann ziehen konnten. Doch es war anders als bei Araphel. Dieser Mensch strahlte keine Kampfstärke aus, sondern man sah ihm sofort an, dass er ein sehr intelligenter und eiskalter Stratege war, der mehr auf Methode als auf bloße Kraft setzte. Er erinnerte an eine giftige Schlange und mit einem Schlag wurde Sam bewusst, dass er niemand anderem als den Boss der Yanjinshe Triade Shen Yuanxian gegenüberstand. Ein freundliches Lächeln spielte sich auf die blassen Lippen und sogleich erkundigte sich der Chinese „Sind Sie nicht der Detektiv, der es auf Araphel Masons Kopf abgesehen hat? Ich habe von Ihnen des Öfteren mal in der Zeitung gelesen. Sam Leens, richtig? Es freut mich sehr, den Feind meines Feindes kennen zu lernen.“ „E… entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören.“ „Das macht nichts. Ich bin geschäftlich hier und Ihr plötzliches Hereinplatzen kommt mir durchaus gelegen. So kann ich die Wartezeit mit netter Gesellschaft überbrücken. Und was führt Sie in die Höhle des Löwen?“ „I… ich…“ Sam blieben mit einem Male die Worte weg und er wusste nicht, was er sagen, geschweige denn, wie er reagieren sollte. Wie denn auch, wenn der gefährlichste Mann von Boston mit ihm sprach, der zudem das Oberhaupt einer internationalen Verbrecherorganisation war? Ganz zu schweigen davon, dass Shens Leute seinen Vater auf dem Gewissen hatten und Lawrence angeblich mit ihnen zu tun hatte. Als Shen das Halsband an Sam bemerkte, lächelte er amüsiert und schien sich schon seinen Teil denken zu können und das bestätigte sich auch, als er sagte „Ach ich verstehe. Der Löwe von Boston hat seine Beute doch noch in seine Klauen gekriegt und Sie zu seinem Spielzeug gemacht. Das sieht ihm wirklich ähnlich.“ Und als Sam etwas beschämt den Blick abwandte, winkte der Mafiaboss die Sache einfach ab und meinte „Wegen mir brauchen Sie keine Scham zu empfinden, Mr. Leens. Sie können von Glück reden, noch am Leben zu sein. Da Sie aber schon mal hier sind, kann ich auch gleich die Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen zu reden, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben. Bitte setzen Sie sich doch.“ Shens Worte waren freundlich und sehr formell. Er hatte etwas an sich, das einen regelrecht hypnotisieren konnte, sodass man, ehe man sich versah, einfach seinem Willen gefolgt war, ohne es wirklich zu wollen. Und so hatte Sam dem Mafiaboss gegenüber Platz genommen, ohne sich recht bewusst darüber zu sein. „Was genau wollen Sie von mir?“ fragte er zögernd und wieder hörte er da diese Stimme in seinem Kopf, die ihn laut und deutlich warnte: verschwinde von hier und rede nicht mit ihm. Das ist zu gefährlich! „Ich weiß, dass Sie die Mafia verachten und Ihre Stadt aus den Fängen des organisierten Verbrechens befreien wollen, so wie Ihr Vater. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei insbesondere bei Araphel Mason, der Nummer eins der Bostoner Unterwelt. Alleine werden Sie es nicht mit einem Löwen wie ihm aufnehmen können, aber ich weiß, wie ich dem Löwen seine Krallen stutzen kann. Ich kenne Araphels verwundbare Stellen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis selbst er zu Fall gebracht wird. In Wahrheit ist der stolze Löwe nur noch ein Schatten seiner Selbst, der nur noch brüllen kann. Er wird vernichtet werden, das ist sicher. Die Frage ist nur, wann es soweit sein wird. Sie und ich, wir verfolgen das gleiche Ziel und ich bin gerne bereit, Ihnen meine Unterstützung zuzusichern, um Araphel Mason zu vernichten.“ Das Angebot klang verlockend, doch Sam war skeptisch. Wieso sollte Shen ihm helfen wollen? Da war doch etwas nicht ganz koscher. „Warum will ein Mafiaboss dem Sohn einer Polizistenfamilie helfen, einen anderen Mafiaboss zu vernichten? Sie wollen mich doch nur benutzen, um selbst zur Nummer eins zu werden.“ „Und wenn es so wäre? Ich könnte Sie aus Ihrer misslichen Lage befreien und Ihnen den Schutz gewähren, den Sie brauchen werden. Und im Gegenzug helfen Sie mir, den Bostoner Löwen zu stürzen. So bekommen Sie was Sie wollen und ich bekomme, was ich will. Ein faires Geschäft.“ „Danke, aber ich lehne ab“, erklärte Sam sofort. „Ich mache keine Geschäfte mit der Mafia. Das ist gegen meine Prinzipien und ich werde sicherlich nicht dabei helfen, dass Sie noch mehr Macht über Boston bekommen, als Sie ohnehin schon haben.“ „Aber eine Entscheidung werden Sie wohl treffen müssen“, erklärte Shen gelassen. „Mein Angebot steht. Wenn Sie mir helfen, garantiere ich Ihnen, dass ich Araphel Mason endgültig vernichten werde und mit ihm auch den Patriarchen, der ohnehin viel zu altmodisch denkt. Und im Gegenzug verspreche ich Ihnen, dass Ihnen und Ihrem Bruder nichts passiert. Darum rate ich Ihnen, es sich noch mal gut zu überlegen. Immerhin hasst niemand auf der Welt die Mafia so sehr wie wir beide.“ Hier änderte sich das freundliche und fast schon warmherzige Lächeln, als ein eiskalter Funke in den Augen zu sehen waren. Die Augen einer Schlange, die ihre Beute anvisiert hatte und sie erbarmungslos umschlungen hatte, um sie zu zerquetschen. Sam hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sein Bruder… Araphel und Morphius hatten erwähnt, dass er Geschäfte mit der Yanjingshe machte und er von ihnen beauftragt worden war, Ahava Mason zu ermorden. Und nun drohte Shen, ihm etwas anzutun? Kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und er stand auf, da ging auch schon die Tür auf und Araphel selbst kam herein. Seine Augen weiteten sich, als er Sam und Shen zusammen in dem Raum sah und für einen Moment glaubte der Detektiv, so etwas wie Entsetzen bei ihm zu sehen. Shen hingegen blieb vollkommen gelassen und hob die Hand zum Gruß. „Ah, schon wieder zurück, mein lieber Araphel? Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich mir die Wartezeit damit vertrieben habe, ein wenig mit deinem Gast zu plaudern.“ Augenblicklich verfinsterte sich Araphels Miene. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er sah aus, als wolle er Shen auf der Stelle kalt machen. In seinen Augen funkelte der blanke Hass. „Was hattet ihr während meiner Abwesenheit zu besprechen?“ „Ach über nichts Besonderes“, erklärte der Chinese unbeeindruckt von Araphels drohendem Ton. „Nur ein kleiner freundlicher Plausch. Und wie ich sehe, scheint es dir ganz gut zu gehen. Als du nicht zum Treffen kamst, war ich schon fast besorgt um dich. Du hast doch wohl nicht den Termin versäumt, weil du nachlässig wirst. Oder ist es vielleicht Angst?“ „Als ob ich vor jemandem wie dir Angst hätte! Was willst du überhaupt hier?“ „Ein Geschäft, wie ich schon sagte. Soweit ich weiß, hast du mir Ware gestohlen und die hätte ich gerne zurück. Und im Gegenzug bin ich bereit, dir als Ausgleich einen Jungen als Bezahlung da zu lassen, der seine Sache besser versteht, als dein kleiner Lustknabe, den du an der kurzen Leine hältst.“ Es war nichts als pure Bosheit, die Shen von sich gab. Obwohl er seinen freundlichen Ton behielt und nicht einen Moment etwas von seinem Lächeln einbüßte, spürte man dennoch das Gift, das er verschoss. Doch so ganz verstand Sam nicht, was Shen damit meinte, dass man ihm „Ware“ gestohlen haben soll. Araphel schien jedenfalls im Bilde zu sein. „Als ob ich an einen deiner verkrüppelten Sexsklaven interessiert wäre, geschweige denn mich auf einem Deal mit dir einlassen würde.“ „Ach mein Lieber, du solltest dir wirklich mal angewöhnen, Berufliches und Privates voneinander zu trennen. Der Mord an deinem Vater war rein geschäftlich und ich bin fair und gebe dir die Chance, mein Eigentum zurückzugeben und bin sogar bereit, etwas dafür zu zahlen. Oder ist es so, dass du mir immer noch die Sache mit deiner Schwester vorwerfen willst?“ „Du verdammter…“ Das war nun endgültig genug für Araphel und er zog eine Pistole hervor. Im selben Moment reagierte Shen und holte etwas aus seiner Kleidung hervor. Alles ging so schnell von statten, dass Sam es kaum mit den Augen verfolgen konnte und erst im nächsten Moment sah er, dass Shen die Kugel mit einer Art Stahlfächer abgewehrt hatte. Dann sprang der Chinese auf, packte Araphels Hand, die die Pistole festhielt und drehte ihm den Arm auf den Rücken und drückte ihm im Anschluss das Gesicht zur Wand. Entsetzt sah Sam, wie leicht es für Shen gewesen war, ihn zu überwältigen und so langsam wurde ihm klar, wie gefährlich das Oberhaupt der Yanjingshe wirklich war. Er brauchte keine Leibwächter zum Schutz, er selbst war ein professioneller Killer. „Du solltest mal langsam damit beginnen, den Tatsachen ins Auge zu sehen“, sprach Shen weiter und immer noch war sein Tonfall ruhig und gelassen. Es war keine Aggression und kein Hass in seinem Gesicht zu sehen. Selbst seine Augen wirkten vollkommen leer und das Einzige, was Sam sehen konnte, war Shens sadistisches Vergnügen. Ja, er ergötzte sich an Araphels Wut und seinen seelischen Wunden, die er ihm zugefügt hatte. „Ich habe dir die Chance gelassen, deine Schwester zu retten. Du hast es nicht geschafft, ihr das Leid zu ersparen, was meine Leute ihr angetan haben und ebenso wenig warst du fähig, sie vor dem Tod zu bewahren. Und warst du es nicht, der gesagt hat, dass sie gar nicht deine Schwester ist?“ „Du hast mich damals dazu gezwungen und ein Spiel mit mir gespielt!“ Araphel versuchte sich loszureißen, doch Shen hielt ihn unerbittlich fest und das zeugte von einer enormen Kraft, die man ihm so nicht ansehen würde. Sam sah das Ganze mit Fassungslosigkeit an, wie Shen mit Araphel spielte und dessen Wut nutzte, um ihn immer weiter zu verletzen, weil er dessen wunde Punkte genau kannte. „Du solltest aufhören, die Schuld immer nur bei anderen zu suchen. Der Einzige, der Schuld an Ahavas Tod hat, bist einzig und allein du. Du hast sie einfach sterben lassen. Und gib doch zu, dass du es insgeheim genossen hast, meinem Willen zu folgen und dich mir mit jeder Faser deines Körpers hinzugeben.“ Hierbei griff Shen ihm spielerisch zwischen die Beine und das war endgültig zu viel für Sam. In einer Kurzschlussreaktion schnappte er sich den auf dem Tisch stehenden Aschenbecher und warf ihn nach dem 42-jährigen. Dieser nahm sofort seine Hand weg, um den Gegenstand abzuwehren. Der Detektiv war selbst erstaunt, dass er so etwas wirklich gerade getan und Shen tatsächlich angegriffen hatte, doch allein zu sehen, dass dieser Araphel in einer so widerlichen Art und Weise anfasste, hatte ihn alle Vernunft vergessen lassen. „Nehmen Sie gefälligst Ihre Hände von ihm!“ „Oho“, bemerkte Shen und lächelte amüsiert, wobei er sich wieder Araphel zuwandte. „Anscheinend hat dein kleines Betthäschen ja einen richtigen Beschützerinstinkt dir gegenüber. Es erstaunt mich, dass du ihn dir als Haustier hältst. Dabei war sein Bruder doch nicht ganz unschuldig an eurer Misere. Oder wirst du langsam doch weich?“ Araphel warf Sam einen kurzen Blick zu. Es war nicht ganz klar zu erkennen, was er dachte oder fühlte, aber dem Ausdruck in den Augen war so etwas wie Sorge, aber auch Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit zu sehen. Und noch etwas anderes, nämlich Schuld. Sam beschlich allmählich das Gefühl, dass er mit seinem Eingreifen nicht sonderlich geholfen, sondern alles nur verschlimmert hatte. Denn nun war er in Shens Visier geraten und ob er es mit diesem Kerl aufnehmen konnte, wagte er zu bezweifeln. Mit einem Mal kam er sich verdammt schwach und klein vor, während Shen schon fast etwas von einem gewaltigen Berg hatte, den er nie und nimmer bezwingen konnte. Dieser Kerl zeigte nicht einen Moment lang Schwäche, keine Blöße, nicht einen winzigen Funken Angriffsfläche. Er erschien nahezu unantastbar zu sein und nun spürte Sam auch die Angst hochkommen. Ja, er hatte verdammt große Angst vor Shen. Hilfesuchend schaute er wieder zu Araphel, der nun auf ihn zukam und zuerst dachte er, dass dieser sich zwischen ihn und Shen stellen würde. Für einen Moment dachte er wirklich, dass Araphel ihn vielleicht tatsächlich in Schutz nehmen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen folgte ein kräftiger Schlag ins Gesicht, der ihn von den Füßen riss. Er stürzte rücklings zu Boden und sah für einen Moment Sterne vor Augen. Hatte Araphel ihn da gerade etwa wirklich geschlagen? Aber wieso? „Wer hat dir eigentlich erlaubt, dich da einzumischen, du erbärmliches Stück Scheiße?“ Ein Tritt in die Magengrube folgte und vor Schmerz stöhnte Sam auf und krümmte sich auf dem Boden zusammen. Er verstand das nicht. Warum verprügelte Araphel ihn? Er hatte ihm doch nur helfen wollen, auch wenn es für ihn selbst mehr als verrückt klang. Was hatte er denn bloß falsch getan? Doch als ein weiterer Tritt in den Brustkorb folgte und er keuchend nach Atem rang, da dämmerte es ihm so langsam. Araphel musste das hier tun. Indem er ihm geholfen und ihn beschützt hatte, hatte er Araphel vor Shen schwach erscheinen lassen. Wegen seinem Eingreifen wirkte es nun, als wäre der Bostoner Löwe nicht stark genug, um sich selbst wehren zu können. Und bei einem solchen Gegner wie Shen durfte er sich keine Schwäche erlauben. Darum musste Sam jetzt diese Strafe ertragen. Schließlich aber raubte ihm ein Tritt gegen den Kopf endgültig das Bewusstsein, sodass ihm der Rest der Strafe erspart blieb. Kapitel 13: Neue Gefühle ------------------------ „Rache entspringt immer einer schwachen Seele, die nicht imstande ist, Verletzungen zu ertragen.“ François IV. Duc de La Rouchefoucauld, französischer Offizier Wie lange Sam bewusstlos war, konnte er nicht sagen. Seltsamerweise spürte er keine Schmerzen, fühlte sich aber etwas benebelt, als er wieder aufwachte, was wohl ein Zeichen dafür war, dass Dr. Heian ihm wohl ein Schmerzmittel gegeben hatte. Als er aufwachte, lag er in seinem Bett und bei ihm saß Araphel. Der Mafiaboss wirkte irgendwie müde und abgekämpft. In so einem Zustand hatte Sam ihn noch nie gesehen und er war fast schon erschrocken darüber, ihn so zu sehen. Etwas benommen blinzelte er, um wieder einigermaßen klar zu sehen. „Wie… wie lange war ich weggetreten?“ „Knapp vier Stunden“, antwortete Araphel und seine Stimme klang ruhig, aber sehr ernst. Der Ausdruck in seinen Augen hatte teils etwas Vorwurfsvolles aber auch eine Spur Bestürzung oder Schuld an sich. „Warum hast du das getan?“ Araphel war nicht einmal wütend, als er diese Frage stellte. Immer noch war er sehr ernst, doch er machte nicht mal Anstalten, ihm Vorwürfe zu machen und das verunsicherte Sam ein wenig. Er wusste auch nicht so ganz, wieso er das eigentlich getan hatte. Zögernd antwortete er „Ich konnte es nicht mit ansehen, dass er dich so anfasst.“ „Ist dir eigentlich klar, was du damit eigentlich getan hast? Du hast Shen angegriffen und ihn dir zum Todfeind gemacht. Das wird er nicht vergessen. Er wird dich entweder psychisch komplett brechen, oder dich bei der nächstbesten Gelegenheit sofort töten. Mit viel Glück wird es bloß das zweite von beidem sein und er beendet dein Leben, ohne dich tagelang zu foltern.“ „Hast du mich deshalb verprügelt?“ fragte Sam und setzte sich auf. „Weil du mich beschützen wolltest?“ „Bilde dir bloß nicht so viel darauf ein“, gab Araphel zurück. „Was hattest du überhaupt mit Shen besprochen?“ „Er… er wollte, dass ich mich mit ihm verbünde, um dich zu schlagen. Aber ich habe abgelehnt. Aber sag mal… was ist da genau zwischen dir und Shen? Was hat er damit gemeint, dass er… oder du…“ Sam sprach nicht weiter. Irgendwie brachte er es einfach nicht fertig, es laut auszusprechen und er ahnte, dass es etwas mit den Narben auf Araphels Rücken zu tun hatte. Shen musste ihm wirklich entsetzliche Dinge angetan haben und selbst jetzt spielte dieser Kerl noch mit ihm und riss immer wieder diese alten Wunden auf, um ihn zu quälen. Sam senkte den Blick und fühlte sich elend. Zwar konnte er Araphels dunkle Geschäfte nicht gutheißen und er konnte ihm die Zeit im Keller auch nicht verzeihen, aber diese Geschichte mit Shen berührte ihn dennoch. Zwar kannte er kaum Details, aber so wie es schien, hatte Shen ihn auf eine unfassbar grausame Art und Weise gedemütigt und erniedrigt und ihn psychisch als auch physisch gequält und verspottete ihn seither. Araphel hatte sicherlich verdammt viel unter dem Terror dieses Kerls zu leiden gehabt, dass Sam seine Gefühle sogar verstehen konnte. Doch dann hob Araphel plötzlich sein Kinn und küsste ihn. Dies kam so überraschend, dass der Detektiv gar nicht wusste, wie ihm geschah. Wieso nur küsste Araphel ihn auf einmal? „Du wirst dich in Zukunft von Shen fernhalten. Du wirst weder ein Wort mit ihm wechseln, noch irgendeinen Deal mit ihm eingehen. Wenn du es wagst, meine Anweisungen zu ignorieren, wirst du wissen, was dir blüht.“ Sogleich zog Araphel seine Krawatte aus, öffnete die Knöpfe seines Hemdes und drückte Sam zurück aufs Bett. Seinem Blick war deutlich anzusehen, was er vorhatte. Doch seltsamerweise machte es Sam nichts aus. Obwohl er vor wenigen Stunden bewusstlos geprügelt worden war, war er überhaupt nicht wütend auf Araphel. Er wusste, dass diese Misshandlung seinem Schutz gedient hatte und diese Kuss gerade war der Beweis dafür gewesen, dass Araphel ihn beschützen wollte. Doch warum? Wieso hatte Araphel seine Meinung geändert, wenn er doch so einen Hass auf ihn hatte? Was denkst du über mich, das hätte Sam am liebsten gefragt. Doch insgeheim wusste er, dass er keine Antwort bekommen würde. Araphel war nicht der Typ Mensch, der über seine Gefühle sprach. Es wäre ein Zeichen von Schwäche und Verwundbarkeit gewesen und er war es gewohnt, immer stark zu bleiben, keine Schwäche zu zeigen und niemandem eine Angriffsfläche zu bieten. Darum wurde er ja auch als Löwe bezeichnet. Doch es musste auch eine andere Seite an ihm geben, dessen war er sich sicher. Er hatte sie gesehen, als sie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten. Araphel war so viel sanfter gewesen und ihm war auch so, als hätte er da auch Araphels wahres Ich gesehen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Nämlich einen verletzten Löwen, der trotz seiner tiefen Wunden weiterkämpfen wollte. Entweder um das zu schützen, was ihm noch geblieben war, oder um das zu zerstören, was ihm diese Wunden zugefügt hatte. Doch so langsam erkannte er, dass es beides war. Araphel beschützte seine Leute, indem er sie in seinem Haus wohnen ließ, damit sie die Yanjingshe nicht zu fürchten brauchten. Und gleichzeitig versuchte er seinen schlimmsten Feind zu vernichten. Doch seine Wunden waren zu tief, als dass er beides tun konnte. Sam wusste, dass Araphel es nicht schaffen würde, sowohl seine Leute vor Shens Grausamkeit zu bewahren und gleichzeitig Rache zu üben für das, was man ihm angetan hatte. Wie Shen schon sagte: es war nur eine Frage der Zeit, bis Araphel Mason zu Fall gebracht werden würde. Und dies hätte zur Folge, dass nicht nur er mit dem Leben bezahlen würde, sondern auch all jene, die er zu beschützen versuchte. Christine, Asha, Dr. Heian und Morphius. Und jetzt auch er selbst. Aber warum hatte Araphel seine Pläne geändert? Was motivierte ihn jetzt dazu, ausgerechnet den Menschen zu beschützen, den er zuvor umbringen wollte? Wenn ich doch nur etwas tun könnte, dachte Sam. Wenn die Yanjingshe ihre Macht verlieren würde, dann wären sie alle nicht mehr in Gefahr. Christine könnte endlich von ihrer Krankheit geheilt werden und es würde auch nicht mehr so eine schreckliche Fehde ausgetragen werden. Er dachte daran, was er zu Marco gesagt hatte, bevor er in diese Falle getappt war und was er sich zum Ziel gemacht hatte. Er wollte Araphel zu Fall bringen, um so die Vendetta zu beenden, die so viele Tote gefordert hatte. Aber nun, da er selbst miterlebt hatte, wie die Dinge standen, erkannte er nun, dass er seine Prioritäten falsch gesetzt hatte. Nicht Araphel war hier die größte Bedrohung, die es zu bekämpfen galt, sondern Shen. Solange er so eine große Macht innehatte, würde es für seine Opfer keine Sicherheit in dieser Stadt geben. Und als er so darüber nachdachte, wusste er, was er zu tun hatte. „Ich weiß zwar nicht, was alles zwischen dir und Shen vorgefallen ist, aber… ich werde ihn auf meine Weise bekämpfen. Ich werde die Yanjingshe zerschlagen und dann werde ich dafür sorgen, dass du für deine Verbrechen zahlst.“ „Ach so?“ fragte Araphel und schmunzelte amüsiert. „Willst du dich mir etwa anschließen?“ „Nein“, antwortete Sam. „Ich werde niemals gemeinsame Sache mit der Mafia machen. Ich werde die Korruption innerhalb der Polizei bekämpfen und dafür sorgen, dass Shen keinen Fuß mehr auf den Boden kriegt. Ebenso wenig wie du.“ „Entweder bist du ziemlich mutig, oder einfach nur verdammt naiv. Wir werden ja sehen, ob du mich hinter Gittern bringen kannst, geschweige denn überhaupt willst.“ Daraufhin küsste Araphel ihn erneut, dieses Mal aber länger und leidenschaftlicher, während er mit Sams Zunge zu spielen begann. Der Detektiv erwiderte den Kuss ohne zu zögern und wurde gänzlich von dieser Leidenschaft fortgerissen. Langsam schob der Mafiaboss ihm eine Hand unter sein Shirt und strich ihm über die Brust und tastete sich über seine warme und zarte Haut und streichelte dabei auch über jene Stelle, wo ein Tritt den Detektiv erwischt hatte. Es war schon fast eine entschuldigende Geste, auch wenn Araphel sich nie für irgendetwas entschuldigte oder jemals so etwas wie tiefe Reue zeigte. Zumindest war es nicht direkt offensichtlich. Doch Sam war sich sicher, dass Araphel ihn nicht verprügeln wollte. Wieso er seine Meinung geändert hatte, das wusste wahrscheinlich nur Araphel selbst. Schließlich, als der Mafiaboss ihm sein Shirt ausgezogen hatte, küsste er zärtlich jede Stelle, die von den unansehnlichen blauen Flecken der zurückliegenden Misshandlungen entstellt worden war. Dabei legte er eine Hand auf Sams, woraufhin sie sich ineinander verschlossen. Diese Geste hatte, obwohl sie so einfach war, etwas sehr Inniges an sich. Kraft und Stärke lagen in dieser Hand. Es war wirklich die Hand eines menschlichen Löwen. Die Hand eines Kämpfers, der selbst dann nicht aufgab, wenn seine Wunden schon zu tief waren. Eine Stärke, aber auch ein Verhängnis zugleich. Sam umschloss diese Hand fester. Der Wunsch wurde in ihm wach, die Qualen zu lindern, die Araphel seelisch erleiden musste. Er wollte diesem verwundeten Löwen helfen, damit dieser nicht zugrunde gehen musste. Wann hatte er nur angefangen, solche Gefühle zu entwickeln, die in einem so starken Kontrast zu seinem Ziel standen? Er wollte nach wie vor Araphel das Handwerk legen und das organisierte Verbrechen bekämpfen. Aber sogleich wollte er diesen Schmerz teilen, den der Mafiaboss litt. Inzwischen glaubte er auch, ihn besser verstehen zu können und warum Araphel anfangs so aggressiv und gewalttätig gewesen war. Er hatte etwas zur Kompensation seines inneren Schmerzes gebraucht. Nämlich indem er einen anderen körperlich das fühlen ließ, was er erleiden musste. Die Erniedrigung, die Vergewaltigung, die Misshandlungen… all das, was bei Araphel diese tiefen Narben auf seinem Rücken hinterlassen hatte und ihn einen Lebtag daran erinnern würde, was geschehen war. Araphel hatte ihn als sein Opfer auserkoren, weil er der Bruder jenes Mannes war, der dafür verantwortlich war, dass seine Schwester hatte sterben müssen. Es war eine willkommene Gelegenheit gewesen. Doch dann hatte er urplötzlich seine Meinung geändert und war auf einmal so zärtlich zu ihm und hatte ihn sogar vor Shen beschützt. Doch woher rührte dieser Sinneswandel? Vielleicht, weil Araphel realisiert hatte, was er da getan hatte? Dass er dabei war, genauso grausam und kaltblütig zu werden wie Shen? Nun, wahrscheinlich war es wohl so. Doch was trieb ihn jetzt dazu, seinen Gefangenen, den er so misshandelt hatte, nun mit so viel Zärtlichkeit zu berühren wie jetzt? War es Schuld, oder trieben ihn andere Gefühle voran? Als er plötzlich einen stechenden Schmerz an der Seite spürte, zuckte er leicht zusammen. Instinktiv presste er seine Hand darauf und bemerkte, dass es seine Rippen waren. Die stelle hatte Dr. Heian bandagiert und offenbar hatte er sich wohl eine Prellung zugezogen. „Scheint so, als hätte ich wohl etwas zu stark zugetreten.“ „Wie bitte, du hast dich zurückgehalten?“ rief Sam ungläubig. „Ich dachte, du bringst mich noch um.“ „Dazu hätte ich nicht viel gebraucht. Ich bin schon seit meiner Jugend Kickboxer.“ Nun, das erklärte, wieso Araphel so verdammt hart zuschlagen konnte. Er hatte wahrscheinlich sogar noch Glück gehabt, dass er noch alle Zähne drin hatte und ihm nicht der Kiefer gebrochen worden war. Schließlich, als Araphel ihm seine Hose öffnete und sie ihm mitsamt der Unterhose auszog, beugte er sich herunter und umspielte Sams Penis mit seiner Zunge. Diese plötzliche und unerwartete Entwicklung kam so überraschend für den 28-jährigen, dass er erst in einer Kurzschlussreaktion versuchte, ihn von sich wegzudrücken. Aber er entspannte sich sogleich wieder und ließ diese Stimulation auf sich wirken. Es war das erste Mal, dass Araphel so etwas tat. Während der Zeit im Keller hatte der Sex nur gewaltsame Züge an sich gehabt. Araphel hatte es vermieden, ihn dabei anzusehen und es hatte nie so eine Leidenschaft dahintergesteckt wie jetzt. Sam hatte sich manchmal gefragt, ob es nicht vielleicht auch an seiner Wahrnehmung lag, weil er jetzt in einem richtigen Zimmer war und der Keller mehr etwas von einem Gefängnis gehabt hatte. Aber nun war er sich ganz sicher, dass es nicht bloß an seiner Wahrnehmung lag. Araphel hatte sich ihm gegenüber verändert. Er schlief nicht mehr mit ihm, um ihn zu demütigen und zu verletzen, sondern weil da etwas anderes war. Nur was es genau war, das vermochte Sam nicht zu sagen. Ein rein körperliches Begehren? Oder sah Araphel irgendetwas in ihm, wovon Sam selbst noch keine Ahnung hatte? Schließlich aber spürte er plötzlich etwas anderes. Als er aufsah, bemerkte er, dass Araphel ihm das Penisgeschirr abgenommen hatte. Und das verwirrte ihn umso mehr und er verstand nicht, warum der Mafiaboss das tat. Doch dann kam ihm ein seltsamer Gedanke: was, wenn es eine indirekte Art der Entschuldigung für die Tracht Prügel gewesen war? Oder ein Dank dafür, dass er Araphel vor Shen in Schutz genommen hatte? „Araphel…“ „Sag jetzt nichts.“ Nachdem Araphel das mehr als demütigende Geschirr abgenommen hatte, holte er eine kleine Tube hervor und gab etwas Gel auf seine Hand. Sam, der genau wusste, was gleich folgen würde, spreizte bereitwillig die Beine und spürte, wie sich zwei Finger ihren Weg in sein Innerstes suchten, sich tief vorantasteten und seine sensibelsten Stellen berührten. Es erstaunte Sam ein wenig, wie sehr er sich inzwischen daran gewöhnt hatte und dass es ihm inzwischen sogar gefiel, wenn Araphel mit ihm schlief. Überhaupt fragte er sich, wann und wie sich dieses anfangs so kalte Verhältnis zwischen ihnen auf einer gewissen Ebene entspannt hatte. Und wann hatte er angefangen, Araphels Berührungen nicht mehr als unangenehm zu empfinden? So genau konnte er es nicht mehr sagen, aber inzwischen hatte er so einiges erkannt. Diese Fehde zwischen Araphel und Shen ging viel tiefer und sie drehte sich nicht darum, den Mord an Stephen Mason zu rächen. Nein, es ging um den Tod von Ahava Mason, die völlig unschuldig in diese Sache mit reingezogen worden war und Araphel wollte sich für das Leid rächen, das ihm angetan worden war. Solange Shen nicht weg war, würde er immer wieder seinem Peiniger und dem Mörder seiner Familie über den Weg laufen, niemals Gerechtigkeit erfahren und nie seinen inneren Frieden finden. Doch etwas beschäftigte ihn, nämlich etwas, das Shen gesagt hatte: Niemand auf der Welt hasst die Mafia so sehr wie wir beide. Was hatte das nur zu bedeuten? Wie konnte jemand wie Shen die Mafia hassen, wenn er die Yanjingshe zu einer internationalen Organisation gemacht hatte, die immer mehr an Macht gewann? Da lag doch keine Logik darin und vielleicht hatte Shen es ja auch nur gesagt, um ihn um den Finger zu wickeln. Doch so wirklich konnte Sam das nicht glauben. Er hatte das Gefühl, als hätte Shen die Wahrheit gesagt. Er hasste die Mafia, doch aus irgendeinem Grund war er ein Teil von ihr geworden. Angestrengt versuchte er, weiter darüber nachzudenken, doch daraus wurde nichts, als Araphel wieder seinen sensibelsten Punkt berührte und damit jeglichen Gedanken in seinem Kopf auslöschte, während sein Körper von einer immer stärkeren Lust und Erregung ergriffen wurde. In diesem Moment vergaß er sogar, seine Stimme zurückzuhalten, woraufhin sein lustschweres Stöhnen deutlich zu hören war. Ein kühles Lächeln spielte sich auf Araphels Lippen, der nun seine Finger vorsichtig herauszog und seine Hose zu öffnen begann. Als Araphel in ihn eindrang, schlossen sich wieder ihre Hände ineinander und wieder strömte diese Kraft auf Sam ein, die ihn für einen Moment völlig überwältigte. Ein leichter Schmerz überkam ihn, als sein Schließmuskel gewaltsam bis aufs Äußerste gedehnt wurde, doch gleichzeitig wurde er größtenteils von dieser pulsierenden Hitze betäubt, die sein Innerstes erfüllte. Schwer atmend lag er auf dem Bett, während Araphel sich langsam in Bewegung setzte und seine Hand festhielt. „Mh… ah…“ Für einen Moment blieb Sam die Luft zum Atmen weg und er befürchtete, dass sich gleich wieder sein Asthma rächen würde. Doch zum Glück beruhigte sich dies wieder und er schaffte es, wieder frei zu atmen. Stattdessen war ihm so, als würde ein leichter Schwindel über ihn kommen. Als Araphel kurz den Griff lockerte, löste Sam seine Hand und schlang seine Arme stattdessen um Araphels Körper und hielt ihn fest. Ein tiefer Wunsch war in ihm wach geworden. Er wollte ihn nah bei sich spüren… seinen Herzschlag und die Wärme seines Körpers. Und ihm war, dass er, je härter und tiefer Araphel zustieß, sich immer fester an ihn klammerte. So als ob er ihn nie wieder loslassen wollte. „A… Araphel…“ „Hier hast du es am liebsten, nicht wahr?“ Als Araphel wieder diesen besonders sensiblen Punkt traf, durchfuhr ein intensives Kribbeln Sams Körper und seine Finger verkrallten sich in Araphels Hemd. Sein Körper glühte wie im Fieber und selbst der letzte seiner Gedanken wurde vollständig aus seinem Kopf gelöscht. Sein Verstand war vollkommen leer wie eine weiße Leinwand und alles, was er noch wahrnahm, war dieser tiefe Wunsch, Araphel festzuhalten. Ja… er wollte ihm nahe sein. Sein Körper bäumte sich in einem letzten Kraftakt auf, als er zu seinem Orgasmus kam und schweißgebadet auf dem Bett liegen blieb. Immer noch war ihm schwindelig und das Atmen fiel ihm schwer. Und er glaubte auch, so etwas wie einen schmerzhaften Druck auf der Lunge zu spüren. Auch als er sich aufsetzte, als Araphel sich wieder von ihm gelöst hatte, bemerkte er, durchfuhr ein dumpfer Schmerz seinen Rücken und seine Schulter. Offenbar begannen die Schmerzmittel allmählich nachzulassen. „Bleib liegen“, kam es daraufhin von Araphel, der sich nun wieder anzuziehen begann. „Du solltest dich ein wenig ausruhen.“ Doch das kam für Sam nicht infrage. Es gab da nämlich etwas, das er tun musste. „Ich muss Lawrence warnen“, rief er und versuchte aufzustehen, doch immer wieder schnürte sich schmerzhaft seine Brust zusammen, wenn er sich zu viel bewegte. Seltsamerweise hatte es nicht geschmerzt, als er da gelegen hatte. Vermutlich war es wirklich irgendeine Prellung, die er sich bei der Tracht Prügel zugezogen hatte. „Deinen Bruder?“ fragte Araphel und zog die Augenbrauen zusammen, wodurch er einen ziemlich finsteren Eindruck machte. „Wozu willst du ihn warnen?“ „Shen hat mir damit gedroht, dass ihm etwas passieren könnte, wenn ich mich ihm nicht anschließe. Wenn ich ihn nicht warne, wird die Yanjingshe ihn umbringen.“ „Das ist nicht mein Problem“, entgegnete der Mafiaboss kalt. „Ich bin diesem Kerl keinen Gefallen schuldig und wenn du dich einmischst, wirst du am Ende noch in Gefahr geraten. Dein Bruder wusste, auf wen er sich einlässt und er ist Cop. Er wird sich schon zu helfen wissen.“ „Verlangst du etwa, dass ich ihn im Stich lasse? Er ist mein Bruder!“ Hieraufhin packte Araphel ihn an seinem Halsband und funkelte ihn drohend an. Man hätte meinen können, vor Sam stünde ein Raubtier, das gerade seine Zähne fletschte und knurrte. „Du solltest dir mal langsam im Klaren werden, in was für einer Lage du dich befindest. Wenn dein Bruder Geschäfte mit der Yanjingshe macht, steckt er bereits zu tief in der Scheiße, um da jemals wieder rauszukommen. Wenn du versuchst, ihm zu helfen, wirst du am Ende nur selbst draufgehen. Du hast gegen Shen nicht den Hauch einer Chance. Er wird dich brechen wie ein Streichholz und dann in den Abgrund hinunterstoßen, so wie er es mit jedem seiner Opfer macht. Dein Bruder hat genug Blut an seinen Händen kleben und er ist es nicht wert, dass irgendjemand seinen Hals für ihn riskiert.“ „So kann auch nur einer von der Mafia reden!“ rief Sam wütend und schlug Araphels Hand weg. „Ich kann doch nicht untätig herumsitzen, wenn mein Bruder wegen mir in Gefahr gerät.“ „Er wäre es so oder so“, erklärte Araphel und wandte sich zum Gehen um. „Wer sich mit der Yanjingshe auf Geschäfte einlässt, der wird früher oder später Ärger bekommen, so sieht die Realität nun mal aus. Du wirst hier bleiben und damit basta.“ Doch bevor er den Raum verließ, blieb der 31-jährige Mafiaboss noch einmal kurz stehen und schien nachzudenken. Dann schließlich sagte er noch „Ich schicke jemanden bei ihm vorbei“, bevor er den Raum verließ. Sprachlos blieb Sam stehen und konnte es erst nicht glauben. Hatte Araphel gerade wirklich gesagt, dass er jemanden zu Lawrence schicken würde? Und das, obwohl er so einen Hass auf ihn hatte? Er tut das allein meinetwegen, ging es Sam durch den Kopf. Er macht es, weil er nicht will, dass ich noch mit der Yanjingshe Probleme bekomme. Doch was er nicht wusste, war, dass Araphel nicht mal für eine Sekunde darüber nachdachte, seine Worte wirklich in die Tat umzusetzen. Nein, er sah nicht ein, warum er auch nur einen Gedanken daran verschwenden sollte, jenem Menschen zu helfen, der für den Tod seiner Schwester mitverantwortlich war. Aber das brauchte Sam nicht zu wissen. Solange er damit sicherstellen konnte, dass dieser in der Villa blieb, war ihm diese Lüge auch recht. Kapitel 14: Erschreckende Wahrheit ---------------------------------- „Meine Hoffnungen schwinden! Auf einen groben Klotz setzen wir einen groben Keil – den Terror bekämpfen wir mit Terror – und den Gotteswahn mit Wahnvorstellungen.“ Georg Skrypzak, Restaurator und Aphoristiker Nach einer ausgiebigen Dusche hatte Sam sich noch eine halbe Stunde ausgeruht, bevor er wieder zu seinem Vorhaben zurückkehrte, nach dem passenden Schloss für seinen geheimnisvollen Schlüssel zu suchen. Nachdem Araphel ihm zugesichert hatte, dass er Lawrence warnen lassen würde, konnte er ja erst mal beruhigt sein und sich um andere Dinge Gedanken machen. Um sicherzugehen, dass er dieses Mal ungestört sein würde, wartete er bis nach dem Abendessen, bevor er sich ans Werk machte. Da er zuvor schon große Vorarbeit geleistet hatte, dauerte seine Suche dieses Mal nicht ganz so lang und tatsächlich hatte er nach einer Viertelstunde eine Tür im Ostflügel gefunden, die abgeschlossen war und genau zu seinem Schlüssel passte. Es war eine recht unscheinbare Tür, die so aussah wie jede andere auch. Neugierig, was sich dahinter verbarg, schloss Sam sie auf und betrat den Raum. Zuerst rechnete er natürlich mit einer Art Büro mit vielen interessanten Akten und Dokumenten, doch stattdessen fand man hier ein Zimmer. Es war sehr schön und gemütlich eingerichtet und man sah sofort, dass hier eine junge Frau wohnen musste. Die Wände waren in einer sehr hellen Farbe gestrichen und auch die Einrichtung war sehr liebevoll gewählt worden. Auf dem Bett lag sogar ein Teddybär. In einem Regal fanden sich Bücher. Meist lustige Romanzen und auch bekannte Bestseller. In einem unteren Regalfach waren Fotos aufgereiht. Fotos, die ein hübsches Mädchen von 20 Jahren zeigte, welches fröhlich in die Kamera lächelte und lange blonde Haare und eisblaue Augen hatte. Sie war sehr schön und strahlte etwas Warmherziges und Munteres aus. Bei sich hatte sie einen knapp 27-jährigen jungen Mann, der eindeutig Araphel war und einen älteren Mann, den Sam als Stephen Mason erkannte. Dann war das also Ahava Mason, Araphels Schwester. Es war wirklich erstaunlich, wie verschieden die beiden waren. Wie Tag und Nacht. Es gab sehr viele Bilder mit ihr und Araphel. Und man konnte wirklich sehen, wie nah sie sich gestanden hatten. Sie wirkten fast unzertrennlich. Aber dann gab es auch Fotos, wo Ahava mit jemand anderem zu sehen war. Ein groß gewachsener junger Mann mit blonden Haaren, die er ordentlich zurückgekämmt hatte. Überall hätte Sam dieses Gesicht wiedererkannt. Das war Lawrence… sein Bruder. Entsetzt wich er vor dem Foto zurück und konnte es nicht glauben. Es stimmte also wirklich. Lawrence hatte tatsächlich eine Beziehung mit Ahava geführt. Morphius und Araphel hatten wirklich die Wahrheit gesagt. Das konnte doch nicht wahr sein. Wieso war Lawrence damals mit Ahava zusammen, ohne irgendjemandem ein Wort zu erzählen? Fassungslos starrte er auf das Foto, auf welchem die beiden in trauter Zweisamkeit zu sehen waren. Was war nur in Lawrence gefahren, dass er so etwas tat und Araphels Schwester verführte und dann an die Yanjingshe verkaufte? Das konnte doch alles nicht wahr sein… Sam begann nun den Rest des Zimmers unter die Lupe zu nehmen, um nach mehr Antworten zu suchen. Dabei sah er auch einen Rollstuhl in einer Ecke stehen, was ihn schon verwunderte, denn Ahava hatte auf den Fotos nicht danach ausgesehen, als wäre sie querschnittsgelähmt. Eine Theorie war, dass sie eventuell einen Unfall gehabt hatte oder… hier musste er wieder an Asha denken. „Das passiert, wenn man in die Fänge der falschen Mafia gerät.“ Eine schlimme Vorahnung überkam ihn und ihm drehte sich der Magen um. Allein der Gedanke an das, was Ahava eventuell passiert sein konnte, war schrecklich genug. Schnell verdrängte er diesen Gedanken wieder und suchte weiter. Dabei fand er schließlich in der Schreibtischschublade ein Tagebuch, welches zwar ein kleines Vorhängeschloss hatte, allerdings lag der Schlüssel praktischerweise direkt daneben. So konnte Sam das Schloss öffnen und einen Blick in das Tagebuch werfen. Wie sich herausstellte, hatte Ahava wirklich jeden Tag Tagebuch geführt und alles aufgeschrieben. Selbst recht belanglose Dinge waren aufgeschrieben worden und jeden einzelnen Gedanken hatte sie festgehalten. Sam las ihre Einträge, die davon erzählten, wie sie sich um ihren Bruder sorgte, der immer so viel arbeitete und dass sie mit Gewissensbissen kämpfte, weil sie ihn mit der Arbeit alleine ließ, weil sie mit der Mafia nichts zu tun haben wollte. Man konnte deutlich lesen, wie nah sich die beiden Geschwister gestanden hatten, denn sie schrieb sehr viel von Araphel, über ihre Adoptiveltern weniger. Aber zwischendurch schrieb sie auch über Lawrence, schwärmte regelrecht von ihm und erzählte, wie sie gemeinsame Nachmittage miteinander verbracht hatten, er sie oft von der Uni abgeholt und mit ihr was unternommen hatte. Wie es zwischen ihr und ihrer Familie zum Streit gekommen war, weil sie sich in einen Polizisten verliebt hatte. Doch davon hatte sie sich auch nicht beirren lassen und war mit ihm zusammen geblieben. Und dann, als er eine weitere Seite umblätterte, da tauchte plötzlich ein Bild auf. Kein Foto in dem Sinne, sondern eine Ultraschallaufnahme. Sam war, als würde sich ein Abgrund unter seinen Füßen auftun, als er erkannte, was das bedeutete: Ahava war schwanger gewesen… von Lawrence. „Großer Gott…“, murmelte er leise und starrte fassungslos auf das Ultraschallbild. Ob Araphel gewusst hatte, dass seine Schwester schwanger war, als sie starb? Und hatte Lawrence irgendwelche Kenntnisse davon gehabt? Sam blätterte weiter, doch nach zwei Seiten endeten die Einträge. Knapp eineinhalb Monate fehlten und danach hatte Ahava nichts mehr geschrieben. Stattdessen hatte sie etwas gezeichnet, nämlich Augen. Unzählige weinende Augen, die die nächsten sieben Seiten ausfüllten. Ein Anblick, der fast schon verstörend war. Sam ahnte, dass die leeren Seiten den Zeitraum ihrer Entführung beinhalten mussten. Doch hatte Araphel nicht gesagt, dass die Yanjingshe Ahava ermordet hätte? Wieso hatte sie dann diese Augen in ihr Tagebuch gemalt? Nun, vermutlich hatte Araphel sie befreien können und Ahava hatte, belastet durch ihre Traumata, daraufhin diese unheimlichen Zeichnungen angefertigt. Und dann hatte die Yanjingshe sie wohl aufgespürt und getötet. Sam blätterte weiter, doch da waren keine Augen mehr. Stattdessen hatte Ahava die Seiten mit einem Permanentmarker die Seiten schwarz gefärbt. Seite um Seite in ihrem Tagebuch. Sie hatte rein gar nichts mehr geschrieben, nur noch die Seiten geschwärzt, bis zur letzten Seite. Dieser zweite Teil des Tagebuchs nach dieser langen Pause war wirklich verstörend. Das hatte nichts mehr mit der lebensfrohen und fürsorglichen Pädagogikstudentin zu tun. Es war so, als hätte etwas sie seelisch gebrochen. Doch was genau hatte Ahava erleben müssen, dass sie seelisch so gebrochen war? „Beunruhigend, nicht wahr?“ Erschrocken durch die plötzliche Stimme drehte sich Sam um und sah Morphius, der gerade ins Zimmer kam. Wie immer rauchte er gerade eine Zigarette und sein mürrischer Katzenblick strahlte eine Spur Zynismus und Missmutigkeit aus, was aber recht täuschte. „Morph… was genau ist mit Ahava passiert?“ „Dasselbe, was Christine, Asha und Yin zugestoßen ist. Ist dir der Begriff Deep Web geläufig?“ „Ich hab davon gehört. Dort soll es teilweise viele illegale Foren über Vergewaltigungen, Morden, Pädophilie und sogar Sexsklavenhandel geben, weil es unglaublich schwer ist, diese Seiten zu finden.“ Der Informant nickte und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Sein Gesichtsausdruck wurde sehr ernst. „Es gibt da eine Organisation, die sich Slave Shipping Services nennt. Gekürzt nennt man sie auch S.S.S. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine Organisation, die Menschen verschleppt und als Sexsklaven ins Ausland verkauft. China, Thailand, Russland… es sind viele Länder betroffen und der Service betreibt auch eine Seite im Deep Web, die sich Slaves Who Can’t Run nennt. Seit 1991 haben sie bereits 700.000 Menschen als Sexsklaven verkauft. Jedes Jahr rund 21.000 Kinder.“ Jegliche Farbe wich aus Sams Gesicht, als er das hörte. So langsam begriff er nun, was das alles zu bedeuten hatte, doch glauben konnte er es nicht. Das ging weit über sein Fassungsvermögen hinaus und allein der Gedanke daran, dass es so etwas geben könnte, war abscheulich. Doch dann holte Morphius etwas hervor. Es war ein Ausdruck von einer Internetseite, die eine blonde Frau in schwarzer Unterwäsche zeigte, die auf einer Arztliege lag und keine Beine mehr hatte. Ein Mann, dessen Gesicht nicht auf dem Foto war und der einen weißen Kittel trug, stand neben ihr. Auf dem Ausdruck stand: Willkommen bei der führenden Deep Web Seite für Sexsklaven. Sie können nicht laufen! Sie gehören immer Ihnen! Die Preise lauten wie folgt: Keine Beine: 4BTC Zusätzliche Armamputation: 6BTC 16-jährige und jünger: 10BTC Stimmbandentfernung: 0,5BTC Und darunter war noch ein Bild und dieses würde Sam seinen Lebtag nicht vergessen. Es zeigte ein verängstigtes Mädchen, dem das linke Bein fehlte und welches mit einem verstörten Blick in die Kamera sah. Und neben dem Bild standen folgende Daten: Alter: 9 Jahre Amputationsstatus: Ein fehlendes Bein Anmerkungen: Weitere Operationen evtl. geplant, um das rechte Bein zu entfernen. Wenn Sie jetzt bestellen, amputieren wir für Sie zusätzlich die Arme. Weitere Angebote: Unter 16 (5,987) 16 – 20 (2,110) 21 – 40 (300) Dem 28-jährigen wurde schlecht und mit Mühe konnte er sich zusammenreißen, doch dieses entsetzliche Bild von dem verängstigten kleinen Mädchen auf dem Bild wollte ihn nicht mehr loslassen. „Wie… wie kann so etwas existieren, ohne dass die Polizei etwas dagegen unternimmt?“ „Weil das Profis sind“, erklärte Morphius und steckte die Bilder wieder ein. „Der Slave Shipping Service vertreibt eine eigene Software und um überhaupt dorthin zu kommen, braucht es einen tausendstelligen Link ohne Punkt. Und selbst mit normalem Geld wird nicht bezahlt, sondern mit so genannten Bitcoins, mit denen sämtliche illegalen Geschäfte betrieben werden, damit man es nicht zurückverfolgen kann. Das heißt: es ist unfassbar schwer, überhaupt an die Seite zu kommen. Meistens werden auf so genannten Onion Seiten die Links zu Seiten oder Videos gepostet. Teilweise posten die Leute auch Fotos über Tierquälerei. Das alles ist so weit verzweigt und kann nicht mit einer gewöhnlichen Suchmaschine gefunden werden. Es ist also fast unmöglich, die Betreiber der Seite aufzuspüren, weil sie ihre Spuren sehr gut verwischen und selbst sperren lassen sie sich nicht auf Dauer, weil es eben über eine eigene Software läuft. Inzwischen habe ich aber herausfinden können, dass die Yanjingshe zu den Hauptverantwortlichen gehört und auch den Vertrieb über amputierte Sexsklaven kontrolliert. Das heißt also: die Yanjingshe entführt Kinder aus aller Welt, größtenteils aber aus Asien, lässt ihnen von einem eigenen Ärzteteam die Gliedmaßen amputieren und gegen Aufpreis die Stimmbänder entfernen und verkauft sie dann. Christine, Yin und Asha sind ebenfalls Opfer dieser perversen Machenschaften geworden. Und letztendlich auch Ahava. Als die Yanjingshe sie entführte, amputierten sie ihr die Beine und den Rest kannst du dir vorstellen. Ahava wurde mehrfach als Sexsklavin versteigert und ist durch die Hölle gegangen. Araphel wurde ebenfalls von Shen gefangen gehalten, allerdings blieb er von der Prozedur verschont und wurde stattdessen gefoltert und genauso wie Ahava, Christine und die anderen als Ware der Yanjingshe gebrandmarkt. Es gelang ihm zwar, sich zu befreien und mit der Unterstützung der Mason-Familie eines der so genannten „Warenhäuser“ hochzunehmen und Ahava zu befreien, aber er hat nicht verhindern können, dass man ihr diese Dinge antat. Er holte sie wieder nach Hause, nahm Christine und die anderen mit sich und ließ sie in der Villa wohnen, wahrscheinlich weil er das Gefühl hatte, er müsse eine Schuld wieder gut machen, weil er nicht rechtzeitig gekommen war, um das Schlimmste zu verhindern. Er kümmerte sich Tag und Nacht um seine Schwester und versuchte alles, um sie wieder aufzubauen und ihr wieder Kraft zu geben. Doch er zerbrach innerlich selbst fast daran, als er erkannte, dass er seiner Schwester nicht helfen konnte. Sie redete nicht, sie aß und trank nicht, sie reagierte auf rein gar nichts mehr und wirkte mehr wie eine Puppe, als ein lebender Mensch. Sie war eigentlich schon längst tot, als er sie da rausholte. Und dann, als er beschloss, mit ihr ans Meer zu fahren, damit sie auf die Weise vielleicht wieder ins Leben finden konnte, da mobilisierte Ahava ihre letzte Willenskraft, nahm sich die Pistole ihres Bruders aus dem Safe und erschoss sich selbst, als er gerade außer Haus war.“ Der Abgrund unter Sam schien sich noch tiefer und schwärzer zu werden. Er hatte zwar einige schlimme Details erwartet, aber so etwas… Allein der Gedanke daran, dass Kindern Gliedmaßen amputiert wurden und man sie dann als Sexsklaven verkaufte, so etwas hätte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen ausgemalt. Das war ein einziger verstörender Horror. Und nun begriff er das wahre Ausmaß dieser ganzen Fehde und welche Motivation Araphel vorantrieb. Er wollte eine Mafia-Familie aufbauen, die mächtig genug war, um diesen Wahnsinn zu beenden, wenn es schon die Polizei nicht vermochte, weil sie entweder unfähig oder korrupt war. Er wollte Rache an jenen nehmen, die seine Schwester gebrochen und in den Selbstmord getrieben hatten und die Yanjingshe zerschlagen, die maßgeblich an diesem abartigen Sklavenhandel beteiligt war und den Slave Shipping Service unterstützte und Kinder verstümmeln ließ. Solange er nicht in der festen Gewissheit war, dass diese kranken Geschäfte beendet hatte, würde er niemals seinen seelischen Frieden finden. Er würde immer und immer wieder das Bild seiner Schwester vor Augen haben, die beide Beine verloren hatte und mehrfach vergewaltigt worden war, bis sie nur noch eine leere Hülle war. Und nun verstand er auch, warum Christine so geworden war. Sie war das kleine Mädchen auf dem Foto. Ihre ganze Kindheit hatte sie in den Fängen dieser Organisation verbringen müssen und um überhaupt noch damit irgendwie weiterleben zu können, hatte sie damit begonnen, ihre Erinnerungen zu verdrängen und sich Lügenmärchen auszudenken, die sie selbst zu glauben begann. Es war der einzige Weg für sie gewesen, um nicht verrückt zu werden. „Sind… sind alle hier in diesem Haus Opfer dieser Leute?“ „Ja“, antwortete Morphius und blies eine Nikotinwolke aus. „Yu… Dr. Heian wurde vor ein paar Jahren vom Service unter einem falschen Vorwand kontaktiert. Er wurde um die ärztliche Betreuung verwaister Kinder gebeten, die aus dem Ausland stammten und Opfer von Gewalt und Kriegen waren. Da er dies für eine Kinderhilfsorganisation hielt, willigte er ein und versorgte die Kinder. Doch als er hinter die Machenschaften dieser Leute kam, wollte er aussteigen und die Sache publik machen. Allerdings lassen diese Leute niemanden am Leben. Sie spüren gnadenlos jeden auf, der ihnen davonlaufen sollte und bringen diesen zum Schweigen. Entweder töten sie die Person, oder sie verkaufen diese als Sexsklaven, nachdem sie die Stimmbänder entfernt haben. Ich kenne Dr. Heian schon seit meiner Studienzeit und als ich hörte, dass er sich in den Fängen dieser Leute befand, nahm ich Kontakt zu Araphel auf, der mir dabei half, ihn zu befreien. Seitdem arbeite ich für die Mason-Familie, indem ich meine Fähigkeiten als Hacker und Informant zur Verfügung stelle, um gegen diese Organisation anzukämpfen. Dr. Heian betreut die geretteten Opfer und Christine fertigt Prothesen an, um den Opfern wenigstens ein bisschen Lebensqualität wiederzugeben.“ Sam stand da und starrte ins Leere. In seinem Kopf war alles leer und innerlich begann eine Welt in sich zusammenzufallen. „Warum zeigst du mir das alles?“ „Weil wir uns in gewisser Weise ähnlich sind. Ich verachte das organisierte Verbrechen, aber ich habe mich mit dem Feind verbündet, um eine größere Bedrohung zu bekämpfen und um jene zu beschützen, die mir lieb sind. Weißt du, ich bin genauso wie du ein Opfer korrupter Cops geworden. Als die Organisation mich aufspürte, beauftragten sie einen Cop mit meiner Ermordung, allerdings erschoss dieser lediglich meine Ex-Frau. Ich zeige dir diese Dinge, damit du auch mal eine neue Perspektive gewinnst. Ich verlange nicht von dir, dass du dich der Mafia anschließt, aber du solltest ernsthaft darüber nachdenken, ob deine naiven Ideale und Prinzipien wirklich effektiv genug sind, um einen so mächtigen Feind in die Knie zu zwingen. Denn wenn du nicht aufpasst, wirst du ebenfalls in die Fänge dieser Leute geraten.“ „Das weiß ich doch auch“, rief Sam. „Und mein Entschluss steht ohnehin fest, dass ich mich erst um die Yanjingshe kümmere, bevor ich mir Araphel vorknöpfe. Aber bei dieser ganzen Sache verstehe ich eines nicht…“ „Was denn?“ „Shen hat mich um meine Unterstützung gebeten, weil er die Mafia ebenso sehr hasse wie ich. Mag sein, dass er das erzählt hat, um mich um den Finger zu wickeln, aber das war definitiv nicht gelogen. Aber wie kann er die Mafia hassen, wenn er solch schreckliche Dinge tut?“ „Du hast ihm den Schwachsinn echt abgekauft?“ fragte der Informant in einem ungläubigen Ton und schüttelte den Kopf. „Shen redet sich selbst ein, dass er die Mafia hasst. Aber in Wahrheit hasst er die Menschen. Um genau zu sein: er verachtet jeden Menschen auf dieser Welt. Und das hat mit seiner Vergangenheit zu tun. Weißt du, ich habe mich während meiner Nachforschungen auch mit Shens Vergangenheit beschäftigt und dabei interessante Details erfahren: Shen wuchs mit seinem älteren Bruder Zhou und seinen Eltern in einem Armutsviertel in Shanghai auf, das von dieser Triade kontrolliert wurde. Als die Eltern in Schwierigkeiten mit der Triade gerieten, verkauften diese ihre Kinder an die Triade und die steckte die beiden ins Bordell. Zhou starb im Alter von 12 Jahren, als ein betrunkener Freier ihm ein Messer in den Anus rammte und er während des Geschlechtsverkehrs verblutete. Shen sah das mit an. Als er an das Bordell verkauft wurde, war er erst sechs Jahre alt. Einer der Angestellten hatte Mitleid mit ihm und lehrte ihn ein paar Griffe aus dem Kampfsport, damit Shen sich gegen seine gewalttätigen Freier zur Wehr setzen konnte. Im Alter von 13 Jahren bekam er ein Schwert in die Hand, welches zu einer Showeinlage gehörte und richtete ein Blutbad an, in dem er zehn Menschen tötete und weitere fünf schwer verletzte. Danach wurde es ruhig um ihn, aber ich habe erfahren können, dass er in den Norden Chinas reiste und seine Kampfkunst perfektionierte. Mit 18 Jahren kehrte er zurück und begann damit, Mitglieder der Yanjingshe-Triade zu jagen und zu töten und schlich sich schließlich als Sexjunge ein. Als das Oberhaupt der Triade ihn kaufte, tötete Shen ihn und seine Leibwächter und schlachtete weitere 30 Mitglieder ab, bevor er endgültig die Kontrolle über die Triade an sich riss. Als er die Macht an sich riss, starben weitere 50 Mitglieder, doch es gelang ihm, in kürzester Zeit die Anzahl der Triade-Anhänger zu verdreifachen und ihre Macht zu verdoppeln, bis er schließlich in die USA nach Boston kam und dort Chinatown unter seine Kontrolle brachte.“ Verständnislos starrte Sam ihn an. Er konnte es nicht verstehen und so fragte er Morphius „Warum hat Shen sich der Triade angeschlossen, wenn ihn als Kind an ein Bordell verkauft hat?“ „Weil er kein Mensch mehr in dem Sinne ist. Er ist ein Psychopath, ansonsten hätte er nicht so viele Menschen auf so brutale Art und Weise abgeschlachtet. Und die Denkweise eines Psychopathen zu verstehen, das gelingt nur zwei Sorten von Menschen: nämlich jenen, die die Begabung dafür besitzen oder jenen, die selber krank im Kopf sind. Der Patriarch gehört zur ersten Sorte Mensch und er hatte sofort erkannt, was Shen wirklich vorhat: er benutzt die Mafia als Deckmantel, um seinen sadistischen Gelüsten freien Lauf zu lassen. Und Araphel hat er sich als sein Lieblingsopfer auserkoren. Er will ihn durch dieselbe Hölle gehen lassen, die er damals als Kind erleiden musste.“ „Warum?“ „Weil Shen etwas erschaffen will. Er sieht sich als Schöpfer und nicht als Zerstörer an. Der Zerstörer ist in seinen Augen Araphel. Und er will Araphel zu einen wahren Zerstörer machen, um sich einen Feind zu erschaffen, der ihm ebenbürtig ist und ihn eines Tages töten kann. Für Shen ist es ein Spiel. Er will Araphel zu einem Monster machen, das ihn unsterblich macht. Zumindest ist es das, was der Patriarch mir erzählt hat.“ „Welche Rolle spielt der Patriarch?“ „Er ist ein enger Freund von Stephen Mason. Dieser hatte ihm vor einigen Jahren das Leben gerettet und der Patriarch versprach ihm, sich um Araphel zu kümmern, sollte Stephen etwas zustoßen. Zwar macht er Geschäfte mit Shen, allerdings unterstützt er Araphel auch in seinem Rachefeldzug, weil er genauso großes Interesse daran hat, die Triade zu zerschlagen. Immerhin ist auch sein Leben bedroht. Und? Was wirst du tun?“ „Na was wohl?“ Sam atmete tief durch, um diese ganzen Informationen erst einmal sacken zu lassen, die ihn zum Teil wirklich erschüttert hatten. „Ich werde auf meine Art und Weise kämpfen. Wenn ich es schaffe, die Korruption innerhalb der Polizei zu beenden, dann wird auch endlich mal was gegen die Mafia unternommen werden. Und wenn mein Bruder gewusst hat, an wen er Ahava verraten hat, dann werde ich schon dafür sorgen, dass das öffentlich wird. Auch das mit dieser abartigen Sexsklavenorganisation, die Kinder verstümmeln lässt.“ Morphius schwieg und sah ihn lange an. Es war schwer festzustellen, was ihm durch den Kopf ging und was er vorhatte. Ebenso ließ sich kaum sagen, was er von Sams Vorhaben hielt. Natürlich wusste Sam, dass es nicht leicht werden würde, aber er wollte es auf legale Art und Weise schaffen. Wenn die Vendetta zwischen den beiden Mafiaclans noch weiter eskalierte, würde es nur noch mehr unschuldige Opfer fordern und vor allem musste so eine abscheuliche Sache an die Öffentlichkeit. Schließlich seufzte der Informant und nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. „Alleine kämpfst du auf verlorenem Posten“, erklärte er. „Araphel bat mich übrigens, dir ein wenig bei deinem Vorhaben unter die Arme zu greifen. Ich kenne da ein paar Informanten, die weiterhelfen könnten. Es gibt da einen, der sich insbesondere auf korrupte Polizisten spezialisiert hat. Ich werde ihn kontaktieren und sehen, was ich tun kann.“ Nun war Sam wirklich überrascht. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Araphel ihm wirklich helfen wollte. Dabei hatte er doch alles getan, um ihm das Leben schwer zu machen. Und auf einmal kam so etwas. Sollte mal einer Araphel verstehen. Oder konnte es sein, dass dieser tatsächlich Vertrauen in Sam hatte? Kapitel 15: Killerkommando -------------------------- „Vergeltung ist der natürliche Fels, auf dem der Tempel des Rechts errichtet ist.“ Ambrose Gwinnet Bierce, amerikanischer Journalist Nachdem er Ahavas Zimmer wieder verlassen hatte, stand Sams Entscheidung fest. Er würde von hier verschwinden, um seinen Bruder zur Rede zu stellen. Wenn Lawrence wirklich etwas über den Service wusste, dann musste er mit ihm unbedingt sprechen, Hausarrest hin oder her und in dem Moment war ihm auch das dämliche Halsband egal. Natürlich gefiel es ihm nicht, Araphel zu enttäuschen und er wusste, dass dieser ihn hart bestrafen würde, aber er würde es trotzdem tun. Er konnte nicht untätig herumsitzen und Däumchen drehen, während er mit dem Gedanken leben musste, dass sein Bruder eventuell gemeinsame Sachen mit Leuten machte, die Kinder verstümmelten und als Sexsklaven verkauften. Aber rausgehen konnte er so wie jetzt nicht, das war ihm klar. Er musste das Halsband irgendwie aufbekommen und dann die Beine in die Hand nehmen und abhauen. Da er keine entsprechenden Werkzeuge hatte, schlich er sich in die Werkstatt, nachdem es Abend geworden war und kaum noch jemand da war. Hastig begann er in den Werkzeugkästen und Werkbänken zu suchen in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, womit er dieses Schockerhalsband aufbekam. „Willst du stiften gehen?“ Erschrocken drehte er sich um, als er die Stimme hörte und sah, dass es Christine war, die sich gerade mit einem Lappen ihre ölverschmierten Hände säuberte. Sie lächelte wissend und man sah ihr gar nicht an, dass sie erst kürzlich noch eine heftige Panikattacke erlitten hatte und ohnmächtig zusammengebrochen war. Sicherlich deswegen, weil sie sich nicht mehr daran erinnerte. Sam sah sie an und hatte wieder dieses schreckliche Bild des verstörten kleinen Mädchens vor Augen, das auf dem Boden gekauert hatte und dem ein Bein fehlte. Das kleine Mädchen, das später Christine wurde. „Ich… ich…“ Sam wusste, dass er ihr nicht erzählen konnte, was er erfahren hatte. Es würde zu viel für sie sein und wieder zu einer heftigen Reaktion führen. Er konnte ihr das nicht antun. Diese ganzen Lügen, die sie erfand, waren das Einzige, was ihr halbwegs Normalität im Leben gab. Am besten war es, ihr so wenig wie möglich zu sagen, um kein Risiko einzugehen. „Ich hab da ein paar Dinge bezüglich Ahavas Tod erfahren und ich will meinen Bruder zur Rede stellen, weil dieser etwas damit zu tun hatte.“ „Und was willst du ihm sagen?“ „Ich werde ihn fragen, was er sich dabei gedacht hat, die Frau zu verkaufen, die ein Kind von ihm erwartet hat.“ Einen Augenblick schwieg Christine und es war schwer zu erkennen, ob ihre Erinnerungen zurückkamen und sie gleich wieder alles verdrängen würde, was sie gehört hatte. Doch diese Sorge sollte sich als unbegründet herausstellen, als sie nach einer Weile nickte und meinte „Ich glaube, ich habe dafür genau das richtige Werkzeug.“ Und damit ging sie zu einem der Werkzeugschränke und kam tatsächlich mit einem Dietrichset zurück. Sam war überrascht und fragte „Wieso machst du das?“ „Hey, ich helfe immer, wenn ich kann. Das war früher mein Job.“ Hier konnte er sich ein erleichtertes Lächeln nicht verkneifen und fragte „Ach echt?“, auch wenn er wusste, dass das, was Christine erzählen würde, nicht wahr sein konnte. Aber wenn diese Lügen ihr halfen, einfach lachen zu können und ihr Leben so leben zu können wie sie wollte, dann war es das Beste, einfach mitzuspielen und sie in ihrer Welt leben zu lassen. Und so hörte er sich ihre Geschichte an, wie sie als Rettungsschwimmerin in Kalifornien einen Surfer gerettet hatte, der von Haien attackiert wurde und sie dabei ihr Bein verlor. Und während sie munter erzählte, brach sie das kleine Schloss auf und konnte schließlich Sams Halsband entfernen. Egal welche Lügengeschichten sie auch erfand, ihr Charakter änderte sich nie. „So, damit hätten wir es. Und wo genau wohnt dein Bruder?“ „In der 58. Straße, wieso?“ Sofort ging Christine zu ihrem Fury, öffnete dabei mittels einer Fernbedienung das Garagentor und stieg dann in den Wagen. „Steig ein, ich fahr dich hin.“ Dieses Angebot nahm er gerne an, vor allem weil es so viel schneller ging und er dann nicht Gefahr lief, dass Araphel ihn so schnell finden wieder finden würde. Und bei der Gelegenheit konnte er in einem echten Oldtimer mitfahren. Mit einem stolzen Grinsen, wie es nur von einem leidenschaftlichen Oldtimerrestaurator stammen konnte, startete Christine den Motor und fuhr los. Es war bereits dunkel draußen und wie er von der Mechanikerin erfuhr, war es bereits neun Uhr abends. Nun, um die Zeit müsste Lawrence eigentlich längst zuhause sein, solange er nicht in einem wichtigen Fall steckte. „Sag mal, Christine“, begann er schließlich und blickte zu der rothaarigen Fahrerin, die sich ihrerseits auf die Straße konzentrierte. „Wieso hilfst du mir eigentlich abzuhauen, wenn du doch für Araphel arbeitest?“ „Weil ich denke, dass du ein anständiger Kerl bist“, erklärte sie. „Und irgendwie erinnerst du mich an Ahava. Ich hab sie damals während eines Urlaubs kennen gelernt, als sie mit ihrem Bruder in Kalifornien am Meer war. Sie hatte die gleichen blauen Augen wie du und hat immer an ihren Prinzipien festgehalten. Meist pflegte sie zu sagen, dass unsere Ideale und Prinzipien das Wertvollste sind, was wir haben. Zwar hab ich keine Ahnung, was du bei Araphel zu suchen hast, aber ich hab gemerkt, dass da zwischen euch beiden eine ganz besondere Chemie zu sein scheint. Weiß auch nicht, das sagt mir halt meine Menschenkenntnis. Und ich denke, Araphel wäre wütender, wenn ich dich einfach so gehen lasse. Nicht, dass dir noch was passiert.“ Nach einer knapp zwanzigminütigen Fahrt erreichten sie die 58. Straße und Sam stieg aus dem Wagen. Zwar bot sich Christine an, dass sie mitkommen könne, aber er lehnte ab, denn er wollte lieber nicht, dass sie mitbekam, was da gleich erzählt werden würde und dass sie dann noch schlimmstenfalls ohnmächtig wurde. Also ging er alleine und klingelte direkt bei Lawrence an. Tatsächlich wurde die Tür geöffnet und so stieg er die Treppen des Hausflurs hoch bis in die zweite Etage und sah auch schon seinen älteren Bruder, der aussah, als wäre er gerade erst von seiner Schicht zurückgekommen. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er seinen jüngeren Bruder sah. „Sammy, was machst du denn hier und wo bist du die letzten drei Wochen gewesen? Mum ist ganz krank vor Sorge und ich hab schon befürchtet, dir ist etwas zugestoßen.“ „Es ist einiges passiert“, erklärte Sam knapp. „Kann ich reinkommen?“ Lawrence, der offenbar gar nicht gewusst hatte, was passiert war, ließ seinen jüngeren Bruder in die Wohnung und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Lawrence, der ziemlich erschöpft von der Arbeit war, nahm auf der Couch Platz und Sam setzte sich ihm gegenüber hin und begann von dem Hinterhalt zu erzählen, der ihm gestellt worden war und dass er sich in der Gewalt von Araphel befunden hatte. Den Teil mit der Vergewaltigung ließ er aber aus. „Araphel hat mich entführt, weil er weiß, dass du vor vier Jahren seine Schwester an die Yanjingshe verkauft hast.“ „Das ist doch lächerlich“, rief Lawrence sofort. „Du glaubst diesem Schwerstkriminellen doch wohl nicht so eine Geschichte.“ „Ich habe Beweise!“ entgegnete Sam energisch und zeigte ihm das Foto, welches ihn und Ahava zeigte, was er vorsorglich mitgenommen hatte. „Du hattest ein Verhältnis mit ihr, während du undercover gearbeitet hast und ich habe ebenso Beweise, dass du enorme Spielschulden bei Araphel Mason hast, genauso wie Marco, der mich in die Falle gelockt hat, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dieselbe Tour, die du damals abgezogen hast. Du hast Ahava an die Yanjingshe ausgeliefert, weil Araphel dir das Messer an die Kehle gehalten hat, weil du deine Spielsucht nicht im Griff hast. Wahrscheinlich hat Shen dir angeboten, dir aus der Patsche zu helfen, wenn du ihm dafür Ahava auslieferst, ist es nicht so? Und wag es ja nicht, das alles abzustreiten. Ich mag dein jüngerer Bruder sein, aber ich bin nicht blöd!“ Lawrence schwieg eine Weile und sah fassungslos aus. Doch man sah auch etwas anderes: Reue. Ja, man sah ihm deutlich die Reue an, die er für das Verbrechen empfand, welches er begangen hatte. „Lawrence“, sprach Sam eindringlich. „Jetzt rück mit der Sprache raus.“ „Verdammt noch mal! Mir stand das Wasser bis am Hals“, rief der 33-jährige Polizist in einem plötzlichen Gefühlsausbruch. „Araphel hat es halt nicht gepasst, dass seine Schwester mit einem Polizisten zusammen war, der undercover gearbeitet hat, um sich in die Mason-Familie einzuschleusen. Er hat mich erpresst und ich hatte keinen anderen Ausweg gesehen. Er hätte ansonsten auffliegen lassen, dass ich in bestimmten Fällen Beweise verschwinden ließ, um ihm Gefälligkeiten zu erweisen, weil ich in seiner Schuld stand. Ich hätte nicht nur meinen Posten verloren, sondern auch ein Verfahren an den Hals gekriegt. Aber dann kam so ein Kerl von der Triade und bot mir an, mir helfend unter die Arme zu greifen, wenn ich ihnen bei Ahavas Entführung helfe. Ich habe das unter der Voraussetzung gemacht, dass sie sie nicht töten werden.“ „Sie haben sie auch nicht getötet“, rief Sam und verspürte den Wunsch, seinem Bruder eine reinzuhauen, so wütend war er, dass sich Lawrence so hatte gehen lassen, obwohl er ein Polizist war. „Sie haben ihr beide Beine amputiert und sie knapp zwei Monate vergewaltigen lassen, bis sie endgültig gebrochen war und sie sich das Leben genommen hat.“ „Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie gleich so drastisch vorgehen.“ „Das ist die Mafia, verdammt! Was glaubst du denn, was sie mit ihr machen? Etwa ein Kaffeekränzchen abhalten oder Schwangerenbetreuung leisten? Ja du hörst richtig. Ahava war schwanger gewesen von dir und sie wollte, dass ihr eine Fa… ah…“ Sam blieb mit einem Male die Luft weg und er schaffte es nicht, vernünftig zu atmen. Verdammt noch mal. In seiner Wut hatte er einen weiteren Anfall gekriegt. Schnell griff er in seine Hosentasche, wo er sein Spray für alle Fälle dabei hatte und rettete sich damit. Er sollte sich wirklich nicht zu sehr aufregen, das war nicht gesund für ihn. Aber im Moment war er einfach nur wütend und enttäuscht. Er hätte wirklich mehr von seinem Bruder erwartet, als solch eine feige Aktion. Und dass dieser durch die Nachricht, dass Ahava schwanger von ihm gewesen war, am Boden zerstört war, änderte auch nichts daran. „Du hast genau gewusst, wie gefährlich die Yanjingshe ist und du hast Ahava verkauft, um deinen eigenen Arsch zu retten. Hauptsache du kannst deine Marke behalten. Weißt du was? Du widerst mich an. In solchen Momenten bin ich froh, dass ich kein Polizist geworden bin. Wenn es bedeutet, dass man all die Ideale und Prinzipien über Bord wirft, die man als solcher haben sollte, nur weil man meint, sich auf Kriminelle einlassen zu müssen, dann würde ich auch keiner sein wollen. Du bist wirklich das Letzte, weißt du das?“ Lawrence, der etwas darauf erwidern wollte, wurde von der Türklingel abgelenkt. Er stand auf, doch Sam wollte ihn nicht so einfach gehen lassen. „Hey, willst du einfach so abhauen?“ „Ich bin gleich wieder da. Kann sein, dass es die alte Nachbarin ist, die Hilfe braucht.“ Damit ging der Polizist und ließ Sam allein. Dieser wartete mit einer deutlichen Wut im Bauch und für ihn stand fest, dass seine Schimpftirade gleich weitergehen würde. Er würde schon dafür sorgen, dass sein Bruder für seine Verbrechen bezahlen würde und wenn er ihn persönlich zur Polizei schleifen musste. Innerlich begann er sich schon die nächsten Worte zurechtzulegen, da rissen ihn plötzlich drei kurz nacheinander folgende Schüsse aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er hoch, als er kurz hörte, wie jemand zusammenbrach. „Lawrence?“ Keine Antwort, dafür hörte er Stimmen und Schritte näherkommen. Ohne weiter zu zögern nahm Sam die Beine in die Hand und flüchtete durch die Tür, die direkt in die Küche führte, wo eine Feuertreppe nach unten führte. Wer auch immer da geschossen hatte, es war nicht Lawrence gewesen. Und da er unbewaffnet war, war es die einzig vernünftige Alternative, schnellstmöglich zu flüchten, bevor er noch in Schwierigkeiten geriet. Er hörte Schritte näher kommen und öffnete hastig das Fenster. Als er schon auf die Feuertreppe rausklettern wollte, wurde auch schon die Tür aufgestoßen und er sah zwei Männer in dunklen Anzügen und Sonnenbrillen. Dennoch erkannte er sofort, dass es sich um Chinesen handelte. Die Triade, schoss es Sam durch den Kopf. Weitere Schüsse sausten dicht an ihm vorbei und Sam eilte die Stufen der Feuertreppe herunter, während ihm die Mafiosi dicht auf den Fersen waren. Doch wieso waren die auf einmal hier? Waren sie hinter ihm her gewesen, oder hatte Shen seine Drohung wahr machen wollen? War es letzten Endes seine Schuld, dass sie seinen Bruder erschossen hatten? Eine Kugel streifte ihn haarscharf an der Schulter und die beiden Chinesen verfolgten ihn erbarmungslos. Dann endlich hatte Sam das Ende der Feuertreppe erreicht und rannte zur Hauptstraße, wo er Christine zurückgelassen hatte. Als diese sah, was los war, öffnete sie ihm die Wagentür, startete den Motor und rief „Los Sam, komm schon!“ Weitere Schüsse ertönten und einer davon durchschlug die hintere Scheibe des Wagens. Sam stieg ein und kaum, dass die Tür geschlossen war, drückte Christine das Gaspedal durch und fuhr los. Keuchend und nach Luft ringend schnallte Sam sich an, denn Christine raste in einer mörderischen Geschwindigkeit um die Kurven und hinter ihnen und weitere Schüsse trafen die Heckscheibe. Offenbar hatten die beiden Chinesen einen Wagen und nahmen nun die Verfolgung auf. „Verdammt noch mal was war das? Was ist los?“ „Shens Leute… sie haben Lawrence erschossen und mich verfolgt.“ „Und was wollen die von dir?“ „Mich wahrscheinlich aus dem Weg räumen, nachdem ich Shen angegriffen habe, als er Araphel zu nahe gekommen ist.“ „Ach du heilige Scheiße!“ Christine überholte mehrere Autos, raste bei Rot über eine Kreuzung und wurde beinahe von einem LKW gerammt. Ihr Fahrstil war halsbrecherisch und nicht selten wurde Sam in seinem Sitz hin und her geschleudert. „Und das Dumme ist, dass der Wagen nicht schnell genug fährt, um sie abzuschütteln. Ich hab ne Idee: im Handschuhfach liegen eine Waffe und ein Handy. Araphels Nummer ist unter „Lion“ eingespeichert. Ruf ihn an und wenn möglich, versuch die Reifen zu zerschießen oder zumindest dafür zu sorgen, dass wir diese beiden Schießbudenfiguren abschütteln können.“ Als Sam das Handschuhfach öffnete, fand er tatsächlich ein Handy und eine Pistole. Sofort begann er nach der Nummer zu suchen und als er „Lion“ gefunden hatte, versuchte er die Nummer anzurufen. Es dauerte eine Weile, bis er endlich Araphels Stimme hörte und er klang ziemlich sauer. Wahrscheinlich war ihm schon aufgefallen, dass Sam sich aus dem Staub gemacht hatte. „Ja, was gibt’s?“ „Araphel? Hier ist Sam. Ich hab keine Zeit für lange Erklärungen. Wir sind hier auf der Main Street und werden von zwei Killern der Yanjingshe verfolgt. Christine versucht gerade, sie abzuschütteln, aber es wird eng bei uns. Wir brauchen Hilfe.“ „Ich schick meine Leute los. Und danach sprechen wir uns noch!“ Da das erledigt was, nahm Sam die Waffe, drehte sich um und schoss durch die zersprungene Heckscheibe auf den Wagen hinter ihnen. Gleich beim zweiten Versuch traf er den Fahrer, woraufhin der Wagen ins Schleudern geriet und gegen ein Auto von der Gegenfahrbahn raste. Doch das sollte noch lange nicht das Ende sein, denn zwei weitere Wagen holten dicht auf. „Shit“, fluchte Christine. „Das könnte noch echt eng werden. Ich fahr uns zum Hafen hin.“ „Bist du verrückt? Dort kriegen sie uns!“ „Vertrau mir. Das klappt schon. Halt dich nur fest.“ Damit bog Christine nach rechts ab und fuhr in Richtung Hafen, während Sam versuchte, die Verfolger auszuschalten. Doch bei dem halsbrecherischen Fahrstil war das so gut wie unmöglich. Vor allem weil es dunkel war. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Christine zu vertrauen. Aber was wollte sie am Hafen? Dort gab es doch kaum Versteckmöglichkeiten und dort waren sie ein leichtes Ziel. „Wieso zum Teufel fahren wir eigentlich zum Hafen?“ „Ein Notfallplan, den Araphel entwickelt hat, sollten Yin, Asha oder ich verfolgt werden. Wenn wir dort ankommen, wird das Empfangskomitee warten.“ Ach so. Dann war Christine also für den Fall der Fälle vorbereitet. Na hoffentlich schafften sie es auch zum Hafen, ansonsten würde es noch echt düster aussehen. „Diese verdammten Hurensöhne“, fluchte die Rothaarige und raste wieder in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit um die Kurve. „Die sind ja noch schlimmer als Hämorrhoiden!“ „Glaubst du, wir schaffen das?“ „Klar, ich bin nicht das erste Mal in so einer Situation. Letzten Monat haben diese Schweinepriester mich überfallen, als ich dabei war, die geklauten Wagen wegzubringen. Knapp ein Viertel der Wagen haben sie zerschossen.“ Laut kreischten die Reifen des Wagens und die Drehzahl des Motors schoss immer weiter hoch. Der Motor war an seinen Belastungsgrenzen und wenn das so weiterging, würde ihnen dieser noch um die Ohren fliegen. Sams Nerven waren zum Zerreißen gespannt, seine Atmung ging immer flacher und er musste sich zusammenreißen, um nicht schon wieder einen Asthmaanfall zu erleiden. Einer reichte ihm schon und es war ohnehin der denkbar schlechteste Zeitpunkt für so etwas. Stattdessen hielt er sich fest, um nicht allzu sehr in seinem Sitz hin und her geschleudert zu werden, während Christine den Kugeln auszuweichen versuchte. Dann schließlich, als sie eines der Piers erreichten, betätigte sie die Hupe und das in einer Art und Weise, als wolle sie einen ganzen Häuserblock aus dem Schlaf reißen. Kurz darauf leuchteten mehrere Autoscheinwerfer an und eine Gewehrsalve wurde abgefeuert, als wären sie auf einem Schlachtfeld inmitten eines Krieges. Christine trat das Bremspedal durch und riss das Steuer herum. Die Reifen kreischten auf, als sie über den Boden schlitterte und kurz darauf zum Halt kam. Keuchend lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Heilige Scheiße“, murmelte sie. „Das nenne ich mal einen Ausflug.“ Auch Sam ließ sich in seinem Sitz zurücksinken und spürte, wie seine Hände zitterten. Shen hatte also wirklich Killer auf ihn und Lawrence angesetzt… Nun war auch sein Leben in ernster Gefahr. Nie hätte er gedacht, dass es mal so weit kommen würde und er sich von einem anderen Mafia-Clan retten lassen musste. Und er hätte nie geglaubt, dass er mal so dankbar dafür sein würde, dass ausgerechnet sein Erzfeind ihn retten würde. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Er stand jetzt auf Shens persönlicher Abschussliste und die Yanjingshe würde erneut versuchen, ihn zu töten. Seine Alternativen waren also ein Leben auf der Flucht, oder aber zu Araphel zurückzukehren, selbst auf das Risiko hin, dass er für seine Flucht bestraft werden würde. Doch wenn er so darüber nachdachte, was Araphel für ihn getan hatte… dass er Christine und die anderen vor der Yanjingshe beschützte… was für eine schreckliche Geschichte sich hinter Araphels Vendetta verbarg und was Sam für ihn empfand… tja, da fiel ihm die Wahl nicht sonderlich schwer. Kapitel 16: Rückkehr -------------------- „Rache ist ein Geständnis des Schmerzes.“ Lucius Annaeus Seneca, Philosoph Die Ereignisse steckten Sam noch so tief in den Knochen, dass er gar nicht realisiert hatte, was geschehen war. Er hatte nur die Schüsse gehört und die vielen Scheinwerfer der Autos gesehen. Wie sich herausgestellt hatte, hatten sich Araphels Leute im Schatten positioniert und auf Christines Kommando hin das Feuer eröffnet und die Wagen durchlöchert wie Siebe. Immer noch schoss Adrenalin durch Sams Körper, doch so langsam aber sicher ließ die Aufregung wieder nach. Er kam wieder in der Realität an und wurde sich so langsam aber sicher bewusst darüber, was geschehen war. Die Triade hatte Lawrence getötet… sie hatten versucht, auch ihn umzubringen. Shen trachtete ihm also wirklich nach dem Leben. Schweigend saß er auf der Motorhaube des Furys, der durch die rasante Flucht und dem Schusswechsel etwas mitgenommen aussah. Aufmunternd legte Christine einen Arm um seine Schultern, als wolle sie ihn aufbauen. „Das wird schon“, sagte sie. „Du kannst froh sein, dass du bei mir dabei warst. Ansonsten hätten sie dich auch kalt gemacht. Es ist ja zum Glück alles gut gegangen.“ „Gut gegangen?“ fragte der 28-jährige. „Mein Bruder ist tot und das nur, weil ich zu ihm fahren musste.“ „Das muss nicht unbedingt sein“, erklärte die Rothaarige. „Die Yanjingshe ist dafür bekannt, dass sie Polizisten umbringt. Und wenn dein Bruder auf der Abschussliste stand, dann hatte es Gründe. Jetzt lass dich nicht so hängen, sondern sei dankbar dafür, dass du es nicht warst, den sie abgeknallt haben.“ Ja, das war auch wieder wahr, aber trotzdem blieb dieses bittere Gefühl der Schuld. Als sich die Aufregung wieder halbwegs gelegt hatte, fuhren sie zurück zur Mason-Villa und als Christine in die Garage der Werkstatt fuhr, wurden sie bereits von Araphel erwartet. Beim Anblick des Mafiabosses rutschte Sam das Herz in die Hose, denn er wusste, dass dieser nicht mit Begeisterung reagieren würde. Und das war noch milde ausgedrückt. Doch nachdem sie beide aus dem Wagen ausgestiegen waren, ging Araphel gar nicht auf ihn los und stauchte ihn zusammen. Nein, er ging zu Christine hin und umarmte sie. Wie ein großer Bruder, der Angst um seine kleine Schwester hatte. „Christine“, rief er und atmete erleichtert durch. „Ist alles in Ordnung bei dir? Haben sie dir irgendetwas angetan oder…“ „Es geht mir gut“, versicherte sie und versuchte, ihn zu beruhigen. „Es ist noch alles dran und es ist auch nirgendwo ein Kratzer dran.“ „Sicher?“ Christine nickte und tätschelte ihm lächelnd den Kopf. „Mir fehlt wirklich nichts.“ Immer noch etwas skeptisch nickte Araphel und wandte sich dann Sam zu. Der liebevolle und besorgte Blick, den er Christine gegenüber gehabt hatte, war nun verschwunden. Stattdessen sah man deutlich, wie wütend er gerade wirklich war. Er packte den 28-jährigen am Kragen und sah aus, als wolle er ihm eine reinhauen. „Du hast es gewagt, trotz meiner klaren Worte einfach so abzuhauen und dann auch noch Christine in Gefahr zu bringen?“ Bei diesen Worten ging Christine augenblicklich dazwischen, trennte die beiden voneinander und stellte sich schützend vor Sam hin, wobei sie Araphel mit einem sehr entschlossenen Blick ansah. „Lass Sam doch in Ruhe. Es war meine Entscheidung gewesen. Ich hab ihm dieses komische Halsband abgenommen und ihn zu seinem Bruder gefahren.“ „Du brauchst ihn nicht auch noch in Schutz zu nehmen!“ „Tue ich doch nicht, du selten dämlicher Vollidiot. Ich wollte ihm einfach nur helfen, weil er es alleine nicht geschafft hätte, also reg dich wieder ab.“ „Ich soll mich abregen, nachdem du in Gefahr geraten bist? Was wäre gewesen, wenn die Yanjingshe dich geschnappt hätte? Was, wenn ich nicht da gewesen wäre, um dich zu retten?“ „HÖR ENDLICH AUF DAMIT, MICH WIE DEINE SCHWESTER ZU BEHANDELN!!!“ In ihrer Wut schleuderte Christine einen Schraubenschlüssel von ihrem Werkzeuggürtel quer durch die Werkstatt und man sah ihr an, dass sie mit einem Male blass wurde und ihre Hände zu zittern begannen. „Ahava ist tot und ich bin nicht sie, okay? Also hör bitte endlich auf damit, mich als Ersatz zu sehen. Versteh das doch endlich: sie kommt nicht wieder und ich bin nicht sie. Ich hätte zwar gerne eine Familie, aber doch nicht so. Und…“ Christine, die plötzlich von einem leichten Schwindel erfasst wurde, sank auf einem Stuhl zusammen. Benommen rieb sie sich die Augen und sie sah überhaupt nicht gut aus, insbesondere da ihre Hände stark zitterten und sie einen etwas verstörten Eindruck machte. Aber sie fing sich nach knapp ein oder zwei Minuten wieder, hob den Blick und wirkte wieder wie ganz die Alte. Stattdessen erhob sie sich, grinste Sam zu und stieß ihm scherzhaft in die Seite. „Ich lass euch zwei Turteltäubchen mal alleine. Wenn jemand nach mir fragt, ich bin duschen, ansonsten stink ich noch wie ein Iltis.“ Damit verließ die Rothaarige die Werkstatt und schien offenbar wieder völlig vergessen zu haben, was sie gerade noch gesagt hatte. Als sie gegangen war, blieben Araphel und Sam alleine zurück und nachdem der Mafiaboss sich nach Christines Worten wieder gesammelt hatte, fand er auch seine Wut wieder und packte ihn grob am Arm. „Ich hab dich ganz klar gewarnt, was dir blüht, wenn du abhaust. Und dennoch wagst du es, dich einfach aus dem Staub zu machen und dann besitzt du auch noch die Dreistigkeit, mich dann um Hilfe zu bitten?“ „Ich musste das tun“, erklärte Sam und ignorierte den Schmerz, denn Araphel packte ziemlich fest zu. „Ich musste meinen Bruder sprechen und ihn zur Rede stellen. Araphel, ich weiß inzwischen alles. Dass mein Bruder Ahava an die Yanjingshe verraten hat, um sich selbst zu retten, dass diese Leute ihr die Beine amputiert und vergewaltigt haben und dass sie Selbstmord begangen hat. Ich weiß auch von dem Slave Shipping Service und dass sie teilweise sogar Kinder verstümmeln und verkaufen und dass Christine und die anderen ebenfalls Opfer sind.“ Nun war es der Mafiaboss, der einen ähnlich erschrockenen Blick hatte wie Christine und ebenso seine Gesichtsfarbe verlor. Kein Wunder, denn es war ein Kapitel, welches niemand erfahren durfte, weil es viel zu schlimme Dinge enthielt und die seelischen Wunden bei ihm zu tief saßen. „Wer hat dir davon erzählt?“ „Das tut nichts zur Sache“, erklärte Sam, der lieber Morphius’ Namen da raushielt, bevor sich dieser noch Ärger einfing. „Araphel, ich weiß, dass deine Schwester schwanger von Lawrence war und ich wollte ihn deswegen zur Rede stellen, weil ich so sauer auf ihn war.“ „Und dafür schleichst du dich einfach so heimlich raus?“ „Weil ich genau wusste, dass du mich nicht gehen lassen würdest.“ „Natürlich nicht. Frag dich doch mal warum. Wer hat sich heute Morgen Shen zum Todfeind gemacht und sich damit selbst auf seine persönliche Todesliste gesetzt? Und wer hätte allen Grund, abzuhauen und mir die Cops auf den Hals zu hetzen? Die Antwort liegt ja wohl mehr als klar auf der Hand, oder?“ Sam schwieg und senkte den Blick, denn es stimmte wohl. Er hatte alle Gründe, einfach abzuhauen, nie wiederzukommen und Araphel für das anzuzeigen, was er getan hatte. Und doch war er zu ihm zurückgekommen. Es war völlig irrational, vor allem weil Araphel ein gefährlicher Mensch war, dem man nicht über den Weg trauen durfte. Er machte Geschäfte mit Drogen, illegalem Glücksspiel, Waffenhandel, Schwarzmarktgeschäften aller Art und auch Schutzgelderpressung gehörte dazu. Alles die Dinge, die Sam niemals tolerieren würde. Araphel hatte ihn verprügelt, tagelang eingesperrt, erpresst und vergewaltigt. Trotzdem hatte er keinen einzigen Moment daran gedacht, vor ihm davonzulaufen und sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. Stattdessen hatte für ihn von vornherein festgestanden, dass er zu ihm zurückkehren würde. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann. Wieso das alles? Vielleicht ein Stockholm-Syndrom? Nun… bei den Sachen, die die letzten Tage passiert waren, wäre es nicht ganz so verwunderlich. Wahrscheinlich war es auch die logischste Erklärung, warum er plötzlich mit dem Menschen sympathisierte, der ihm solche Dinge angetan hatte und den er so sehr verachtete. Oder aber es gab noch eine andere Erklärung. Nämlich dass er trotz aller Widrigkeiten etwas für Araphel zu empfinden begann. Doch egal zu welchem Schluss er auch gekommen wäre, es hätte an der jetzigen Situation eh nichts geändert. Ohne ein Wort zu sagen hatte Araphel Sam mit sich geschleift und zuerst rechnete der Detektiv damit, dass der Mafiaboss seine Drohung wahr machen und ihn wirklich wieder in den Keller sperren würde. Doch überraschenderweise ging es gar nicht nach unten. Stattdessen ging es in sein Zimmer und das irritierte den Detektiv erst mal sehr. Warum machte Araphel seine Drohung nicht wahr? Er hatte doch allen Grund dazu. Oder ließ er vielleicht Nachsicht walten, weil er erkannt hatte, dass sein Gefangener gar nicht die Intention hatte, zu flüchten? Hatte das seinen Ärger vielleicht besänftigt? Schließlich aber wurde Sam aufs Bett gestoßen und ehe er sich versah, begann Araphel ihm die Kleidung auszuziehen und auf Proteste reagierte der Mafiaboss gar nicht erst. Stattdessen wurden ihm die Arme auf dem Rücken zusammengebunden und so langsam begann er zu ahnen, dass sich Araphel offenbar eine andere Art der Bestrafung überlegt hatte. „Was… was hast du vor?“ „Strafe muss sein“, erklärte der Mafiaboss, womit sich Sams Verdacht bestätigte. „Wenn du weißt, was die Yanjingshe meiner Schwester und den anderen angetan hat, da hättest du dir denken können, was sie dir schlimmstenfalls angetan hätten. Wobei sie eigentlich nur hauptsächlich die Frauen verstümmeln.“ „Nur die Frauen?“ „Scheint unästhetisch für sie zu sein, wenn die männlichen Sexsklaven amputiert sind. Darum schneiden sie ihnen lediglich die Achillessehnen durch, um sie so am weglaufen zu hindern. Stattdessen verbringst du den Rest deiner Tage damit, auf allen vieren durch die Gegend zu kriechen wie ein Hund.“ „Haben sie das etwa auch mit dir gemacht?“ Sam sah diesen Blick in Araphels Augen. Der Blick eines Menschen, der von schlimmen Erinnerungen an grausame Schmerzen, Demütigungen und anderen unbeschreiblichen Dingen gezeichnet war. Allein daran ließ sich erkennen, dass er mit seinem Verdacht Recht hatte. Sie hatten Araphel genau das angetan, während sie seiner Schwester gleich beide Beine amputiert hatten. Doch eines verstand er nicht. „Wie hast du es geschafft, dich zu befreien?“ „Wer schon von Geburt an alleine kämpfen musste, der entwickelt den Willen, selbst unter den unmöglichsten Bedingungen zu fliehen. Es war der pure Wille, nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt keine Fragen mehr…“ Araphel winkelte ihm nun die Beine an und Sam fragte sich, was jetzt wohl kommen würde. Ein wenig nervös war er schon, denn er wusste, dass es eine Strafe sein würde, die auf ihn wartete und bisher waren Araphels Bestrafungen immer ziemlich schmerzhaft gewesen. Darum wurde er auch ein wenig nervös und rechnete mit dem schlimmsten. Als dann plötzlich etwas Kaltes und Hartes in seinen After geschoben wurde, verkrampfte er sich zunächst, woraufhin der Druck in seinem Inneren viel stärker wurde und ein stechender Schmerz durch seinen Körper zuckte. Immer tiefer drang der Fremdkörper in ihn ein und sogleich folgte ein zweiter. Da Araphel nicht allzu grob vorging, entspannte sich Sam wieder ein wenig und allein das Gefühl, etwas in sich zu haben, erregte ihn. Als dann aber plötzlich eine Vibration durch sein Innerstes ging, da wurde ihm klar, was Araphel da mit ihm machte. Doch damit war es nicht genug. Ein schmerzhafter Stich ging durch sein Gesäß und es fühlte sich an, als würde eine Nadel durch seine Haut stechen. „Halt still“, wies Araphel an, doch viel eher hätte Sam interessiert, was das für ein Pieksen war. „Was… was ist das?“ „Deine Bestrafung.“ Das beantwortete zwar nicht direkt die Frage, aber nach einer Weile spürte der Detektiv, wie ihm langsam aber sicher heiß zumute wurde. Ein Kribbeln ging durch seinen Körper und sein Herz begann schneller zu schlagen. Ihm war, als würde die Vibration noch intensiver werden, oder als würde sein Körper stärker darauf reagieren. So langsam dämmerte es ihm, dass Araphel ihm wohl ein Aphrodisiakum verabreicht hatte. Doch es sollte noch längst nicht seine ganze Bestrafung sein, denn Araphel hatte noch eine zusätzliche Maßnahme für ihn parat. Denn Sam sah, wie der Mafiaboss etwas hervorholte, was ihm sehr bekannt vorkam: das Penisgeschirr. Der Detektiv bekam kalte Füße und rief sofort „Nein, bitte nicht!“ „Strafe muss sein“, wiederholte der Mafiaboss und seine Meinung schien er wohl nicht so wirklich ändern zu wollen. „Du kannst aber auch gerne die Kellervariante nehmen, wenn dir das lieber ist.“ Nein, darauf konnte er wirklich verzichten und ehrlich gesagt war er auch froh, dass ihm wenigstens das erspart blieb. Tja, da musste er jetzt wohl durch und die Bestrafung über sich ergehen lassen. Wenn Araphel danach nicht mehr sauer auf ihn war, dann war er bereit, so etwas für ihn zu tun. Als das Geschirr stramm um seinen erigierten Penis geschnürt wurde, entfernte sich Araphel von ihm und ließ erst mal den Anblick ein wenig auf sich wirken. Dann aber ging er zur Tür und machte tatsächlich Anstalten, den Raum zu verlassen und Sam in diesem Zustand zu lassen. „Ich hab noch zu arbeiten“, erklärte der Mafiaboss. „Ich komme wieder, wenn ich fertig bin.“ Wie bitte, fragte sich Sam und fassungslos sah er ihn an. Der will mich so einfach hier lassen? Ist das etwa meine Strafe? Araphel blickte noch einmal kurz zurück, dann verließ er das Zimmer und schloss sicherheitshalber die Tür hinter sich ab. Nicht, weil er davon ausging, dass Sam weglief. Aber er war kein völliger Unmensch und wollte ihm zumindest ersparen, dass irgendjemand in sein Zimmer platzte und ihn in diesem Zustand sah. In seinem Arbeitszimmer sah er auf dem Anrufbeantworter, dass jemand versucht hatte ihn zu erreichen. Es handelte sich um eine Nummer, die er nicht kannte, weshalb er sicherheitshalber seine Nummer unterdrückte, als er den Anruf tätigte. Nach ein paar Sekunden wurde der Anruf angenommen und er hörte die Stimme eines jungen Mannes. „Ja?“ „Sie haben versucht, mich anzurufen. Dürfte ich erfahren, wer Sie sind?“ „Ach, dann sind Sie sicher Mr. Araphel Mason. Ich bin Harvey, Morph hat mich kontaktiert und sagte, es gäbe Arbeit für mich. Ich bin überrascht, dass sich die Mafia plötzlich für die Aufspürung von korrupten Polizisten interessiert…“ „Ich hab bei jemandem etwas wieder gutzumachen, mehr nicht und der will sich um die Korruption innerhalb der Bostoner Polizei und eventuell um den Sexsklavenhandel des Slave Shipping Services kümmern. Soweit ich weiß, ist dein Fachgebiet als Informant Korruption in öffentlichen Ämtern.“ „Das schon, aber… die zweite Sache ist leider außerhalb meiner Möglichkeiten. In dem Fall werde ich wohl Bonnie B. kontaktieren müssen.“ „Bonnie B.?“ „Eine Profihackerin, die sich auf die Infiltrierung des Dark Webs und die Aufspürung von Pädophilen spezialisiert hat. Sie gilt als eine der besten Hacker auf diesem Gebiet und ich denke, dass sie besser helfen kann als ich. Sag deinem Freund, er soll am Samstag in die Bar Kaonashi kommen. Um 15 Uhr wird das Treffen stattfinden.“ Araphel notierte sich Ort und Datum, wünschte Harvey noch eine gute Nacht und legte auf. Das wäre soweit schon mal erledigt. Zwar war er immer noch verärgert über Sams Aktion, die ihn und Christine schlimmstenfalls das Leben gekostet hätte, aber andererseits war da noch etwas anderes. Als Sam erklärt hatte, dass er nur deshalb gegangen war, um Lawrence wegen Ahava zur Rede zu stellen, war er erleichtert gewesen, aber auch überrascht. Sam war nicht seinetwegen weggelaufen und er war wieder zurückgekehrt. Er hätte sich genauso gut aus dem Staub machen können, als seine Leute die Killer der Yanjingshe ausgeschaltet hatten, doch stattdessen war er ohne zu zögern zurückgekommen. Warum? Das war doch gegen jede Vernunft, selbst Araphel hätte bei der Gelegenheit sofort die Beine in die Hand genommen. Was hatte diesen naiven Idioten nur dazu getrieben, wieder zurückzukommen, obwohl er doch hätte wissen müssen, was ihm geblüht hätte. Konnte es sein, dass Sam ihn vielleicht im Auge behalten wollte, um mehr über ihn zu erfahren, weil er sein eigentliches Ziel noch nicht aufgegeben hatte? Oder konnte es sein, dass Sam wirklich Gefühle für ihn entwickelt hatte? Nein, das war völliger Schwachsinn. Nicht nach den Dingen, die passiert waren. Doch der Gedanke hatte trotzdem etwas Angenehmes. Und wenn er ganz ehrlich zu sich gewesen wäre, dann hätte er sich eingestanden, dass er nicht wütend war, dass Sam gegangen war. Er hatte viel eher Angst gehabt. Angst davor, dass er in die Fänge der Yanjingshe und er selbst nicht rechtzeitig da sein würde, um das Schlimmste zu verhindern. Für einen Moment hatte er dieses entsetzliche Bild vor Augen gehabt. Sam… verkrüppelt und gebrochen… Er würde niemals zulassen, dass er noch einmal so versagen würde wie vor vier Jahren. Nie wieder sollte so etwas passieren. Und wenn er eben halt drastische Maßnahmen ergreifen musste, um sicherzugehen, dass Sam bei ihm blieb… in Sicherheit. Kapitel 17: Ein Zugeständnis ---------------------------- „Wer auf Rache sinnt, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte.“ Sir Francis von Verulam Bacon, Philosoph Wie lange Sam in diesem Zustand verbracht hatte, konnte er nicht sagen. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Vielleicht sogar noch mehr? Gefühlt kam es ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, als Araphel gegangen war und je mehr Zeit verstrich, desto dringender wurde der Wunsch in ihm, dass dieser zurückkommen und ihn aus diesem Zustand befreien würde. Sein Körper glühte wie im Fieber, das Blut pochte regelrecht in seinen Adern und dieses verdammte Ding hatte sich schmerzhaft eng um seinen Penis geschnürt und hinderte ihn daran, endlich abzuspritzen. Warum kam Araphel nicht zurück? Wie lange würde dieser ihn noch warten lassen? Er musste kommen und zwar schnell, ansonsten würde er noch durchdrehen. Sein Atem glich mehr einem Keuchen und er erwischte sich selbst dabei, wie er sich auf den Bauch drehte und gegen die Decke rieb, in der Hoffnung, dass sein Problem sich auf diese Weise selbst lösen konnte. Doch es funktionierte nicht. Natürlich nicht, wie denn auch? Dieses verdammte Ding, das Araphel ihm um sein bestes Stück geschnürt hatte, hinderte ihn daran und so langsam aber sicher trieben diese Vibro-Eier ihn in den Wahnsinn. Er wollte kommen… unbedingt… Wenn nicht schnellstens etwas passierte, würde er noch durchdrehen, so viel war sicher. Warum nur kam Araphel nicht endlich zurück? Wie lange würde er ihn denn noch warten lassen? Immer mehr kam sich Sam wie ein Junkie auf einem Entzug vor. Wirklich jede Faser seines Körpers schrie nach der befreienden Erlösung. Und das Schlimmste war, dass er rein gar nichts dagegen tun konnte. Ihm blieb nur, auf Araphel zu warten. Die Vibration in seinem Inneren kam ihm so viel intensiver vor als sonst. Auch so schien sein Körper deutlich sensibler zu reagieren. Ob es an diesem Mittel lag, was Araphel ihm gespritzt hatte? Doch dann, als er schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Araphel noch zurückkehren würde, hörte er, wie das Schloss geöffnet wurde und dann ging tatsächlich die Tür auf und Araphel kam herein. Er wirkte müde und abgekämpft, als hätte er noch sehr viel erledigen müssen. Und irgendetwas beschäftigte ihn, das sah man ihm an. Als sich aber ihre Blicke trafen, gewann der Mafiaboss seine dominante und unantastbare Ausstrahlung wieder und den Anblick, der sich ihm bot, schien er sichtlich zu genießen. „Sehr schön, du hast brav auf mich gewartet. Und? Wie gefällt dir deine Strafe?“ Sam versuchte Widerworte zu geben, um ihm wenigstens verbal die Stirn zu bieten. Doch er musste erkennen, dass er nicht mehr in der Lage war, vernünftige Sätze zu bilden. Alles, was er hervorbrachte, war ein lustschweres und etwas wehleidiges Stöhnen. Der Druck war so stark, dass es kaum noch auszuhalten war und als Araphels Hand über seinen Körper strich, da nahm dieses unbändige Verlangen, den Mafiaboss tief in sich zu spüren, nur noch zu. Es kostete ihn wirklich Mühe, halbwegs zusammenhängende Worte zu bilden. „Bitte… ich ka… aah… kann nicht… mh… mehr.“ Sein Atem war nur noch ein schweres Keuchen und Schweißperlen glänzten auf seiner Haut, während sein Körper wie im Fieber glühte. Zärtlich strich Araphel ihm über den Rücken und seine sanfte Berührung fühlte sich so gut an. „Araphel…“ „Wenn du willst, dass ich dir Erleichterung verschaffe, musst du auch etwas dafür tun, verstanden?“ Als der 31-jährige seine Hose öffnete und sie ein Stück weit herunterzog, sodass seine eigene Erregung deutlich zu sehen war, wusste Sam, was er zu tun hatte, ohne dass es einer direkten Aufforderung bedurft hätte. Ohne zu zögern ließ er Araphels Glied tief in seinen Mund gleiten und begann ihn daraufhin mit seiner Zunge zu verwöhnen. Obwohl er sich zu Anfang noch sehr dagegen gesträubt hatte und es nur getan hatte, weil Araphel ihm gedroht hatte, ihm sonst den Kiefer gewaltsam auszurenken, stellte es inzwischen für ihn kein Problem mehr da, so etwas zu tun. Im Gegenteil. Wenn er wusste, dass er Araphel auf diese Weise verwöhnen konnte, dann war auch dieser Widerwille nicht da. Dieser existierte lediglich nur, wenn alles so gewaltsam geschah und diese Aggression herrschte. Er hatte es lieber, wenn Araphel zwar dominant und fordernd, aber auch gleichzeitig sanft war. Dann fiel es ihm auch viel leichter, diese Strafen zu akzeptieren und sie durchzustehen, weil er darauf vertrauen konnte, dass Araphel ihm nichts Schlimmes antun würde. Sam hatte die Augen geschlossen und ließ es auf sich wirken. Er spürte die pulsierende Hitze in seinem Mundraum, wie Araphels Penis immer weiter anschwoll und vollständig hart wurde. Gierig begann er an der Eichel zu saugen und den Schaft mit seiner Zunge zu verwöhnen, während er seinen Kopf dabei immer schneller vor und zurück bewegte. An Araphels Atem war zu hören, dass es ihm gefiel und das war für den Detektiv eine zusätzliche Motivation, weiterzumachen. Eine Hand legte sich auf seinen Kopf, doch anstatt dass er grob festgehalten wurde, strich diese Hand durch sein Haar und es war eine zärtliche Geste, wie er sie dem sonst so schroffen und kampflustigen Mafiaboss nicht zugetraut hätte. Und umso mehr war er glücklich darüber, wenn ihm so eine Zuwendung zuteil wurde. Nachdem sich der 31-jährige Mafiaboss deutlich zu entspannen begann, ging Sam noch intensiver vor und verwöhnte den Mafiaboss so wie er es gerne hatte. Dass es seine Wirkung nicht verfehlte, spürte er, als die Hand auf seinem Kopf ihren Griff verstärkte. Doch es hatte nicht einen Moment etwas Gewaltsames an sich. Nein, es herrschte immer noch eine gewisse Sanftheit, die Sam das Gefühl gab, als wäre dies hier nicht so eine harte Bestrafung, wie er sie im Keller hatte durchleiden müssen und die bei ihm schlimme Erinnerungen hinterlassen hatte. Seltsamerweise kamen sie kaum hoch, seitdem er dieses Zimmer bewohnte und sie eine deutlich entspanntere Beziehung zueinander hatten, die nicht bloß auf Gewalt und Demütigung aufgebaut war. Insbesondere seit Araphel diese deutlich zartere Seite zeigte. Sam zog den Kopf zurück, als der Mafiaboss sich in seinen Mund ergoss und der bittere Geschmack von Sperma ihn aus seiner leichten Benebelung zurückholte. Brav schluckte er alles und atmete tief die Luft ein. Dafür, dass er anfangs noch erheblich Schwierigkeiten bei Blowjobs gehabt hatte, schien er seine Sache immer besser zu machen. Offenbar hatte schon genug Übung, um den Bogen rauszukriegen. „Du machst das wirklich gut“, hörte er Araphel sagen. Er hob den Blick und ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. Dieses Lob hatte keinen herablassenden Spott wie sonst, sondern klang ehrlich gemeint. Um das Spielchen weiterzumachen, schaltete Araphel die beiden Vibro-Eier aus und zog sie heraus. Dennoch ebbte dieses Gefühl nicht ab und ihm war, als würden noch Nachwirkungen durch seinen Körper gehen. Und als er spürte, wie sich zwei Finger durch seinen Schließmuskel drückten und sich langsam vorantasteten, entwich ihm ein leises Keuchen und er streckte sich ihm weiter entgegen, damit Araphels Finger noch tiefer in ihn eindringen konnten. Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an. „Du kannst es wohl kaum erwarten, oder?“ stellte der Mafiaboss fest. Und um zu beweisen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag, traf er jenen Punkt, auf den Sam besonders sensibel reagierte, woraufhin dieser laut stöhnte, wobei deutlich zu hören war, wie sehr er das gerade genoss. Doch so schnell wollte Araphel ihn nicht aus seiner Qual befreien, sondern ließ sich Zeit, um ihn noch ein kleines bisschen zappeln zu lassen. Er wollte diesen Moment noch ein wenig auskosten, in dem sich Sam ihm voll und ganz hingab, wenn auch nur vielleicht deshalb, weil er ein wenig nachgeholfen hatte. Doch es herrschte dabei kein sadistisches Vergnügen mehr, dass er seinen Feind in seiner Gewalt hatte und ihn dazu gebracht hatte, solche Dinge zu tun. Nein, er hatte längst damit aufgehört, Sam in solchen Momenten als sein Feind anzusehen. Aber als was sah er ihn dann? Als jemanden, den er körperlich begehrte? Als Ebenbild seiner Schwester Ahava, der er in so vielen Dingen ähnelte? Oder als jemandem, der ihm Halt geben konnte in Zeiten, wo er sich so eine große Last aufgebürdet hatte, weil ihn Schuldgefühle quälten? Araphel hätte lügen müssen, wenn er nicht manchmal tatsächlich Ahava in Sams Gesicht gesehen hätte. Das war auch der Grund dafür gewesen, wieso er zu Anfang sehr aggressiv reagiert und Sam auch schwer misshandelt hatte. Er hatte es einfach nicht akzeptieren können, dass ausgerechnet jene Person, die seine Schwester verraten und verkauft hatte, einen Bruder hatte, der Ahava so ähnlich war. Dieselben eisblauen Augen und dieselbe unerschütterlich-aufrichtige Natur mit teils naiven Ansichten. Er hatte es einfach nicht akzeptieren wollen und wollte Sam dazu bringen, endlich damit aufzuhören. Doch letztendlich hatte er insbesondere durch Christine erkennen müssen, dass er dabei gewesen war, jemandem das Gleiche anzutun wie die Yanjingshe mit seiner Schwester. Er hätte sie noch mal gebrochen und das wäre für ihn viel schlimmer gewesen. Doch wenn er mit Sam schlief, hatte er so gut wie nie das Bild vor Augen, Sam wäre seine Schwester. Er sah ihn als Sam Leens, der das gleiche große Herz hatte wie Ahava und dass er nichts tun durfte, was dieses Herz trüben könnte. Keine grobe Gewalt, kein Hass, kein Gefängnis mehr. Er wollte Sam beherrschen und die Kontrolle über ihn haben, das stimmte schon. Aber er wollte nicht, dass er noch mal mit ansehen musste, wie seine Schwester zugrunde ging, weil er nicht fähig gewesen war, sie zu beschützen, wie er es eigentlich versprochen hatte. Diesen Fehler durfte er nicht noch einmal begehen und darum war es auch unausweichlich, dass Sam bei ihm bleiben musste. Solange dieser in seinem Blickfeld war, würde Shen ihn nicht in die Finger kriegen. Und wenn er halt zu drastischen Maßnahmen greifen musste, um dafür zu sorgen, dass Sam bei ihm blieb, dann war es eben so. In dem Fall heiligte der Zweck so manche Mittel. „Mh… aaah…“ Sams Stimme ließ ihn diese ganzen Gedanken vergessen und holte wieder ins eigentliche Geschehen zurück. Er wollte nun nicht mehr länger warten, sondern sich endlich das holen, was er wollte. Als Sam spürte, wie Araphel seine Finger wieder herauszog, nachdem er ihn genug vorbereitet hatte, wusste er, was kommen würde und spreizte ein wenig mehr seine Beine. Mühelos drang der Mafiaboss in ihn ein und Sam spürte nicht einmal Schmerzen. Stattdessen war ihm, als würde sein Verstand für einen Moment völlig von dieser unbeschreiblichen Hitze überwältigt werden, die ihn überkam. Dieses unbändige Verlangen nach dem harten und wilden Sex hatte von ihm Besitz ergriffen und raubte ihm den letzten kläglichen Rest seiner Kontrolle. Tief drang der Mafiaboss in ihn ein und hielt ihn dabei fest an den Hüften gepackt. Laut keuchte der gefesselte Detektiv und konnte nicht mehr an sich halten. „A… Araphel… bitte…“ „Ja?“ fragte der Mafiaboss und hielt inne um zu hören, was Sam zu sagen hatte. Dieser vergaß nun auch seine Scham und Zurückhaltung, als der die Bitte an ihn richtete „Bitte mach es hart.“ Der 31-jährige schmunzelte amüsiert darüber und antwortete „Mit dem größten Vergnügen“, wobei das ja nicht mal gelogen war. Erst zog er sich langsam aus Sam zurück, stieß dann aber kraftvoll zu. Sam überkam ein intensiver Schauer und ein lauter Lustschrei hallte durch das Zimmer und in dem Moment kam es ihm auch nicht in den Sinn, dass man ihn vielleicht hören konnte. Und wenn, dann hätte es ihn auch nicht sonderlich gekümmert. Alles, was er wollte, war Araphel. Er wollte ihn tief in sich spüren und ihm nah sein… mehr von seiner zärtlichen Seite erleben. „Aaah! Ah!“ Immer schneller stieß der Mafiaboss zu und seine Hände hielten Sam fest gepackt. Diese kraftvollen Hände, die ihm bewusst machten, wer hier der Stärkere war und dass er in diesem Augenblick ganz und gar allein Araphel gehörte und niemand anderem sonst. Dieser Gedanke hatte etwas so Wunderbares und hatte nichts von dem, was sich noch vor kurzem im Keller zwischen ihnen beiden abgespielt hatte. Er fühlte sich nicht mehr länger als Gefangener, der nur so lange weiterleben konnte, solange er es schaffte, seinen Peiniger zu befriedigen. Nein, es war inzwischen eine rein einvernehmliche Sache geworden und Sam fühlte sich auch nicht mehr dazu gezwungen. Mochte es das Stockholm-Syndrom sein oder nicht. Und wenn es auch an dem Aphrodisiakum lag… was kümmerte ihn das? Es war diese kraftvolle und dennoch zärtliche Art, die ihn in ihren Bann gezogen hatte und auf die sowohl sein Körper, als auch sein Geist reagierten. Als er spürte, wie sich Araphels Hand um seinen Penis legte, keuchte er hoffnungsvoll auf. Würde ihm nun endlich Erleichterung verschafft werden? „Araphel… Bitte…“ „Hast du deine Lektion gelernt?“ fragte der Mafiaboss ihn eindringlich. „Wirst du mir von nun an gehorchen und hier bleiben?“ „Ja, das werde ich.“ „Gut… dann hast du dir eine Belohnung verdient.“ Damit lockerte Araphel nun das Geschirr ein wenig, woraufhin sich der aufgestaute Druck in Sam mit einem Male mit gewaltiger Kraft entlud, dass ihm dabei kurz schwarz vor Augen wurde. Nach Atem ringend sank er auf dem Bett zusammen und spürte eine heiße Flut sein Innerstes durchströmen, als auch Araphel kam. Schwer atmend und schweißgebadet lag er da und ihm war schwindelig. Schließlich nahm Araphel ihm die Fesseln ab, um ihm seine Bewegungsfreiheit wiederzugeben. Für einen Moment war der Detektiv noch völlig benommen, doch er spürte, dass es noch nicht genug war. Immer noch loderte dieses Feuer in seinem Körper und obwohl er gerade erst einen Orgasmus hatte, war er schon wieder erregt. Mit Sicherheit was es auf das Aphrodisiakum zurückzuführen. Mit etwas Mühe schaffte er es, sich aufzusetzen und sah zu Araphel. Der Mafiaboss sah aus, als würde er an etwas denken, was ihn beschäftigte. Etwas Sorgenvolles lag in seinen Augen und das mochte er nicht. Er wollte nicht, dass der Mafiaboss an etwas Negatives dachte und so beschloss er, die Initiative zu ergreifen. Und so begann er die letzten Knöpfe von Araphels Hemd zu öffnen und drückte nun ihn aufs Bett nieder. Der Mafiaboss, der nicht so wirklich wusste, was in den Detektiv gefahren war, zog die Augenbrauen zusammen und fragte „Und was soll das bitteschön werden?“ Sam beugte sich über ihn und küsste ihn. „Bitte lass mich das tun“, sprach er. „Lass es mich beweisen…“ Dieses Mal würde es ein wenig anders laufen. Er wollte Araphel zeigen, wie er wirklich fühlte und was er wollte. Langsam senkte er seine Hüften herab und ließ Araphel wieder in ihn eindringen. Es war das allererste Mal, dass er oben war und ob der Mafiaboss von seiner plötzlichen Initiative begeistert war, konnte er auch nicht mit Sicherheit sagen. Aber er hegte einfach diesen Wunsch, ihm zu zeigen, dass er es wollte und es nicht bloß geschah, weil er sich genötigt fühlte oder Angst vor der Bestrafung hatte. Und er hoffte, dass Araphel es verstand. Es war ein vollkommen neues Gefühl, auf Araphel herabzusehen. Nur zögerlich sah er in sein Gesicht und erwartete, dass der Mafiaboss vielleicht sogar verärgert war, doch dem war nicht so. Er wirkte noch ein wenig überrascht, aber es war keine Spur von Wut oder Härte in seinen Gesichtszügen zu sehen. Es schien mehr so, als könne nicht glauben, dass das hier gerade geschah. Noch ein klein wenig unbeholfen begann Sam seine Hüften im Rhythmus auf und hinab zu senken. Da es ihm in dieser Position an Übung fehlte, fiel es ihm erst schwer, richtig Halt zu finden, aber dann richtete Araphel seinen Oberkörper auf und legte wieder seine Hände um Sams Hüften. Der Detektiv seinerseits legte seine Arme um Araphel und hielt sich an ihm fest, während er sich so langsam aber sicher an diese neue Position gewöhnte. Auch Araphel begann sich nun zu bewegen, sodass es zu einem synchronen, heißen Zusammenspiel wurde. Ihre Blicke trafen sich und sie sahen einander tief in die Augen. Was der Mafiaboss in seinen Augen sah, wusste Sam nicht, doch er sah deutlich, dass er nicht der Einzige war, der diesen Wunsch hegte, Araphel nah zu sein und ihn zu spüren. Araphel hegte denselben Wunsch mit ihm. Und darum vergaßen sie in diesem Moment auch, dass sie eigentlich Feinde waren und einander verachteten. Sie waren nicht mehr länger Schwerkrimineller und rechtschaffener Detektiv, sondern einfach zwei Menschen, die sich ihrem Verlangen hingaben. Und als sie es erkannten, fanden sich ihre Lippen in einen leidenschaftlichen und wilden Kuss wieder, in welchem sich ihre Zungen zu einem begierigen Spiel miteinander fanden und sie jeden einzelnen Augenblick dieser Zweisamkeit auskosteten. So kam es sogar dazu, dass Araphels Hemd, welches er niemals in seiner Gegenwart abgenommen hatte dem Mafiaboss von den Schultern rutschte und Sam zum ersten Mal seinen gänzlich entblößten Oberkörper sah. Dabei erkannte er sofort, dass Araphel sehr gut durchtrainiert war. Er hatte starke breite Schultern und kräftige Oberarme. Allein der Anblick ließ Sam schwach werden. Araphel sah wirklich verdammt heiß aus. Sam spürte, wie er langsam wieder an seine Grenzen stieß. Sein Körper reagierte allein schon auf Araphels Berührungen so sensibel. Allein seinen heißen Atem und die Wärme seines Körpers zu spüren, war überwältigend. Immer sicherer und schneller wurden seine Bewegungen, während er bei Araphel sicheren Halt hatte und er verlor sich in dieser atemberaubenden Flut der Gefühle aus Lust und Verlangen, welche jeglichen Gedanken in seinem Kopf auslöschte und ihn nicht mehr klar denken ließ. Erneut entlud sich Sam, als er mit einem letzten Aufbäumen zu seinem zweiten Orgasmus kam. Keuchend hielt er sich an Araphel fest, als vor seinen Augen kurzzeitig alles weiß wurde und er seine Sinne erst mal wieder sammeln musste. Doch es war noch nicht genug. Noch wirkte das Aphrodisiakum ziemlich gut, sodass es noch eine ziemlich lange Nacht wurde. Sam konnte nicht sagen, wie spät es war, als er völlig ausgelaugt auf dem Bett zusammensank und nach Atem rang, da sein Herz immer noch wie verrückt schlug. Sein ganzer Körper fühlte sich träge und lahm an und es kostete ihn unsägliche Mühe, sich überhaupt noch zu bewegen. Er war völlig erledigt und musste erst mal wieder ein klein wenig Kraft sammeln, bevor er sich ins Bad schleppte. Als er zu Araphel sah, bemerkte er, dass dieser ihm kurz den Rücken zugewandt hatte, um seine Sachen aufzuheben. Und da sah er auch die Narben, die der Mafiaboss immer vor ihm versteckt hatte. Über seinen ganzen Rücken zogen sich Narben, die vermutlich von Peitschenhieben herrührten und das Martyrium enthüllten, dem er vor vier Jahren ausgesetzt war, als er seine Schwester retten wollte. Doch da war noch eine andere alte Verletzung: eine tellergroße Brandnarbe in Form eines Kreises, in dessen Mitte eine Schlange abgebildet war, näher gesagt eine Kobra. Das Zeichen der Yanjingshe. Und nun verstand Sam, wieso Araphel niemanden diese alten Verletzungen sehen lassen wollte: Er war als Ware der Yanjingshe gebrandmarkt worden, sodass jeder sofort wusste, dass er persönliches Eigentum von Shen Yuanxian war. Mit dieser Brandmarke hatte er seinen Status als freier Mensch eingebüßt. Solange er lebte, würde er mit diesem Zeichen immer als Besitz der Triade identifiziert werden, egal wie sehr er auch davor weglaufen wollte. Bis an sein Lebensende würde er daran erinnert werden, was er durchlebt hatte, genauso wie Ahava. Als Sam das erkannte, konnte er nicht an sich halten. Er kroch übers Bett zu Araphel hin und umarmte ihn schweigend von hinten. Der Mafiaboss machte keinerlei Anstalten, ihn zurückzuweisen. Stattdessen stellte dieser nur eine Frage: „Warum bist du zurückgekehrt?“ Auf diese Frage gab Sam nicht direkt eine Antwort. Viel eher schwieg er eine Weile, in der er sich überlegte, wie er am besten antworten sollte. Dann aber antwortete er offen und ehrlich, da ihm nun endlich klar geworden war, was ihn zu dieser Entscheidung bewegt hatte „Weil ich glaube, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Kapitel 18: Sergejs Bitte ------------------------- „Solange man sich nicht gerächt hat, bleibt immer eine Bitterkeit im Herzen zurück.“ Heinrich Heine, deutscher Dichter Als Sam wieder zu Sinnen kam, war es schon helllichter Tag und er konnte sich nicht so wirklich daran erinnern, was nach seinem Geständnis gestern Nacht passiert war. Irgendwie war ihm da schwarz vor Augen geworden und wahrscheinlich war er zusammengeklappt und daraufhin eingeschlafen. Nun, der gestrige Tag war auch ziemlich ereignisreich und aufreibend gewesen, wenn man bedachte, was passiert war. Aber es ärgerte ihn trotzdem, dass er ausgerechnet kurz nach seinem Geständnis das Bewusstsein verlieren musste. Schlechter hätte das Timing wirklich nicht sein können. Naja, es half alles nichts. Als er sich langsam aufsetzte, spürte er plötzlich etwas Haariges und hörte ein leises Schnurren. Und als er zur Seite blickte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung, als er seinen über alles geliebten Hauskater sah. „Sokrates!“ rief er und kraulte ihm zärtlich den Hals, woraufhin der knapp sechs Jahre alte Kater ein zufriedenes Schnurren von sich gab. Das gab es ja nicht. Sokrates war tatsächlich hier? Aber wie konnte das sein? Hatte er ihn von alleine gefunden, oder hatte jemand ihn hergebracht? Auch sonst entdeckte Sam einige Umzugskartons, in denen, wie sich herausstellte, seine Klamotten und ein paar persönliche Sachen von ihm waren. Jemand musste seine Wohnung ausgeräumt haben. Nun, es war ja klar gewesen, dass er wohl oder übel hier bleiben musste. Die Yanjingshe hatte es auf sein Leben abgesehen, darum konnte er auch nicht in sein altes Leben zurück. Hatte Araphel das Ganze organisiert? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Nachdem er ins Bad gegangen und eine ausgiebige Dusche genommen hatte, konnte er endlich mal wieder frische Klamotten anziehen, was für ihn wirklich eine Wohltat war. Aber als „Geisel“ hatte man nun mal nicht so viel Luxus. Und nun hatte man tatsächlich seine Klamotten hierher gebracht, was ihm damit auch wirklich das Gefühl gab, als wäre er hier nicht mehr bloß gefangen, sondern als würde er aus freien Stücken hier wohnen. Sokrates, der ihn offenbar ziemlich vermisst hatte (immerhin war Sam knapp drei Wochen nicht mehr zuhause gewesen), kuschelte sich die meiste Zeit schnurrend an ihn und schien offenbar nicht wirklich böse zu sein, dass sein Besitzer so lange verschwunden gewesen war. Aber Sokrates gehörte auch nicht zu der Sorte Hauskatzen, die schnell beleidigt war, wenn ihr Besitzer über einen längeren Zeitraum weg war. Er war ein sehr anhänglicher, fauler Stubentiger, der seine Streicheleinheiten eben genoss. Als er sich auf den Weg zur Küche machte, da sein Magen ganz schön knurrte und er eine Stärkung gut gebrauchen konnte, begegnete er Christine, die gerade einen Karton schleppte. „Tagchen Sam!“ grüßte die Rothaarige gut gelaunt und stellte den Karton ab. „Alles fit bei dir, oder hat dich Araphel gestern ein wenig zu hart rangenommen?“ „Es geht. Äh sag mal, hast du die Kartons in mein Zimmer gestellt und Sokrates hergeholt?“ „Jep, zusammen mit ein paar anderen. Araphel meinte, dass du ab jetzt hier fest wohnen wirst und ein paar Sachen brauchst. Hier drin sind noch ein paar Bücher, DVDs und Fotos. Wenn du nach Araphel suchst, der ist gerade mit dem Patriarchen im Gespräch, da darf keiner stören. Der Doc hat sich schon um deinen Kater gekümmert.“ Damit ging Christine mit dem Karton in Richtung seines Zimmers und versprach, später noch mal vorbei zu kommen, Sam hingegen ging in die Küche und fand dort Morphius vor, der gerade am Tisch saß, rauchte und ein Foto anstarrte. Er wirkte ein wenig in Gedanken versunken und bemerkte den Detektiv erst nicht. Erst als sich dieser hinsetzte, hob er den Blick. „Tag, Morph. Was hast du da für ein Foto?“ Sam beugte sich zu ihm herüber und sah, dass es ein kleines Mädchen war mit schwarzem Haar und einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Sie schien nicht älter als zwei oder drei Jahre alt zu sein. „Das ist meine Tochter Kaguya“, erklärte der Informant mit einem stolzen Lächeln. „Sie wird morgen drei Jahre alt.“ „Sie sieht wirklich bezaubernd aus“, bemerkte Sam und war überrascht, denn er hätte Morphius nicht direkt als Vater gesehen. Aber offenbar konnte man sich auch irren. Da es schon Mittagszeit war, aßen sie zusammen und kurz darauf kamen auch Christine, Dr. Heian, Asha und eine sehr zierliche junge Frau mit einem herzlichen Lächeln dazu, die sich als Yin vorstellte und zum Werkstattteam dazugehörte. Es wurde viel geredet und gelacht und Christine gab eine ihrer Geschichten zum Besten, die wie immer nur ihrer Fantasie entsprangen und sie neckte Dr. Heian ein wenig, der zu den Ernsten in der Gruppe gehörte, die nicht allzu viel lachte. Nicht selten stimmte Morphius gleich mit ein, ihn zu ärgern. Es war ungewohnt, mit so vielen verschiedenen Menschen zusammen zu sitzen, noch dazu wo sie doch eigentlich wissen mussten, wer er war. Doch es kamen keine Anfeindungen, kein Misstrauen und keine Feindseligkeit. Nein, es schien so, als hätten sie ihn als einen der ihren akzeptiert, nachdem er ins Visier der Yanjingshe geraten war und nun bei Araphel lebte. Dann schließlich aber stellte Yin, die Sam vorher noch nicht gesehen hatte, eine Frage an ihn. „Sag mal Sam, stimmt es wirklich, dass du dich mit Shen angelegt hast?“ „Hat sich das so schnell herumgesprochen?“ fragte er überrascht und die Chinesin nickte, woraufhin sie erklärte „Shen ist der Todfeind von uns allen und alle haben Angst vor ihm. Und dann heißt es plötzlich, dass jemand es gewagt hat, ihn anzugreifen.“ „Ich hab ihn nicht so direkt angegriffen“, erklärte der Detektiv, der durch diesen zweifelhaften Ruhm ein wenig verlegen wurde. „Ich hab einen Aschenbecher nach ihm geworfen, als er Araphel provoziert hat.“ „Wow, dann bist du wohl entweder verdammt mutig, oder ganz schön verrückt.“ Wahrscheinlich ist es beides, dachte sich Sam und wieder tauchte diese Szene vor seinem geistigen Auge auf, wie Shen Araphel gegen die Wand gedrückt und ihn angefasst hatte. Es war eine reine Kurzschlussreaktion gewesen, weil er diesen Anblick nicht ertragen konnte. Und er bereute diese Entscheidung auch nicht, insbesondere nicht nach dem, was er erfahren hatte. Und doch… das Einzige, was er bereute war, dass seinetwegen Lawrence hatte sterben müssen. Etwas niedergeschlagen ließ er die Gabel sinken und fragte sich, ob sein Bruder vielleicht noch am Leben wäre, wenn er ihn nicht aufgesucht hätte. „Oi Sam, was ist los?“ Der Angesprochene hob den Blick und sah zu Morphius, der gerade dabei war, sich ordentlich Chiliflocken über sein Essen zu kippen, da er es offenbar ziemlich scharf mochte. „Es ist wegen meinem Bruder“, erklärte Sam. „Das, was er getan hat, war einfach nur verachtenswert, das sehe ich genauso wie Araphel. Aber… wenn ich nicht zu ihm gegangen wäre und ihn zur Rede gestellt hätte, dann wäre er vielleicht noch am Leben. Ich fühle mich halt dafür verantwortlich, dass er erschossen wurde.“ „Er stand ohnehin auf der Abschussliste der Triade, das hatte mit dir nichts zu tun“, erklärte der Informant und aß weiter. „Soweit ich gehört habe, soll er wohl ein paar Mitglieder der Triade abgezockt haben, um seine Spielschulden zu bezahlen.“ „Ich dachte, die Yanjingshe hätte das längst getan.“ „Ja, das war aber mit den Schulden von vor vier Jahren. Glaubst du echt, er hat danach aufgehört? Nee, er hat erst Ahava „zurückkaufen“ wollen, indem er das Geld an die Triade zurückzahlt, nachdem er wohl eingesehen hat, dass das wohl nicht die beste Entscheidung war. Aber anstatt, dass er bei einer Bank einen Kredit aufnimmt so wie ein vernünftiger Mensch, hat er gleich die nächste Pokerrunde aufgesucht, um schnelles Geld zu machen. Mit dem traurigen Ergebnis, dass er am Ende doppelt so viele Schulden hatte wie zuvor. Nur dieses Mal nicht bei Araphel, sondern bei Shen. Eine Zeit lang hat die Schlange noch gewartet, weil Polizisten eben auch Vorteile mit sich bringen, wenn man sie in der Hand hat. Aber offenbar war dein Bruder denen nicht mehr von Nutzen und in dem Fall ist er auf der Abschussliste gelandet.“ Fassungslos schüttelte Sam den Kopf und konnte nicht glauben, dass sein Bruder wirklich noch mit dem Glücksspiel weitergemacht hatte nach dem, was passiert war. Als hätte es nicht schon gereicht, dass er seine Verlobte an die Yanjingshe verkauft hatte, um sich selbst aus dem Schlamassel zu retten. Jetzt erfuhr er auch noch, dass selbst das nicht gereicht hatte, um ihn zur Vernunft zu bringen. Etwas niedergeschlagen ließ er den Kopf sinken und schwieg, bis dann Christine aufmunternd eine Hand auf seine Schulter legte. „Mach dir mal keine Sorgen, hier bist du sicher und hier passiert dir schon nichts. Und wir sind eigentlich eine ganz lustige Truppe, oder nicht?“ „Jep“, stimmte Asha zu. „Insbesondere mit Christine wird es nicht langweilig. Pass bloß auf, dass sie dich nicht auch noch zu unserer Runde einlädt. Wenn am nächsten Tag nichts zu tun ist, veranstaltet sie ein Trinkspiel oder irgendwas anderes, um Party zu machen.“ „Hey, ich lass mir den Spaß sicher nicht verbieten“, rief die Rothaarige und lachte. „Aber erst mal überlegen wir uns ein hübsches Geschenk für Morphs kleine Prinzessin.“ „Ach ich beneide dich wirklich“, seufzte Yin und lächelte glückselig vor sich hin. „Ich wünschte, ich hätte auch so eine süße Kleine.“ Nach dem Mittagessen kehrten die meisten wieder an ihre Arbeit zurück. Christine und Asha wollten den Fury reparieren, der bei der rasanten Flucht erhebliche Schäden davongetragen hatte und Yin wollte die Limousine überprüfen, die offenbar ein Problem mit dem Vergaser hatte. Sam hingegen ging wieder zu seinem Zimmer, um die Kartons auszupacken. Doch dazu kam er nicht, denn als er gerade um die Ecke bog, stieß er fast mit jemandem zusammen. Es war ein Mann mit einer sehr charismatischen Ausstrahlung, der einen teuren Anzug trug und schon im fortgeschrittenen Alter war. Vermutlich um die 50 Jahre. „Entschuldigen Sie“, rief Sam und trat beiseite. „Ich habe Sie nicht bemerkt.“ „Schon gut, es ist ja nichts passiert.“ Sam bemerkte plötzlich Araphel, der hinter dem Mann auftauchte. Überrascht runzelte er die Stirn und schaltete einen Moment später, wen er da eigentlich vor sich hatte: der Patriarch höchstpersönlich, Sergej Camorra. Oh Mann, dachte sich der Detektiv. Irgendwie hab ich aber auch ein verdammtes Talent darin, ausgerechnet den gefährlichsten Mafiosi über den Weg zu laufen. Das Oberhaupt der Camorrafamilie musterte ihn aufmerksam und fragte „Sie sind also Sam Leens, der Sohn von Detective Henry Leens? Das trifft sich sehr gut. Araphel, würdest du mir deinen Gast kurz ausleihen?“ Der jüngere Mafiaboss zögerte und verschränkte die Arme, wobei er Sergej mit einem Blick ansah, als wolle er ihm nicht über den Weg trauen. Aber dann sagte er sehr zu Sams Überraschung „Mach ruhig, wenn es nicht zu lange dauert.“ Das verunsicherte den Detektiv ein wenig. Hatte Araphel ihm nicht gesagt, er solle sich von gefährlichen Individuen fernhalten? Wieso ließ er dann zu, dass er mit diesem Sergej Camorra alleine war? Aber andererseits… irgendwie kam es ihm so vor, als würde Sergej sehr vertraut mit Araphel reden, so als würden sie einander gut kennen. Als er zu Araphel sah, nickte dieser, als wolle er sagen, dass es in Ordnung war und so ging Sam mit dem Bostoner Patriarchen mit. Sie gingen in ein Zimmer, welches ähnlich dem war, in welchem er schon Shen begegnet war. Nachdem sich Sergej gesetzt hatte, nahm auch er Platz und fragte zögernd „Was genau wollen Sie von mir, Mr. Camorra?“ „Nun, ich wollte den Mann kennen lernen, der genug Mut besessen hat, um Shen Yuanxian anzugreifen.“ Offenbar weiß es schon die halbe Welt, dachte sich Sam und wusste nicht, ob er sich geschmeichelt fühlen sollte oder nicht. Wie um alles in der Welt hatte sich das alles nur so schnell herumsprechen können? „Jedenfalls“, fuhr Sergej fort „habe ich gehört, dass du Araphel in Schutz genommen hast und auch über seine Vergangenheit in Kenntnis gesetzt worden bist.“ „Woher wissen Sie das?“ „Ich bin ein sehr enger Freund der Familie Mason“, erklärte der Patriarch. „Nach dem Tod von Stephen Mason habe ich ein wachsames Auge auf Araphel und helfe ihm des Öfteren. Außerdem ist Shen unser beider eingeschworener Feind. Er ist nicht nur eine Gefahr für die Menschen in dieser Stadt, sondern vor allem auch für die Bostoner Unterwelt und es ist kein Geheimnis, dass er es auf mein Leben abgesehen hat. Und leider werde ich nicht mehr allzu lange gegen ihn bestehen können, so gerne ich auch wollte.“ „Wieso?“ „Weil ich bald sterben werde.“ Selbst als er diese Worte sagte, verlor Sergej nicht einen einzigen Funken seines Charismas und selbst sein Lächeln schwand nicht. Überrascht sah Sam ihn an und fragte „Wie bitte?“ „Mein Arzt hat bei mir Lungenkrebs festgestellt und seiner Diagnose nach habe ich nur noch knapp acht Monate zu leben. Mit einer Chemotherapie könnte ich es vielleicht noch ein ganzes Jahr schaffen, aber das kommt für mich nicht infrage. Wenn schon, dann will ich lieber eines würdevollen Todes sterben. Und eben weil mir nicht allzu viel Zeit bleibt, will ich wenigstens sicher gehen, dass Araphel in guten Händen ist. Immerhin ist er schon fast wie ein Sohn für mich.“ „Warum fragen Sie ausgerechnet mich und nicht einen von den anderen?“ „Weil sie einen besonderen Einfluss auf Araphel haben“, erklärte Sergej. „Seit dem Tod seiner Schwester ist er sehr schwierig geworden und vertraut niemandem mehr. Ich hatte zwischendurch schon ernste Sorge, dass er sich völlig in seinem Verlangen nach Rache verliert und keinen anderen Lebensinhalt mehr sieht. Und noch mehr Sorgen mache ich mir für die Zeit, nachdem er seine Rache bekommen hat, verstehen Sie? Araphel steckt seine gesamte Energie in seinen Rachefeldzug gegen die Triade und in den Schutz ihrer Opfer, die er gerettet hat. Sein ganzes Leben hat er der Rache gewidmet, nachdem sich Ahava das Leben nahm. Seine Schwester war sein wichtigster Lebensinhalt gewesen, das war schon immer so. Und was soll aus ihm werden, wenn er erst mal seine Rache vollendet hat und am Ziel angelangt ist? Dann hat er nichts mehr. Kein Ziel, keinen Antrieb… Die Leere wird ihn wieder einholen und er wird sich in ihr verlieren. Keiner kann ihm die Familie ersetzen, die ihm genommen wurde und es ist ein unfassbarer Kraftakt, danach einen Neuanfang zu machen, wenn man nichts hat. Ich weiß es selbst, immerhin habe ich selbst meinen Bruder verloren, nachdem sich dieser seit dem Tod unserer Eltern um mich gekümmert hat. Ich habe zwei Ehefrauen verloren und meine jetzige Verlobte werde ich dann wohl bald für immer zurücklassen müssen, genauso wie meine Kinder. Aber damit kann ich leben. Ich habe dafür Sorge getragen, dass sie gut versorgt sind, wenn ich nicht mehr da bin. Und bis es soweit ist, wenn ich sterbe, werde ich Araphel beistehen, so gut ich kann. Aber es wird nicht genügen. Seine Gefolgsleute können ihm nicht das geben, was er wirklich braucht. Das ist nämlich jemand, der mit ihm fühlt, der ihm Halt gibt und der ihm das Gefühl gibt, dass er nicht ganz so alleine ist. Das können nur Sie. Wissen Sie, ich habe schon immer ein sehr gutes Gespür für den wahren Charakter anderer Menschen gehabt und ich glaube, Sie sind der Einzige, der Araphel ein neues Licht in seiner Finsternis geben kann. Er braucht Sie, um nach der Vollendung seiner Rache ein neues Ziel für sich selbst zu finden.“ Ein neues Ziel… ein Licht in der Finsternis… Diese Worte stimmten Sam schon sehr nachdenklich. Natürlich war es auch sein Wunsch, dass Araphel nicht an dieser schrecklichen Sache, die Shen ihm und seiner Schwester angetan hatte, zugrunde ging. Er wollte ihn nicht unglücklich oder wütend sehen. Aber würde er das wirklich schaffen können? Nach allem, was er erfahren hatte, glaubte er nicht so wirklich daran. „Ich weiß nicht, ob ich wirklich der Richtige wäre“, sagte er schließlich. „Mein Bruder war dafür verantwortlich, dass Ahava in die Fänge der Yanjingshe geraten ist und er hasst mich dafür. Er hat mich deshalb auch töten wollen. Ich als der Bruder jener Person, die für Ahavas Tod mitverantwortlich ist, kann ihn nicht glücklich machen.“ „Ich glaube, dass diese Sorge unbegründet ist“, meinte Sergej und nahm sich aus seinem kleinen Metallkistchen eine Zigarre heraus und zündete sie sich an. „Araphel sieht Sie gar nicht mehr als Feind in dem Sinne an, dass Sie der Bruder von Lawrence sind. Er sieht Sie als Sam Leens an und er will Sie beschützen, weil Sie dieselbe aufrichtige und gutherzige Art wie Ahava haben. Sie tragen das gleiche Licht in sich wie sie und dieses Licht ist es auch, das Araphel selbst in den dunkelsten Zeiten nicht aufgeben lässt. Denken Sie daran: ein Löwe ist nur so lange so stark, wie er ein Rudel hat, für das er kämpfen kann. Das ist seine Motivation. Araphel hat die Familie und die befreiten Sexsklaven, die er zusammen mit Ahava damals gerettet hat sowie der Arzt und der Informant, sind inzwischen seine richtige Familie geworden. Aber er hält sie auf Abstand, weil er genau weiß, dass sie seinetwegen in Gefahr geraten. Denn Shen wird nicht zulassen, dass das Licht in Araphels Herz zurückkehrt. Er will ihn zu sich in die absolute Finsternis hinabziehen und darum wird er jeden vernichten, der ihm wichtig ist. Aber Sie waren kein Feind der Triade, als Araphel Sie zu sich geholt hat. Sie haben sich freiwillig zu einem solchen gemacht, weil Sie den Mut oder vielleicht auch den Wahnsinn aufgebracht haben, Araphel zu beschützen und ihm zu zeigen, dass er nicht alleine kämpft. Sie haben sich Shen in den Weg gestellt und ich denke, dass das Araphel die Augen geöffnet hat. Vielleicht kann er es nicht in Worten ausdrücken, weil er nicht weiß wie, oder weil er nicht schwach erscheinen will. Aber Sie sind für ihn eine sehr wichtige Person in seinem Leben geworden und darum wird er Sie genauso beschützen wie die anderen und für Sie kämpfen, wenn er es mit der Triade aufnimmt. Das liegt eben in seiner Natur. Sie müssen keine Kämpfe gegen Shen bestreiten oder sich die Hände schmutzig machen. Ich glaube, das würde Araphel genauso wenig wollen, weil er alles daran setzen wird, dass das Licht in Ihrem Herzen nicht getrübt wird. Nein, Sie sollen ihm einfach in den Momenten beistehen, in denen es ihm an Kraft fehlt und wo er jemanden braucht, der ihm Halt gibt, wenn er ins Wanken gerät. Ich weiß, dass Sie niemals einem Mafioso helfen werden, das sind Ihre festen Prinzipien und die respektiere ich. Deshalb will ich Sie nicht als Patriarch bitten, sich um den Bostoner Löwen zu kümmern. Nein, ich bitte Sie als besorgter Familienfreund, sich um meinen Schützling zu kümmern. Würden Sie mir diesen Gefallen erweisen?“ Sergejs lange Worte hatten Sam sehr zum Nachdenken gebracht und er sah wieder das Bild von Araphel vor sich, wenn er erschöpft und bedrückt gewirkt hatte, sah seinen von unzähligen Narben entstellten Rücken. Er dachte daran, wie viel er durchgemacht hatte und trotzdem noch weiterkämpfte, obwohl er selber innerlich litt. Er war ein Löwe und kämpfte selbst dann noch weiter, wenn man ihm die Achillessehnen durchtrennt hatte und er nicht mehr laufen konnte. Vielleicht war es ja irgendwie Schicksal, dass es so gekommen war wie jetzt. Dass Sam Leens in diese Falle gelockt und bei seiner Flucht von einem Auto angefahren worden war, damit er ähnliches durchmachte wie Araphel und ihn somit am besten verstehen konnte. Vielleicht war es Fügung gewesen, dass es so gekommen war wie jetzt, dass er nun mit der Aufgabe betraut wurde, Araphel beizustehen, damit er weiterhin die Kraft aufbringen konnte, Shen die Stirn zu bieten. „Tut mir leid, Mr. Camorra, aber es ist nicht meine Art, einfach nur untätig da zu sitzen und Araphel den Kopf zu tätscheln und ihn alles alleine machen zu lassen und mich auf ihn zu verlassen“, erklärte der Detektiv schließlich. „Ich werde Shen auf meine Weise bekämpfen. Ich werde die Korruption innerhalb der Polizei bekämpfen und dafür sorgen, dass diese Vendetta endlich ein Ende findet und Shen seine gerechte Strafe erhält. Damit ist nicht nur Araphel, sondern allen besser geholfen. Ich werde für Araphel da sein, aber ich werde meine Zeit hier sicher nicht bloß damit verbringen, ihm den Kopf zu tätscheln und ihm mein Bedauern ausdrücken für das, was passiert ist.“ Er rechnete erst damit, dass Sergej entweder verärgert oder spöttisch darauf reagieren würde. Doch stattdessen schmunzelte der Mafiaboss und rückte seine Brille zurecht. Er sah zufrieden aus. „Sie kommen wirklich nach Ihrem Vater“, meinte der 51-jährige schließlich und erhob sich. „Dann verlasse ich mich darauf, dass Sie sich dennoch gut um meinen Schützling kümmern werden. Und seien Sie bitte so gut und erzählen ihm nichts von der Diagnose. Er braucht es noch nicht zu wissen und ich hätte gerne selbst den Zeitpunkt bestimmt, an dem er es erfährt.“ Damit verabschiedete Sergej sich mit einem kräftigen Händedruck und ließ Sam allein. Kapitel 19: Vorübergehende Ruhe ------------------------------- „Die Welt mag untergehen, wenn ich mich nur rächen kann.“ Cyrano de Bergerac, Vorreiter der französischen Aufklärung Sergej war direkt nach Hause gefahren und hatte direkt seinen Sohn Victor zu sich gebeten. Victor Camorra, der 24 Jahre alt und zugelassener Anwalt war, kam äußerlich ganz nach seinem Vater und selbst die Ausstrahlung eines abgebrühten Geschäftsmannes hatte er geerbt. Er war ein ambitionierter junger Mann mit demselben Geschäftssinn wie sein alter Herr. Obwohl Victor Jura studiert hatte und das Gesetz vertrat, sah er sehr zu seinem Vater auf und wusste um die Opfer, die dieser für ihn gebracht hatte und zwischen den beiden herrschte ein sehr enges familiäres Verhältnis. Als Victor das Arbeitszimmer seines Vaters betrat (er selbst trug wie immer einen Anzug), war ihm die Besorgnis anzusehen und nachdem er kurz seine Brille zurechtgerückt hatte, fragte er „Du wolltest mich sprechen, Dad?“ Victor wusste bereits von der Diagnose und es war für ihn ein schwerer Schlag gewesen, genauso wie für seine Stiefschwester Lucy, die derzeit noch im Ausland studierte. Diese Idee hatte sie nicht direkt selbst gehabt, sondern war viel mehr von Sergej darauf gebracht worden. Nach dem Tod seiner zweiten Frau, die auch Lucys Mutter war, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu beschützen und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht in die Mafiageschäfte reingezogen wurde. Und seit er wusste, dass Shen es auf ihn abgesehen hatte und er ihn nicht mehr lange durch Geschäftsbeziehungen im Schach halten konnte, hatte er Lucy ein Studium in Italien ermöglicht, wo sie Verwandte in der Nähe hatte und wo sie sich möglichst weit entfernt von der Triade befand. Er war eben auch ein besorgter Vater, dem das Wohl seiner Kinder am Herzen lag. Seinen Sohn hatte er erst vor sechs Jahren gefragt, ob er bereit wäre, eines Tages das Mafiageschäft zu übernehmen. Nun, da er sonst keine eigenen Kinder hatte, wäre es so oder so dazu gekommen, dass dieser die Nachfolge übernehmen würde, aber Sergej wollte seinem Sohn auch die Chance geben, die Entscheidung selbst zu treffen. Als guter Vater konnte er ihn nicht dazu zwingen, ins Mafiageschäft einzusteigen, wenn er es nicht wollte. Doch Victor war fest entschlossen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und hatte, bis es mit dem „Amtswechsel“ so weit sein würde, Jura studiert, um Strafverteidiger zu werden. Seine Begründung: wenn sein Vater in Schwierigkeiten geraten sollte, würde Victor ihn schon wieder rausboxen. In solchen Momenten war Sergej wirklich stolz auf seinen Sohn. „Victor, ich möchte, dass du offen und ehrlich zu mir bist.“ Sergej wies seinen Sohn an, sich zu setzen und dieser Aufforderung kam der 24-jährige auch nach. „Ich habe mich stets bemüht, mir trotz meiner zeitintensiven Arbeit genug Zeit für dich und auch für deine Stiefschwester zu nehmen, um euch ein guter Vater zu sein. Und ich habe immer dafür gesorgt, dass es euch an nichts mangelt und euch nichts passiert. Du weißt, das Mafiageschäft ist hart und grausam. Es ist ein rücksichtsloses Geschäft, in dem nur die Rücksichtslosen überleben können. Ich frage dich deshalb, Victor: bist du wirklich bereit dafür, meinen Platz einzunehmen, wenn ich nicht mehr da bin?“ Es geschah selten, dass Victor solche Worte von seinem Vater hörte. Er kannte ihn als unbeugsamen Geschäftsmann, der nie zögerte und nie etwas bereute. Und doch wirkte er jetzt sehr nachdenklich und sein Blick ließ vermuten, dass ihn die ganze Sache belastete. Immerhin würde er bald sterben und seinen Sohn zurücklassen, genauso wie seine Stieftochter, um die er sich seit dem Tod seiner zweiten Frau liebevoll gekümmert hatte. Es tat ihm weh, daran zu denken, doch es war die bittere Realität. Doch Victor wusste, dass es nicht nur das war, was seinen Vater belastete. „Natürlich will ich das“, sagte er sofort. „Und ich habe nie schlecht von dir gedacht, Dad. Nun gut, es hat mich damals ganz schön vom Hocker gehauen, als du mir erzählt hast, womit du dein Geld verdienst und ehrlich gesagt würde ich viel lieber etwas anderes nehmen als den Menschenhandel.“ „Es steht dir auch frei, die Familie neu zu gestalten, wie du es für richtig hältst, wenn du der neue Boss bist. Der Grund, warum ich mich mit diesem Milieu befasse, ist der, dass…“ „Ich weiß schon“, unterbrach Victor ihn. „Du hast Geschäfte mit Shen gemacht, damit Lucy und ich in Sicherheit sind und damit du Araphel helfen kannst. Sei ehrlich, du machst dir wegen ihm Sorgen, nicht wahr?“ Das leugnete der Boss der Camorra-Familie durchaus nicht und er gab es auch zu. Victor wusste, dass Sergej Araphel als sein drittes Kind ansah und dass er auf ihn aufpasste. Doch helfen konnte er ihm nicht, denn Sergej konnte die Sicherheit seiner eigenen Kinder nicht aufs Spiel setzen. Und solange es keine berechtigten Gründe gab, wäre Shens Ermordung gleichzeitig der Todesstoß für die Camorra-Familie. Dann würde die Triade unbarmherzig Jagd auf die Camorras machen, um sie für den Tod ihres Bosses bluten zu lassen. Sergej hatte sich lange darüber Gedanken gemacht und überlegt, was er tun konnte und ob er überhaupt etwas tun konnte. Und seit er seine Diagnose hatte, wusste er nun, was zu tun war. „Ja, ich mache mir wirklich Gedanken. Zwar hat er jemanden an seiner Seite, der ihm an Ahavas Stelle Halt gibt, aber ich glaube nicht, dass er es trotzdem schaffen wird, es alleine mit Shen aufzunehmen.“ „Und was genau hast du vor?“ „Ich werde tun, was nötig ist, um die Camorras und die Masons zu einer Einheit zusammenzuschließen, damit sie gemeinsam gegen die Triade vorgehen können. Ich werde einen Grund für solch ein Bündnis liefern und dafür sorgen, dass dieser gierigen Schlange ein für alle Mal das Maul gestopft wird. Victor, ich werde dir für den Ernstfall genaue Anweisungen hinterlassen, die du zu befolgen hast. Ich werde sie dir aber noch in Ruhe erklären, also hör zu: ich habe einen Umschlag mit wichtigen Unterlagen in meinem Schließfach bei der Bank hinterlegt. Diesen gibst du Araphel. Ich möchte dich bitten, ihn so gut es geht zu unterstützen.“ „Ja aber…“, warf Victor ein. „Wenn ich Araphel direkt unterstütze, wird das aussehen, als würden wir mit den Masons sympathisieren und das Geschäftliche mit Persönlichem mischen!“ „Da mach dir mal keine Gedanken drum“, beruhigte Sergej ihn. „Ich werde dafür Sorge tragen, dass es eine rein geschäftliche Sache bleiben wird und du Araphel problemlos unterstützen kannst. Es ist nur wichtig, dass du dich an die Anweisungen hältst, die ich dir noch genauer erläutern werde. Aber…“ und hier legte er seine Hände auf Victors Schultern und sah ihm tief in die Augen. Es lag nichts Kaltes und Berechnendes mehr in seinem Blick, sondern einzig und allein väterliche Besorgnis. „Pass gut auf deine Schwester auf, Victor. Und versprich mir, nicht denselben Fehler zu machen wie ich und zu leichtsinnig zu sein. Dein Großvater als auch dein Onkel sind an derselben Krankheit gestorben, wie ich es bald werde. Ich habe mich zu sicher gefühlt und die Warnungen ignoriert. Mach nicht den gleichen Fehler und achte auf deine Gesundheit. Es ist leider so, dass der Petrow-Familienzweig dieses gewisse Risiko hat und insbesondere so eine Krankheit wird oft viel zu spät erkannt. Darum möchte ich dir wirklich ans Herz legen: behalte das im Hinterkopf und lass dich untersuchen.“ „Versprochen, Dad.“ Sergej breitete seine Arme aus und umarmte seinen Sohn. Es tat ihm weh, seine Kinder zurücklassen zu müssen und sie so früh zu verlassen. Er hätte gerne noch länger gelebt, um mitzuerleben, wie sein Sohn Victor ein nettes Mädchen kennen lernen und heiraten würde. Er würde nicht miterleben, wenn Victor oder Lucy eine Familie gründen würden und natürlich machte er sich auch Sorgen. Zwar sagte er oft genug, dass er erst Unternehmer und dann ein Mensch war, aber das war nur die halbe Wahrheit. Bevor er überhaupt Unternehmer war, war er nämlich Vater. Und das Wohl seiner Kinder lag ihm da mehr am Herzen als die Zukunft seiner Mafia-Familie. Auch wenn er ein Schwerverbrecher war, so hatte er sich immer bemüht, sich die Zeit zu nehmen, um für seine Kinder da zu sein. Er hatte ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, war mit ihnen in den Zoo gegangen und er hatte sie ihr unbeschwertes Leben leben lassen so gut es ging. Natürlich hatte er auch gewusst, dass sie eine Zielscheibe für andere Mafiagruppen waren und hatte aus diesem Grund Leute engagiert, die auf seine Kinder aufpassten, sie aber nicht in ihrem Alltag einschränkten. Wenn sein Sohn nachts als kleiner Junge Angst gehabt hatte, da hatte er ihn in den Arm genommen, nachdem die Mutter kurz nach seiner Geburt verstorben war. Jahrelang war er allein erziehend gewesen, doch es war ihm gelungen, sowohl seinen Job als Boss als auch seine Vaterpflichten unter einem Hut zu bringen. Zurückblickend konnte er sagen, dass er seine Sache gut gemacht hatte und er auf ein Leben zurückblicken konnte, in welchem er die meisten seiner Entscheidungen richtig getroffen hatte. Und nachdem er auch sein Testament bereits gemacht hatte, waren sowohl Victor als auch Lucy finanziell abgesichert. Lucy würde ihr Studium über Anthropologie weiterführen können und sie hätte ein Zuhause, in welches sie zurückkehren konnte. Und auf seine Verlobte konnte er sich verlassen, dass diese sich gut um Lucy und Victor kümmern würde, immerhin hatte sie einen sehr guten Draht zu ihnen. Victor hatte er längst in seine Geschäfte eingewiesen und er hatte auch mehr als oft unter Beweis gestellt, dass er es konnte, da machte sich Sergej keine Sorgen. Und Victor würde schon ein gutes Auge auf Lucy haben. Schließlich löste er sich wieder von seinem Sohn und ein warmherziges Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Ich bin wirklich stolz auf euch beide. Ihr werdet das schon schaffen und du weißt, dass Rachel da ist, wenn ihr Schwierigkeiten habt. Und wenn du mit der Familie Probleme hast, wende dich am besten an Dimitrij, meinen Berater. Er ist schon seit der Schulzeit ein enger Freund und ich vertraue ihm. Ich werde auch mit ihm sprechen, dass er dir unter die Arme greifen soll. Finanziell habe ich auch genug zur Seite gelegt, dass ihr alle gut versorgt seid.“ „Dad…“ Sergej atmete tief durch und fing sich wieder. Insbesondere als er den traurigen Blick seines Sohnes sah, der fast schon wirkte, als würde er in Tränen ausbrechen. „Hey, ein Mann weint nicht so einfach. Noch bin ich nicht fort, also gibt es keinen Grund zum Weinen. Ich habe mit Dimitrij geredet. Für die nächsten zehn Tage wird er die Geschäfte weiterführen und ich brauche auch mal eine Auszeit. Ich habe mir überlegt, dass wir in die Toskana fliegen könnten und Lucy überraschen. Wir könnten wieder einen gemeinsamen Familienurlaub verbringen und für eine Zeit lang diese ganzen Sorgen vergessen. Was hältst du davon?“ Überrascht sah Victor ihn an. Für gewöhnlich machten sie nur ein Mal im Jahr einen Familienurlaub und dieser war bereits. Außerdem hatten sie schon länger keinen mehr gemacht, seit Lucy im Ausland studierte und sowohl sie als auch Victor erwachsen waren. Aber der 24-jährige verstand, was es mit dieser Idee auf sich hatte. Sein Vater wollte wenigstens noch einen letzten Urlaub mit seiner Familie verbringen. Sam hatte den ganzen Tag damit verbracht, seine Sachen auszupacken, sich um Sokrates zu kümmern und mit den anderen Bewohnern wie zum Beispiel Asha oder Yin warm zu werden. Er half Christine ein wenig in der Werkstatt, während Araphel arbeitete und so verging der Tag recht entspannt und am nächsten bemerkte er, dass allgemein eine recht gelöste Stimmung herrschte und es sogar kein Problem darstellte, das Haus zu verlassen. Selbst Araphel schien kein Problem darin zu sehen, dass auch Sam mal rausging und da fragte der Detektiv natürlich auch nach. Wie er erfuhr, war etwas Ruhe in Boston eingekehrt, weil Shen und seine wichtigsten Berater nach Shanghai abgereist seien, weil dort dringende Angelegenheiten zu klären seien. Und da er weg war, gab es auch deutlich weniger Bedrohung durch die Triade, was für eine deutliche Erleichterung sorgte. Morphius teilte schließlich mit, dass Shen knapp drei Wochen weg bleiben würde und dass Sergej auch überraschend einen Urlaub mit seiner Familie plane. Keiner konnte sich erklären, warum auch noch der Patriarch verreisen wollte, doch Sam wusste Bescheid, sagte aber nichts dazu. Immerhin hatte er Sergej versprochen, über seine Diagnose Stillschweigen zu bewahren. Schließlich aber, als Araphel am nächsten Tag recht früh mit seiner Arbeit fertig war, bestellte er Sam zu sich. Dieser war zu dem Zeitpunkt in der Werkstatt und ließ sich von Christine ein paar Tricks bei der Reparatur zeigen und erfuhr durch Asha, dass der Mafiaboss nach ihm verlangte. Er wurde von dem etwas tollpatschigen aber dennoch herzensguten Mechaniker in Araphels Privatzimmer gebracht. Dort gab es ein großes Bücherregal mit mehrsprachiger Literatur, es fanden sich ein paar Fotos wieder, die ihn, seinen Adoptivvater und seine Schwester zeigten. Auf manchen war auch noch eine Frau zu sehen, die wahrscheinlich Mrs. Mason war. Araphel selbst hatte sich gegen den Billardtisch gelehnt und betrachtete gedankenversunken ein Foto. „Du wolltest mich sehen?“ fragte er, nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Langsam trat er näher heran und fragte sich, was Araphel wohl von ihm wollte. Der Mafiaboss betrachtete immer noch das Foto, welches ihn und seine Schwester als Kinder zeigte. Er selbst sah da nicht älter als zehn aus. „Was denkst du über mich?“ fragte Araphel schließlich und legte das Foto beiseite. „Was siehst du in mir, dass du darauf kommst, Gefühle für mich zu entwickeln?“ Tja, das war eine gute Frage und ganz sicher war sich Sam auch nicht. Aber dennoch versuchte er, die passenden Worte zu finden und erklärte „Ich glaube nicht, dass du durch und durch ein schlechter Mensch bist. Du hast auch eine sanfte Seite und ich weiß, dass du deine Schwester sehr geliebt hast und du unbedingt Gerechtigkeit für ihren Tod willst. Du nimmst so viel auf dich, um Christine und die anderen zu beschützen und sogar mich hast du beschützt.“ Araphel schwieg und er wirkte sehr nachdenklich. Sam erklärte „Ich glaube, dass du tief in deinem Herzen ein Beschützer bist. Und das ist es, was ich an dir mag.“ Wieder ein längeres Schweigen, während Araphel tief nachdachte. Schließlich aber fragte er „Kann ich dir genug vertrauen, wenn ich dir eine persönliche Geschichte erzähle?“ „Klar!“ versicherte Sam. „Momentan bin ich eh mehr ein Gast als ein Detektiv.“ Wieder schaute er auf das Foto, auf dem er und Ahava zu sehen waren. Seine Schwester musste auf dem Foto drei Jahre alt sein. Sie war als kleines Mädchen wirklich bezaubernd gewesen, während ihr Bruder hingegen den Eindruck erweckte, als würde er niemanden an sie heranlassen wollen. „Ich verlor meine Eltern durch einen Bombenanschlag der Palästinenser, als ich vier Jahre alt war. Danach kam ich in ein Waisenhaus in einem Vorort von Jerusalem. Dort waren die Kinder aber mehr billige Arbeitskräfte und wir wurden oft geschlagen, wenn wir ungehorsam waren. Ich lief weg, als ich sechs war und lebte auf der Straße. Irgendwie konnte ich durch Betteln und kleine Diebstähle gut überleben. Schließlich kam es zu einem offenen Feuergefecht radikaler Muslime, die der Ansicht waren, dass das Land ihnen gehöre und ich war zu dem Zeitpunkt ebenfalls vor Ort. Ich war knapp sieben Jahre alt, als ich in diesen Schusswechsel geriet und es war auf einem öffentlichen Marktplatz. Es gab mehrere Tote und Verletzte, ich war mitten in diesem Chaos und wusste nicht wohin. In dem Gedränge wäre ich fast gestürzt und totgetrampelt worden. Ein Ehepaar hat mir hochgeholfen und mich gerettet. Sie kannten mich nicht, genauso wenig wie ich sie kannte und doch halfen sie mir ohne zu zögern und nahmen mich zu ihrem Auto mit, um mich aus der Gefahrenzone zu holen. Als wir drin waren, schoss einer der Radikalen und tötete die beiden. Ich hatte mich hinten auf der Rückbank versteckt und mich hingelegt, was mir letzten Endes das Leben gerettet hatte. Ich blieb dort liegen und hatte Angst um mein Leben. Dann aber bemerkte ich das Baby neben mir. Es schrie und weinte, weil es durch den Lärm aufgeschreckt wurde und Angst hatte. Mir wurde klar, dass es das Baby des Ehepaares war, das mich gerettet hatte und ich nahm es daraufhin mit, stieg aus dem Wagen und rannte davon. Diese Menschen hatten mir das Leben gerettet, obwohl sie mich nicht kannten und sie hätten vielleicht überlebt, wenn sie es nicht getan hätten. Ich sah es deshalb ein Stück weit als meine Pflicht an, mich wenigstens um das zu kümmern, was sie zurückgelassen haben. Ich wollte dieses Baby beschützen, so wie sie mich beschützt hatten und ihnen auf dieses Weise meine Schuld zurückzuzahlen.“ Araphel sprach nicht weiter, doch Sam konnte sich so langsam denken, was das bedeutete. Und umso unglaublicher war die Story, dass er sie nicht zu glauben vermochte. „Das… das Baby war… Ahava? Dann war sie gar nicht deine leibliche Schwester?“ „Nein und ich habe ihr es auch nie gesagt“, gestand der Mafiaboss und ihm war anzusehen, dass er diese Geschichte schon sehr lange mit sich herumtrug und sie wahrscheinlich nie jemandem erzählt hatte. Für Sam war das alles kaum vorstellbar. Wie hatte es ein Siebenjähriger geschafft, sich um ein fremdes Kind zu kümmern? Als er das fragte, erfuhr er, dass Araphel durchaus Hilfe bekommen hatte. Nämlich von ein paar älteren Straßenkindern. Er hatte eine Zeit lang mit ihnen zusammengelebt und sie hatten sich gemeinsam um das Baby gekümmert. Und da Araphel es nie aus den Augen gelassen hatte und sich mit Leib und Seele darum kümmerte, hatten sie dem Baby den Namen Ahava gegeben. Denn das bedeutete im Hebräischen „Liebe“. „Zwischen Ahava und mir hat schon von Anfang an eine Bindung existiert, die weitaus tiefer war als bei normalen leiblichen Geschwistern, eben weil ich mich schon seit meiner Geburt um sie gekümmert habe. Als der Krieg damals immer schlimmer wurde, beschloss ich, dass es an der Zeit war, Israel zu verlassen und einen Ort zu suchen, an dem wir eine bessere Zukunft hatten. Als ich zehn war, stahl ich einem Soldaten eine Pistole und schlich mich mit Ahava zusammen an Bord eines Flugzeugs. Mein Plan war es, unentdeckt mitzufliegen und dann ebenso unentdeckt wieder auszusteigen. Und um zu verhindern, dass sie wieder umkehren und uns nach Israel zurückbringen könnten, hatte ich die Waffe dabei. Als wir also damals an Bord waren und uns versteckt hatten, fanden uns die Insassen der Maschine und ich richtete die Waffe auf sie wobei ich versuchte, ihnen klar zu machen, dass ich Israel verlassen wollte. Mein Englisch war noch sehr dürftig, reichte aber aus, um mich sehr grob zu verständigen. Die Männer wollten mich erschießen und die Situation wäre eskaliert, wenn da nicht ein Mann gekommen wäre, der das alles diplomatisch regelte und Verständnis für uns hatte. Er war beeindruckt, dass ich es geschafft hatte, zusammen mit Ahava an Bord der Maschine zu gelangen, ohne entdeckt zu werden und versprach mir, sich um uns zu kümmern und uns ein Zuhause zu geben. Das war Stephen Mason.“ Sam betrachtete Araphel schweigend und versuchte sich das alles vorzustellen. Und so langsam erkannte er auch den wahren Charakter des Mafiabosses und verstand ihn auch endlich. Er hatte mit seinen Ansichten Recht gehabt: Araphel war ein Beschützer. Er kämpfte für andere, auch wenn er behauptete, dass es allein für ihn selbst war. Er legte unglaublich großen Wert darauf, seine Schuld zurückzuzahlen und sein Wort zu halten. Die Rolle des Mafiabosses hatte er angenommen, weil er Stephen Mason dankbar war, dass dieser ihn und Ahava adoptiert hatte und er wollte sowohl seine als auch Ahavas Zukunft sichern, indem er für Stephen der Sohn wurde, den dieser brauchte. Er war bereit, alles zu tun, um jene zu beschützen, die ihm wichtig waren. Und dafür war er auch bereit, mit all seiner Kraft zu kämpfen und zu tun, was nötig war. Er war wirklich in jeder Hinsicht ein Löwe. Kapitel 20: Nadeln, Knebel und Fesseln -------------------------------------- „Rache ist mein Gewerbe.“ Johann Christoph Friedrich von Schiller, deutscher Dichter Eine wunderschöne Melodie klang durch den Raum. Das Lied eines Klaviers, begleitet von einer Bambusflöte. Es klang so beruhigend, dass Morphius beinahe eingedöst wäre, dabei hatte er gerade unzählige Akupunkturnadeln im Rücken stecken. Nachdem er sich über Rücken- und Nackenschmerzen beklagt hatte, hatte Dr. Heian, der auch zugelassener Akupunkteur war, ihm daraufhin eine Behandlung angeboten, um ihm zu helfen. Und so geschickt, wie er die Nadeln setzte, spürte der Informant so gut wie gar nichts. „Mh… das ist gut. Du kannst ja richtig gut mit Nadeln umgehen.“ „Ich fasse das als Beleidigung an meine jahrelange Erfahrung auf“, gab der Arzt ein klein wenig eingeschnappt zurück und setzte die nächste Nadel absichtlich etwas grob, was bei dem Informanten daraufhin ein kleines Stechen im Rücken zur Folge hatte. „Und du solltest aufpassen, mein Lieber. Ich kann dir ohne Probleme die Nerven lahm legen, oder dir die schlimmste Migräne deines Lebens verpassen. Ärgere niemals einen Akupunkteur, wenn er dir gerade die Nadeln setzt.“ „Schon kapiert. Du bist aber auch mal wieder zickig, Yu-chan. Na sag schon, was ist denn los? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Ich dachte, zwischen uns ist alles wieder gut.“ Dr. Heian schwieg und setzte die letzten beiden Nadeln, wobei er Morphius’ Rücken betrachtete, der mit unzähligen feinen Nadeln gespickt war. „Ich mache mir Gedanken“, begann der Arzt und setzte sich schließlich auf seinen Stuhl. „Araphel wirkte sehr bedrückt und war sehr schweigsam. Als ich ihm heute Morgen seine Jodtabletten vorbeigebracht habe, hat er die ganze Zeit ein altes Foto angestarrt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.“ „Das wird daran liegen, weil Sam inzwischen die ganze Wahrheit kennt.“ „Was?“ rief der Arzt und seine Miene verfinsterte sich. „Hast du alles ausgeplaudert?“ „Es war nötig“, erklärte Morphius sofort, da er wohl befürchtete, dass Dr. Heian seine Drohung ansonsten ernst machen würde. „Wenn er eine neue Sicht der Dinge gewinnt, wird er auch Araphels Motive besser verstehen.“ „Glaubst du etwa, er will, dass die ganze Welt erfährt, dass er und Ahava als Sexsklaven gehalten und zweieinhalb Monate lang gefoltert und unter den schrecklichsten Bedingungen leben mussten?“ „Als ob ich das je vorhatte. Aber da Sam jetzt in der gleichen Situation steckt wie wir und er sich mit Shen angelegt hat um Araphel zu schützen, hat er ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Christine meinte auch schon, dass es zwischen den beiden gefunkt hat und dir ist doch auch nicht entgangen, dass Sam einen starken Einfluss auf ihn hat. Vielleicht kommt er endlich mal über Ahavas Tod hinweg und schafft es, endlich nach vorne zu sehen.“ Doch so wirklich überzeugt war der Doktor noch nicht. Zwar waren er und Morphius erst seit zwei Jahren Bewohner dieses Hauses, aber als Leibarzt hatte Dr. Heian Araphels Krankenakte studiert und dabei so einiges herausgelesen, was ihm angetan wurde. Gebrochene Rippen, entzündete Wunden, durchtrennte Achillessehnen, zahlreiche Hämatome, Darmblutungen und Einrisse aufgrund zahlreicher sexueller Übergriffe und die psychischen Schäden waren weitaus gravierender gewesen. Als Arzt war es sein Bestreben, das Bestmögliche für seine Patienten zu tun und dafür zu sorgen, dass sie es gut hatten. Und er wusste, dass Araphel damals dringend eine Therapie gebraucht hätte, genauso wie Ahava. Doch selbst nach ihrem Tod hatte er nichts dergleichen getan, weil er sich nicht mit so etwas befassen wollte, oder weil er es als Schwäche ansah. Und das rächte sich jetzt. Selbst nach vier Jahren hatte er Ahavas Selbstmord nicht verkraftet und versuchte immer noch, sie zu retten, wenn auch nicht bewusst. Aber die Tatsache, dass er Christine immer mehr wie seine Schwester zu behandeln begann und ein ähnliches Verhalten auch auf Sam zu projizieren begann, sprach dafür, dass er ernste Probleme hatte und er dringend Hilfe brauchte. Er musste endlich von diesen Schuldgefühlen loskommen und die Vergangenheit ruhen lassen, aber vor allem endlich Ahavas Tod akzeptieren. „Das Problem ist“, erklärte der Arzt nach einer Weile „dass Araphel mit seiner Trauer nicht weiterkommt.“ „Wie meinst du das?“ „Es gibt vier Phasen der Trauer: Verleugnung, emotionaler Zusammenbruch, Akzeptanz und dann kommt der Neubeginn. Jeder Mensch braucht unterschiedlich lange, um Trauer zu verarbeiten, aber Araphel steckt selbst nach vier Jahren immer noch in dieser Verleugnung fest, weil er immer noch seine Schwester zu retten versucht. Er lässt es nicht zu, in diese nächste Phase reinzukommen, weil er keinen Neuanfang zulassen will. Denn das würde bedeuten, Ahavas Tod zu akzeptieren und mit der Trauer aufzuhören. Er wird den Rest seines Lebens darin gefangen sein, wenn er nicht schon vorher zugrunde geht.“ „Ich glaube, er ist auf einen guten Weg“, wandte Morphius ein, der bäuchlings auf der Liege lag und den Kopf auf seinen Armen gebettet hatte. „Und ich denke, dass er durch Sam schon die Kraft finden wird, über den Tod seiner Schwester hinwegzukommen. Deshalb habe ich die Geschichte ausgepackt: damit Sam ihm helfen kann. Ein bisschen gesunder Optimismus schadet ja nicht und da Shen gerade eh nicht im Lande ist, haben wir auch mal eine Pause. Außerdem werde ich Sam noch ein wenig unter die Arme greifen. Er hat vor, selbst etwas gegen die Zustände in Boston zu unternehmen und schaden kann es ja nicht.“ „Manchmal frage ich mich wirklich, ob du nicht vielleicht etwas zu sorglos bist.“ Schließlich begann Dr. Heian damit, die Nadeln wieder herauszuziehen und legte sie in eine kleine Schale. „Ach komm. Ich kann nicht immer nur ein Zyniker mit dem Blick eines mürrischen Stubentigers sein. Ich hab durchaus auch sympathische Seiten, Yu-chan.“ „Ja. Zu schade, dass man sie kaum zu Gesicht kriegt.“ Als schließlich alle Nadeln aus Morphius’ Rücken entfernt waren, setzte sich dieser auf und zog seinen Liebsten zu sich heran und küsste ihn. Ein verführerischer und einladender Kuss, den der Arzt erwidern musste. „Was ist?“ fragte der Informant auch schon. „Lust auf eine kleine Runde, nachdem wir die Nadelsession hinter uns haben?“ „Du bist aber auch echt der einzige Mensch, den ich kenne, der eine Akupunkturbehandlung als Vorspiel ansieht. Und was ist überhaupt mit deinem Rücken?“ „Alles bestens“, versicherte Morphius und begann dem Arzt nun den Kittel auszuziehen, da bekam er direkt einen leichten Klaps auf den Kopf. „Nicht hier“, erklärte dieser klipp und klar. „Immerhin behandele ich hier meine Patienten.“ „Macht es das nicht heißer?“ fragte der Informant frech und nahm dem 34-jährigen spielerisch die Krawatte ab. „Wir könnten ja ein kleines Rollenspiel machen. Ich bin der Patient und du mein Arzt, der mir eine besondere Be…“ Hier kniff Dr. Heian ihm in die Nase und funkelte ihn ärgerlich an. Manchmal fragte er sich ernsthaft, wie er sich nur in diesen Spinner hatte verlieben können. „Ich habe dir gesagt, dass ich so etwas nicht in einem Behandlungszimmer mache, wo ich noch andere Patienten untersuche.“ „Kannst ja nachher sauber machen.“ „Es geht mir ums Prinzip“, erklärte der Doktor mit Nachdruck in der Stimme. „Ich nehme meinen Beruf sehr ernst im Gegensatz zu dir und wenn ich sage, dass meine Gerätschaften nur zur Untersuchung da sind, dann meine ich das auch so.“ Ein bisschen enttäuscht wurde Morphius still und schmollte ein wenig. Insgeheim hatte er sich ja ein klein wenig Spaß erhofft, aber so wie es ausschaute, machte selbst „Dr. Tod“ nicht bei dem Spiel mit. Naja, es war zumindest einen Versuch wert gewesen. Also verließen sie das Untersuchungszimmer und auf dem Flur angekommen fragte der Informant direkt „Zu dir oder zu mir?“ „Zu mir“, erklärte der Doktor direkt. „Nach der Frechheit, die du dir geleistet hast, wirst du erst mal Wiedergutmachung leisten müssen.“ „Als ob du nicht daran denken würdest, es mit mir mal in einem deiner Untersuchungszimmer zu machen.“ „Tu mir einen Gefallen und verreck an dem Parasiten, der dein eh schon missgebildetes Telencephalon zersetzt und dich diese cerebrale Diarrhö erzählen lässt.“ „Ja ich liebe dich auch, Schatz.“ Damit gab der Informant ihm einen Kuss und so gingen sie gemeinsam in Dr. Heians Zimmer. Zwar waren sie jetzt wieder zusammen, bewohnten aber immer noch getrennte Schlafräume, da beide zu äußerst unregelmäßigen Zeiten arbeiteten und Dr. Heian ohnehin einen sehr leichten Schlaf hatte. Außerdem sorgte es für ein bisschen Abwechslung. Als sie die Tür öffneten, war es dunkel und als das Licht angeschaltet wurde, sah man, dass absolute Ordnung herrschte. Nirgendwo lag etwas herum, es fand sich kein Fitzelchen Staub. Ein deutliches Zeichen dafür, dass hier ein sehr ordentlicher Mensch lebte. Selbst das Bett war so ordentlich gemacht, dass man beinahe denken könnte, dass hier niemand wohnte. „Du bist echt der gleiche Ordnungsfreak wie früher“, bemerkte Morphius, als er die Ordnung sah, woraufhin der Arzt zurückkonterte „Im Gegensatz zu dir weiß ich eben Ordnung zu halten.“ „Ich hab ein geordnetes Chaos.“ „Eine bessere Ausrede fällt dir auch nicht ein, oder? Und jetzt zieh dich aus und aufs Bett mit dir.“ Der Informant gehorchte und legte seinen Hut auf das Nachttischchen und zog dann sein Shirt aus, wobei er sich dabei natürlich ein wenig Zeit ließ und seinem Doktor eine gute Show liefern wollte. Immerhin waren sie ja jetzt wieder ein Paar und hatten die Streitigkeiten der Vergangenheit geklärt. Und diese kleine Show verfehlte ihre Wirkung durchaus nicht, denn er sah, dass sein geliebter „Yu-chan“ sehr auf seinen gut gebauten Oberkörper reagierte. Ja, der Informant wusste genau, worauf sein Liebster stand. Als er sich unten rum zu entkleiden begann, war auch schon Dr. Heian bei ihm, der ihn auch schon aufs Bett drückte und sein Hemd abgelegt hatte. „Warum musst du mich immer so verrückt machen?“ fragte der 34-jährige, beugte sich zu ihm herab und küsste ihn. Es war ein langer und leidenschaftlicher Kuss, der Erinnerungen weckte. An die Jahre, die sie als Paar zusammengelebt hatten und wie sie fast jede freie Minute zusammen verbracht hatten, wie ein total verrücktes Liebespaar. Und selbst an das eine oder andere heiße Schäferstündchen im Bereitschaftszimmer des Krankenhauses konnten sie sich beide erinnern. Auch wenn sie nach der Trennung öfter mal miteinander geschlafen hatten, kam es ihnen so vor, als wäre es schon viel zu lange her, seit sie sich so geküsst hatten. Als der 34-jährige dem Informanten spielerisch in die Lippe biss, funkelte etwas in seinen Augen auf. Ein kleines diabolisches Leuchten, welches Morphius sofort als den von „Dr. Tod“ erkannte. Die düstere Seite seines Geliebten. „Oh ich mag diesen Blick an dir“, raunte er leise. „Also? Was willst du mir antun?“ „Dich erst mal zum Schweigen bringen.“ Damit verpasste der Doktor ihm einen Knebel und band Morphius’ Handgelenke an die oberen Bettpfosten fest. „Du hast jetzt erst mal Sendepause, mein Lieber.“ Damit legte der 34-jährige seine Brille auf das Nachttischchen, denn die wäre nur störend gewesen. Für heute hatte er sich spontan etwas überlegt und er war sich sicher, dass es Morphius genauso gefallen würde. Langsam strichen seine Hände über den durchtrainierten Oberkörper des Informanten, fühlten die Muskeln und wie sich dessen Brust während der Atmung langsam hob und senkte. Ein Körper, bei dem man einfach nur schwach werden konnte. Hieraufhin beugte sich der 34-jährige herab, küsste Morphs Hals und seine Brust, und saugte sich an einer besonders sensiblen Stelle fest, um einen Knutschfleck zu hinterlassen. Erst ging er noch langsam und sanft vor, auch um seinen Liebsten ein wenig zappeln zu lassen. „Manchmal gefällst du mir wirklich besser, wenn du nichts sagen kannst.“ „Mhn…“ Morphius genoss sichtlich dieses kleine Spiel und spürte, wie sich eine Hand langsam und spielerisch zwischen seine Beine schob und seinen Penis zu streicheln begann. Erst nur kurz und oberflächlich. Eine zarte Berührung, bevor sich die Hand schloss und der Griff fester und die Bewegungen schneller wurden. Diese Stimulation blieb nicht ohne Folgen, denn der Informant spürte deutlich, wie ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper ging. „Mh… hm…“ Dr. Heian schaute nicht wirklich auf, als Morphius diese Laute von sich gab. Nein, er wusste, dass er ihn genau dort hatte, wo er wollte, aber so schnell wollte er nicht zur Sache kommen. Er war eben ein Genießer, der das Vorspiel auch mal ein wenig in die Länge zog. So war auch der Spaß danach umso größer. Und so beugte er sich noch etwas vor und umspielte die Spitze mit seiner Zunge, massierte den Schaft und die Hoden und spürte, wie Morphs Glied hart wurde und in seiner Hand anschwoll. Sogleich ließ er aber von ihm ab, denn es galt nun, zur nächsten Phase überzugehen. Aus der Schublade des Nachtschränkchens holte er das Gleitgel und dann noch ein kleines Spielzeug, was sie ab und zu mal benutzten: ein Vibrator. Er gab etwas von dem Gleitgel etwas auf seine Hand und führte dann zwei Finger tief in den After des 34-jährigen ein. Er spürte die Hitze und wie sich die inneren Muskeln fest um seine Finger schlossen. Und er brauchte nicht wirklich lange, um jenen besonderen Punkt zu finden, der Morphius Black in Ekstase versetzte und ihn gleich wilder werden ließ. Er kannte jede einzelne sensible Stelle an Morphius’ Körper und wusste, wie er ihn in Stimmung bringen konnte. Als er ihn schließlich genug vorbereitet hatte, zog er seine Finger heraus und gab noch etwas Gleitgel auf den Vibrator, bevor er diesen einführte. Ließ ihn tief in den After des Gefesselten eindringen, bevor er ihn anschaltete. Ein leises Surren ertönte. Ein ersticktes, lustvolles Stöhnen drang durch den Knebel und Morphius’ Körper zitterte unter dieser starken Stimulation. So hätte er ihn eigentlich lassen können… eigentlich. Aber noch war der Doktor nicht fertig. Er wollte sich ja auch seinen Spaß abholen. Also öffnete er seinen Gürtel und entledigte sich dem Rest seiner Kleidung. Dann gab er noch ein bisschen Gleitgel auf seine Hand und nachdem er es auf seine Fingerspitzen verteilt hatte, führte er zwei Finger ein, um sich selbst vorzubereiten. Da der Informant ja gefesselt war, konnte der das ja wohl schlecht machen. Und so konnte er Morphius auch eine kleine Show bieten. Zugegeben, es war bei weitem nicht das Gleiche, wenn er es selbst machte, aber er wollte Morphius auch nicht von seinen Fesseln befreien. Das hätte ja noch den ganzen Spaß genommen. „Na? Ahnst du schon, was ich gleich mit dir mache, Makoto?“ fragte der Doktor herausfordernd und ein Lächeln spielte sich auf seine Lippen, das deutlich von Überlegenheit zeugte. Neugier, aber vor allem auch Ungeduld waren in den Augen des Informanten zu sehen, der es kaum erwarten konnte. Schließlich positionierte sich der 34-jährige direkt über den Gefesselten, senkte dann langsam seine Hüften herab und ließ Morphius’ Penis in sich eindringen. Es war ewig her, dass er es auf diese Weise mit ihm gemacht hatte, aber musste zugeben, dass das hier auch seinen Reiz hatte. Als er seine Hüften rhythmisch auf und ab senkte, verkrallten sich seine Hände ins Bettlaken und er spürte, wie Morphius selbst seine Hüften in Bewegung setzte so gut es ging. Da ihm das aber nicht reichte, legte er etwas mehr Kraft rein und suchte nach einer geeigneten Position, die sich am allerbesten anfühlte. Dann aber hatte er endlich die perfekte Position gefunden. Die Position, in der er es am intensivsten spürte. Sein Atem ging nun schwerer und ein starkes Kribbeln ging durch seine Lenden und Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Eine Welle der Lust ergriff von seinem Körper Besitz und er verlor den letzten Rest seiner Selbstkontrolle. Er wollte mehr. Er wollte es mit jeder Faser seines Körpers spüren und selbst von derselben Ekstase erfasst und davongetragen wurde. Jeder Gedanke wurde ausgelöscht und er wurde vollständig von dieser atemberaubenden Lust erfasst, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte und ihn alles vergessen ließ. „M… Makoto“, keuchte er und sah in die Augen des Informanten, die mehr zu sagen vermochten als tausend Worte. „Ich liebe dich auch, Makoto…“ Dr. Heian rang nach Luft, als er spürte, wie sein Herz immer wilder in seiner Brust schlug. Ihm war so unbeschreiblich heiß zumute und ein unbeschreibliches Feuer loderte in seinen Lenden. Seine Stimme zitterte und ihm wurde schwindelig. Lange würde er nicht durchhalten können und auch Morphius schien gleich soweit zu sein. „Warte noch“, keuchte der 34-jährige. „Erst bin ich dran.“ Um sich selbst endlich zum ersehnten Höhepunkt zu bringen, legte er selbst noch mal Hand an und begann sein Glied zu massieren. Diese doppelte Befriedigung versetzte ihn vollständig in Ekstase. Sein Körper bebte unter den unbeschreiblich intensiven Lustschauern und Sterne begannen vor seinen Augen zu tanzen, als er dann endlich zu seinem Orgasmus kam. Um Morphius von seinem Leid zu erlösen, hob er seine Hüften an und entfernte sich von ihm und ließ den gefesselten Informanten dann zu seinem Orgasmus kommen. Nachdem er sich kurz gesammelt hatte, nahm der 34-jährige ihm wieder den Knebel ab und band ihn von den Fesseln los, nachdem er ihn auch von dem Vibrator erlöst hatte. Als sich Morphius dann aber aufsetzen wollte, bewegte er sich dabei so ungünstig, dass sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte, als er sich den Rücken verrenkte. Ein schmerzvolles Stöhnen entwich ihm und sogleich ließ er sich wieder aufs Bett fallen. „Au verdammt“, keuchte er. „Ich glaub, mir kommt gleich die Wirbelsäule raus.“ „Ich hab es mir ja gedacht, dass das passiert“, seufzte der Doktor und drehte den Leidenden auf den Bauch. „Und ich hab dir oft genug gesagt, dass Akupunktur Probleme nicht sofort löst. Und jetzt halt still, ich renke dir den Rücken eben wieder ein.“ „Bitte mach schnell, Yu-chan!“ Vorsichtig tastete sich der Doktor voran und es gelang ihm mit ein paar gezielten Griffen, den lädierten Rücken wieder vernünftig einzurenken, allerdings wirkte der Schmerz immer noch nach. „Ich glaube, wir machen gleich noch mal eine Akupunkturbehandlung“, murmelte er. „Aber danach legst du dich hin! Ansonsten hast du wieder die gleiche Situation.“ Die romantische Stimmung war dahin und Dr. Heian hatte wieder in seinen etwas kühlen und sachlichen Ärzteton zurückgefunden, als er Morphius die weitere Vorgehensweise erklärte. Er half ihm hoch und während sich der Informant ins Bad schleppte, zog der Arzt sich wieder an und ging auf den Flur raus, um die nächste Behandlung vorzubereiten. Auf dem Gang begegnete er schließlich Christine. „Ist alles in Ordnung?“ fragte sie verwundert. „Da hat jemand geschrieen, als hätte er einen Stock im Arsch gehabt.“ „Morph hat sich den Rücken verrenkt und bekommt gleich eine Akupunkturbehandlung. Ach ja, morgen früh um acht kommst du bitte zu mir zur Untersuchung.“ Die Rothaarige starrte ihn ungläubig an, schüttelte den Kopf und schmunzelte leicht. „Ich will gar nicht wissen, wie heftig ihr beiden es treibt, dass du ihm den Rücken verrenkst. Mein lieber Scholli… Ich hab’s ja geahnt, dass ihr ein echt schräges Paar seid.“ „Die Information ist angekommen…“ Damit gingen sie beide wieder ihrer Wege. Dr. Heian ging ins Behandlungszimmer, um die nächste Akupunkturbehandlung für Morphius vorzubereiten, Christine ging in Richtung Werkstatt, wobei sie sich ein amüsiertes Grinsen und ein leises Kichern natürlich nicht verkneifen konnte. Tja, sie hatte eben ein sehr gutes Gespür, was gewisse Dinge betraf. Kapitel 21: Geständnisse ------------------------ „Dass der Mensch erlöst werde von der Rache: Das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.“ Friedrich Wilhelm Nietzsche, deutscher Philosoph Nachdem Sam nicht mehr in der Werkstatt gebraucht wurde, hatte er diese verlassen und wollte duschen gehen. Seine Hände waren schmutzig und rochen nach Motorenöl. Den ganzen Nachmittag hatte er Asha und Christine geholfen, während Yin, die nicht so viel technisches Geschick besaß, meist Aufräum- und Reinigungsarbeiten erledigte. Die Arbeit hatte ihm wirklich Spaß gemacht und er hatte einige interessante Tricks gelernt. Auch sonst war es eine recht lustige Runde gewesen. Christine war mit ihren Geschichten die wohl größte Unterhaltung gewesen und Asha hatte es sich nicht nehmen lassen, ein paar schmutzige Witze zu erzählen, die er mal aufgeschnappt hatte. Aber nun war er auch erschöpft und es gab nichts mehr zu tun. Yin und Asha wollten eine Bestandsaufnahme in der Werkstatt machen, während Christine ein Autoschiebergeschäft über die Bühne bringen wollte. Nach dem Tag in der Werkstatt hatte er sich seinen Feierabend und eine heiße Dusche wirklich verdient. Als er zu seinem Zimmer ging, hörte er ein gequältes Stöhnen aus einem Zimmer kommen. Es klang ganz arg danach, als würde da jemand ziemliche Schmerzen haben und so öffnete er die Tür, um nach dem Rechten zu sehen. Er rechnete so ziemlich mit allem, nur nicht damit, dass Morphius Black splitterfasernackt bäuchlings aus einem Bett lag, nicht weit entfernt ein Knebel und Sexspielzeug. Neben ihm saß niemand anderes als Dr. Heian, der ihm gerade Akupunkturnadeln in den Rücken stach. „Oh, entschuldigt“, rief der Detektiv hastig und wandte den Blick an. „Ich hab gedacht, dass hier was Ernstes vorliegt.“ „Nichts, was der Rede wert wäre“, erklärte der Doktor und stach die nächste Nadel in den Rücken. „Er ist nur halt eine kleine Dramaqueen.“ Sam ließ die beiden wieder alleine und verschloss schnell das Zimmer. Na die beiden hatten ja mehr als seltsame Praktiken. Und umso erstaunter war er, dass die zwei offenbar etwas miteinander hatten. Naja, Morphius hatte ja mal erwähnt gehabt, dass er und der Doktor sich schon seit der Uni kannten. Oh Mann, war das gerade peinlich gewesen. Am besten vergaß er das gleich lieber. Schnell ging Sam in sein Zimmer und versuchte, dieses Erlebnis schnell wieder aus seinem Gedächtnis zu streichen. Als er ins Bad ging und sich vor dem Spiegel auszog, erschrak er erst mal ziemlich, als er sah, wie hässlich die blauen Flecken inzwischen aussahen, die Araphel ihm verpasst hatte, als die Sache mit Shen passiert war. In der letzten Zeit hatte er es vorsorglich vermieden, in den Spiegel zu sehen, da er wusste, dass es kein schöner Anblick werden würde, aber nun hatte die Neugier gesiegt und er wünschte sich, sie hätte es nicht getan. Er sah aus, als hätte er sich von einem Dutzend Boxer durch den Fleischwolf drehen lassen. Aber… diese blauen Flecken würden verschwinden und keine Spuren zurücklassen. Was war mit Araphel? Er war bis ans Ende seines Lebens gebrandmarkt und würde für immer daran erinnert werden, was ihm widerfahren war. Er hatte nicht das Recht, über ein paar blaue Flecken zu jammern, die in ein paar Tagen eh verblasst sein würden. Immerhin hatte er nichts gebrochen, obwohl Araphel ziemlich brutal zugeschlagen hatte. Als sich leise die Tür zum Bad öffnete und er im Spiegelbild Araphel sah, wandte er sich überrascht zu dem Mafiaboss um, der den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet hatte und auch sonst den Anschein erweckte, als hätte er seine Arbeit beendet. „Araphel… was machst du hier?“ „Das hier ist mein Haus“, erklärte der 31-jährige unbeeindruckt. „Außerdem habe ich meine Arbeit für heute beendet und ich könnte eine kleine Ablenkung sehr gut gebrauchen.“ Nun, Sam konnte sich schon denken, was er damit meinte. „Okay“, sagte er daraufhin. „Ich geh nur eben schnell duschen.“ Doch Araphel machte keine Anstalten, das Bad zu verlassen und so ganz sicher war sich Sam nicht, was der Mafiaboss jetzt vorhatte. Und da er jetzt da war, gab es auch einige Fragen, die ihm auf der Seele lasteten. Das entging Araphel durchaus nicht und darum fragte er auch nach „Was beschäftigt dich?“ „Ich bin mir nicht sicher, was das jetzt zwischen uns ist. Es ist so viel passiert in den letzten Tagen und es hat sich so viel geändert. Ich weiß einfach nicht, was ich für dich bin. Ein Gefangener, ein Bespaßungsobjekt, oder vielleicht jemand, in dem du deine Schwester siehst?“ Hieraufhin kam Araphel auf ihn zu, doch Sam blieb stehen und machte keine Anstalten, zu flüchten oder den Mafiaboss abzuwehren. Als dieser nah genug war, hob er Sams Kinn an und küsste ihn. „Wenn du mein Gefangener wärst, dann wärst du jetzt noch im Keller“, antwortete er und als sich ihre Blicke trafen, war dem Detektiv so, als würde wieder eine unergründliche Tiefe in Araphels dunklen Augen liegen. Wie der Ozean. „Und es stimmt zwar, dass du und Ahava viele Ähnlichkeiten habt. Vielleicht ein paar zu viel, aber ich sehe dich nicht als sie an. Wenn ich das täte, dann würde ganz gewiss nicht mit dir schlafen.“ „Warum? So wie du Ahava betrauerst, kommt es mir so vor, als hättest du mehr für sie empfunden.“ Nun ließ Araphel plötzlich von ihm ab und Sam fragte sich, ob er vielleicht zu weit gegangen war und er ärgerte sich auch, dass er das gesagt hatte. Es war ihm einfach so durch den Kopf gegangen und er hatte es ohne großartig nachzudenken ausgesprochen. „Das stimmt, ich habe sie geliebt“, gab der Mafiaboss ohne weiteres zu. „Aber nicht auf die Art und Weise, wie du es dir vorstellst. Die Art der Liebe, die wir füreinander empfanden, war weitaus tiefer, als sie bei Geschwistern normalerweise ist. Doch sie ging nicht tief genug, als dass wir je daran gedacht hätten, intim zu werden. Trotz allem waren wir immer noch Bruder und Schwester, wenn auch nicht durch Verwandtschaft. Sie war mein Licht, das mich durch die Dunkelheit geleitet hat und der Grund, warum ich den Weg gewählt habe, den ich ging. Für mich war sie als Kind die einzige Familie, die ich hatte. Aber das alles hat mit dir nichts zu tun.“ „Was bin ich dann für dich?“ fragte Sam erneut, dieses Mal aber mit Nachdruck in der Stimme. „Wenn ich für dich kein Gefangener und kein Ersatz für deine tote Schwester bin, was bin ich für dich?“ „Jemand, der mir sehr wichtig ist“, antwortete Araphel und strich ihm sanft über die Wange. „Wichtiger als jeder andere um mich herum. Einem Gast hätte ich nie etwas aus meiner Vergangenheit preisgegeben, geschweige denn mein größtes Geheimnis offenbart.“ Nun war Sam endgültig sprachlos und er konnte es nicht glauben, was Araphel da sagte. Zwar war schon allein die Tatsache, dass Araphel ihm sein persönlichstes Geheimnis offenbart hatte, ein Beweis gewesen, dass er ihm viel bedeutete. Aber nie hätte er erwartet, es nun so direkt von ihm zu hören. Er war überwältigt, aber auch gleichzeitig glücklich zu hören, dass er Araphel so viel bedeutete. Mit einem glücklichen Lächeln umarmte er den Mafiaboss und spürte, wie die Umarmung sogleich erwidert wurde. Es herrschte eine sehr innige Atmosphäre zwischen ihnen in diesem Moment. Ehe sich Sam versah, waren sie beide in der Dusche gelandet und heißes Wasser prasselte auf sie beide herab. So wirklich hatte der Detektiv gar nicht realisiert, wie sie dazu gekommen waren, gemeinsam zu duschen. Er hatte sich wohl einfach zu sehr vom Moment hinreißen lassen. Sam stand mit dem Gesicht zu den Fliesen, Araphel den Rücken zugewandt. Und der Mafiaboss ließ es sich natürlich nicht nehmen und nutzte die Gelegenheit, um Sam zu waschen. Dazu nahm er sich das in Reichweite liegende Duschgel und begann den dabei entstehenden Seifenschaum über seinen Körper zu verteilen. Durch das Duschgel und dem Wasser glitt er leicht über Sams Körper und umspielte dabei seine besonders sensiblen Stellen, wie etwa der Hals und die Brust. Sam, der durch diese spezielle Wäsche recht erregt wurde, stürzte seine Hände an den Fliesen ab und versuchte, sich nicht allzu viel anmerken zu lassen. Doch das nahm Araphel zum Anlass, um das Ganze noch weiter zu intensivieren. Und als eine Hand zwischen Sams Beine glitt, ertastete sie auch schon seine Erregung, woraufhin der Mafiaboss zärtlich seine Halsbeuge küsste. Immer noch schwirrten seine Worte in Sams Kopf herum und es kam ihm alles so vor wie in einem Traum. Nie hätte er gedacht, dass er sich mal in seinen Feind verlieben würde, den er ins Gefängnis bringen wollte. Und noch weniger hätte er gedacht, dass sein Feind sich ebenso in ihn verlieben würde. „Mh… Araphel…“ Das warme Wasser wusch nach und nach wieder den Schaum von seinem Körper und ihm war, als würde er alles viel sensibler wahrnehmen als sonst. Er wollte nicht mehr länger warten. Der Mafiaboss ebenso wenig. Sam spürte Araphels Finger langsam in sich eindringen und wie sie seinen Schließmuskel zu dehnen begannen. Inzwischen war er diese anfangs sehr unangenehme Prozedur gewöhnt und empfand sie nun mehr als ein Teil dieses Spiels, der einfach dazugehörte und nicht fehlen durfte. Er liebte es, wenn Araphel ihn auf diese zärtliche Art und Weise berührte. Und jetzt, da er nun wusste, was er wirklich für den Mafiaboss war, umso mehr. Bereitwillig beugte er sich noch etwas weiter vor und streckte seinen Körper Araphels Fingern entgegen, damit sie noch tiefer in ihn eindringen konnten. „Warum bist du eigentlich zurückgekehrt?“ hörte er den Mafiaboss fragen. „Du hättest einfach weglaufen können.“ „Ich weiß, aber ich wollte nicht“, antwortete Sam unter leisem Keuchen. „Ich habe nicht wirklich daran gedacht, von hier abzuhauen, um dir zu entkommen. Alles, was ich wollte war, Lawrence zu sprechen und mehr nicht.“ „Warum?“ „Tja… ich schätze weil ich erkannt habe, wie viel ich inzwischen für dich fühle.“ Daraufhin drehte sich der Detektiv so gut es ging zu ihm um und küsste ihn. Schließlich aber hatte Araphel ihn genug vorbereitet und Sam, der wusste, was nun folgen würde, stützte sich so gut es ging an den Fliesen ab und beugte sich dabei vor. Tief atmete er durch und spürte, wie der wachsende Druck seine inneren Muskeln immer weiter anspannte. Ein leises Keuchen entwich ihm, doch durch die hohe Luftfeuchtigkeit fiel ihm das Atmen schwer. Araphel drang mühelos in ihn ein und hielt dabei seine Hüften fest gepackt. „Mh… ah!“ Sam hatte erhebliche Schwierigkeiten, weiterhin Halt an den Fliesen zu finden und rutschte immer wieder ab. Außerdem war ihm durch den ganzen Wasserdampf in der Dusche ein wenig schwindelig. Araphels Stöße wurden immer härter und trafen ihn immer an diesem einen ganz besonderen Punkt. Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an und es fiel ihm in diesem Moment schwer zu glauben, dass er es am Anfang so gehasst hatte. Es war für ihn auch nie wirklich vorstellbar gewesen, etwas mit einem Mann zu haben, da er bislang immer weibliche Beziehungen gepflegt hatte. „Ah… aaah!“ Als Sam spürte, wie er langsam aber sicher an sein Limit kam, merkte er, wie ihm das Atmen immer schwerer fiel. Doch er wollte nicht aufhören, nicht jetzt. Das war jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Er spürte, wie sich ein Arm von Araphel um seinen Körper legte, um ihn festzuhalten. Sein starker Arm, auf den Sam vertrauen konnte. Das Gefühl, sich in seine Arme zu legen und sich einfach fallen zu lassen, half ihm einigermaßen, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dann schließlich wurde für einen Moment alles weiß vor seinen Augen, als er zu seinem Orgasmus kam. Ein wenig benommen sank er zusammen und hatte das Gefühl, als wären seine Knie weich geworden. Araphel hielt ihn fest, doch Sam merkte, dass er es in diesem Bad nicht lange schaffen würde. „Me… mein Asthma…“, keuchte er und Araphel, der zum Glück verstand, was los war, holte das Asthmaspray aus Sams Hosentasche und gab es ihm. Nachdem der Detektiv einen tiefen Zug genommen hatte, brachte der Mafiaboss ihn lieber erst einmal aus dem Bad raus und brachte ihn ins Schlafzimmer. „Geht es wieder?“ Etwas benommen nickte Sam und begann sich abzutrocknen. „Es geht schon. Es ist nur so, dass es bei hoher Luftfeuchtigkeit schlimmer wird. Das ist aber häufig so.“ „Warum hast du nichts gesagt?“ „Manchmal klappt es halt ganz gut und für den Notfall hab ich mein Spray immer griffbereit. Ich hab auch schon mal mitten beim Sex einen Anfall gekriegt, weil ich es mit meiner damaligen Freundin etwas zu heftig getrieben habe. Es ist zwar nervig, aber ich will mich auch nicht sonderlich einschränken, nur weil ich Asthma habe.“ „Und wieso hast du dir dann so einen Beruf ausgesucht?“ „Na weil ich eben meinen Vater stolz machen wollte“, erklärte Sam und begann seine Haare zu trocknen. „Bei uns ist jeder ein Polizist geworden, nur ich nicht. Dementsprechend hat er sich nur auf Lawrence konzentriert und ich war für ihn abgeschrieben. Ich bin Detektiv geworden, weil das für mich die einzige Möglichkeit war und ich eben auch die Anerkennung meines Vaters haben wollte. Tja, wer will das nicht? Aber bis zu seinem Tod war ich nur noch heiße Luft für ihn. Ein Sohn, der aus gesundheitlichen Gründen kein Polizist werden kann, ist zu nichts zu gebrauchen.“ Araphel betrachtete ihn eine Weile schweigend und dachte nach. Er selbst hatte diese Probleme nie gehabt, aber er kannte den Wunsch, den Sam hatte. Bei ihm war es nicht anders gewesen. „Väter sind meist sture Dummköpfe“, sagte er schließlich und setzte sich zu Sam aufs Bett. Er trug lediglich ein Handtuch um die Hüften und ein paar Wassertropfen tropften von seinem Haar. „Von den Söhnen erwarten sie immer, dass sie in die Fußstapfen ihrer alten Herren treten und die Töchter behüten sie wie eine kleine Prinzessin. Ich glaube, in der Hinsicht sind fast alle Väter gleich. Und dein Vater scheint mir einer von der schlimmen Sorte zu sein.“ „Und wie war deiner?“ „Hm?“ fragte Araphel nun verwundert. „Mein Vater? Nun, an meine leiblichen Eltern erinnere ich mich gar nicht mehr so wirklich. Und Stephen war ein guter Vater gewesen. Auch wenn er kriminelle Geschäfte getätigt hat und nicht zimperlich mit seinen Mitmenschen umgegangen ist, so hatte er auch eine gute Seite. Als Ahava und ich uns in sein Flugzeug geschlichen haben, um aus Israel zu fliehen, da hätten seine Leibwächter uns fast umgebracht, aber er blieb ganz gelassen, obwohl ich ihm eine geladene Pistole vor die Nase hielt. Er fragte mich einfach, ob ich eine Familie hätte, wie alt ich bin und wie ich heiße und dann sagte er mir, dass er sich von nun an um uns kümmern würde. Er hätte sich ohnehin schon immer einen Sohn gewünscht, nachdem sein leiblicher verstorben ist. Er hat uns immer wie seine Kinder behandelt und wenn jemand uns als Adoptivkinder bezeichnete, pflegte er immer zu sagen, dass er dieses Wort nicht hören wolle, weil wir seine Kinder sind.“ „Habt ihr auch Familienausflüge gemacht?“ „Klar, wenn er Zeit hatte. Wir sind dann wie eine normale Familie in den Zoo gegangen oder auch mal ans Meer gefahren und haben wie alle anderen Kinder gelebt. Nur halt mit dem Unterschied, dass Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, wenn es Ärger mit einem anderen Clan gab. Aber es war nicht so, als hätten wir kein normales Familienleben gehabt.“ Diese Erkenntnis erstaunte Sam. Er hatte nie so wirklich ein Bild davon gehabt, wie das Leben von Kindern war, deren Vater ein Mafiaboss war. Nun, er hatte sich das eher so vorgestellt, dass die Söhne unter Druck gesetzt wurden, um eines Tages die Nachfolge zu übernehmen. Aber anscheinend hatte er da wohl falsch gelegen. „Mein Vater war mit dem Patriarchen schon seit Jugendtagen befreundet und sie sind zusammen zur Schule gegangen. Stephen war sogar der Taufpate von Sergejs Sohn gewesen.“ „Echt? Ich dachte, sie sind erst seit elf Jahren befreundet.“ „Da begann die geschäftliche Freundschaft, vorher waren sie geschäftlich Feinde, haben aber dennoch versucht, sich möglichst selten in die Quere zu kommen. Persönliche Gefühle haben im Mafiageschäft nichts zu suchen.“ Ja, das wusste er auch und hatte es bereits zu spüren bekommen. Und deshalb konnte er es sich auch nicht wirklich vorstellen, ein Teil der Mafia zu sein. „Wolltest du selber je Mafiaboss werden?“ „Nein“, antwortete Araphel ehrlich. „Aber ich hatte keine anderen Zukunftswünsche gehabt. Damals wollte ich meinen Vater stolz machen und der Sohn werden, den er sich gewünscht hat. Ich wollte ihm damit das zurückzahlen, was er für mich und Ahava getan hat. Aber an manchen Tagen habe ich mir überlegt, was ich lieber tun würde.“ Sam legte seinen Kopf auf Araphels Schulter und nahm seine Hand. Es war das erste Mal, dass sie so offen und ehrlich miteinander sprachen und dabei auch noch über so persönliche Dinge. Aber er spürte auch, wie sehr es auch Araphel gut tat. Ahava war der einzige Mensch gewesen, dem er so persönliche Dinge anvertrauen konnte und vier Jahre lang hatte er niemanden gehabt. Nun war er, Sam Leens, der erste Mensch seit vier Jahren, mit dem der Mafiaboss einfach als Araphel Mason reden und den Mantel als Mafiaboss ablegen konnte. „Und was wäre das zum Beispiel?“ „Als ich 16 Jahre alt war, hat Sergej uns mal in die Toskana mitgenommen. Es gab da ein kleines Weingut, wo wir eine Zeit lang verbracht haben. Immer, wenn ich das Gefühl habe, ich müsse mit meinem Leben als angehender Mafiaboss brechen, da dachte ich immer an diesen Ort zurück. Ich brauche kein Leben in Reichtum oder mit großer Macht. Das habe ich noch nie gebraucht. Ich würde auch mit einem bescheidenen Leben auf einem toskanischen Weingut zufrieden sein. Manchmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, diesen Plan durchzuziehen, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin.“ „Du meinst deine Rache an Shen?“ Der Mafiaboss nickte und fuhr sich durch sein nasses Haar. „Hierbei geht es nicht nur um mich oder Ahava, sondern auch um die anderen. Solange sie hier leben, sind sie sicher. Aber das ist keine Zukunft. Solange Shen lebt, wird es keine Sicherheit und keine Zukunft geben. Ich weiß, dass du ihn lieber hinter Gittern sehen würdest und willst, dass er einen fairen Prozess geben wird. Aber sei mal realistisch. Die Chancen, ihn mit all diesen Verbrechen in Verbindung zu bringen, tendiert gegen Null. Selbst wenn die Cops ihn verhaften, wird er wieder laufen gelassen, weil es keine Beweise gegen ihn gibt. Und selbst wenn er im Gefängnis sitzt, wird er genügend Möglichkeit finden, um die Triade zu steuern. Auch wenn du es nicht gerne hörst, aber es gibt Menschen, die besser sofort sterben sollten, als erst vor Gericht gezerrt zu werden.“ Natürlich passte Sam diese Ansicht nicht, aber das bedeutete nicht, dass er kein Verständnis für Araphels Sicht hatte. Leider stimmte es, dass es unfassbar schwer war, Shen irgendetwas anzuhängen, weil er seine Spuren so gut verwischen konnte. Aber das hieß nicht, dass es gänzlich unmöglich war. Aber er hatte keine Lust, mit Araphel darüber zu diskutieren. Nicht jetzt, da sie gerade so nah einander waren wie noch nie zuvor. Um von diesem bedrückenden Thema wegzukommen, warf Sam das Handtuch erst mal zur Seite und wandte sich Araphel zu. „Wie wäre es mit einer zweiten Runde?“ „Sicher?“ Der Detektiv nickte und versicherte „Mir geht es schon wieder gut. Und möchtest du danach nicht vielleicht noch ein wenig hier bleiben?“ „Keine gute Idee“, meinte der Mafiaboss und winkte ab. „Ich habe einen sehr schlechten Schlaf.“ Doch Sam störte das nicht und mit einem Lächeln beugte er sich vor und küsste den 31-jährigen. „Damit kann ich leben.“ Kapitel 22: Das Treffen der Informanten --------------------------------------- „Das Wasser haftet nicht an den Bergen, die Rache nicht an einem großen Herzen.“ Konfuzius, chinesischer Philosoph Am nächsten Tag, nachdem Sam allein im Bett aufgewacht war, da Araphel früh raus musste, hatte er beim Frühstück von Morphius die Adresse zu einem Theater bekommen, in welchem das Treffen der Informanten stattfinden würde, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen konnten. Der Informant, der nach der letzten Nacht wohl immer noch was am Rücken hatte, wollte später nachkommen. Christine bot sich sogleich daraufhin an, dass sie ihn hinfahren könnte, da sie mit Yin eh shoppen gehen wollte und ihn genauso gut vor dem Theater absetzen konnte. Das Angebot nahm der Detektiv gerne an und so kam es, dass er gegen 11 Uhr vor dem Theater stand. Es war von der Bauart her ein wenig der Antike nachempfunden und gehörte zu den erfolgreichen, in denen oft klassische Stücke aus aller Welt gespielt wurden. In allen Sprachen verstand sich. Nur wunderte er sich, warum das Treffen an so einem Ort stattfinden sollte. Naja, vielleicht weil niemand so einen Ort erwarten würde… Sam ging also rein und fand das Theater verlassen vor, da die Vorstellungen sowieso erst im Nachmittagsbereich anfingen. Als er aber den großen Zuschauerraum betrat, sah er, dass offenbar geprobt wurde. Ein Mann mit ernster Miene, der wie ein schottischer König gekleidet war, empfing soeben die Nachricht, dass die Königin verstorben sei. Bedächtig und mit unbeschreiblicher Würde und Erhabenheit trat er vor. Sam, der gebannt auf das Schauspiel sah, setzte sich und bemerkte erst einen Moment später, dass da noch jemand saß. Ein Mädchen mit türkisfarbenem Haar, roten Augen (wahrscheinlich trug sie farbige Kontaktlinsen), schwarzer Gothic Lolita-Kleidung und Totenkopfspangen. Auch sie schien das Spiel auf der Bühne mit Interesse zu verfolgen. „Sie hätte später sterben können; – es hätte Die Zeit sich für ein solches Wort gefunden. – Morgen, und morgen, und dann wieder morgen, Kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag, Zur letzten Silb' auf unserm Lebensblatt; Und alle unsre Gestern führten Narr'n Den Pfad des stäub'gen Tods. – Aus! kleines Licht! – Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild; Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr Vernommen wird: ein Märchen ist's, erzählt Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, Das nichts bedeutet.“ Mit einer unbeschreiblichen Leidenschaft und mit solcher Überzeugungskraft hatte der König seine Worte geäußert und obwohl es nur eine Rede war, hatte sie Sam sofort in ihren Bann gezogen. Der Schauspieler war verdammt gut. Zwar hatte er schon öfter Shakespeares „MacBeth“ gesehen, aber selten einen so großartigen MacBeth gesehen wie diesen, so viel stand fest. Das Mädchen neben ihm stand auf und begann zu klatschen. „Bravo, wirklich klasse“, rief sie und ein freches Lächeln lag auf ihren schwarz geschminkten Lippen. „Wirklich reif für den Oscar.“ Sam sah zu ihr und fragte sich, was das Mädchen wohl hier wollte. Äußerlich schien sie nicht älter als 13 Jahre alt zu sein, was aber auch an ihrem Outfit und der Tatsache liegen konnte, dass sie ohne die Plateausohlen an ihrem Schuhen nur knapp 1,40m groß war. Und so wie sie aussah, war es ihr nur schwer zuzutrauen, dass sie sonderlich auf klassische Stücke stand. Jedenfalls sorgte ihr Ausruf dafür, dass der König und sein Diener sich verbeugten und danach hinter die Bühne verschwanden. So langsam fragte sich Sam, ob er sich nicht vielleicht geirrt hatte und es hier noch einen anderen Raum gab, wo das Treffen stattfinden könnte. Wahrscheinlich war er hier falsch. Als er sich deshalb erheben und gehen wollte, wandte sich das Mädchen ihm zu und fragte überrascht „Du willst gehen? Dabei haben wir extra gewartet.“ Nun stutzte er. „Wie bitte?“ „Na Morph hat uns kontaktiert und jetzt sind wir hier. Mein Name ist übrigens Bonnie B.“ Damit reichte ihm das klein geratene Gothic Lolita Mädchen ihm die Hand zum Gruß und etwas überrascht erwiderte Sam diese Geste. Diese Bonnie war eine Hackerin? Damit hätte er jetzt nicht gerechnet, vor allem, weil sie so jung aussah. Kurz darauf kamen die beiden Schauspieler, die vorhin noch auf der Bühne gestanden und sich nun umgezogen hatten. Der MacBeth war ein etwas rebellisch aussehender 30-jähriger mit brünettem Haar und rotschwarzer Lederjacke. Er wirkte wie jemand, der gerne in der Gegend unterwegs war und zu den Coolen gehörte. Sein Begleiter war da eher zierlich, hatte schwarzes Haar und türkisfarbene Augen. Ein freundliches, aber auch zerbrechliches Lächeln lag auf seinen Lippen und er war sehr androgyn. Wahrscheinlich spielte er sogar Frauenrollen. Zum Gruß hob der MacBeth die Hand und sämtliche Leidenschaft war aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen wirkte sein Gesichtsausdruck leicht melancholisch und eine Spur weit gelangweilt. Und seine Augen hatten etwas von einem toten Fisch angenommen, anders konnte Sam es nicht beschreiben. „Ich bin Harvey“, grüßte er Sam und reichte ihm die Hand. „Harvey Charles Dullahan und das ist mein Ehemann Chris.“ Die beiden waren verheiratet? Der Detektiv erwiderte auch hier den Gruß, war aber dennoch sehr überrascht zu hören, dass die beiden tatsächlich ein Ehepaar waren. Aber andererseits war die Homoehe in Boston schon längst kein Thema mehr. Und der Name sagte ihm auch sogleich etwas. Chris Dullahan, der gebürtiger Ire war, wurde vor ein paar Jahren von einem Polizisten in den Kopf geschossen und hatte im Koma gelegen. Grund dafür war ein Irrtum gewesen, da damals eigentlich Jagd auf das Killerehepaar Jake und Jill Dungaree gemacht wurde. Der damalige Lebensgefährte des Opfers war ebenfalls niedergeschossen worden und danach zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt worden wegen Verleumdung und Widerstand gegen die Polizei. Der Name des damals Verurteilten lautete Harvey Charles Dahmer. Offenbar hatte dieser nach der Heirat den Namen seines Partners angenommen. Die beiden waren also Schauspieler und Hacker? Irgendwie wurde das alles immer merkwürdiger. „Kommt Morphius gar nicht?“ „Er sagt, er will nachkommen.“ „Ah verstehe“, murmelte Harvey tonlos und es schien, als wäre das nicht mehr der lebhafte Schauspieler auf der Bühne, sondern nur noch ein freudloser Einzelgänger. Harvey führte sie in einen Raum, der wahrscheinlich während der Pausen von den Schauspielern benutzt wurde und alle nahmen sie auf den Sofas Platz. Als alle sich gesetzt hatten, erhob Harvey das Wort. „Also da wir nicht extra auf Morphius warten müssen, würde ich vorschlagen, wir stellen uns kurz vor. Mein Name ist Harvey Charles Dullahan und das ist mein Ehemann Chris. Ich bin außerdem Psychologe und seit knapp vier Jahren als Informant tätig. Mein Fachgebiet ist Korruption und Vertuschung von Verbrechen innerhalb der Polizei und Chris unterstützt mich bei der Tätigkeit. Wir haben Kontakte zur Bostoner Polizei und zum FBI und vertrauenswürdige Ansprechpartner, die die Ermittlungen im Fall einer Korruption oder krimineller Aktivitäten von Polizisten aufnehmen würden. Ansonsten ist zu sagen, dass ich mir während meines Studiums die Fähigkeiten der Analyse von Mikroexpressionen angeeignet habe und Chris kann sich in jeder Rolle perfekt tarnen, auch als Frau.“ So langsam verstand Sam das Ganze. Offenbar hatte sich Harvey auf so etwas spezialisiert, nachdem er und Chris selbst Opfer geworden waren. Nämlich als die Polizei sie beide niederschoss und Harvey als Schuldigen anprangerte und dafür sorgte, dass er sogar ins Gefängnis kam. Seine Motivation war da sehr verständlich, aber was war dann mit dem Mädchen? Als er sich ihr zuwandte, schien sie das als Aufforderung zu sehen, sich nun selber in aller Ausführlichkeit vorzustellen. „Mein Name ist Bonnie B., allerdings ist das nur mein Deckname. Man findet mich auch unter den Decknamen Hecatia Bright in sozialen Netzwerken und ich hab da meinen eigenen Youtube Kanal. Ich bin 16 Jahre alt und seit drei Jahren professionelle Hackerin, die sich auf das Deep Web spezialisiert hat. Ich arbeite meist mit der Polizei zusammen und konzentriere mich auf das Aufspüren von Usern von illegalen Seiten, Uploadern von Kinderpornografie und SNUFF-Videos sowie Pädophilen in Chatrooms. Außerdem ist es mein Ziel, sämtliche Charter Webs zu infiltrieren und die so genannten Closed Shell Systems zu knacken, um damit die wohl größten Ringe der Welt hochgehen zu lassen. Das heißt im Klartext: auf der ganzen Welt wirst du keinen besseren Spezialisten für das Deep Web finden als mich.“ Ungläubig starrte Sam sie an. Das Mädchen war erst 16 Jahre alt und machte solche Sachen? Sie wollte ihn doch wohl auf den Arm nehmen. „Bist du nicht etwas jung für so etwas?“ „Ich komm klar damit“, meinte Bonnie nur. „Bei mir wurde schon recht früh etwas Ähnliches wie eine Inselbegabung festgestellt und das nutze ich, um mich im Deep Web auszutoben. Ist ein besserer Zeitvertreib als Ponys und es kommt den Opfern solcher Seiten zugute, wenn ich so ein paar Kinderschänder an die Polizei verrate.“ „Bonnie ist in der Tat die Beste auf ihrem Gebiet“, bestätigte Harvey. „Sie hat es geschafft, in zwölf Monaten Arbeit den Betreiber der Lolita Sex Toys Seite zu identifizieren und sämtliche Daten aller Kunden und Mitverantwortlichen zu sammeln.“ „Aber wenn du so gut bist, wieso ist nie etwas wegen diesem Slave Shipping Service passiert?“ „Ich arbeite quasi alleine und ich gehe noch zur Schule“, erklärte Bonnie ein wenig beleidigt. „Ich hab erstens noch ein eigenes Leben und zweitens ist es gar nicht so einfach, ein Closed Shell System zu knacken und sämtliche Daten auszulesen.“ Da Sam mit diesem Begriff nichts anfangen konnte, musste Bonnie es ihm erklären. „Das Internet hat verschiedene Webarten, die alle eigene Bezeichnungen haben. Moment, ich hab hier eine Übersicht…“ Damit kramte sie aus ihrer Tasche einen Ausdruck hervor, auf dem ein Eisberg zu sehen war, der an der Wasseroberfläche trieb. Dabei war auch der untere Teil unterhalb der Wasseroberfläche zu sehen und groß aufgelistet standen dort die verschiedenen Level des Internets: Level S „Clearnet“: Soziale Netzwerke, Suchmaschinen, „Wiki“ Enzyklopädien, E-Mail Service, gewöhnliche Internetinhalte Level 1 „Surface Web“: Blogs & Essays, Hosting Services, Forums, Amazon & Ebay, simple AI, geschlossene soziale Netzwerke, Tumblr., Reddit Level 2 „Bergie Web“: 4chan, Torrents, Antivirus Datenbank, Wikileaks, Streaming Services, Cleverbot, Ad Pop-Ups, Webarchive Level 3 „Deep Web“: Spambots, Celebrity Skandale, virtuelle Realität, Gore, Computersicherheit, sensible Inhalte, Microsoft Datenbank, Hackeranleitungen, DDoS Level 4 „Darknet“: Gesperrte Medien, Hacking Gruppen, meiste .onion Adressen, Drogendealer, Shell Netzwerke, extreme illegale Inhalte, Hidden Wikis, Handel mit seltenen Tieren, illegale Dienstleistungen, Menschenhandel Level 4B „Private Web“ (Geschlossene Shell Systeme): Hyperintelligente Bots, FBI-Archive, geometrisch-algorithmische Forschungen, Partikelstrahlenwaffen, Supercomputer, Softwares mit illegalen Inhalten, SNUFF, Hardcore Vergewaltigungsvideos, Josef Mengele Experimente Level 5 „Marianas Web“: Auch bekannt als „letzte Barriere des Internets“. Kein Hacker hat es je geschafft, darauf zuzugreifen. Es wird vermutet, dass hier Daten der NSA, CIA und anderweitige Daten zu finden sind. Militär- und Raketenstützpunkte und Informationen, die einen Krieg auslösen könnten. „Diese Seite, von der du da sprichst, gehört in Level 4B und ist damit extrem schwer aufzuspüren. Ich habe allein einen Monat gebraucht, um den Zugang zu erhalten. Selbst danach habe ich elf Monate gebraucht, um jemanden zu finden, der ausgepackt hat. Ansonsten wäre ich heute noch kein Stück weiter. Wenn man keinen Anhaltspunkt hat, wer dahinter stecken könnte, ist es schwer, den Betreiber zu finden und es ihm auch zu beweisen. Hier liegt der Fall ein wenig anders. Ich…“ Bonnie unterbrach ihre Erklärung, als die Tür aufging. Es war Morphius, der sie alle kurz mit einem „Moin“ grüßte und sich direkt zu Sam setzte, wobei er nur meinte „Erzähl ruhig weiter, ich wollte nicht stören.“ Hieraufhin räusperte sich die 16-jährige und versuchte, den Faden wiederzufinden. Dann aber schien sie wieder zu wissen, wo sie aufgehört hatte. „Beim Slave Shipping Service weiß ich inzwischen, dass die Hauptverantwortlichen sowohl aus Russland als auch aus China kommen: einmal die russischen Familien Ivanow, Andrejew und Sacharow und dann die chinesische Yanjingshe-Triade. Die russischen Familien verkaufen meist Prostituierte und Kinder aus Waisenhäusern, die nicht vermittelt wurden. Die Triade aber bietet noch zusätzlich diesen Verstümmelungsservice an. Um so einen Verein hochzunehmen, braucht es einen Hacker, der an Informationen kommt und entsprechende Kontakte zur Polizei, die die Ermittlungen aufnimmt. Nun ist es aber leider so, dass die Triade das Bostoner Police Department unter Kontrolle hat und somit niemand gegen den Slave Shipping Service ermitteln wird. Ohne Unterstützung seitens der Polizei kann ich also nichts machen.“ „Und hier kommt Harvey ins Spiel“, erklärte Morphius daraufhin und wies mit einer Handbewegung auf den Schauspieler. „Er kennt jemanden persönlich vom FBI, der sich mit korrupten Cops befasst und wenn du das Ganze auf legaler Ebene beenden willst, musst du jemanden haben, dem du vertrauen kannst. Harvey kennt diese Leute und ihn kann niemand belügen. Er kann dir die Mittel an die Hand geben, um die Kooperation innerhalb der Bostoner Polizei zu beenden und er kann gleichzeitig dafür sorgen, dass Bonnie einen Ansprechpartner bekommt, der die Ermittlungen in Sachen Slave Shipping Service durchführt. Allerdings müssen einige Dinge beachtet werden.“ „Und die wären?“ hakte Sam nach. „Als Informanten gehen wir ein hohes Risiko ein, insbesondere Bonnie. Wenn ihre wahre Identität enthüllt wird oder man sie als Hackerin identifiziert, wird sie auf die Abschussliste der Betreiber gesetzt und schlimmstenfalls getötet oder als Sexsklavin verkauft. Um das zu vermeiden, wird der Kontakt nur über ein Deep Web Chatportal laufen. Da Bonnie erst 16 Jahre alt ist, wird es das Beste sein, wenn sie so wenig wie möglich persönlich in Erscheinung treten muss.“ Ja, das leuchtete Sam auch ein und er wollte auch lieber vermeiden, dass Bonnie noch irgendetwas passierte und sie noch ernsthaft in Gefahr geriet. Doch dann aber meldete sich die Hackerin selbst zu Wort. „Hey!“ rief sie und wirkte etwas beleidigt. „Bevor ich hier auch nur einen Finger krumm mache, will ich erst mal bezahlt werden! Immerhin mach ich mir ziemlich viel Arbeit neben der Schule.“ „Wie viel willst du denn?“ Ein freches und unheilvoll anmutendes Grinsen zog sich über das Gesicht der 16-jährigen und ließ nichts Gutes erahnen. „Nicht wie viel, sondern was“, korrigierte sie und holte ein Handy hervor. „Ja nachdem, wie schwer der Auftrag ist, kann ich auch mal ein hübsches Sümmchen verlangen, immerhin muss ich auch von etwas leben und mein Taschengeld aufbessern. Aber wenn ich so hübsche Typen sehe, verlange ich auch mal gerne was anderes. Morph, du weißt genau was ich will.“ Der Informant mit dem Hut seufzte und schüttelte den Kopf, wobei er murmelte „Du bist wirklich durch und durch verdorben.“ „Ich weiß eben, was ich will“, konterte sie und grinste selbstbewusst und frech. „Von ihm will ich auch eines, immerhin hab ich es mit einem Level 4B Auftrag zu tun.“ Sam, der nicht wirklich verstand, was das alles bedeuten sollte, beobachtete, wie Morphius plötzlich seinen Hut ablegte und begann, sein Shirt auszuziehen. Dann wandte sich dieser an den Detektiv und meinte „Du auch.“ „Und wofür bitteschön?“ „Bonnie nimmt von Typen, die ihr gefallen, als Bezahlung Fotos an. Aber nur oben ohne. Also zieh dein Hemd aus und bring es hinter dich, ansonsten sitzen wir hier noch den ganzen Tag rum.“ Ein Foto als Bezahlung? Irgendwie konnte der 28-jährige nicht sagen, ob Bonnies Verhalten entweder exzentrisch oder einfach nur ziemlich pubertär war. Naja, wenn sie dann wenigstens ihre Unterstützung zusagte, war es auch in Ordnung. Nur dummerweise hatte er überall noch diese hässlichen blauen Flecken und das würde Bonnie sicherlich nicht gefallen. Als er ihr das erklärte, schien sie ein wenig beleidigt zu sein und meinte „Nur Bilder von Morph sind mir ehrlich gesagt den ganzen Aufwand nicht wert.“ „Und wie wäre es mit Bildern von mir?“ fragte Harvey, woraufhin Bonnie kurz überlegte und meinte „Wenn deine Augen dann nicht so dreinglotzen wie ein toter Fisch, dann okay.“ Daraufhin legte Harvey seine Jacke ab und entkleidete seinen Oberkörper. Sam bemerkte sofort, dass er gut durchtrainiert war und offenbar trainierte. Bonnie hielt ihr Handy hoch und fotografierte erst Morphius und dann Harvey. „Sehr gut“, meinte sie und wirkte zufrieden. „Sieht doch wunderbar aus. Okay, die Bezahlung hätten wir und ich halte mein Wort. Ihr kriegt von mir alles, was ihr braucht. Morph, du gibst mir am besten die Informationen zum Boss der Triade und all jener, die eine wichtige Position innehaben. Je mehr ich über diese Penner weiß, desto schneller kann ich erste Ergebnisse liefern.“ „Okay, wird gemacht!“ „Und ich werde Supervisory Agent Sadie James und Special Agent Steve Kazan vom FBI benachrichtigen und sie um Hilfe bitten. Es kann sein, dass Sie dich auch noch persönlich sprechen wollen, Sam. Wenn ihr uns entschuldigt, Chris und ich haben noch zu tun. Wir melden uns dann, wenn es Neues gibt.“ Damit verabschiedeten sich Chris und Harvey von ihnen und gingen. Es war ja ohnehin das Nötigste gesagt worden. Schließlich blieben nur noch Bonnie, Morphius und Sam. Bonnie ihrerseits schaute sich mit einem fröhlichen Lächeln die Fotos an, die sie geschossen hatte. „Sag mal, Bonnie“, begann Sam zögernd. „Was für Dinge findest du da manchmal im Deep Web?“ „Nun, ich treibe mich die meiste Zeit im Darknet rum, was ja streng genommen nicht ganz dasselbe ist. Meist hab ich eher mit Pädophilen zu tun, manchmal auch mit bizarren Sachen wie Experimente aus dem zweiten Weltkrieg, die heute noch durchgeführt werden und so.“ „Und wie schaffst du das, so etwas überhaupt zu machen, wenn du doch selber so jung bist?“ „Ich denke einfach daran, dass ich alles in meiner Macht stehende tue, damit es solche Menschen schwerer haben, diese Dinge zu tun. Außerdem kann ich mich sehr gut von solchen Sachen abgrenzen, solange ich nur am PC sitze. Zugegeben, es macht mir auch Spaß, so etwas zu machen. Nicht, dass ich Freude daran habe, mit Kinderschändern zu chatten, sondern einfach diese schwierigen Seiten zu knacken und das zu schaffen, was andere nicht können. Es ist, als würde man eine schwere Matheaufgabe in der Schule lösen. Und das Marianas Web ist sozusagen das Millionenrätsel, an dem sich bisher alle die Zähne ausgebissen haben. Allein der Gedanke daran, dass in diesem Web Informationen sind, die einen Weltkrieg auslösen könnten, ist doch der ultimative Nervenkitzel.“ „Und was würde geschehen, wenn dir das gelingen würde?“ Hier zuckte Bonnie mit den Schultern und meinte „Dann wird mich die Regierung wahrscheinlich umbringen wollen.“ „Trotzdem willst du das tun?“ fragte Sam und war sich nicht sicher, ob Bonnie eigentlich klar war, in was für eine Gefahr sie sich da begab. Doch sie schien sich nicht so wirklich darum zu kümmern und erwiderte „Wieso denn nicht? Immerhin liegt da doch der größte Nervernkitzel drin. Und wenn diese Informationen im Marianas Web einen Krieg auslösen könnten, würde das doch ein lustiges Chaos geben, wenn eine einzelne Person sie in die Hände bekommt.“ Es war eindeutig… Bonnie war nicht ganz normal im Kopf. So viel stand fest. „Und wieso ist es so wichtig für dich, in das Marianas Web zu kommen?“ „Weil ich die Wahrheit aufdecken will. Egal wie sie aussehen mag und egal was für Konsequenzen sie nach sich ziehen wird. Wir werden doch eh alle nur von der Regierung verarscht und blöken alles nach wie eine Herde strunzdummer Schafe. Ich weiß genau, dass die Regierung so einiges auf dem Kerbholz hat und auch wenn ich nicht wirklich daran glaube, dass man im Marianas Web die Koordinaten von Atlantis oder Informationen zu Außerirdischen finden wird, so bin ich mir dennoch sicher, dass sie irgendetwas verschweigen. Und wenn es die Tatsache ist, dass sie Testmedikamente als vermeintlichen Impfstoff nehmen und uns als Versuchskaninchen missbrauchen. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren, ob er sie nun hören will oder nicht. Und wenn ich mit dem, was ich im Marianas Web finde, einen Krieg auslöse oder nicht… dann ist mir das auch recht, denn letzten Endes bin nicht ich Schuld daran, sondern die Regierung, dass sie solch gefährliche Geheimnisse überhaupt hat.“ Kapitel 23: Sam und Bonnie -------------------------- „Jedes Unrecht erregt das Gefühl der Rache, Sühne, Vergeltung und sie bleibt nicht aus. Früher oder später findet jede Tat ihren Lohn durch die in der Menschheit wirkenden Kräfte selbst.“ Moritz Carrière, deutscher Philosoph Nachdem das Informantentreffen vorbei war, hatte Morphius sich verabschiedet, da er sich noch um ein paar wichtige Dinge kümmern wollte. Sam seinerseits wollte die Zeit nutzen, um nach einer gefühlten Ewigkeit wieder mal durch die Stadt zu gehen und die Freiheit zu genießen. Solange Shen nicht im Lande war, stellte die Yanjingshe ohnehin keine allzu große Bedrohung dar und da musste er auch nicht den ganzen Tag lang in der Villa festsitzen. Insbesondere nicht, seitdem er dieses erniedrigende Schockerhalsband losgeworden war. Mit einem zufriedenen Lächeln streckte er sich und hatte das Gefühl, als würde alles besser werden und als würde sich endlich was tun. Das hatte er wirklich gebraucht. „Hey Süßer!“ Da ihm die Stimme bekannt vorkam, drehte er sich um und sah Bonnie, die ihm fröhlich grinsend zuwinkte. Sie hatte einen schwarzen Sonnenschirm bei sich, der sehr extravagant aussah und auch gewissermaßen zu ihrem Gothic Lolita Look passte. Durch ihre Stiefel mit den hohen Plateausohlen wirkte sie etwas größer als sonst, machte aber dennoch einen viel zu kurz geratenen Eindruck. Sam blieb stehen und sogleich ergriff Bonnie seinen Arm und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm ein und lächelte fröhlich. „Bonnie“, rief er überrascht. „Ich dachte, du wolltest nach Hause.“ „Ach weißt du, ich genieße auch mal ganz gerne die Anwesenheit eines süßen Mannes. Außerdem macht mich wahnsinnig neugierig, wie lang das schon mit dir und Morph läuft. Er hat zwar mal erwähnt, dass er schwul ist, jemanden sehr liebt und auch eine kleine Tochter hat, aber ich hätte nicht gedacht, dass er auf so niedliche Typen wie dich steht.“ Sam starrte sie an und konnte nicht glauben, was sie da gesagt hatte. Er und Morphius ein Verhältnis? Offenbar schien sie irgendetwas ziemlich falsch interpretiert zu haben. „Äh Moment mal“, sagte Sam. „Morph und ich haben nichts miteinander. Er ist nur ein guter Freund und soweit ich weiß, ist er mit jemand anderem zusammen. Mit einem Arzt.“ „Oh“, rief Bonnie und bemerkte ihren Fauxpas. „Das wusste ich nicht. Sorry deswegen. Ich war nur so verwundert, weil Morph mir geschrieben hat, dass er dringend meine Hilfe braucht und ein Freund von ihm mich persönlich sprechen will. Du musst wissen, solche Informantentreffen finden für gewöhnlich nur in Chatrooms auf einer von mir angelegten Deep Web Seite statt. Wir treffen uns nur dann persönlich, wenn es sehr wichtig ist. Und offenbar vertraut Morph dir genug, um seine allerwichtigsten Kontakte preiszugeben. Da liegt der Verdacht doch nahe, dass du sein kleiner Schatz bist. Oder bist du noch zu haben?“ Was sollte das denn gerade werden? Stand Bonnie etwa auf ihn? Er war doch knapp zwölf Jahre älter als sie. Na die hatte ja Nerven, aber wahrscheinlich waren solche Teenager eben. „Ich bin vergeben“, antwortete er ausweichend und räusperte sich. „Und ich glaube, du solltest dir jemanden in deiner Altersklasse suchen.“ „So? Machst du dir etwa meinetwegen Sorgen?“ Diese Bonnie hatte es wirklich faustdick hinter den Ohren, das merkte er sofort. Da es etwas schwierig war, auf der Straße miteinander zu reden, gingen sie in ein Café, wo Sam sich einen Kaffee und Bonnie einen Milchshake bestellte. Sie setzten sich in eine ruhige Ecke, um miteinander zu reden. Bonnie wurde von einigen Gästen neugierig beäugt, was aber größtenteils an ihrem Outfit lag, aber sie schien das auch ein wenig zu genießen. Schließlich, als sie ihre Getränke erhalten hatten, fragte Sam ein wenig nach. „Wie bist du eigentlich darauf gekommen, Hacker zu werden?“ „Tja, bei mir wurde ja vor fünf Jahren ja eine Art Inselbegabung festgestellt“, begann sie zu erklären. „Das heißt, man ist zwar in den meisten Bereich durchschnittlich, aber auf einem Gebiet so dermaßen begabt, dass es nicht mit den Fähigkeiten eines anderen Menschen messbar wäre. Bei mir war es eben der IT-Bereich. Ich hab schon mit zwölf erste Programme geschrieben und auch so einigen Unfug angestellt. Mal hab ich die Online-Konten manipuliert, Passwörter geklaut oder halt auch sämtliche Ampeln in Boston durcheinandergebracht.“ „Und wie bist du darauf gekommen, für die Polizei zu arbeiten?“ „Das war Cells Idee. Er ist ebenfalls Hacker und hat mir alles beigebracht. Er hat auch im Deep Web geforscht und der Polizei geholfen. Ehrlich gesagt ist er sogar noch besser als ich und er ist eine Legende unter den erfahrenen Hackern. Vielleicht hast du ihn ja schon mal irgendwo gesehen.“ Damit holte Bonnie ein Foto heraus und zeigte es ihm. Darauf zu sehen war ein junger Mann von vielleicht 20 Jahren. Er hatte eine recht blasse Haut, als hätte er selten die Sonne gesehen und sein platinblondes Haar hatte er zu einem Zopf gebunden. Ein freundliches Lächeln lag auf seinen Lippen. Doch Sam konnte mit diesem Gesicht nichts anfangen. „Nein, tut mir leid. Den habe ich noch nie gesehen.“ Die Enttäuschung war der 16-jährigen mehr als deutlich anzusehen und natürlich wollte der Detektiv mehr wissen, denn er wusste genau, dass sie irgendwelche Hintergedanken hatte. „Erzähl schon, Bonnie. Was ist los?“ „Ich dachte nur… weil du Detektiv bist und viel mit Leuten zu tun hast, hättest du ihn vielleicht gesehen.“ „Warum? Ist ihm etwas zugestoßen?“ „Ich weiß es nicht. Es fing damit an, als Cell davon sprach, ins Marianas Web einzudringen und endlich aufzudecken, was die Regierung vor uns geheim hält. Er sprach davon, dass wir wohl alle nur belogen und hinters Licht geführt werden. Ich wollte ihm helfen, aber er meinte, dass es zu gefährlich sei. Und als er dann endlich das schaffte, wozu eigentlich nur ein Quantencomputer in der Lage wäre, ist er spurlos verschwunden und ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Ich befürchte, dass die Regierung ihn verschleppt hat, um ihn zum Schweigen zu bringen.“ „Ach so“, meinte Sam schließlich. „Dann willst du also ebenfalls das Marianas Web knacken, um diesen Cell zu finden.“ Bonnie nickte und man sah ihr an, dass es sie schon sehr beschäftigte. „Ich habe das gesamte Deep Web nach einem Zeichen von ihm abgesucht. Als das nicht klappte, habe ich in meiner Identität als Hecatia Bright in öffentlichen Netzwerken umgehört, aber nichts erfahren. Es ist, als wäre er gänzlich verschwunden und ich hab keine Ahnung, wie ich ihn noch finden kann.“ Nun, das klang in der Tat sehr merkwürdig. Sam betrachtete nachdenklich das Foto und fragte, wie lange dieser Cell eigentlich verschwunden war. Von Bonnie erfuhr er, dass es inzwischen acht Monate waren. Und da sie seinen Namen nicht wusste, hatte sie nicht allzu viele Möglichkeiten. „Hast du schon mal daran gedacht, dich in den Polizeicomputer einzuhacken und da nachzusehen?“ „Oh, daran habe ich wohl nicht gedacht“, murmelte Bonnie. Tja, sie war eben trotz ihres Talents noch ein 16-jähriges Mädchen, das nicht immer auf alle Probleme eine Lösung hatte. Und vielleicht konnte sie einen Ratschlag gut gebrauchen. „Wenn du am Computer bist, kannst du dich in den Zentralcomputer einhacken und über ein Identifizierungsprogramm Cells Foto mit denen in der Datenbank abgleichen. Wenn du seinen Namen hast, kannst du dort sehen, ob er vielleicht irgendwo im Gefängnis sitzt. Wenn dem nicht der Fall sein sollte, such in den Datenbänken der umliegenden Krankenhäuser nach.“ „Und wozu das denn?“ „Es kann ja sein, dass er nicht von der Regierung verschleppt wurde, sondern vielleicht einen Unfall hatte und zum Beispiel im Koma liegt und deshalb nicht übers Internet zu finden ist. Wenn sein Name dort nicht auftaucht, kannst du ja nachprüfen, ob er ins Ausland geflogen ist.“ Bonnie nickte und ihr war anzusehen, dass sie diesen Schritt als nächstes tun würde. Offenbar schien ihr dieser Cell sehr viel zu bedeuten. Nun ja… wenn man bedachte, dass er ihr so viel beigebracht und ihrer Gabe eine sinnvolle Tätigkeit gegeben hatte… „Danke für den Tipp, Sam. Du bist echt schwer in Ordnung. Und dein Pseudonym ist übrigens auch echt cool.“ „Pseudonym?“ „Klar. Sam Leens bedeutet doch „Nameless“. Wahrscheinlich hast du ihn dir zugelegt, weil deine Arbeit so gefährlich ist, oder?“ „Äh nein. Das ist schon mein richtiger Name.“ Bonnie lachte verlegen. Nun gut, sonderlich übel nehmen konnte er es ihr nicht. Tatsächlich gab es so einige, die schon gedacht hatten, dass sein Name ein Pseudonym war, wenn man dahinter kam, dass es auch ein Anagramm sein konnte. Um das Thema zu wechseln, begann er nun zu fragen. „Wissen eigentlich deine Eltern von deiner Tätigkeit?“ „Du gehst aber ganz schön ran, was?“ bemerkte die 16-jährige und grinste frech. „Bin ich denn so interessant für dich, dass du so viel über mich wissen willst?“ Der Detektiv räusperte sich und erklärte seine Neugier damit, dass er sich eben wunderte, dass ein so junges Mädchen eine so gefährliche Tätigkeit machte. Trotzdem blieb das freche Grinsen bei Bonnie. „Ja, meine Eltern wissen von meiner Arbeit. Zugegeben, sie waren überhaupt nicht begeistert davon, aber weil die Polizei auch ein Auge auf mich hat und ich auch meist einen Ansprechpartner habe, der im Notfall sofort da ist, haben sie sich damit arrangiert. Außerdem ist es ja für einen guten Zweck und das Geld, was ich verdiene, spare ich für das College.“ „Verdienst du viel?“ „Nun… Vater Staat bezahlt mich schon großzügig pro Pädophilen, den sie mit meiner Hilfe hinter Gittern bringen und für alle Infos, die ich ihnen liefere. Zudem wird er nach meinem Abschluss an der High School ein Stipendium für ein Studium ausstellen. Wenn ich einen ganz dicken Fisch an Land ziehe, krieg ich einen Bonus, den ich dann aber lieber an eine Stiftung für Missbrauchsopfer spende. Geld krieg ich ja sowieso und mein Studium ist mir sicher, da kann ich ja auch die Opfer dieser perversen Säcke unterstützen, die ich enttarnt habe.“ So langsam merkte Sam, dass Bonnie trotz ihrer frechen und pubertären Art wirklich sehr reif in manchen Dingen war und sich auch Gedanken um die Kinder machte, die durch ihre Mithilfe gerettet werden konnten. „So“, sagte sie und beugte sich etwas weiter vor. „Und bevor du noch weiter fragst: ich habe Körbchengröße C, bin 1,41m groß, hab Sternzeichen Löwe und ich bin noch Jungfrau. Und da du so ein großes Interesse an mir zu haben scheinst, ist es ja nur fair, wenn du mir auch ein paar beantwortest.“ „Und was willst du wissen?“ „Wie ist dein Macker so?“ Sam verschluckte sich bei dieser direkten Frage und er musste husten. „Wie… wie kommst du darauf, dass ich mit einem Mann zusammen bin?“ Bonnie kicherte amüsiert über seine Reaktion und erklärte „Als ich die Frage stellte, ob du mit Morph zusammen bist, hast du zwar gesagt, du wärst mit einer anderen Person in einer Beziehung, allerdings hast du nichts davon gesagt, dass du mit einer Frau zusammen bist. Alle Hetero-Männer würden sofort betonen, dass sie mit einer Frau zusammen sind, aber du nicht. Also lässt das den Schluss zu, dass du entweder schwul oder bi bist.“ Die Kleine ist ist wirklich verdammt scharfsinnig, dachte sich Sam. Bei ihr muss ich noch echt aufpassen. „Du bist ganz schön frech für eine 16-jährige.“ „Und du hast erstaunlich viel Interesse an mir, obwohl ich noch 16 bin und du selbst „Torpedo nach Achtern versenken“ spielst.“ Schlagfertig war sie auch noch. Eine strenge Erziehung hatte sie offenbar nicht so wirklich genossen. Sie war ganz schön dreist und normalerweise hätte er sich so etwas nicht gefallen lassen. Aber andererseits… Es stimmte schon, dass er sie ganz schön ausgefragt hatte und es war eben nur gerecht, wenn sie auch etwas über ihn erfuhr. „Also schön. Mein „Macker“ gehört eher zu der Sorte, die ziemlich ruppig sein kann, aber dennoch ein gutes Herz besitzt.“ „Uh, die Sorte kenne ich sehr gut“, meinte Bonnie und ihr Grinsen nahm etwas ziemlich anzügliches an. „Da soll der Sex richtig Hammer sein.“ Die Kleine macht mich echt fertig, schoss es dem Detektiv durch den Kopf. „Und wie habt ihr euch kennen gelernt?“ „Während eines Falls, den ich bekommen hatte. Ich sollte ihn beschatten, er durchschaute mich und dann ist das eine zum anderen gekommen.“ „Und du bist der Untere?“ Wieder verschluckte sich Sam an seinem Kaffee und musste husten. Irgendwie gefiel ihm das nicht, wie das Gespräch hier verlief. So langsam aber sicher rückte Bonnie ihm mit ihren Fragen ganz schön auf die Pelle und sie stellte ganz schön persönliche Fragen. Und als er deshalb fragte, warum Bonnie all diese Dinge wissen wollte, war die Antwort nur noch unglaublicher: „Ich finde schwule Männer eben ziemlich scharf und ich schreib selbst seit seinem Jahr Erotikromane mit schwulen Paaren und wenn ich sage Erotikroman, dann nicht bloß mit Händchen halten und Bussi-Bussi. Ich rede von Fifty Shades of Gay.“ „Wie bitte?“ fragte Sam fast schon entgeistert. „Du… aber… du warst da erst 15!“ „Ich bin eben ein verdorbenes Luder.“ „Du machst mich echt fertig.“ „Das sagen Morph und Harvey irgendwie auch jedes Mal, wenn ich sie ärgern will. Aber ich liebe es einfach, Schwule zu ärgern. Die sind einfach so süß.“ Sam schüttelte den Kopf und fragte sich ernsthaft, was bloß im Kopf dieses Mädchens vor sich ging. Zwar waren Teenagerinnen provokant und machten sich nichts aus Regeln oder Anstand, sie gingen einfach ihren eigenen Weg. Und das lebte auch Bonnie aus. Sie führte ein Leben als normales Mädchen, das wie alle anderen zur Schule ging und die ganz normalen Teenagerprobleme hatte. Und dann gab es diese Zeit, wo sie zum Gothic Lolita Bonnie Bride wurde und in eine rabenschwarze Welt eintauchte, vor der andere einen großen Bogen machten. Wahrscheinlich hatte sie bei ihrer Arbeit auch Dinge gesehen, die schrecklich waren und die sie vielleicht auch verfolgen würden. Doch sie nahm all dies auf sich, weil sie ihre Fähigkeiten sinnvoll einsetzen und gegen die Verbrechen im Darknet ankämpfen wollte. Harvey war recht still geblieben und Chris war nicht entgangen, dass ihn etwas beschäftigte. Er hakte sich daraufhin bei seinem Begleiter ein und sah ihn besorgt mit seinen türkisfarbenen Augen an. „Jetzt sag schon, Harvey. Was ist denn los mit dir? Ich sehe dir doch an, dass du mal wieder über irgendetwas nachdenkst. Machst du dir wegen Bonnie oder Morph Sorgen?“ Der Schauspieler mit dem vollkommen freudlos wirkendem Blick betrachtete schweigend den wolkenverhangenen Himmel und dachte tatsächlich gerade nach. Das alles gefiel ihm nicht, das sagte ihm allein schon sein Gefühl. Und auf seine Intuition hatte er sich bislang immer verlassen können. „Ich habe ein ungutes Gefühl“, erklärte er. „Sieh dir doch mal an, in was für eine Richtung sich das alles entwickelt. Boston steht früher oder später vor dem unvermeidlichen Untergang und versinkt in einem immer tieferen Sumpf aus Korruption und Kriminalität. Wie weit soll das noch reichen, wenn Leute Schutz bei der Mafia suchen müssen, weil die Polizei versagt?“ „Also ist es doch wegen Morph?“ „Nicht nur wegen ihm, sondern auch wegen seinem Begleiter. Sam Leens ist der Sohn eines Polizisten und sein Bruder wurde, soweit ich erfahren habe, von Auftragskillern der Yanjingshe erschossen. Morph kann nicht einmal seine Tochter sehen, weil er Angst hat, dass sie in Gefahr geraten könnte und dass der Sohn eines Polizisten, der die Mafia hasst, Schutz bei eben jener sucht, ist doch der beste Beweis dafür, dass hier etwas falsch läuft. Ich hab es dir ja gesagt, Chris: wir hätten Boston verlassen sollen, als wir noch die Chance hatten. Wir hätten schon direkt nach der Uni fortziehen sollen, dann wäre so vieles nicht passiert.“ Chris seufzte und lehnte seinen Kopf gegen Harveys Schulter. Offenbar machte er sich wegen dieser einen Sache immer noch schwere Vorwürfe. Dabei konnte keiner von ihnen etwas für das, was geschehen war. Es war ein tragischer Vorfall gewesen und sie konnten von Glück reden, mit dem Leben davongekommen zu sein. Sie hätten beide genauso gut tot sein können. „Hey, jetzt denk nicht wieder darüber nach. Wir beide leben und wir sollten dafür dankbar sein. Dass du dir um deinen alten Freund von der Uni Sorgen machst, das kann ich verstehen, aber glaub mir: Morph weiß sich zu helfen und Bonnie hat auch genug Leute, die ein wachsames Auge auf sie haben. Mach dich doch einfach mal etwas locker und denk nicht immer an so düstere Dinge. Na komm, wir gehen jetzt erst mal nach Hause, dann koche ich uns was Feines und danach spielen wir unsere Lieblingsszenen aus Goethes „Faust“, so wie früher. Du als Mephistopheles und ich als Johann Faustus.“ Und tatsächlich stahl sich ein kleines Lächeln auf Harveys Lippen. „Ja“, murmelte dieser schließlich. „Wie in den guten alten Zeiten.“ Kapitel 24: Auszeit ------------------- „Die Rache ist eine Art ursprünglicher Rechtlichkeit, welche die menschliche Natur anzieht. Die Pflicht des Gesetzes ist das Bestreben, diese zu entwurzeln.“ Sir Francis von Verulam Bacon, englischer Philosoph Mit einem guten Gefühl war Sam wieder zurückgekehrt und auch wenn Bonnie ihn mit ihren Frechheiten so ziemlich die Hose heruntergezogen hatte, so hatte er dennoch eine gute Laune und er fragte sich, was wohl Araphel in der Zwischenzeit machte. Mit guter Laune und der Hoffnung, dass sich nun bald endlich etwas tun würde, machte er einen Spaziergang zurück und schaffte es rechtzeitig zurück, bevor es zu regnen begann. Dabei traf er auf Christine, die gerade von ihrer Shoppingtour zurückkehrte. Auch sie hatte gute Laune und erkundigte auch sogleich, wie das Treffen gelaufen war. „Ganz gut“, antwortete er. „Ich denke, es wird sich endlich mal was tun.“ „Hey, das ist ja super“, rief die Rothaarige begeistert und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. „Dann drück ich dir mal die Daumen, dass es auch gut geht. Wenn ich helfen kann… du weißt ja, dass du mich in der Werkstatt findest. Ich wollte dir übrigens sagen, dass es echt Spaß macht, mit dir zu arbeiten. Asha ist zwar eine ganz gute Hilfe, aber leider auch extrem schusselig und Yin versteht nichts von Autos und erledigt für gewöhnlich eher Reinigungs- und Verwaltungsarbeiten. Und mit dir kann man auch ganz gut Spaß haben.“ Nun, die Arbeit machte auch wirklich Spaß und war eine gute Abwechslung. Und auch wenn sich Christines Geschichten immer wieder änderten und er ihre düstere Vergangenheit im Hinterkopf hatte, so war sie dennoch eine sehr gute Freundin geworden, die immer ein offenes Ohr hatte und mit der man wirklich Spaß haben konnte. Insbesondere die Abende, wo er zusammen mit ihr und Asha und Yin Karten spielte, hatten sie wirklich Spaß zusammen. Natürlich war es verlockend, mit ihr in die Werkstatt zu gehen, doch viel lieber wollte er erst einmal Araphel sehen. Bevor er sich aber auf die Suche nach dem Mafiaboss machte, wollte er Christine noch etwas fragen. „Sag mal Christine, was läuft da eigentlich zwischen Morph und dem Doktor?“ Ein wohl wissendes Lächeln zog sich über die Lippen der Rothaarigen und sie kicherte amüsiert. „Die beiden kennen sich schon seit der Uni und waren sogar verlobt. Allerdings haben sich vor zwei Jahren wieder getrennt und so wie es scheint, haben die beiden Turteltäubchen wieder zueinandergefunden.“ „Warum haben sich die beiden getrennt?“ „Ich glaube, es hatte was mit Kaguya zu tun.“ „Morphs Tochter?“ Christine nickte und erklärte „Beide wollten ein Kind und engagierten deshalb eine Leihmutter. Die hat sich in Morph verknallt und ihn damit erpresst, dass er das Kind nicht kriegt, wenn er sie nicht heiratet. Tja und er war wohl naiv genug gewesen, um sich darauf einzulassen und das hat den Doc eben ziemlich sauer gemacht. Aber offenbar scheinen sich die beiden wieder versöhnt zu haben. Und wie läuft es bei dir und Araphel?“ Bei dieser Frage errötete Sam und wusste zuerst gar nicht so wirklich, was er darauf antworten sollte. Aber dann sprach Christine weiter. „Weißt du, ich finde es ganz gut, dass er endlich jemanden hat, der ihm ein Stück Normalität bieten kann. Zwar verstehen Araphel und ich uns ganz gut, aber… er sieht in mir immer nur seine tote Schwester, die er retten will und das reißt immer wieder diese alten Wunden bei ihm auf. Keiner von uns kann ihm helfen, aber bei dir scheint es anders zu sein. Ich hab ihn gestern sogar mal kurz lächeln sehen und er wirkte sichtlich entspannter und gelöster als sonst. So hab ich ihn noch nie gesehen, seit ich ihn kenne. Meist war er entweder ziemlich aggressiv, verbittert und rachsüchtig, oder aber ziemlich niedergeschlagen. Insbesondere als es Ahava nicht gut ging. Aber er war nie glücklich und der Gedanke an Rache war so ziemlich das Einzige, was ihn überhaupt am Leben erhalten hat. Aber inzwischen scheint er endlich mal an etwas anderes zu denken und nicht nur ich, sondern auch die anderen hoffen natürlich, dass er dann auch endlich aufhört, sich weiterhin die Schuld an all dem Unglück zu geben. Aber…“ Und hier legte sie einen Arm um seine Schultern. „Wenn du Schwierigkeiten mit ihm hast, kannst du auch gerne zu mir kommen, dann bringe ich diesen Sturschädel wieder auf Kurs.“ „Wer ist hier ein Sturschädel?“ Als sie sich gemeinsam umdrehten, sahen sie Araphel, der auf sie zukam und wie immer eine Miene zog, als würde er sich als Soldat für den Kriegseinsatz bereit machen. Aber das war eben der Gesichtsausdruck, den er so ziemlich immer hatte, darum hatte es auch nicht sonderlich viel zu bedeuten. Christine zwinkerte ihm frech zu und gab auch ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. „Na wer denn wohl, hm? Na komm schon, ich mach doch nur Spaß. Ich lass euch zwei Turteltäubchen mal alleine und bin…“ „Warum hast du Owen nicht mitgenommen?“ unterbrach Araphel direkt und er klang nun wirklich sehr ernst. „Was, wenn die Triade dich trotz Shens Abwesenheit verfolgt hätte und du in Gefahr geraten wärst? Das ist kein Spiel, Christine!“ „Ich wollte halt auch mal Zeit für mich haben, ohne ständig einen deiner Bodyguards im Schlepptau zu haben, die mir auf die Nerven gehen“, erklärte die Rothaarige und machte deutlich, dass sie in der Hinsicht auch dabei bleiben würde. „Ich bin hier ja schon recht eingeengt, da brauche ich nicht auch noch einen Aufpasser, wenn ich mal in der Stadt unterwegs bin. Das nervt einfach und ich hab auch keine Lust darauf.“ Doch Araphel schien nicht wirklich bereit zu sein, mit ihr über derlei Dinge zu verhandeln und zeigte sich auch dementsprechend stur. „Auch wenn Shen nicht im Land ist, geht immer noch Gefahr von der Triade aus und darüber müsstest du dir doch eigentlich im Klaren sein, Christine.“ „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, ich bin immerhin älter als du!“ erklärte sie nun deutlichem Nachdruck in der Stimme. „Ich muss jetzt auch in die Werkstatt und sehen, was Asha so macht. Ich muss mich noch um die Seriennummern der zwanzig Ferraris kümmern und das dürfte noch dauern. Lass uns später weiterreden, okay?“ Damit ging Christine und schaffte es, sich auf diese Weise aus der Affäre zu ziehen. Araphel war nicht gerade begeistert darüber, sagte aber nichts, da er wohl einsah, dass es keinen Sinn hatte, sich mit Christine zu diskutieren. Geschlagen seufzte er und wandte sich an Sam. „Und?“ fragte er. „Erfolg gehabt?“ „Ich bin guter Dinge“, antwortete der Detektiv. „Morph hat anscheinend gute Kontakte, die mir helfen wollen. Und ich denke, wir können was machen.“ „Das ist gut…“ Araphel wirkte ein wenig erschöpft und hatte wahrscheinlich wieder viel arbeiten müssen. Aber es war nicht mehr so, als wäre er auch psychisch vollkommen ausgezehrt, was eigentlich schon mal eine Besserung war. Schließlich aber (es mochte auch an Sams guter Laune liegen) ergriff Sam Araphels Hand und kam mit einem Vorschlag, der selbst den Mafiaboss überraschte. „Warum machen wir beide uns nicht mal einen gemeinsamen Tag, hm? Ich glaube, das tut uns beiden mal ganz gut.“ Ein wenig war Sam selbst überrascht, dass er so die Initiative ergriff, aber andererseits hatten sie sich ja bereits über ihre Gefühle ausgesprochen und wussten, was sie füreinander empfanden. Also war es doch völlig in Ordnung, auch mal einen Schritt auf den anderen zuzugehen und zu zeigen, wie viel man für ihn empfand. Und nachdem sie schon solche Startschwierigkeiten hatten, wollte der Detektiv auch mal die Zeit nutzen, um auch mal diese andere Seite an Araphel besser kennen zu lernen. Der Mafiaboss schwieg deutlich überrascht, sah aber nicht abgeneigt aus und hatte auch sogleich einen Vorschlag. „Ich bin heute Abend im Bluebird Hotel. Wenn du willst, kannst du mitkommen.“ Das Bluebird Hotel? Soweit Sam das richtig in Erinnerung hatte, war es ein Luxushotel im Zentrum von Boston und es galt als eines der exklusivsten in der Stadt. Dem Detektiv klappte die Kinnlade herunter. „Das Bluebird?“ „Der Inhaber ist ein guter Kunde der Mason-Familie und erweist mir deshalb den einen oder anderen Gefallen. Eigentlich sollte heute Abend ein Geschäftsessen stattfinden, aber dieses wird voraussichtlich nicht stattfinden, da mein Geschäftspartner gesundheitlich verhindert ist. Da die Reservierung bereits steht, könnten wir beide den Abend im Bluebird verbringen.“ Das kam jetzt mehr als überraschend, aber Sam nahm das Angebot gerne an. Da noch etwas Zeit war, ging er auf sein Zimmer und suchte sich die passenden Klamotten raus, denn für so ein luxuriöses Hotel musste man auch dementsprechend gekleidet sein. Zum Glück hatte er für alle Fälle die passende Kleidung. Als es dann 17 Uhr wurde, holte Araphel ihn ab und sie ließen sich vom Chauffeur zum Hotel Bluebird fahren. Gleich schon, als sie das imposante Gebäude betraten und in der Eingangshalle ankamen, wurden sie auch schon vom Manager persönlich begrüßt, der Araphel in einer solchen Höflichkeit und Unterwürfigkeit begrüßte, als sei der Mafiaboss der Präsident der Vereinigten Staaten persönlich. Nun ja, wenn Araphel wichtige Geschäfte mit dem Bluebird machte, dann lag es eben im Interesse des Managers, ihn möglichst zufrieden zu stellen und sich mit ihm gut zu stellen. Immerhin war Araphel die amtierende Nummer eins von Boston und damit einer der gefährlichsten und einflussreichsten Männer in der Stadt. Sie wurden zu ihrem Zimmer geführt, welches sich als ein Penthouse herausstellte, welches so luxuriös eingerichtet war, dass Sam zuerst dachte, dies sei die Präsidentensuite. Allein die Badewanne war ein halber Swimmingpool… Sie blieben aber nicht lange im Zimmer, sondern gingen ins Restaurant, welches zum Bluebird gehörte und erlesene Delikatessen aus aller Welt anbot. Angefangen von sehr seltenen Meerestieren über Albatrüffel, Beluga-Kaviar bis hin zu Spezialitäten, von denen Sam noch nie in seinem Leben etwas gehört hatte. Er war wirklich sprachlos von all dem hier, denn ansonsten war er es als allein wohnender Junggeselle gewohnt, meist Fertiggerichte zu essen oder sich was beim Imbiss in der Nähe zu holen. Das war gar kein Vergleich zu dem, was er hier geboten bekam. Er hatte fast schon ein schlechtes Gewissen, sich hier etwas von der Karte zu bestellen, doch Araphel versicherte ihm, dass er sich bezüglich der Preise keine Sorgen zu machen brauche. Also bestellte er sich etwas, von dem er wenigstens wusste, was es war und musste schnell feststellen, dass er noch nie etwas gegessen hatte, was auch nur annähernd so gut war. Auch sonst war der Abend sehr schön. Araphel zeigte sich recht gesprächig und schien guter Laune zu sein, was wahrscheinlich daran lag, weil er auch mal froh über ein wenig Abwechslung war. Er erwies sich als sehr erlesener Weinkenner und erzählte auch mehr aus seiner Vergangenheit. Eine sehr intime Stimmung herrschte zwischen ihnen und Sam hatte auch großen Spaß an diesem Abend. Nach dem Essen gingen sie nach oben ins Penthouse, um den Abend ausklingen zu lassen. Es war ein wunderbarer Abend gewesen und natürlich ließ es sich Sam nicht nehmen, bei der Gelegenheit die Badewanne in Beschlag zu nehmen. Und da sie ja eh groß genug war, hatte auch Araphel Platz. Nachdem er Sam den größten Teil seiner düsteren Vergangenheit ohnehin schon enthüllt und dieser auch seine unzähligen Narben gesehen hatte, schien auch ein großes Stück Distanz zwischen ihnen überwunden worden zu sein. So lag er schließlich in seinen Armen, während sehr dezent entspannende Musik spielte. Als Sam so da saß und Araphels Nähe spürte, fühlte er sich einfach nur glücklich und wünschte sich, dieser Abend würde nie zu Ende gehen. „Danke“, sagte er schließlich. „Nicht nur für den Abend, sondern auch für die Hilfe.“ „Kein Problem“, kam es von Araphel und man hörte deutlich, dass er ebenfalls guter Laune war. „Betrachte es als eine Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten, die du durch mich hattest. Auch wenn vieles davon nicht wieder gutzumachen ist.“ „Schon gut. Ehrlich gesagt denke ich auch nicht mehr so wirklich daran, was zu Anfang gewesen ist. Ich bin froh, dass es letztendlich zum Positiven zwischen uns gekommen ist. Und außerdem…“ Hieraufhin drehte sich Sam zu ihm um und küsste ihn „weiß ich ja, dass du tief in deinem Herzen ein guter Mensch bist.“ „Pass bloß auf, was du da sagst“, warnte Araphel ihn. „So etwas gilt in meinem Gewerbe als Beleidigung.“ „Dann bestraf mich doch“, erwiderte Sam und zwinkerte ihm frech zu. Das ließ sich der Mafiaboss natürlich nicht zwei Mal sagen. Als der Detektiv spürte, wie eine Hand zwischen seine Beine wanderte, spreizte er diese noch ein wenig und ließ den Mafiaboss gewähren. Ein angenehmes Kribbeln ging durch seinen Körper, als Araphel seine Halsbeuge küsste und seinen Penis zu streicheln begann. „Du bist ganz schön frech, weißt du das?“ raunte Araphel und fuhr mit seiner Zunge über Sams Ohr. „Tja, so bin ich nun mal.“ Sam schloss die Augen und ließ sich von Araphel verwöhnen. Selten war er glücklicher gewesen als heute. Nicht nur, dass er dank Araphels Unterstützung zusätzliche Hilfe im Kampf gegen die Korruption bei der Bostoner Polizei hatte. Nein, er hatte auch noch einen romantischen Abend mit Araphel, wo sie einfach mal ganz unter sich waren. Und diese entspannte und intime Atmosphäre machte sich recht schnell bei ihm bemerkbar, als er spürte, wie ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper ging und seine Erregung immer stärker wurde. Dadurch, dass sie immer noch im Wasser waren, fühlte es sich nur noch umso besser an. Fast wie beim letzten Mal unter der Dusche. „Na du bist ja schnell hart geworden“, bemerkte der Mafiaboss ein klein wenig amüsiert und biss ihm spielerisch in sein Ohrläppchen. „Kannst es wohl kaum erwarten, was?“ „Ich liebe es halt, wenn es romantisch ist“, erklärte Sam zu seiner Verteidigung. „Ich mag es halt, auch mal deine menschlichere Seite zu sehen. Den wahren Araphel und nicht den Mafiaboss.“ „Nun, wir könnten durchaus noch einen Tag bleiben. Nach dem ganzen Stress der letzten Tage tut eine kleine Abwechslung auch ganz gut.“ „Und ich soll wohl deine persönliche Zerstreuung sein, was?“ „Ganz genau.“ Nun wurde Araphels Griff um Sams erigiertem Glied stärker und der Detektiv keuchte auf. Der Mafiaboss wusste aber auch wirklich, wie er ihn in die richtige Stimmung bringen konnte. Um es noch ein wenig auf die Spitze zu treiben, begann der Mafiaboss damit, ihm noch zusätzlich die Brustwarzen zu kneten, wobei er aber sagte „Wag es ja nicht, ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zu kommen. Ansonsten werde ich böse.“ Doch wirklich leicht machte es der 31-jährige ihm nicht und mit großer Wahrscheinlichkeit war das auch beabsichtigt. So lief das Spiel zwischen ihnen halt und es gab ihnen auch den gewissen Kick. „Ah!“ Ein Schauer durchfuhr seinen Körper und ihm wurde heiß zumute. Das Kribbeln in seinen Lenden wurde stärker und er wollte mehr. Er wollte mehr und er wusste, dass das allein nicht ausreichen würde, um ihn vollständig zu befriedigen. Doch so schnell würde Araphel ihn nicht erlösen. Nein, nicht bevor er ihn ein wenig gequält hatte. „Na?“ fragte Araphel mit einem leisen sadistischen Unterton. „Wie lange hältst du wohl durch?“ „Du bist echt ein Sadist…“ „Als ob du nicht darauf stehen würdest.“ Das konnte Sam leider nicht leugnen. Als Araphel seinen Penis noch schneller und stärker zu massieren begann, kostete es den Detektiv sichtlich Mühe, sich zusammenzureißen. Es fühlte sich einfach so unbeschreiblich gut an, dass sein Kampfgeist deutlich sank und diese Stimme in seinem Kopf ihn drängte, es einfach zuzulassen. Doch er hielt sich zurück. Denn er wusste, dass es umso besser wurde, je mehr er versuchte, es zurückzuhalten. Für den Mafiaboss war es ein zusätzlicher Ansporn, noch einen Zahn zuzulegen und die Oberhand zu behalten. Es war quasi eine Art Machtspiel zwischen ihnen, bei dem Sam auf seine Art und Weise versuchte, sich gegen Araphel durchzusetzen, während dieser natürlich das Sagen haben wollte. „Mh… ah…“ Sam kostete es immer mehr Mühe, sich zurückzuhalten und er wusste, dass er es gleich nicht mehr schaffen würde. Das Kribbeln in seinen Lenden wurde immer stärker und war kaum noch zum Aushalten. Er wollte kommen und damit endlich Erleichterung verschafft bekommen. Doch ohne Araphels Erlaubnis würde es nur dazu führen, dass es eine Bestrafung geben würde. Langsam wurde es wirklich unerträglich. „Araphel…“, keuchte er und hielt sich mit einer Hand am Rand der Badewanne fest. Doch der Mafiaboss schien ihn eher zu ignorieren und bemerkte nur „Deine Brustwarzen sind schon ganz hart…“ „Araphel, bitte…“ Wieder fuhr der Mafiaboss mit seiner Zunge über Sams Ohr und flüsterte „Noch nicht.“ Doch für Sam wurde es fast ein Ding der Unmöglichkeit. Wirklich alles in ihm schrie danach, endlich abzuspritzen und er glaubte nicht wirklich daran, dass er das noch lange durchhalten konnte. Erst als er seinen Stolz vergaß und ihn anflehte „Bitte lass mich endlich kommen, ich… ich kann nicht mehr…“, da küsste der Mafiaboss seine Halsbeuge. „Na schön“, sagte dieser. „Wenn du mich schon so bittest, dann darfst du ruhig.“ Und als Sam seinen letzten Widerstand aufgab, überkam ihn eine Woge heißer Lust, die von seinem Körper Besitz ergriff und Sterne vor seinen Augen explodieren ließ. Mit einem lustvollen Aufschrei entlud er sich und sank schwer atmend in Araphels Armen zusammen. Für einen kurzen Moment musste er sich sammeln. Dann aber änderte er seine Position, stützte sich mit seinen Armen auf dem Rand der Badewanne ab und streckte Araphel quasi sein Gesäß entgegen. „Nimm mich“, keuchte er. „Jetzt…“ Doch trotz der mehr als verlockenden Aufforderung wollte sich der Mafiaboss nicht so schnell darauf einlassen. Stattdessen drückte er Sams Kopf ein klein wenig grob runter, während er zwei Finger durch seinen Schließmuskel schob. Eine Art, seine Stellung als Dominanter mehr als deutlich zu machen. „Wer hat dir eigentlich gesagt, du könntest mir Vorschriften machen?“ fragte der Mafiaboss in einem unterschwellig-bedrohlichen Ton und Sam stöhnte laut, als diese beiden Finger seinen besonderen Punkt ertasteten und ihn durch gezielte Bewegungen in seinem After so erregten, dass es nicht lange dauerte, bis er wieder hart war. „Du bist ganz schön versaut, weißt du das?“ merkte der Mafiaboss an. „Anscheinend braucht es wohl weitaus mehr, um dich zu befriedigen.“ Sam antwortete darauf nicht, sondern streckte ihm seine Hüften noch mehr entgegen, damit Araphels Finger noch tiefer in ihn eindringen konnten. Es stimmte, es würde wirklich mehr brauchen, um ihn wirklich zu befriedigen. Nur der Sex mit Araphel konnte ihm wirklich das geben, was er brauchte. Und als der Mafiaboss merkte, dass Sam brav wie ein Kätzchen war, beschloss er, seinem Wunsch nachzukommen und endlich mit dem Spaß anzufangen. Nachdem der 31-jährige seine Finger zurückgezogen hatte, spürte Sam einen deutlich stärkeren Druck und empfing bereitwillig Araphels Glied und ließ den Mafiaboss tief in sich eindringen. Ein verzücktes Keuchen war zu vernehmen und fest hielt der Mafiaboss ihn an den Hüften gepackt, während er tief und hart zustieß. „So magst du es am liebsten, nicht wahr?“ fragte dieser ihn und visierte dabei immer wieder diesen einen besonderen Punkt an, der Sam jedes Mal in Ekstase versetzte. Der Detektiv verlor den letzten kläglichen Rest seiner Zurückhaltung und gab sich voll und ganz diesem Moment hin, während sein Körper gänzlich seinen eigenen Willen entwickelt hatte und sich Araphels Bewegungen anpasste. Sein Herz hämmerte wie verrückt in der Brust und das Blut pulsierte in seinen Adern. Ihm war, als wäre sein Kopf nur noch eine weiße Leinwand. Er war zu keinem klaren Denken mehr fähig und wurde gänzlich von seinem Verlangen beherrscht, Araphels Leidenschaft mit jeder Faser seines Körpers zu spüren. „Ah… Araphel…“ Zwischendurch bekam er fast schon Schwierigkeiten, Luft zu holen. Ihm wurde schwindelig und ihm war, als würde sein Körper dahinschmelzen. So heiß… ihm war so heiß. Und das Wasser, welches seine Haut umspielte, schien das Ganze noch weiter zu intensivieren. Dann schließlich schaffte es Sam nicht mehr und kam schließlich zu seinem zweiten Orgasmus, kurz darauf kam auch Araphel. Keuchend stützte sich der Detektiv am Rand der Badewanne ab und musste sich kurz sammeln. Zuerst befürchtete er, dass es gleich wieder zu einem Asthmaanfall kommen könnte, doch zum Glück blieb er verschont. Trotzdem war es wohl besser, aus dem Badezimmer rauszukommen. Bei hoher Luftfeuchtigkeit fiel ihm das Durchatmen ohnehin schwer und bei dieser körperlichen Aktivität war das Risiko einfach zu groß. Darum wandte er sich an Araphel zu. „Was meinst du? Sollen wir die zweite Runde lieber ins Schlafzimmer verschieben?“ „Du hast echt noch Energie übrig?“ fragte der Mafiaboss überrascht, der erst auch damit gerechnet hatte, dass dem Detektiv gleich wieder die Luft ausgehen würde. Doch zum Glück war es gar nicht erst dazu gekommen. Wahrscheinlich war es wegen der Luft im Bad. „Klar“, antwortete Sam. „Wir sollten die Zeit hier genießen, solange wir hier sind, oder? Hier stört uns eh keiner und hier gibt es auch keinerlei Ablenkungen.“ Nun, dem konnte der Mafiaboss durchaus nicht widersprechen. Also stiegen sie gemeinsam aus der Badewanne, trockneten sich ab und setzten ihr Liebesspiel im Schlafzimmer weiter fort. Kapitel 25: Auszeit Teil 2 -------------------------- „Wie süß die Rache ist und wie inbrünstig sie ersehnt wird, das weiß niemand als der, der die Beleidigung erlitten hat.“ Giovanni Boccaccio, italienischer Humanist Nachdem Sam sich aufs Bett gelegt hatte und einmal wieder tief durchatmen konnte, ging es ihm gleich viel besser. Zur Sicherheit prüfte er aber trotzdem nach, ob das Asthmaspray auch griffbereit lag, falls es wieder Probleme geben sollte. Tief sog er die Luft ein und spürte, wie Araphel eine Hand auf seine Stirn legte. „Und? Geht es wieder?“ „Ja“, antwortete der Detektiv und lächelte. „Ich vertrage halt nur diese hohe Luftfeuchtigkeit nicht so gut. Ist bei Asthmatikern aber häufig so.“ „Und warum hast du nichts gesagt?“ „Weil es eigentlich ganz gut ging und ich es halt wollte. Natürlich ist es ärgerlich, dass mir mein Asthma oft im Weg steht, aber daran kann man halt nichts ändern. Das ist etwas, womit ich halt leben muss. Aber zum Glück hab ich ja immer genug Hilfsmittel. Und jetzt möchte ich auch nicht mehr darüber reden. Nicht jetzt.“ Hieraufhin setzte er sich auf, schlang seine Arme um Araphels Schultern und küsste ihn. Wie nicht anders zu erwarten wurde sein Kuss sofort erwidert und steigerte sich zu einem wilden und leidenschaftlichen Zungenkuss. Dabei setzte er sich ein wenig frech und herausfordernd auf Araphels Schoß und man sah ihm an, dass das Ganze schon absichtlich provoziert war. Und das ließ der Mafiaboss natürlich nicht so einfach auf sich sitzen. Und so wurde der 28-jährige auch schon zurück aufs Bett gedrückt, woraufhin seine Handgelenke an die Bettpfosten gefesselt wurden. Nun baute sich der Mafiaboss über ihn auf und ein verheißungsvolles Leuchten war in seinen Augen. Er strahlte Stärke und Stolz aus wie ein Löwe und Sam hätte lügen müssen, wenn er geleugnet hätte, dass dieser Anblick ihn immer wieder aufs Neue faszinierte. „So langsam habe ich echt den Eindruck, du hättest Druck auf der Leitung“, meinte Araphel, woraufhin Sam mit einem Lächeln entgegnete „Und ich habe so langsam den Eindruck, du hast Spaß an so einer Fesselgeschichte.“ „Das kann durchaus sein.“ Die Fesseln um die Handgelenke waren fest und Sam merkte schon, dass Araphel bei so etwas keine halben Sachen machte. Und als er wieder diese Fesseln spürte, kehrte wieder die Erinnerung an die Zeit im Keller zurück. Die Schmerzen und die Demütigungen… Obwohl er das eigentlich für sich abgehakt hatte und das alles hinter sich lassen wollte, kamen dennoch diese Dinge wieder hoch. Er ärgerte sich ungemein deswegen und versuchte auch, es vor Araphel zu verbergen, damit dieser sich nicht noch ein schlechtes Gewissen machte. Doch dem Mafiaboss blieb nicht verborgen, dass Sam plötzlich zurückhaltender wurde und er schien schon eine Ahnung zu haben. „Sag schon, was beschäftigt dich?“ Sam haderte noch einen Moment mit der Entscheidung, ob er Araphel davon erzählen sollte oder nicht. Aber letzten Endes entschied er sich doch dafür, offen und ehrlich zu reden. „Es sind nur diese verdammten Erinnerungen, die ich nicht so schnell loswerde, das ist alles. Aber mach dir keinen Kopf deswegen, ja?“ Doch man sah Araphel an, dass ihn Schuldgefühle plagten und ihm diese Sache im Nachhinein wirklich leid tat. „Ich würde es gerne wieder ungeschehen machen“, sagte der Mafiaboss schließlich. „Ich hab mich so sehr von meiner Wut hinreißen lassen, dass ich im Grunde fast zu den Menschen geworden wäre, den ich am meisten auf der Welt hasse.“ „Du warst halt hilflos und hattest halt dieses Ventil gebraucht. Es ist auch nicht so, dass ich dir irgendwelche Vorwürfe mache oder dich deswegen hasse. Aber es sind halt Dinge, mit denen ich halt klar kommen muss. Aber weißt du, durch diese schrecklichen Erlebnisse habe ich auch paradoxerweise gelernt, dich zu verstehen und was du selber durchmachen musstest. Es war eine Lektion für uns beide. Keine schöne, aber sie war halt nötig und lass mich dir eines sagen: du bist nicht wie Shen, okay? Du wolltest deine Schwester rächen und Christine und die anderen beschützen. Shen hat niemanden, der ihm wichtig ist und er ist einfach nur ein grausamer Psychopath.“ „Ich hab dich in diesem Keller eingesperrt und dir schlimme Dinge angetan. Ich hätte dich sogar fast umgebracht.“ „Hast du aber nicht und du bereust doch, was du getan hast. Wir können also noch weiter den ganzen Tag weiter darüber philosophieren, ob du genauso schlimm bist wie Shen oder nicht, oder aber wir machen endlich einen Strich und fangen gemeinsam noch mal neu an und reißen uns zusammen. Wenn wir nämlich noch weiter darüber reden, ist hier gleich endgültig die Stimmung raus und außerdem schlafen mir sonst noch die Arme ein.“ Dieser freche Kommentar brachte den Mafiaboss zum Schmunzeln und er schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich ziemlich frech geworden.“ „Ich kann halt auch anders wenn ich will.“ Nun beugte sich Araphel zu ihm vor und begann seinen Hals zu liebkosen und streichelte Sams Brust. Dabei fragte er sich, wie weit er Sam inzwischen eigentlich verfallen war. Nie im Leben hätte er gedacht, dass er so starke Gefühle für einen anderen Menschen entwickeln konnte. Der einzige Mensch, für den er je tiefere Gefühle empfunden hatte, war Ahava. Doch selbst diese Gefühle waren nicht vergleichbar zu denen, die er für Sam empfand. Es war so neu, aber auch auf eine gewisse Art und Weise heilsam. Als würden so langsam auch seine seelischen Wunden heilen. Er konnte in Sams Nähe endlich die Vergangenheit vergessen und sich auf andere Dinge konzentrieren. Noch nie in den vergangenen vier Jahren hatte jemand das geschafft. Zärtlich küsste Araphel seine Brust und fuhr mit seiner Zunge über die Brustwarzen. Er wollte an nichts mehr denken, sondern sich einfach nur diesem Moment hingeben und sonst nichts. Sam spürte, wie ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper ging, als Araphels Zunge seine hart gewordenen Brustwarzen umspielte und er ließ ein lustvolles Seufzen vernehmen. Ihm war anzusehen, dass er es doch sehr genoss und das war es letztendlich auch, was Araphel beabsichtigte. Doch so lange wollte der Mafiaboss nicht warten und das bekam Sam auch zu spüren, als Araphel noch einen draufsetzte und ihm die Augen verband. „Hey“, rief der Detektiv daraufhin. „Meinst du nicht auch, die Fesseln reichen schon?“ „Betrachte es als kleine Strafe dafür, dass du so frech warst.“ Da Sam rein gar nichts sehen konnte und in seiner Bewegungsfreiheit nun deutlich eingeschränkt war, wusste er rein gar nicht, was Araphel jetzt mit ihm vorhatte. Er merkte nur, dass es eine Bewegung auf dem Bett gab und dann hörte er ein Rascheln von einer Tasche. Was zum Teufel hatte Araphel denn jetzt bitte vor? So langsam wurde er unruhig, doch dann hörte er die vertrauten Schritte des Mafiabosses näher kommen. Kurz darauf wurden auch schon seine Beine angewinkelt und er spürte, wie Druck auf seinen Schließmuskel ausgeübt wurde. Langsam schob sich ein fremder Gegenstand in seinen After und kurz darauf spürte er auch schon eine starke Vibration, die durch sein Innerstes ging. Er stöhnte laut auf und realisierte nun, dass Araphel doch tatsächlich einen Vibrator benutzte. Wie hinterhältig… „Ah… aaah…“ Ein intensiver Schauer durchfuhr seinen Körper und er spürte, wie ihm langsam heiß wurde. Wenn sich das Ganze nicht so gut anfühlen würde, dann hätte er schon ein paar Takte zu sagen gehabt. Aber so ging es ja schlecht. Noch tiefer drang der Vibrator in ihn ein und umso stärker wurde das Gefühl der Lust. Araphel brauchte nicht lange, um genau den einen besonderen Punkt zu finden, der den Detektiv immer wieder aufs Neue in Ekstase versetzte. Und Sam konnte kaum die Kraft aufbringen, sich gegen sein eigenes, tiefes Verlangen zur Wehr zu setzen. Er wollte mehr und er machte sich auch nicht so wirklich die größte Mühe, es vor Araphel zu verbergen. Warum denn auch? Sie waren immerhin zusammen und teilten tiefe Gefühle füreinander. Und sie waren doch extra hierher gekommen, um die gemeinsame Zeit zu genießen und sich Abstand zu allem zu nehmen. „Mh… ha…“ „Offenbar stehst du auf Spielzeuge, Sam.“ „Du… du bist echt gemein, weißt du das?“ Nun begann der Mafiaboss den Vibrator noch ein wenig zu bewegen, um den gefesselten 28-jährigen noch ein wenig zu ärgern. Dieses Mal wollte er sich offenbar noch ein wenig Zeit lassen, um den Anblick zu genießen. Zu dumm nur dass Sam nichts sehen konnte. Seine Erregung steigerte sich immer weiter und sein Körper fühlte sich so unbeschreiblich heiß an. Das Blut staute sich und sein Herz begann zu hämmern. Doch es war nicht genug. Er wollte mehr… er wollte Araphel. Und der 31-jährige schien das ganz gut zu wissen, denn er begann ihn nur noch mehr zu provozieren, er wieder Sams Hals küsste und mit seinen Händen Sams Körper erforschte. Diese Stimulationen waren zu viel für den Detektiv. Er wollte nicht mehr länger warten. Er wollte es jetzt sofort. „Araphel…“ „Ja?“ fragte der Mafiaboss herausfordernd. „Was willst du?“ „Bitte mach es endlich… ich will dich!“ Sichtlich zufrieden mit diesen Worten küsste Araphel ihn als kleine Belohnung für sein braves Verhalten. Er liebte es halt, wenn Sam ihn regelrecht darum anbettelte, ihn durchzunehmen. Das machte das Ganze noch umso reizvoller und gab ihm auch ein wunderbares Gefühl, dass er Macht über Sam hatte. Er wollte ihn nicht vollständig besitzen und beherrschen und ihn auf Schritt und Tritt kontrollieren, aber er wollte, dass Sam sich in gewissen Situationen seinem Willen unterordnete und ihm gehorchte. So sollte es laufen und er mochte es halt auch, im Bett seine Position als Dominanter klar zu machen und Sam dessen bewusst zu machen. „Na gut“, sagte er schließlich. „Da du so brav gefragt hast, will ich mal nicht so sein. Wenn dir das Spielzeug nicht genügt, dann gebe ich dir halt etwas Richtiges.“ Damit schaltete er den Vibrator aus, zog ihn vorsichtig heraus und legte ihn beiseite. Er sah wie Sams Körper bebte und wie sein Penis vor Erregung leicht zuckte. So wie er aussah, konnte er es offenbar kaum erwarten. Wie er diesen Anblick doch liebte und vor allem genoss. „So und nun bekommst du das, was du so sehr willst.“ Araphel brauchte ihn nicht weiter vorzubereiten, sondern drang tief in ihn ein und spürte die die Hitze und wie sich Sams innere Muskeln sein Glied fest umklammerten. Zwar spürte er bereits, dass Sams Anus nicht mehr ganz so eng war wie am Anfang, aber es fühlte sich dennoch unbeschreiblich gut an. Und auch der Detektiv, der laut und lustvoll aufstöhnte, schien es deutlich zu spüren. Diese Geräusche waren wie Musik in seinen Ohren und er wollte ihn noch mehr in Ekstase versetzen. Er wusste ja, wie der Detektiv es am liebsten hatte. Sam atmete schwer und ihm war, als würde sein Körper zerfließen. Ihm war so unbeschreiblich heiß zumute und Schweißperlen glänzten auf seiner Haut. Immer härter und schneller wurden Araphels Stöße und trieben den Detektiv immer mehr an seine Grenzen. Inzwischen hatte er sich voll und ganz in diesem unbeschreiblichen Gefühl verloren und alles andere um sich herum vollkommen ausgeblendet. Es gab nur ihn und Araphel und alles andere war nicht mehr länger von Bedeutung. „Ah… aaah!“ Immer stärker wurde der Druck, immer intensiver das Verlangen, endlich die befreiende Erlösung zu finden. Er rang nach Luft, hatte das Gefühl, als würde er gleich explodieren, doch er hielt sich noch zurück. Er wollte es noch ein klein wenig in die Länge ziehen und es bis zum Schluss voll und ganz auskosten. „Araphel…“, keuchte er und hörte, dass auch der Mafiaboss langsam aber sicher an seine Grenzen stieß und es nicht mehr lange dauern würde, bis auch er soweit war. Der Mafiaboss hielt ihn fest gepackt und stieß immer wieder tief und hart zu, um Sam noch weiter an seine Grenzen zutreiben. Und dann schließlich brachen alle Dämme bei Sam, erstarb das letzte bisschen Widerstand in ihm, der ihm noch genug Kraft gegeben hatte, um es zurückzuhalten. Ein heißer, kribbelnder Schauer ging durch seinen Körper, ließ ihn für einen Moment fast das Bewusstsein verlieren, bis er schließlich erschöpft keuchend seinen Kopf ins Kissen sinken ließ. Schließlich wurde ihm die Augenbinde wieder abgenommen und als nächstes nahm Araphel ihm die Fesseln ab, bevor er sich neben ihm legte, um sich auszuruhen. Langsam kam Sam wieder zu Atem und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er fühlte sich ziemlich ausgelaugt, aber auch glücklich und betrachtete den Mafiaboss mit einem müden, aber dennoch glücklichen Lächeln und spürte, wie eine Hand zärtlich eine Strähne aus seinem Gesicht strich. „Darf ich dich mal was fragen?“ „Kommt drauf an, was du wissen willst“, erklärte Araphel, woraufhin Sam nun seine Frage wagte. „Warst du eigentlich je wieder in Israel und kannst du eigentlich Israelisch?“ „Nun, sprechen kann ich es, aber mit der Schrift habe ich Schwierigkeiten.“ „Okay“, murmelte Sam, der nichts verstanden hatte, was Araphel da gerade gesagt hatte. Aber der Mafiaboss erklärte es ihm noch mal so, dass der Detektiv es verstehen konnte. „Ich war ehrlich gesagt nur ein Mal in Israel gewesen und zwar zusammen mit Ahava, in Tel Aviv um genau zu sein. Dort bin ich auch geboren. Aber sonderlich verbunden fühle ich mich mit diesem Land nicht direkt. Zwar bin ich israelischer Herkunft und streng genommen auch jüdisch, aber ich lebe nicht wirklich danach. Ich habe damit halt nicht sonderlich viel am Hut und fühle ich auch mehr wie ein Amerikaner als ein Israeli, auch wenn es viele Sachen in diesem Land gibt, für die ich nicht sonderlich viel Verständnis habe.“ „Und ist Araphel eigentlich ein geläufiger Name?“ „Nicht direkt. Er bedeutet so viel wie „tiefe Dunkelheit“, was daher kommt, weil ich mitten in der Nacht zur Welt gekommen bin. Mein Klassenlehrer konnte sich nie wirklich meinen Namen merken und nannte mich stattdessen immer Raphael.“ „Aber es ist ein außergewöhnlicher Name. Ich hab immer gehört, dass außergewöhnliche Namen für außergewöhnliche Menschen stehen. Mein Name ist da eher unkreativ, weil mein Großvater Samuel hieß und der Name Sam Leens ein Anagramm für „Nameless“ ist.“ „Ist doch auch etwas Ungewöhnliches.“ „Und was bedeutete Ahavas Name?“ „Liebe.“ Sam dachte darüber nach. Die Namen passten wirklich gut. Araphel, der immer so finster und bedrohlich erschien und Ahava, die ihrem Bruder immer liebevoll zur Seite gestanden hatte, auch wenn sie von der Mafia nichts wissen wollte. Es waren zwei Gegensätze gewesen, die aber dennoch in einer unzertrennlichen Einheit zusammengehalten hatten. Und wenn Sam bedachte, was Araphel alles erlebt hatte… Er war auf der Straße groß geworden und hatte sich um ein verwaistes Baby gekümmert, nachdem die Eltern gestorben waren, um ihn zu retten. Ohne zu zögern hatte er sich um das Baby gekümmert und Ahava als seine Schwester großgezogen. „Sie hatte einen wirklich schönen Namen.“ „Ich habe ihn ihr gegeben. Da ihre Eltern so plötzlich starben, wusste ich nicht, wie sie hieß.“ „Muss sicher schwer gewesen sein, mit sieben Jahren so eine große Verantwortung zu übernehmen. Wie hast du das drei Jahre lang geschafft?“ „Es gab da ein kleines Ghetto in Tel Aviv, dort lebten auch Obdachlose und Kinder ohne Familien. Es gab da eine 20-jährige, die selbst ein Baby zu versorgen hatte und weggelaufen war, nachdem ihr Macker sie grün und blau geschlagen hatte. Sie hat mir beigebracht, wie man mit einem Baby umzugehen hat und alleine hätte ich das wohl nicht geschafft. Aber nun hast du mich schon so viel ausgefragt, da denke ich, dass es nur fair ist, wenn du mir auch was erzählst.“ Nun, da hatte er eigentlich nicht ganz unrecht. Immerhin hatte er mehr über den Mafiaboss erfahren, als irgendein anderer Mensch je erfahren würde. Nachdem sie sich beim Zimmerservice zur Abrundung des Abends Champagner bestellt hatten, begann Sam aus seinem Leben zu erzählen. Wie er schon als kleiner Junge seinem Vater nachgeeifert war und davon geträumt hatte, Polizist zu sein. Auch das schwierige Verhältnis zu seinem Bruder ließ er nicht aus. „Wir hatten schon immer Probleme gehabt, weil er immer der Ältere war und deshalb immer quasi das Papa-Kind war. Er stand als Älterer an erster Stelle und er hat das auch immer eingefordert. Es herrschte da schon eine gewisse Eifersucht.“ „Kann ich mir gut vorstellen, wenn die Elternliebe so ungleich verteilt ist und einer noch mehr einfordert. Das ist halt das Fatale, wenn Eltern so hohe Erwartungen an ihren Kindern haben und sich dann nur auf jenes konzentrieren, was diese Erwartungen am meisten erfüllen kann. Ich kenne das gut. Da ich der Sohn in der Familie war, stand von vornherein fest, dass ich die Mafiageschäfte übernehmen werde. Darum hat er sich besonders auf mich konzentriert und Ahava stand darum eher an zweiter Stelle und hatte da mehr einen Bezug zu unserer Adoptivmutter. Als diese starb, hat Stephen dann wohl eingesehen, dass er auch für Ahava da sein musste und auch wenn es nicht immer leicht war, hatten wir versucht, zusammenzuhalten. Eine Familie ist immerhin das Wichtigste was man hat.“ Araphel goss den Champagner ein und gemeinsam stießen sie an. Es war ein wirklich wunderbarer Abend und allein das Penthouse war eine Klasse für sich. Sam war so, als würde es diese ganzen kriminellen Geschäfte und die Vendetta gegen die Yanjingshe nicht geben. Auch die Bedrohung durch Shen war in weite Ferne gerückt und erschien ihm nur wie eine böse Erinnerung. Wie sehr wünschte er sich doch, dass diese Zeit nie zu Ende gehen könnte. Er stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn die Gefahr vorbei war und Shen und die Triade Geschichte waren. Dann konnten Christine und die anderen endlich wieder ein normales Leben führen und Araphel konnte die Vergangenheit hinter sich lassen und neu anfangen. Es würde schwierig werden, definitiv. Aber Sam verfolgte ja selbst ein Ziel: er würde die Korruption innerhalb der Bostoner Polizei bekämpfen und dafür sorgen, dass Boston endlich wieder sicherer wurde. Es war die Pflicht der Polizei, die Mafia zu bekämpfen und nicht darauf zu warten, dass sich die Clans gegenseitig vernichteten. Und er war sich sicher, dass er es mit Morphs, Bonnies und Harveys Hilfe schaffen konnte. Kapitel 26: Christines Opfer ---------------------------- „Für blutigen Mord sei blutiger Mord! Wer tat, muss leiden! So heißt das Gesetz in den heiligen Sprüchen der Väter.“ Aischylos, griechischer Tragödiendichter Die Tage waren irgendwie ziemlich schnell an Sam vorübergegangen und auch die Arbeit lief wunderbar voran. Er chattete ab und zu mit Bonnie, traf sich mit Harvey und besprach mit ihm die weiteren Schritte. Und wenn er mal etwas Freizeit hatte, half er in der Werkstatt aus, da Araphel bis zum Hals in Arbeit steckte und kaum Zeit hatte. Christine hatte immer was zu tun für ihn und mit ihr machte es auch wirklich Spaß. Inzwischen war sie eine wirklich gute Freundin geworden und war so ziemlich für jeden Spaß zu haben. So zum Beispiel als sie eines Abends vorgeschlagen hatte, eine Strippokerrunde zu machen, wobei als Bedingung gesetzt wurde, dass Prothesen als Kleidungsstück gezählt werden. Hinterher war es dann aber doch beim normalen Pokern geblieben und die Rothaarige zockte einen nach dem anderen erbarmungslos ab. Schließlich aber, als sie alle gemeinsam am Freitagmorgen beim Frühstück zusammensaßen und sogar Araphel dabei war, hatte Christine eine Idee, die sie den anderen sogleich auch mitteilte. „Heute findet eine Oldtimerausstellung statt. Da würde ich wahnsinnig gerne hin und ich werde bei der Gelegenheit auch Yin und Asha mitnehmen. Hat jemand Lust, vielleicht mitzukommen?“ Erwartungsvoll ließ sie den Blick durch die Runde schweifen, doch so wirklich schien niemand Lust darauf zu haben. Zumindest galt das für Morphius und Dr. Heian, die mit so etwas nichts am Hut hatten. Morphius erklärte direkt, dass er anderes zu tun habe und der Arzt betonte, dass er sich eine „besser geeignete Art der Zerstreuung vorstellen konnte als sich auf einer überfüllten Veranstaltung Fahrzeuge aus längst vergangener Zeit anzusehen“. Araphel steckte bis zum Hals in Arbeit und musste passen, dafür aber meldete sich Sam gerne, der sich das schon vorstellen konnte. So etwas klang schon sehr interessant und es würde sicherlich ein toller Ausflug werden. Nun aber meldete sich Araphel zu Wort, der da wohl gewisse Bedenken hatte. „Wenn ihr auf so eine öffentliche Veranstaltung geht, will ich, dass jemand zusätzlich zu eurer Sicherheit mitkommt.“ „Och nee“, kam es von Christine, die alles andere als begeistert war. „Wir gehen auf eine Oldtimerausstellung und nicht nach Chinatown.“ „Trotzdem will ich, dass jemand mitgeht“, erklärte Araphel dieses Mal mit deutlich mehr Nachdruck in der Stimme. „Es besteht immer noch eine gewisse Gefahr, auch wenn Shen immer noch in Shanghai ist. Darum will ich, dass Owen euch begleitet.“ „Was?“ platzte es aus Christine heraus. „Du willst allen Ernstes, dass wir Owen mitnehmen? Der Typ ist ein Arsch!“ „Er wird zu eurer Sicherheit mitkommen und damit basta“, erklärte Araphel, der keinerlei Diskussion zuließ. „Und wenn er nicht mitgeht, dann geht keiner von euch zu der Ausstellung.“ „Wir sind doch keine Gruppe Kleinkinder“, protestierte die Rothaarige energisch und zog plötzlich eine geladene Beretta hervor, die sie auf den Tisch knallte, wobei sie erklärte „Ich kann mich sehr gut selbst zur Wehr setzen.“ Morphius und Dr. Heian, die diese Diskussion eher unfreiwillig mitverfolgten, schüttelten nur schweigend den Kopf darüber und sagten nichts weiter dazu. Sam sah abwechselnd zwischen den beiden Streithähnen und kam sich irgendwie vor wie in einer typischen Familienszene, wo der Vater seiner rebellischen 16-jährigen Tochter sagte, sie dürfe abends nicht allein auf eine Party, weil es zu gefährlich für sie war. Ja, das Bild passte eindeutig besser als das eines großen Bruders, der um seine Schwester besorgt war. Und irgendwie war die Vorstellung doch recht amüsant, vor allem weil Christine ein Jahr älter als Araphel war. Er konnte beide Seiten gut verstehen. Araphel war besorgt, dass ihnen etwas passieren konnte. Und Christine, die auch mal ein freies Leben führen wollte und keine Lust hatte, immer nur eingeengt und bewacht zu werden, konnte er genauso gut verstehen. Tja, letztendlich würde es wohl an ihm liegen, zwischen den beiden zu vermitteln. „Hey, jetzt ist doch mal gut“, meldete er sich. „Ihr beide habt ja Recht. Warum belassen wir es nicht dabei, dass wir einen Aufpasser mitnehmen, der zurückhaltend ist und uns unseren Spaß lässt? Dann haben beide was davon und die Sache ist geregelt.“ „Eigentlich ein guter Vorschlag“, stimmte Asha kopfnickend zu. „Es nützt doch eh nichts, die ganze Zeit herumzudiskutieren und zu zanken, wer denn jetzt Recht bekommt und wer nicht. Wenn Owen verspricht, sich nicht wie die absolute Spaßbremse aufzuführen, dann können wir ihn mitnehmen. Ich würde so eine Ausstellung echt ungern verpassen.“ „Wer ist denn eigentlich Owen?“ fragte Sam schließlich und bekam sogleich eine Antwort von Morphius. „Das ist einer von Araphels Leibwächtern. Wenn extern Treffen oder Geschäftsabwicklungen stattfinden, haben die Bosse und Unterbosse mindestens einen Bodyguard bei sich. Immerhin sind sie ganz hohe Tiere und müssen immer mit Mordanschlägen rechnen. Owen ist einer von der knallharten Sorte und war früher mal MMA-Champion.“ „Und er ist ein Arsch“, fügte Christine hinzu, die ziemlich in ihrer Meinung festgefahren war, dass sie keinen Bodyguard benötigten. Aber letzten Endes wurde dann doch entschieden, dass sie diesen Owen mitnehmen mussten. Nach dem Frühstück machten sie sich fertig für die Abfahrt. Bevor es losging, musste Christine noch mal Yins Beinprothesen nachjustieren, da diese ein wenig klemmten und sie deshalb beim Gehen humpelte. Während sie an dem Kniegelenk schraubte, stand Araphel dabei, der ihr direkt in die Werkstatt gefolgt war. „Es ist nicht so, dass ich dir etwas Böses will“, erklärte er. „Aber ich habe ein ungutes Gefühl.“ „Du machst dir zu viele Sorgen“, wandte Christine ein. „Ich bin schon oft genug alleine unterwegs gewesen, wenn Shen in Shanghai war und da hattest du nie so einen Aufstand gemacht.“ „Das weiß ich. Aber ich habe mich bisher immer auf mein Gefühl verlassen können. Schon als Ahava entführt wurde, hatte ich ein mieses Gefühl und ich will einfach Gewissheit haben, dass dieses Mal nichts passiert.“ Christine seufzte und wusste nicht, was sie am besten dazu sagen sollte. Auf der einen Seite rührte es sie ja, dass Araphel sich so um sie sorgte. Aber andererseits tat es ihr auch weh, weil sie wusste, dass er sich nur deshalb so um sie sorgte, weil er in ihr seine verstorbene Schwester sah. Auch wenn sie ihn wirklich gern hatte und nicht mit ihm streiten wollte, sie musste ihn von sich stoßen, weil sie ihm sonst nur wehtun würde. Doch egal wie sehr sie ihm auch zuredete und versuchte, ihm klar zu machen, dass sie nicht wie seine Schwester war, es würde nichts bringen. Araphel hatte diese Tragödie nie verkraftet und versuchte immer noch, Ahava zu retten, auch wenn sie schon lange tot war. Der Mafiaboss schien zu ahnen, was in ihrem Kopf vor sich ging und sprach sie direkt darauf an. „Was genau ist mit dir los? Bist du wegen irgendetwas wütend oder ist es wegen mir?“ „Nein, ich bin nicht wütend auf dich“, erklärte Christine und begann nun die Schrauben festzudrehen. „Im Gegenteil. Ich… ich mag dich wirklich, Araphel. Du und die anderen seid meine Familie. Ihr bedeutet mir alles, aber… ich kann nicht mit ansehen, wie du leidest, vor allem meinetwegen. Ich brauche keinen Beschützer oder großen Bruder, ich brauche einen guten Freund, der für mich da ist und mit dem ich mal abends am Auto schrauben, mit dem ich ab und an Pokern oder einfach nur zusammen mit ihm da sitzen und ein Bier trinken kann. Aber du kannst in mir keine Freundin sehen. Du siehst immer nur den Spiegel deiner Fehler und eine Tragödie, die du ungeschehen machen willst. Glaubst du wirklich, Ahava hätte gewollt, dass du so leidest?“ Als Christine diese Worte sprach, drängte sich ein Bild in ihr Gedächtnis zurück. Ein sehr unscharfes und unvollständiges Fragment einer Erinnerung, die sie tief in ihrem Unterbewusstsein verborgen gehalten und ins Vergessen gedrängt hatte. Ein schreckliches Bild verbunden mit einer schmerzlichen Erkenntnis, welche Schuld sie sich da aufgeladen hatte. „Ahava wollte dir nicht noch mehr Kummer bereiten und sie wusste genau, dass du allein wegen ihr so leidest.“ „Was?“ Nun ließ Christine ihr Werkzeug sinken und richtete sich wieder auf. Sie wich Araphels Blick aus und man sah deutlich, dass ihr etwas auf der Seele lastete. Doch sie schwieg und wollte gehen, aber Araphel ließ das nicht zu und hielt sie fest. „Was meinst du damit?“ fragte er. „Hat Ahava dir etwas gesagt, bevor sie gestorben ist?“ „Sie wusste, wie schlecht es dir geht und sie hatte sich schon längst aufgegeben. Sie wollte sich nicht mehr helfen lassen und sie wollte sterben, weil sie sich selbst und auch dich von diesem Leid erlösen wollte. Was glaubst du wohl, wie Ahava in ihrem Zustand überhaupt Selbstmord begehen konnte, so schwach und ausgemergelt wie sie war?“ Nun war die Rothaarige laut geworden und riss sich von Araphel los. Ihre Unterlippe begann zu zittern und sie wurde blass. „Ich konnte nicht mit ansehen, wie sie jeden Tag litt und zugrunde ging. Sie war doch schon innerlich tot und sie wollte mit diesen Erinnerungen nicht mehr leben.“ „Was hast du getan, Christine?“ fragte Araphel und ihm war anzusehen, wie sehr ihn das vor allem emotional mitnahm. Doch Christine nahm darauf keine Rücksicht. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie wusste, dass sie es tun musste, um diesem ganzen Elend endlich ein Ende zu bereiten. „Ich habe sie nur von dem erlöst, was sie so gequält hat und sie von dieser Hölle gerettet, in der sie innerlich gefangen war. Ich habe sie er…“ Eine Sicherung brannte in Araphel durch und die Ohrfeige traf Christine ins Gesicht. Die Kraft, die dahintersteckte, war so groß, dass sie zurückstolperte und fast zu Boden fiel. „Du hast was?“ rief Araphel fassungslos. „Du hast meine Schwester erschossen? All die Jahre hast du mich in dem Glauben gelassen, sie hätte sich das Leben genommen und darüber geschwiegen? Wie kannst du mir das antun? Ich dachte, ich könnte dir vertrauen!“ Christine kämpfte innerlich mit sich und versuchte die entsetzliche Angst die sie vor diesen schrecklichen Erinnerungen verspürte, zu verdrängen und bei der Sache zu bleiben. Sie durfte sich nicht von diesen furchtbaren Bildern beherrschen lassen, geschweige denn in Tränen ausbrechen. Auch wenn Araphel sie von nun an bis an ihr Lebensende hassen würde, sie musste das jetzt durchziehen, um ihn endlich von dieser Qual zu befreien. Und wenn sie ihm diese Geschichte erzählen musste… dass sie Mitschuld an Ahavas Tod trug, war ja nicht gelogen, auch wenn sie sie nicht erschossen hatte. Aber lieber erzählte sie ihm das, als wenn sie ihn noch weiter in den Glauben ließ, dass Ahavas Tod seine Schuld war. „Ahava hätte es nie übers Herz gebracht, jemanden zu bitten, sie von ihrem Leid zu erlösen, besonders nicht dich. Und da sie meine beste Freundin war, da war es nun mal meine Aufgabe, ihr zu helfen.“ „Du…“ Araphel erhob erneut die Hand, als wollte er noch mal zuschlagen. Christine stand da, wartete und bereitete sich auf den Schlag vor, doch dieser folgte nicht. Stattdessen ließ der Mafiaboss die Hand sinken, wandte sich ab und sagte nur „Wag es bloß nicht, mir noch mal unter die Augen zu treten. Du bist für mich gestorben“, bevor er die Werkstatt verließ. Als er gegangen war, presste Christine eine Hand auf ihre schmerzende Wange und unaufhörlich flossen Tränen ihre Wange hinunter. Viel mehr als der Schlag schmerzte der Stich in ihrem Herzen, dass sie Araphel so etwas hatte antun müssen. Aber es war besser, dass er sie von nun an hasste, als dass sie ihn immer wieder aufs Neue an Ahava erinnerte, die er nicht retten konnte. Manchmal war eine Lüge, die ein Leben erhielt, eben besser als eine Wahrheit, die ein Leben zerstörte. Doch dieser Schmerz hielt nicht lange an. Denn schon breitete sich wieder der trügerische Nebel des Vergessens in ihrem Bewusstsein aus und verbarg all diese schlimmen Bilder und das Gespräch, das sie mit Araphel geführt hatte, hinter einem dichten Schleier. Und so kam es, dass Christine, als sie die Werkstatt zusammen mit Yin verließ, alles vergessen hatte, was gerade eben noch passiert war und wieder ein fröhliches Lächeln auf den Lippen hatte, als sie zusammen mit Yin zu den anderen zurückkehrte, um sie für die Ausstellung abzuholen. Es war ein sonniger und warmer Tag und kein Wölkchen vermochte den Himmel zu trüben. Ein perfektes Wetter für einen Oldtimertreff. Christine hatte es sich nicht nehmen lassen, ihren heiß geliebten Plymouth Fury, den sie in tagelanger und intensiver Arbeit von den letzten Schäden repariert hatte, aus der Garage zu holen und damit zur Ausstellung zu fahren. Da der Platz im Fury begrenzt war, fuhr Asha zusammen mit Sam im Hudson Hornet. Dabei fragte der Detektiv verwundert, wie Asha es denn schaffte, mit zwei Beinprothesen Auto zu fahren. „Das sind hochmoderne Prothesen“, erklärte der Chinese. „Sie reagieren auf die elektrischen Impulse im Nervensystem und so können sogar die Zehen in einem gewissen Grad bewegt werden. Diese Prothesen sind verdammt teuer und stecken noch in den Kinderschuhen, aber Christine hat mit Dr. Heians Hilfe die entsprechenden Materialien besorgt und sie quasi selbst gebastelt. Sie funktionieren wirklich gut, fast schon wie richtige Gliedmaßen, nur mit dem Unterschied, dass sie ab und zu mal klemmen. Deshalb müssen sie regelmäßig nachjustiert werden. Aber zumindest können wir vernünftig damit laufen.“ Als sie nach einer knapp viertelstündigen Fahrt die Ausstellung erreichten, mussten sie schnell feststellen, dass die Ausstellung recht gut besucht war und da sie selbst mit restaurierten Oldtimern da waren, konnten sie auf einen Extraparkplatz fahren. Als sie ausstiegen, war bereits ziemlich viel los und vor allem Christine war anzusehen, wie sehr sie sich freute, hier zu sein und da schien es ihr auch im Moment auch vollkommen egal zu sein, dass sie einen Aufpasser dabei hatten. Dieser war im Fury mitgefahren und dieser Owen war wirklich ein Mordskerl. Mit knapp 1,90m Körpergröße und Armen wie Baumstämme sah er so aus, als hätte er eine Zeit lang als Profi-Wrestler gearbeitet. Und seine Miene verriet, dass er nicht einmal einen Grund brauchte, um jemanden zu Brei zu schlagen. Sam empfand wirklich Respekt vor diesem Kerl und mit Sicherheit machte dieser Owen einen ziemlich guten Job. Mit ihm würde sich Sam sicher nicht anlegen wollen. Naja, zum Glück war Owen ja zu ihrem Schutz da. „Oh mein Gott!“ hörte er Christine rufen, die, kaum dass sie den Parkplatz verlassen hatte, sofort zu einem der Wagen hinrannte, so schnell wie es ihre Prothese zuließ. Ihr Ziel war ein Ferrari 250GT California Spider SWB aus dem Jahre 1962. Ein wirklich prachtvolles Cabriolet, dessen rote Farbe in einem wunderschönen Rot leuchtete, wie man es von Autos aus dieser Zeit kannte. Fast dasselbe leuchtende Rot wie Christines Fury, der auch von einigen Oldtimerbegeisterten bewundert wurde, ebenso wie der Hudson Hornet. Sams Interesse hingegen galt einem deutlich älteren Modell, das eigentlich schon als Antiquität durchgehen konnte, nämlich ein waschechter „Corgi“. Ein Silver Ghost von Rolls Royce, der stolze 100 Jahre auf dem Buckel hatte. Allein daran zu denken, wie viel dieser Wagen erlebt haben musste, ließ Sam wirklich staunen. Zwei Weltkriege hatte das Gefährt überstanden und war in liebevoller Arbeit perfekt restauriert worden. Das waren wirklich wahre Schätze, die hier zu sehen waren. Es war fast schon eine gewisse Ehrfurcht, die er vor diesem Wagen empfand. „Ein echtes Juwel, nicht wahr?“ Sam hob den Blick und sah einen Mann um die vierzig mit platinblondem Haar und Anzug, der direkt zu ihm kam. Sie schüttelten einander zum Gruß die Hand und dabei stellte sich der Mann ihm als Robert Wilson vor. „Ich bin ein Laie, was solche Oldtimer betrifft“, musste Sam mit einem verlegenen Lächeln gestehen. „Aber sie sind jedes Mal wirklich ein beeindruckender Anblick. Es ist kaum zu glauben, wie viel Arbeit in der Restauration stecken muss.“ „Nun, Oldtimer sind sowohl eine Leidenschaft, als auch eine gute Investition. Je älter sie werden, desto mehr steigt auch ihr Wert. Je nachdem wie gut die Restaurationen sind, wie selten der Oldtimer ist und an welche Interessenten man sich wendet, kann man sogar reich werden.“ „Echt? Wie…“ „Sam!“ Christine und die anderen kamen zu ihm herüber und schienen sich wohl auch für den Wagen zu interessieren. Sogleich erkundigte sich Mr. Wilson bei Sam „Ihre Begleitung?“ „So kann man das sagen“, gestand Sam und lachte. „Christine Cunningham repariert leidenschaftlich Oldtimer und hat unter anderem einen Plymouth Fury Baujahr 58 und einen 54er Hudson Hornet. „Ach echt?“ fragte der Besitzer des Corgis erstaunt. „Es ist recht selten, dass Damen für solch ein Hobby zu begeistern sind.“ „Na aber hallo“, rief Christine sogleich und grinste stolz. „Das ist mein Leben. Als KFZ-Mechanikerin weiß man solche Prachtstücke halt zu schätzen und ich muss sagen, der Corgi hier ist wirklich in einem grandiosen Zustand. Ich habe noch nie zuvor einen aus nächster Nähe gesehen. Darf ich?“ Nachdem der Besitzer sein Einverständnis gegeben hatte, begann Christine den Wagen nun gründlich zu inspizieren. Sie setzte sich hinters Steuer und untersuchte sowohl die Armaturen als auch den Fußraum, die Sitzpolster und im Anschluss sah sie sich im Anschluss den Motor des Wagens an. Dabei fragte sie immer wieder ein paar technische Sachen nach, die der Mann ausführlich beantwortete und ab und zu gab es für Sam, Asha und Yin eine kleine Unterrichtsstunde in Sachen KFZ-Mechanik. Schließlich aber hatte der Besitzer des Corgis noch ein interessantes Detail. „Ein Freund von mir ist im Besitz eines Hispania Suiza Alfonso XIII, Baujahr 1913. Allerdings verfügt er nicht über das technische Know-How und hat keine finanziellen Mittel, um ihn zu restaurieren. Der Wagen ist zwar nicht im besten Zustand, ist aber aufgrund der Tatsache, dass es eine Luxuskarosserie ist, eine sehr gute Investition. Ich suche im Auftrag meines Freundes einen Abnehmer für den Wagen, der seinen Wert zu schätzen weiß.“ Allein mit dem Namen des Wagens hatte er Christine schon längst überzeugt. Denn diese hatte so große Augen wie ein Kind, das zur Weihnachtszeit vor einem riesigen Spielzeuggeschäft stand. Ein lebhaftes Funkeln in den Augen verriet, dass sie sich schon längst entschieden hatte, den Wagen zu nehmen, ohne dass es weiterer Diskussionen bedurft hätte. Sie bekam schon fast Schnappatmungen. „Ein Alfonso XIII Baujahr 1913? Wie viel stellt sich Ihr Freund denn als Verkaufssumme vor?“ „Nun, gemäß des unschätzbaren Wertes, den der Wagen besitzt, stellt er sich 10.000$ vor. Sie können sich den Wagen aber gerne ansehen, wenn Sie möchten. Dann können Sie persönlich eine Einschätzung vornehmen.“ Sam schluckte bei dem Preis. Der Wagen war nicht mal restauriert und sollte zehn Riesen kosten? Dann musste es sich entweder um einen Wagen handeln, der noch halbwegs in einem guten Zustand war, oder aber er musste wirklich so wertvoll sein, dass er restauriert einen deutlich höheren Preis erzielen konnte. Auch für Christine war das eine stolze Summe und natürlich bestand sie darauf, dass sie den Wagen vorher genau unter die Lupe nehmen durfte, damit sie wenigstens wusste, wie viel Arbeit und was für Kosten da alles anfallen würden. Denn fest stand, dass so eine Restauration zeitaufwendig und vor allem kostspielig war. Je nachdem welche Teile man benötigte und wie alt der Wagen war. Je älter sie wurden, desto schwieriger wurde es dementsprechend, Ersatzteile zu finden. Darum waren Oldtimer eine sehr gute Anlage, wenn man sie pfleglich behandelte. Natürlich willigte Christine sofort ein, sich den Wagen anzusehen und während sie sich mit dem Corgi-Besitzer unterhielt, bemerkte Sam, dass Yin ein wenig bedrückt aussah. Die hübsche Chinesin war schon die ganze Zeit zurückhaltend und wirkte sehr nachdenklich. Da Asha sich dem Gespräch angeschlossen hatte, ging der Detektiv zu der Chinesin hin. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Yin?“ erkundigte er sich bei ihr. Die hübsche Asiatin strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, wirkte aber nicht danach, als wäre ihr nach Reden zumute. Sie schüttelte nur den Kopf und murmelte „Es ist nichts.“ „Jetzt erzähl mir doch nichts.“ „Ach es ist nur…“ Yin seufzte und entfernte sich zusammen ein Stück mit Sam. „Araphel und Christine haben sich gestritten und es war dieses Mal schlimmer gewesen als sonst und es ist etwas ausgeufert.“ „Wieso haben sie sich gestritten? Etwa wieder wegen der üblichen Geschichte?“ „Unter anderem“, gab Yin zu. „Sie kamen wieder auf das Thema Ahava zu sprechen und dabei hat Christine Araphel ziemlich vor den Kopf gestoßen. Eigentlich würde ich das ja nicht erzählen, aber da du so eine enge Bindung zu Araphel hast, denke ich, dass du es wissen solltest. Christine hat Araphel gesagt, dass sie Ahava vor vier Jahren erschossen hat, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Und du kannst dir sicher vorstellen, wie Araphel reagiert hat.“ Sam sah zu Christine herüber, die ihren Spaß mit dem Besitzer des Oldtimers hatte und fröhlich lachte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. „So etwas soll sie getan haben? Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Kann es nicht vielleicht wieder eine ihrer Lügengeschichten sein?“ „Nein, sie war in dem Moment wieder völlig klar gewesen. Manchmal kommen diese Erinnerungen wieder durch, besonders wenn sie Araphel ins Gewissen redet. Und was Ahavas Tod angeht, so gibt es da ein paar Ungereimtheiten“, erklärte Yin. „Weißt du, vor vier Jahren war Ahava ziemlich abgemagert und entkräftet und da sie nichts essen wollte, hat man sie künstlich ernähren müssen. Sie hatte eigentlich nicht die Kraft gehabt, sich selbst im Rollstuhl vorwärts zu bewegen. Es muss sie also jemand damals ins Arbeitszimmer geschoben haben und Fakt ist, dass damals, als der Schuss ertönte und wir nachsehen kamen, Christine ebenfalls dort war. Sie lag bewusstlos auf dem Boden und konnte sich an nichts erinnern, als sie aufgewacht war. Aber Ahava hatte damals die Waffe noch in der Hand, als sie sich erschossen hatte. Da frage ich mich halt, ob Christine nicht vielleicht…“ „So etwas würde Christine nie machen“, unterbrach Sam sie sofort. „Ganz egal ob Christine Gedächtnisprobleme hat oder nicht. Ich kenne sie nicht so lange wie du, aber ich glaube nicht, dass sie so etwas tun würde.“ „Aber warum sollte sie so etwas erzählen?“ „Weil sie Araphel helfen will. Er kann nicht über Ahavas Tod hinwegkommen, solange er in Christine einen Schwesternersatz sieht. Ich denke nicht, dass Christine Ahava getötet hat, das würde ihr nicht ähnlich sehen. Sie hat ihm halt so heftig vor den Kopf gestoßen, weil sie der Ansicht war, dass es besser ist, wenn er sie hasst, anstatt immer nur an seine tote Schwester erinnert zu werden.“ Etwas niedergeschlagen senkte Yin den Kopf. „Ich kenne sie schon so lange, aber offenbar nicht gut genug. Christine, Asha und ich kennen uns schon seit über zehn Jahren und haben viel erleben müssen. Und doch zweifle ich an ihr. Ich bin eine furchtbare Freundin…“ Aufmunternd legte Sam ihr eine Hand auf die Schulter und sprach ihr gut zu. Er konnte verstehen, dass sie unsicher wurde, wenn Christine Araphel ins Gesicht sagte, sie hätte Ahava erschossen und sozusagen aktive Sterbehilfe geleistet. Wenn einer seiner besten Freunde so etwas gesagt hätte, wäre er auch in Zweifel geraten. „Hey ihr beiden!“ rief Christine zu ihnen herüber. „Wir fahren gleich los, um den Alfons anzusehen. Wollt ihr noch hier bleiben, oder…“ „Das geht nicht“, unterbrach Owen der hünenhafte Bodyguard. „Entweder sie kommen mit, oder wir bleiben auf der Ausstellung.“ Christine funkelte den ehemaligen MMA-Champion giftig an und musste sich einen bissigen Kommentar verkneifen. Noch nie hatte Sam erlebt, wie Christine mal gegen jemanden eine Abneigung zeigte, aber Owen hatte sie anscheinend wirklich gefressen. Nun, sie war halt ein Freigeist, der sich nur sehr ungern einengen ließ und das ließ sie andere auch spüren. Bevor sie aber noch einen Streit mit dem Bodyguard anfangen konnte, entschärfte Sam die Situation. „Kein Problem, wir kommen gerne mit. Wo ist der Wagen denn?“ „Ich habe ihn im Lager hinten unterbringen lassen. Dort werden die wertvollen Stücke untergebracht, die einzig und allein nur zum Verkauf und nicht zur Ausstellung dienen.“ Sie gingen gemeinsam quer durch die Ausstellung, bewunderten den einen oder anderen Bugatti und Maserati im Vorbeigehen und drängten sich durch die Massen. In der Nähe der Lagerhallen wurde es deutlich ruhiger, da sich die Menschenmengen hauptsächlich auf das Zentrum der Ausstellung konzentrierten. Asha und Yin, die aufgrund ihrer Prothesen mit dem Lauftempo der anderen nicht wirklich mithalten konnten, fielen dabei ein wenig zurück. Sam und die anderen warteten daraufhin auf sie und standen dann schließlich vor der Scheune. Mr. Wilson öffnete die Tür, Owen ging als erstes rein. In der Lagerhalle war das Licht etwas gedämpft, doch man sah tatsächlich einen alten Hispania Suiza Alfons XIII nicht weit weg stehen. Christine wollte schon vorgehen, um sich den Wagen aus der Nähe anzusehen, da fiel plötzlich ein Schuss und Blut spritzte, als eine Kugel Owen direkt in den Kopf getroffen hatte. Entsetzt schrie Yin auf und viel zu spät realisierte Sam, dass Mr. Wilson eine Pistole in der Hand hatte, mit der er den Bodyguard niedergeschossen hatte. Christine reagierte als erstes. Ohne Vorwarnung schlug sie ihm ins Gesicht und versuchte, ihm die Pistole aus der Hand zu reißen. „Lauft!“ rief sie und stieß Mr. Wilson gegen die Wand. „Los, haut ab!“ Doch sie saßen bereits in der Falle. Von allen Seiten kamen bewaffnete Männer herbei, die den Gesichtszügen nach zu urteilen Asiaten waren. Mitglieder der Yanjingshe. Yin und Asha wurden ohne Probleme überwältigt, Christine hingegen schaffte es, zwei Männer in Schach zu halten und versuchte noch, wenigstens Sam die Flucht zu ermöglichen, bekam aber einen Streifschuss ins Bein, stürzte daraufhin zu Boden und ein Tritt ins Gesicht raubte ihr endgültig das Bewusstsein. Das Letzte, was Sam spürte, bevor er dann auch ohnmächtig wurde, war ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Kapitel 27: Der Selbstmord -------------------------- „Jedes Lebewesen stirbt für sich allein.“ Donnie Darko Es regnete draußen in Strömen und Donner grollte so laut, dass es sogar zu spüren war. Blitze erhellten den finsteren Himmel und draußen herrschte ein unvorstellbares Unwetter. Ein solches hatte es schon lange nicht mehr in Boston gegeben und als Christine aus dem Fenster schaute, fragte sie sich, was Araphel wohl gerade machte und ob er bei de Unwetter wohl unterwegs war. Erst gestern war er abgereist, nachdem er wichtige Geschäfte erledigen musste und voraussichtlich würde er auch erst in zwei Tagen wieder zurück sein. Für die Zeit seiner Abwesenheit hatte er sie gebeten, sich derweil um Ahava zu kümmern, der es selbst nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus kein bisschen besser ging. Im Gegenteil. Sie war entsetzlich abgemagert, musste zwangsernährt werden, weil sie nichts aß, sie regte sich kein bisschen und hatte auch kein Wort mehr gesprochen. Natürlich war es ein Schock, keine Beine mehr zu haben. Ihr selbst fehlte ja auch ein Bein, nachdem sich dieser tragische Autounfall ereignet hatte, bei dem sie beide fast verunglückt werden. Zumindest war sich Christine sicher, dass es so passiert war, denn so richtig daran erinnern konnte sie sich nicht, wie das passieren konnte. Aber es klang ihr am plausibelsten, dass es ein Autounfall war und sie war sich da auch sicher. Sie selbst hatte den Verlust ihres Beines ganz gut weggesteckt, doch Ahava litt sehr unter der ganzen Situation. Kein Wunder. Sie hatte gar keine Beine mehr und sie war für den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Für sie, die sowieso schon ein sehr sensibler Mensch gewesen war, war es endgültig zu viel gewesen und es würde wohl noch eine Weile brauchen, bis es ihr besser ging. Wichtig war halt nur, dass sie jemanden hatte, der ihr beistand. Araphel kümmerte sich ja schon tagein tagaus um sie, wich kaum von ihrer Seite und redete immer und immer wieder mit ihr. Beteuerte, dass alles besser werden würde und er sich immer um sie kümmern würde, egal was passierte. Doch er selbst litt ebenfalls sehr unter dieser Situation. Kein Wunder, denn er und Ahava hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander und sie bedeutete ihm alles. Sie war die einzige Familie, die ihm geblieben war. Darum war es für Christine eine besondere Herzensangelegenheit, so gut es ging zu helfen und sich um Ahavas Pflege zu kümmern, solange Araphel nicht da war. Eigentlich wäre er nie und nimmer weggefahren, doch Christine war der Meinung gewesen, dass es das Beste war, wenn er mal kurz Abstand bekam und neue Kraft sammeln konnte. Zwar konnte sie mit ihrer Prothese, die sie von einem Arzt verordnet bekommen hatte, noch nicht allzu gut laufen, aber sie war der festen Überzeugung, dass sie es ganz gut schaffen konnte. Eigentlich war sie der Meinung, dass es ohnehin besser wäre, eine gelernte Pflegekraft für Ahava einzustellen, doch mit Araphel war ja nicht zu reden gewesen. Er hatte klipp und klar gesagt, dass er keinen Menschen auch nur in die Nähe seiner Schwester lassen wollte, den er nicht gut genug kannte und dem er nicht vertrauen konnte. Nun, auf der einen Seite war es verständlich, aber andererseits hielt Christine es ja wohl doch für reichlich übertrieben, dass er so dermaßen überfürsorglich war. Ahava war sicher nicht damit geholfen, wenn sie keinen ausgebildeten Pfleger zur Seite gestellt bekam. Vielleicht konnte sie Araphel ja zur Vernunft bringen, wenn er wieder zurück war und bis es so weit war, würde sie sich um Ahava kümmern. Vielleicht konnte sie sie ja aufmuntern, wenn sie sich einen schnulzigen Frauenfilm ansahen oder vielleicht eine Runde Karten spielten. Yin und Asha würden da sicher gerne mitmachen und die beiden bekamen ja bald auch ihre speziellen Prothesen, mit denen sie bald eigenständig laufen konnten. Und eines Tages würde auch Ahava wieder laufen können, auch mit Prothesen. Vorsichtig klopfte sie an die Tür und öffnete dann schließlich. Sie sah Ahava in ihrem Rollstuhl sitzen und zum Fenster hinausstarren. Das tat sie fast jeden Tag. Sie saß unbewegt da wie eine Puppe, sagte nichts, regte sich nicht und wenn sie nicht zwischendurch blinzeln würde, hätte man wirklich meinen können, sie wäre eine leblose Puppe. Sie war blass und ihre Augen wirkten matt und leer und wirkten wie eingefallen. Ihre Lippen waren farblos und spröde. Zudem war sie ziemlich abgemagert in der kurzen Zeit und im Großen und Ganzen machte sie den Eindruck, als würde sie bereits mit einem Bein im Grab stehen. Für viele Menschen wäre es ein wirklich erschreckender Anblick gewesen, aber Christine ließ sich davon nicht abschrecken. Sie war sich sicher, dass sie es schon irgendwie schaffen konnte, eine Regung aus der 20-jährigen herauszukitzeln. „Ein echtes Scheißwetter, was?“ fragte Christine, als sie hereinkam. Da es doch recht dunkel im Zimmer war, schaltete sie das Licht an und gesellte sich zu der Schweigsamen und betrachtete das Gewitter, was da draußen wütete. „Mensch, da wird man aber auch echt trübsinnig. Weißt du was? Da Araphel ja unterwegs ist, können wir zwei doch die Chance nutzen und uns eine richtig tolle Mädelszeit zu machen. Ich könnte dir mal die Haare hübsch frisieren und wir machen das ganze Programm: Gurkenmaske, Maniküre, dann machen wir es uns bequem und gucken uns so einen richtig schnulzigen Herzschmerzfilm an. Und wenn du nicht auf Romanzen stehst, können wir uns ja Hell’s Kitchen mit Gordon Ramsay anschauen und jedes Mal einen Kurzen heben, wenn er das F-Wort benutzt. Und dann können wir ja stockbesoffen deinen Bruder anrufen und ihm Telefonstreiche spielen.“ Keine Reaktion kam. Ahava starrte weiter aus dem Fenster und ihr Blick wirkte leer und es war nicht ein Funken Leben darin zu sehen. „Oder weißt du was? Wir gehen einfach mal raus. Wir können ins Schwimmbad fahren, da kriegen wir ohnehin ermäßigten Eintritt und dann fühlst du dich auch gleich viel besser in dieser Schwerelosigkeit, glaub mir. Und vielleicht können wir in einem Whirlpool heiße Typen aufreißen.“ Christine zwinkerte ihr scherzhaft zu und ließ sich auch nicht beirren, als selbst hier keine Reaktion kam. Auch wenn es ihr selber immer schwerer fiel, die Fröhliche zu spielen und zu lachen, während da eine gerade mal 20-jährige Studentin ohne Beine in einem Rollstuhl saß und wirkte, als wäre ihr Leben vorbei. Christine spürte diese Kälte, die von ihr ausging. Zwar besaß Ahava Körperwärme, aber sie strahlte dennoch eine Kälte aus wie der Tod selbst. Und es war nur allzu deutlich, dass sie nicht aufgemuntert werden wollte. Sie wollte keine tröstenden Worte, kein Mitleid, keine Pläne. Sie hatte aufgegeben und vegetierte nur noch vor sich hin. Still in sich gekehrt, niemanden an sich heranlassend. Und es schien, als konnte niemand ihr mehr wirklich helfen. Und obwohl etwas tief in Christines Herzen wusste, dass es für die 20-jährige kein Licht mehr in ihrem Leben gab, kein Hoffnungsschimmer und keine Freude in ihrem Leben, wollte sie nicht aufgeben. Ein Teil von ihr hoffte noch, dass sie noch etwas ausrichten konnte und das Leid der beiden Geschwister beenden konnte. Sie wollte Araphel diesen Schmerz und die Schuldgefühle nehmen, die ihn innerlich zerfraßen und sie wollte Ahava wieder Hoffnung machen. Araphel schaffte das nicht, sondern machte sich jedes Mal schwere Vorwürfe, wenn er bei ihr war und fühlte sich jedes Mal genauso elend. Wie sollte Ahava da bloß neuen Mut fassen, wenn Araphel selbst vor die Hunde ging, wenn er sie in diesem Zustand sah? Damit war wirklich niemandem geholfen. Ahava brauchte einfach wieder etwas Alltag, anstatt ständig wie ein rohes Ei behandelt zu werden. Dann würde es ihr auch bald wieder besser gehen. Spätestens, wenn sie genauso wie Yin und Asha die Spezialprothesen bekam, würde sie wieder selber laufen können wie ein normaler Mensch. Und spätestens dann würde sie auch wieder lachen können. Zumindest hoffte Christine das, doch sie zweifelte auch daran. Nichts deutete bis jetzt darauf hin, dass Ahava überhaupt Hilfe wollte. Sie wies jeden durch ihr Schweigen ab, wollte ganz für sich alleine sein und sprach mit niemandem. Immer mehr kapselte sie sich von der gesamten Welt ab, weil etwas in ihr beschlossen hatte, dass es nicht mehr weitergehen würde. Es war, als würde sie eigentlich nur noch auf ihren Tod warten und das war für Christine einfach nur schmerzhaft und sie musste Kraft aufwenden, um nicht selbst in diese hilflose Verzweiflung zu geraten wie Araphel. Sie musste stark sein für die beiden. Wenn sie es nicht war, dann kein anderer. Ahava brauchte jemanden, der in ihr einen winzigen Hoffnungsschimmer wecken konnte und Araphel brauchte jemanden, der in dieser so schweren Zeit für ihn stark war und ihm Halt gab. Es war eine unsagbar schwere Last und Christine war sich nicht sicher, ob sie diese überhaupt stemmen konnte. Aber sie wollte es dennoch tun. Beide lagen ihr so sehr am Herzen. Sie waren ihre Familie und sie leiden zu sehen, schmerzte sie mehr als alles andere auf der Welt. Sie wollte, dass beide wieder glücklich wurden. Egal, was es dafür benötigte. „Erinnerst du dich daran, wie das hier passiert ist?“ Erstaunt hielt Christine inne. Es war das erste Mal seit Wochen, dass Ahava gesprochen hatte. Zuerst glaubte sie, dass sie sich das nur einbildete, aber es war tatsächlich passiert. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte Ahava zum allerersten Mal ihr Schweigen gebrochen und das Wort an sie gerichtet. War das ein gutes Zeichen? War sie auf dem richtigen Weg? „Du meinst den Autounfall?“ fragte sie verwundert und hatte immer noch nicht so ganz realisiert, dass das gerade wirklich passierte. „Wieso? Was ist damit?“ „Verstehe…“, murmelte Ahava leise. Ihre Stimme klang rau und heiser und man konnte hören, dass sie schon länger kein Wort mehr gesprochen hatte. Aber für Christine war es ein positives Zeichen, dass endlich mal wieder etwas Leben in die 20-jährige zurückkehrte. Und jetzt durfte sie bloß nicht nachlassen. Das war immerhin der erste Durchbruch! Allein der Gedanke daran, wie glücklich Araphel dann sein würde, wenn er sie wieder reden hörte, motivierte Christine dazu, weiterhin stark zu bleiben und an dieser Stelle weiterzumachen. „Wie geht es Araphel eigentlich?“ fragte die 20-jährige mit müder Stimme. „Nun, er macht sich halt sehr große Sorgen um dich und es nimmt ihn schon sehr mit. Er will doch nur, dass du wieder lachen kannst, ich und die anderen ebenso. Natürlich ist es schlimm, wenn man ein Bein oder sogar beide Beine verliert, aber das ist nicht das Ende der Welt. Asha und Yin hatten auch keine Beine und dank der Spezialprothesen, an denen ich zurzeit arbeite, werden sie bald wieder laufen können. Und du kriegst bald auch welche und kannst dann wieder laufen, wenn du mit der Reha durch bist. Es wird schon besser werden. Du weißt ja, du kannst dich auf mich verlassen und wir können auch so viel Spaß haben. Immerhin bin ich doch fast so was wie deine große Schwester. Und hey: es gibt genug Menschen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben und ich denke…“ „Hör auf damit.“ Christine blieb still und sah, dass selbst diese Worte Ahava nicht aufbauen konnten. Die Rothaarige seufzte und ihr Blick nahm etwas Trauriges an. Es tat ihr genauso weh wie Araphel, Ahava so sehr leiden zu sehen und sie wünschte sich nichts Sehnlicheres, als sowohl sie als auch Araphel glücklich zu sehen. Doch egal was sie alle auch taten, Ahava wollte sich nicht helfen lassen. Sie hatte sich aufgegeben und solange sie sich nicht helfen lassen wollte, würde sich auch nichts ändern. Hilflosigkeit überkam die Rothaarige, die sich für einen Moment fragte, ob es nicht vielleicht schon zu spät für Ahava war und es keine Rettung mehr für sie gab. Sie wünschte sich wirklich, ihrer besten Freundin helfen zu können, die für sie genauso eine Familie war wie Araphel, Yin und Asha. Sie war es gewohnt, zu kämpfen und nicht einfach so aufzugeben. Notfalls würde sie bis an ihre äußerste Belastungsgrenze gehen, um ihrer Familie zu helfen. Aber zu wissen, dass sie Ahava nicht helfen konnte, ließ in ihr Verzweiflung aufkommen. Und sie fragte sich, wie lange sie noch so stark sein konnte für beide Mason-Geschwister. Denn auch eine Kämpferin wie sie hatte ihre Grenzen. Und sie sah sich, nüchtern gesehen, nicht in der Lage, beide gleichzeitig zu retten, das schaffte sie unmöglich. „Könntest du mir einen Gefallen tun?“ fragte Ahava schließlich, ohne Christine auch nur anzusehen. Stattdessen starrte sie immer noch aus dem Fenster. „Klar“, antwortete die Rothaarige. „Was kann ich für dich tun?“ „Bring mich bitte in Araphels Arbeitszimmer.“ „Wozu?“ „Ich wollte dort etwas holen und ich möchte es gerne selbst tun.“ „Kein Problem“, meinte die Rothaarige und schob Ahavas Rollstuhl in Richtung Tür. Zwar konnte sie sich keinen wirklichen Reim darauf machen, was Ahava in dem Arbeitszimmer wollte, aber wenn diese schon eine Bitte äußerte, erfüllte sie ihr diese natürlich gerne. Normalerweise wäre Ahava selbst im Rollstuhl ins Arbeitszimmer gefahren, doch da sie sich kaum bewegte und so abgemagert war, hatte sie für so etwas kaum Kraft, weshalb sie sich entsprechend helfen lassen musste. Und vielleicht tat es auch mal ganz gut, wenn sie aus ihrem Zimmer herauskam. Ansonsten lag sie die ganze Zeit nur im Bett oder saß im Rollstuhl, weil sie nicht raus wollte und Araphel so besorgt um sie war, dass er regelecht Angst hatte, sie vor die Tür zu lassen, selbst für einen Spaziergang. Er hatte Angst, sie zu verlieren und dass ihr noch mehr zustoßen konnte. Er engte sie ein, was im Grunde wie Gift auf Ahavas Zustand wirkte. So hatte Christine nicht selten Marco gerufen, einer von Araphels Leuten, der für Ahavas persönlichen Schutz zuständig war. Dann war sie mit ihm zusammen mit Ahava rausgegangen, um wenigstens ein bisschen im Garten zu sitzen und die Sonne zu genießen oder um einen kleinen Spaziergang zu machen. Hauptsache, Ahava kam mal vor die Tür und merkte für sich, dass es diese Welt außerhalb ihres Zimmers immer noch gab und sie nach wie vor in greifbarer Nähe war, selbst ohne Beine. Es sollte eine Art heilsame Therapie sein und Christine hatte auch überlegt, ob es nicht ratsam war, wenn Ahava vielleicht mal eine Wassertherapie machte. Während Araphel kaum von der Seite seiner Schwester gewichen war, hatte Christine unermüdlich im Internet nachgeforscht, was es alles für Angebote gab, damit es Ahava nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch besser ging. Es gab sogar Delfintherapien und Musik- oder Kunsttherapien könnten vielleicht auch infrage kommen. Stundenlang hatte sich Christine durch die Kliniken durchtelefoniert, Ärzte und Psychologen abgeklappert und Broschüren gesammelt und unermüdlich gesucht, um Hilfe für Ahava zu finden. Denn sie dachte realistischer als Araphel. Nämlich dass es professionelle Hilfe brauchte und weder sie, noch Araphel oder sonst irgendjemand in diesem Haus wirklich helfen konnte. Sie waren dieser Situation nicht gewachsen und auch wenn ein Teil von ihr für sich bereits wusste, dass die Studentin schon aufgegeben hatte und sich auch nicht mehr helfen lassen wollte, so wollte sie nicht so ohne Weiteres aufgeben. Einfach aus dem Grund, weil sie eine Kämpfernatur besaß. Sie wollte nicht eher aufgeben, bevor sie nicht wirklich alles versucht hatten. Und erst dann, wenn sie wirklich alles versucht hatten und es rein gar nichts gebracht hatte, dann würde sie einsehen, dass es vielleicht besser war, Ahava gehen zu lassen, wenn sie es wollte. Denn niemand konnte sie zwingen, dieses Dasein weiter zu ertragen, wenn es für sie eine solche Qual bedeutete. Auch wenn es der wohl schlimmste Moment in Christines Leben sein würde und sie für sich wusste, dass sie sich das wohl niemals verzeihen würde… Sie würde die Kraft aufbringen, wenn sie dann wusste, dass Ahava dann nicht mehr leiden musste. Doch es war noch zu früh dafür, so etwas zu denken. Noch bestand Hoffnung. Vielleicht konnte man ja noch etwas machen und ihr helfen. Es war noch zu früh, sie aufzugeben. Und aus diesem Grund würde Christine weiterhin stark bleiben und versuchen, Ahava ein Stückchen Alltag zurückzugeben, damit sie aus ihrer Lethargie herauskam. Als sie das Arbeitszimmer erreicht hatten, ließ Ahava sich bis zum Schreibtisch schieben und immer noch war Christine tief in Gedanken versunken und überlegte angestrengt, was sie am besten tun konnte. Vielleicht konnte sie Ahava noch mal die Idee mit dem Mädelsabend schmackhaft machen. So etwas war für jede Frau ein verlockendes Angebot und es war zumindest besser, als die ganze Zeit in diesem Zimmer eingesperrt zu sein und den ganzen Tag nur aus dem Fenster zu starren. Das tat ihr einfach nicht gut. Sie musste da raus und wenn sie halt in irgendwo feiern gingen und sich wenn nötig volllaufen lassen würden. Ahava hatte ja Marco als Bodyguard und Christine spekulierte darauf, dass sie vielleicht einen Rabatt bekamen. Entweder als Behindertenbonus (denn sie wusste auch ihr Handicap zum Positiven einzusetzen), oder aber sie ließ den Barkeeper halt auf ihren Ausschnitt glotzen. Auch wenn sie nur ein Bein hatte, hieß das nicht, dass sie keine vollwertige Frau war. Wer etwas anderes behauptete, der durfte sich warm anziehen. Ahava musste einfach mal wieder unter Leute kommen, dann würde sie auch diese ganzen Dinge vergessen, die sie so sehr quälten. Schließlich wandte sich die 20-jährige an Christine, schaute sie mit ihren eisblauen Augen an, die erschreckenderweise sehr matt und leer wirkten und sagte „Ich möchte, dass du gehst und mich alleine lässt.“ Doch so leicht wollte sich die 28-jährige sich nicht abwimmeln lassen. Sie wollte Ahava nicht alleine lassen, denn irgendeine seltsame Vorahnung ergriff von ihr Besitz. Ein böser Verdacht, dass etwas Schlimmes passieren könnte, wenn sie jetzt ging. „Ach was, ich kann auch warten“, sagte sie und winkte ab. „In deiner jetzigen Verfassung kannst du dich sowieso kaum fortbewegen, das wäre doch Quatsch. Ich warte hier.“ Ahava hielt einen Moment lang inne und schien nachzudenken. Aber dann schob sie den Rollstuhl zum Tresor, der sich nicht weit vom Schreibtisch entfernt befand und öffnete ihn. Da Christine auf der anderen Seite des Schreibtisches stand, konnte sie nicht genau erkennen, was Ahava da machte und was sie da herausholte. Sie ahnte auch nichts Genaueres, doch sie war besorgt und das sah man ihr an. „Ich hätte es lieber gehabt, wenn mich niemand dabei sieht“, murmelte Ahava und senkte traurig und hoffnungslos zugleich den Blick. „Aber da du es eh vergessen wirst, muss ich kein allzu schlechtes Gewissen haben. Ich möchte aber trotzdem, dass du weißt, dass es mir leid tut, dass du das miterleben musst.“ Nun sah Ahava sie direkt an. Mit einem Mal war diese leblose Mattigkeit aus ihrem Blick verschwunden. Stattdessen sah man jetzt allzu deutlich die unendliche Verzweiflung, der tiefe Schmerz und die Hoffnungslosigkeit in diesen eisblauen Augen, die sonst wie Kristalle funkelten. Tränen glänzten in ihren Augenwinkeln und nun sah Christine auch, dass Ahava sich eine geladene Pistole an den Kopf hielt. Ihre Hand zitterte und unaufhörlich rannen Tränen ihre kreidebleichen Wangen hinab. „Ich will das nicht mehr und ich will meinem Bruder nicht noch mehr Kummer bereiten. Bitte kümmere dich gut um ihn, ja?“ Christines Augen weiteten sich vor Entsetzen als sie erkannte, was Ahava da vorhatte. Sie rief noch „Nein, nicht!!!“ Doch als sie zu der Studentin eilen und ihr die Waffe aus der Hand reißen wollte, fiel der Schuss und Blut spritzte, als die Kugel Ahavas Kopf durchbohrte und sie tötete. Christine stand da und sah das Grauen vor ihren Augen. Sie war wie gelähmt, konnte nicht fassen, was da gerade passiert war. Und dann realisierte sie es: es war ihre Schuld… Sie war schuld daran, dass das passiert war und Ahava gestorben ist. Sie hatte ihr geholfen, an die Waffe zu gelangen und hatte sie auf dem Gewissen. Ihre beste Freundin, die sie doch retten wollte. Es war ihre Schuld… Ihretwegen war Ahava tot. Sie hatte die Familie zerstört. Ein Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung entwich der 28-jährigen. Sie wich vor dem Anblick zurück, rang mit der Fassung und den Tränen, durch den Schock setzte dann aber der Verstand bei ihr aus und sie verlor das Bewusstsein. Und als sie wenig später erwachte, als Asha, Yin und ein paar andere von Araphels Leuten herbeikamen, die von dem Schuss alarmiert waren, war die Szene bereits wieder aus Christines Gedächtnis gelöscht worden. Sie erinnerte sich schon gar nicht mehr daran, was gerade eben noch passiert war. Und doch blieb ein spürbarer Schmerz in ihrem Herzen zurück, den sie nicht vergessen konnte. Ein Schmerz, der ihr verriet, dass es allein ihre Schuld war, dass Ahava sich das Leben genommen hatte. Kapitel 28: Die Augen eines Opfers, die Hände eines Täters ---------------------------------------------------------- „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden.“ Bibel 1. Mose 9.6 Araphel war in seine Arbeit vertieft und versuchte sich zumindest darauf zu konzentrieren, doch leicht fiel es ihm nicht. Seine Gedanken kreisten um das, was Christine ihm erzählt hatte und als er wieder an ihre Worte dachte, dass sie Ahava damals erschossen hatte, überkam ihn blinde Wut und er warf die Tasse an die Wand. Warum nur hatte sie ihm so etwas antun müssen? Er hatte ihr immer vertraut, sie war wie eine Schwester für ihn und nach Ahavas Tod die Einzige, zu der er einen engeren Bezug hatte. Und sie belog ihn einfach vier Jahre lang. Wie hatte er sich nur so in ihr täuschen können? Christine war diejenige gewesen, die ihn nach Ahavas Tod aufgefangen und ihm Halt gegeben hatte. Auch wenn sie oft Meinungsverschiedenheiten hatten und es wegen ihrer Krankheit nicht immer leicht war, sie war immer die gute Seele im Haus gewesen, wusste immer für gute Stimmung zu sorgen und ließ sich von nichts und niemandem unterkriegen. Er hatte ihr blind vertraut und sie hinterging ihn. Wie sollte er da überhaupt noch jemandem vertrauen? Am liebsten hätte er ihr noch eine reingehauen und sie auf die Straße gejagt und sich nicht weiter darum geschert, was aus ihr wurde. Und wenn sie halt an die Yanjingshe geriet, was sollte es ihn schon kümmern, nachdem sie ihn so verraten hatte? Doch er konnte es nicht. Egal wie wütend er auch auf sie war, er konnte sie einfach nicht fortschicken und riskieren, dass sie wieder als Sexsklavin des Slave Shipping Services endete und durch dieselbe Hölle ging, die seine Schwester erleiden musste. Das konnte er ihr selbst nach diesem Verrat nicht antun. Doch Fakt war, dass es nie wieder so wie früher sein würde. Er würde ihr niemals verzeihen können, dass sie ihm seine Schwester genommen hatte, selbst wenn sie es getan hatte, weil sie Ahava helfen wollte. Sie hatte ihm das Wertvollste genommen, was er besaß und das würde er ihr nie im Leben vergeben. Er wollte sie weitestgehend aus seinem Leben streichen, sie aber dennoch hier leben lassen, damit sie wenigstens vor der Yanjingshe sicher war. Das war die einzige Geste, die er ihr noch zuteil kommen ließ. Die Tür würde aufgerissen und Araphel, der seinen Leuten mehr als oft genug eingebläut hatte, ihn nicht bei der Arbeit zu stören, schaute auf um festzustellen, wer der Störenfried war. Es war Morphius, der ziemlich gehetzt wirkte und Sergej Camorra in Begleitung hatte. Und das war mehr als seltsam, denn der Bostoner Patriarch kam niemals unangekündigt zu Besuch. Da achtete er sehr penibel darauf. „Schlechte Nachrichten“, keuchte Morphius und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich habe von Bonnie erfahren, dass Shen seit drei Tagen bereits wieder im Land ist. Er ist unerkannt aus Shanghai wieder zurück.“ „Was?“ rief Araphel fassungslos und stand auf. „Shen ist… Was ist mit Sam und den anderen? Hast du sie schon angerufen?“ „Keiner von ihnen geht ans Telefon. Ich hab erfahren, dass Owen erschossen wurde und ich fürchte, sie sind von der Triade verschleppt worden.“ Araphel war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Er hatte schon die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl gehabt, doch er hatte gehofft, dass er sich irrt. Doch der schlimmste Fall war eingetreten. Shen war unerkannt wieder ins Land zurückgekehrt und hatte Sam, Christine, Asha und Yin entführt. Und er wusste nur zu gut, dass ihnen noch Schlimmes blühen würde, wenn sie sich in Shens Gewalt befanden. Das würden sie nicht überstehen. Dieses Monster würde sie seelisch brechen so wie er es mit Ahava getan hatte. „Verdammt, ich muss sie finden und da sofort rausholen. Morph, Sam trägt noch einen implantierten Peilsender für den Notfall. Orte ihn für mich und ruf meine besten Leute zusammen.“ „Nun mal langsam mit den jungen Pferden“, beschwichtigte Sergej ihn. „Ich habe da schon einen Plan.“ „Wie bitte?“ fragte Araphel und war für einen Moment irritiert. „Du und einen Plan? Wie lange weißt du schon davon?“ „Seit vorhin, als ich durch zuverlässige Quellen erfahren habe, dass die Schlange in ihr Nest zurückgekehrt ist. Wir müssen die Sache taktisch angehen, mein Junge. Du weißt, dass Shen sie gefangen hält, um dich aus der Reserve zu locken und weil er genau weiß, wie er dich am besten treffen kann. Wenn du unvorsichtig wirst, dann wirst du nur in seine Falle tappen. Also sei vernünftig und…“ „Ich sitze doch nicht untätig hier rum, während Sam und die anderen gefoltert werden und wer weiß was durchmachen müssen. Du weißt, was Shen für ein Monster ist.“ „Das brauchst du mir nicht zu sagen“, sagte Sergej ruhig, aber mit deutlichem Nachdruck in der Stimme. „Aber wenn du einfach so da reinspazierst, wird es in einem Desaster enden und das wissen wir beide. Er wird dich wieder in die gleiche Situation wie damals bringen und dann wird er dich so lange quälen, bis er dich zu seinem Spielzeug gemacht hat. Alleine kommst du gegen ihn nicht an und das musst du langsam mal akzeptieren. Keiner von uns kann allein gegen ihn gewinnen.“ „Und was schlägst du dann vor?“ fragte Araphel aufgebracht. „Soll ich sie im Stich lassen?“ „Das habe ich nicht von dir verlangt“, erklärte der Patriarch und nahm auf einem Stuhl gegenüber vom Schreibtisch Platz. „Ich kann dich persönlich nicht unterstützen, weil es unsere Gesetze verbieten. Aber ich werde dich indirekt unterstützen. Ich habe nämlich mit Shen ein kurzfristiges Treffen ausmachen können und ihm erzählt, es würde um dringende Angelegenheiten gehen, die sich nicht aufschieben lassen. Er kann deshalb nicht einfach seinen Berater hinschicken, vor allem weil wir Geschäftspartner sind. Ich bin dein Ablenkungsmanöver und während ich mit ihm im Gespräch bin, stürmst du mit deinen Leuten das Gebäude und holst sie da raus. Das ist vernünftiger, als Shen einfach in die Arme zu laufen. Vor allem weil du genau weißt, worauf es dann hinausläuft.“ Araphel schwieg und war innerlich hin und her gerissen. Einerseits hatte Sergej Recht und er würde nur blindlings in Shens Falle tappen, wenn er da einfach so reinging. Aber wenn er zu lange wartete, würde er weiß der Teufel noch was mit den anderen anstellen. Was, wenn er sie alle schon längst getötet hatte? Was, wenn er vorhatte, Sam die Beine zu amputieren? Wie konnte er da so ruhig bleiben? Schließlich aber legte Sergej ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn fest an. „Überlass Shen mir, ja? Ich werde schon dafür sorgen, dass du früh genug Unterstützung für deine Vendetta bekommst und dass du die anderen rausholen kannst. Aber lass dich nicht von deinen Emotionen beherrschen, denn dann wirst du unvorsichtig und das wird er ausnutzen. Er kennt deine Schwächen und spielt mit dir. Ich kann nichts versprechen, aber ich werde ihn in ein Gespräch verwickeln, damit du die Möglichkeit hast, Sam und die anderen zu befreien.“ „Aber wird er nicht misstrauisch werden?“ fragte der Informant nach. „Shen ist zu intelligent, um so etwas nicht zu bemerken.“ „Natürlich wird er das, aber er wird sich darauf einlassen, weil es ihm auch eine gute Gelegenheit bietet, mal wieder einen Mordanschlag auf mich zu verüben. Für ihn ist es die perfekte Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und so etwas lässt er sich garantiert nicht entgehen. Darum setzen wir alles auf eine Karte und wagen es trotzdem. Das Treffen findet in knapp zweieinhalb Stunden statt. Natürlich ist es viel Zeit wenn man bedenkt, wie Shens Charakter ist. Aber es ist nicht genug Zeit, um sie ins Ausland zu schaffen oder einen so schweren medizinischen Eingriff vornehmen zu lassen. Und es ist besser als nichts. Wenn du einfach so reinspazieren würdest, würdest auch du in Gefangenschaft geraten und könntest gar nichts mehr ausrichten. Dann gäbe es für alle keine Rettung mehr. Ich werde sehen, dass ich ihn so lange wie möglich beschäftigt bekomme und ich verlasse mich darauf, dass du das Beste daraus machst.“ „Sergej…“ „Ich habe deinem Vater versprochen, mich um euch zu kümmern, sollte ihm etwas zustoßen. Ich konnte deiner Schwester nicht helfen, aber ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass du in Shens Fänge gerätst. Nicht solange ich noch was zu sagen habe. Zwar habe ich eigene Kinder, aber du bist für mich auch fast wie ein eigener Sohn und darum werde ich auch sicher nicht mit ansehen, wie du in so eine Falle rennst. Wir kriegen das hin, okay? Lass dich nicht von deinen Emotionen beherrschen und konzentriere dich auf dein Ziel.“ Daraufhin legte Sergej einen Arm um ihn und gab ihm eine väterliche Umarmung, die Araphel Kraft spenden sollte. Doch gleichzeitig wirkte sie auch wie ein endgültiger Abschied. Sam wurde auf eine ziemlich grobe Art und Weise aufgeweckt, als ihm eiskaltes Wasser ins Gesicht gespritzt wurde. Schlagartig wurde er wach und bemerkte, dass er an den Handgelenken gefesselt war und die Fesseln an einer Kette befestigt waren, die von der Decke hing. Sein Oberkörper war nackt und er sah Yin und Asha auf dem Boden liegen. Beiden hatte man die Prothesen abgenommen, sodass ein Fortlaufen für sie unmöglich war. Auch Christine fehlte die Prothese, wodurch sie deutlich eingeschränkt war. Sie blutete an der Stirn und hatte einen ziemlich heftigen Schlag abbekommen. Sowohl sie als auch die anderen beiden waren schon wach und direkt vor Sam stand eine Person, deren Anblick allein ihm schon einen Schauer über den Rücken jagte. Es war Shen Yuanxian, der Boss der Yanjingshe und einer der führenden Kräfte des Slave Shipping Services. So ein verdammter Mist, dachte er sich als ihm klar wurde, in welch eine Situation sie geraten waren. Ich war viel zu unvorsichtig. Ich hätte eigentlich schon bei der Sache mit dem Wagen in der Lagerhalle Verdacht schöpfen müssen. Aber da er dachte, Shen sei nicht im Land und der Mann wäre, nur weil er kein Chinese war, ganz harmlos. Er hatte sich zu sicher gefühlt und das war ihm jetzt teuer zu stehen gekommen. „Beehren Sie uns also auch mit Ihrer Aufmerksamkeit, Mr. Leens?“ fragte er und ein Lächeln, welches an Falschheit nicht zu überbieten war, spielte sich auf seine Lippen, während in seinen Augen nichts als eiskalte Leere zu sehen war, als wären es die Augen eines Toten. Sam wusste, wie gefährlich dieser Mensch war und dass es einem Todesurteil gleich kam, sich in Gefangenschaft bei ihm zu befinden. „Es ist mir wirklich eine Freude, Sie als mein persönlicher Gast begrüßen zu können.“ „Was wollen Sie von uns?“ fragte der Detektiv gerade heraus und sah ihn fest an, wobei er versuchte, sich seine Angst vor diesem Menschen nicht anmerken zu lassen. Er wollte ihm nicht noch mehr Angriffsfläche bieten und er musste diesen Kerl irgendwie beschäftigt kriegen, damit dieser nicht noch auf die Idee kam, den anderen etwas anzutun. Immer noch lächelte Shen, doch das Lächeln erreichte nicht seine Augen. Es lagen tiefe Abgründe darin und sie spiegelten die Finsternis wieder, in der er aufgewachsen war. „Ich habe mir mein Eigentum zurückgeholt“, erklärte er ruhig. „Araphel hat mir vor vier Jahren Ware gestohlen und die hole ich mir eben zurück. Ich habe ihm angeboten, ihm eine Entschädigung zu zahlen, wenn er sie mir freiwillig zurückgibt, aber er hat abgelehnt, also habe ich mein Recht eingefordert und sie selbst zurückgeholt.“ „Um sie dann wieder als Sexsklaven zu verkaufen?“ fragte Sam direkt. Auch wenn er wusste, dass er sich damit selbst in Gefahr brachte, er musste ihn so lange es ging beschäftigen, damit er sich bloß nicht an Christine und den anderen vergriff. Er musste Zeit schinden, denn er wusste, dass Araphel nach ihnen suchen würde, wenn er etwas bemerkt hat. „Wieso tun Sie so etwas, wenn Sie doch genauso ein Opfer der Triade sind und Ähnliches durchgemacht haben?“ „Sie scheinen offenbar über meine Vergangenheit Bescheid zu wissen“, bemerkte Shen, dessen Gesichtszüge unverändert blieben. Er strahlte nichts als Kälte und Gefahr aus und nun sah der Detektiv auch mehr als deutlich, dass das kein Mafiaboss in dem Sinne war, sondern ein extrem sadistischer Psychopath. „Wissen Sie, Mr. Leens… das alles hier ist nur die Konsequenz der Dinge. Die Triade machte mich zu ihrem Spielzeug, nun mache ich sie zu meinem. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu meinem Bordell. Die Menschen machten mich zu einem Monster, dementsprechend werde ich sie die Folgen spüren lassen.“ „Mit anderen Worten: Sie wollen Rache an der Menschheit üben.“ „Rache klingt ein wenig zu banal ausgedrückt. Ich befriedige lediglich die dunkelsten Begierden der Menschen und gebe ihnen das, was sie gleichzeitig verlangen und verabscheuen. Die Menschen haben diese Hölle selber erschaffen, nicht ich. Was glauben Sie wohl, warum es solche Dinge gibt, die Sie gesehen haben? Weil die Menschen von Grund auf verdorben sind. Sie sind das Gift dieser Welt und sie leben ihr ganzes Leben lang mit einer Doppelmoral, um ihre Falschheit zu verbergen. Sie haben keine Ahnung, Mr. Leens. Sie wissen nicht, wie es ist, von den eigenen Eltern im Alter von sechs Jahren an ein Bordell verkauft zu werden und tagtäglich den Tod vor Augen zu haben. Sie haben nicht sehen müssen, wie Ihr Bruder vor Ihren Augen verblutet ist und wie es ein sadistischer Freier stundenlang mit seiner Leiche getrieben hat, während Sie zuschauen mussten. Sie haben keine Vorstellungen, wie verdorben und falsch die Menschen wirklich sind. Glauben Sie wirklich, dass es eine Tugend ist, für Dinge wie Gerechtigkeit einzustehen? Gerechtigkeit ist nur die Rechtfertigung dafür, über andere urteilen zu können und die Menschen urteilen über andere, weil sie sich nicht selbst eingestehen wollen, dass es sie tief in ihrem Herzen danach lüstet, genauso solche Dinge zu tun. Ein Kind zu missbrauchen, einer Frau den Schädel einzuschlagen und sich an der Leiche zu vergehen, einen Menschen zu foltern und ihn in den Wahnsinn zu treiben. Dieser destruktive Trieb steckt in uns allen, auch in ihnen. Ich bin hier nicht der Schuldige, sondern allein die Menschen, die ihre kranken Fantasien ausleben und es den Himmel auf Erden nennen. Und ich weiß, dass auch Sie tief in Ihrem Herzen bei der Vorstellung erregt werden, ein junges und unschuldiges Kind zu haben, das Ihre tiefsten Gelüste dadurch befriedigt, indem es Ihnen allein zur Verfügung steht und nicht fortlaufen kann.“ „Das ist krank!“ rief Christine angewidert. „Was Sie sich in Ihrem Kopf zusammenspinnen, das ist Ihre Sache. Aber wir müssen uns ja wohl nicht unterstellen lassen, dass wir so etwas tun würden.“ „Christine!“ rief Sam ermahnend, doch es war schon zu spät. Sie war in Shens Visier geraten und er würde sich so etwas garantiert nicht gefallen lassen. Dazu war er einfach zu stolz. Er duldete keine Widerworte. Mit langsamen aber sehr erhabenen Schritten kam er näher und blieb einen Moment vor Christine stehen. Dann aber trat er ihr direkt ins Gesicht und als sie für einen Moment benommen und regungslos auf dem Boden lag, trat er auf ihre Hand. Es gab ein hässliches Knirschen, als die Knochen brachen und vor Schmerz schrie die Rothaarige auf. Es war ein entsetzlicher Schrei, der Sam einen Schauer über den Rücken jagte. Denn es war ein Schrei, der nicht nur von Schmerzen zeugte. Er mischte sich mit einer schrecklichen Erinnerung an eine Zeit, an die sich niemand würde erinnern wollen. Christine lag vor Schmerz schreiend auf dem Boden und hielt sich ihre gebrochene Hand. Shen genoss diesen Anblick, das sah Sam sofort. Er genoss es, Macht über andere zu haben, sie zu quälen und sie das fühlen zu lassen, was sie ihm damals angetan hatten. Er wollte sie seinen kalten Zorn spüren lassen und dabei war es ihm völlig egal, wen er damit traf. Sam erkannte, dass es gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihm und Araphel gab. Doch Araphels Zorn war ein heißer Zorn. Er verlor dann die Beherrschung, entäußerte sich seiner Wut und trug sie nach außen. Doch Shens Zorn war eiskalter Natur. Er lebte seinen Hass gegen die Menschen auf eine vollkommen gefühlskalte Ebene aus, lebte seinen Sadismus an ihnen aus und wurde dennoch nicht emotional. Wahrscheinlich war dieser Mensch auch gar nicht mehr zu Emotionen fähig. Nach alldem, was er als kleiner Junge hatte erleiden müssen, hätte man auch nicht erwarten können, dass er dazu noch imstande war. Er hatte diese Gefühle abgelegt, weil sie ihn sonst getötet hätten. Er fühlte nur Hass und Verachtung. „Offenbar hast du vergessen, dass Abschaum wie du nicht in solch einem Ton mit mir zu reden hat. Wie es scheint, hast du zu viel Freiheiten genossen, als du bei Araphel warst.“ „Hören Sie auf damit!“ rief Sam, woraufhin er noch ein „Bitte!“ hinzufügte, um die Situation nicht noch weiter zu verschlimmern. Es wäre absolut nicht förderlich gewesen, wenn er Shen noch weiter provozierte. Shen wollte, dass man sich ihm unterordnete und ihm das Gefühl von Macht gab. Wenn er ihm das gab und auf ihn diese Weise milder stimmte, würde es hoffentlich nur bei der gebrochenen Hand bleiben. Yin und Asha sagten gar nichts. Sie hatten zu viel Angst, als dass sie auch nur einen Ton hätten hervorbringen können. Vielleicht war dies ja auch besser so. Ansonsten wäre die ganze Situation noch völlig unüberschaubar und chaotisch geworden. Shen wandte sich wieder ihm zu und damit hatte Sam erreicht, was er wollte. Solange dieser Kerl Christine vorerst keine Aufmerksamkeit schenkte, reichte das völlig. „Du bittest mich?“ stellte er fest und wieder war da dieses eiskalte Lächeln. Selten hatte ein Mensch Sam solch eine Angst eingejagt wie Shen, doch er hielt seinem Blick stand. „Ja“, bestätigte der Detektiv kleinlaut. „Bitte tun Sie ihr nichts.“ „Da gibt es nur einen Haken“, erklärte Shen. „Sie ist mein Eigentum, genauso wie diese anderen beiden. Ich habe Reesa von den Kinderhändlern gekauft und damit gehört sie allein mir. Sie sind Ware, nicht mehr und nicht weniger. So funktioniert nun mal die Welt der Mafia. Wer mittellos ist, der gerät in ihre Fänge und wird als ihr Eigentum gekennzeichnet.“ Sam sagte nichts, sondern sah Shen nur an. Es musste für Araphel wirklich die Hölle gewesen sein, es wochenlang bei ihm aushalten zu müssen, weil er dachte, seine Schwester auf diese Art und Weise retten zu können. Allein der Gedanke an diese Narben ließ ihn aufs Neue erschaudern. So etwas wollte er weder selbst erleben, noch wollte er es den anderen zumuten. „Ein weiteres Problem ist, dass ich mit ihnen nichts mehr anfangen kann. Weißt du, meine Kunden stehen auf junge Ware. Maximal 28 Jahre, danach mache ich nur Verlust mit meiner Ware.“ „Und warum haben Sie sie dann entführt?“ „Es geht mir ums Prinzip“, erklärte Shen mit eiskalter Stimme. „Was mir gehört, das hole ich mir zurück.“ Sam wusste noch einen Grund. Shen nutzte sie als Köder, um Araphel in eine Falle zu locken, weil er genau wusste, dass dieser sofort kommen würde. „Es geht Ihnen um Araphel, nicht um uns“, sagte er deshalb. „Es ist Ihnen immer schon um Araphel gegangen.“ „Und wenn dem so wäre?“ fragte der 42-jährige daraufhin mit einer unheimlichen Selbstüberzeugung. Christine, die sich halbwegs von den Schmerzen erholt hatte, schrie schon längst nicht mehr, hielt sich aber immer noch die lädierte Hand. Sie setzte sich auf und ihr Gesicht war blass. Ernst lag in ihrer Miene und sie wirkte in diesem Moment viel älter als sie eigentlich war. „Er wird nicht kommen“, erklärte sie. Natürlich erregte das wieder Shens Aufmerksamkeit und er wollte wissen, warum sie sich da so sicher war. „Weil ich seine Schwester getötet und ihn hintergangen habe. Meinetwegen wird er ganz sicher nicht kommen, darauf können Sie lange warten.“ Nun lachte Shen. Sam gefiel dieses Lachen nicht, es bedeutete nichts Gutes. „Ach wirklich? Na das ist ja eine nette Geschichte. Hattest du seine Schwester etwa von ihrem Leid erlösen wollen? Oder war dein Wunsch nach einer Familie so stark, dass du ihren Platz einnehmen wolltest, weil du dachtest, du könntest ihn glücklich machen? Ich glaube du irrst dich, meine liebe Reesa. Er wird ganz gewiss kommen. Während mich der so geschätzte Patriarch in ein Gespräch verwickeln will, wird Araphel kommen, um euch zurückzuholen.“ „Ich bin nicht mehr Reesa!“ rief Christine. „Und ich bin auch nicht mehr dein Spielzeug, deine Ware oder die Sexsklavin von irgendjemandem. Genauso wenig wie die anderen und ich werde nicht zulassen, dass du irgendjemandem etwas antun wirst. Selbst wenn du mir beide Arme brechen und mir das andere Bein nehmen solltest, dann werde ich dir den Schwanz abbeißen, damit du dich nie wieder an irgendjemandem vergehen kannst!“ Was macht sie da, fragte sich Sam und spürte Angst. Wenn sie so weitermacht, wird er ihr etwas antun. Sie wird doch nicht etwa das Gleiche vorhaben wie ich und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um mich zu beschützen? „Christine, hör auf!“ rief er und versuchte an seinen Fesseln zu zerren, doch es brachte nichts. „Sei still!“ „Ach wie rührend“, meinte Shen und schmunzelte. „Jeder will den anderen beschützen und stellt sich dafür als Zielscheibe zur Verfügung. Wirklich reizend. Macht ihr das vielleicht, weil ihr Zeit schinden wollt? In dem Fall muss ich euch enttäuschen. Von euch wird nur einer hier lebend herauskommen. Nämlich ohne Arme und Beine.“ Und dabei schaute er Sam an, dem das Blut in den Adern gefror. Dieses Bild tauchte vor seinen Augen auf. Er in derselben Lage wie Ahava vor vier Jahren. Verstümmelt und gebrochen. Doch er würde auch seine Arme verlieren. Shen bluffte nicht, er meinte es todernst. Entsetzt sah er zu Yin und Asha, die völlig verängstigt in der Ecke kauerten und sich klein machten, um bloß nicht in Shens Blickfeld zu geraten. Sie mussten Todesangst vor ihm haben, Christine sicherlich auch. Doch sie versuchte zumindest stark zu bleiben und Shen möglichst davon abzuhalten, irgendjemandem von ihnen etwas anzutun. Und wenn sie sich dann eben opfern musste. Schließlich machte der Chinese einen kleinen Schritt rückwärts und breitete die Arme aus. „Nun? Wollt ihr mich denn nicht länger hinhalten? Warum machen wir nicht gleich ein kleines Spiel daraus? Wer will denn anfangen und sich heldenhaft für die anderen opfern?“ Sam biss sich auf die Unterlippe. Wenn er nichts unternahm, dann würde einer von den anderen sterben, so viel stand fest. Und wenn er erst mal ein Bein verlor, er würde es verkraften. Yin und Asha lebten immerhin gänzlich ohne Beine. Es würde schlimm sein, aber er konnte dann vielleicht den dreien das Leben retten. Doch gerade, als er den Mund aufmachen wollte, um etwas zu sagen, da kam Christine ihm zuvor, die fest entschlossen war, nicht zuzulassen, dass ihm etwas passierte. Denn sie wusste, dass er Araphel wichtiger war. Wenn er Sam verlor, würde es ihn endgültig brechen und das durfte sie nicht zulassen. „Dann fang mit mir an, wenn du es nicht lassen kannst, du kranker Scheißkerl!“ Wortlos ging Shen daraufhin zur Tür raus und verschloss sie hinter sich. Keiner konnte sich so wirklich erklären, was das zu bedeuten hatte. Doch Sam ahnte nichts Gutes. Und tatsächlich kam Shen kurz darauf wieder zurück. Er hatte etwas bei sich, was der Detektiv schon mal auf Farmen gesehen hatte, nämlich ein Glüheisen, welches bei Tieren benutzt wurde, um ihnen ein Brandzeichen zu verpassen. Doch wen würde es treffen? Wen hatte er im Visier? „Tja meine liebe Reesa… Dein Engagement für diesen jungen Mann ist durchaus löblich, aber mir gefällt dein Ton nicht.“ Christines Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie wusste, was der 42-jährige vorhatte und versuchte ihn daraufhin mit ihrem gesunden Arm festzuhalten, um ihn daran zu hindern. „Nein! Lass Sam in Ruhe! Fass ihn nicht an!“ Sam sah mit Entsetzen das glühende Eisen, welches leicht qualmte. Auf dem Siegel war eine Schlange zu sehen, das Zeichen der Yanjingshe. Mit so einem Eisen war auch Araphel vor vier Jahren gebrandmarkt worden. Der Detektiv bekam Angst, vor allem weil er wusste, dass es unumgänglich war. Er versuchte ruhig zu atmen und nicht in Angst zu verfallen. Araphel hatte das auch durchstehen müssen und wenn er das nicht ertrug, würde Shen stattdessen die anderen foltern. Auch wenn dieser verdammte Psychopath längst seinen Plan durchschaut hatte, Zeit zu schinden und dies zu seinem Vergnügen ausnutzte, er musste es den anderen zuliebe durchstehen. Einen Moment lang geschah nichts, wahrscheinlich wollte Shen ihn noch ein klein wenig zappeln lassen. Dann aber spürte er, wie sein Shirt hochgezogen wurde und dann brannte sich auch schon das glühende Eisen in seinen Rücken. Ein infernalischer Schmerz durchfuhr seinen Körper und er schaffte es nicht, seine Stimme zu unterdrücken, um Shen diese Genugtuung nicht zu gönnen. Er schrie laut auf, als das glühend heiße Metall seine Haut versenkte und die Luft vom beißenden Gestank von verbrennendem Fleisch erfüllt wurde. Dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu jenem, den er zu Anfang von Araphel zu spüren bekommen hatte. Dieser hier war bei weitem schlimmer. Für einen Moment hatte er sogar das Gefühl, durch diesen höllischen Schmerz das Bewusstsein zu verlieren. Tränen sammelten sich in seinen Augen und für eine Weile nahm er nichts anderes wahr außer dem Schmerz und diesem widerlichen Geruch nach verbranntem Fleisch. Und er glaubte, auch Christine schreien zu hören, wie sie Shen anflehte, damit aufzuhören. Ihre Stimme klang verzweifelt und flehend, er sah die Angst in ihren Augen Doch es war nicht die Angst vor Shen, sondern die Angst um ihre Freunde… ihre Familie. Schließlich wurde das glühende Eisen von Sams Haut genommen, doch der Schmerz pochte immer noch nach. Er war wie benommen und schaffte es nicht, seine Konzentration zusammenzuraffen. Immer noch war ihm, als würde sein ganzer Körper lodern und es tat so unendlich weh. Kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und er war kreidebleich. Durch den Schmerz befand sich sein Körper momentan in einer Art Schockzustand, wodurch seine Wahrnehmung betäubt wurde, aber gleichzeitig sank auch seine Fähigkeit, klar und vernünftig denken zu können. Ein widerlicher Kupfergeschmack lag auf seiner Zunge, der ihm Übelkeit bereitete. Benommen sah er zu Shen, der sich an diesem Anblick regelrecht weidete. In diesem Moment fragte er sich wie viel ein Mensch in seiner Kindheit hatte ertragen müssen, um zu solch einem Monster zu werden, das nur davon lebte, anderen wehzutun. „So und nun bin ich an der Reihe, zu entscheiden“, sprach der Chinese und ein eiskaltes Lächeln spielte sich auf seine Lippen. „Da Reesa die Entscheidung gefällt hat, dich zu retten, wird dafür ein anderer den Preis zahlen müssen.“ Und damit ging Shen auf Yin und Asha zu, die verängstigt da in der Ecke kauerten und nicht fliehen konnten. Sie waren vollkommen wehrlos und wussten, dass sie Shen nichts entgegensetzen konnten. Angsterfüllt hielten sie einander im Arm, zitterten am ganzen Körper und nackte Todesangst spiegelte sich in ihren Augen. Dann aber packte Shen Yin an den Haaren und zerrte sie von Asha weg. Als Christine das sah, mobilisierte sie ihre ganze Kraft und versuchte, irgendwie zu ihnen zu gelangen, doch mit nur einem Bein und einem gebrochenen Arm war das eigentlich vollkommen sinnlos. Sie schrie sich fast die Seele aus dem Leib und rief immer „Lass sie los! Nein bitte! Lass sie los!“ Noch nie hatte Sam sie so verzweifelt gesehen. Sie war eine Kämpferin, die sich nicht so leicht einschüchtern ließ, aber diese Situation war für sie die Hölle. Zu wissen, dass jemand gleich vor ihren Augen sterben würde und sie nichts tun konnte, um das zu verhindern, war mehr als sie ertragen konnte. Sie konnte nichts tun, um Yin zu retten und das nur, weil ihr dieses eine gottverdammte Bein fehlen musste und man ihr den Arm gebrochen hatte. Sam erkannte nun trotz seiner Benommenheit, wie Shen seine Gegner wirklich vernichtete: er hielt ihnen ihre eigene Unfähigkeit und Machtlosigkeit vor Augen, während er ihnen das nahm, was ihnen am wichtigsten waren. Er ließ sie das alles mit ansehen, um sie somit zu brechen. Sam, durch Christines verzweifelte Schreie wieder einigermaßen bei klarem Verstand, begann wieder an seinen Fesseln zu zerren. Er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht rein, doch das Einzige, was er erreichte, war nur, dass er sich die Handgelenke aufscheuerte, doch seine Fesseln gaben nicht nach. Und so blieb ihm nur hilflos mit anzusehen, wie Shen ein Schwert aus einer vergoldeten Scheide hervorholte, Yin an den Haaren hochzerrte und ihr dann die Kehle durchschnitt, die Klinge immer tiefer ins Fleisch schnitt und ihr dann schließlich den Kopf abtrennte. Blut… überall war da Blut… Sam kam sich für einen Moment vor wie in einem schrecklichen Alptraum. Das alles konnte nie und nimmer wahr sein. Ja, wahrscheinlich war das alles bloß ein schrecklicher Alptraum, der so real erschien und doch nur ein Traum war. Er wünschte sich, dass er schweißgebadet und mit rasendem Herzen in seinem Bett aufwachen würde und alles in Ordnung wäre. Doch es war kein Traum, es war Realität. Genauso real wie die enthauptete Leiche von Yin, die reglos in einer Blutlache lag, die sich weiter ausbreitete. Shens Hand war immer noch in ihre Haare verkrallt, ihre Augen waren leer und tot, ihr Mund geöffnet, als hätte sie noch um Gnade flehen wollen. Christine schrie und weinte und hielt immer noch ihre gesunde Hand nach ihrer Freundin ausgestreckt. Tränen flossen ihre Wangen hinunter, doch Sam weinte nicht. Er war wie in eine Schockstarre verfallen, in der er nicht zu Emotionen fähig war. Das alles kam ihm so unwirklich und schrecklich vor, dass sein Verstand es nicht als reales Geschehen einordnen konnte. Seine Augen ruhten auf Yins Kopf, den Shen achtlos wie ein Stück Abfall zu Boden fallen ließ. Es gab ein leises, dumpfes Geräusch, als er auf dem Boden aufschlug und er rollte ein klein wenig weiter, bis er reglos liegen blieb und die toten Augen ruhten auf Christine, die sich fassungslos eine Hand auf den Mund presste und versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen. „Und?“ fragte Shen und wischte sich mit einem Taschentuch das Blut von der Klinge und seiner besudelten Hand. „Wer möchte sich als nächstes freiwillig opfern?“ Lauernd ruhten Shens Augen auf Sam. Offenbar erwartete er eine Antwort von ihm. Der Detektiv schluckte, doch seine Kehle fühlte sich trocken an und sein Kopf fühlte sich leer an. Was sollte er ihm antworten? So langsam beschlich ihm das Gefühl, dass es, egal was er auch sagte, darauf hinauslaufen würde, dass es nicht ihn, sondern die anderen erwischte. Die Schlange spielte mit ihrer Beute und trieb sie zur Verzweiflung, indem sie diese in ein teuflisches Spiel hineinzog, in welchem der Gewinner schon von Anfang an feststand. Egal was er sagte, es würde auf das Gleiche hinauslaufen. Wenn er ihn bat, Christine und Asha zu verschonen und stattdessen ihn zu foltern, würde Shen es nicht tun und wenn er sagte, er könne den anderen ruhig etwas antun, dann würde es ebenfalls geschehen. In beiden Fällen würden Christine und Asha leiden und bei ihm würden die Schuldgefühle bleiben. „Es ist doch egal, was wir sagen“, murmelte er und war erschrocken, wie gleichgültig und tonlos seine Stimme klang. So als hätte er schon längst aufgegeben. „Sie spielen doch nur Ihre abartigen Spielchen mit uns. Egal was ich sage, Sie werden doch sowieso nur das machen, was Sie wollen. Und ich spiele dieses Spiel sicher nicht mit.“ „Wie schade“, meinte Shen mit hochmütiger Stimme. „So schnell geben Sie auf? Keine sehr lobenswerte Eigenschaft für einen Detektiv. Wenn Ihnen das Leben Ihrer Freunde so egal ist, dann kann ich ja gleich weitermachen.“ Christines Augen wanderten zu Sam und sahen ihn fassungslos an. Als könnte sie nicht glauben, dass er einfach so kampflos aufgab uns sie quasi auslieferte. Doch dem war nicht so. Aber er wollte sich nicht mehr diesem Psychoterror aussetzen. Nun sah er Shen mit einer festen Entschlossenheit an und irgendwie schaffte er es, neue Kraft zu schöpfen. „Was bringt es Ihnen eigentlich, so etwas zu tun? Macht das Ihre Vergangenheit ungeschehen, oder bringt es Ihnen Ihre Familie oder Ihre Kindheit zurück? Als jemand, der genau weiß, wie schrecklich so etwas ist, sollten Sie doch eigentlich der Letzte sein, der so etwas anderen antun will.“ Damit hatte er scheinbar einen wunden Punkt bei Shen getroffen, denn nun verfinsterte sich der Blick des 42-jährigen. Seine lächelnde Fassade bröckelte und für einen Moment konnte er hinter diese Maske schauen. Und was er sah, hatte er damals im Keller bei Araphel gesehen. Diesen eiskalten und unbändigen Zorn, der wie ein schleichendes Gift seinen Verstand befallen und vollständig verschlungen hatte. „Sie haben doch keine Ahnung, Mr. Leens“, sprach Shen ruhig, doch man konnte den Zorn und den Hass in seiner Stimme hören. Den Hass gegen jene, die ihm seine Kindheit gestohlen, seine Familie genommen und seine Seele für immer verdorben hatten. Wie Morphius damals richtig erkannt hatte: Shens Hass galt nicht der Mafia, sondern der gesamten Welt. Und die Menschen waren für ihn schon lange keine Menschen mehr, sondern Ungeziefer, dass er zertreten konnte. Er war wie ein Kind, das einem Insekt zum Spaß die Flügel und Beine ausriss um zu sehen, oder das einen Wurm zerhackte um zu sehen, wie lange diese armen Geschöpfe noch weiterleben wollten. Nur besaß Shen nicht die naive Unschuld eines Kindes, das nicht wusste, was es da für eine schreckliche Sache tat. Er war sich im vollen Bewusstsein darüber, doch es war ihm egal. Er sah sich nicht als Mensch wie die anderen und da ihm jegliches Mitgefühl fehlte, war es ihm auch egal. „Sie wissen nicht, wie es ist, in diese Welt hineingezerrt und auf ein einfaches Objekt reduziert zu werden. Sie wurden nicht von ihren eigenen Eltern an die Mafia verkauft, damit diese sich selbst retten konnten. Sie sind in einer gewöhnlichen Familie aufgewachsen in einer behüteten Welt, in der Sie sich darüber beschweren, wenn Sie als Schüler eine Klausur schlechter als gut geschrieben haben. Und genauso wie alle anderen halten Sie sich für ein vorbildliches Exemplar des Homo Sapiens und verleugnen Ihre kranken Fantasien und ihre Neugier. Sie wissen genauso gut wie ich, dass auch Sie ab und zu diese Neugier haben. Die Neugier, wie es ist, jemanden gewaltsam zu nehmen, vielleicht auch ein Kind. Vielleicht haben Sie sich auch schon mal solche Videos angesehen, einfach nur um Ihre Neugier zu befriedigen. Es steckt in uns allen, sowohl in Ihren Genen, als auch in meinen und allen anderen. Vielleicht haben Sie sogar mal mit dem Gedanken daran gespielt, sich auch so eine Frau wie Reesa zu besorgen. Eine Frau, die nicht weglaufen kann und die immer zur Stelle ist, um Ihre Gelüste zu erfüllen. Warum sollten wir das leugnen und bekämpfen? Weil es unmoralisch oder pervers ist? Wir leben unser ganzes Leben in diesem Zwiespalt, dass wir diese Fantasien und Veranlagungen haben, die andere als krank und abartig empfinden und sie unbedingt ausleben wollen. Doch gleichzeitig verdammen wir sie, weil es den ethischen und moralischen Grundsätzen einer intakten Gesellschaft widerspricht. Man hat mir damals keine Wahl gelassen, ich wurde einfach in diese Welt hineingezogen und bin zu einem Teil von ihr geworden.“ „Wir treffen alle unsere Entscheidungen!“ rief Sam. „Jeder entscheidet selbst, was er tut und was nicht. Wenn ein Mann die Veranlagung hat, ein Kind zu missbrauchen, dann liegt es immer noch in seiner Entscheidung, ob er diesem Drang nachgibt oder nicht. Genauso wie sich ein Missbrauchsopfer entscheidet, selbst irgendwann als Erwachsener Kinder zu missbrauchen. Was Sie da von sich geben, ist doch nur zynisches und selbstgerechtes Gerede. Sie sind selbstgerecht und spielen mit anderen, nur um sich überlegen zu fühlen und damit Sie aus dieser Rolle von damals rauskommen.“ „Da mögen Sie vielleicht Recht haben“, gab Shen ohne weiteres zu. „Doch was kümmern mich die Belange der anderen? Was kümmern mich die?“ Damit verwies er auf Christine und Asha und die tote Yin. „Die Menschen sind von Grund auf verdorben und ich bilde da keine Ausnahme. Sie haben mich zu dem gemacht, der ich wurde. Ich bin kein Monster, ich bin die Konsequenz der Dinge.“ Damit holte er mit dem Schwert aus und schlug zu. Noch ehe einer von ihnen hätte reagieren oder protestieren können, spritzte erneut Blut, als Ashas Kopf vom Hals fiel und sein Körper leblos zusammensank wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Christines verzweifelter Schrei durchhallte den Keller, verwandelte sich dann aber in einen entsetzlichen Schmerzensschrei, als die Klinge des Schwertes ihr Bein abtrennte. Kapitel 29: Verzweiflung ------------------------ „Weder die Toten noch ein Gott verlangen nach Blutrache.“ Torsten Marold, Spieleautor Es roch dezent nach Räucherstäbchen und vermittelte dem Zimmer eine fernöstliche Atmosphäre. In dem Stil waren Shens Räume auch gestaltet worden und auch wenn Sergej kein Freund dieses Stils war, musste er zugeben, dass dieser Kerl Geschmack hatte. Er selbst würde sich hier nicht wohlfühlen. Er hatte diesem asiatischen Flair nie etwas abgewinnen können. Mochte es an der Vietnamgeschichte liegen, mit der er aufgewachsen war und durch die er einige Freunde der Familie verloren hatte. Mit Asiaten hatte er nie etwas am Hut gehabt. Er hasste sie nicht, konnte aber auf ihre Gesellschaft verzichten, da dieses Völkchen ihm schon immer ein Rätsel war. Während er wartete, zündete er sich eine Zigarre an. Diese verdammten Sargnägel, die ihm erst diesen Ärger mit dem Lungenkrebs eingebrockt hatten, der ihn in ein paar Monaten töten würde. Er hatte Araphel selbst jetzt noch nichts erzählt und dabei sollte es auch bleiben. Denn wenn seine Einschätzungen richtig lagen, würde dies hier eh seine letzte Zigarre sein. Seine letzte schlechte Angewohnheit, die ihm so viele Scherereien gemacht hatte. Er wusste, dass von ihm alles abhing. Wenn er einen Fehler machte, würde das nicht nur Sam, Christine und den beiden anderen das Leben kosten. Dann würde auch Araphel wieder in Shens Fänge geraten und er würde dann nicht da sein, um ihm helfen zu können. Es stand viel auf dem Spiel und es lag an ihm, alles zu tun, damit Araphels Befreiungsaktion erfolgreich war. Schließlich öffnete sich die Tür und Shen trat herein. Obwohl er wie immer sehr vornehm gekleidet war und eine sehr erhabene Erscheinung wie die eines ehrwürdigen antiken Kaisers hatte, nahm Sergej etwas wahr. Der Geruch von Blut haftete an Shen. Ganz unverkennbar. Selbst mit den Räucherstäbchen roch er es ganz deutlich, dazu war dieser Geruch ihm einfach zu vertraut. Offenbar hatte Shen sich bereits um seine „Gäste“ gekümmert und Sergej hoffte insgeheim, dass es noch nicht zu spät war. Er erhob sich, grüßte seinen Gastgeber mit einem Nicken und setzte sich dann wieder. Es war ein leichtes für ihn, sich nichts anmerken zu lassen. Schon seit seiner Jugend war er ein hervorragender Schauspieler und gewissermaßen auch abgebrüht genug. „Es überrascht mich, dass Sie sich so plötzlich bei mir gemeldet haben und sagten, es gäbe dringende Angelegenheiten zu besprechen, Mr. Camorra.“ Shen nahm ihm gegenüber Platz und goss sich eine Tasse Tee ein. Sergej beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und erklärte dann schließlich „Nun, wir machen immerhin Geschäfte zusammen und im Falle einer besonderen Entwicklung ist es natürlich von enormer Wichtigkeit, wenn man seinen Geschäftspartner so früh wie möglich informiert. Wissen Sie, ich hatte während der letzten Zeit, in der Sie in Shanghai waren, ein wenig Zeit mit meiner Familie verbracht. Wie Sie wissen, habe ich einen Sohn und eine Stieftochter. Es ist immer wieder unfassbar, wie schnell die eigenen Kinder erwachsen werden. Gestern wechselt man ihnen noch die Windel und heute studieren sie schon und stehen im Berufsleben. Kinder sind wirklich etwas Wunderbares, aber man merkt an ihnen auch, dass man selbst alt wird.“ Sergej lachte und über Shens Lippen zog sich ein kleines Lächeln, welches wohl ein Schmunzeln andeuten sollte, aber sie wussten beide, dass es nur gespielt war, genauso wie das Lachen. „Ich bin schon 51 Jahre alt und zähle in spätestens sieben Jahren bereits zum alten Eisen. Wir beide haben sehr viel erlebt, mein sehr verehrter Mr. Yuanxian und ich denke, Sie sehen das auch so, wenn ich sage, dass man in unserem Alter auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen an, nicht wahr?“ Dem stimmte Shen in der Tat zu und sogleich fragte er auch nach dem Grund, warum Sergej ihn sprechen wollte. Der Mafiaboss mit den italienisch-russischen Wurzeln blies den Rauch seiner Zigarre aus und betrachtete den Rauch, wie er in der Luft tanzte. „Ich konnte mich in meiner jahrelangen „Berufserfahrung“ stets auf gewisse Dinge verlassen. Und das sind meine schlechte Angewohnheit zum Rauchen, mein Geschäftssinn und meine gute Einschätzung. Ich habe da einiges über Sie erfahren, Mr. Yuanxian. Von der Geschichte, wie Sie an die Yanjingshe geraten sind und von dem Massaker, das Sie im Kindesalter in diesem Bordell angerichtet haben. Sie haben im sehr jungen Alter die Macht über die Triade an sich gerissen und eine Säuberung nach der anderen durchgeführt. Aber wissen Sie, aus einer Sache bin ich nie ganz schlau geworden. Und das ist die Tatsache, wie Sie in Ihrer Rolle als Boss einer Mafiaorganisation vorgehen.“ Shen verlor sein Lächeln nicht für eine Sekunde und blieb souverän wie immer. Man hätte ihm nicht angesehen, dass er gerade eben noch zwei Menschen eiskalt enthauptet, einen gebrandmarkt und einem anderen den Arm gebrochen und ein Bein abgetrennt hätte. Er war die Ruhe selbst und das allein war erschreckend, doch Sergej hatte noch keine Vorstellung davon, was sich vor wenigen Minuten noch im Keller abgespielt hatte. Er ahnte es zumindest. Allein anhand des Geruchs von Blut und seinem Wissen, wie brutal und sadistisch Shen war. „Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Mr. Camorra“, erklärte der Chinese schließlich. „Inwiefern soll mein Handeln als Boss denn für Ungereimtheiten sorgen? Alles, was ich tue, ist rein geschäftlich.“ „Ach ja?“ fragte der Patriarch herausfordernd und sein Ton war nun nicht mehr so locker wie zuvor, als würde man mit einem alten Freund reden. Sergejs Augen wurden ernst und auch sein Ton verhärtete sich. Nun sah man, wie der Patriarch hinter seiner Maske wirklich war. „Sie haben den Polizeipräsidenten ermordet, mehrere Menschen getötet, die nicht in Verbindung zur Mafia oder zu Ihrer Triade standen, Sie stacheln die Mason-Familie zu einer Vendetta an und provozieren einen Mafiakrieg. Was Sie da tun, ist irrational für unser Gewerbe. Und es ist vor allem gefährlich. Wir führen unsere Geschäfte im Verborgenen aus, meiden den Ärger mit der Polizei und töten niemals hochrangige Polizisten und Politiker, weil es zu gefährlich ist. Die meisten Ihrer Morde hatten nichts Geschäftliches an sich und ich erkenne sehr gut, wann jemand die Mafia als Deckmantel für seine persönlichen Ziele missbraucht. Ihnen geht es nicht um Geschäfte und das wissen wir beide. Es geht Ihnen lediglich darum, Ihre Macht gegen andere auszuspielen und einen Mafiakrieg anzuzetteln, damit sich die großen Familien gegenseitig vernichten und eine Blutfehde heraufbeschwören. Denn wir beide kennen die Heimtücke der Vendetta: sie ist ein Fass ohne Boden. Eine Rache zieht eine weitere nach und es entwickelt sich zu einem einzigen Rattenschwanz. Und das Ergebnis wird ein Blutbad auf internationaler Ebene werden, wenn die Mason-Familie ihre Vendetta an der Triade vollbringt. Denn diese wird zurückschlagen, um wiederum Rache für ihr Oberhaupt zu nehmen. Ich mag vielleicht ein alter Hase sein, der nicht mehr die modernsten Ansichten einer Mafia hat. Vielleicht sind meine Vorstellungen in dieser Hinsicht auch ein wenig romantisch. Aber ich erkenne sehr gut, wenn jemand eine Gefahr für das eigene Gewerbe wird.“ Sergej griff in die Innenseite seiner Jacke, wo er eine geladene Tokarev aufbewahrte. Doch er war nicht schnell genug und war nicht in der Lage, mit Shens Reaktionsgeschwindigkeit mitzuhalten. Noch ehe er die Waffe auf den 42-jährigen richten konnte, zog dieser ein Messer aus seinem Ärmel hervor, warf es mit gefährlicher Präzision und dann bohrte sich die Klinge in Sergejs Brust. Doch er war nicht sofort tot. Nein, er schaffte es noch, die Waffe auf Shen zu richten und zu schießen. Er schoss drei Male. Der erste Schuss streifte Shens Seite, der zweite ging daneben, doch der dritte Schuss traf sein Knie. Mehr brauchte es auch nicht. Er hatte getan, was getan werden musste und konnte nun sterben. Nun, es war gewiss nicht sein Lebensziel gewesen, durch einen solchen Psychopathen sterben zu müssen, aber es war immer noch besser, als krank ans Bett gefesselt und nach Luft röchelnd an diesem verdammten Lungenkrebs zu verrecken. Doch eigentlich war dieser Tod auch ganz gut so. Denn er hatte getan, was getan werden musste. Sein Tod würde es seinem Sohn Victor ermöglichen, Araphel in der Art und Weise zu unterstützen, die von Nöten war, wenn sie diesem psychopathischen Monster Einhalt gebieten wollten. Und dieser Schuss ins Knie würde Shen daran hindern, nach seinem Mord zu Araphel zu eilen und ihn wieder gefangen zu nehmen und seine Geiseln vor dessen Augen zu Tode zu foltern. Selbst wenn er keinen Lungenkrebs im Endstadium gehabt hätte, wäre er zu diesem Opfer bereit gewesen. Denn er war zwar ein Geschäftsmann, aber davor war er in erster Linie Vater und er hatte seinem alten Freund Stephen versprochen, auf Araphel aufzupassen und für ihn da zu sein. Er kannte Araphel schon seit dem Tag, an dieser mit seiner kleinen Schwester im Arm in die USA kam und kaum ein Wort Englisch sprechen konnte. Verdreckt, abgemagert und krank. Er war wie ein Sohn für Sergej und er hatte ihm auch als väterlicher Freund und Mentor zur Seite gestanden. Ein Stück weit bedauerte er es wirklich, dass er sich nicht mal von ihm verabschieden konnte, aber das war vielleicht auch besser so. Denn so konnte sich sein Schützling auf das konzentrieren, was wichtig war. Sergej spürte, wie das Leben aus seinem Körper wich und die Welt um ihn herum dunkel wurde. Und seine letzten Gedanken, die er noch formulieren konnte, als er sein Leben aushauchte, waren: es ist gut so… Und so starb er mit einem schwachen Lächeln, während Shen vor Schmerz stöhnte und eine Hand auf sein blutendes Knie presste. Sam keuchte und hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, Übelkeit überkam ihn und in seinem Kopf drehte sich alles. Immer schwerer wurde es für ihn, Luft zu holen und er schaffte es kaum, sich so ruhig zu halten, dass er nicht gleich einen Asthmaanfall bekam. Doch er kündigte sich bereits an. Er konnte es nicht mehr aufhalten, nur hinauszögern. Und wenn er nicht bald Hilfe bekam, würde ihm die Luft ganz wegbleiben und er würde ersticken. In seiner Hosentasche musste er noch sein Asthmaspray haben, doch er konnte es nicht erreichen. Wieder zerrte er an seinen Fesseln, dieses Mal umso verzweifelter, als er Christines schmerzgeplagte Schreie hörte. Ihr Bein war sauber am Oberschenkel abgetrennt worden und sie verlor Blut. Viel sogar. Sie musste das Bein abbinden, um den Blutverlust zu regulieren, doch mit nur einer Hand war dies kaum möglich, vor allem da sie so schlimme Schmerzen hatte, dass sie kaum fähig war, geistesgegenwärtig genug zu reagieren. Doch es war noch ein anderer Schmerz, der sie lähmte. Sie hatte es nicht geschafft, Yin und Asha zu retten. Sie waren vor ihren Augen gestorben und Christine hatte es nicht verhindern können, obwohl sie keine Fesseln trug. Nur weil ihr ein gottverdammtes Bein fehlen musste, hatte sie ihre Freunde nicht vor dem Tod bewahren können. Genauso wenig wie sie damals vor vier Jahren Ahava nicht vor dem Selbstmord bewahren konnte. Und nun war sie weder fähig zu fliehen, noch war sie in der Lage, Sam zu helfen. Es gab nichts, was sie noch tun konnte. Sam versuchte, ruhig zu bleiben und sich zu konzentrieren. Er musste sich irgendwie von den Fesseln befreien und Christine helfen. Wenn sie weiter so viel Blut verlor, würde es noch gefährlich für sie werden. Wieder zerrt er an seinen Fesseln. Seine Haut war inzwischen aufgescheuert und seine Handgelenke blutig. Sie schmerzten höllisch, doch durch das Blut hatte er das Gefühl, als würde er ein wenig mehr durch die Fesseln rutschen. Das war seine Chance. Also biss er die Zähne zusammen, mobilisierte all seine Kraftreserven und zog erneut. Es schmerzte höllisch, als würde ihm die Haut gleich mit abgerissen werden, doch er schaffte es tatsächlich, sich von seinen Fesseln zu befreien. Er verlor den Halt und stürzte zu Boden, wobei er nicht dazu kam, rechtzeitig zu reagieren und seinen Sturz abzufedern. Er schlug hart mit dem Kopf auf dem Boden auf und war für einen Moment bewusstlos. Als er zu sich kam, lag er in einer Blutlache. Doch es war nicht sein Blut, sondern das von Yin. Ihr Kopf lag direkt neben ihm und ihre toten Augen starrten ihn an. Dieses Bild wirkte so unwirklich, als wäre es der Kopf einer Puppe. Doch das war es nicht. Sein Magen verkrampfte sich und die Übelkeit übermannte ihn endgültig. Er schaffte es, seine Kräfte zu mobilisieren und sich in eine Ecke zu schleppen, wo er sich unter heftigem Würgen erbrach. Und als er sich seines Mageninhaltes entledigt hatte, blieb ihm endgültig die Luft weg. Er rang nach Atem, griff instinktiv in seine Tasche, doch zu seinem Entsetzen fand er nichts. Es war nicht mehr da. Sein Asthmaspray war nicht mehr da. Aber warum? Hatte er es vielleicht verloren, als er niedergeschlagen worden war, oder hatte Shen es ihm abgenommen? Das war nicht gut, gar nicht gut. „Sam…“ Er rang immer verzweifelter nach Luft und spürte, wie seine Lungen vor Schmerz zu pochen begannen. Sein Drang nach Sauerstoff wurde immer stärker und alles, was er hervorbrachte, war ein ersticktes Röcheln. Er wankte durch den Raum und stützte sich an der Wand ab. Christine, die kreidebleich im Gesicht war und sah, dass er in Panik verfiel und schlimmstenfalls zu ersticken drohte, rief nach ihm. „Sam, bleib ruhig. Sam!“ Als sie wie durch ein Wunder seine Aufmerksamkeit bekam, wies sie ihn mit lauter Stimme an, er möge die Lippen zusammenpressen, vorbei er aber die Oberlippe nach vorne stülpen sollte, während er die Unterlippe zurückstellen sollte. Es war die so genannte Lippenbremse. Sam versuchte, ihre Anweisungen zu befolgen, doch je mehr seine Lungen nach Sauerstoff schrieen, desto schwerer wurde es, nicht in Angst zu verfallen. Es gab nichts Schrecklicheres als das Gefühl, jeden Moment zu ersticken. Es fühlte sich so beklemmend an, dass ein Mensch instinktiv in Panik geraten musste, wenn er in diese Lage kam. Doch Christine schaffte es trotz der entsetzlichen Schmerzen und dem bedrohlichen Blutverlust, ihm beizustehen und wenigstens ihm helfen zu können. Sam wandte seine ganze Kraft auf, sich allein auf diese einfache Übung zu konzentrieren, die vielleicht sein Leben retten konnte. Immer schlimmer wurde der Schmerz in seiner Lunge und sein Verlangen nach Sauerstoff wurde zu einer unendlichen Qual. Seine Brust tat ihm weh, doch es zeigte langsam Wirkung. Er spürte, wie dieser immense Druck wich, der ihm die Luft abschnürte. Und als schon Sterne vor seinen Augen zu tanzen begannen, weil der Sauerstoffmangel langsam gefährlich wurde, wich dieser Druck wieder. Und auch wenn sein Atem immer noch laut rasselnd war und er spürte, dass er jeden Moment wieder einen Anfall erleiden konnte, bekam er wieder Luft. Er sog die Luft ein und kam sich entsetzlich kraftlos vor. Seine Handgelenke bluteten, seine Brandwunde schmerzte und seine Lungen pochten schmerzvoll. Keuchend schleppte er sich zu Christine, deren Gesicht fast schneeweiß war. Ihr Blutverlust war bereits gefährlich und wenn nicht schnellstens Hilfe kam, dann würde es schlecht aussehen. Er nahm seinen Gürtel ab, kniete sich neben sie hin und sah, wie ihre Augenlider schwer wurden. „Das wird jetzt sehr wehtun“, warnte er sie. „Halt durch, okay? Bleib bei mir!“ „Ich kann mein Bein nicht spüren“, keuchte sie und ihr Blick wirkte leicht desorientiert. Offenbar hatte sie ihre ganze Kraft mobilisieren müssen, um ihm zu helfen und nun zeigte sich das Ausmaß ihres Blutverlustes. Sofort begann Sam mit der rettenden Maßnahme und band eine Schlaufe um ihren blutenden Beinstumpf, dann schnürte er den Gürtel so fest er konnte zu, woraufhin Christines Bewusstsein wieder zurückkehrte und sie vor Schmerz aufschrie, als würde man ihr noch etwas abschneiden. Es tat ihm weh, sie so schreien zu hören und es kostete ihn Mühe, bei der Sache zu bleiben, denn sein Atem ging wieder schwerer und kürzer, während seine Lungen immer noch schmerzten. „Christine, bleib bei mir!“ Während sie schrie, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Es war ein schrecklicher Anblick und es tat ihm weh, sie so sehen zu müssen. Dann beobachtete er, wie sich ihre Augen in den Höhlen verdrehten und wie ihr Körper erschlaffte. Der Schmerz hatte ihr endgültig das Bewusstsein geraubt und sie lag regungslos da. „Christine!“ Die Tür wurde aufgestoßen. Zuerst fürchtete Sam, es könnte Shen sein, doch unendliche Erleichterung überkam ihn, als er sah, dass es Araphel war. Es war tatsächlich Araphel. Und bei ihm waren ein paar seiner Leute, auch Dr. Heian, der einen Koffer bei sich trug. Sie sahen das Bild, das sich ihnen bot und Sam sah, wie sich Entsetzen und Fassungslosigkeit auf Araphels Gesicht zeichneten. „Sam, Christine!“ Er wollte zu ihnen eilen, doch Dr. Heian drängte ihn weg und lief zu der Schwerverletzten, deren Lippen fast genauso schneeweiß waren wie ihre Haut. Sam, der nichts für sie tun konnte, eilte zu Araphel und umarmte ihn erleichtert. Und kaum, dass er in seinen Armen lag, brach er in Tränen aus, während er Gott dafür dankte, dass endlich Rettung gekommen war. Sie waren gerettet… Da Sam einigermaßen laufen konnte, lief er neben Araphel her, der Christine auf dem Arm trug, deren Bewusstsein zumindest teilweise wieder zurückgekehrt war. Doch so ganz bei Sinnen schien sie nicht mehr zu sein. Ihre Augen schafften es nicht, einen bestimmten Punkt zu fixieren und wahrscheinlich war auch alles, was sie erkennen konnte, verschwommene Konturen. Ihr Puls war sehr schwach und sie musste dringend behandelt werden. Dr. Heian hatte ihr zwar etwas gespritzt, doch es würde bei weitem nicht reichen. Fakt war, dass sie sie schnell in ein Krankenhaus bringen mussten. „Araphel…“, brachte sie mit schwacher Stimme hervor, während ihr Atem immer langsamer ging. Ihr Blutverlust musste bereits über den kritischen Punkt hinaus sein. Der Mafiaboss rannte so schnell er konnte durch das Haus, um sie auf dem schnellsten Weg behandeln zu lassen. Jede Sekunde zählte, das wusste er. Und als er sah, in was für einem Zustand sie war und dass sie mit dem Leben rang, vergaß er schlagartig seine Wut auf sie. Er konnte sie nicht hassen, nicht wütend auf sie sein. Das Einzige, was er empfand, war Angst. Er hatte Angst, sie zu verlieren. Allein der Anblick der beiden enthaupteten Leichen war entsetzlich gewesen und hatte ihn bis ins Mark erschüttert. Und nun rang auch noch Christine mit dem Tod. „Bleib bei mir“, sprach er immer wieder zu ihr, damit sie bei Bewusstsein blieb. Egal wie schlimm ihre Schmerzen auch gerade waren, egal wie schwach sie war, sie durfte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren. Wenn sie ihm jetzt wegstarb, nachdem er ihr solch schlimme Dinge gesagt und sie sogar geohrfeigt hatte, würde er sich das niemals verzeihen können. „Christine, bitte bleib bei mir.“ „Es tut… mir leid“, brachte sie mit schwacher Stimme hervor. Sie versuchte sein Gesicht zu erkennen, doch die erkannte kaum noch etwas. Ihr Körper befand sich durch die Schmerzen und dem hohen Blutverlust in einem kritischen Schockzustand. Kaum, dass sie im Wagen Platz genommen hatten, fuhren sie los und Dr. Heian, der zusammen mit Araphel bei Christine auf der Rückbank saß, während Sam vorne neben dem Chauffeur saß, versuchte alles erdenkliche, um Christines Kreislauf einigermaßen zu stabilisieren. Er bereitete eine Infusion vor, die er für absolute Notfälle im Koffer dabei hatte, doch er bezweifelte, dass das ausreichte. Es sah nicht gut aus. Es sah ganz und gar nicht gut aus, das wusste er. Solche Fälle sah er nicht zum ersten Mal und er konnte inzwischen ganz gut abschätzen, wann ein Fall gut aussah und wann keine Hoffnung mehr bestand. Und in Christines Fall standen die Chancen sehr schlecht. Tief in seinem Herzen wusste er, dass sie nicht lange durchhalten würde. Selbst wenn sie das Krankenhaus erreichten, war die Chance sehr gering, dass sie noch bis zur Operation durchhielt. Doch seine Ehre als Arzt verbot es ihm, einfach so aufzugeben, denn es konnte durchaus medizinische Wunder geben, auch wenn sie extrem selten war. Er würde tun was in seiner Macht stand, um sie zu retten. So gab er ihr erst mal ein Schmerzmittel, um wenigstens ihre Qualen zu lindern, die sie litt. Dann legte er die Zufuhr für die Kochsalzlösung an, auch wenn das herzlich wenig brachte. Damit ließ sich zwar der Kreislauf stabilisieren, aber nicht in solch einem Zustand. Eigentlich konnte nur eine Bluttransfusion helfen, doch das war nicht möglich, solange ihre Wunde nicht geschlossen wurde. Außerdem war eine wichtige Arterie verletzt, wodurch sie unfassbar schnell Blut verlor und bei so einer Wunde würde sie sich auch nicht so leicht schließen lassen. Wieder fühlte er Christines Puls, doch er war kaum noch vorhanden. Auch ihr Atem wurde immer schwächer. Sie lag bereits im Sterben. Araphel hielt ihre Hand fest und rang mit den Emotionen. Er hatte Angst um sie. Trotz der Dinge, die an diesem Morgen passiert waren, hatte er entsetzliche Angst davor, dass er sie nicht retten konnte. Sie durfte nicht sterben, nicht nachdem er schon seine Schwester, Yin und Asha verloren hatte. „Christine“, sprach er und hielt ihre totenblasse Hand fest. „Bitte bleib bei mir.“ Es war ein so herzzerreißendes und verzweifeltes Flehen, das selbst dem Arzt die Brust zuschnürte. Es war so unsagbar schrecklich, dass das hier geschah. Er kannte sie beide seit zwei Jahren, lebte mit ihnen zusammen und schätzte sie als gute Freunde. Er hatte sich immer um Christine gekümmert, wenn sie ihre Anfälle hatte und sie lag ihm aufgrund ihrer Krankheit sehr am Herzen. Und umso schrecklicher war es nun, dass er nichts tun konnte, um ihr zu helfen. Endlich erreichten sie nach einer gefühlten Ewigkeit das Krankenhaus und Christine wurde sofort in den OP-Saal gebracht. Sam, dem es inzwischen wieder etwas besser ging, nachdem Dr. Heian ihm das benötigte Asthmaspray gegeben hatte, wartete zusammen mit Araphel vor dem OP-Saal, nachdem seine aufgeschürften Handgelenke und seine Brandwunde behandelt worden waren. Als er in den Wartebereich kam, sah er bereits einen der Chirurgen auf Araphel zukommen. Er eilte zu dem Mafiaboss hin, um zu hören, was es Neues gab. Doch er ahnte nichts Gutes. Der Chirurg kam viel zu früh aus dem Saal und sein Gesicht sah ernst und gefasst aus. Dieser Blick verriet bereits alles. „Mr. Mason“, begann der Chirurg und blieb vor ihm stehen. Araphel erhob sich und fragte „Ja?“ Der Chirurg schwieg einen Moment, dann holte er tief Luft und teilte mit, was Sam bereits befürchtet hatte. Danach kamen die Ereignisse ihm wie eine entfernte und unwirkliche Erinnerung vor. Es war, als wäre er ab diesem Zeitpunkt in einem schrecklichen Alptraum gefangen. Er wusste nur noch, wie er Araphel am Arm festhielt und mit ihm zusammen in einen kalten und sterilen Raum ging, der nur spärlich beleuchtet war. Auf einem Tisch lag Christine. Ihre Augen waren geschlossen und sie sah aus, als würde sie friedlich schlafen. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und sie wirkte auf ihn wie eine Puppe. Es war so unwirklich für ihn, dass sein Verstand es nicht schaffte, es als Realität zu akzeptieren. Doch für Araphel war es weitaus schlimmer. Als er vor ihr stand und durch ihr feuerrotes Haar strich, da zerbrach etwas in ihm. Seine Kraft, sein Wille und sein Stolz waren endgültig zerstört und was übrig blieb, war ein gebrochener Mann. Er sank auf die Knie und brach in Tränen aus. Es war das allererste Mal, dass Sam ihn weinen sah. Und ihn so zu sehen, machte für ihn nur allzu deutlich klar, wie schrecklich das alles für ihn sein musste. Araphel hielt Christines leblose Hand fest, wie er es die ganze Zeit im Auto getan hatte und ließ seiner Trauer und seiner unendlichen Verzweiflung freien Lauf, während er weinte und Tränen vergoss. Sam, der seinerseits emotional unter Schock stand und für sich selbst gar nicht realisiert bekam, was da passiert war, weinte nicht. Er konnte es nicht, selbst wenn er es gewollt hätte. Und doch fühlte er einen unendlich tiefen Schmerz in seiner Brust, gefolgt von einer entsetzlichen Leere und Verzweiflung. Er kniete sich neben Araphel hin und nahm ihn in den Arm. Er hielt ihn im Arm, um ihm wenigstens etwas Halt geben zu können. Doch er selbst kam sich so verloren vor in diesem Moment. Yin und Asha waren tot… und nun auch Christine… Kapitel 30: Der Plan -------------------- „Und da sah er einen Schädel auf dem Wasser treiben, redete er ihn an und sprach: Weil du ertränkt hast, ertränke man dich, und die dich ertränkten, werden ertrinken.“ Talmud Sam befand sich wie in einer Art apathischen Zustand, in der die Geschehnisse einfach an ihm vorbeirauschten, ohne dass er sie wirklich direkt wahrnahm. Die Beerdigung war ihm so unwirklich vorgekommen, als wäre dies gar nicht real, sondern eine düstere Theateraufführung, in der er mittendrin war. Die Worte des Pfarrers, der ein paar tröstende Worte aus der Bibel zitierte, klangen wie aus einer weiten Ferne und die ganze Zeit starrte Sam auf die Grabsteine, auf denen die Namen der jüngst Verstorbenen standen. Asha Luan, Yin Wong, Christine Cunningham und Sergej Camorra. Es waren erstaunlich viele zur Beerdigung gekommen, wahrscheinlich aber deswegen, weil sie dem Patriarchen die Ehre erweisen wollten. Der Sohn war anwesend und nahm die Beileidsbekundungen mit einer erschreckenden Fassung entgegen, so als wäre er längst darauf vorbereitet gewesen, was geschehen würde. Die Verlobte des Patriarchen, die eine hübsche Frau mit roten Locken war, weinte schluchzend in ihr Taschentuch und litt wohl am meisten. Zumindest war es ihr am deutlichsten anzusehen, wie sehr dieser Verlust sie traf. Doch Sam wusste, dass Araphel, obwohl sein Gesicht unbewegt blieb, wohl am meisten von allen Anwesenden litt. Er hatte den wohl schlimmsten Verlust erlitten, nachdem er schon seine Adoptivfamilie und seine Schwester verlor. Sergej, der für ihn wie eine Art zweiter Vater war, starb durch dieselbe Hand, die jene Frau getötet hatte, die für ihn wie eine Schwester war. Seit er Christines Leichnam im Operationssaal gesehen hatte und weinend zusammengebrochen war, war er nicht mehr derselbe. Etwas in ihm war zerbrochen und er war kraftlos geworden. Seine Augen wirkten leer und hoffnungslos, er trank viel und weinte. Sam war der Einzige, der dann bei ihm war, denn sowohl Morphius als auch Dr. Heian respektierten Araphels Wunsch, dass niemand ihn so schwach erleben durfte. Das hätte es nur noch schlimmer gemacht. Sam selbst hatte nicht getrauert. Er hatte es sich nicht gestattet zu trauern, denn wenn er nicht stark für Araphel war, wer war es dann? Araphel war die ganze Zeit stark für sie alle gewesen, um gegen ein Monster anzukämpfen, das ihr aller Leben bedrohte. Er hatte zu viel erleiden müssen, als dass er noch länger kämpfen konnte. Nach Christines Tod war wirklich alles über ihn hereingebrochen und damit auch wieder der Schmerz, den er vor vier Jahren zuletzt empfunden hatte, als Ahava sich für den Selbstmord entschieden hatte. Sam dachte immer wieder daran zurück, dass Christine ihn gerettet hatte, als er fast an seinem Asthmaanfall gestorben wäre. Sie, die grausam zugerichtet worden war, hatte dennoch die Kraft aufgebracht, um ihn zu beschützen, weil sie wusste, dass es Araphel endgültig getötet hätte, wenn er den Menschen verloren hätte, den er noch mehr liebte als er seine Schwester geliebt hatte. Sie hatte den Tod in Kauf genommen, weil sie darin die einzige Möglichkeit sah, um Araphel vor den endgültigen Zusammenbruch zu bewahren. Als die Beerdigung vorbei war, kehrten sie schweigend wieder in die Villa zurück. Dr. Heian sah niedergeschlagen aus, Morphius hatte seinerseits den Hut so heruntergezogen, dass niemand sein Gesicht sah. Wahrscheinlich wollte er auch nicht, dass man ihm seine Trauer ansah. Als sie wieder zurück in die Villa fuhren, saßen sie am Tisch und aßen schweigend zu Mittag. Es war zu ruhig. Es fehlte diese fröhliche und leichtherzige Unbeschwertheit, die lauten Stimmen, das Gelächter und der Humor. Diese Stille schnürte Sam die Brust zu. Sie war viel schlimmer als die bedrückten Gespräche und es war einfach unerträglich. Vor allem, weil diese Stille ihn unerbittlich in die harte und grausame Realität zurückwarf. Nach dem Essen verschwand Araphel in sein Büro, da er nachher geschäftliche Gespräche mit Victor Camorra hatte, der nun die Nachfolge des seligen Sergej Camorra übernommen hatte. Und da er niemanden sehen wollte, streifte Sam alleine durchs Haus und ging schließlich in die Werkstatt. Er schaltete das Licht an und sah die Autos da stehen. Der leuchtend rot lackierte 58er Plymouth Fury wie aus Stephen Kings Roman, der schwarze 54er Hudson Hornet und der Rolls Royce, der noch nicht fertig restauriert war. Für einen Moment war ihm, als würde er das Geräusch der Schraubenschlüssel hören, den Lärm der Maschinen Christines laute Stimme, die versuchte, den Lärm zu übertönen. Er war immer gerne in die Werkstatt gegangen, wenn Araphel keine Zeit hatte. Sie war der lebhafteste Ort in der gesamten Villa und er hatte nicht selten Spaß mit den anderen gehabt. Als er sich an das Steuer des Furys setzte, tauchten all die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Christine, Asha und Yin vor seinem geistigen Auge auf. Wie sie abends gepokert und gemeinsam Restaurationen durchgeführt hatten. Wie Asha in seiner ungeschickten Art und Weise immer irgendetwas fallen ließ und Christine ihn daraufhin neckte. Das Gelächter, die Witze… Christines Lächeln und ihre feuerroten Haare. Ihre lebhafte und direkte Art, ihre gelegentlichen Wutausbrüche, wo sie dann ihre Schraubenschlüssel durch die Gegend warf. Das alles würde er nie wieder miterleben. Stattdessen würde die Werkstatt leer bleiben, die drei Oldtimer verstauben und verrosten. Nie wieder würde er zusammen mit den dreien Poker spielen, mit ihnen lachen und von Christine erfahren, was für Tricks man anwenden konnte, wenn der Motor versagen sollte. Er würde nie wieder unter ihrer Anleitung Sachen ausbauen und nie wieder ihre Geschichten hören können. Als er tief einatmete und sogar noch Christines Parfüm wahrnehmen konnte, da schnürte sich seine Brust schmerzhaft zusammen und mit einem Mal überkam ihn tiefste Verzweiflung. Sein Körper zitterte und ungehindert flossen Tränen seine Wangen hinunter. Mit einem Mal brachen all die Gefühle, die er mit eiserner Willenskraft und Entschlossenheit zurückgehalten hatte, über ihn herein. Er konnte nicht aufhören, selbst wenn er gewollt hätte. Mit einem Mal war dieser gewaltige Damm gebrochen und wie eine gewaltige Flut war die Trauer über ihn hereingebrochen. Er hielt das Lenkrad fest, legte den Kopf darauf und schluchzte. Warum nur, fragte er sich in diesem Moment. Warum nur hatte er nichts tun können, um das zu verhindern? Wieso hatte er es nicht geschafft, sie zu retten? So ein Ende hatte sie einfach nicht verdient, Asha und Yin genauso wenig. Welcher Wahnsinn war nötig gewesen, um so viele Leben einzufordern? Hätte er rechtzeitig gemerkt, dass es eine Falle war. Es war so verdammt offensichtlich gewesen und trotzdem hatte er keinen Verdacht geschöpft, weil er sich zu sicher gefühlt hatte. Er war Detektiv, er hätte es merken müssen! Wenn er aufgepasst hätte, dann hätte es nicht passieren müssen und dann wären Christine und die anderen noch am Leben. Genauso wie sein Bruder noch am Leben wäre, wenn er ihn nicht zur Rede gestellt hätte. Es war allein seine Schuld… Araphel hatte seine ganze Willenskraft zusammengenommen, um sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Schwäche zu zeigen war in seinen Augen undenkbar. Niemand hätte ihn in einem trauernden Zustand sehen dürfen und dass Sam ihn so schwach erlebt hatte, blieb die einzige Ausnahme. Als Victor Camorra hereinkam, hatte dieser den ernsten und sachlichen Gesichtsausdruck eines Staatsanwalts, auch wenn er noch sehr jung war. Doch das täuschte, denn Araphel hatte erlebt, dass Victor trotz seines jungen Alters überaus intelligent war und mit Ernst die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte. Der Händedruck war fest und sogleich begaben sie sich in eines der Besprechungszimmer, wo sie Platz nahmen. Victor rückte seine Brille zurecht und als Araphel ihm sein Beileid ausdrückte, schüttelte dieser nur den Kopf und erklärte „Wir haben beide einen Vater verloren.“ Der 31-jährige nickte und für einen kurzen Augenblick wich sein düsterer Gesichtsausdruck einem traurigen Glanz, der Victor durchaus nicht verborgen blieb. Doch er sagte nichts und tat so, als hätte er es nicht bemerkt. Er trank einen Schluck Kaffee, der serviert worden war und kam dann auf das Wesentliche zu sprechen. Anders als sein seliger Vater zählte er nicht sonderlich zu den redseligen Menschen, die sich durch eine außerordentliche Redegewandtheit und den verbundenen Charme eines erfahrenen und kulant wirkenden Geschäftsmannes auszeichnete. Nein, er war von einer wesentlich ernsteren Natur, wirkte entschlossener und strahlte Professionalität, fast schon verbissenen Ehrgeiz und die kalte Strenge eines Staatsanwalts aus. Er war vollkommen anders als sein Vater, was nicht unbedingt zum Nachteil war. „Wie du ja weißt, habe ich die Nachfolge als Boss der Camorra-Familie übernommen und ich bin deshalb zu dir gekommen, weil sich gewisse Dinge mit dem Tod meines Vaters geändert haben.“ „Soso“, murmelte Araphel. „Und welche Dinge wären das?“ „Der Tod meines Vaters war ein persönliches Motiv von Shen“, erklärte Victor und er sprach so kühl und sachlich darüber, als hätte diese Geschichte rein gar nichts mit ihm zu tun, was aber nichts heißen mochte. Denn Victor ähnelte Araphel genauso in der Ansicht, dass er sich seine persönlichen Gefühle nicht anmerken ließ. Doch er schaffte es wesentlich besser, weil er gewusst hatte, was passieren würde. „Mein Vater hatte Geschäfte mit ihm und die Tötung eines wichtigen Geschäftspartners fällt nicht in die geschäftlichen Begründungen. Er wusste, dass Shen die Mafia nur für sein persönliches Vergnügen benutzt, weil sie ein guter Deckmantel ist, um seinem Sadismus zu frönen. Es gibt genug Indizien und Beweise, die klar belegen, dass Shen ein berechnender Psychopath ist und als solcher eine ernsthafte Bedrohung für unser Geschäft darstellt. Mein Vater hat davon gewusst und er hat ebenso gewusst, dass die Mason-Familie alleine keine Chance gegen ihn hat. Aus diesem Grund hat er einen Plan geschmiedet, um beide großen Familien auf legitime Weise zu vereinen. Aus diesem Grund ist er alleine zu dem Treffen gegangen.“ Araphel zog die Augenbrauen zusammen, als er das hörte und ein schlimmer Verdacht überkam ihn. „Soll das etwa heißen…“ Victor nickte. „Er hat sich wissentlich töten lassen, weil dies der einzige Weg war, dass wir uns gegen Shen verbünden können. Denn die Gesetze der Vendetta sind eindeutig. Die Camorra-Familie wird an ihm Rache nehmen für den Mord an meinen Vater und du wirst Rache für den Mord an deiner Schwester nehmen.“ „Warum?“ fragte Araphel und verlor fast die Fassung als er hörte, was Sergej für ihn getan hatte. „Warum ist er so weit gegangen?“ „Er war schwer krank“, gestand Victor und senkte unmerklich ein wenig den Blick. „Krank? Was hatte er?“ „Er hatte Lungenkrebs im Endstadium“, erklärte der junge Anwalt. „Er hatte nur noch wenige Monate zum Leben. Darum ist er auch diesen Schritt gegangen. Hätte er sich schon viel früher mit der Mason-Familie gegen die Yanjingshe verbündet, dann wäre nicht nur sein Leben, sondern auch meines und das meiner Stiefschwester in Gefahr gewesen. Aus diesem Grund hat er arrangiert, dass sie im Ausland studiert, damit sie in Sicherheit ist. Er hat dich vorsorglich im Unwissen gelassen, weil er genau wusste, dass du ihn aufhalten würdest. Und er bat mich auch, die jegliche Hilfe an die Hand zu geben, die du brauchen wirst.“ Araphel schüttelte den Kopf und konnte es einfach nicht glauben, dass Sergej das alles getan hatte. Dieser verdammte Idiot, dachte er und biss sich auf die Unterlippe. Selbst nach seinem Tod muss er sich noch um mich kümmern, indem er Victor mit der Aufgabe betraut, mir zu helfen. Ein trauriges Lächeln zog sich über seine Lippen. „Das sieht ihm ähnlich, dass er sogar seinen eigenen Tod genauestens durchplant.“ „Und nicht nur das“, fuhr Victor fort. „Er gab mir genaue Anweisungen, wie wir gegen Shen vorgehen sollen und wie wir der Yanjingshe erheblichen Schaden zufügen können. Er nannte diese Operation das Corleone-Manöver. Allerdings lässt sich dies nur durchführen, wenn wir zusammenarbeiten und als ein Team agieren. Ich werde dir den Plan in aller Ruhe und Ausführlichkeit erläutern und dann schlage ich vor, dass wir uns eine Strategie zurechtlegen.“ „Corleone-Manöver“, murmelte Araphel und dachte nach. Der Begriff sagte ihm was. Es war eine Taktik, die auch schon sein Adoptivvater angewandt hatte. Sie war überaus effektiv, erforderte aber eine absolut minutiös genaue Planung. Namensgeber war die Figur des Michael Corleone aus dem Film „Der Pate“. Als dieser nach dem Tod seines Vaters zum Gegenschlag gegen seine Feinde ausholte, ließ er die Oberhäupter der anderen Familien zeitgleich hinrichten, während er selbst der Taufe seines Neffen beiwohnte. Das Corleone-Manöver bedeutete also: an mehreren Orten zur gleichen Zeit zuschlagen und den damit verbundenen Überraschungseffekt für sich nutzen. Diese Strategie hatte den Vorteil, dass sich die Erfolgsrate erhöhte, wenn an verschiedenen Orten gleichzeitig zugeschlagen wurde. Dem Feind blieben dann keine Möglichkeiten, Alarm zu geben. Voraussetzung war allerdings eine perfekte Planung und dass der Plan nicht aufflog. Denn dann war alles zum Scheitern verurteilt. Araphel ging alle Möglichkeiten durch und schöpfte neuen Mut. Allein der Gedanke daran, dass sie mithilfe des Corleone-Manövers tatsächlich eine Chance hatten, Shen einen erheblichen Schlag zu versetzen, ließ ihn wieder hoffen und ließ ihn seine Trauer für eine Weile vergessen. Er war wieder voller Tatendrang und wollte alles Menschenmögliche tun, um diesen Plan erfolgreich durchzuführen. Das Corleone-Manöver war natürlich sehr riskant, aber Shen würde garantiert nicht damit rechnen, dass sie so eine Strategie ausführten. Er konnte höchstens voraussehen, dass sich die Camorra-Familie und die Mason-Familie gegen ihn verbündeten, um gemeinsam eine Vendetta durchzuführen. „Also gut, dann brauchen wir die Namen aller wichtigen Mitglieder der Yanjingshe in Boston. Wenn wir uns mit den kleinen Fischen aufhalten, ist der Plan für die Katz. Wenn wir die führenden Unterbosse ausschalten, während wir selber Shen stellen, wird die Ordnung innerhalb der Triade zerfallen und wir haben den Überraschungseffekt auf unserer Seite.“ „Ich habe schon vorgesorgt“, erklärte Victor und holte eine Liste mit Namen heraus. „Das sind die Namen der wichtigsten Mitglieder der Triade hier in Boston, deren Tod uns einen strategischen Vorteil verschaffen könnte. Darunter sind Shens Berater, die Unterbosse sowie Stellvertreter, die einen großen Einfluss haben. Was wir auch tun könnten, wäre, diese „Warenhäuser“ zu finden, wo der Slave Shipping Service die Sexsklaven hält. Das wird ihm einen zusätzlichen Schlag versetzen und die Triade wird einen beträchtlichen Teil ihres Einflusses einbüßen.“ Araphel nickte und dachte darüber nach. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir diesen Teil Sam überlassen.“ „Sam?“ „Der Detektiv Sam Leens, den ich entführt hatte. Inzwischen konnte ich ihn überzeugen, uns gegen Shen zu helfen und er hat momentan wichtige Kontakte zu den besten Informanten. Ich denke, dass es vorteilhafter wäre, wenn sich die Cops um diese Warenhäuser kümmert. Auf diese Weise konzentrieren sich die nämlich verstärkt auf die Triade. Ja ich weiß, es gehört zu unseren Gesetzen, keine gemeinsame Sache mit Cops zu machen. Aber wir könnten sie zumindest nutzen, um der Yanjingshe nachhaltig das Leben in Boston schwer zu machen. Denn wenn sich die Polizei und vielleicht auch noch das FBI auf diesen Fall einschießen, dann wird die Triade kaum noch eine ruhige Minute haben.“ Doch Victor schien immer noch ein wenig skeptisch, was aber an etwas anderem lag. „Du willst also einen Schnüffler in unsere Pläne einweihen?“ „Nein, er wird von unserem Plan nicht das Geringste erfahren. Glaub mir, ich krieg ihn schon rum, dass er sich um diese Sache kümmert, ohne großartig Fragen zu stellen. Inzwischen habe ich ihn ziemlich gut im Griff, dass er bei sämtlichen Kommandos gleich kuscht. Er vertraut mir und da er selbst in den Fängen der Triade war, wird er ebenfalls großes Interesse daran haben, bei der Zerschlagung der Bostoner Yanjingshe zu helfen. Glaub mir ruhig, mir wird er blind vertrauen. Ich brauche ihn nur in dem Glauben zu lassen, dass ich ihm ohne Hintergedanken helfe, dann wird er es tun ohne Fragen zu stellen.“ „Du bist ganz schön abgebrüht“, bemerkte Victor mit einem etwas ironisch andeutenden Lächeln. „Du benutzt seine Gefühle zu deinen Vorteilen.“ „Es ist besser für alle Beteiligten. Ich habe schon genug Verluste gemacht, als dass ich noch in irgendeiner Art und Weise Rücksicht walten lassen könnte. Sam kann eine nützliche Schachfigur in unserem Spiel sein, wenn er nur den richtigen Ansprechpartner bekommt. Fakt ist, dass er die Mafia hasst und sowohl sein Vater als auch sein Bruder wurden von Shens Leuten getötet. Sein naiver Sinn für Gerechtigkeit ist genau das, was wir brauchen, um die Warenhäuser ein für alle Male dichtzumachen.“ Damit schien Victor nun überzeugt zu sein. Er war einverstanden mit diesem Plan und begann sich sogleich Notizen zu machen. Auf Araphels Frage hin, was er sich da notiere, antwortete der Jung-Anwalt „Ich mache mir Notizen zu unserem Vorgehen. Keine Sorge, der Text codiert. Weißt du, mein Vater hat mir viel über die Gesetze der Mafia beigebracht, die Vorangehensweise der Familien und auch was die Vendetta betrifft. Eine Vendetta ist nicht nur ein Racheakt, sie dient auch der Wiederherstellung der Ehre einer Familie, die sich behaupten muss. Die Tötung eines Oberhauptes bedeutet immer eine Schmach für die jeweilige Familie und um ihr Ansehen wiederherzustellen, begeht sie Rache in Form einer Vendetta. Allerdings ist das Fatale daran, dass es in einen Teufelskreis hineinsteuert. Denn wer eine Vendetta begeht, wird daraufhin selbst zum Opfer einer Vendetta. Mein Vater wusste das und hat mir alles erzählt, was er wusste oder zumindest geahnt hat, was Shens Pläne betrifft.“ „Was für Pläne?“ „Es geht ihm nicht darum, seine Macht in Boston zu festigen, sondern sich persönlich einen Namen zu machen. Shen ist nicht nur ein sadistischer Psychopath, sondern auch extrem narzisstisch. Er hält sich für unantastbar und allen anderen überlegen. Psychopathen wie er suchen die Aufmerksamkeit und wollen in die Geschichte eingehen, weil sie sich für mächtiger halten als andere. Sie wollen unsterblich werden und darum suchen sie für gewöhnlich Kontakt zur Polizei, um das Gefühl der Macht auszukosten und sich überlegen zu fühlen. Shen hingegen nutzt dafür die Mafia. Er kennt die Gesetze der Vendetta bestens und er weiß, dass im Falle seines Todes der Krieg zwischen den Familien endgültig eskalieren wird.“ Araphel starrte Victor mit seinen dunklen Augen an und für einen Moment war etwas wie Schrecken in seinen Augen abzulesen. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. „Dann heißt das also“, murmelte der 31-jährige „Wenn wir Shen töten, wird die Triade in Shanghai auf Rache sinnen und unsere Familien ebenfalls vernichten, um Rache zu nehmen.“ Victor nickte. „Ja, das würde einen internationalen Mafiakrieg bedeuten, der das reinste Blutbad nach sich ziehen wird. Kurzum wird Boston in absehbarer Zeit ein genauso heißes Pflaster werden wie beispielsweise Kolumbien und El Salvador.“ „Das heißt also, wenn wir Shen töten, werden unsere Familien vernichtet werden.“ Araphels Magen drehte sich um, als er daran dachte. Wenn es wirklich so weit kommen sollte, würde nicht nur er sterben, auch Sam, Dr. Heian und Morphius mussten dann daran glauben. Dieser elende Mistkerl Shen nutzte diese Umstände schamlos aus, um sich zu schützen. Mit anderen Worten also: wenn sie Shen töteten, wäre dies auch gleichzeitig ihr eigener Tod und der ihrer Familien. Araphels Hirn begann nun auf Hochtouren zu arbeiten und er durchdachte alles genauestens. Es musste doch einen Weg geben, um eine Vendetta seitens der Yanjingshe zu verhindern. Irgendein toter Winkel in diesem teuflischen Plan. Dass Shen sterben musste, stand ganz außer Frage. Er war viel zu gefährlich, um am Leben zu bleiben. Solange er nicht tot war, würde der Terror sicher nicht aufhören. Nein, er würde nur schlimmer werden und mit jedem Tag wuchsen seine Macht und sein Einfluss. Doch egal wie er es auch drehte und wendete, es gab nur zwei Möglichkeiten, einer Vendetta seitens der Yanjingshe zu entgehen. Erstens: Shen starb eines natürlichen Todes, zweitens: er starb so, dass weder eine Verbindung zu der Mason-Familie oder zur Camorra-Familie hergestellt werden konnte. Nummer eins war ausgeschlossen. Es war höchst unwahrscheinlich, dass Shen so leicht starb und dann noch eines natürlichen Todes. Nein, darauf konnten sie noch lange warten. Und ebenso unwahrscheinlich war es auch, dass die Triade keine Zusammenhänge erkannte. Immerhin hatten sowohl die Camorras als auch die Masons Motive, die nur allzu offensichtlich waren. Und dann gab es noch eine dritte Option: wessen Familie Shen tötete, dessen Oberhaupt musste ebenfalls getötet werden. Denn nur so war ein Ausgleich gewährleistet, der die Gesetze der Vendetta aufhob, weil beide Seiten gleichermaßen Verluste gemacht hatten. Hieß also im Klartext: entweder Victor oder Araphel würden bei der Ausführung der Vendetta mit dem Leben bezahlen müssen. Schlimmstenfalls sogar beide. Kapitel 31: Harveys Überlegungen -------------------------------- „Rache kann ein edleres Gemüt nur verwunden, nicht heilen. Sie ist der Stachel einer Biene, welche sich selbst tötet, wenn sie es mit ihrem Feind zu tun glaubt.“ Unbekannt Sam hatte die ganze Zeit in der Werkstatt verbracht und seiner Trauer freien Lauf gelassen. Er fühlte sich kraftlos und müde und glaubte nicht, dass er es wirklich schaffen konnte, sich alsbald wieder aufzuraffen. Schließlich aber hörte er Schritte in der Werkstatt, die langsam näher kamen. Er blieb sitzen und regte sich nicht. Dann schließlich wurde die Tür an der Beifahrerseite des Furys geöffnet und jemand setzte sich neben ihn. Er schaute nicht einmal hin, wer sich da neben ihn gesetzt hatte, aber dann erkannte er an der Stimme, wer es war. „Es ist immer schlimm, jemanden zu verlieren, der einem nahe steht. Schlimmer ist es, ihn unter tragischen Umständen zu verlieren. Glaub mir, ich kenne das.“ Es war Harvey, der Schauspieler und Informant, mit dem er derweil in Kontakt stand. Doch warum war er hier? Das verwunderte Sam ein wenig. Als er nachfragte, bekam er die Erklärung „Ich hatte mit Morphius einige Dinge zu besprechen. Er macht sich Sorgen um dich, weil du seit Tagen so apathisch und teilnahmslos wirkst und nicht ein einziges Mal geweint hast. Darum wollte ich nach dem Rechten sehen. Aber wie ich sehe, hat sich der letztere Teil bereits erledigt. Willst du reden?“ Sam sah zu Harvey, der wie immer diesen hoffnungslos und leeren Blick hatte und dessen Augen wie die eines toten Fisches wirkten. Er sah selbst aus, als würde er selbst gerade trauern, doch das hatte bei ihm nichts zu bedeuten. Wie Morphius mal sagte, war Harvey schon in diesem Zustand, seit er und Chris von der Polizei angegriffen worden waren und er unschuldig ins Gefängnis kam. Es waren die Augen eines Mannes, der das schlimmste Unrecht erfahren hatte und niemanden mehr an seinen Gefühlen teilhaben lassen wollte. „Es geht schon“, wehrte Sam mit müder Stimme ab. „Ich wollte halt für Araphel stark sein. Immerhin hat es ihn am allerschlimmsten getroffen.“ „Und dich nicht?“ hakte der Schauspieler nach. „Ich sehe dir zumindest an, dass dich etwas verfolgt. Schuldgefühle, nehme ich an. Du fühlst dich machtlos und machst dir Vorwürfe, dass du nicht in der Lage warst, es zu verhindern.“ „Stimmt es denn nicht?“ fragte Sam und spürte, wie sich erneut Tränen in seinen Augen sammelten und wie sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete. „Es war eine so offensichtliche Falle, dass ich eigentlich etwas hätte merken müssen. Nur weil ich so unvorsichtig war, sind wir erst in diese Lage geraten und Christine, Asha, Yin und der Patriarch sind tot. Und Shen lebt immer noch. Wie viele Menschen müssen denn noch sterben, bis es endlich aufhört?“ Sam wurde wieder aufs Neue von seiner Trauer übermannt und weinte. Harvey saß neben ihm, blieb ruhig und hörte sich alles in Ruhe an. Er wirkte, als säße er nur deshalb neben Sam, um all seinen Schmerz und seine Trauer in sich aufnehmen zu können. Zwischendurch nickte er mit einem ernsten Blick, während er sich von Sam erzählen ließ, was passiert war. Nachdem der 28-jährige mit seinem Bericht fertig war, setzte nun Harvey zum Reden an. „Wahrscheinlich hörst du nichts Neues, wenn ich dir sage, dass es nicht deine Schuld ist. Aber lass uns erst mal folgende Fakten beleuchten: Shen ist zurückgekehrt, ohne dass jemand davon gewusst hat. Er ist heimlich ins Land zurückgekommen und hat die Umstände genutzt, dass Christine sich für Oldtimer interessiert und es eine Ausstellung gab. Der Mann, der euch in die Falle gelockt hat, war nicht asiatischer Herkunft, weshalb natürlich niemand sofort darauf kommen würde, dass er mit der chinesischen Mafia in Verbindung steht. Denn die bleibt für gewöhnlich unter sich. Der Bodyguard hat euch reingehen lassen, ohne die Lage vollständig zu prüfen und die Halle zu sichern. Er hätte eigentlich der allererste sein müssen, der aufpassen sollte. Aber weil er nur oberflächlich abgesichert hat, hat er euch fahrlässigerweise in Gefahr gebracht. Und was diese Geschichte bei Shen betrifft, so hättest du so oder so nichts tun können, selbst wenn du nicht gefesselt gewesen wärst. Er hätte dich sofort getötet, wenn du versucht hättest, dich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Auch wenn es hart klingt, aber du hättest nichts tun können, egal wie sehr du es auch gewollt hättest.“ Doch Sam wollte sich damit nicht zufrieden geben. „Soll ich mich jetzt besser fühlen?“ fragte er ihn. „Soll ich dir vielleicht jetzt danken? Ich lebe, während Christine qualvoll sterben musste und Asha und Yin enthauptet wurden.“ „Sei dankbar dafür“, sagte Harvey mit klaren und festen Worten. „Was glaubst du, wie viele Menschen durch die Hände von Serienmördern sterben und das auf eine so erschreckend leichte Weise? Shen ist ein Killer und er hätte dich ohne zu zögern töten können.“ „Aber Christine…“ „Sie ist gestorben, weil sie dein Leben retten wollte. Und solange du lebst, war ihr Tod und der der anderen nicht umsonst. Es liegt in deiner Verantwortung, weiterzuleben. Denn wenn du aufgibst und weiterhin glaubst, dass du hättest sterben sollen, dann hat sich Christine umsonst für dich geopfert und ihr Tod war dann vollkommen sinnlos gewesen. Wenn du aber weiterlebst und deinem Leben ein wertvolles Ziel gibst, dann war der Tod deiner Freunde doch zu etwas gut. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Menschen, als einen sinnlosen Tod zu erleiden. Wenn sich Menschen bereit erklären, ihr Leben für jemanden hinzugeben und sich für sie zu opfern, dann tun sie es in der festen Überzeugung, dass sie das Richtige tun und damit diese Person weiterleben kann. Willst du, dass Christines, Ashas und Yins Tod keine Bedeutung hat?“ Sam ließ den Blick noch weiter seinen und antwortete mit nein. „Dann lebe nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Jetzt. Shakespeare sagte einst Bedaure nicht, was nicht zu ändern ist, sondern ändere, was zu bedauern ist. Anstatt die Schuld für den Tod deiner Freunde bei irgendjemanden zu suchen, solltest du dich viel eher auf den Weg vor dir konzentrieren und dein Leben umso mehr wertschätzen. Eben weil Menschen ihr Leben für deines geopfert haben, ist es deshalb umso wertvoller, verstehst du? Wenn du den Tod deiner Freunde in Ehren halten willst, darfst du dich nicht gehen lassen, sondern musst nach vorne blicken und dir überlegen, was du tun kannst. Ich weiß, dass es schwer ist. So eine Tragödie vergisst man nicht und es ist auch ganz normal, dass man trauert. Aber wenn man sich von seiner Trauer zerfressen lässt, dann passiert es schnell, dass man entweder sein Leben verwirft, oder dass man zu einem Menschen wird, der man eigentlich nicht werden wollte.“ Während seiner Rede war ein wenig Leben in Harvey zurückgekehrt. Es war so, als wäre die dicke Eisschicht, die seine Persönlichkeit und sein Herz umgab, gebröckelt, als er Sam wieder aufbauen wollte. „Harvey…“ „Hör mal, es ist vollkommen in Ordnung, wenn man trauert. Es ist ein Zeichen dafür, dass dir diese Person auch am Herzen lag. Aber seine Trauer zurückzuhalten und sich selbst zu verbieten, zu trauern, macht alles nur schlimmer. Denn wer kann Trauer verarbeiten, wenn er sie nicht zulässt? Dann wird es dich verfolgen und quälen.“ Hier musste Sam an Araphel denken und wie dieser sich seit vier Jahren mit dem Tod seiner Schwester herumquälte. Welche Szenen es mit Christine gegeben hatte, die er wie einen Ersatz für Ahava behandelt hatte. Wollte er genauso enden und sich jahrelang immer wieder aufs Neue Vorwürfe machen und sich von diesen Ereignissen beherrschen lassen? Nein, das wäre keine Lösung. Es würde ihn nur innerlich zerfressen und zu nichts führen. Er würde nur als seelisches Wrack enden und das wollte er auf keinen Fall. „Du hast ja Recht“, seufzte er niedergeschlagen. „Aber… es ist einfach nur ungerecht. Christine, Asha und Yin haben so viel erleiden müssen. Sie hätten etwas Besseres verdient.“ „Das bestreitet niemand. Aber wenn man es sachlich betrachtet, gibt es überall auf der Welt Menschen, die etwas Besseres verdient hätten. Das soll sicherlich kein Trost sein, aber so sieht die Realität nun einmal aus. Wie sieht’s aus? Wollen wir woanders hingehen und weiterreden? Bonnie wartet auch schon.“ „Bonnie ist hier?“ fragte Sam. „Was will sie denn hier? Weiß sie denn nicht, dass das hier ein Mafia-Anwesen ist?“ „Sie sagte, dass sie dich sehen will und wollte deshalb, dass ich sie mitnehme. Außerdem ist es viel sicherer als draußen, wo wir von der Yanjingshe angegriffen werden könnten. Ich sagte ihr ja, sie solle lieber zuhause bleiben, aber sie wollte dich unbedingt sehen. Offenbar hast du es ihr angetan.“ Ein schwaches und ungläubiges Lächeln spielte sich auf Sams Lippen, als er das hörte. „Sie ist wirklich ein typischer Teenager. Ich habe echt keine Ahnung, was mit ihr los ist.“ „Tja, Bonnie ist halt in dem Alter, wo sie über die Stränge schlägt. Aber keine Sorge, sie ist nicht direkt in dich verliebt, sie flirtet halt gerne in ihrer Rolle als Bonnie.“ „Dann ist sie normalerweise nicht so?“ „Nicht direkt“, gab Harvey zu und ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „In ihrem normalen Leben würdest du sie nicht wieder erkennen. Sie ist… eher „langweilig“ und bei weitem nicht so lebhaft wie als Bonnie B. oder Hecatia Bride. Außerdem ist sie bereits verliebt.“ „Darf ich raten? In diesen Cell, den sie sucht.“ Sie verließen gemeinsam die Werkstatt und gingen in eines der Besprechungszimmer, wo sie von Bonnie begrüßt wurden. Sie hatte wie schon bei ihrem ersten Treffen ein auffälliges Gothic Lolita Outfit an und kaum, dass sie Sam sah, sprang sie von ihrem Platz auf und lief zu ihm hin. „Hi Sammy“, grüßte sie ihn fröhlich. „Schön, dich wiederzusehen. Du siehst gut aus.“ „Bonnie“, sprach Harvey in einem ermahnenden Ton. „Ich habe dir gesagt, du sollst dich bitte zurückhalten. Das ist nicht sonderlich taktvoll von dir.“ Sofort entschuldigte sich Bonnie und um Sam ein wenig aufzumuntern, begannen sie von ihren Zwischenergebnissen zu berichten. Während Sam sich von seinen Verletzungen und dem schweren Schock erholt hatte, waren Harvey und Bonnie nicht untätig geblieben und hatten erfolgreich Kontakt zum FBI herstellen können und es waren bereits erste Festnahmen von korrupten Polizisten erfolgt. Auch Marco Illes, der Sam an die Mason-Familie verraten hatte, wurde wegen diverser Delikte verhaftet und würde bald verurteilt werden. Insgesamt wurden 13 weitere Polizeibeamte verhaftet und es wurden interne Ermittlungen durchgeführt. „Summa summarum geht es also richtig voran“, rief Bonnie und war sichtlich stolz darauf. „Und bald werden sich diese Polizistentorfköpfe endlich mal um den Saustall kümmern.“ Sie unterhielten sich eine Weile, um das weitere Vorgehen zu besprechen, da kam Bonnie schließlich auf eine Idee. „Warum nehmen wir uns als nächstes nicht den Big Boss der ganzen Organisation vor?“ „Du meinst Shen?“ Die 16-jährige mit den türkisfarbenen Haaren nickte und erklärte „Wenn wir schon mal dabei sind, hier in Boston aufzuräumen, dann können wir doch auch was gegen diesen Penner tun. Ich meine, er ist der Grund, wieso es diesen abartigen Slave Shipping Service überhaupt gibt und wenn wir ihm die Polizei auf den Hals hetzen, dann räumen die mal ordentlich auf.“ „Der Gedanke ist nicht schlecht“, gab Harvey zu. „Allerdings gibt es da folgende Dinge, die wir auch noch beachten müssen: es existieren keine festen Beweise, dass Shen oder die Triade mit dem Service etwas zu tun hat. Wir bräuchten Zeugen und diese werden von der Yanjingshe beseitigt. Ohne klare Beweise kann die Polizei nichts gegen ihn unternehmen.“ „Aber es gibt Zeugen“, wandte Sam sofort ein. „Ich habe gesehen, wie er Asha und Yin ermordet hat und dass er Christine so verstümmelt hat, dass sie an ihren Verletzungen starb.“ „Darum habe ich mich bereits gekümmert gehabt“, seufzte der Schauspieler und man sah direkt, dass er keine guten Nachrichten hatte. „Als du im Krankenhaus warst, habe ich meine Kontaktleute beim FBI gebeten, in dem Fall zu ermitteln. Doch es gibt dutzende Zeugen, die bestätigen, dass Shen zu dem Zeitpunkt, als die Mason-Familie in das Anwesen eingedrungen ist, bei einem geschäftlichen Treffen war. Es wurden insgesamt 13 Zeugen befragt und sie alle sagen aus, dass er da war. Und wenn das FBI jemanden befragt, dann nehmen sie ihn wirklich in die Mangel. Aber keiner ist von seiner Aussage abgewichen, egal wie sehr sie die Leute ausgequetscht haben. Die haben alle viel zu große Angst vor der Yanjingshe, als dass sie sie hintergehen würden.“ Sam starrte Harvey fassungslos an und konnte es nicht glauben. Shen hatte ein so überzeugendes Alibi, dass er damit einfach durchkam und die Polizei nichts unternehmen konnte? Das konnte doch nicht wahr sein. „Und das haben sie einfach geglaubt?“ „Nein“, seufzte Harvey und rieb sich die Augen. „Natürlich wissen sie, dass die Zeugen alle nur gekauft sind oder unter Druck gesetzt werden. Aber wie will man das beweisen? Deine Aussage als Detektiv und Sohn eines Polizisten ist vielleicht überzeugend, aber vor Gericht würde die Jury dir nicht glauben, wenn 13 Menschen dir widersprechen.“ „Aber Morphius und Dr. Heian können auch…“ „Und außerdem“, unterbrach Harvey ihn sofort „vergisst du den Fakt, in welch einem Verhältnis du zu Araphel Mason stehst. Was glaubst du wohl, wie es um deine Glaubwürdigkeit stehen wird, wenn ans Tageslicht kommt, dass du eine Beziehung mit einem Mafiaboss hast, der übrigens mit Shen verfeindet ist? Deine Aussage wäre bei aller Liebe keinen Pfifferling mehr wert.“ „Man kann es doch wenigstens versuchen.“ „Das schon, aber es wird zu nichts führen. Glaub mir, ich spreche da aus Erfahrung. Immerhin habe ich monatelang unschuldig im Gefängnis gesessen, weil vier Polizisten einstimmig gegen mich ausgesagt haben, obwohl sie es waren, die mich zusammengeschlagen und Chris fast getötet hätten. Vielleicht hast du Glück und du kannst zumindest eine Verhaftung bewirken, aber spätestens nach 48 Stunden ist Shen wieder frei und das erste, was er tun wird, ist Rache nehmen. Er wird jeden töten, der es gewagt hat, sich mit ihm anzulegen und das bedeutet, dass noch mehr Menschen sterben müssen. Solange wir keine Beweise haben, die ihn auch ganz eindeutig mit all diesen Verbrechen direkt in Verbindung bringen, ist die Polizei machtlos, weil sie sich an die Gesetze halten muss.“ Bedrückt ließ Sam den Blick sinken und schwieg. Er konnte nicht glauben, dass es trotz seiner Zeugenaussage nicht mal dazu führen würde, dass Shen verurteilt wurde. Nein, stattdessen würde er nur vorgeführt werden, weil er nicht mal leugnen durfte, dass er eine Beziehung mit Araphel hatte und das war es, was die ganze Sache erst zum Scheitern verurteilte. Allein dadurch, dass er mit einem Schwerkriminellen zusammen war und bei ihm lebte, war seine Glaubwürdigkeit vor Gericht gleich null. Und Shen, der sich ein sicheres Alibi verschafft hatte, würde einfach davonkommen. „Also dann gibt es gar nichts, was wir gegen ihn tun können? Obwohl ihr beide Informanten seid?“ Das ließ Bonnie nicht auf sich sitzen. Sie, die sehr stolz auf ihre Arbeit war und einen guten Ruf als eine der besten Informantinnen im Internet genoss, fühlte sich in eben jenen Stolz gekränkt. Hier setzte sie eine Miene auf, die teils verärgert, teils schmollend war und sie ballte die Hände zu Fäusten, wobei sie rief „Das lasse ich mir ganz sicher nicht anhängen! Ich bin die beste Netzwerkinformantin und ich werde mir garantiert nicht unterstellen lassen, ich könnte diesen Penner nicht drankriegen. Warte es nur ab, ich werde schon noch die Leichen in seinem Keller finden und dann schleife ich ihn persönlich zur Polizei!“ „Bonnie, komm wieder runter“, ermahnte Harvey sie, doch das Mädchen war nicht mehr zu bremsen. Sie hatte sich in Rage geredet und würde sich sicher nicht so leicht wieder beruhigen. Nicht nachdem man sie an ihrem wunden Punkt getroffen hatte. „Nein, ich werde mich nicht beruhigen“, rief sie und war nun richtig sauer. „Ich lasse mir doch von so einem dahergelaufenen Psycho-Chinesen nicht meinen Ruf ruinieren.“ Es war nichts zu machen, Bonnie war nicht mehr zu halten. Sogleich stand sie auf und sagte „Ich krieg diesen Motherfucker dran, darauf könnt ihr euch verlassen!“ Sam wusste nicht, ob er froh oder beunruhigt sein sollte, als Bonnie ihm das sagte. Sie hatte also tatsächlich vor, sich persönlich darum zu kümmern, Beweise zu liefern, die Shen ans Messer lieferten? „Bonnie…“ „Dafür will ich aber was!“ sagte sie sofort und deutete auf Sam, wobei sie ihn mit einem ernsten Blick ansah. „Du schuldest mir immer noch ein Foto!“ Nun, das ließ sich ja zum Glück leicht arrangieren und so zog Sam sein Hemd aus und ließ sich bereitwillig von Bonnie fotografieren, die dabei natürlich sichtlich Spaß hatte und zufrieden lächelte. „Super“, rief sie. „Damit steht der Deal. Ich werde mich zuhause gleich an die Arbeit machen.“ „Und was hast du vor?“ wollte der Detektiv selbstverständlich wissen. Hier zwinkerte ihm die 16-jährige zu, die erklärte „Ich werde mich in sein System hacken und seine ganzen Festplatten durchstöbern. Irgendwo wird er schon etwas haben, wofür ich ihn drankriege. Und wenn es Videoaufnahmen von Kameras sind, wo er jemanden umbringt. Niemand ist vorsichtig genug, dass er gar keine Spuren hinterlässt. Es gibt immer welche, man muss nur gründlich suchen.“ Und damit war es beschlossene Sache, was als nächstes geschehen würde. Von Araphels Plänen hatte Sam bis dato noch keine Ahnung. Shen lag in seinem Bett und war sehr schweigsam gewesen, was aber nicht bedeutete, dass er weniger gefährlich war als sonst. Nein, für gewöhnlich bedeutete es eher das Gegenteil, wenn er ruhig war. In ihm kochte es vor Wut. Dieser elende alte Narr hatte es doch tatsächlich gewagt, ihm ins Knie zu schießen und ihn somit daran zu hindern, Sam zu töten und Araphel den damit wohl schlimmsten Schmerz zu bereiten. Sein Plan war zunichte gemacht worden und nun war er durch sein kaputtes Bein nicht mehr imstande, sich persönlich dafür zu rächen. Was für eine Schmach… Hätte er diesen elenden Patriarchen schon viel früher getötet. „Boss…“ Liu Cheng, sein Berater und seine rechte Hand war an sein Bett getreten, um ihn über die neuesten Informationen in Kenntnis zu setzen. Seit Sam Leens befreit worden war, hatte er das Mason-Anwesen beschatten lassen, um eine perfekte Gelegenheit zu finden, um blutige Rache für die Schmach zu nehmen, die man ihm angetan hatte. Ihm, den Schrecken der Bostoner Unterwelt, der als unantastbar und unverwundbar galt und doch von einem altmodischen Mafioso verletzt worden war. „Es wurden zwei Personen gesehen, die das Mason-Anwesen betreten haben. Wir haben sie identifizieren lassen.“ „Sprich schon!“ „Es waren ein Mann und ein Mädchen. Das Mädchen haben wir nicht identifizieren können und es ist ausgeschlossen, dass sie eine Verwandte oder Nahestehende von einem der Bewohner ist. Der Mann, der bei ihr war, ist ein gewisser Dr. Harvey Charles Dullahan, ein Schauspieler.“ „Ein Schauspieler und ein fremdes Mädchen in Araphels Haus?“ fragte Shen in einem Ton, als würde sein Berater ihn einen Esel für ein Pferd verkaufen wollen. „Was haben ein Schauspieler und ein Mädchen dort zu suchen? Hm… da steckt mit Sicherheit etwas dahinter. Wir gehen kein Risiko ein, Liu. Sobald sie aus dem Haus sind, beseitigt ihr sie sofort.“ „Aber Boss… Sollten wir nicht erst…“ „Hast du mir zu widersprechen?“ rief Shen wütend und erschrocken wich Liu Cheng vor ihm zurück. So hatte er den Boss noch nie erlebt gehabt. Für gewöhnlich wahrte er immer die Contenance, doch nun war er völlig außer sich vor Wut und das schon, seit der Patriarch ihm ins Knie geschossen hatte. „Ich sagte, ihr sollt sie beseitigen! Wie ihr das macht, ist mir völlig egal!“ „Ja, Boss“, sprach der Berater hastig und gab den Befehl durch. Doch er fragte sich, ob das wirklich eine vernünftige Entscheidung war. Für gewöhnlich wog Shen alles sorgfältig ab und traf nie überstürzt irgendwelche Entscheidungen. Doch hier war es anders. Es schien so, als würde er unvorsichtig werden und das Schlimme war, dass er sich nicht einmal belehren ließ. Kapitel 32: Zeugenschutz ------------------------ „In blinder Wut ruft der Mob schnell nach Vergeltung, wenn er Gerechtigkeit fordert.“ Marcell Jähner, Inhaber des webbook-verlags Berlin Kaum, dass der erste Schock über den Tod von Asha, Christine und Yin überwunden war, überfiel Sam kurz darauf die nächste Schreckensnachricht. Harvey und Bonnie waren in einen Autounfall geraten und schwer verletzt worden. Sie waren auf dem Highway abgedrängt worden und der Wagen hatte sich überschlagen und war dann von einem anderen Wagen gerammt und mitgeschleift worden. Harvey schwebte in Lebensgefahr und wurde über mehrere Stunden operiert, sein Zustand war aber nach wie vor kritisch. Bonnie hatte schwere Kopfverletzungen und Knochenbrüche erlitten. Durch ein Blutgerinnsel im Gehirn war sie ins Koma gefallen und es stand noch nicht fest, ob und wann sie wieder aufwachen würde. Kaum, dass Sam die Nachricht erfahren hatte, war er zum Krankenhaus gefahren, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Chris, Harveys Ehemann, war ebenfalls da und war vollkommen aufgelöst. Er weinte herzzerreißend, während er Harveys Hand hielt. „Chris“, rief Sam und eilte zu ihm. „Wie geht es ihm?“ Doch der Schauspieler war kaum in der Lage zu sprechen und wischte sich schluchzend die Tränen aus dem Gesicht. Seine Stimme zitterte heftig und unablässig flossen Tränen seine Wangen hinunter. „Er hat innere Blutungen, ein Schädeltrauma und Rippenbrüche davongetragen. Er hat so viel Blut verloren…“ „Ist er wieder stabil?“ Schluchzend schüttelte Chris den Kopf. „Nein, sein Zustand ist immer noch sehr kritisch. Die Ärzte können nicht einmal sagen, ob er es schaffen wird. Ich verstehe das nicht. Harvey ist ein guter Fahrer, er hat noch nie einen Unfall gebaut und er ist immer vorsichtig, wenn er losfährt. Irgendjemand muss ihn gerammt haben!“ „Die Mafia“, entfuhr es Sam. „Die Yanjingshe hat seinen Tod in Auftrag gegeben.“ „Scheiße“, schluchzte Chris. „Und dabei habe ich ihm doch gesagt, er soll aufpassen. Warum nur hat er nicht auf mich gehört?“ Da Sam nicht viel tun konnte, beschloss er, Bonnie besuchen zu gehen, die es ähnlich schlimm erwischt hatte. Er rechnete nicht damit, dass irgendjemand bei ihr war, doch als er das Zimmer betrat, in welchem sie lag, sollte er sich täuschen. Bonnie lag reglos im Bett, bandagiert und mit eingegipstem Arm und Bein. Unter dem Verband an ihrem Kopf schauten brünette Locken hervor und auch ihr Gesicht war nicht mehr länger geschminkt. Für einen Moment dachte er, er hätte sich im Zimmer geirrt, doch es war Bonnie, ganz ohne Zweifel. So sah sie also aus, wenn sie ein ganz normales Mädchen war. Sie sah recht unscheinbar aus, fast schon ein wenig langweilig. Neben ihrem Bett saß ein glatzköpfiger junger Mann mit trüben grauen Augen. Er war sehr mager und bleich und war an mehreren Schläuchen angeschlossen und saß in einem Rollstuhl. Man hätte meinen können, er stünde mit einem Bein im Grab. Mit einem traurigen Ausdruck in den Augen streichelte er Bonnies Kopf. Seine Hand war fast farblos und die Haut spannte sich an den Knochen. „Bist du ein Freund von ihr?“ fragte der Junge im Rollstuhl und sah zu Sam. „Oder gehörst du zur Familie?“ „Weder noch“, musste Sam zugeben. „Sie hat mir ihre Hilfe als Informantin angeboten. Als sie in diesen Unfall geraten ist, wollte ich nach dem Rechten sehen. Ich habe gehört, sie liegt im Koma.“ „Ja“, seufzte der Junge traurig. „Ein Blutgerinnsel ist schuld. Und leider stehen die Chancen nicht allzu gut. Ich habe ihr doch immer wieder eingeschärft, dass sie sich nie einfach so zeigen darf. Ich habe nie gewollt, dass so etwas passiert…“ Sam betrachtete den Jungen, der knapp 20 bis 22 Jahre alt zu sein schien. Ein Verdacht kam ihm auf, als er so hörte, was er sagte. „Sag mal… bist du Cell?“ „Naja“, murmelte der Junge. „Zumindest das, was von ihm übrig ist.“ „Aber ich dachte… Bonnie dachte, du wärst von der Regierung verschleppt worden, nachdem du das Marianas Web geknackt hast.“ Der Junge lächelte traurig und wirkte, als würde jeden Moment das letzte bisschen Lebenskraft seinen Körper verlassen. „Nun, das habe ich als Ausrede benutzt, um verschwinden zu können. Das Web habe ich zwar geknackt, aber… verschwunden bin ich aus einem anderen Grund. Bei mir wurde so einiges diagnostiziert. Ein Hirntumor, eine kaputte Niere und auch noch Leukämie. Die Chemotherapien waren teilweise so heftig, dass ich mich nicht einmal bewegen konnte und ich dachte, ich würde durch die Behandlungen sterben. Meine Haare hab ich dabei auch allesamt verloren. Ich wollte ihr das nicht antun. Es reicht schon, wenn meine Familie leidet, da wollte ich nicht auch noch ihr Kummer machen. Nachdem ich meine Diagnose hatte, habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen. Kurz darauf wurde ich auch schon ins Krankenhaus eingeliefert und seit sechs Monaten bin ich schon regelmäßig in Behandlung. Ach ja… wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein richtiger Name ist Nathan Carter.“ „Freut mich. Mein Name ist Sam Leens.“ Nathan reichte ihm seine blasse und magere Hand. Sam erwiderte den Händedruck und konnte nicht glauben, dass er tatsächlich Bonnies Mentor gegenüberstand. Cell, der gefährlichste Hacker der Welt, der es geschafft hatte, selbst das Unmögliche zu schaffen. Und dann stellte sich heraus, dass er ein schwer kranker Junge war, der nicht mal mehr die Kraft zum Laufen hatte. „Ich biete schon ein ziemlich erbärmliches Bild, was?“ fragte Nathan schließlich. „Für jemanden, der eine so talentierte Hackerin ausgebildet hat, sehe ich schon ziemlich mickrig aus.“ „Dafür kannst du ja nichts. Besteht denn Hoffnung auf Besserung?“ „Der Tumor ist zum Glück entfernt, aber was mich schafft, sind diese Leukämie und meine kaputte Niere. Bislang hab ich noch keinen Spender für Knochenmark oder Blutzellen und solange ich auch keine neue Niere gefunden habe, bin ich auf die Behandlungen hier angewiesen. Aber sag mal… was ist passiert und wer hat Bonnie so etwas angetan?“ Sam haderte erst noch, ob er wirklich das Risiko eingehen konnte, diesem Fremden alles zu erzählen. Allein diese Geschichte mit den Entführungen lag ihm quer im Magen. „Woher weiß ich, dass du wirklich Cell bist? Kannst du mir das irgendwie beweisen?“ „Nun, ich weiß, dass Bonnie als Bezahlung von hübschen Männern Fotos mit nacktem Oberkörper nimmt. Sie hat schon mit zwölf Jahren ihre Fähigkeiten als Hackerin entdeckt und ich hab sie erwischt, als sie sämtliche Ampeln in Boston manipuliert und einige Online-Bankkonten gehackt hat. Ihre Lieblingstiere sind Kaninchen und den Namen Bonnie hat sie aus dem Computerspiel Five Nights at Freddy’s wo es einen lilafarbenen Hasen-Animatronic gab, der Bonnie hieß. Das Geld, was Bonnie mit ihrer Arbeit als Informantin verdient, spart sie für ihr Studium und spendet zudem an Missbrauchsopfer. Ach ja, sie ist zudem Löwe, 141cm groß und sie schreibt gerne Schwulenerotikromane seit sie 15 Jahre alt ist.“ Damit war Sam überzeugt. So viel, wie dieser Nathan über Bonnie wusste, konnte eigentlich kaum jemand wissen. Er war überzeugt, dass dieser kranke Junge tatsächlich Cell war. Und so erzählte er, was passiert war. Von dem Treffen der Hacker, was dort besprochen worden war und welche Aufgabe Bonnie gehabt hatte. Und auch was sie geplant hatten, bevor sich der Unfall ereignet hatte. Sam ließ nichts aus und Nathan hörte aufmerksam zu, wirkte aber manchmal ein wenig apathisch, als fehle ihm die Kraft, sich zu konzentrieren. Schließlich, als Sam zu Ende erzählt hatte, umklammerte Nathan die Armlehnen an seinem Rollstuhl und seine Miene verfinsterte sich ein wenig. „Verstehe, die Yanjingshe hat Bonnie und Harvey also umbringen wollen. Und Bonnie hatte vorgehabt, etwas zu finden, um die Yanjingshe ans Messer zu liefern.“ Sam nickte und sah, wie sich etwas in den Augen des Schwerkranken zu regen begann. „Ich kann in meiner jetzigen Verfassung nicht allzu viel ausrichten, aber ich kann diese Leute, die Bonnie fast umgebracht haben, nicht einfach so davonkommen lassen.“ „Du willst mir helfen?“ „Ich tue das für Bonnie. Für sie ist der Kampf gegen solche Organisationen, die Menschen als Sexsklaven verkaufen und sogar verstümmeln, auch eine Herzensangelegenheit und diese Kerle haben versucht, sie umzubringen. Wer weiß, wann sie wieder versuchen werden, sie zu töten. Ich kann das nicht zulassen, Bonnie ist gerade erst 16 Jahre alt und sollte sich nicht in solch eine Gefahr begeben und ihr Leben aufs Spiel setzen. Vielleicht wacht sie auf, vielleicht wird sie auch den Rest ihres Lebens im Koma liegen. Aber wenn sie wieder aufwacht, sollte sie keine Gefahr mehr befürchten müssen. Das bin ich ihr schuldig, weil ich sie ja erst auf diesen Gedanken gebracht habe. Leider kann ich das Krankenhaus momentan nicht verlassen, da ich regelmäßig zur Chemotherapie und zur Dialyse muss und diese mich ziemlich fertig machen. Aber wenn ich das entsprechende Equipment auf mein Zimmer bekomme, kann ich da weitermachen, wo Bonnie aufgehört hat. Ich kann zwar nicht rund um die Uhr vollen Einsatz geben, aber ich werde mein Bestes geben. Aber eben unter der Voraussetzung, dass ich auch die Ausrüstung bekomme. Denn mit einem einfachen Laptop komme ich nicht weit.“ Sam versprach, sich um alles zu kümmern und bedankte sich mehrfach bei Nathan, dass dieser trotz seiner miserablen Verfassung seine Unterstützung zusagte, um den Kerlen das Handwerk zu legen, die Bonnie fast auf dem Gewissen hätten. Schließlich, als Sam ihn auf sein Zimmer zurückschieben wollte, kamen zwei Leute auf ihn zu. Sie trugen schwarze Mäntel, unter denen Waffengürtel zu sehen waren. Eine von beiden war eine Frau um die vierzig Jahre. Sie hatte goldblondes Haar, welches sie zu einem strammen Zopf gebunden hatte. Ihr Gesicht war schön, aber auch sehr streng und sie hatte ein sehr dominantes und bestimmendes Auftreten. Ihr Begleiter wirkte da etwas gelassener. Er hatte dunkelbraunes Haar und einen Bartansatz und bewegte sich im selben Alter wie die Frau. Diese blieb vor Sam stehen und zeigte ihm ihren Ausweis. Sie war vom FBI. „Sind Sie Sam Leens?“ „Äh ja…“ „Ich bin Supervisory Agent James und das ist mein Partner Special Agent Kazan. Wir sind vom FBI und wurden von Mr. Dullahan kontaktiert. Wir hatten noch nicht das Vergnügen miteinander.“ Agent James hatte ein sehr kühles und strenges Auftreten, was von eiserner Disziplin und Unnachgiebigkeit zeugte. Ihre tiefe und etwas kühle Stimme erinnerte nicht wenig an die Figur der Dana Skully aus der Serie „Akte X“. „Freut mich“, sagte Sam etwas zögerlich, denn er kam sich ein wenig überrumpelt vor und wusste nicht so ganz, was er davon halten sollte. „Und was kann ich für Sie tun?“ Die blonde Schönheit, die Sam für einen Moment sogar fast als eine waschechte Femme fatale bezeichnet hätte, erklärte mit einem leicht unterkühlten Seitenblick: „Aufgrund der jüngsten Ereignisse werden Sie, Mr. Dullahan und Miss Bonnie B. unter Polizeischutz gestellt.“ Sam fiel aus allen Wolken, als er das hörte. Er sollte unter Polizeischutz gestellt werden? Eigentlich sollte er froh darüber sein, doch er wusste auch, was das bedeutete: ein falscher Name, eine falsche Identität, isoliert von allen Menschen und aus seinem Umfeld gerissen, ständige Überwachung und keinerlei Kontakt zu Araphel. Mit anderen Worten: er würde nicht mehr die Möglichkeit haben, weiterhin aktiv an diesem Fall zu arbeiten. „Das geht nicht“, protestierte er. „Ich bin mitten in Ermittlungen und mit Nathans Hilfe werde ich Shen die Morde an meinen Freunden nachweisen und ihn hinter Gittern bringen.“ „Mr. Nathan kann mit uns zusammenarbeiten“, meinte Agent James sofort und schien sich auch nicht wirklich umstimmen lassen zu wollen. „Aber Sie sind kein Polizist, sondern Privatermittler. Und selbst wenn Sie es wären, so ist das FBI die höhere Entscheidungsgewalt und Sie haben sich an unsere Anordnungen zu halten. Vielleicht begreifen Sie nicht, wie es um Ihre Lage steht. Mr. Dullahan und Miss Bonnie können von Glück reden, dass sie noch leben und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sie der Nächste sind. Und Fakt ist, dass Sie auch ein wichtiger Zeuge sind, deshalb ist es unsere Priorität, Ihr Leben zu schützen. Ich kann verstehen, dass Sie an Ihrem Fall weiterarbeiten wollen und dass Sie persönliche Gründe haben, warum Sie den Boss der Yanjingshe drankriegen wollen. Sie haben immerhin Ihren Vater und Ihren Bruder verloren. Aber das FBI hat auch Gründe, Sie unter Schutz zu stellen. Um es für Sie besser verständlich zu machen: wir haben die Bitte von Mr. Dullahan erhalten, die Ermittlungen gegen die Triade aufzunehmen. Da die Bostoner Polizei der Lage nicht Herr wird und es Indizien gibt, dass die Yanjingshe mit einem internationalen Menschenhandel in Verbindung steht, wird das FBI und gegebenenfalls auch Interpol die Ermittlungen durchführen und Sie können sich vorstellen, wie groß die Gefahr vor allem für Sie wird.“ „Lassen Sie mich wenigstens mithelfen!“ rief Sam, der nicht so leicht aufgeben wollte. „Wir werden früh genug auf Sie zurückkommen“, versicherte nun Agent Kazan, der sich bislang zurückgehalten hatte. Er machte einen wesentlich diplomatischeren Eindruck als seine Partnerin. Doch er kam nicht mehr dazu, weiterzusprechen, denn da fiel ihm seine Partnerin ins Wort. Sie schien eine sehr dominante Frau zu sein, was wahrscheinlich auch der Beruf mit sich brachte. „Ich habe in meiner Laufbahn schon mehrere Serienmörder verhaftet und ich kann Ihnen sagen, dass Serienmörder dann am gefährlichsten werden, wenn sie eine narzisstische Persönlichkeit haben und in ihrem Stolz gekränkt werden. Wir wollen das Risiko minimieren und wir sind der Meinung, dass Sie in der Obhut des FBI besser aufgehoben sind.“ Doch Sam gefiel das Ganze immer noch nicht. Er konnte doch nicht einfach so Araphel im Stich lassen, wo dieser so schwere Verluste gemacht hat. Darum bestand er darauf, wenigstens noch einmal zum Mason-Anwesen zu fahren. Agent James seufzte und erklärte sich einverstanden, da sie wohl einsah, dass sie ihn sonst nicht überredet bekam. Nachdem Nathan auf sein Zimmer zurückgebracht worden war, fuhren die beiden FBI Agenten ihn zur Mason-Villa. Agent James ließ es sich aber nicht nehmen, aus Sicherheitsgründen mitzugehen und Sam nicht aus den Augen zu lassen. Als Sam in Araphels Büro ging, da er ihn nirgendwo sonst fand, fiel der Empfang ein wenig unterkühlt raus. Araphel schien wohl über irgendetwas gegrübelt zu haben, was dann auch meist der Grund war, wieso er ihn nicht gerade freundlich grüßte. Vielleicht lag es auch daran, weil das FBI in seinem Haus war. Und das war natürlich etwas, was er ganz und gar nicht mochte. „Araphel…“, begann Sam langsam. „Ist alles gut gelaufen?“ „Bestens“, antwortete der 31-jährige. „Wir haben alles klären können.“ Mehr sagte er auch nicht, was aber auch verständlich war, immerhin konnte er nicht frei reden, solange Agent James in Hörweite war. „Oh… das ist schön.“ Irgendetwas stimmte mit Araphel nicht. Natürlich konnte man nicht erwarten, dass er die absolute Stimmungskanone war, da sicher noch der Tod von Christine und den anderen an ihm zehrte. Aber eigentlich hätte Sam erwartet, dass sich zumindest seine Laune etwas bessern würde, nachdem es ihm gelungen war, einen Plan zu entwickeln, wie er seinen Erzfeind für immer loswerden konnte. Es war, als ob da noch irgendetwas wäre. „Brauchst du meine Hilfe?“ „Nein“, sagte der Mafiaboss mit plötzlichem Nachdruck in der Stimme. „Das sind allein meine Angelegenheiten und du mischst dich da nicht ein. Und außerdem bist du sowieso nur ein Störfaktor, wenn du hier auch schon das FBI anschleppst.“ Sam zuckte erschrocken zurück, als er plötzlich den Ärger und die Wut in Araphels Stimme hörte. Nun verfinsterte sich die Miene des Mafiabosses. „Ich hab das FBI nicht angeschleppt“, rief Sam, um sich zu verteidigen. „Ich bin unter Zeugenschutz gestellt worden.“ „In dem Fall kann ich dich weder gebrauchen, noch kann ich dich noch eine Sekunde länger hier behalten.“ „Aber Araphel…“ „Ich kann es mir nicht leisten, dass ich zusätzlich Probleme mit dem FBI bekomme, das müsstest du eigentlich verstehen. Und wenn du unter Zeugenschutz stehst, dann wirst du hier sowieso nicht länger bleiben können. Also pack deine Sachen und verschwinde von hier.“ Dieser barsche Ton versetzte Sam einen Stich ins Herz. Auch wenn Araphel vielleicht sauer war, dass das FBI in seinem Haus war, Agent James war doch nicht da, um gegen die Mason-Familie zu ermitteln, sondern um einen wichtigen Zeugen zu beschützen. Vielleicht wollte Araphel auch nicht, dass diese Frau von ihrer Beziehung erfuhr. In dem Fall musste er sich erst mal mit dieser Behandlung abfinden. Also verließ er den Raum, um auf sein Zimmer zu gehen und seine Sachen zu packen. Agent James blieb aber im Arbeitszimmer und betrachtete Araphel mit ihren staubgrauen Augen. „Und Sie sind also Araphel Mason, der Adoptivsohn des verstorbenen Stephen Mason?“ „Ganz genau“, bestätigte der 31-jährige und funkelte die blonde Schönheit eisig an. Doch davon ließ sie sich auch nicht beirren. „Es heißt, dass Sie erhebliche Motive hätten, Shen Yuanxian aus dem Weg zu räumen.“ „Wer hätte das nicht?“ entgegnete Araphel knapp. Dann aber senkten sich seine Augenbrauen und sein Gesicht nahm etwas sehr Ernstes an. „Wenn das FBI Sam unter Zeugenschutz stellt, bedeutet das, dass gegen die Triade ermittelt wird, richtig?“ „Ja, so sieht es aus.“ Eine kurze Pause folgte und es war schwer zu erkennen, was Araphel durch den Kopf ging. Schließlich aber kam er mit etwas, was selbst Agent James überraschte. „Ich habe zwei weitere Zeugen, die für Sie interessant sein könnten. Dr. Yugure Heian und Makoto Narimono alias Morphius Black. Die beiden befinden sich ebenfalls im Visier der Triade und können Ihnen Informationen zum Slave Shipping Service geben.“ „Slave Shipping Service?“ „Ja, die Triade betreibt einen internationalen Sklavenhandel und verstümmelt seine Opfer auch, bevor sie verkauft werden. Dr. Heian kann Ihnen ausführliche Informationen geben.“ „Warum haben Sie sie hierbehalten?“ „Die Polizei in Boston ist viel zu korrupt und Morphius wäre beinahe von der Polizei umgebracht worden. Ich hatte auch drei Opfer des Slave Shipping Services bei mir in Obhut, die allerdings ermordet worden sind. Der Service verpasst seinen Opfern Brandzeichen auf den Rücken, um sie zu brandmarken. Sam hat auch eines während seiner Entführung durch die Triade erhalten.“ Nun verschränkte Agent James die Arme und runzelte die Stirn, wobei sie fragte „Und warum geben Sie mir die Informationen?“ „Als Austausch dafür, dass Sie die beiden mit unter Zeugenschutz nehmen. Sie sind gute Freunde von mir und auch wenn ich von der Polizei nichts halte, verlasse ich zumindest darauf, dass wenigstens das FBI einen anständigen Job macht und sie beschützt. Dann muss ich mich wenigstens nicht mehr damit herumärgern.“ Doch immer noch sah Agent Sadie James ihn ein wenig skeptisch und auch ungläubig an, als würde sie ihm das nicht abkaufen. „Es ist sehr ungewöhnlich für einen Mafiaboss, dass er sich solche Probleme auflädt, ohne einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen.“ „Persönliche Motive“, erklärte er. „Meine Schwester ist der Triade zum Opfer gefallen und hat Selbstmord begangen. Ich will nicht, dass den anderen das Gleiche widerfährt. Ich habe meine eigenen Methoden, wie ich diese Probleme angehe, aber Sam, der Doc und Morphius sind ungewollt in die Sache reingezogen worden und sie sind dem FBI mehr von Nutzen als für mich.“ „Sie wirken nicht wie ein typischer Mafiaboss auf mich“, meinte die FBI Agentin schließlich und wandte sich zum Gehen. „Ihnen scheint sehr viel am Wohl dieser drei Menschen zu liegen. Ich glaube, Sie haben Potential, mehr zu sein als nur ein Mafioso. Sie liefern dem FBI wichtige Zeugen und Informationen, mit denen wir genug Indizien sammeln können, um Shen festzunehmen. Für gewöhnlich mache ich keine Deals mit Schwerkriminellen, aber da Sie uns sehr wichtige Informationen zukommen lassen, bin ich bereit, Ihnen in einem gewissen Grade entgegenzukommen.“ „Gut. Dann bitte ich Sie, sich auf den Slave Shipping Service zu konzentrieren und den Laden dichtzumachen. Ich gebe Ihnen Sam Leens, Dr. Yugure Heian und Makoto Narimono als Zeugen und werde Ihnen auch eine detaillierte Aussage meinerseits zukommen lassen, wenn Sie meine Familie unbehelligt lassen und mir versichern, dass wir keinen Ärger erwarten können, solange Sie in diesem Fall ermitteln.“ Doch Sadie James schwieg und betrachtete Araphel mit Augen, die sie zu Schlitzen verengt hatte. Sie schien alles genau abzuschätzen, ob es eine gute Idee war. Dann schließlich, nachdem sie alles genau durchdacht hatte, stand ihre Entscheidung fest. „Na schön. Aber halten Sie sich trotzdem zurück und der Deal gilt nur solange, bis der Fall gelöst ist. Und ich bekomme eine Aussage von Ihnen. Und seien Sie unbesorgt. Das FBI wird gut für den Schutz seiner Zeugen sorgen.“ Kapitel 33: Araphels Abschied ----------------------------- „Wer auf Rache sinnt, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte.“ Sir Francis von Verulam Bacon, Philosoph Der Wind war eisig und der Himmel war stark bewölkt. Es war totenstill auf dem Friedhof und Araphel stand am Grab seiner Schwester und hatte ein Grablicht angezündet und einen Strauß weißer Lilien hingelegt. Obwohl er erst vor wenigen Tagen ihr Grab besucht hatte, nachdem er Christine, Yin und Asha zu Grabe getragen hatte, so hatte er dennoch den Wunsch verspürt, sie wieder zu besuchen und ein wenig mit ihr zu reden. Es tat ihm auch ganz gut, nachdem er nun auch Morphius und Dr. Heian aus der Villa geworfen hatte, nachdem sie in den Zeugenschutz aufgenommen worden waren. Nach und nach fügte sich alles so, wie es kommen sollte. Sam war in Sicherheit und die anderen auch. Nun galt es nur noch, die letzten Schritte einzuleiten und zu tun, was getan werden musste. Dann würde alles ein Ende finden. Die Triade würde Geschichte sein, die Vendetta würde endlich vorbei sein und Sam, Morphius und Dr. Heian würden wieder ihr normales Leben führen können. Er hatte alles sehr intensiv durchdacht und es als das Beste angesehen, eine schwere Entscheidung zu treffen. Zuerst war es ihm nicht leicht gefallen, aber nachdem er sehr lange und intensiv darüber nachgedacht hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste für alle Beteiligten war. Jede andere Entscheidung hätte nur Unglück nach sich gezogen und nun, da sich das FBI eingeschaltet hatte, musste er nur noch auf den richtigen Moment warten. Und wenn es soweit war, würde die letzte und endgültige Konfrontation folgen. Dieses Mal würde es enden und kein Weg würde drum herum führen. „Hallo Schwesterherz“, grüßte er sie und betrachtete ihren Grabstein. Vorsichtig strich er mit seiner Hand darüber und entfernte ein paar Blätter, die darauf lagen. „Du darfst dich freuen: es wird bald alles vorbei sein. Dann wird dieser Bastard für das bezahlen, was er dir und den anderen angetan hat. Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass er in der Hölle schmoren wird. Aber weißt du, trotzdem beschäftigen mich immer noch gewisse Dinge. Dinge, die dich betreffen und die ich dich immer wieder frage, auch wenn ich weiß, dass du mir keine Antwort geben kannst. Warum hast du nicht mit mir geredet und dir helfen lassen? Wir hätten vielleicht einen Weg gefunden, damit es dir besser geht. Ich hätte dir doch helfen können. Aber… du wolltest ja meine Hilfe nicht. Hast du mich gehasst, weil ich dir das alles nicht ersparen konnte? Warst du enttäuscht von mir, weil ich mein Versprechen nicht halten konnte, dass ich niemals zulassen werde, dass dir etwas passiert? Nun, Fakt ist, dass ich leider nicht mal annähernd so stark bin, wie ich es mir wünsche. Ich habe weder dich beschützen können, noch konnte ich Christine, Yin und Asha retten. Ich bin gänzlich unfähig, überhaupt jemanden zu beschützen. Und es tut mir wirklich leid. Wenn ich wenigstens stärker gewesen wäre, dann hätte ich euch alle retten können. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du mir alles bedeutet hast. Du warst immer der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen und alles, was ich wollte war, dass du glücklich bist. Aber letzten Endes bist du nur wegen mir in diese ganze Sache hineingezogen worden. Ich hoffe, dass du mir das irgendwann verzeihen kannst. Und ich hoffe, dass du mir verzeihen wirst, wenn ich dir sage, dass es heute das letzte Mal ist, dass ich dich besuchen komme. Nicht, dass ich keine Lust mehr hätte, dich zu besuchen. Das ist es nicht. Aber… es wird mir leider nicht mehr in Zukunft möglich sein, dich zu besuchen.“ Tief atmete Araphel durch und spürte, wie ihn die Emotionen zu überwältigen drohten und es kostete ihn unsägliche Mühe, dagegen anzukämpfen. „Weißt du… es stimmt, was Shen gesagt hat. Ich kann niemanden beschützen. Ich kann nur zerstören. Egal was ich auch tue, ich kann nicht verhindern, dass die Menschen sterben, die mir etwas bedeuten. Erst Dad, dann du, dann Christine, Asha und Yin, dann Sergej… ich bin müde, Ahava. Ich kann das alles nicht mehr. Ich fühle mich müde und erschöpft. Obwohl ich erst 31 Jahre alt bin, fühle ich mich, als hätte ich das Leben schon längst hinter mir und ich komme mir vor, als wäre ich schon ein alter Mann. Und da verstehe ich auch Sergejs Verhalten. Das Leben in der Mafia zehrt einen aus, vor allem diese Geschichte mit Shen. Ich habe keine Kraft mehr, um diesen Terror noch weitere vier Jahre auszuhalten. Ich kann nicht noch jemanden in meiner Nähe sterben sehen. Besonders nicht Sam. Wenn ihm etwas passiert, könnte ich mir das niemals verzeihen. Und… ich glaube auch nicht, dass ich das durchstehen könnte, nachdem ich euch schon alle verloren habe. Wirklich jeder, der in mein Leben tritt, stirbt. Ich bin das alles so leid. Glaubst du, dass es eine Strafe dafür ist, weil ich auch andere Wege gehe, um zu überleben? Meinst du, wir hätten ein ganz anderes Leben führen können, wenn wir in ein anderes Flugzeug gestiegen wären? Hätten wir es dann besser gehabt, oder wären wir nur im nächsten Waisenhaus gelandet, oder hätten in Israel auf der Straße leben müssen? Ich wünschte, ich wäre tatsächlich so stark, wie alle von mir behaupten. Aber ich bin es nicht. Ich bin schwach und ich zweifle auch an mir, dass ich es wirklich schaffen kann. Aber wenn es jetzt nicht endet, wann dann? Es hat schon zu viele Opfer gegeben und es wird erst aufhören, wenn Shen endlich tot ist. Alle wissen, dass er zu gefährlich ist, um am Leben zu bleiben. Seine Macht hier in Boston ist zu groß und die Yanjingshe in Shanghai hat über viertausend Mitglieder. Das ist mehr, als Charles Manson in seiner Sekte hatte. Und ich glaube, das FBI weiß es auch und sie haben auch längst erkannt, dass es kaum einen Weg gibt, Shen auf normalem Weg zu stoppen. Er hat zu große Macht und einen zu starken Einfluss und solange er lebt, ist niemand in dieser Stadt sicher. Zwar habe ich jetzt die Camorra-Familie als Unterstützung, aber zusammengerechnet sind wir trotzdem nicht mal ansatzweise so zahlreich wie die Yanjingshe. Wenn wir es beenden wollen, dann jetzt, ansonsten hört es nie auf und diese abartigen Warenhäuser werden weiterhin bleiben. Ich muss das tun, verstehst du? Shen hat es von Anfang an geplant, dass es auf uns beide hinausläuft, weil er mich ausgewählt hat. Vielleicht, weil er irgendwelche perversen Vergnügen aus seinem Spiel zieht, oder er denkt, dass ein Lehrer von seinem Schüler niedergestreckt werden sollte. Zuzutrauen ist diesem Psychopathen eh alles.“ Mit einem leisen „ach ja“ und einem anschließenden Seufzer steckte Araphel die Hände in die Jackentaschen und betrachtete den bewölkten Himmel. Etwas Melancholisches und Müdes lag in seinem Blick. Wer ihn gesehen hätte, der hätte ihn tatsächlich für einen alten Mann im Körper eines 30-jährigen gehalten. „Meinst du, Sam wird mich hassen?“ fragte er nach einer längeren Pause. „Verübeln würde ich es ihm nicht. Aber es ist das Beste, auch für ihn. Einen besseren Weg gibt es leider nicht, diesen Mafiakrieg zu beenden und zu verhindern, dass es einen internationalen Konflikt gibt und es noch eine Vendetta nach sich zieht. Sonst hört es nie auf und ich bin es leid. Ich bin diese ständigen Fehden leid, die Geschäfte, die Auftragsmorde, die Erpressungen und das ganze Tamtam. Du weißt, ich wollte nie Mafioso werden, aber es war die Voraussetzung, wenn wir adoptiert werden wollten. Du hast mir nie Vorwürfe gemacht und obwohl du die Mafia gehasst hast, bist du immer bei mir geblieben und warst für mich da. Aber ich war wohl nie für dich da, genauso wenig wie ich für die anderen da war. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht dafür gemacht. Na wenigstens ist das Einzige, was ich tun kann, diesen Bastard endlich umzubringen. Das ist zumindest ein kleiner Trost.“ Eine kalte Brise wehte und einen Moment lang schwieg Araphel. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass Ahava jetzt in diesem Moment vor ihm stand. Es waren keine Spuren ihres Martyriums zu sehen und sie hatte wieder dieses lebhafte Leuchten in den Augen. Sie wirkte wieder so, wie sie früher immer gewesen war. Unschuldig vom Gemüt, fröhlich und treu. Mit einem teils warmherzigen aber auch teils traurigen Lächeln umarmte sie ihn, so wie sie es immer getan hatte, wenn sie ihn aufmuntern wollte. „Du schaffst das schon“, hörte er sie in seinem Geiste sagen. „Ich glaube an dich, Bruderherz. Bis jetzt hast du nie aufgegeben. Mach dir nur keine Sorgen um mich, ich komme schon zurecht.“ Und diese Vorstellung war so stark, dass er für einen Moment tatsächlich das Gefühl hatte, ihre Umarmung zu spüren. Doch als er die Augen wieder öffnete, wusste er, dass es nur eine Illusion gewesen war. Schließlich besuchte er ein Grab, welches noch frisch war und wo viele Blumen lagen. Der Name auf dem Grabstein lautete „Christine Cunningham“. Bevor er ging, wollte er auch sie besuchen, auch wenn es ihm schwer fiel. Zu deutlich waren noch diese Bilder, als sie kreidebleich und mit schmerzverzerrtem Gesicht blutend auf der Rückbank lag und immer schwächer wurde. Und er musste an den Anblick denken, als sie tot da lag, nachdem sie ihrem hohen Blutverlust erlag. Vor allem aber schmerzte ihn, dass sie sich im Streit getrennt hatten und er es nicht ungeschehen machen konnte, dass er sie geschlagen hatte. „Christine…“, sprach er schließlich und zündete auch ihr ein Grablicht an. „Es tut mir leid, dass ich dir so viel Kummer bereitet habe. Die ganze Zeit habe ich dich wie einen Ersatz für Ahava behandelt und dich nur unglücklich gemacht. Dabei wolltest du selber nur eine Familie und Freunde haben. Die ganze Zeit habe ich dich verletzt, obwohl ich dir nichts Böses wollte… ist das der Grund, warum du mir diese Dinge gesagt hast? Weil du wolltest, dass es mir genauso wehtut? Oder wolltest du mich bloß aus dieser Scheinwelt herausholen, dass ich durch dich auch meine Schwester retten kann? Ich wünschte, ich wäre schon viel früher zur Vernunft gekommen und es hätte nicht erst deinen Tod gebraucht, damit mir klar wird, was ich falsch gemacht habe. Bitte glaub mir, dass ich dir niemals etwas Schlimmes wollte oder dich nur als Ersatz gesehen habe. Das stimmt nicht. Vielleicht hat es oft den Anschein gemacht, weil ich es in diesem Moment einfach nicht anders zeigen konnte. Selbst nachdem du mir gesagt hast, du hättest Ahava erschossen, war ich zwar wütend gewesen, aber… ich habe dich einfach nicht hassen können. Und warum? Weil du für mich auch eine Familie warst. Für mich warst du genauso eine Schwester und ich neige wohl halt dazu, ein besonders wachsames Auge auf Schwestern zu haben. Ich wollte bei dir nicht die gleichen Fehler machen wie mit Ahava und nicht zulassen, dass du meinetwegen in Gefahr gerätst. Aber letzten Endes warst du nicht wie sie. Du hast nicht diese ruhige und sensible Art besessen wie sie und dein Licht, welches du dir bewahrt hast, war eine Selbstlüge, weil du nicht mit der Wahrheit leben konntest. Alles, was ich wollte war, dieses Versäumnis von damals ungeschehen machen und nicht zuzulassen, dass du genauso sterben musst wie meine Schwester. Doch selbst das habe ich nicht geschafft, weil ich einfach nicht in der Lage bin, jemanden vernünftig zu beschützen. Alles, was ich kann, ist zerstören. Ich kann niemanden beschützen oder retten, stattdessen werden alle ins Unglück gezerrt, die in meiner Nähe sind. Ob das von Shen geplant war, sei mal dahingestellt. Aber wenigstens sind Sam und die anderen in Sicherheit. Das FBI wird sich gut um sie kümmern und ich werde tun, was getan werden muss. Nicht, dass ich extra hergekommen bin, weil ich mich bei dir ausheulen will oder so. Nein, ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich selbst nach deiner Lüge nicht hassen kann und du für immer ein Teil meiner Familie sein wirst. Glaubst du etwa, ich könnte dir tatsächlich zutrauen, dass du meine Schwester tötest? Im ersten Moment vielleicht, aber inzwischen weiß ich, dass du das nur gesagt hast, weil du nicht wolltest, dass ich mich weiterhin mit dieser Geschichte von vor vier Jahren quäle und immer noch versuche, Ahava zu retten. Darum hast du mich auch immer auf Abstand gehalten, nicht wahr? All die Jahre dachte ich, ich müsse für dich da sein und dich beschützen, aber letzten Endes war es genau anders herum. Du hast auf mich aufgepasst, mich vor meinem Schmerz zu beschützen versucht und mir den Kopf gerade gerückt, wenn es von Nöten war. Du hast Sam beschützt, weil du wusstest, wie viel er mir bedeutet und du nicht wolltest, dass ich denselben Schmerz erleide wie bei Ahavas Tod. Bis zuletzt hast du alles getan, um das zu beschützen, was mir lieb und teuer war. Dafür möchte ich dir aufrichtig danken. Christine, ich möchte dir danken, dass du bis zuletzt als große Schwester für mich da warst und vier Jahre lang auf mich aufgepasst und mir das gerettet hast, was ich so sehr liebe. Und bitte verzeih mir, dass ich dir kein besserer Bruder sein konnte. Aber ich verspreche dir, dass es bald vorbei sein wird. Pass du nur gut auf die anderen auf, ich für meinen Teil werde diese Fehde ein für alle Male beenden und nicht zulassen, dass noch jemand aus unserer Familie stirbt. Sei mir bitte nicht allzu böse, wenn ich dich in Zukunft nicht mehr besuchen kann. Ich wollte wenigstens, dass du weißt, wie ich wirklich denke und fühle und die Dinge ein für alle Male klarstellen. Und mach dir keine Sorgen um mich, ich komme schon zurecht. Ich bin schon immer zurechtgekommen.“ Und nachdem er auch Yin, Asha und Sergej einen letzten Besuch abgestattet und lange zu ihnen gesprochen hatte, begannen die ersten Tropfen vom Himmel zu fallen. Hieraufhin kehrte der Mafiaboss zu seinem Wagen zurück und fuhr nach Hause. Und binnen weniger Sekunden brach ein gewaltiger Regenguss herein. Kapitel 34: Shen wird verhaftet ------------------------------- „Lord Bacon hat mit Recht gesagt, die Rache sei eine Art wilder Gerechtigkeit. Sie ist es und ohne diesen wilden und rauen Stamm gäbe es keine Gerechtigkeit in der Welt.“ Edmund Burke, irisch-englischer Staatsmann „So, Mr. Yuanxian. Dann wollen wir doch mal sehen, wie lange Ihnen noch zum Lächeln zumute ist.“ Geräuschvoll hatte Agent Sadie James die Akte auf den Tisch fallen lassen und ihr Dank klang mehr wie kaltschnäuziger und abwertender Sarkasmus. Gegenüber von ihr auf einem Stuhl saß niemand anderes als Shen Yuanxian, den sie heute Morgen festgenommen hatte, nachdem sie bei der Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht des mehrfachen Mordes und Menschenhandels begründen konnte. Sie hatte daraufhin die Gelegenheit genutzt, um auch gleichzeitig einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen und die Spurensicherung in das Anwesen des Mafiabosses zu schicken. Sie würde schon dafür sorgen, dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb und das gesamte Haus auseinandergenommen wurde. Und vor allem würde sie dafür sorgen, dass dieser verdammte Psychopath vor ihr nicht so leicht davonkam. Allein schon ihr Ehrgeiz trieb sie dazu. Seit 20 Jahren war sie beim FBI und seit über 15 Jahren hatte sie den schlimmsten Abschaum festgenommen, den die menschliche Gesellschaft hervorgebracht hatte. Kinderschänder, Serienkiller, Psychopathen, Nekrophile und sogar zwei Kannibalen. Sie hatte schon genug gesehen, als dass sie sich von jemandem wie Shen einschüchtern lassen würde. Da konnte er noch so viele Leute auf seiner Seite haben, selbst Charles Manson war verurteilt worden. Schon als sie mit dem Durchsuchungs- und dem Haftbefehl vor seiner Tür stand, hatte Shen ein selbstsicheres Lächeln im Gesicht gehabt und selbst als man ihn daraufhin abgeführt hatte, war er die Ruhe selbst geblieben. Er hielt sich selbst für unantastbar und war sich sicher, dass es keinen einzigen Beweis gab, der ihn zu Fall bringen konnte. Dem mochte so sein, solange Sadie nur ein paar wackelige Zeugenaussagen hatte, während Shen ein scheinbar felsenfestes Alibi hatte. Es würde außerdem sehr schwer werden, ihm nachzuweisen, dass er etwas mit dem Slave Shipping Service zu tun hatte. Doch Sadie wäre nicht beim FBI, wenn so etwas sie aufhalten würde. Schließlich breitete sie die Fotos der Verstorbenen aus, die nach der Aussage von Sam Leens von Shen getötet worden seien. „Kommen Ihnen diese Personen bekannt vor?“ Shen blickte nur kurz auf die Fotos und verzog nicht einmal die Miene, sondern lächelte nur hochmütig. „Nein“, sagte er nur. „Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.“ „Das ist ja eigenartig“, meinte Sadie und beugte sich über den Tisch zu ihm herüber. „Weil nämlich diese zwei hier von Ihnen höchstpersönlich enthauptet worden sind.“ Sie deutete auf die Fotos von Asha und Yin und wurde deutlich aggressiver in ihrem Ton. „Muss wohl ein schönes Gefühl gewesen sein, nicht wahr? Sie haben es richtig genossen, Ihre Macht über sie auszuspielen und sie leiden zu lassen. Und dieser Frau hier haben sie erst die Hand gebrochen, auf sie eingetreten und ihr dann das Bein abgetrennt, sodass sie verblutet ist.“ Immer noch keine einzige Regung bei Shen. Doch Sadie wusste ganz genau, dass es in seinem Inneren anders aussah. Ja, diese Bilder tauchten vor seinen Augen auf und er genoss diese Erinnerung, zehrte von ihr und lebte dieses Gefühl der Macht vollständig in seiner kranken Fantasie aus. Das sah sie schon an seinen Augen und in der Hinsicht waren für sie alle narzisstischen Serienmörder gleich. „Es muss ein wirklich tolles Gefühl sein, über Leben und Tod verfügen zu können, nicht wahr? Es ist, als würde man einem Insekt die Beine und Flügel ausreißen. Wir alle kennen das, als wir Kinder waren. Nur sind Kinder zu naiv um zu wissen, was sie da tun. Und Insekten sind keine Menschen.“ „Und was unterscheidet uns großartig von den Insekten?“ fragte Shen spitzfündig und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wenn man einem Insekt die Beine ausreißt, fühlt es keine Schmerzen? Wenn wir einem Fisch den Körper aufschlitzen und ihm die Eingeweide herausnehmen, während er lebt, verspürt er da keine Todesangst? Der einzige Unterschied besteht doch darin, weil weder Fische noch Insekten in der Lage sind, sich ihrer Schmerzen zu entäußern. Sie schreien nicht, ihr Gesicht zeigt keinen Ausdruck von Leid, folglich also kümmert es uns nicht, was wir ihm antun. Wir weinen, wenn ein Vogel singt, aber nicht, wenn ein Fisch blutet. Aus dem einfachen Grund, weil eine Stimme mehr Wirkung hervorruft, als der bloße Anblick von Elend.“ „Für jemanden, der Menschen verstümmelt und tötet, sind Sie ja sehr philosophisch.“ „Ich habe niemanden getötet.“ „Und was ist mit dem Massenmord in dem Shanghaier Bordell?“ „Für einen angeblichen Massenmord in meiner Heimat können Sie mich hier in Boston nicht belangen.“ „Als ob mich das großartig interessiert. Glauben Sie mir, ich hab schon genug von Ihrer Sorte eingebuchtet und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Fallbeil auch auf Ihren Kopf niedersaust, wenn Sie erst mal verurteilt sind. Sie sind nichts weiter als ein Mörder und wenn Sie erst mal im Gefängnis sitzen, wird Ihre Gefolgschaft sich schnell einen anderen Boss suchen.“ Doch Shen schien der anderen Meinung zu sein. Er faltete die Hände und sah der blonden Frau direkt in die Augen. Immer noch strahlte er Selbstsicherheit und Überlegenheit aus. „Wissen Sie, womit man sich Menschen am besten gefügig macht? Mit Verständnis, Nächstenliebe oder Barmherzigkeit? Nein, mit Angst. Indem man sich die Macht anderer Menschen zunutze macht, folgen sie einem ohne Sinn und Verstand. Wir werden von unserer Angst beherrscht und wer die Angst beherrscht, hat Macht über Menschen. Das ist ein natürliches Prinzip, denn wir sind genetisch so veranlagt, dass wir uns unserer Angst unterwerfen, weil sie in erster Linie unserem Schutz zu dienen scheint.“ „Und Sie haben Angst davor, ohne alles da zu stehen und wieder dort zu landen, wo sie aufgewachsen sind“, konterte Sadie James sofort, wohl wissend, dass sie ihn am besten aus der Reserve locken konnte, wenn sie ihn dort traf, wo es ihm am meisten wehtat. Und dazu brauchte sie nur seinen Stolz zu verletzen. Denn das war etwas, was jeden Narzissten zur Weißglut brachte, weil es ihren Glauben zerstörte, sie seien unfehlbar. „Ich kenne Ihre Geschichte. Sie und Ihr Bruder wurden von den eigenen Eltern im Kindesalter an die Yanjingshe verkauft und waren selber Sexsklaven. Ihr älterer Bruder starb vor Ihren Augen. Es muss wirklich grausam sein, von den eigenen Eltern im Stich gelassen zu werden und als Eigentum gebrandmarkt zu werden. Ist es nicht so, dass man Sie damals gebrandmarkt hat, genauso wie all diese Huren und Stricherjungen, die nur dann solange am leben bleiben durften, wie sie von Nutzen waren? Und wenn sie dann ausrangiert waren, hat man sie dann einfach getötet, oder an die Organhändler ausgeliefert. Ich kann mir denken, dass das keine sonderlich schöne Kindheit war. Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, dann hätte ich den Kerl, der meinen Bruder zu Tode gefickt hat, gleich den Schwanz abgeschnitten.“ Nun war eine leichte Verdüsterung in Shens Blick bemerkbar. Diese vulgäre Sprache und diese unschönen Geschichten, die ihn an jenes verhasste Kapitel in seiner Vergangenheit erinnerten, waren ganz und gar nicht sein Gesprächsthema. Und genau darauf fuhr Agent James ab. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie gerne über alles andere sprechen können. Dass er deinen Opfern die Beine abtrennte, um sie vollständig unter seiner Kontrolle zu haben, dass er gefährlich und einflussreich war. Doch dass sie seine Kindheit im Bordell ausbreitete, passte ihm ganz und gar nicht und es machte ihn wütend. „Sie haben keine Vorstellung, was es heißt, an so einem Ort aufzuwachsen“, sprach er schließlich mit einem verbitterten Unterton. „Also tun Sie nicht so, als hätten Sie Ahnung von solchen Dingen.“ „Das stimmt vielleicht, aber ich habe genug solche Dinge gesehen“, erklärte sie und setzte sich nun hin. Sie war vorsichtig, denn Shen trug keine Handschellen. Da er aufgrund seines kaputten Knies kaum laufen konnte, war er auf Gehhilfen angewiesen. „Aber Sie haben es geschafft, sich bis an die Spitze hochzuarbeiten. Sie konnten vom Sexsklaven zum einflussreichsten Mann in Shanghai aufsteigen und zum Oberhaupt jener Triade werden, die Ihnen Ihre Kindheit und Ihren Bruder geraubt hat. Sie haben alles erreicht, was es nur zu erreichen gilt. Aber eines haben Sie bis heute nicht geschafft.“ „Und was?“ „Sie können diesen einen schwarzen Fleck nicht entfernen. Nämlich dass Sie nach wie vor als Sklave gebrandmarkt sind. Selbst wenn Sie das Oberhaupt der Triade sind, so sind Sie immer noch das Eigentum einer Bande, die Kinder zur Prostitution zwingen und an irgendwelche pädophilen Perversen verkaufen. Und egal was Sie auch tun, nichts wird diese Tatsache ändern. Da können Sie noch so viele Menschen tyrannisieren oder ermorden, Sie können den größten Sklavenhandelring der Welt auf die Beine stellen, es wird nichts an der Tatsache ändern, dass Sie nach wie vor nichts Weiteres als ein Besitz sind. Und Sie rennen wie ein Feigling davor weg.“ „Beweisen Sie das erst mal!“ erwiderte Shen, der zwar innerlich ziemlich wütend war, sich aber äußerlich wieder vollständig gefangen hatte. Es ist alles in Ordnung, dachte er sich. Weder die Polizei noch das FBI haben irgendwelche Beweise, die mich überführen können. Da können sie noch so lange herumquatschen wie sie wollen, letzten Endes werde ich als Sieger hervorgehen, weil ihnen die Beweise fehlen, mit denen sie mich meiner Geschäfte überführen können. Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen mir und dem Service. „Haben Sie irgendwelche Beweise, die belegen, dass ich persönlich mit diesen Dingen auch nur das Geringste zu tun habe?“ „Da haben wir genügend Anhaltspunkte“, erklärte Sadie James und legte ihm weitere Fotos vor. „Zwei Ihrer Opfer hatten dasselbe Brandzeichen wie Sie und es konnte eindeutig als das Zeichen Ihrer Triade identifiziert werden. Und sobald wir die Leichen von Reesa Sullivan, Asha Luan und Yin Wong exhumiert und untersucht haben, wird man sicherlich genauso so ein Brandzeichen finden. Und soweit ich weiß, fehlen den Opfern beide Beine.“ „Nur weil ihnen die Beine fehlen, bedeutet das noch lange nicht, ich hätte etwas damit zu tun.“ „Ein weiterer Zeuge hat ausgesagt, dass der Slave Shipping Service ein ausgebildetes Ärzteteam hat, das allein darauf spezialisiert ist, den Sexsklaven die Arme und Beine zu amputieren und gegebenenfalls die Stimmbänder zu entfernen. Yin Wong, Asha Luan und Reesa Sullivan waren ebenfalls Sexsklaven und deshalb wurden ihnen die Beine amputiert. Bei Reesa allerdings nur eines und ein Zeuge hat ausgesagt, dass Sie derjenige waren, der diese drei Menschen getötet hat. Wenn Sie angeblich nichts mit dem Service zu tun haben, warum sollten ausgerechnet Sie persönlich diese drei Menschen ermorden? Vielleicht, weil sie sonst etwas ausplaudern könnten?“ „Ich habe ein Alibi für diese Zeit.“ „Unser Zeuge hat sehr detaillierte Aussagen gemacht und wenn die Autopsie seine Aussagen belegt und wir auch nur den winzigsten Blutstropfen in Ihrem Keller finden, der von einem der Opfer stammt, dann kann ich Ihnen garantieren, dass Ihr gekauftes Alibi wie ein Kartenhaus zusammenfällt und das nächste, was auf Sie zukommen wird, die Todesstrafe sein wird.“ Diese Frau ging Shen so langsam aber sicher auf die Nerven. Was bildete sich dieses Weib eigentlich ein, in so einem unverschämten Ton mit ihm zu reden? Er war es, der am längeren Hebel saß und nicht sie. Er hatte die Trümpfe allein in seiner Hand und er würde sie schon noch früh genug aus dem Weg räumen. Das war doch nur geblufft. Sie hatte rein gar nichts in der Hand und diese Show hier war nur der verzweifelte Versuch, ihn aus der Reserve zu locken und ihn zu einer Aussage zu bringen, die ihm zum Verhängnis werden konnte. Doch darauf konnte sie noch lange warten. Und es würde sowieso nur eine Frage der Zeit sein, bis er sich auch ihrer entledigte, nachdem sie schon so unverschämt war und ihn beleidigt hatte. Doch er konnte sich auch in Geduld üben. „Und außerdem“, fügte Agent James noch hinzu „werden wir all Ihre Konten, Computer und Dokumente prüfen. Und ich schwöre Ihnen: finden wir auch nur eine einzige scheinbar harmlose Ungereimtheit, dann kriege ich sie dran und dann werden Sie nicht mehr so siegessicher lächeln.“ Hier aber sah Shen sie direkt an und seine matten und glanzlosen dunklen Augen offenbarten nichts als Finsternis. Und das Einzige, was er sagte, war nur „Ich will meinen Anwalt sprechen.“ Das Verhör zog sich über drei Stunden, in denen es zu keinem zufrieden stellenden Ergebnis kam. Stattdessen biss sich Sadie James an Shens Anwalt die Zähne aus. Han Tsiao, der die Position als Shens persönlicher Anwalt innehatte, war ein Anwalt, der sein Fach verstand und wirklich jeden Versuch abschmetterte, Shen in die Ecke zu drängen. Schließlich, nachdem sechs Stunden Dauerverhör vergangen waren, tauschte Agent James mit ihrem Partner. Sam hatte es sich nicht nehmen lassen, als Zeuge anwesend zu sein und das Verhör mitzuverfolgen. Natürlich hinter Spezialglas und unter der Voraussetzung, dass er ging, bevor Shen aus dem Verhörraum entlassen wurde. Sadie, die sich einen Kaffee geholt hatte, gesellte sich neben ihn. „Und wie sieht nun Ihre Strategie aus?“ fragte der Detektiv und ließ Shen keine Sekunde lang aus den Augen. „Wir halten ihn 48 Stunden fest und in der Zeit stellen wir sein Haus auf den Kopf. Wenn er nicht gesteht oder wir keinen erdrückenden Beweis haben, müssen wir ihn freilassen. In den meisten Fällen ist es leider so, weil Typen wie er niemals unvorbereitet vorgehen. Sie wissen genau, wonach die Polizei sucht und sind bestens vorbereitet. Aber in einem ist er anders als die Serienmörder, die ich festgenommen habe.“ „Inwiefern denn?“ wollte Sam wissen. Sadie trank einen Schluck Kaffee und erklärte „Psychopathen führen für gewöhnlich ein Doppelleben. Sie bauen sich eine perfekte Fassade auf und sind regelrechte Wölfe in Schafspelzen. Sehr oft sind sie perfekt in die Gesellschaft integriert und üben wichtige Aufgaben aus. Beispielsweise arbeiten sie in der Gemeinde und engagieren sich für soziale Projekte. Sie können sich so gut verstellen, dass niemand ahnt, dass sie zu grausamen Taten fähig sind. Nehmen Sie sich den Killer John Wayne Gacy als Beispiel. Er war überall beliebt, freundlich und niemand hätte ihm zugetraut, dass er knapp 33 Jungen und junge Männer entführt, stundenlang vergewaltigt, massakriert und dann ihre Leichen im Keller verscharrt. Ihr Ansehen in der Gesellschaft ist für sie die perfekte Tarnung und deshalb ist es auch so schwer, sie zu überführen. Er hier ist da anders. Er macht sich nicht die Mühe, sein Umfeld zu täuschen, sondern nutzt die Mafia für seine Zwecke, die ihm Sicherheit und Schutz gibt. Das ist recht ungewöhnlich. Nur sehr wenige Serienmörder gehen so vor. Wenn ich es vereinfacht und direkt sagen würde: er wirkt auf mich wie Hitler.“ Nun schüttelte Sam aber den Kopf. „Hitler war aber kein Serienmörder, sondern ein Diktator.“ „Das mag sein“, meinte Sadie und trank noch einen Schluck. „Aber die Rolle als Mafiaboss ist genau das, was sein narzisstisches Ego braucht. Er führt sich wie ein Gott auf und seine Leute bestätigen ihm das auch, weil die Mafiagesetze es vorschreiben, dass den Befehlen eines Oberhauptes bedingungslos Folge zu leisten ist. Und Psychopathen besitzen schon eine sehr manipulative Persönlichkeit und sie verstehen es gut, die Menschen das tun zu lassen, was sie wollen. Sie besitzen weder Mitgefühl noch Schuldgefühle. Sie zwingen anderen ihre Ansichten von Richtig und Falsch auf und führen sein selbstgerechtes Leben. Shen lässt seine Leute die Drecksarbeit erledigen, aber die eigentlichen Serienmorde gehen auf sein Konto. Nämlich die der drei Toten, sowie der Giftmord an Stephen Mason und die Folterung von Araphel und Ahava Mason. Das sind seine persönlichen Kunstwerke und deshalb müssen wir uns auf diese Fälle konzentrieren.“ „Also stimmt es. Shen ist ein Psychopath, der sich als Mafiaboss tarnt und als Diktator in seinem eigenen Reich herrscht.“ „Ganz genau. Und eben das schmeckt mir überhaupt nicht. Ich verwette meine Michael Jackson Alben darauf, dass es noch richtig Ärger geben wird, wenn sein Anwalt ihn erst mal rausgeboxt hat. Denn da ich ihn auf seine Kindheit und seine Zeit als Sexsklave angesprochen habe, ist er jetzt richtig angefressen und wird mich umbringen wollen.“ Dann hieß das also, sie hatte von Anfang an darauf abgezielt gehabt, Shen so heftig zu provozieren, dass er ihr nach dem Leben trachten würde? Obwohl sie wusste, wie gefährlich er war? Sam war sich nicht ganz sicher, ob das so eine gute Idee war. Immerhin waren schon so viele Menschen der Yanjingshe zum Opfer gefallen. „Agent James, ist das wirklich eine gute Idee?“ „Ach glauben Sie mir, es ist zwar ein absolutes Himmelfahrtkommando, aber wenn so narzisstische Persönlichkeiten in ihrem Stolz gekränkt werden, dann begehen sie Fehler und darauf ziele ich ab. Dass ich ihn als Feigling bezeichnet habe, ist für ihn ein rotes Tuch gewesen und er wäre am liebsten auf mich losgegangen, das habe ich ihm schon direkt angesehen. Aber manchmal muss man eben Risiken eingehen, um ans Ziel zu kommen. So und nun sehen Sie zu, dass Sie wieder zurückfahren. Denn jetzt geht der Spaß richtig los.“ Als Sam sich von ihr abwandte, um zu gehen, sah er noch mal kurz zu ihr zurück. Sadie James war wirklich eine ungewöhnliche Frau. Obwohl sie wusste, was Shen alles getan hatte, provozierte sie ihn so dermaßen, dass er ihr nach dem Leben trachten würde. War es Wahnsinn, Leichtsinn oder Selbstüberschätzung? Oder war ihre Erfahrung auf diesem Gebiet bereits so groß, dass sie selbst mit der Schlange von Boston fertig werden würde? Sam konnte sich nicht helfen, aber irgendwie hatte er in diesem Moment das Bild einer Frau vor sich, die eigenhändig eine Schlange bekämpfte und tatsächlich zu gewinnen schien. In den darauf folgenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Während Sam zusammen mit Dr. Heian und Morphius in einer Wohnung in einer sehr ruhigen und abgeschiedenen Wohnsiedlung am Bostoner Stadtrand lebten, bekamen sie hauptsächlich nur durch Steven Kazan und Sadie James mit, was gerade passierte. Wie sich herausstellte, war auf die FBI Agentin ein Mordanschlag verübt worden. Als sie nach Hause fahren wollte, hatte man eine Bombe unter ihrem Auto platziert. Sie war mit ein paar leichten Verbrennungen und Schrammen davongekommen, kurz danach hatten Unbekannte versucht, Kazan an einer Unterführung zu überfallen und ihn mit Messerstichen zu töten. Die Angreifer hatten fliehen können, doch der Verdacht lag nahe, dass es sich um Mitglieder der Triade handelte. Wenig später gerieten die beiden in eine Schießerei, doch auch hier überlebten sie. Es schien, als hätten sich Sadies Vermutungen bestätigt: Shen sann auf Rache für die erlittene Schmach. Sie hatte die Schlange aus ihrem Nest geholt und damit aus ihrer sicheren Deckung. Und nun wurde die Schlange aggressiv und griff an, weil sie nun selber angreifbar war. Nathan half auch, so gut er konnte und durchstöberte die konfiszierten Festplatten, glich sie mit den Daten auf der Internetseite des Slave Shipping Services ab und prüfte sämtliche Metadaten, IP-Adressen und was er sonst noch brauchte. Die Arbeit ging allerdings schleppend voran, denn nach einer besonders entkräftenden Chemotherapie musste er sich mehrmals erbrechen und hatte nicht mal mehr die Kraft, sich aufzusetzen. Da er aber trotzdem helfen wollte, schickte Sadie ihm einen IT-Spezialisten ins Krankenhaus, der die Vertretung übernahm. So lag Nathan im Bett und gab Anweisungen. Agent James kam ihn ab und zu besuchen und ermahnte ihn, dass er es nicht übertreiben solle, da sie niemanden gebrauchen könne, der nicht mal die Energie hatte, sich aufzusetzen. Trotz dieser harten Worte ließ sich nicht verleugnen, dass sie ihn regelmäßig besuchte, ihm auch mal etwas zu Essen mitbrachte und zudem lange Gespräche mit dem behandelnden Arzt führte. Sam hingegen schob die meiste Zeit Frust und das entging auch Dr. Heian und Morphius nicht, die alle im selben Haus einquartiert worden waren, was vor allem für das FBI leichter machte, sie zu beschützen. Dr. Heian seinerseits war in ein nachdenkliches Schweigen verfallen, sah die meiste Zeit aus dem Fenster und hatte den Blick in die Ferne gerichtet. Morphius hingegen war anscheinend der Einzige, den die Geschichte unverändert gelassen hatte. Er rauchte wie immer seine Zigaretten, ließ die eine oder andere zynische Bemerkung fallen und lief manchmal auf und ab und unterhielt sich mit den Leuten vom FBI. Als er bemerkte, in welch schlechter Laune Sam war, gesellte er sich schließlich zu ihm, reichte ihm eine Tasse Kaffee und setzte sich zu ihm hin. Dabei fragte der Detektiv sofort „Wie kann es eigentlich sein, dass du der Einzige bist, den das alles kalt lässt? Christine, Yin und Asha waren eure Freunde, Harvey ist auch dein Freund gewesen.“ „Egal ist es mir nicht, aber man muss in so einer Situation auch mal die Gefühle beiseite lassen, um einen kühlen Kopf bewahren zu können. Ansonsten wird man unvorsichtig und ist gleich der Nächste, der draufgeht. Und du machst dir Sorgen wegen Araphel, nicht wahr?“ „Er war so komisch, als er mich rausgeschmissen hat. So abweisend kenne ich ihn eigentlich nicht und ich verstehe nicht, warum er das alles macht.“ „Aggressivität ist bei manchen ein Zeichen von Sorge und Angst“, erklärte Morphius und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Ich denke, die Sache mit der Entführung ist ihm so sehr an die Nieren gegangen, dass er lieber mit dem Feind (also sprich die Polizei) zusammenarbeitet, als ein Risiko einzugehen. Die Angst, noch jemanden zu verlieren, ist ziemlich stark bei ihm ausgeprägt und im Grunde sind wir für ihn nur noch ein Ballast. Der Kampf geht so langsam aber sicher in die Endrunde und da sind wir für ihn keine Hilfe, sondern ein Hindernis. Denn wenn einer von uns in Shens Fänge gerät, dann ist Araphel in seinen Möglichkeiten begrenzt und die Schlange hat ihn in der Hand.“ „Trotzdem habe ich ein mieses Gefühl“, murmelte Sam und trank seinen Kaffee. „Irgendwie wirkte er so, als würde ihn etwas ganz Bestimmtes beschäftigen und als würde er… naja… wie soll ich es beschreiben?“ „Es ist, als würde er sich darauf vorbereiten, seinem Ende entgegenzutreten, so wie ein Verurteilter, der seinen letzten Gang zum elektrischen Stuhl antritt.“ Überraschend hatte sich Dr. Heian zu Wort gemeldet, der bislang kaum etwas gesagt hatte. Sam nickte und murmelte „Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Er wollte mir auch nicht sagen, was los war.“ „Weißt du etwas, was wir nicht wissen, Yu-chan?“ Eine Zeit lang überlegte der Arzt noch, legte sich seine Worte gut zurecht und erklärte „Ich habe mir diese ganzen Dinge durch den Kopf gehen lassen. Was glaubt ihr, warum Shen sich ausgerechnet Araphel zu seinem Lieblingsopfer auserkoren hat und warum er jeden tötet, der Araphel nahe steht? Ich bin zwar nicht vor vier Jahren dabei gewesen, als Araphel in Shens Gefangenschaft war, aber eines ist mir in Gedächtnis geblieben: Shen bezeichnete sich immer als Schöpfer und Araphel als Zerstörer. Shen hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ein Monster zu erschaffen, das in der Lage war, das zu zerstören, was Shen nicht zerstören kann. Bedenke mal, welchen Prinzipien die beiden folgen: Beherrsche, was du nicht zerstören kannst, das ist Shens Lebensweise. Und Araphel folgt seiner Lebensweise Zerstöre, was du nicht beherrschen kannst. Ich frage mich, was in Shens Kopf vor sich geht und warum ausgerechnet Araphel ihm so wichtig bei seinen Plänen ist.“ „Psychopathen haben eine verdrehte Logik“, erklärte Morphius. „Er sieht Dinge, die kein vernünftiger Mensch sieht. Und ich glaube auch nicht so wirklich, dass da ein logischer Sinn dahintersteckt. Das ist wie bei dem Fall David Berkowitz, der unzählige Morde begangen hat, weil der Hund seines Nachbarn ihm das befohlen haben soll.“ „Wenn du besser über den Fall Bescheid wüsstest, dann wüsstest du auch, dass das eine Farce war, um Berkowitz als geisteskranken Killer darzustellen, obwohl offensichtlich eine Sekte dahintersteckte. Nein, ich beginne langsam zu glauben, dass Shen seine Unsterblichkeit anstrebt und er dafür Araphel braucht.“ „Unsterblichkeit?“ fragte Sam verwundert. „Wieso Unsterblichkeit?“ Dr. Heian nahm seine Brille ab und begann nun die Gläser zu putzen. „Wie erlangt man als Mensch Unsterblichkeit? Ganz einfach: man wird unvergesslich. Sänger werden unsterblich, weil sie zeitlose Werke kreieren und damit für immer im Gedächtnis der Menschen bleiben. Serienmörder erreichen Unsterblichkeit, indem sie Morde begehen, die sie einzigartig machen. Wie zum Beispiel Jeffrey Dahmer, John Wayne Gacy oder Ted Bundy. Sie sind das, was man als amerikanischen Alptraum bezeichnet und sie haben sich für alle Zeiten verewigt, weil man sie selbst nach knapp 30 Jahren für ihre grausamen Morde kennt. Shen verspricht sich die Unsterblichkeit, indem er etwas erschafft. Nämlich ein Monster. Er will Araphel zu einem Monster machen, das er sich in seiner kranken Fantasie ausgemalt hat und dafür muss Araphel das Gleiche durchmachen wie er. Nämlich den Verlust seiner Freunde und Familie miterleben, Erniedrigung, Machtlosigkeit, Schmerzen und Demütigungen erleben… aber vor allem zu lernen, dass die einzige Chance, sich durchzusetzen darin liegt, Menschen zu manipulieren, sie zu tyrannisieren und sie das Gleiche erleiden zu lassen. Das wäre ihm beinahe gelungen, als er dich entführt und im Keller gefangen gehalten hat, Sam. Araphel stand da bereits an der Schwelle, zu dem Monster zu werden, was Shen erschaffen wollte, aber wir haben ihn davon abgehalten. Darum bestand die logische Schlussfolgerung für Shen darin, uns alle loszuwerden. Denn dann würde niemand mehr da sein, der Araphel zur Vernunft bringt. So wie ich die Sache sehe, sieht Shen Araphel als seine persönliche Schöpfung an und es würde mich nicht verwundern, wenn er sich sogar von Araphel töten lassen würde, um auf diese Weise unsterblich zu werden. Er würde als der Schöpfer eines Monsters in die Geschichte eingehen und er würde quasi durch Araphel weiterleben. Das ist seine Logik, auch wenn sie für uns vielleicht nicht zu hundert Prozent nachvollziehbar ist. Aber es ist so, dass Psychopathen bei ihren Opfern Spuren hinterlassen um zu zeigen, dass allein sie die Macht über sie haben und dass die Opfer allein ihnen gehören. Darum nehmen sie auch immer Trophäen mit. Selbst Shen wird eine Trophäe von Araphel und Ahava haben, da bin ich mir sicher und danach sucht auch das FBI. Kurzum würde ich also sagen: alles gehörte von Anfang an zu Shens Plan, selbst seine eigene Ermordung durch Araphel. Und um das Chaos perfekt zu machen, benutzt er die Gesetze der Vendetta, um einen internationalen Mafiakrieg auszulösen. Dann wird die Shanghaier Triade in Boston angreifen und dann würde die Hölle losbrechen. Das wäre das Ende für die Mason- und die Camorra-Familie.“ Das hieß also: egal wie man es drehte und wendete, auf Shens Tod würde ein blutiges Massaker folgen? Sam wurde schlecht bei dem Gedanken und er fragte sich, ob Araphel das alles auch schon bereits erkannt hatte und was er diesbezüglich nun vorhatte. Ob er vielleicht einen Weg gefunden hatte, das Ganze zu verhindern? Oder plante er vielleicht etwas ganz anderes? Irgendwie war dem 28-jährigen überhaupt nicht wohl bei der ganzen Geschichte. Kapitel 35: Wiedersehen und Abschied ------------------------------------ „Willst du an jemandem Rache üben, einzig und allein erreichst du nur, dass du ihm damit erlaubst, dich weiter zu verletzen.“ Thomas Fuller, englischer Prediger Es war spät in der Nacht und Araphel hatte sich in seine Privaträume zurückgezogen. Er war müde und erschöpft, nachdem er den ganzen Tag mit Victor die letzten Details besprochen hatte. Im Haus war es bedrückend still geworden. Alle waren fort. Christine, Yin und Asha waren tot, Sam, Morphius und Dr. Heian waren im Zeugenschutzprogramm. Nun gab es kein Zurück mehr. Schon bald würde dieser jahrelange Wahnsinn ein Ende haben und der Terror der Yanjingshe vorbei sein. Dann konnten all jene endlich in Frieden ruhen, die Araphel zum Opfer gefallen waren. Und er selbst würde endlich seinen Frieden finden und für immer mit diesem Thema abschließen können. Wenigstens war es ein tröstlicher Gedanke, dass zumindest Dr. Heian, Morphius und Sam dann in Sicherheit waren und wieder ihr normales Leben fortführen konnten. Dennoch schmerzte die Einsamkeit. Er wollte Sam wenigstens ein einziges Mal wiedersehen, aber er widerstand mit eisernem Willen diesem Verlangen. Sein Entschluss stand fest und er durfte sich bloß nicht von seinen Gefühlen durcheinanderbringen lassen. Nicht jetzt. Kurzerhand holte er eine Zigarettenschachtel aus der Tasche seines Jacketts, nahm sich einen Glimmstängel heraus und begann zu rauchen. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nie wieder diese verdammten Sargnägel anzurühren, aber gerade war sein Verlangen nach einer Zigarette zu groß. Noch so ein Laster, das er nicht gebrauchen konnte… Um sich ein wenig von der Stille abzulenken, schaltete er Musik an und hörte bemerkte, dass Nickelback spielte. Christine hatte diese Band geliebt, genauso wie Ahava. Es weckte Erinnerungen an glücklichere Zeiten, als noch so viel Leben in diesem Haus geherrscht hatte. Er legte daraufhin eine andere Musik ein, woraufhin nun eine leise Jazzmelodie ertönte. Ja, das war mehr nach seinem Geschmack. Nachdenklich blies er den Nikotinrauch aus und ließ sich ein wenig von der Melodie fortreißen, da sprach plötzlich jemand „Hat dir niemand gesagt, dass Rauchen schädlich ist?“ Diese vertraute Stimme warf den Mafiaboss nun völlig aus der Bahn, denn als er zum Fenster blickte, sah er tatsächlich, dass da Sam gerade dabei war, ins Zimmer einzusteigen. Dem 31-jährigen viel vor Sprachlosigkeit und Fassungslosigkeit die Zigarette fast aus dem Mund und für einen Moment wusste er nicht, ob er wütend sein oder sich freuen sollte. Letzten Endes entschied er sich für das Erste. „Was machst du hier?“ rief er aufgebracht. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich von mir fernhalten. Du bist im Zeugenschutzprogramm und spazierst hierher?“ Doch von seiner Schimpftirade blieb Sam unbeeindruckt. Stattdessen kam der Detektiv direkt zu ihm hin und umarmte ihn. „Ich wollte dich wiedersehen“, erklärte Sam und klammerte sich fest an ihn. „Ich hatte Sehnsucht nach dir und ich habe mir Sorgen gemacht.“ Diese Worte entwaffneten den Mafiaboss fast wieder und er merkte, wie seine Willenskraft, Sam wieder fortzuschicken, merklich schrumpfte. Er hätte wirklich lügen müssen, wenn er gesagt hätte, dass er keine Sehnsucht nach Sam verspürt hatte. Um ehrlich zu sein hatte es ihm selber schrecklich wehgetan, ihn wegzuschicken, aber es war das Beste gewesen, vor allem weil er nicht noch jemanden verlieren wollte, der ihm etwas bedeutete. Und so hatte er, ehe er sich versah, die Umarmung erwidert und Sam fest in seine Arme geschlossen. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, seit er zuletzt so eine Umarmung verspürt hatte. Und in dieser Verfassung schaffte er es auch nicht, die nötige Kraft aufzubringen, um ihn wieder fortzuschicken. Stattdessen fanden sie sich beide leidenschaftlich küssend in einer innigen Umarmung wieder, als hätte es alles Unglück die letzten Jahre nicht gegeben. Sie beide wussten, dass sie beide das Gleiche wollten und fühlten. Und so vergaßen sie alles um sich herum und gaben sich ihrer eigenen Schwachheit hin. Ihre Sehnsucht war einfach zu stark. Sam, der einfach nur froh war, Araphel wiederzusehen und ihm nahe sein zu können, wurde auf das Bett niedergedrückt, nachdem Araphel ihm seinen Pullover abgestreift hatte. Diese zärtlichen und doch zugleich leidenschaftlichen Berührungen zu spüren, ließ Sams Herz höher schlagen. Als Araphel seinen Hals küsste und mit seiner Hand über seine Brust streichelte, erinnerte sich Sam wieder an ihre letzten gemeinsamen Stunden zurück. Er dachte an die beiden gemeinsamen Tage im Penthouse, die sie als Paar miteinander verbracht hatten. Wie sehr wünschte er sich, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde und dass es vielleicht eine Chance gab, dass sie diese gemeinsame Zeit wiederholen konnten, wo er kein Detektiv und Araphel kein Mafiaboss war. Er bereute es nicht, dass er sich einfach so davongeschlichen hatte. Nachdem er erfahren hatte, dass Shen in Untersuchungshaft saß, da Nathan verräterische Daten auf seiner Festplatte gefunden hatte, die ihn eventuell mit dem S.S.S. in Verbindung brachten, hatte er sich auf den Weg gemacht. Zwar war es immer noch nicht sicher, aber er wollte einfach die Gunst der Stunde nutzen. Langsam wanderten Araphels Lippen seinen Hals hinunter zu seinem Schlüsselbein und Sam überfuhr ein heißer Schauer, als er spürte, wie eine feuchte Zunge seine Brustwarzen umspielte und sie durch diese Stimulation langsam hart wurden. Und als Araphel vorsichtig, aber spürbar seine Zähne hineinvergrub, da entwich Sam ein leises Keuchen. In seinem Körper machte sich ein angenehmes Kribbeln bemerkbar und er wollte mehr davon. Auch Araphel schien ein wenig ungeduldig zu sein, was wohl daran lag, dass ihr letztes Schäferstündchen eine Weile zurücklag und das Verlangen nach Intimität so groß geworden war, dass ein Zurückhalten nicht denkbar gewesen wäre. Zumindest war es das, was Sam dachte. „Du bist verrückt“, hörte er Araphel flüstern. „Du begibst dich meinetwegen in Gefahr… Nach allem was passiert ist.“ „Ich habe mir Sorgen gemacht“, gestand Sam. „Nach allem was passiert ist, hatte ich Angst, ich könnte dich nie wieder sehen.“ Araphel begann Sam nun die Hose zu öffnen und zog ihm den Gürtel aus, bevor er sich dem Knopf seiner Hose widmete. Sams eisblaue Augen sahen ihn erwartungsvoll und sehnsüchtig an. Diese Augen, die ihn so manches Mal unwillkürlich an Ahavas Augen erinnerten und die in ihn den Wunsch weckten, das Leuchten dieser Augen zu beschützen und nicht zuzulassen, dass sie durch irgendetwas jemals getrübt wurden. Ganz egal welches Opfer es auch erforderte. „Du bist verrückt“, wiederholte Araphel nur und begann nun auch Sams Hose auszuziehen. Dabei sah er, wie erregt der 28-jährige war und ein kleines Lächeln zeichnete sich auf seine Mundwinkel ab. Nun legte er auch selber sein Hemd ab und wieder sah Sam diesen gut trainierten Oberkörper und die breiten Schultern. Und wieder wurde ihm bewusst, wie sehr er diesen Anblick vermisst hatte. Trotz der Narben und alten Verletzungen war Sam der Ansicht, dass Araphels Körper perfekt war. Gut gebaut, muskulös… „Sei mal ehrlich“, sagte er schließlich. „Wie hältst du dich so in Form, wenn du so viel arbeitest?“ Nun musste Araphel lachen, als er diese Frage hörte. „Ich sehe schon, du stehst auf Muskeln, hm?“ „Kann schon sein“, gestand der Detektiv und kicherte. „Wobei ich aber nicht auf so einen Terminator stehen würde, wenn du verstehst was ich meine.“ „Schön zu hören, dass du mich einem Arnold Schwarzenegger vorziehst. Ich hab schon mit 17 Jahren die internationale Kickboxmeisterschaft gewonnen und wenn ich mich abreagieren muss, ist Gewichte stemmen ein gutes Mittel.“ „Heiß…“, kommentierte Sam, setzte sich auf und küsste Araphel und fasste den Entschluss, ihn nun seinerseits zu verwöhnen, bevor es zur Sache ging. Also öffnete er nun Araphels Hose und schob sie ein wenig herunter. Daraufhin ließ er Araphels Penis in seinen Mund gleiten und begann ihn mit seiner Zunge zu verwöhnen. Er wollte, dass Araphel sich genauso gut fühlte und dachte daran, wie der Mafiaboss es am liebsten hatte. Und während er den Schaft mit seiner Zunge bearbeitete und an der Eichel saugte, massierte er mit seiner Hand Araphels Hoden, um ihn noch zusätzlich zu stimulieren. Und das blieb nicht ohne Wirkung, denn er hörte, wie der 31-jährige nun geräuschvoller atmete. Ein Zeichen dafür, dass es ihm gefiel und das motivierte Sam, weiterzumachen und einen Zahn zuzulegen. Er wollte ihn zu seinem Orgasmus bringen und dafür sorgen, dass dieses Wiedersehen für sie beide unvergesslich wurde. „Ah… Sam…“ Der Detektiv spürte, wie sich eine Hand auf seinen Kopf legte. Araphels leises Stöhnen ließ seine Erinnerungen wieder zu ihrer gemeinsamen Zeit im Hotel zurückschweifen, wo sie ganz alleine waren und wo sie endlich wie ein ganz normales Paar zusammen sein konnten. Und in diesem Moment fragte sich Sam, ob er je wieder so eine Zeit erleben würde, oder ob es nur bei dieser Erinnerung allein bleiben würde. Wenn Shen verurteilt und hingerichtet wurde, dann war die Chance groß. Aber sie wussten alle, dass die Wahrscheinlichkeit noch größer war, dass das FBI ihn freilassen musste, weil er es letzten Endes doch schaffte, sich wieder aus dieser Falle herauszuwinden. In dem Fall würden sie nie Ruhe finden. Sam wäre gezwungen, weiterhin im Zeugenschutzprogramm zu bleiben. Vielleicht würde er in einen anderen Staat ziehen müssen und Araphel nie wieder sehen. Daran wollte er am liebsten gar nicht denken. Etwas in ihm hoffte immer noch, dass es einen Weg gab, wie sie in Frieden leben konnten und dass es möglich war, dass Shen für immer hinter Gittern blieb oder am besten die Todesstrafe bekam. Vielleicht gab es eine Zukunft, in der Araphel kein Mafioso mehr war und sie beide einen Neuanfang machen konnten. Irgendwo, wo man sie nicht kannte und sie beide ihre Ruhe hatten. Als Araphel zu seinem Höhepunkt kam und sich in Sams Mund ergoss, entfernte sich der Detektiv von ihm und spürte den bitteren Geschmack auf seiner Zunge, schluckte aber dennoch alles. Zur Belohnung küsste Araphel ihn und drückte ihn wieder zurück aufs Bett. „Nun bist du an der Reihe“, kam es vom Mafiaboss und als er sich über Sam beugte, sah dieser wieder diesen mächtigen und starken schwarzen Löwen vor sich, in den er sich verliebt hatte. Er scheute wie gebannt in die dunklen Augen des Mafiabosses und glaubte schon, sich in diesen Augen vollständig zu verlieren, als er auch schon spürte, wie sich Araphels Finger durch seinen Schließmuskel drückten. „Ah!“ Sam spreizte die Beine noch ein wenig und streckte sich Araphels Finger entgegen und spürte, wie sie tief eindrangen. Wie hatte er dieses vertraute Gefühl vermisst hatte und wieder erschien es ihm so, als würde ihr letztes Mal schon Ewigkeiten zurückliegen. Und auch Araphel entging nicht, dass Sam stärker als sonst reagierte und konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. „Du scheinst ja wirklich Sehnsucht nach mir zu haben.“ „Musst du gerade sagen. Wer hat mich denn bitte aufs Bett niedergedrückt?“ „Versuch bloß nicht, alles auf mich zu schieben.“ Als Araphel Sam an seinem ganz besonderen Punkt berührte, konnte der Detektiv nicht mehr an sich halten. Ohne es zu wollen wurde er von einem unbeschreiblichen Gefühl erfüllt und vor seinen Augen wurde kurz alles weiß, als er zu seinem Orgasmus kam. Er konnte es selbst nicht glauben, dass er jetzt schon kam und ein klein wenig schämte er sich auch deswegen. Araphel nahm das gleich zum Anlass, um ihn ein bisschen aufzuziehen, wobei sein Lächeln fast schon ein wenig hochmütig wirkte. „Na du hast ja anscheinend Druck auf der Leitung. Du hältst es wohl keine drei Wochen ohne mich aus, wie?“ „Unser letztes Mal liegt schon vier Wochen zurück“, gab Sam zurück. „Und was ist mit dir?“ „Das ist mein Geheimnis.“ „Jetzt mal im Ernst: hat deine Thaimasseuse einen Extraservice rausspringen lassen?“ Da Araphel dies nur als scherzhafte Eifersüchtelei von Sam wertete, ignorierte er diese Unterstellung und konzentrierte sich auf das, was er eigentlich machen wollte. Doch sein Blick kehrte immer wieder zu Sams Handgelenken zurück, die immer noch bandagiert waren. Sam hatte so sehr an seinen Fesseln gezerrt gehabt, dass sich die gesamte Haut aufgeschürft hatte, bis sie geblutet hatte. Und auch an seinem Rücken trug er noch dieses spezielle Pflaster für Brandverletzungen über jener Stelle, wo er von Shen gebrandmarkt worden war. All seine Bemühungen, Sam all dies zu ersparen, waren vergebens gewesen und er hatte es lediglich geschafft, zu verhindern, dass Shen ihn nicht zum Krüppel machte und ihn dann zu einem Sexsklaven abrichten ließ und ihn an irgendwelche Freier verkaufte. Doch es war keine Garantie, dass es nicht vielleicht doch noch passieren konnte. Shen saß zwar im Gefängnis, aber Araphel wusste, dass er freikommen würde. Entweder weil die Beweise nicht ausreichten, weil er ausbrechen würde oder vielleicht sogar weil er bei seiner Gerichtsverhandlung die Jury bestach. Alles war möglich. Und kaum, dass er freikommen würde, war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass seinem Zorn ein Massaker folgen würde, genauso wie in Shanghai, als er einen regelrechten Massenmord in diesem Bordell angerichtet hatte. Er würde ganz Boston wissen lassen, dass er unantastbar war und dass niemand es wagen durfte, sich ihm entgegenzustellen. Er wusste es, er hatte es die ganze Zeit gewusst. Aus diesem Grund hatte er Sam, Dr. Heian und Morphius dem FBI überlassen, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, sie gut genug zu beschützen. Nicht seit der Entführungsgeschichte. Und er wusste, was er als nächstes zu tun hatte. „Das reicht“, hörte er Sam sagen. „Ich will nicht mehr warten.“ Damit zog Araphel seine Finger wieder aus Sams After und versuchte, sein Vorhaben zumindest vorübergehend aus ihren Gedanken zu verbannen. Er wollte nicht, dass Sam merkte, welchen Entschluss er gerade gefasst hatte. Sams Arme schlangen sich um Araphels Rücken und ertasteten dabei ungewollt auch die Narben auf seinem Rücken. Als er spürte, wie ein viel stärkerer Druck auf seinen Schließmuskel ausgeübt wurde, der anfangs ein klein wenig schmerzhaft war, wurde die Umarmung fester. Er keuchte und seine Finger verkrallten sich in Araphels Schulterblätter. Langsam drang Araphel immer tiefer in ihn ein und der immense und heiße Druck raubte ihm für einen Moment fast den Atem. „Aaah… ha…“ Sams Stöhnen war lauter als sonst und erfüllte den ganzen Raum. Tief und kraftvoll stieß Araphel zu und ließ sich selbst von dieser unbeschreiblichen Leidenschaft fortreißen, die in ihm jeglichen Gedanken auslöschte und die ihn alles um sich herum vergessen ließ. Jetzt in diesem Moment war ihm nichts mehr wichtig. Sam rang nach Atem und ihm war, als würde sein Körper zerfließen. Ihm war so unbeschreiblich heiß zumute und auch der Schmerz wurde von einer überwältigenden Welle der Lust betäubt. Für einen kurzen Augenblick wurde seine Sicht von einem weißen Nebelschleier verdeckt und sein Körper bebte, als Araphel ihn wieder an jenem ganz besonderen Punkt traf, der ihm heiße Schauer bescherte. „Ah… Aaaah… Araphel…“ Sam konnte deutlich spüren, wie sich Araphels Muskeln anspannten, sein Herz immer schneller und kräftiger schlug und wie sein Körper, der vor Schweißtropfen glänzte, immer heißer wurde. Sein heißer Atem und sein schweres Keuchen wirkten fast hypnotisierend auf den 28-jährigen, der sich an ihm festhielt, als bräuchte er diesen Halt, um nicht unterzugehen. Doch er wusste, dass es noch etwas anderes war. Er wollte dieses Gefühl in sein Gedächtnis einbrennen, dass dies kein Traum war, keine Wunschvorstellung, sondern Realität. Er und Araphel waren wieder vereint und sein Entschluss stand fest, nicht mehr von seiner Seite zu weichen und ihn sich selbst zu überlassen. Nein, er wollte ihm zur Seite stehen und ihm helfen, diese schweren Zeiten durchzustehen, ganz egal was auch geschah. „Sam…“ Als er hörte, wie Araphel seinen Namen aussprach, schnürte etwas ihm die Brust zu. Es hatte einen fast traurigen Nachklang, etwas Verzweifeltes. Sam küsste daraufhin den Mafiaboss und schaffte es, ihm unter schwerem Keuchen zu sagen „Ich bin bei dir…“ Als sie beide gemeinsam zum Höhepunkt kamen, lagen sie noch einen Moment eng umschlungen auf dem Bett, keuchend und mit rasendem Herzen. Dann aber setzte sich Sam auf, suchte seine Jacke und holte sein Asthmaspray heraus. Er war deutlich kurzatmiger geworden und ging lieber auf Nummer sicher. Nachdem er einen kräftigen Zug genommen hatte, spürte er, wie er deutlich besser atmen konnte. Auch Araphel hatte sich aufgesetzt und wirkte sehr schweigsam. Er war wieder so besorgniserregend still und Sam fragte sich, was in seinem Kopf wohl vor sich ging. „Araphel“, sprach er schließlich. „Wir können das gemeinsam schaffen. Ich will nicht, dass du das alles alleine schultern musst.“ Nun sah der Mafiaboss ihn direkt an und lächelte schwach, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Dann aber nickte er und meinte „Ja, vielleicht hast du Recht.“ „Wenn das alles vorbei ist, können wir beide einen Neustart machen, was hältst du davon? Wir könnten beispielsweise wegfahren und eine Weile Abstand von Boston nehmen.“ „Klingt gut“, murmelte Araphel. „Aber es ist noch zu früh, sich über derlei Dinge Gedanken machen. Gehst du zuerst unter die Dusche? Ich hole uns eben was zu trinken.“ „Klar“, meinte Sam, sammelte seine Sachen zusammen und huschte ins Bad. Araphel seinerseits zog einen Bademantel an und holte sowohl Getränke als auch eine kleine Tablette, die er in das Glas gab. Soweit so gut, dachte er sich. Sam hatte keinerlei Verdacht geschöpft und hatte überhaupt nicht in Betracht gezogen, dass dies hier keine Wiedervereinigung werden würde. Nein, sein Entschluss stand nach wie vor fest, es alleine zu beenden und Sam da rauszuhalten. Er wäre nur im Weg und er wusste, dass er das letzte Stück alleine gehen musste. Es war die einzige Möglichkeit, diesen Alptraum ein für alle Male zu beenden und die anderen zu beschützen. Als Sam wenig später aus der Dusche zurückgekehrt war, tranken sie gemeinsam. Selbst da merkte der 28-jährige nichts. Als er sein Glas ausgetrunken hatte, stellte er es beiseite und nahm Araphels Hand. „Hör mal“, sagte er schließlich. „Du musst mir versprechen, nichts Unüberlegtes zu tun. Ich habe mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen und ich glaube, dass Shen dich in eine Falle locken will. Wenn du ihn umbringst, wird es zu einem internationalen Mafiakrieg ausarten und dann würde alles nur schlimmer werden. Warum lässt du nicht einfach die Vendetta sein und lässt mich das erledigen? Ich könnte dem FBI helfen und wenn Shen in der Todeszelle ist, dann kann er nichts mehr tun und die Yanjingshe würde ihre Macht verlieren. Und…“ Sam sprach nicht zu Ende, sondern rieb sich die Augen, als er plötzlich von einer lähmenden Müdigkeit überrascht wurde. Seine Augenlider wurden immer schwerer und er versuchte angestrengt wach zu bleiben, doch selbst seine Gedanken waren wie gelähmt. Was war nur mit ihm los? „Wahrscheinlich“, murmelte Araphel und stand nun auf. „Aber es wird leider kein „wir“ mehr geben.“ „Was meinst du damit?“ Sam spürte, wie sein Körper immer schwerer wurde und ihm wurde klar, dass er gleich einschlafen würde. Aber wieso? Hatte Araphel ihm etwa irgendetwas ins Glas gemischt? „Ich werde diesen Weg alleine weitergehen und tun, was getan werden muss, um es zu beenden. Und dabei kann mir niemand helfen. Tut mir leid, Sam. Aber du kannst mir nicht helfen. Deshalb werde ich dich gleich wieder zurückbringen. Und denk nicht daran, hierher zurückzukommen. Ich werde danach nicht mehr hier sein.“ „Du hast… mich also tatsächlich…“ Damit sank Sam wieder auf die Matratze und war sofort eingeschlafen. Der Mafiaboss begann nun damit, sich wieder anzuziehen und wies seine Untergebenen an, den schlafenden Detektiv wieder zurückzubringen. Auch er selbst begann sich nun fertig zu machen, denn es war an der Zeit, zu gehen. Er durfte nicht mehr hier bleiben. Er wusste, dass Sam sofort wieder zu ihm zurückkehren würde, wenn er wieder aufgewacht war und dem FBI entwischen konnte. Noch ein letztes Mal sah er auf den schlafenden Detektiv, der so friedlich da lag und wieder spürte er einen Stich in seiner Brust. „Lebwohl, Sam“, sprach er leise. „Und verzeih mir, dass ich selbst jetzt nicht aufrichtig zu dir sein konnte. Ich liebe dich…“ Kapitel 36: Letzte Vorbereitungen --------------------------------- „Sein Auge auf Vergeltung richten heißt, sich in seinen Taten von anderen abhängig machen und nie eigentlich vorwärts kommen.“ Rudolf Georg Binding, deutscher Schriftsteller In den darauf folgenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse regelrecht. Nachdem Sam wieder in dem Haus aufgewacht war, in welchem ihn das FBI einquartiert hatte, wurde er von Sadie James regelrecht zusammengestaucht, doch er versuchte noch ein weiteres Mal, Araphel zu sehen. Als er aber die Mason-Villa erreichte, war diese verlassen und es gab keinerlei Hinweise darauf, wohin Araphel gegangen sein könnte. Die nächste Hiobsbotschaft folgte, als es zu der Gerichtsverhandlung gegen Shen Yuanxian kam. Der Staatsanwalt hatte wirklich alles getan, um die Jury von der Schuld des Triaden-Oberhauptes zu beweisen. Sam, Dr. Heian und Morphius machten ausführliche Aussagen, Araphel selbst kam nicht zu der Verhandlung und war offenbar auch nicht als Zeuge geladen worden. Sam hatte sich auf einiges gefasst gemacht, doch Shens Anwalt hatte ihre Aussagen erbarmungslos auseinandergepflückt und jedes unschöne Detail zutage gefördert. Schließlich hatte der Verteidiger auch noch Sams Beziehung zu Araphel benutzt, um seine Glaubwürdigkeit zunichte zu machen. Und dass Morphius und Dr. Heian ebenfalls Mitglieder der Mason-Familie gewesen waren, nutzte er aus. Der Staatsanwalt kämpfte mit harten Fakten dagegen, doch letzten Endes gab die Jury dem Verteidiger Recht, dass all diese Verbrechen nicht direkt mit Shen in Verbindung gebracht werden konnten. Zwar lag es nahe, dass die Triade darin verwickelt war, aber mit Shen selbst konnte keines der Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Und so war Shen Yuanxian trotz allem von der Jury freigesprochen worden. Gleich schon während der Gerichtsverhandlung hatten sich allerdings noch andere Dinge getan. Mehrere Mitglieder der Triade waren ermordet worden und das zeitgleich. Knapp 15 wichtige Unterbosse, darunter auch Liu Cheng, der Shens rechte Hand war, waren in ihren eigenen Wohnungen erschossen worden, zudem hatte es noch Tote unter dem so genannten „Fußvolk“ gegeben. Gleichzeitig waren bei der Polizei und beim FBI Informationen über zwei Warenhäuser in Boston und noch weiteren 30 an der gesamten Ostküste und 20 an der Westküste eingegangen, wo der Slave Shipping Service die aus aller Welt verschleppten Kinder und Jugendlichen unterbrachten und in welchen von den Warenhäusern die Operationen durchgeführt wurden. Es war ein Skandal, der die ganze Welt erschüttern sollte. Die Zeitung meldete über nichts anderes mehr als über diesen „wahr gewordenen menschlichen Horror“, wie sie ihn nannten. Der Sturm war losgebrochen und der Mafiakrieg war eskaliert. Sam verfolgte das alles mit Interesse und Entsetzen zugleich und fragte sich, was Araphel wohl vorhatte und ob es zu seinem Plan gehörte, dass er Shen damit endgültig zur Weißglut trieb. Denn fest stand, dass dies nicht ohne Konsequenzen bleiben würde. Und er sollte damit richtig liegen, denn es gab kurz darauf mehrere Meldungen von Schießereien, bei denen auch Mitglieder der Mason-Familie und der Camorra-Familie zum Opfer gefallen waren. Es war, als hätten sich alle abgesprochen. Genau in dem Moment, wo alles vor Gericht gescheitert war, hatten sich die beiden alt eingesessenen Mafia-Clans verbündet und gemeinsam zum Schlag gegen die Triade ausgeholt. Und der Verlust der wichtigsten Unterbosse und Berater sowie die Razzien gegen die Warenhäuser hatten einen schweren Verlust für die Yanjingshe bedeutet und ein großes Chaos verursacht. Das war unter anderem auch Nathan zu verdanken, der wirklich komplett aufgeräumt hatte und sogar im Ausland weitere 150 Standorte lokalisieren konnte, sodass sich schließlich auch Interpol einschalten musste. Doch Sam hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Wenn Araphel so aufs Ganze ging und Shen absichtlich provozierte, konnte es doch nur bedeuten, dass er sich auf einen Frontalangriff vorbereitete. Ja, er setzte alles auf eine Karte und griff die Schlange erbarmungslos an, solange sie noch nicht vollständig in ihr schützendes Nest zurückgekehrt war. Und gemäß dem Fall, dass Araphel wusste, was Shen wirklich im Sinn hatte, konnte sein Plan eigentlich nur so aussehen, dass er Shen töten würde und gleichzeitig dafür sorgte, dass seitens der Yanjingshe keine Vendetta durchgeführt werden konnte. In dem Fall würde das bedeuten, dass Araphel ebenfalls starb… Angst überkam Sam, als er daran dachte. Konnte das wirklich sein? Hatte Araphel allen Ernstes vor, sich zu opfern, um sie alle vor der Rache der Yanjingshe zu beschützen? Für einen Moment überlegte er, ob er Agent James oder Agent Kazan deswegen sprechen sollte, doch den Gedanken verwarf er sofort wieder. Die würden keine große Hilfe sein. Solange es nur Vermutungen, aber keine stichhaltigen Beweise gab, die seine Theorie bestätigten, würde nichts passieren. Es gab nur eine Möglichkeit: er musste verschwinden, Araphel suchen und ihn aufhalten. Während des Essens blieb Sam sehr verschwiegen und legte sich seinen Fluchtplan zurecht. Von hier abzuhauen, war zum Glück nicht so schwer, da es ein einfaches Einfamilienhaus war und er hatte als Detektiv schon des Öfteren unerkannt in Häuser oder Büros einsteigen müssen, um an Informationen zu kommen. Und ebenso hatte er auch wieder unerkannt verschwinden müssen und inzwischen hatte er ja schon eine gewisse Routine. Er konnte durch das Badezimmerfenster verschwinden und dann den Wagen kurzschließen. Ein Trick, dem Christine ihm mal gezeigt hatte. Im Anschluss würde er ins Krankenhaus fahren und Nathan um Hilfe bitten, falls dieser in der Lage war, ihm zu helfen. Doch gerade, als er in sein Zimmer ging und das Wichtigste zusammensuchen wollte, klopfte jemand an die Tür und Morphius und Dr. Heian kamen ins Zimmer. Der Arzt rückte seine Brille zurecht und bemerkte „Sieht aus, als wollte da jemand wieder abhauen.“ „Versucht nicht, mich abzuhalten“, sagte Sam und stellte sich den beiden entgegen. „Wenn ich nichts unternehme, wird Araphel sterben und das kann ich nicht zulassen. Und deshalb kann und will ich nicht länger hier bleiben.“ Die beiden sahen sich kurz an und Morphius verschränkte daraufhin die Arme. „Wer sagt denn, dass wir dich aufhalten wollen?“ fragte er. „Ich will dir helfen.“ „Araphel hat uns vor der Triade beschützt“, erklärte Dr. Heian. „Und aus dem gleichen Grund hat er uns dem FBI anvertraut. Araphel ist nicht nur mein Patient, sondern auch ein guter Freund, ebenso wie er für Makoto ein guter Freund ist. Und darum haben wir überlegt, was wir tun können. Alleine gehen lassen können wir dich nicht. Darum wird Makoto mit dir gehen und dir helfen und ich werde hier bleiben. Sollte etwas Unerwartetes passieren, wird Makoto über einen Pager ein kurzes Signal geben und ich werde die Herrschaften vom FBI benachrichtigen.“ Sprachlos sah Sam sie beide an und konnte nicht glauben, dass die beiden das wirklich tun wollten. Und gerne nahm er das Angebot an, stand aber dann noch vor einer Frage: wo sollten sie nach Araphel suchen? Der Informant erklärte hieraufhin, dass er bereits nachgeforscht hätte, weil er ebenfalls den Verdacht gehabt hatte, dass Araphel etwas in der Art planen könnte. „Im Großen und Ganzen ergeben so einige Dinge jetzt Sinn“, begann der 30-jährige. „Der Patriarch hat seinen Tod in Kauf genommen, damit sich die beiden Mafia-Clans gegen die Triade zusammenschließen konnten. Daraufhin planten Araphel und Victor die Tötung sämtlicher Unterbosse während der Gerichtsverhandlung, wo Shen abwesend war. Und als dann auch die Warenhäuser aufgeflogen sind, hat die Triade ziemlich viel Stress bekommen und das Kartenhaus droht zusammenzubrechen. Und da Shen halt nicht gerade der Typ Mensch ist, der sich so etwas gefallen lässt, hat Araphel uns deshalb dem FBI überlassen, damit wir in Sicherheit sind und der Plan problemlos durchgeführt werden kann. Denn wäre einer von uns in Shens Gefangenschaft geraten, hätte Araphel ein Problem gehabt.“ „Und nun, da die Unterbosse und die rechte Hand tot sind und die Warenhäuser hochgenommen wurden, herrscht Chaos innerhalb der Triade und das nutzt Araphel aus, um Shen aus seiner Deckung hervorzulocken“, ergänzte Sam und erkannte, dass sie wohl beide denselben Gedanken hatten. „Und bei seiner narzisstischen Persönlichkeit wird er sicherlich rasend vor Wut sein und unvorsichtig werden. Darauf spekulieren Araphel und Victor, um ihn dann zu erwischen. Aber das nützt uns nichts, solange wir nicht wissen, wo sich Araphel aufhält und wo die Konfrontation stattfinden soll.“ „Das überlass mal mir“, meinte Morph. „Ich habe genug Kontakte, um mich durchzufragen und ich denke schon, dass ich da was herausfinden kann. Sobald wir die Info haben, machen wir beide uns aus dem Staub, okay?“ Damit war Sam einverstanden und er hoffte, dass Morph etwas herausfinden konnte, bevor es zu spät war. Araphel hatte sich eine heiße Dusche gegönnt, um sich zu sammeln. Er würde noch alle Kraftreserven benötigen für das, war bevorstand und auch wenn sich alles in ihm sträubte, so nahm er doch sein Handy mit der unterdrückten Nummer zur Hand und wählte Shens Nummer. Bevor er den grünen Hörer wählte, atmete er noch ein Mal tief durch und trank einen Schluck aus seinem Cognacglas. Dann schließlich tat er es doch und drückte den Hörer. Es dauerte, bis Shen ans Telefon ging und auf Chinesisch sprach. „Ja hallo?“ Allein beim Klang seiner Stimme kam dem 31-jährigen die Galle hoch. Unbändige Wut stieg in ihm auf, aber auch die entsetzlichen Bilder der letzten vier Jahre. Ahava… Christine… Yin und Asha… er selbst… Allein bei der Erinnerung an diese Erniedrigungen und Demütigungen spürte er wieder, wie seine Narben schmerzten, insbesondere seine alte Brandnarbe. Zwar hatte Dr. Heian gesagt, dass diese Schmerzen nur Einbildung waren, doch er spürte sie oft. Insbesondere wenn er daran zurückdachte, wie sehr Shen ihn gequält hatte. Mehr noch als ihn hatte er sich selbst verabscheut, dass er das alle hatte mit sich machen lassen, weil er dachte, er könne auf diese Weise seine Schwester retten. Hoffnungen, die allesamt zerschlagen worden waren. Und als er diese so verhasste Stimme hörte, überkam ihn ein Schauer des Widerwillens. Nicht, dass es Angst war. Nein, Araphel Mason war niemand, der so schnell Angst empfand. Schon gar nicht vor Shen. Diesen Gefallen würde er diesem widerlichen Psychopathen sicher nicht gönnen. „Ich bin es, Shen.“ Araphel hielt es für sicherer, auf Chinesisch zu sprechen für den Fall, dass irgendjemand unverhofft zuhören könnte. „Araphel!“ ertönte es vom anderen Ende der Leitung und der 31-jährige hatte Mühe, ruhig zu bleiben und nicht aus der Haut zu fahren. „Das ist ja schön, dass du mich anrufst. Weißt du, ich habe gerade an dich denken müssen. Und natürlich an deinen kleinen Lover. Hast du wirklich geglaubt, du könntest ihn vor mir in Sicherheit bringen, indem du ihn beim FBI lässt? Du weißt, was dir blüht, wenn du es dir mit mir verscherzt. Ich warne dich, du willst mich nicht wütend erleben…“ „Als ob du das nicht schon längst wärst. Du bist so gut wie am Ende, das wissen wir beide. Deine Leute verehren dich wie einen Gott und dachten selbst, du seiest unantastbar und nun haben sie miterlebt, wie du vor Gericht gezerrt wurdest und nicht mal imstande warst, die Tode deiner Unterbosse zu verhindern. Ich habe dir versprochen, dich ein für alle Male fertig zu machen und dich ein für alle Male zu vernichten. Und ich will es zu Ende bringen. Entweder du oder ich.“ Ein Lachen war zu hören. Es war ein eiskaltes und grausames Lachen, doch Araphel hörte dennoch die Anspannung heraus. Shen wusste, dass mit den Spielchen jetzt Schluss war und es auf einen Zweikampf zwischen ihnen beiden hinauslaufen würde. Der lang ersehnte Höhepunkt seines perfiden Spiels rückte näher und sie beide wussten, dass es unvermeidlich war. Die Würfel waren gefallen, nun mussten nur noch die Figuren gesetzt werden. „Du willst mich also unbedingt stürzen, ja? Du weißt schon, was dir blüht, wenn du scheitern solltest. Dann gehörst du mir und ich werde dich zu meinem Lieblingsspielzeug machen. Dann wirst du mir nicht noch mal entwischen und als nächstes werde ich mir deinen Lover, deinen Arzt und deinen Informanten holen. Du weißt, es gibt eine Menge hungriger Wölfe, die nach Frischfleisch lüstern und du weißt, was es aus deiner Schwester gemacht hat.“ Araphel presste die Zähne aufeinander und versuchte nicht daran zu denken. All die Jahre hatte er sich von Shen provozieren lassen, doch dieses Mal würde er nicht diesen Fehler machen. Das hatte auch Victor ihm eingeschärft. „Das brauchst du mir nicht unter die Nase reiben, klar? Hören wir endlich mit diesen Spielchen auf und regeln das jetzt ein für alle Male.“ „Fein“, kam es von Shen, der recht unbeeindruckt blieb und sich seiner Sache wohl ziemlich sicher war. „Dann treffen wir uns an einem neutralen Ort, um die Chancen gleich zu halten. Kennst du die alte Fabrikhalle an der Bridge Street? Die steht zurzeit leer und dort sind wir auch ungestört vor der Polizei. Und? Ist das für dich zufrieden stellend?“ Die Fabrikhalle an der Bridge Street. Wenn sich sein Gedächtnis nicht täuschte, waren dort mal Lebensmittel in Konserven verarbeitet worden, bis das Unternehmen bankrott ging und aufgrund schädlicher Stoffe im Boden und anderer Mängel war das Gebäude aufgegeben worden. Es war ideal und es erstaunte ihn, dass Shen sich so einen Ort ausgesucht hatte, aber andererseits… Shen legte es darauf an, getötet zu werden, denn dann würde die Hölle in Boston losbrechen. Und für ihn gab es keinen besseren Tod, als durch seine eigene „Schöpfung“ getötet zu werden, so bizarr das auch klang. „In Ordnung“, sagte Araphel schließlich. „Heute Abend um 21 Uhr.“ Damit war alles Nötige gesagt und Araphel beendete damit das Gespräch. Wieder atmete er tief durch und sammelte sich, bevor er eine andere Nummer wählte, nämlich die von Victor. Er hatte mit ihm vereinbart, ihn sofort zu benachrichtigen, sobald er mit Shen telefoniert hatte. Es klingelte keine drei Male, bis Victor abnahm. Hier unterhielt sich Araphel sicherheitshalber auf Russisch mit ihm, um ganz sicher zu gehen. In dieser heiklen Situation durfte nicht das Geringste schief gehen. „Ich habe Shen auf heute Abend 21 Uhr festgenagelt. Ich treffe mich mit ihm in der alten Fabrikhalle in der Bridge Street.“ „In Ordnung“, sprach Victor in einem nicht ganz so fließenden Russisch, wie sein seliger Vater es beherrscht hatte. Es war jedoch gut verständlich und Victor konnte sich sehr gut ausdrücken. „Dann arrangiere ich alles Weitere. Ich werde dafür sorgen, dass alles planmäßig verläuft und werde dir den Rücken freihalten.“ „Ich verlasse mich auf dich. Es muss alles perfekt verlaufen, eine zweite Chance haben wir nämlich nicht. Ich will, dass der ganze Laden bis auf die Grundmauern abbrennt.“ Victor versicherte, dass er sich darum kümmern würde, dass alles reibungslos verlief und er sich persönlich darum kümmern würde, dass es keine Probleme gab. Damit war das letzte Telefonat beendet und Araphel legte sein Handy beiseite, stattdessen nahm er noch einen Schluck Cognac. Sonderlich viel spürte er aber nicht, was aber auch daran lag, weil er außerordentlich trinkfest war und es sogar geschafft hatte, mit Sergej mitzuhalten, der als Halbrusse das Talent besessen hatte, dass er Wodka wie Wasser trinken konnte. Und während er die klare und goldfarbene Flüssigkeit in seinem Glas betrachtete, dachte er an den alten Patriarchen, der sich geopfert hatte, um ihm den Weg zu ebnen. Dabei fragte er sich, wie lange Sergej wohl über diesen Plan gesessen hatte. Immerhin hatte er seinen eigenen Tod geplant und alles, was danach passieren würde. Er hatte nichts dem Zufall überlassen und bewiesen, dass er eigentlich die wahre Nummer eins der Bostoner Unterwelt war. Denn selbst nach seinem Tod hielt er noch die Fäden in der Hand. Was für ein gerissener Fuchs, dachte sich Araphel und ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. Ob er wohl Gedanken lesen konnte, als Victor ihm über den Plan informiert hatte? Aber letzten Endes hatte es gezeigt, dass er sich immer auf Sergej verlassen konnte. Der Patriarch hatte ihn nie im Stich gelassen und auch wenn sie geschäftlich gesehen kaum miteinander zu tun gehabt hatten, so hatte er ihn immer als einen zweiten Vater angesehen, ihn respektiert und auch bewundert. Und manchmal hatte er das Gefühl, dass Sergej ihn besser verstand als Stephen, sein Adoptivvater. Sergej war ein treu sorgender Familienvater gewesen, der selbst früh zur Waise wurde und der auch gewusst hatte, dass es niemals Araphels Wunsch gewesen war, ein Mafioso zu werden. Er hatte seinen Kindern die Entscheidung überlassen, ob sie seinen Weg weitergehen wollten oder nicht und es war Victors freier Wille gewesen, den Platz seines Vaters einzunehmen. Stephen Mason hatte weniger Verständnis für Araphel gehabt. Er war auch in einer intakten Familie groß geworden und es war für ihn selbstverständlich gewesen, dass er genauso Mafioso werden würde wie sein eigener Vater. Er war damit groß geworden, aber Araphel hatte immer nur einen einzigen Antrieb gehabt: am Leben zu bleiben. Er war mit Ahava aus Israel geflohen, weil er ein besseres Leben wollte. Und dafür hatte er sich nie erlaubt, selbst zu träumen oder Wünsche zuzulassen. Lediglich diesen einen kleinen bescheidenen und selbstsüchtigen Wunsch hatte er gehabt. Alles aufzugeben und sämtliche Geschäfte niederzulegen frei nach dem Spruch „Lasset fahren dahin“, um daraufhin seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Doch er hatte es nicht getan. Zuerst hatte er es Ahava zuliebe getan, weil er ihr das Leben bieten wollte, welches sie verdient hatte. Danach hatte er es getan, um Rache zu nehmen. Tja und jetzt war sein Tod wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, um ein für alle Male aus diesem Sumpf herauszukommen. Aber er bedauerte es nicht. Er hatte damals getan, was er für richtig hielt und auch als Shen auf den Plan getreten war, hatte er alles getan, was er konnte. Zwar war es nicht genug gewesen, um das Unglück zu verhindern, aber jetzt, nachdem er sehr lange über all diese Dinge nachgedacht hatte und wusste, dass alles bald vorbei sein würde, war er wieder ins Gleichgewicht gekommen. Er konnte gewisse Dinge jetzt aus einer objektiven Sichtweise betrachten und wusste nun, dass er nichts mehr zu bereuen hatte. Nein, es gab nichts dergleichen zu bereuen. Damals, als Ahava entführt worden war, hatten die Ereignisse ihn überrascht und er hatte alles in seiner Macht stehende getan, um sie zu retten. Genauso wie er alles getan hatte, um Christine, Yin und Asha zu retten. Zwar hatte er niemanden von ihnen retten können, aber es war ein tröstlicher Gedanke, dass er den dreien wenigstens vier schöne Jahre schenken konnte, nachdem sie der Hölle aufgewachsen waren. Und seine Schwester war von ihrem Leid erlöst worden. Vielleicht hätte man sie retten können, vielleicht auch nicht. Es war eh sinnlos geworden, darüber nachzudenken. Araphel hatte für sich alleine mit all diesen Themen inzwischen abgeschlossen und für sich gesagt, dass er sich keine Vorwürfe mehr machen musste. Er hatte alles gegeben, aber Shen war ihm halt überlegen gewesen. Das war nun mal die Realität der Mafia. Der Schwächere hatte die Verluste zu tragen. Ob Sergej irgendwann auch so darüber nachgedacht hatte und deshalb so leicht mit dem Leben anderer spielen konnte? Ob sein Adoptivvater ebenso gedacht hatte? Was hätte Stephen Mason wohl getan, wenn er erfahren hätte, dass seine Kinder in den Fängen des Feindes waren? Nun, er war zwar ein guter Vater gewesen, aber Araphel hätte seine Hände nicht dafür ins Feuer gelegt, dass sein alter Herr alles getan hätte, um ihn und Ahava zu retten. Die Mafia hatte bei ihm an alleroberster Stelle gestanden, das hatte Araphel immer gewusst und es akzeptiert. Aber es gab manchmal Momente, in denen er sich gewünscht hätte, sein Adoptivvater wäre mehr wie Sergej, dem das Wohl seiner Kinder sogar noch über der Existenz des Clans stand. Denn wie pflegte der alte Patriarch zu sagen? „Königreiche werden gegründet und werden gestürzt. Imperien werden errichtet und zerfallen. Und genauso werden Mafiafamilien aufgebaut und eines Tages zerschlagen, wenn sie nicht von alleine zugrunde gehen. Selbst die eigene Ehefrau kann kommen und gehen. Man kann sich eine neue anheiraten. Aber Kinder kann man nicht ersetzen. Sie sind unsere Zukunft, unser wertvollster Schatz. Und deshalb gilt es sie zu beschützen, egal welchen Preis wir dafür zahlen müssen. Wenn ich vor der Wahl stehen sollte, lasse ich meinen Clan zugrunde gehen. Ich kann meine alte Macht jederzeit wiederherstellen. Aber nichts auf der Welt kann mir das Leben meiner Kinder ersetzen.“ Araphels Blick nahm eine Spur Melancholie an, als er sich die Worte wieder durch den Kopf gehen ließ und in seinem tiefsten Herzen wünschte er sich, es wäre damals Sergej gewesen, dem der Privatjet gehört hatte. Dann wären er und Ahava vermutlich niemals mit der Welt der Mafia in Berührung gekommen. Und wahrscheinlich wäre auch sein eigenes Leben anders verlaufen. Hieraufhin hob Araphel wie zum Toast sein Glas und sprach „Zum Wohl“ in Gedenken an seinen Mentor, seinen Zweitvater und seinem engsten Freund. Kapitel 37: Die Konfrontation ----------------------------- „An seinen Feinden rächt man sich am besten dadurch, dass man besser wird als sie.“ Diogenes von Sinope, Philosoph Gegen 19 Uhr hatte Araphel bereits das Hotel verlassen, nachdem er noch einen Drink zu sich genommen hatte. Viel nahm er nicht mit, höchstens Zigaretten und seine Pistole. Dieselbe, mit der sich Ahava vor vier Jahren umgebracht hatte. Es hatte für ihn schon eine besondere Bedeutung, diese Waffe zu benutzen, die ihm seine Schwester genommen hatte. Mit ihr würde alles enden, noch in dieser Nacht. Es war ein seltsames Gefühl zu wissen, dass es schon heute geschehen würde. Vier Jahre lang hatte Araphel gewartet. Vier unendlich lange Jahre, um endlich einen Schlussstrich zu ziehen und seine Rache zu vollenden. So viele Opfer hatte es bis jetzt eingefordert, um hierher zu kommen. Fast alle waren tot, die ihm wichtig waren und die wenigen, die ihm noch blieben, waren zum Glück in Sicherheit und er hatte weitaus weniger Sorgen, die er sich machen musste. Mit Victor war alles soweit durchgesprochen und er wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Dieser Paragrafenreiter war zwar noch etwas zu jung für den Rang eines Mafiabosses, aber sein Intellekt und seine Zielstrebigkeit waren enorm und was die Planung betraf, machte er seinem alten Herrn alle Ehre. Als Araphel in die Limousine einstieg und dem Chauffeur Anweisungen zum Fahrziel erteilte, sah er ein wenig gedankenverloren aus dem Wagenfenster und betrachtete die Leuchtreklamen und die bunt ausgeleuchteten Schaufenster der Geschäfte. Und in diesem Moment musste er sich daran erinnern, wie er sich gefühlt hatte, als er zum allerersten Mal diesen Anblick gesehen hatte. Damals, als er als blinder Passagier in die USA gekommen war, hatte man ihn erst ins Krankenhaus einliefern müssen, aber dieses Gefühl, als er zum ersten Mal die Bostoner Metropole gesehen hatte, würde er nie vergessen. Es war ihm so vorgekommen, als wäre er in eine völlig neue Welt eingetaucht. In die Welt des Reichtums und Wohlstandes, wo es keinen Krieg gab, keine Bombenanschläge und keine verwüsteten Straßen. Damals hatte er noch geglaubt gehabt, Amerika wäre ein Utopia. Ach was war er damals noch naiv gewesen. Letzten Endes war Amerika kein besserer Ort, außer dass vielleicht nicht jeden Tag ein Angriff der Palästinenser zu befürchten war. Aber die Realität sah halt so aus, dass Amerika nicht das Utopia war, für das viele Leute es hielten. Nein, es war so ziemlich eine Mogelpackung, wenn man es genau betrachtete. Die Leute waren paranoid und ließen sich von den Medien verrückt machen und die Amerikaner selbst hatten Moralvorstellungen, die fast schon lachhaft waren. Wenn er mit Sergej zusammengesessen hatte, so pflegte der Patriarch Amerika als „Land der unbegrenzten Dummheiten“ zu bezeichnen. Und so verkehrt lag er da nicht. Sonderlich viel hielt ihn in diesem Land sowieso nicht. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, hatte er sich weder in Israel, noch in Amerika je wirklich zuhause gefühlt. Stattdessen hatte er sich ein Stück weit immer als Heimatloser gesehen. Doch wo war seine „Heimat“? Als Heimat bezeichnete man den Ort, wo man seine Familie und sein Zuhause hatte. All das hatte er nicht mehr. Dementsprechend hätte es ihm auch nichts ausgemacht, Amerika wieder den Rücken zuzukehren und sich einen anderen Ort zum Leben zu suchen. Aber darüber brauchte er sich ja keine Gedanken mehr machen. Jetzt war es eh zu spät. „Roy…“ Damit sprach Araphel seinen Chauffeur an, der bereits den verstorbenen Stephen Mason tagtäglich gefahren hatte und zu den langjährigen Angestellten zählte. Treu und all die Jahre unfallfrei war Roy Chalmers mit der Limousine gefahren. „Sie wünschen, Mr. Mason?“ „Fahren Sie noch ein wenig durch die Gegend. Bis 21 Uhr haben wir ja noch ein wenig Zeit.“ „Sehr wohl, Mr. Mason.“ Und so fuhr die schwarze Limousine durch die Bostoner City und auf diese Weise verging die Wartezeit wenigstens nicht allzu langsam. Um zehn Minuten vor neun traf Araphel an der Bridge Street ein und sah auch schon die alte Fabrik. Der Platz, wo der letzte Showdown stattfinden würde. Als der 31-jährige aus dem Wagen ausstieg, sah er auch schon Shens Wagen dort stehen, sowie auch ein paar seiner Leute, die draußen standen und offenbar Wache schoben. Nun, darum brauchte er sich nicht sonderlich zu kümmern. Die waren ja nicht sein Problem. Also trat er näher und wurde durchgelassen. Na wenigstens hatte Shen sein Wort gehalten und es würde zu einem Zweikampf werden, wobei dieser Gedanke beinahe etwas von einem Wild West Showdown zwischen zwei Revolverhelden hatte. Araphel betrat die Fabrikhalle und musste erst mal geblendet vom Licht die Augen zukneifen. Nachdem sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, ging er weiter und sah sich aufmerksam um. Er erinnerte sich, dass er mal als Kind heimlich hier zum Spielen gewesen war, zusammen mit ein paar anderen Jungs aus seiner Schule. Jeden einzelnen Schlupfwinkel hatte er damals erkundet, auch wenn es kurz danach Hausarrest gegeben hatte, weil solche Orte gefährlich waren. Ob Shen wohl davon wusste? Hoffentlich nicht, aber selbst wenn, es würde nichts am weiteren Verlauf der Dinge ändern. „Schön, dass du gekommen bist, Araphel“, hörte er Shens Stimme rufen. „Und pünktlich wie immer. Ganz wie dein Herr Vater.“ „Spar dir die Spielchen und lass uns zur Sache kommen“, sprach Araphel trocken und zog seine Pistole. „Ich habe keine Lust auf irgendwelches Geplänkel.“ „Du kannst es wohl kaum erwarten, mich zu töten, nicht wahr?“ fragte Shen und ein eiskaltes Lächeln spielte sich auf seine Lippen, wobei seine Augen gefährlich funkelten. „Du bist und bleibst eben jemand, der alles zerstört, was er nicht beherrschen kann. Muss sicher ein herrliches Gefühl sein, all jene umzubringen, die dir im Weg stehen. Ich sehe es dir doch an, dass du es kaum erwarten kannst, den Mann zu töten, der dir deine Familie und deine Freunde genommen hat. Du hörst, wie es in dir schreit, nicht wahr? Jede Faser deines Körpers lüstet nach Blut und Rache und du versuchst, dich zu beherrschen. Aber am liebsten würdest du mich in Stücke reißen und deinen Hass in mich eingraben.“ Shen trat nun näher, ungeachtet der Tatsache, dass Araphel immer noch die Pistole in der Hand hatte. Er war wie immer die Selbstsicherheit in Person. Und als er nah genug war, griff der 42-jährige blitzschnell zu, drehte Araphel die Pistole aus der Hand und drückte ihn mit dem Rücken gegen eine der halb verrosteten Fabrikanlagen. Ihre Blicke trafen sich und dann griff Shen zwischen Araphels Beine und ein dämonisches Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Aber am schönsten waren immer noch diese besonderen Stunden zwischen uns beiden. Wie dein Körper gebebt hat unter der Lust unserer Bewegungen und wie du deine Beine für mich gespreizt hast. Es war ein herrlich süßer Anblick, vor allem als du mich regelrecht darum angebettelt hast, es dir zu besorgen.“ Das war nun endgültig zu viel und Araphel stieß Shen von sich. „Du hast mich doch dazu gezwungen! Du hast mich gefoltert und damit gedroht, Ahava umzubringen, wenn ich dein krankes Spiel nicht mitspiele.“ „Es war ja auch so lächerlich einfach, dich gefügig zu machen“, gab Shen unbeeindruckt zurück. „Du warst, bist und bleibst so leicht zu durchschauen und zu manipulieren. Aber findest du nicht auch, du solltest etwas ehrlicher sein? In Wahrheit hast du es doch genauso genossen wie ich. Der Schmerz, die Lust… Egal wie sehr du es auch bestreiten magst, aber es hat dich erregt, genauso wie dich allein schon die Erinnerung daran erregt. Und auch wenn du mit deinem kleinen Detektiv schläfst, erfüllt es dich bei weitem nicht so sehr wie unsere gemeinsamen Stunden, wo du nackt und keuchend auf dem Fußboden gekniet hast. Auf allen Vieren wie ein Hund. Erinnerst du dich noch an die Leine? Du warst wirklich ein wunderbares Haustier gewesen.“ Damit holte Shen eine Fernbedienung heraus, drückte einen der Knöpfe und damit wurde das Licht in der Lagerhalle etwas gedämpft. Als er noch einen Knopf drückte, wurde das Licht von einem Beamer an die Wände projiziert und Araphel sah, dass es eine Filmaufnahme war. Und was er sah, war nicht weniger schlimm als die Filmaufnahmen, auf denen seine Schwester vergewaltigt worden war. Shen hatte ihm diese Bänder als „Souvenir“ zugeschickt, nachdem Ahava Selbstmord begangen hatte. Auf den Aufnahmen sah er sich selbst, nackt und mit blutendem Rücken auf den Boden kauernd, vor Schmerz und Lust stöhnend während sich Shen an ihn verging. „Schöne Zeiten, nicht wahr?“ fragte der Chinese und stand nun neben ihm. „Ich hatte selten mit jemandem solch heiße Stunden wie mit dir.“ Nun war für Araphel endgültig Schluss. Er hob seine Waffe wieder auf, schoss drei Mal auf den Beamer, um diese Aufnahmen nicht mehr mit ansehen zu müssen und feuerte dann einen Schuss auf Shen ab, welcher aber schnell genug ausweichen konnte, sodass die Kugel ihn verfehlte. „Endlich zeigst du mir etwas mehr Feuer.“ Shen ließ ihn nicht aus den Augen, als Araphel nachlud und machte sich bereit für den Kampf. „Zeig mir mehr von deinem unbändigen Hass. Lass mich diesen Zorn spüren, der in dir tobt. Lass ihn heraus und werde zu dem Dämon, der du wirklich bist.“ Ein unheimliches Lachen hallte durch die Fabrikhalle und etwas Neues glomm in Shens dunklen Augen auf. Etwas Wahnsinniges und abgrundtief Böses. Es waren die Augen eines Monsters. Für einen Moment stand Araphel kurz davor, die Beherrschung zu verlieren und diesen Bastard einfach über den Haufen zu schießen und dann abzuhauen. Etwas anderes hätte er einfach nicht verdient. Doch dann, als er tief einatmete und ganz schwach einen ganz bestimmten Geruch wahrnahm, kehrte die Erinnerung an den Plan wieder zurück und er schaffte es mit eiserner Willensstärke, sich wieder zusammenzureißen. „Tut dir eigentlich dein Knie noch weh?“ fragte Araphel schließlich und holte sein Benzinfeuerzeug heraus und begann damit in seiner anderen Hand zu spielen. „Nachdem der Patriarch dir in die Kniescheibe geschossen hat, dürftest du eigentlich kaum ohne Krücken laufen. Mit Rennen ist es wohl nicht mehr so, oder?“ Als Shen dieses seltsame Lächeln bei Araphel sah, wurde er misstrauisch. Irgendwie war das nicht die Reaktion gewesen, die er sich erhofft hatte. Er hatte damit gerechnet, dass Araphel ausrasten und auf ihn losgehen würde. So war es nie anders gewesen, doch dieses Lächeln war neu. Es bedeutete nichts Gutes, das wusste er jetzt schon. Irgendetwas hatte Araphel vor und das gefiel ihm nicht. Sollte er sich Sorgen machen, sein Plan könnte scheitern? Er versuchte es zu überspielen und blieb gelassen. „Willst du es darauf ankommen lassen?“ fragte er deshalb. „Für dich reicht es alle Male.“ „Ach ja?“ Ein Schuss fiel und Shen wollte wieder ausweichen. Es gelang ihm auch, doch als er dabei mehr Gewicht auf sein lädiertes Knie verlagerte, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz, der ihn für einen kurzen Augenblick lähmte, doch das reichte, damit eine weitere Kugel sein anderes Knie traf und er zu Boden stürzte. Er schrie, als ein rasender Schmerz sein Bein durchfuhr, doch gleichzeitig erfüllte ihn eine seltsame Euphorie und er begann zu lachen. Er hatte sich wohl völlig umsonst Sorgen gemacht. Es lief doch alles wie geplant. Araphel würde ihn töten und das wäre der Anfang vom Ende. Boston würde zu einem Schauplatz des Gemetzels werden, wenn die Yanjingshe ihren Rachefeldzug begann. Chaos… Blutvergießen… Leid… Er selbst würde der Auslöser eines Krieges werden und Boston zu einem Schlachtfeld machen. Araphel musste ihn nur noch töten. Doch der Schuss in den Kopf oder in die Brust folgte nicht. Araphel stand eine Weile schweigend da und beobachtete ihn, wandte sich dann aber ab und verschwand in eine Ecke. Was zum Teufel hatte er vor? Nun war Shen irritiert. „Weißt du Shen, diese ganze Vendettageschichte ist zwar schön und gut und ich würde dir am liebsten hundert Male die Kniescheiben kaputt schießen, wenn es danach ginge. Aber glaub ja nicht, dass ich mich dazu herablassen werde, deine Spielchen mitzuspielen. Mag sein, dass du die Gesetze der Vendetta kennst, aber ich kenne sie auch und eine Schwachstelle hast du dabei übersehen, oder zumindest nicht in deinen Plan mit einberechnet.“ Shen lachte, aber nicht weil er sich seines Sieges noch zu einhundert Prozent sicher war. Nein, er lachte ungläubig und weil er verwirrt war. Was sollte er denn bitte übersehen haben? Er war Shen Yuanxian, die Schlange von Boston. In Shanghai wurde er sogar als Schlangenprinz bezeichnet und von seinen Untergebenen fast wie ein Gott verehrt und wie ein Teufel gefürchtet. Es unterliefen ihm niemals Fehler, weil er immer alles perfekt plante. Nicht einmal dem FBI war es gelungen, ihn einzusperren, weil er besser war. Besser als alle anderen! Besser als die Menschen, die ihn und seinen Bruder damals in dieses Bordell gezerrt und sie zu Sexspielzeugen für pädophile und sadistische Perverse gemacht hatten. Er war allen überlegen! Weitere Schüsse ertönten und nun hörte Shen ein leises Plätschern. Und noch etwas bemerkte er: es roch eigenartig… nach Benzin. Hatte Araphel etwa vor, die Fabrik niederzubrennen? „Mein Vater pflegte zu sagen, dass die beste Form der Rache darin bestünde, dass man besser als seine Feinde wird. Denn es ist ein schönerer Genuss, sie scheitern zu sehen, als sie einfach zu töten. Selbst wenn man seine Feinde tötet, können sie einem immer noch überlegen sein. Und ich werde dich eben halt übertrumpfen, indem ich deinen schönen Plan zunichte mache. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, was passieren würde, wenn ich dich einfach so töte? Das würde einen nie enden wollenden Mafiakrieg nach sich ziehen und Boston würde zu einem kriminellen Drecksloch wie Kolumbien oder El Salvador werden. Also werde ich dich mit mir in die Hölle nehmen.“ Shens Augen weiteten sich vor Fassungslosigkeit, als er das hörte. Hatte Araphel etwa tatsächlich vor, sich umzubringen, weil dann die Yanjingshe keine Berechtigung zur Vendetta hatte, da auf beiden Seiten ein gleichwertiger Verlust war? Das konnte er doch nicht ernst meinen. Was war das für eine Logik? „Du bist doch verrückt“, rief er und sah, wie Araphel mit dem Feuerzeug hantierte. „Du stirbst allen Ernstes nach all dem, was du dir aufgebaut hast? Du als Nummer eins von Boston und Boss einer Mafiafamilie?“ „Das war ein Erbe meines Vaters, mehr nicht“, erklärte der 31-jährige ungerührt. „Und Mafioso zu werden, war eh nie mein Traum. Da muss ich dich leider enttäuschen, dass dein Plan nicht aufgeht, aber ich werde weder zu deinem Spielzeug, noch zu deiner Schöpfung, geschweige denn, dass ich nach deiner Pfeife tanze. Weißt du, warum man mich den Bostoner Löwen nennt? Weil ich für das einstehe und kämpfe, woran ich glaube. Ich verfolge meine Ziele, ganz egal wie unmöglich es auch erscheinen mag. Ich habe es aus eigener Kraft damals geschafft, zusammen mit Ahava im Alter von zehn Jahren, geringen Englischkenntnissen und 39°C Fieber in einen Privatjet nach Amerika zu fliegen und ich hätte jeden im Flugzeug erschossen, der es gewagt hätte, mich an meinem Ziel zu hindern. Aber ich töte nicht einfach nur, um Macht über andere zu haben und sie zu tyrannisieren, so wie du es tust. Ich kämpfe, um stärker zu werden, damit ich jene besser beschützen kann, die für mich wie eine Familie sind. Ich habe weder Heimat noch leibliche Familie. In Israel war ich nur ein dreckiger Straßenjunge und hatte nichts. Weißt du, uns beide verbindet schon etwas, auch wenn ich es nur ungern zugebe. Wir beide haben als Kinder viel durchmachen müssen. Wir haben die Hölle erlebt und haben uns unseren Platz durch Willenskraft, Stärke und Rücksichtslosigkeit erkämpft, weil wir sonst verloren gewesen wären. Während ich mehr oder weniger das Glück hatte, in den richtigen Flieger gestiegen zu sein und eine Familie zu finden, hast du deinen Weg alleine bestritten. Du hast jene umgebracht, die dir deine Kindheit und deinen Bruder genommen haben. Und mehr noch: du hast mehr Menschen auf dem Gewissen als so manche Serienmörder hier in Amerika. Aber du hattest nie jemanden. Keinen Vertrauten, keinen Freund, du warst immer alleine. Darum nennt man dich auch die Schlange: du tötest deine Opfer blitzschnell und richtest sie mit deinem Gift zugrunde, verlässt aber niemals dein sicheres Nest. Aber Schlangen sind keine Gruppentiere. Sie gelten zwar als Symbol der Weisheit und der Sünde, aber sie sind strikte Einzelgänger und wenn sich zwei Schlangen in ein Beutetier verbeißen, fressen sie ihren Artgenossen ohne zu zögern mit auf. Löwen sind anders. Sie leben in Rudeln und bauen auf die Stärke der anderen. Sie sind Anführer und sie beschützen ihr Rudel. Ein Boss ist wie ein Familienoberhaupt. Er muss sich Respekt und Anerkennung verschaffen. Vielleicht ist es auch gesund, wenn man Angst vor ihm hat. Aber man hat die Pflicht, die Familie zusammenzuhalten.“ „Du redest schon so wie der alte Sack“, gab Shen mit höhnischer Stimme zurück und man konnte sehen, dass die Maske des überlegenen und unantastbaren Triadenbosses von ihm abgefallen war. Die Erkenntnis, dass sein perfekter Plan gescheitert war und das Massaker, wie er es sich so sehr erhofft hatte, gar nicht stattfinden würde, ließ ihn alle Erhabenheit und Würde vergessen. Seine Miene war gezeichnet von blankem Hass und purer Abscheu. „Und selbst wenn dem so wäre, was interessiert es mich? Glaubst du im Ernst, Menschen macht man sich durch Mitgefühl und Verständnis gefügig? Nein, wir beherrschen sie mit ihrer schlimmsten Angst. Und glaubst du im Ernst, du kannst deinen kleinen Detektiv beschützen, indem du mit mir hier stirbst? Falsch gedacht. Meine Leute werden ihn finden und ihm das Fleisch scheibenweise von den Knochen schneiden, so wie man es bei uns mit Verrätern und Feinden macht. Ich dachte du wärst ein Dämon, meine perfekte Schöpfung, aber in Wahrheit bist du nichts Weiteres als ein Dummkopf. Solche sentimentalen Schwachköpfe wie du und der Patriarch mit ihren romantischen Vorstellungen von einer Gemeinschaft sind doch am Ende diejenigen, die mit dem Leben bezahlen. Sie verlieren alles und jagen sich dann eine Kugel durch den Schädel, weil sie selbst zu schwach sind, um wieder aufzustehen. Oder aber sie werden zu moralischem Abschaum. Was interessiert mich dieses soziale Geplänkel?! Von mir aus kann die gesamte Menschheit in ihrem eigenen Sumpf versinken. Meinetwegen können sie alle verrecken, wir alle verdienen den Tod. Sowohl du, als auch ich und alle anderen.“ „Mag sein“, sagte Araphel, ohne dass sich seine Miene großartig bewegte. „Es gibt halt Menschen wie du, welche die Welt einfach nur brennen sehen wollen. Und weißt du was? Ein paar Kugeln habe ich noch übrig. Der Schuss ins Knie war übrigens für meinen Vater.“ Der nächste Schuss traf Shens anderes Knie, welches noch nicht verheilt war. „Das war für Christine…“ Die darauf folgende Kugel durchbohrte Shens linke Schulter. „Das war für Sergej.“ Als er die andere Schulter traf, sagte er „Das war für Yin und Asha.“ Den nächsten Schuss in die Seite widmete er Sam und dann schließlich schoss er Shen direkt zwischen die Beine und traf ihn damit in seine Genitalien. Als der Chinese laut aufschrie vor Schmerzen, sprach er mit eiskalter Stimme „Der war für meine Schwester.“ Als damit die letzte Kugel verschossen worden war, entzündete Araphel das Feuerzeug und warf es in die Benzinpfütze, die daraufhin sofort Feuer fing. Mit einem wütenden Zischen breitete sich das Feuer rasend schnell in der ganzen Fabrikhalle aus. „Und das ist für dich, du Bastard. Wir sehen uns beide in der Hölle wieder.“ Kapitel 38: Trauer ------------------ „Rächt euch nicht selber, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein, ich werde vergelten, spricht der Herr.“ Bibel, Römer 12.19 Es hatte eine Weile gedauert, bis Sam und Morphius den Aufenthaltsort von Araphel herausgefunden hatten. Wie sich herausgestellt hatte, war er unter einem falschen Namen ins Paradise Hotel abgestiegen und als sie dort eingetroffen waren, hatte der Mafiaboss schon längst wieder das Hotel verlassen. Durch Sams Geschick konnten sie sich dennoch Zutritt zu seinem Zimmer verschaffen und nachdem sie trotz intensiver Suche nichts gefunden hatten, wo Araphel hingegangen sein könnte, hatte Morphius dann doch den Einfall gehabt, Roy den Chauffeur anzurufen und ihn zu fragen. Der Informant schaffte es, durch ein wenig Redegewandtheit herauszufinden, dass Araphel in der Bridge Street war. Mehr wüsste der Chauffeur nicht, da er ihn schon am Anfang der Straße abgesetzt hatte und danach wieder zurückfahren musste. Nun, damit stand für Sam alles fest: die alte Fabrik. Das war der ideale Treffpunkt, wenn man eine letzte Konfrontation durchführen wollte und die Polizei dabei möglichst wenig mitbekommen sollte. Also waren sie zur Bridge Street gefahren. Inzwischen war es schon dunkel geworden und die Uhr zeigte auch schon, dass es bereits nach 21 Uhr war. Morphius saß auf dem Beifahrersitz und stand kurz davor, sich noch eine Zigarette anzuzünden. Doch dann murmelte er ein kurzes „Ach scheiß drauf“, kurbelte das Fenster herunter und warf die Zigarette mitsamt der Schachtel hinaus auf die Straße. Sam sah dies aus den Augenwinkeln und erkundigte sich „Ist dir die Lust zum Rauchen vergangen?“ „Wird Zeit, dass ich mal aufhöre. Ich meine… Yu-chan wird mir den Kopf abreißen, wenn ich in der Nähe unserer kleinen Prinzessin qualme. Irgendwie ist es schon ein komisches Gefühl zu wissen, dass alles bald vorbei ist. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an und es schien kein Ende nehmen zu wollen. Und dann soll alles so plötzlich einen Abbruch finden, weil Araphel beschließt, zusammen mit Shen zu sterben. Das sieht ihm wirklich ähnlich…“ „Hoffentlich können wir ihn zur Vernunft bringen“, murmelte Sam und bog auf die Colton Street ein. „Aber so wie ich ihn inzwischen kenne, ist er ein absoluter Sturkopf, der sich rein gar nichts sagen lassen wird.“ „Ja und die Frage ist, was wir dann tun sollen.“ „Lieber erschieße ich Shen selber. Dann gibt es keinen Mafiakrieg in Boston und ich könnte nach Kanada oder Mexiko auswandern, wo die Triade mich nicht findet. Ist zwar auch nicht das, was ich mir unter Gerechtigkeit vorstelle, aber es bringt nichts, diesen Psychopathen wieder verhaften zu wollen. Solange keine neuen Beweise geliefert werden können, darf Shen nicht noch mal für dieselben Verbrechen angeklagt werden. Und solange er auf freien Fuß ist, ist niemand von uns sicher.“ Morphius betrachtete Sam mit seinem Blick, der stets etwas von dem eines mürrischen Katers hatte und dachte nach. Ihm war nicht entgangen, wie sich Sam verändert hatte. Zu Anfang, als er ihn kennen gelernt hatte, war Sam ein idealistischer und fast schon naiver Trottel gewesen, doch nun erkannte dieser so langsam, wie vertrackt die Situation in Wirklichkeit war. Und er hatte vor allem gemerkt, wie stark die Verbindung zwischen ihm und Araphel war. Dabei stellte er sich auch besonders die Frage, ob Araphel diese drastische Entscheidung deshalb getroffen hatte, weil seine Sorge so groß war, Sam zu verlieren. Oder steckte vielleicht etwas anderes dahinter? Welche Gedanken hatte sich Araphel gemacht und wie viel wusste Victor Camorra davon? Morphius war nicht blöd. Der Patriarch hatte sich ja wohl kaum zum Spaß umbringen lassen. Nein, er hatte darauf abgezielt, dass sein Sohn Araphel aktiv im Kampf gegen die Triade unterstützte. Und nun war nun die Preisfrage, ob Sergej wohl weitere Pläne gehabt hatte. Die Ermordung der Unterbosse zum gleichen Zeitpunkt war ein Schachzug gewesen, den es zuletzt bei Stephen Mason gegeben hatte. Sie wurde von manchen auch das Corleone-Manöver genannt und von alleine wären wahrscheinlich weder Araphel noch Victor darauf gekommen. Nein, es sah eher danach aus, als hätte der Patriarch diese Idee gehabt. Nur der Zeitpunkt der Durchführung war Victor und Araphel überlassen worden. Und gemäß dem Fall, dass es so war, dann fragte er sich, ob Sergej wohl auch mit einkalkuliert hatte, wie es enden würde. Nämlich dass Araphel sterben würde. Ob er das wirklich zugelassen hätte? Das wäre nur schwer vorstellbar, vor allem weil Morphius von dem Versprechen wusste, dass Sergej sich um Araphel kümmern würde. Als sie schließlich die Fabrikhalle in der Bridge Street erreichten, sah Sam schon von der anderen Straßenseite, dass es in der Fabrik brannte. Schwarzer Rauch quoll aus den Fenstern und verdeckte den sternbedeckten Himmel. „Morph, es brennt!“ rief er und stieg aus dem Wagen. Er rannte los, so schnell ihn seine Beine trugen und wurde von einer entsetzlichen Angst ergriffen, wobei ihm tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Was, wenn Araphel noch da drin war? Warum brannte es überhaupt in der Fabrik? Was war passiert und war da noch jemand drin? „Araphel!“ rief er und eilte in Richtung Haupteingang. Dort sah er einen jungen Mann im Anzug, den er schon mal gesehen hatte. Es war Victor Camorra. Sam rannte zu ihm hin, Morphius folgte ihm. Als Victor die beiden sah, wirkte er überrascht und er fragte auch „Was macht ihr denn hier?“, doch Sam ließ die Frage unbeantwortet, sondern wollte wissen „Wo ist Araphel und warum brennt es in der Fabrik? Was ist passiert?“ „Ihr solltet besser gehen. Das ist zu gefährlich.“ „IST ARAPHEL DA DRIN, VERDAMMT NOCH MAL?!“ Victor seufzte und gab ein „ja“ zur Antwort. Er wollte noch etwas erklären, doch Sam wollte nichts mehr hören und lief zum Haupteingang. Als er die Tür aufriss, schlug ihm eine infernalische Hitze entgegen und er musste zurückweichen, als ihm auch schon Flammen entgegenschlugen. Es brannte bereits überall. Überall war Feuer und Sam sah mit Entsetzen, wie schlimm es bereits war. Doch seine Angst um Araphel war so groß, dass er trotzdem in den Flammenherd hineingelaufen wäre, wenn Morphius ihn nicht festgehalten hätte. „Bist du verrückt?“ rief der Informant. „Du kannst da nicht reingehen, das ist zu gefährlich.“ „Aber Araphel ist noch da drin.“ Sam wehrte sich nach Leibeskräften und schaffte es, sich loszureißen und rannte los. Er legte seine Jacke schützend über den Kopf, um sein Haar zu schützen und lief geduckt, um nicht zu viel von dem Rauch einzuatmen. Überall hörte er es lodern und knistern. Es war, als würde die Hölle auf Erden toben. Eine mörderische Hitze herrschte in der Fabrikhalle. „Araphel!“ schrie er durch den Lärm der Flammen. Er lief weiter, doch die Hitze war unerträglich. Selbst die Luft, die er einatmete, brannte in seinen Lungen. Überall breitete sich das Feuer aus und etwas weiter weg sah er jemanden liegen. Es war Shen, der blutüberströmt und regungslos auf dem Boden lag, während die Flammen an seinen Kleidern zu zehren begann. Offenbar war er schon tot, oder durch den hohen Blutverlust ohnmächtig geworden. Doch wo war Araphel? Sam rief weiter nach ihm und tatsächlich konnte er etwas weiter weg noch jemanden liegen sehen. Allerdings musste er seine Augen anstrengen, denn durch den vielen Rauch war es kaum möglich, überhaupt noch irgendetwas zu sehen. Außerdem tränten seine Augen durch die Hitze und den vielen Qualm, durch den er auch noch einen heftigen Hustenanfall bekam. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, nur eine groß gewachsene männliche Person mit schwarzem Haar, die einen Anzug trug. Sie lag auf den Bauch und schien bewusstlos zu sein. Araphel, schoss es Sam durch den Kopf. Das musste Araphel sein. Sofort wollte er zu ihm hin, da gab es eine Explosion und ein Feuerball schoss in Sams Richtung. Jemand packte ihn und riss ihn rechtzeitig zurück, bevor das Feuer ihn erwischen konnte. Es war Morphius. „Sam, wir müssen raus!“ rief er und versuchte ihn mit sich zu zerren, doch der Detektiv rührte sich nicht von der Stelle. „Das geht nicht“, versuchte er zu erklären. „Araphel liegt dort. Wir müssen…“ „Sam… da ist überall Feuer. Wir können nicht zu ihm.“ Es stimmte leider. Überall war Feuer und es breitete sich immer weiter aus. Doch Sam wollte Araphel nicht zurücklassen, nicht nachdem er in fast greifbarer Nähe war. Doch letzten Endes schaffte er es nicht, sich gegen Morphius durchzusetzen. Überall zersprangen die Fenster und alte Tonnen und Kanister explodierten unter der infernalischen Hitze. Wenn sie nicht sofort von hier verschwanden, würden sie hier ebenfalls sterben. Schweren Herzens folgte Sam dem Informanten und gemeinsam eilten sie wieder nach draußen. Es gelang ihnen im letzten Moment, die Fabrik zu verlassen, bevor der Ausgang endgültig durch die Flammen versperrt wurde. Kalte Nachtluft wehte ihnen entgegen und kühlte ihre Haut. Sam wankte die letzten Schritte noch, dann geriet er ins Stolpern und musste von Morphius gestützt werden. Er rang nach Luft, hustete mehrmals und musste seinen Inhalator zur Hilfe nehmen, doch sonderlich Linderung brachte es nicht. Er hatte so viel Rauch eingeatmet, dass er sich wahrscheinlich eine Rauchvergiftung zugezogen hatte. „Sam“, keuchte Morphius, dem es kaum besser ging. „Jetzt mach nicht schlapp, okay. Komm schon…“ Doch der Detektiv spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte. Schwindel, Benommenheit, Schmerz und Verzweiflung überkamen ihn und er spürte nur, wie Tränen seine Wangen hinunterliefen. Er war zu spät gekommen. Er hatte es nicht geschafft, Araphel zu retten. Die Feuerwehr traf kurze Zeit später ein und versuchte dem Brand entgegenzuwirken. Doch das Feuer war bereits zu groß und so beschlossen sie, wenigstens dafür zu sorgen, dass das Feuer nicht auf Nachbargebäude übergreifen konnte. So brannte die alte Fabrik bis auf die Grundmauern nieder und der Brand rief die Polizei und auch viele Schaulustige herbei. Ein Notarztwagen traf ein und Sam und Morphius wurden mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht. Da diese aber nicht allzu gravierend war, konnten sie am nächsten Tag wieder entlassen werden. Agent James und ihr Partner Agent Kazan kamen ins Krankenhaus, um zu erfahren, was das alles sollte und wieso sie abgehauen waren. Sam, der noch unter Schock stand und nicht aufhören konnte zu weinen, war außer Stande, ihnen eine vernünftige Antwort zu geben. Erst Morphius erzählte, was sie herausgefunden hatten und was sie vorgehabt hatten. Während Agent James immer noch ein wenig wütend zu sein schien, zeigte Agent Kazan deutlich mehr Mitgefühl, vor allem Sam gegenüber, der sich schwere Vorwürfe machte. Er war es auch, der schließlich erzählte, dass die Feuerwehr zwei Leichen aus der Fabrikhalle geborgen hatte. Allerdings seien die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und es war fraglich, ob eine Autopsie mehr Informationen über die Identität der Opfer liefern konnte. Doch Sam schüttelte nur traurig den Kopf und sagte „Es waren Shen und Araphel. Ich habe es gesehen.“ „Dann wären also alle drei großen Bosse tot“, stellte Agent Kazan etwas nüchtern fest und wandte sich an seine Partnerin. „Ich frage mich, ob dies auch dann das Ende der Triade ist.“ Wenige Tage später, als die Autopsie an den Leichen durchgeführt worden war, erfuhr Sam die genauen Details von Agent Kazan. Die beiden Leichen waren so verbrannt, dass sich weder DNA-Proben, noch Fingerabdrücke nehmen ließen. Lediglich an der Körperstatur ließ sich erkennen, dass es zwei männliche Leichen waren. Gebissabdrücke ergaben schließlich die genauen Ergebnisse, nämlich dass es sich bei den Toten tatsächlich um Araphel Mason und Shen Yuanxian handelte. Man fand zudem heraus, dass auf Shen mehrmals geschossen worden war. Auch in Araphels Kopf fand man ein Loch, was den Verdacht erweckte, dass er sich erschossen hatte, nachdem er das Feuer gelegt hatte. Auch die Waffe wurde sichergestellt, mit der geschossen worden war. Kaum, dass die Information draußen war, wurde es schlagartig ruhig in der Bostoner Unterwelt. Die Yanjingshe, die sowohl ihren Boss als auch sämtliche Unterbosse verloren hatte, stand ohne feste Hierarchie dar und war regelrecht hilflos. Ein Zustand, den das FBI für sich nutzte, um gegen die Mitglieder zu ermitteln. Die Mason-Familie zerfiel direkt nach der Verkündung von Araphels Tod und verlor ihre Macht in der Bostoner Unterwelt. Eine Zeit der Veränderung war angebrochen und das merkte jeder in der Stadt. Die Mason-Villa stand leer, wurde schließlich ausgeräumt und verkauft, da es niemanden mehr gab, der Anspruch auf einen Besitz erwirken konnte. Die verbrannten Überreste von Shen und Araphel wurden bestattet, ihre Tode von den Clans betrauert und bei Araphels Beerdigung fanden die letzten Überlebenden noch mal zusammen. Alle waren tief betroffen über den Verlust von Araphel. Am schlimmsten aber ging es Sam, der, als der Sarg in das Grab hineingelassen wurde, einen emotionalen Zusammenbruch erlitt und von Morphius und Dr. Heian beruhigt werden musste. Für ihn brach eine ganze Welt zusammen. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass Araphel tot war. Wäre er nur wenige Minuten früher gekommen, dann hätte er ihn retten können. Und da tröstete ihn auch die Tatsache nicht, dass Araphels Tod kurz und schmerzlos gewesen war und er keinen qualvollen Flammentod erleiden musste. Was spielte es für eine Rolle, wenn das grausame Schicksal ihm jenen Menschen genommen hatte, den er so sehr liebte? Nichts würde es ungeschehen machen und da tröstete ihn auch nicht die Tatsache, dass Araphel durch eine Kugel und nicht durch das Feuer gestorben war. Nachdem er noch ein paar Tage in der Mason-Villa gewohnt hatte, war er in sein eigenes Apartment zurückgekehrt, welches schon so lange nicht mehr betreten worden war. Seine stets unaufgeräumte und enge Junggesellenbude. Seine Familie kam ihn besuchen und wollte natürlich wissen, wo er denn gewesen war und wieso er sich so lange nicht mehr gemeldet hatte. Doch er wollte nicht darüber sprechen. Stattdessen schloss er sich die meiste Zeit zuhause ein, lag im Bett und trauerte. Selbst sein Kater Sokrates konnte ihn nicht auf andere Gedanken bringen. Es schien, als hätte ihn jegliche Hoffnung und jeder Lebenswille gänzlich verlassen und er brachte es nicht einmal fertig, sich um den Haushalt zu kümmern, einzukaufen oder etwas zu essen. Er wollte nichts zu sich nehmen. Alles war ihm gleichgültig geworden. Araphel war tot und er hatte es nicht mal geschafft, ihn zu retten. Wahrscheinlich wäre Sam noch endgültig vor die Hunde gegangen, hätten sich Morphius und Dr. Heian nicht um ihn gekümmert. Sie machten sich große Sorgen um ihn und versuchten, ihm irgendwie beizustehen, ihn zu trösten und irgendwie wieder aufzubauen. Als sie ihn vorfanden, befand sich Sam bereits in einem besorgniserregenden Zustand. Er hatte in den wenigen Tagen stark abgebaut, war ungepflegt und seine Wohnung ein unaussprechliches Chaos. Dr. Heian hatte daraus die Konsequenz gezogen, sich seines Patienten anzunehmen und setzte sich mit Strenge und Unnachgiebigkeit gegen Sams schwere Depression durch. Und er unterband auch den Konsum von Alkohol, der ebenfalls stark angestiegen war. Um ihn besser im Auge zu haben, hatte er beschlossen, dass sie Sam erst mal in ihrer Wohnung einzuquartieren, die sie übergangsweise bezogen hatten. So schlief der Detektiv bei den beiden auf der Couch, doch die meiste Zeit verbrachte er nur damit, einfach nur untätig da zu liegen und sich seiner Trauer hinzugeben. „Wäre ich doch nur fünf Minuten eher da gewesen, ich hätte ihn vielleicht retten können“, sprach er zum gefühlten tausendsten Male. „Wieso nur habe ich ihn nicht retten können? Ich war doch fast bei ihm.“ „Er war schon tot gewesen, als du in die Halle kamst“, erklärte Morphius. „Du hast doch gehört, was Agent Kazan gesagt hat. Er hat sich in den Kopf geschossen und ist gestorben.“ Doch Sam wollte das nicht so wirklich glauben. Es hatte für ihn so ausgesehen, als wäre Araphel bewusstlos gewesen. „Aber ich habe kein Blut gesehen“, wandte er ein. „Die müssen sich geirrt haben!“ „Es war alles voller Feuer und Rauch, man hat da eh kaum etwas erkennen können. Hey, Araphel hätte nicht gewollt, dass du dich so gehen lässt. Du lebst noch und er hat all das auf sich genommen, weil er dich und uns beschützen wollte.“ Doch Sam war wie taub für diese Worte. Immer und immer wieder redete er sich ein, dass er Araphel hätte retten können, wenn er nur ein bisschen früher in der Fabrik gewesen wäre. Da sich keine Besserung einstellen wollte, zog Dr. Heian die Reißleine und verschrieb ihm ein Antidepressivum und Sam nahm es erst, nachdem der Arzt ihm mehr als deutlich klar gemacht hatte, dass er ihm das Mittel ansonsten gewaltsam verabreichen würde. Und tatsächlich stellte sich eine kleine Besserung ein, als Sam das Mittel nahm. Am Abend saß Sam gemeinsam mit Dr. Heian in der Küche, während Morphius unterwegs war, um neue Informationen zu sammeln. Während Sam am Tisch saß und einen Tee trank, nachdem er sein Antidepressivum genommen hatte, stand der Arzt am Herd und bereitete das Essen zu. Mit einem schwermütigen Blick starrte Sam auf den bewölkten Himmel und dachte nach. Schließlich fragte er „Wie geht es eigentlich mit euch beiden weiter?“ „Tja, wir werden wohl von hier wegziehen“, gestand Dr. Heian. „Makoto und ich sind der Meinung, dass es besser ist, wenn wir Boston zusammen mit unserer Tochter verlassen. Hier sind zu viele schlimme Dinge passiert und es hängen zu viele schlechte Erinnerungen an diesem Ort. Wahrscheinlich werden wir nach San Francisco ziehen und dort einen Neuanfang machen.“ Einen Neuanfang… Vielleicht sollte er das auch tun. Man sagte ja, dass die Arbeit helfe, Trauer zu verarbeiten, aber wenn er ehrlich war, bezweifelte er, dass er momentan die Kraft aufbringen konnte, wieder seiner Arbeit als Detektiv nachzugehen. Er verband zu viele Erinnerungen an Araphel damit. Zwar hatte er ihm mal gesagt gehabt, dass er nach Shen auch ihn zur Strecke bringen würde, aber er hatte niemals gewollt, dass es darauf hinauslaufen würde, dass beide tot waren. Und wieder stellte sich diese quälende Frage, wie viel Schuld er wohl an Araphels Tod trug. Es erschien ihm einfach so unwirklich. Araphel war ein Kämpfer, er war der Bostoner Löwe! Wieso also sollte er sich denn einfach eine Kugel durch den Schädel jagen? Das passte doch nicht zu ihm. Aber vielleicht wollte er sich das ja auch einfach nur einreden, weil er nicht akzeptieren wollte, dass Araphel für immer fort war. Und selbst wenn er sich keine Kugel durch den Schädel gejagt hatte und stattdessen an der Rauchvergiftung gestorben oder lebendig verbrannt wäre, was hätte es an der Tatsache geändert, dass er tot war? Araphel war fort und nichts und niemand würde ihn je wieder zurückbringen. Das war eine bittere Tatsache, die Sam schweren Herzens akzeptieren musste. „Ich habe ihn geliebt“, sprach er mit trostloser Stimme. „Ja“, bestätigte Dr. Heian ruhig. „Und er hat dich auch sehr geliebt.“ Kapitel 39: Sams Reise ---------------------- „Wenn Rache unmoralisch ist und verboten gehört, müsste jeder Richter sein Amt niederlegen.“ Unbekannt Die Tage vergingen und nachdem der Tod von Shen und Araphel in ganz Boston die Runde gemacht hatte, gab es neue Kämpfe um die frei gewordenen Posten der Nummer eins und zwei der Unterwelt. Dabei trat insbesondere eine junge Frau, die den Namen Evangeline Whitmore trug und die als einziger weiblicher Mafiaboss für großes Aufsehen erregte. Wer sie gesehen hatte, beschrieb sie als der Inbegriff einer Femme fatale. Schön und gefährlich zugleich. Nachdem die Mason-Familie zerfallen war, riss sie sich kurzerhand sämtliche Schwarzmarktgeschäfte unter den Nagel und auch am Glücksspiel schien sie geschäftlich sehr interessiert zu sein. Man sah sie, wenn überhaupt, immer in Begleitung zweier Bodyguards. Wahre Monstren mit Armen so dick wie Baumstämmen. Sie war die Tochter eines Drogenbosses, der großen Einfluss in diesem Milieu besaß. Auch in Chinatown tat sich etwas, als nämlich ein Chinese namens Kim Long ins Gespräch kam und man vermutete zunächst, dass er die Führung der Triade übernehmen würde. Aber durch die unzähligen Festnahmen und Razzien durch die Polizei und das FBI bekam die chinesische Mafia kaum noch ein Bein auf den Boden. Was Sam betraf, so versuchte er wieder seiner Arbeit nachzugehen, doch es fiel ihm schwer, nach allem wieder Kraft zu finden, um wieder in seine Arbeit als Detektiv zurückzukehren. Das alles weckte so viele Erinnerungen an die Zeit, die er mit Araphel verbracht hatte. Inzwischen ging es ihm ein klein wenig besser, zumindest vegetierte er nicht mehr gänzlich vor sich hin, doch es gab für ihn Ungereimtheiten, die ihm nicht aus den Kopf gingen. Er konnte es sich partout nicht vorstellen, dass Araphel sich einfach eine Kugel durch den Kopf schießen würde, nachdem er Shen erschossen hatte. Das passte einfach nicht zu ihm. Er war ein Kämpfer gewesen und er hätte niemals so ein Ende ausgewählt, weil es einfach nicht seine Art war, einen so feigen Tod zu sterben. Viel eher hätte Sam es ihm zugetraut, dass er bereitwillig in den Flammen verbrannt wäre. Auch sonst war er sich sicher gewesen, dass er Araphel zwar hatte am Boden liegen sehen, aber er konnte sich nicht erinnern, auch Blut gesehen zu haben. Schön und gut, seine Augen waren durch den vielen Rauch nicht in der Lage gewesen, alles zu sehen und sie hatten auch ziemlich getränt, aber er hatte definitiv kein Blut gesehen! Dieser Gedanke wurde zur fixen Idee bei ihm und er begann diesen Gedanken weiterzuführen und fragte sich schließlich eines: wie leicht war es, Dokumente beim Zahnarzt zu manipulieren? Die Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, selbst eine DNA-Analyse war unmöglich gewesen, lediglich über die Gebissanalyse hatte man feststellen können, wer die Toten waren. Aber war es denn nicht möglich, dass man die Dokumente manipuliert oder vertauscht hatte und ein Fehler vorlag? Sam begann immer mehr zu zweifeln, denn es gab in seinen Augen einfach zu viele Ungereimtheiten. Und so begann er schließlich weiter nachzuforschen. Nachdem er Agent Kazan, der einen wesentlich kulanteren Eindruck machte als seine Partnerin, ein wenig bearbeitet hatte, hatte er schließlich sämtliche Tatortfotos in seiner Wohnung, die er sich an die Wand klebte und sammelte dazu alles, was er an Informationen hatte. Zwar sprach wirklich alles dafür, dass Araphel tot war, aber er konnte es einfach nicht akzeptieren. Dieses eine kleine Detail, dass der Mafiaboss sich selbst erschossen hatte, passte in seinen Augen einfach nicht. Die Waffe hatte man gefunden. Es war eine Walther PPS Police 9mm x 19, eine beliebte Polizeiwaffe mit maximal acht Schuss. Sam begann zu rechnen. An Shens Leiche waren fünf Stellen gefunden worden, wo er angeschossen worden war. Dann wären also drei Kugeln übrig geblieben. Zwei weitere Einschusslöcher hatte man an zwei Fässern gefunden, in denen offenbar Benzin gewesen war. Gemäß der Vermutung, Araphel hätte also acht Schuss gehabt und mehr nicht, dann hätte er also noch einen Schuss übrig gehabt. Sam ging alles ausnahmslos durch und versuchte angestrengt, die letzte Kugel zu finden, die Araphel abgefeuert hatte. Er war sich sicher, dass Araphel nicht bloß einmal auf Shen geschossen und dann gleich getroffen hätte. Nein, dazu war dieses Monster viel zu flink gewesen, selbst mit dem lädierten Knie. Immer mehr steigerte er sich in seine Idee hinein, dass da etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugelaufen war. Es gab irgendwo ein kleines, aber feines Detail, was die Polizei übersehen haben musste. Sie kannten Araphel nicht, er hätte sich niemals erschossen. Er sprach mit Morphius und Dr. Heian darüber, aber diese hielten sich zurück, da sie Sorge hatten, Sam könnte sich falsche Hoffnungen machen. Sie selbst wussten nicht so recht, was sie darüber denken sollten. Natürlich hatte es sie verwundert, dass Araphel sich einfach erschoss, aber andererseits hatte für den Mafiaboss bereits festgestanden, dass er sterben würde. Wenn er weitergelebt hätte, dann hätte er die Vendetta der Yanjingshe nicht abwenden können. Es sprach einiges dafür und auch einiges dagegen, so war der Tatbestand. Schließlich bekam er Besuch. Es war Morphius, der inzwischen seinen Decknamen abgelegt hatte und sich wieder bei seinem richtigen Namen Makoto nennen ließ. Er hatte seine kleine Tochter Kaguya bei sich. Ein zweijähriges kleines Mädchen mit schwarzem Haar, großen schwarzen Augen und einem hübschen blauen Kleidchen. Sie hatte ihre kleinen Fingerchen in die Hose ihres Vaters gekrallt, um sich an ihm festzuhalten. „Tagchen, Sam“, grüßte der 30-jährige, der eine Tüte bei sich hatte. „Sorry, dass ich die Kleine mitbringen musste, aber Yu-chan ist nach San Francisco geflogen, um dort eine Wohnung zu besichtigen und ich muss halt auf sie aufpassen.“ „Ist doch kein Drama, kommt doch rein.“ Sam führte die beiden ins Wohnzimmer. Für Makoto machte er einen Kaffee, die kleine Kaguya brauchte nichts, da ihr Vater vorsorglich ihr Lieblingsgetränk eingepackt hatte. Es war glücklicherweise nicht ganz so chaotisch, nachdem Sam mal wieder aufgeräumt hatte. Trotzdem lagen noch ein paar Fotos herum, die er schnell wegräumte, denn sie waren für das kleine Mädchen überhaupt nicht geeignet. „Irgendwie ist es schon komisch, dass ihr bald wegzieht“, seufzte Sam und nahm auf dem Sessel Platz. Makoto nahm seine Tochter auf den Schoß, die sich ihrerseits mit einer Stoffpuppe beschäftigte. „Ich meine, wir sind ja alle recht zusammengewachsen und nun…“ „Ja ich weiß, aber… manche Dinge ändern sich halt und nach den ganzen Dingen, die geschehen sind, glaube ich nicht, dass Boston der beste Ort für unsere Tochter ist. In San Francisco wollen wir dann einen Neuanfang machen, eventuell mal heiraten und ein Leben als Familie beginnen. Araphel hatte uns vor unserem Rausschmiss aus der Villa Geld hinterlassen, damit wir uns in San Francisco ein neues Leben aufbauen können. Yu-chan arbeitet schon daran, dass er Arbeit findet. Sein größter Traum ist es ja, Kinderarzt zu werden.“ „Kinderarzt?“ fragte Sam erstaunt. „Ja, er ist total verrückt nach Kindern.“ „Merkt man ihm gar nicht so an. Er kommt immer so kühl und distanziert rüber.“ „Ach der tut nur so. Er ist ein waschechter Tsundere und wirkt zwar ruppig, aber er ist ein absoluter Romantiker und liebt kleine Kinder über alles. Darum habe ich ja damals alles versucht, damit wir ein Kind bekommen. Und jetzt haben wir unsere kleine Kaguya, nicht wahr?“ Das Mädchen lachte, als Makoto sie scherzhaft zu kitzeln begann. Inzwischen war dieser Blick, der immer etwas von einem mürrischen Stubenkater hatte, gewichen und Makoto wirkte im Allgemeinen befreiter als sonst. Wahrscheinlich weil die Aussicht auf ein besseres und sorgloseres Leben ihm Hoffnung gab. „Ich war vorhin übrigens im Krankenhaus“, fuhr der Informant fort. „Bonnie liegt nach wie vor im Koma und die Chancen stehen nicht zum Besten, dass sie so schnell wieder aufwacht. Aber Harvey ist inzwischen überm Berg. Als ich ihm erzählt habe, dass alles vorbei ist, war er wahnsinnig erleichtert und Agent James war auch schon im Krankenhaus, um ihn zu besuchen. Er wird wohl nächsten Monat aus dem Krankenhaus entlassen und Chris ist immer noch ziemlich am heulen, dass man echt glauben könnte, Harvey hätte das Zeitliche gesegnet. Und wie geht es dir?“ „Ich arbeite immer noch an meinem Fall. Ich bin mir sicher, dass ich irgendetwas übersehen habe.“ „Sam…“, seufzte Makoto und schüttelte den Kopf, doch der Detektiv wollte sich nicht beirren lassen. „Was, wenn Araphel seinen Tod nur vorgetäuscht hat und gar nicht verbrannt ist? Ich bin mir sicher, dass er sich gar nicht in den Kopf schießen konnte. Dazu hatte er nicht genug Kugeln.“ „Er hätte das Magazin wieder auffüllen können.“ „Aber als ich ihn da liegen sah, habe ich weder sein Gesicht deutlich genug gesehen, noch war da irgendwo Blut!“ „Es war alles voller Feuer und Rauch gewesen und die Polizei konnte ihn anhand der Zahnabdrücke identifizieren.“ „Wenn man die Dokumente beim Zahnarzt manipuliert, kann man auf diese Weise seinen Tod vortäuschen. Ich bin mir sicher, dass da irgendeine Ungereimtheit ist. Nenne es ein Gefühl von mir, aber etwas stimmt da einfach nicht.“ Makoto sah ihn ein wenig besorgt an, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen trank er seinen Kaffee aus, setzte seine Tochter ab und stand auf. Dabei stellte er Sam die Tüte auf den Tisch. „Du gehst wieder?“ fragte der Detektiv überrascht. Hierauf erklärte der Informant ihn, dass er mit Kaguya noch zum Arzt musste. Dabei fügte er noch hinzu „Das ist übrigens für dich. Als Yu-chan und ich in der Villa unsere letzten Sachen abholen waren, kam Victor zu Besuch und meinte, das wäre von seinem Vater. Es ist für dich. Offenbar hatte der Alte wohl Gefallen an dir gefunden und wollte dir eine Aufmerksamkeit schicken, hatte es aber wohl nicht mehr schaffen können. Ich dachte, ich bringe es dir eben vorbei.“ „Äh danke, Makoto. Grüß den Doc von mir, ja?“ Hier stutzte der 30-jährige, als er das hörte. Sam hatte Dr. Heian nie „Doc“ genannt. Die einzige Person, die das je getan hatte, war… Christine. Und das gab ihm nur noch mehr Anlass zur Sorge. „Sam… machst du dir immer noch Vorwürfe wegen Christine?“ Der Detektiv schüttelte den Kopf und erhob sich, um Makoto zur Tür zu begleiten. Seine eisblauen Augen hatten etwas Melancholisches angenommen, was in der letzten Zeit öfter bei ihm zu sehen war. „Nein, aber ohne sie wäre ich wahrscheinlich jetzt nicht hier. Sie hat mir das Leben gerettet und sie war die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Ich möchte halt nicht vergessen, wer sie für mich und für alle anderen war, deshalb möchte ich ihr Andenken auch in Ehren halten. Den Fury habe ich in meiner Garage sicher untergebracht und ich denke mir halt: wenn ich wenigstens etwas von ihr weiterleben lassen kann, dann verschwindet sie auch nicht endgültig aus dieser Welt.“ „Ja, da hast du wohl Recht. Und ich bin mir sicher, sie wäre sehr stolz darauf, wenn sie wüsste, dass wir leben und es uns gut geht. Na dann… man sieht sich. Yu-chan und ich werden uns auf jeden Fall melden.“ Sam kehrte wieder ins Wohnzimmer zurück und widmete sich nun der Tüte, die Makoto dagelassen hatte. Nun packte ihn die Neugier und er wollte es wissen. Was hatte der Patriarch ihm denn schicken wollen? Sam holte ein Paket heraus, auf dem das Wort „Zerbrechlich“ stand. Es war gut und gerne einen Kilo schwer und als er es vorsichtig auspackte, entpuppte sich der Inhalt als eine Flasche Rotwein, eingebettet in Schaumstoff, damit sie perfekt lag und nicht zerbrechen konnte. Etwas überrascht runzelte Sam die Stirn und fragte sich, was der Patriarch wohl im Sinn gehabt hatte, ihm eine Flasche Rotwein zu schicken. Nun, vielleicht war es ja eine Art freundschaftliche Geste, weil er mit Araphel zusammen gewesen war und der Patriarch in diesen eine Art Sohn sah. Und wenn sich Sam richtig erinnerte, hatte Sergej ja zur Hälfte italienische Wurzeln. Da sah es einem Italiener doch ähnlich, als Geschenk eine Flasche italienischen Rotwein zu schicken. Wahrscheinlich war es seine Art zu sagen, dass er ihn als wichtigste Person in Araphels Leben akzeptierte und respektierte. Nachdenklich betrachtete Sam die Flasche und bemerkte, dass das Etikett sehr schön war. Es zeigte einen geflügelten schwarzen Löwen, der wahrscheinlich das Zeichen des Weingutes war. So ein ähnliches Motiv kannte Sam, nämlich den Leone d’Oro, der in Venedig beim Filmfestival verliehen wurde. Nun, da ja nichts mehr an Arbeit für heute anstand, beschloss Sam, die Flasche zu öffnen. Diese hatte sogar noch den guten alten herkömmlichen Korken. Eben ein echt italienischer Wein. Aus dem Schrank holte der Detektiv schließlich den Korkenzieher, entkorkte die Flasche und schenkte sich ein Glas Wein ein. Zwar war er kein Weinkenner, aber er musste zugeben, dass der Wein wirklich gut war. Jedenfalls schmeckte er tausend Mal besser als die Weine aus dem Supermarkt. Wahrscheinlich war es eine ziemlich teure Flasche, das hätte er dem Patriarchen noch zugetraut. Als er sich noch ein Glas einschenkte, wanderte sein Blick immer wieder auf das Etikett. Ein seltsamer Gedanke begann sich in ihn zu regen. Konnte es vielleicht sein, dass Sergej etwa so weit gedacht hatte und es tatsächlich möglich war? Sollte er auf sein Gefühl vertrauen? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er musste einfach seinem Gefühl nachgehen und sich Gewissheit verschaffen. Also holte Sam seinen Laptop aus dem Schlafzimmer, schaltete ihn an und begann nach einem direkten Flug nach Italien zu suchen. Er hatte Glück. Er konnte ein Ticket für einen Nachtflug nächste Woche buchen und versuchte herauszufinden, wo das Weingut lag, von wo der Wein herstammte. Doch das war nicht ganz einfach und es kostete ihn eine ganze Weile, bis er die Information erhielt, dass es sich um ein Weingut in der Toskana handelte. Schließlich, als er eine Woche später seinen Flug antrat, begann für ihn eine kleine Odyssee. Denn sein Problem war, dass er kein einziges Wort Italienisch sprach und es nicht viele gab, die ihn auch gut verstanden. Manche sprachen zwar Englisch, aber manchmal hatte Sam große Schwierigkeiten, etwas aus diesem gebrochenen Englisch herauszufiltern. Nachdem er eine Nacht in einem billigen Motel verbracht hatte, fuhr er mit dem Zug weiter in die Toskana, wo er sich einen Wagen mietete und im Ort herumfragte. Dabei zeigte er ihnen auch die Flasche mit dem Etikett, auf denen der schwarze Löwe abgebildet war. Aber wie sich schnell herausstellte, konnten die Leute nicht viel damit anfangen. Einige Male wurde er auch in eine völlig falsche Richtung geschickt, weil die Leute sich nicht ganz sicher waren, welches Weingut denn welchen Namen hatte. Es war eine fürchterlich frustrierende Suche und schließlich war Sam von der ganzen Sucherei müde und erschöpft und ging in ein Café, um etwas zu trinken. Er setzte sich auf die Terrasse, da es angenehm warm und sonnig war trotz der Tatsache, dass es bereits Oktober war. Sam bestellte sich einen Espresso, setzte sich und stellte die leere Weinflasche auf dem Tisch ab. „Warum mache ich das eigentlich?“ fragte er sich laut und seufzte. Er war müde und der Frust steckte ihm in den Knochen. „Die ganze Zeit suche ich dieses gottverdammte Weingut, ohne einen wirklich triftigen Grund dafür zu haben, eine halbe Weltreise zu machen.“ Dabei musste er wohl so laut gewesen sein, dass es die Aufmerksamkeit eines anderen Gastes erregte, der sich neugierig zu ihm umsah. „Amerikaner?“ erkundigte sich der Gast, der sich als ein etwas kurz geratener Italiener Anfang 30 mit dunkelbraunem Haar und Bart entpuppte, den man fast schon als Schönling bezeichnen konnte. „Äh, ja“, bestätigte Sam, der ein klein wenig überrumpelt war. Der Italiener lächelte freundlich und reichte ihm die Hand zur Begrüßung und stellte sich als Antonio Giancomelli vor. „Ich hörte, Sie suchen eine Weingut?“ erkundigte sich Antonio in einem fast schon fehlerfreien Englisch. Hieraufhin ließ er sich die Flasche zeigen, die Sam schon seit Tagen gefühlt 300 Leuten gezeigt hatte, die ihm aber nie so wirklich helfen konnten. Und als Sam ihm davon erzählte, nickte der Italiener verständnisvoll. „Toskana hat viele Weingüter. Leute können sich da nicht gut merken, welche wo sind. Aber diese Weine hier kenne ich. Ist gute Wein hier, sehr gute! Il Leone Nero di Sassetta.“ „Il was?“ fragte Sam verständnislos und Antonio übersetzte es ihm. „Der schwarze Löwe von Sassetta. Das ist die beste Wein von Toskana. Kleines Weingut, sehr schönes Ort!“ Nun regte sich wieder etwas in dem Detektiv. Wenn Antonio schon so gut davon sprach, musste er offenbar wissen, wo es lag. „Sie wissen, wo das Weingut ist?“ „Si, meine Onkel Costa arbeitet dort. Es gehörte der Camorra-Famiglia, wurde dann aber verkauft. Die Weingut liegen in Sassetta, ist nicht sehr weit. Liegt fast an Meer. Ich fahre gleich hin, meine Onkel besuchen. Ich Sie gerne mitnehmen, Signore.“ Sam, der sein Glück kaum fassen konnte, nahm das Angebot gerne an und so gingen sie wenig später zu Antonios Wagen und fuhren nach Sassetta. Die Fahrt dauerte knapp eine halbe Stunde und in der Zeit fragte der Italiener natürlich nach, was Sam denn auf dem Weingut wollte. Doch so ganz war sich der Detektiv nicht sicher, was er antworten sollte, denn im Grunde war er einfach nur aus einem Gefühl heraus hierhergereist in der Hoffnung, dass das Unmögliche vielleicht doch möglich war. „Ich dachte mir, ich könnte dort jemanden finden, den ich vor kurzem verloren habe.“ „Und diese Person sollen auf die Weingut sein?“ „Keine Ahnung. Alles, was ich als Anhaltspunkt habe, ist diese Flasche, die mir von einem Bekannten zugeschickt wurde. Und Sie sagten, das Weingut gehörte der Camorra-Familie?“ „Si“, bestätigte Antonio. „Meine Onkel Costa sagte, die Camorras sind eine sehr große Famiglia. Leben sogar in Amerika.“ „Ja. Ich kannte da jemanden, der hieß Sergej. Er hat mir nach seinem Tod die Weinflasche zuschicken lassen.“ „Ah, il patriarca. Er kam oft mit seiner famiglia nach Sassetta. Meine Onkel mochte ihn sehr. Sagte, er spreche Italienisch wie eine Amerikaner, aber die Leute mochten ihn.“ Schließlich erreichten sie das Weingut, nach dem Sam seit Tagen vergeblich gesucht hatte. Es war, wie Antonio sagte, ein kleines Weingut, aber es hatte etwas sehr Heimeliges und Einladendes. Hinter einem Tor stand befand sich das Haus. Es war ein großes Gebäude in einem rustikalen toskanischen Stil mit Fensterläden in einem wunderschönen mediterranen Garten. Ein weiteres Haus stand nicht weit entfernt und dort wurden, wie Antonio erzählte, die Weinfässer gelagert. Teile der Hauswände waren mit Weinreben bewuchert und Sam staunte nicht schlecht. Er hatte ja schon einiges davon gehört, dass die Toskana sehr schöne Orte zu bieten hatte, aber dieses Weingut hatte wirklich etwas Verträumtes und Romantisches. Er folgte Antonio zum Haupteingang, wo auch schon ein etwas älterer Mann herbeikam, dessen Haare schon zu ergrauen begannen, genauso wie sein Schnauzbart. Der Mann begrüßte Sam mit derselben italienischen Herzlichkeit und empfing Antonio mit einer Umarmung. Der Mann war dem Detektiv schon gleich sehr sympathisch. Er hatte diese Leidenschaft und Herzlichkeit eines typischen Italieners in seinem Blick und unterhielt sich angeregt mit Antonio in seiner Landessprache, sodass Sam kein einziges Wort verstand. Dann aber wandte sich der Antonio zu seinem Begleiter um und erklärte „Das ist meine Onkel Costa.“ Dann wandte er sich wieder seinem Onkel Costa zu und sprach mit ihm wieder auf Italienisch. Da das Wort „Americano“ fiel, ging Sam davon aus, dass Antonio seinem Onkel erklären wollte, wieso er hier war. Costa nickte und wandte sich dann Sam zu. „Sie wollen unser Weingut besuchen?“ erkundigte er sich und nachdem er kurz überlegt hatte, nickte Sam, zeigte ihm die Flasche und erzählte ihm, dass er sie von Sergej Camorra erhalten hätte. Und allein der Name genügte, damit Costa mit seiner Erzählung begann. „Die Camorra-Famiglia hat drei Weingüter hier in der Toskana“, erklärte er und Sam bemerkte sofort, dass Costa deutlich besser Englisch sprach als sein Neffe. „Dieses hier wurde aber von der Camorra-Famiglia verkauft. Wollen Sie eine Besichtigung machen?“ „Nicht ganz“, murmelte Sam und überlegte sich, wie er es am besten erklären konnte. „Ich hatte gehofft, hier jemanden zu finden. Sagen Sie, ist vielleicht jemand hier auf dem Weingut mit dem Namen Araphel Mason?“ Hier zog der alte Mann die Augenbrauen zusammen und schien verwirrt zu sein. „Raphael?“ fragte er nach. „Nein, Araphel“, korrigierte Sam. „Er ist Amerikaner, ungefähr 1,90m groß, schwarze Haare, dunkle Augen und kräftig gebaut.“ Als der alte Mann den Kopf schüttelte und ihm erklärte, dass es hier keinen Mann mit dem Namen Araphel Mason gab, kehrte die Enttäuschung zurück. Es war auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Aber was hatte er denn erwartet? Die Chancen waren doch sowieso gleich null gewesen. Im Grunde war es eine absolute Schnapsidee gewesen, einfach aus einem Impuls heraus nach Italien zu fliegen und durch die halbe Toskana zu fahren und ein Weingut nach dem anderen abzuklappern. „Es tut mir leid, Signore, aber ich kenne keinen Araphel. Der einzige Amerikaner, den ich hier kenne, ist Signore Liam J. Adams. Ihm gehört das Weingut. Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen. Er müsste noch draußen sein, wir sind nämlich mitten in der Weinlese. Antonio, bringst du ihn bitte zu Signore Liam? Vielleicht kennt er ja die Person, die dieser junge Mann sucht.“ „Mach ich, Onkel.“ Damit gingen sie durch den Garten und betraten das Weingut. Überall standen große Körbe, die mit Weintrauben gefüllt waren und die von Hilfsarbeitern auf kleine Transportwagen geladen wurden, damit sie woanders gepresst und der Saft dann in Fässern gelagert werden konnte. Sie gingen recht weit in das Weingut hinein, bis sie jemanden zwischen den vielen Weinreben fanden. Die Person stand mit den Rücken zu ihnen und trug einen Sonnenhut, ein schlichtes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Der Mann mit dem Sonnenhut hatte einen recht muskulösen Körper, der darauf schließen ließ, dass er sportlich aktiv war. Antonio lief zu ihm hin und sprach ihn auf Italienisch an. Daraufhin sagte der Mann mit dem Sonnenhut etwas in gleicher Sprache zu ihm, woraufhin sich der Italiener verabschiedete. Sam blieb etwas zögerlich stehen, war sich in seinem Herzen noch etwas unsicher, ob seine Reise in einer Sackgasse enden würde oder nicht. „Ich hörte, du wolltest was von mir wissen?“ fragte der Mann und wandte sich zu ihm um. Und als Sam sein Gesicht sah, da weiteten sich seine eisblauen Augen und für einen Moment vergaß er fast, was er fragen wollte. Beinahe versagte ihm sogar die Stimme, bis er sich dann aber fing und versuchte, etwas zu sagen. Doch als sich seine Augen mit Tränen füllten, da spürte er auch schon, wie sein ganzer Körper unter diesen starken Emotionen, die ihn überwältigten, zu beben begann und es ihm fast unmöglich war, zu sprechen, ohne dass seine Stimme zitterte. Doch gleichzeitig strahlte sein ganzes Gesicht unter den vielen Tränen und ein glückliches Lächeln, das von unsäglicher Freude und Erleichterung zeugte, zeichnete sich auf seine Lippen. „Ja“, antwortete er. „Weißt du eigentlich, wie verdammt einfach es ist, die Dokumente beim Zahnarzt zu manipulieren und in einer Fabrikhalle eine andere Leiche statt der eigenen verbrennen zu lassen, um die Polizei und das FBI an der Nase herumzuführen? Jeder drittklassige Detektiv würde das durchschauen.“ Der Mann mit dem Sonnenhut schmunzelte, als er das hörte. „Nein, nicht ganz“, widersprach er mit ruhiger Stimme. „Nur ein ganz bestimmter, von dem ich auch wollte, dass er mich findet.“ Hieraufhin schlossen sie sich in die Arme und als Sam in seinen Armen lag und seinen Tränen freien Lauf ließ, da dachte er sich, dass Liam ein sehr schöner Name war. Denn er bedeutete „der entschlossene Beschützer“. Wirklich ein passender Name, für einen menschlichen Löwen. Epilog: Zu guter Letzt ---------------------- „Du kannst Dir inneren Frieden und Glückseligkeit nicht herstellen. Sie sind deine wahre Natur. Sie bleiben übrig, wenn du all das aufgibst, was Dich leiden lässt.“ Buddha Sam Leens blieb über vier Monate auf dem Weingut in Sassetta, bis er wieder nach Amerika zurückkehrte. Nachdem er seiner Mutter alles erklärt hatte, nahm er von ihr und seinen Freunden Abschied, kündigte seine Wohnung und nahm mit, was er brauchte, um endgültig nach Italien auszuwandern. Viele Sachen verkaufte er aber auch, da es zu aufwendig war, so viel Gepäck mitzunehmen. Doch eines nahm er mit, was er ganz und gar nicht aufgeben, sondern unter allen Umständen mit nach Italien mitnehmen wollte und wo er auch keine Kosten und Mühen scheute: den 58er Plymouth Fury in der einzigartigen Rotweißlackierung. Christines Wagen, den er nach ihrem Tod übernommen hatte. Wenigstens ihn wollte er mitnehmen. Und so kam es, dass Sam Leens, der eine aufstrebende Karriere als Detektiv begonnen hatte, auf dem Weingut zu arbeiten begann. Und tatsächlich wirkten sich die körperliche Arbeit und die reine Landluft auch sehr positiv auf sein Asthma aus, sodass er seitdem kaum noch unter Anfällen litt. Zwar war dieses Leben auf dem Weingut nicht wirklich das, was er sich immer vorgestellt hatte, denn sein größter Traum, Polizist zu werden, war nie erloschen, auch wenn es nur ein Traum bleiben würde. Aber er war dennoch zufrieden mit sich und seinem Leben und dieser Abstand zu Boston und all den Dingen, die ihn an die Mafiakriege erinnerte, tat ihm wirklich gut und er fühlte sich glücklich, denn es gab genug Gründe, warum er Italien nie wieder verlassen würde. Nachdem das Ende der Yanjingshe endgültig besiegelt worden war, kehrte auch in Boston Ruhe ein. Die mehrmaligen Versuche, ihre alte Macht wieder zu festigen, wurden von den neuen führenden Clans zunichte gemacht und letztendlich verlor die Triade den letzten Rest ihrer Macht und zerstreute sich. Die wenigen Triademitglieder, die nicht den zahlreichen Razzien zum Opfer gefallen waren, kehrten entweder in ihre Heimat zurück, oder sie tauchten in Chinatown unter. Zwar war Boston immer noch nicht das, was man einen friedlichen Ort nennen konnte, doch die drei Mafia-Oberhäupter, die die Nachfolge von Araphel, Shen und Sergej übernommen hatten, versuchten sich möglichst aus dem Weg zu gehen und sich bei Geschäften nicht allzu sehr in die Quere zu kommen. Zwar ließ sich das nicht immer vermeiden, doch im Großen und Ganzen lief es bei weitem ruhiger zu als zu Zeiten ihrer Vorgänger. Victor Camorra erwies sich als sehr tüchtiger und zielstrebiger Boss. Er führte seine Familie mit Strenge und Unnachgiebigkeit an und erlangte aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse bezüglich der Gesetze schnell den Titel als „Teufelsadvokat“. Ein paar Monate später kursierten sogar Gerüchte, dass er ein Auge auf die „schwarze Madonna“ Evangeline geworfen hatte und auch sie schien ihm sehr sympathisch geneigt zu sein. Tatsächlich dauerte es keine drei Jahre, bis aus den beiden ein festes Paar wurde und sich schließlich die zwei mächtigsten Familien vereinten und die Bostoner Umwelt gemeinsam als die neue Nummer eins regierten. Was Morphius oder besser gesagt Makoto Narimono betraf, so hatte dieser sein Dasein als Informant aufgegeben. Nach dem Zerfall der Mason-Familie und der Yanjingshe war er der Meinung, dass es an der Zeit war, endlich wieder zur Normalität zurückzukehren. Und so legte er seine Identität als Morphius Black für immer ab und setzte seinen Entschluss, Boston den Rücken zuzukehren, in die Tat um, nachdem die Wohnung in San Francisco endlich bezogen werden konnte. Gemeinsam mit Dr. Heian und seiner kleinen Tochter Kaguya ließen sie sich in San Francisco nieder, um einen gemeinsamen Neuanfang zu machen. Am 15. Dezember des folgenden Jahres fand dann die Hochzeit statt und Dr. Heian nahm daraufhin Makotos Familiennamen an. Seine Begründung war ganz einfach, dass „Dr. Narimono“ viel schöner klang. Während eben jener Doktor zusammen mit zwei anderen Ärzten eine Gemeinschaftspraxis eröffnete und als Kinderarzt arbeitete, wurde Makoto bei einer renommierten Zeitung als Journalist engagiert. Zuerst wollte man ihm anbieten, dass er im Bereich Kriminalfälle und Verkehrsunfälle arbeiten könnte, doch er lehnte das ab und fing stattdessen als Kolumnenschreiber an. Er musste jedoch erkennen, dass ihm das so ganz und gar nicht erfüllte und sich als ziemlich anspruchslos und langweilig entpuppte, woraufhin er dann doch das Angebot annahm. Dies tat er mit einer gewissen Zerknirschung, denn eigentlich hatte er sich erhofft, nie wieder etwas mit Kriminalfällen, Polizeieinsätzen und Verbrechen zu tun zu bekommen, aber letzten Endes war es das, wofür er am besten geeignet war. Das Rauchen konnte er sich niemals vollständig abgewöhnen. Zwar gab es Zeiten, wo er manchmal bis zu vier Monate nicht rauchte, doch zwischendurch verfiel er wieder in alte Verhaltensmuster. Er achtete allerdings penibel darauf, nicht vor seiner Tochter zu rauchen. Auch sein Ehemann erinnerte ihn immer wieder aufs Neue daran. Ungefähr sechs Jahre später, nachdem er auch seinen Job als Journalist gekündigt hatte und sich stattdessen dem Schreiben von Büchern widmete, sollte er für einen Roman eine Auszeichnung gewinnen, der den Titel „Wunschleben“ trug. Im Großen und Ganzen thematisierte der Roman das Schicksal seiner verstorbenen Freundin Christine, wobei einige Veränderungen vorgenommen worden waren. Er selbst hatte seit Sams Auswanderung nie wieder über diese zwei Jahre in der Mason-Familie gesprochen. Er wollte es auch nicht mehr. Dafür war ihm sein jetziges Leben einfach zu wichtig. Was ihm bei seinem Roman besonders am Herzen lag, war eine Widmung: für die beste Freundin der Welt, die uns gezeigt hat, dass man trotz aller Schicksalsschläge immer noch das Leben führen kann, was man sich von Herzen wünscht, solange man nur nicht aufgibt. Die kleine Kaguya wuchs im Übrigen sehr gut heran. Sie entwickelte sich zu einem hübschen und gesunden kleinen Mädchen und zeigte schon recht früh eine gewisse Neigung zu unüberlegten und vollkommen überstürzten Handlungen wie ihr biologischer Vater. Sehr zum Leidwesen von Dr. Narimono, der versuchte, ihr etwas Vernunft einzutrichtern. Harvey C. Dullahan erholte sich von den schweren Verletzungen, die er sich bei dem Autounfall zugezogen hatte, doch seiner Arbeit als Informant tat dies keinen Abbruch. Er fuhr unbeirrt weiter fort, gegen Polizeigewalt und –korruption vorzugehen, auch wenn sein Ehemann Chris der Auffassung war, dass er nach dieser Geschichte vielleicht doch lieber damit aufhören sollte, weil es ja recht gefährlich sein konnte. Doch Harvey ließ sich nicht beirren und verfolgte weiter sein Ziel, die Polizeiwillkür zu bekämpfen und für etwas mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Er arbeitete weiterhin als Schauspieler und gab meist den Bösewicht am Broadway, während Chris oft die Rolle des tragischen Helden übernahm. Ihre Ehe blieb kinderlos, aber sie waren glücklich so, denn ihr einziger Traum war, gemeinsam auf der Bühne zu stehen und irgendwann ihren Lebensabend in Deutschland zu verbringen, dem Land der Dichter und Denker. Was Bonnie betraf, so lag sie insgesamt 16 Monate im Koma, bis sie endlich die Augen öffnete. Wie sich herausstellte, erinnerte sie sich nicht an den Unfall und die Erinnerungen an diese Horrormomente sollten niemals vollständig zurückkehren, was wahrscheinlich auch besser so war. Durch die monatelange Bewegungsunfähigkeit war sie genötigt, eine Reha zu machen, was auch noch zusätzlich mehrere Wochen in Anspruch nahm, bis sie wieder laufen konnte. Doch sie bekam regelmäßig Besuch von ihrer Familie und von Nathan, der ihr seelische Unterstützung gab und sie fast jeden Tag besuchte. Als sie die Reha abgeschlossen hatte, ging sie wieder ihrem gewohnten Alltag nach, besuchte die Schule und unterstützte die Polizei. Als sie erfuhr, dass Nathan sie getäuscht und ihr vorgegaukelt hatte, er sei von der Regierung verschleppt worden, war sie zu Anfang ziemlich sauer auf ihn. Aufgrund der Umstände, dass er schwer krank gewesen war und ihr das ersparen wollte, verzieh sie ihm jedoch sehr schnell wieder. Und außerdem spielte ja noch die Tatsache eine große Rolle, dass sie ihn liebte. Was Nathan betraf, so war er zu dem Zeitpunkt, als Bonnie aus dem Koma aufgewacht war, längst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wie sich nämlich herausstellte, hatte sich bereits nach wenigen Wochen nach dem Ende der Yanjingshe tatsächlich ein geeigneter Spender gefunden, der sich sofort bereit erklärte, dem Kranken zu helfen und ihm mit einer Knochenmarkspende zu helfen. Es dauerte einige Wochen, bis Nathan vollständig von seiner Leukämie geheilt war und das Krankenhaus verlassen konnte. Allerdings musste er immer noch regelmäßig zur Dialyse. Ein geeigneter Nierenspender fand sich erst fünf Jahre später, doch da die Dialyse bei weitem nicht zu kräftezehrend war wie die Chemotherapie, konnte Nathan wieder ein halbwegs normales Leben außerhalb des Krankenhauses führen, welches er seit acht Monaten nicht mehr verlassen hatte. Und allein schon durch die Tatsache, dass er endlich wieder nach draußen gehen konnte, wirkte sich auch positiv auf seine Vitalität aus. Nachdem er von seiner Leukämie genesen war, besuchte ihn sein Spender, welcher im Übrigen kein Unbekannter war. Tatsächlich wollte es der schicksalhafte Zufall, dass der Spender niemand anderes als Supervisory Agent Sadie James war. Und diese hatte seine Hilfe im Slave Shipping Service Fall nicht vergessen und bot ihm an, dass er im Dienste des FBI seine Fähigkeiten als Hacker nutzte, um sie in diversen Ermittlungen zu unterstützen. Zuerst lehnte Nathan ab, doch Sadie ließ nicht locker. Sie wollte ihn unbedingt in ihrem Team haben und nachdem sie ihn lange genug bequatscht hatte (sie meinte sogar, er sei es ihr schuldig, nachdem sie ihm geholfen hatte), willigte er dann doch ein. Trotz des Altersunterschiedes wurden Nathan und Bonnie ein Paar und auch Bonnie begann für das FBI zu arbeiten. So konnte sie mit Nathan zusammenarbeiten und sie fühlte sich beim FBI auch besser aufgehoben. Was die Schule betraf, so musste sie das eine Jahr wiederholen, was sie durch ihr Koma verpasst hatte. Doch trotz dieser Ehrenrunde sollte sie es dank der Unterstützung des FBI schaffen, ein Studium im IT-Bereich zu machen, natürlich unter der Prämisse, dass sie beim FBI blieb. Sie blieb auch gerne in Sadies Team und sie respektierte und bewunderte sie. Vor allem auch, weil Sadie dank der Spende Nathan helfen konnte. Aber es war wohl auch die Persönlichkeit, die einen tiefen Eindruck bei Bonnie hinterlassen hatte. Sadie James erlangte beim FBI durch die Zerschlagung des Slave Shipping Services genauso großes Ansehen wie ihr Partner Agent Kazan. Für sie beide änderte sich nicht viel. Sie gingen weiterhin ihrer Arbeit nach und lösten Fälle und überführten Mörder, Schmuggler, Kinderschänder und weitere Schwerverbrecher. Kazans Dienst sollte im Alter von 55 Jahren einen kurzen Abbruch finden, als er während eines Einsatzes einen Herzinfarkt erlitt. Da er den Dienst nicht quittieren wollte, wechselte er daraufhin in den Innendienst, da er die Außeneinsätze nicht mehr länger durchführen konnte. Allerdings ereilte ihn knapp zwei Jahre später noch ein Herzinfarkt, der ihm schließlich das Leben kostete. Sadie James wurde während einer Verfolgung angeschossen, doch das reichte nicht aus, um sie in die Knie zu zwingen. Sie blieb im Dienst und leitete ihr Team mit strenger Hand. Doch trotz ihres so rau wirkenden Charakters ließ es sich kaum übersehen, dass sie sich vor allem um Bonnie kümmerte und sie auch genauso wie Nathan in Schutz nahm, wenn es Probleme gab. Vor allem aber machte sie eine unvorstellbare Szene, als Bonnie gefragt wurde, ob sie vor der Kamera strippen würde, um Pädophile ins Netz gehen zu lassen. Sie hatte die Verantwortlichen so heftig zusammengestaucht, dass sie sich heiser schrie und sie sogar eine Tasse an die Wand warf. Danach wagte es niemand mehr, Bonnie so etwas zu fragen. Allerdings wurden nicht selten kleine Scherze gemacht, dass Bonnie nun zwei Mütter hätte. Sadie James reagierte nicht gerade begeistert darüber, aber sie bestritt auch durchaus nicht, dass sie ein besonderes Auge auf Bonnie und Nathan habe, da diese eben noch sehr jung waren und sie als Teamleiterin auch eine Fürsorgepflicht ihnen gegenüber hätte. Sadie blieb noch insgesamt 20 Jahre beim FBI, bis sie durch einen schweren Unfall einen bleibenden Knieschaden erlitt und ihre bisherige Arbeit nicht mehr durchführen konnte. Doch sie arrangierte sich auch sehr gut damit, nicht mehr an forderster Front zu kämpfen, sondern die leitende Rolle zu übernehmen und auf ihr Team zu bauen. Und was sollte Jahre später aus Araphel und Sam werden? Nun, sie führten ihr Leben auf dem Weingut und waren zufrieden mit dem, was sie hatten. Lediglich einen Zwischenfall sollte es geben, als Sam im Herbst bei einem sehr schwülen und drückenden Wetter wieder stärker mit seinem Asthma zu kämpfen hatte und dann plötzlich, als er alleine auf dem Feld war, einen heftigen Anfall erlitt. Lediglich der Zufall rettete ihn, dass Araphel mit dem Wagen in die Stadt fahren wollte und er ihn auf dem Boden liegen sah. Sam lag danach fast eine Woche im Krankenhaus, doch er erholte sich zum Glück wieder. Eine Weile später gab es dann einen weiteren Vorfall, nämlich eine Bande von Unruhestiftern, die im Auftrag eines recht skrupellosen Unternehmers das Weingut für einen lächerlich geringen Preis erkaufen wollte und sogar seine Schläger losschickte. Sie hatten sich leider den falschen Gegner ausgesucht, denn Araphel hatte selbst nach Jahren seine Erfahrung als Mafiaboss nicht vergessen und letzten Endes kehrte jeder der Unruhestifter nach einer saftigen Abreibung zurück und Gerüchten zufolge sollte Araphel dem Unternehmer so heftig eingeheizt haben, dass er die Toskana für immer verließ. Das waren die einzigen wirklich weltbewegenden Entwicklungen gewesen, die sich ereigneten. Zwar flog Sam ein bis zwei Mal im Jahr nach Amerika, um seine alte Mutter zu besuchen, die ihren Lebensabend in Florida verbringen wollte. Ansonsten blieb er das ganze Jahr über in der Toskana und war dort glücklich mit Araphel. Dieser kehrte übrigens nie wieder nach Amerika zurück. Dieses Leben hatte er endgültig hinter sich gelassen und er wollte die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen. Denn er hatte nun einen Ort, an dem er für immer bleiben wollte. Nämlich bei dem Menschen, den er liebte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)