Moonblood von Skeru_Seven (Mondkinder Teil 1) ================================================================================ Kapitel 4: ☽☾ ------------- Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach nur noch irgendetwas kaputt machen wollte. „Es tut mir Leid, Roman, aber sonst wärst du nie mit mir mitgekommen“, versuchte Zoe mir eine Erklärung für ihre Dummheit zu liefern. „Und dir hat das Leben im Internat echt nicht gutgetan, ich wollte dir doch nur helfen.“ „Hast du ja toll gemacht.“ Ohne Paige und Janina säßen wir dann mitten in der Großstadt auf der Straße und wüssten nicht, wohin. Ob das so viel besser als das Spießerleben im Sekteninternat gewesen wäre, bezweifelte ich irgendwie. Ohne auf ihr weiteres Gequake zu achten; drückte ich das kleine, rote Knöpfchen und musste mich zusammenreißen, um den Hörer nicht gegen die nächste Wand zu werfen. Ich war so wütend auf alles und jeden, das erstaunte mich selbst. Natürlich auf Zoe, die mich angeblich zu meinem Besten hintergangen hatte. Auf mich selbst, weil ich nicht gemerkt hatte, dass da etwas nicht stimmte. Auf Paige, weil sie warum auch immer den größten Wunsch meiner Freundin unmöglich gemacht hatte. Inzwischen auch ein bisschen auf Janina, weil sie Mads davon abgehalten hatte, mich zu beißen und ich deshalb nicht bei Zoe sein konnte und auch auf Linus, weil ich sein Verhalten einfach dumm fand. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Janina überrascht, als sie kurz darauf zu mir zurückkehrte und meinen geladenen Zustand bemerkte. „Ist was passiert? Hat Paige wieder etwas gemacht, was nicht in Ordnung war?“ So kurz wie möglich berichtete ich ihr, was wirklich vorgefallen war. „Das ist ja bescheuert“; stellte sie fest und dachte nach. „Und du kannst auch nicht zurück nach Hause?“ „Nein, die stecken mich doch gleich wieder in diese Irrenanstalt und da halte ich es keine Sekunde mehr aus.“ „Kann ich verstehen.“ Sie stand plötzlich auf. „Ich rede mal mit meinen Eltern, vielleicht kannst du noch etwas länger hier bleiben.“ Na super, jetzt fühlte sich Janina, die damit eigentlich am wenigsten am Hut hatte, auch noch für mich verantwortlich, nur weil sie ein bisschen älter war. Meine schlechte Laune wuchs wieder ein Stückchen, ich wollte nicht auf Kosten anderer Leute, die ich erst seit drei Tagen kannte, hier wohnen. „Also theoretisch haben sie nichts dagegen. Aber naja... vielleicht könntest du dich dafür etwas im Haushalt beteiligen.“ Janina schien es eher unangenehm zu sein, dass sich mein weiterer Aufenthalt hier mit Forderungen verknüpfte. „Kein Problem.“ Ich hatte sonst nichts zu tun und wäre sicher irgendwann durchgedreht, wenn ich nur untätig herumsaß und mir durch zu viel TV Konsum den Verstand zerstörte. „Ich kann mir auch noch einen kleinen Job suchen.“ Damit ich wenigstens für ein paar Kosten aufkam; zu den großen Energiesparern gehörte ich nämlich nicht. „Ist nicht nötig.“ „Ich möchte das aber.“ Sonst ging mir mein Gewissen doch etwas auf den Geist. „Wenn du willst. Weißt du denn schon, was genau?“ Gute Frage, ich kannte mich in dieser Stadt überhaupt nicht aus, wusste also auch nicht, was man hier für Möglichkeiten hatte. Ihr schien mein Schweigen zu genügen. „Dann werde ich mal Mads sagen, dass er sich mal nach etwas umhört. Immerhin muss er wenigstens teilweise den Angriff auf euch wieder gutmachen.“ Ob ich wirklich den Jobvorschlag eines Vampirs annehmen wollte, musste ich mir noch ganz genau überlegen. Aber erst einmal gab es da noch eine Frage, die mich ziemlich interessierte. „Woher kennst du Paige und Mads eigentlich und weißt auch, dass sie Vampire sind? Das erzählt man bestimmt nicht einfach so herum.“ „Da hast du recht. Aber in bestimmten Kreisen kennt man sich einfach.“ Was sollte mir das schon wieder sagen? „Bist du auch ein Vampir?“ Dafür sah sie aber ein bisschen sehr normal aus. „Nein, das nicht.“ Sie schien zu zögern, ob sie mir das wirklich erzählen sollte. Es wäre allerdings ganz nett, wenn ich tatsächlich die nächste Zeit hier verbringen würde, zu wissen, mit wem oder was ich es zu tun hatte. „Es bleibt aber ein Geheimnis, okay? Eigentlich sollten Menschen das nicht wissen, weil sie das meistens gar nicht glauben und wenn doch uns nicht mehr in Ruhe lassen, aber du hängst ja sowieso durch Zoe da schon halb mit drin.“ Nette Vorrede, aber mich interessierte nur das Wesentliche. „Meine ganze Familie und ich auch, wir sind Werwölfe.“ Oh Mann, wo war ich denn hier gelandet? Gab es denn nicht auch jemand, der normal, also so wie ich war? „Ich dachte, Vampire und Werwölfe können sich nicht leiden?“ Zumindest kam das so rüber, wenn man sich mit genügend Filme und Bücher über dieses Thema beschäftigt hatte. „Es geht eigentlich, natürlich gibt es manchmal Probleme, aber es hält sich in Grenzen. Es reicht schon, wenn wir unsere Identität vor den Menschen geheim halten müssen, da muss das nicht auch noch untereinander sein.“ Das konnte ich nachvollziehen, sich dauernd zu verstecken und verstellen war idiotisch, damit kannte ich mich ja sehr gut aus. „Und ihr verwandelt euch bei Vollmond in Wölfe?“ „Wir nicht, das tun nur diejenigen, die nicht als Werwolf geboren worden sind; wir können uns theoretisch jede Nacht verwandeln. Bei Vollmond funktioniert es einfach nur besser.“ Von den ganzen Fakten hier bekam ich langsam Kopfschmerzen. Warum passierte hier auch so viel auf einmal. Janina bemerkte, dass ich nicht mehr wirklich aufnahmefähig für neue Erkenntnisse war, weshalb sie mich alleine ließ und wahrscheinlich noch einiges für mich vorbereitete. Beim Abendessen mit der ganzen Familie verkündete Janina offiziell, dass ich ihnen noch bis auf ungewisse Zeit auf den Keks gehen– natürlich drückte sie es nicht so aus – und dass Mads mir so schnell wie möglich Arbeit verschaffen würde. Ihre Eltern hatten wirklich kein Problem damit, mich noch länger hierzubehalten und schienen erleichtert darüber, dass ich nicht faul in der Gegend herumhocken und ihnen unnötige Probleme machen wollte. Linus äußerte sich gar nicht, ob er meine Anwesenheit positiv oder negativ bewertete, er kaute einfach auf seinem Salat herum und versuchte mich zu ignorieren. Da hatte er viel zu tun, wenn er das erfolgreich in der nächsten Zeit fortführen wollte. Vor allem, wenn er mit mir zusammen den Tisch ab- und die Spülmaschine einräumen sollte. Da konnte er mich schlecht wie Luft behandeln. „Erzähl mal was über dich, Lin“, fing ich an, als er gerade dabei war, die Teller aufeinander zu stapeln. „Über deine Schwester weiß ich ja inzwischen schon etwas, aber über dich nicht.“ „Muss dich auch nicht interessieren“, wich Linus mir sofort aus und machte auf dem Weg vom Tisch zur Spülmaschine einen deutlichen Bogen um mich. „Warum denn nicht? Ich werde noch etwas länger bei euch bleiben, da kannst du mir doch etwas über dich erzählen, muss ja nicht alles sein.“ Hatte er Angst, ich verkaufte die Daten in Ebay oder was ging bei ihm im Kopf vor? „Ich möchte aber nicht, das geht dich nichts an.“ Er sortierte eilig die Teller in die freien Fächer ein. „Bin sowieso froh, wenn du endlich wieder weg bist“, fügte er leise hinzu und verließ ohne mir einen Blick zuzuwerfen die Küche. Mit offenem Mund sah ich ihm hinterher; ich war platt, damit hätte ich definitiv nicht gerechnet. Dass er mich nicht beachtete, konnte ich ja noch akzeptieren. Aber dass er mir solche unfreundlichen Dinge an den Kopf knallte, verstand ich einfach nicht. Okay, nicht jeder hatte einen guten Draht zu Menschen, nicht jeder wollte mit fremden Menschen ins Gespräch kommen, aber das berechtigte niemanden, sich wie ein schlecht oder gar nicht erzogenes Kleinkind zu benehmen. Dank seines Abgangs durfte ich nämlich die restliche Küche alleine in ihren Ursprungszustand zurückversetzen. Nach mindestens einer halben Stunde, die sich mit Linus‘ Anwesenheit auf höchstens die Hälfte beschränkt hätte, ließ ich mich in Janinas Zimmer auf die Couch, auf der ich immer noch pennte und mich gerne aufhielt, nieder und versuchte die Wand mit bösen Blicken zu durchbohren. Linus hatte mir echt die Laune verdorben; alle behandelten mich hier so, dass ich mich als akzeptierte Gast fühlte, und er hatte mir nicht deutlicher machen können, wie unerwünscht ich für ihn war. Hatte ich ihm etwas getan? Nicht, dass ich wüsste. „Was ist denn los?“ Janina hatte sich unbemerkt in ihr zimmer begeben und sich neben mich gesetzt. „Du siehst irgendwie sauer aus.“ Fragend schaute sie mich an. „Ach nichts, dein Bruder hat mich nur gerade aufgefordert, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.“ Konnte sie ruhig erfahren, wie ihr kleines Brüderchen so drauf war, wenn ihn keiner bremste. „Echt?“ Janina erweckte den Anschein, schon etwas Ähnliches befürchtet zu haben. „Ich weiß, das klingt sicher einfacher als es umzusetzen, aber sei ihm nicht böse, er meint es nicht so. Wirklich, zu Leuten, die er kaum kennt, sagt er immer solche Sachen, am besten du beachtest das gar nicht.“ Was für ein toller Ratschlag, warum wurden solche unverschämten Taten von jüngeren Geschwistern immer so in Schutz genommen? Sie hatte Glück, dass ich mir eher weniger aus der Meinung anderer Leute machte, ansonsten hätte ich nun ein riesiges Theater veranstaltet und rumgeflennt, weil er mich beleidigt hatte. „Linus hat es sicher leider angewöhnt, nicht immer die Wahrheit zu sagen. Wenn er jetzt zum Beispiel sagt, du sollst weggehen, meint er eigentlich, du sollst das genau nicht tun. Ist leider etwas kompliziert, aber nicht zu ändern.“ Und bei dem sollte jemand durchsteigen, der war ja schwieriger zu verstehen als jede Frau. Allerdings hatte ich keinen Bock, unser gesamtes Gespräch nur über Linus und sein unterirdisches benehmen zu führen, weswegen ich einfach mal radikal das Thema wechselte. „Wenn du wirklich ein Werwolf bist, kannst du dich auch verwandeln, wann du willst?“ Ich wollte verdammt nochmal Beweise für diese ganzen Behauptungen von Vampiren, Werwölfen und dem Zeug. „Klar, außer halt am Tag.“ „Kannst du es mir mal zeigen?“ Nach ihrem Gesichtsausdruck war Janina nicht sehr begeistert von meiner Frage, aber sie sah ein, dass ich ihr sonst nicht unbedingt glauben konnte und wollte, weshalb sie aufstand und mich bat, etwas Sicherheitsabstand zu nehmen. Zwar würde mir nichts passieren, aber vielleicht fühlte ich mich selbst dann etwas sicherer. Kaum war ich so weit wie möglich auf der Couch von ihr weggerückt, als sie sich drastisch veränderte: Ihr schwarz-blond gefärbtes Haar wurde dunkelbraun und kürzer, ihr Körper nahm langsam die Form eines hundeähnlichen Tieres an und nach nicht einmal einer Minute saß ich einem Wolf gegenüber, der vorsichtig auf mich zugetrabt kam. Vor Schreck und Erstaunen konnte ich mich gar nicht rühren und wenn sie mich angegriffen hätte, wäre ich ziemlich hilflos gewesen, allerdings stoppte sie vor meinem Platz, setzte sich auf die Hinterbeine und leitete die Rückverwandlung ein, sodass ich wieder in ihre menschlichen und nicht tierischen blauen Augen sehen konnte. Spätestens jetzt war es an der Zeit, nicht mehr anzuzweifeln, dass meine beste Freundin ein Vampir war und ich mich bei einem Rudel Werwölfe einquartiert hatte. Das konnte alles noch sehr lustig werden. Völlig erschöpft von diesem anstrengenden Tag sank ich auf die Couch und hatte Mühe, noch kurz die Augen öffnen und mich zu vergewissern, ob Janina schon in ihrem Bett lag oder sich noch im Bad die Haare wusch, um sich die Tonne Gel oder Haarspray, die sie für ihre Frisur brauchte, auszuspülen. Sie hatte versprochen, Mads morgen wegen der Jobsuche anzusprechen und ich hoffte, dass er etwas für mich hatte, denn wahrscheinlich würde ich noch solange hier wohnen, bis ich endlich 18 war, und das dauerte noch fast ein halbes Jahr. Janina hatte es trotzdem nicht abgeschreckt, solange mit mir ihr Zimmer zu teilen, hatte sie mir versichert, denn Linus‘ Zimmer war für mich sozusagen Tabuzone. Fehlte eigentlich nur noch, dass der Kerl ein Schild mit Roman verboten aufhängte. Darüber konnte ich mich ohne Pause aufregen, ich fühlte mich diskriminiert, aber im Moment wollte ich einfach nur meine Ruhe von solchen dummen Erlebnissen haben. Kurz bevor ich eingeschlafen war und wieder die genialsten Sachen träumte – Ben und Hannes heirateten in der Internatsküche und verbachten dort auch ihr weiteres Leben – hörte ich, dass jemand die Tür öffnete und sich leise meiner Couch näherte. Janina war das ganz sicher nicht, die war vorhin schon hereingekommen und hatte den Raum auch nicht mehr verlassen. Ihre Eltern waren das mit Sicherheit auch nicht, die hatten echt Besseres zu tun, als im Dunkeln durch das Haus zu schleichen. Blieb also eigentlich nur Linus als Tatverdächtiger übrig, aber warum sollte er das machen? Der Kerl hatte doch sein eigenes Zimmer plus Bett. Die Schritte näherten sich immer mehr meinem Schlafplatz und schließlich setzte sich derjenige auf die Kante der Couch. Was sollte das? Ich wollte pennen, war fast soweit und plötzlich tauchte jemand ohne zu fragen hier auf. Zum Glück wurde ich nicht penetrant belästigt, in meinem Zustand konnte ich nicht einmal eine Fliege verscheuchen, also auch niemanden, der mich störte. Wenn mich der vermeintliche Linus tatsächlich in irgendeiner Weise belagert hätte – was ich völlig abwegig fand, aber egal –, hätte ich ein großes Problem gehabt. Der ominöse Unbekannte beschränkte sich einfach darauf, mir vorsichtig mit den Fingerspitzen über den Arm zu streichen, mehr nicht. Keine weiteren Berührungen oder irgendwelche Worte und nach höchstens zehn Minuten war der ganze Spuk vorbei und ich wieder allein auf der Couch. Ziemlich verwirrt über diesen eher harmlosen Angriff vergrub ich mich in der Decke und stellte unzufrieden fest, dass sich die schöne Müdigkeit verflüchtigt hatte. Was ein Mist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)