Der Würfel entscheidet von paralian (Du glaubst, dich könnte das System auslassen? Ich belehre dich eines besseren.) ================================================================================ Kapitel 9: Innerlich sterben und nicht entkommen können. -------------------------------------------------------- „Was zum Teufel?“, hauchte ich, als ich einen der vielen Flyer von den Pflastersteinen aufhob und ihn mir durchlas. Immer wieder, bis ich mir absolut sicher war, mir jedes einzelne dieser Wörter gemerkt zu haben. Wütend zerknüllte ich das Papier in meiner rechten Hand und warf es in meinen Korb, der so schwer war, wie die halbe Kuh, die darin lag. Unweigerlich musste ich lächeln, da ich mich an die blöde Kuh erinnern musste. Mein Grinsen wurde um eine Spur breiter. Ich hätte nicht gedacht, dass man mit einer Kuh solche Wortspiele aufführen konnte. Vielleicht sollte ich ihr einen Namen geben. Roberta? Berta? Isabella? Ja, Isabella war gut. Isabella war schön und konnte mit Bella abgekürzt werden. Mit einem Schlag kippte mein Gemütszustand. Die Knochen musste ich vergraben, die Haut des Tieres konnte ich zu einem Teppich umfunktionieren oder zu einer Decke. Je nachdem. Das schwere Gewicht, das an meinen Schultern zerrte, erinnerte mich daran, mitten auf dem Hauptplatz stehen geblieben zu sein und einen Punkt wie apathisch angestarrt zu haben. Bestimmt hatten mich die Leute alle angestarrt und sich gefragt, was mit mir bloß falsch war. „Schon wieder so eine Missgeburt“, hörte ich meine Gedanken in meinem Kopf rumoren und rasch setzte ich mich in Bewegung, um von diesen Schaulustigen wegzukommen. Welch ein Vergnügen und welch eine Genugtuung es ihnen wäre, wenn sie die Bestätigung dafür fänden, dass ich verrückt war. Verrückt und verabscheuungswürdig. „Euch zeig ich es allen“, brüllte ich innerlich und wollte meine Faust zwei Kindern entgegenstrecken, die an mir vorbeigingen und mich musterten, doch beließ ich es dabei, weil ich Wachen an einer Ecke stehen sah. Bald würden sie auf mein dreckiges Geheimnis stoßen. Ich konnte den Geruch von Blut schon beinahe riechen, doch den Verrat schmeckte ich bereits jetzt auf der Zunge. „Na? Alles gut bei euch?“, fragte ich die Jugendlichen freundlich und ließ eine Reihe gelber, schiefer Zähne erscheinen, als ich die Mundwinkel zu einem Lächeln nach hinten schob. Wahrscheinlich machte ich einen gefährlichen Eindruck auf sie, weswegen mir niemand antwortete. „Auch gut“, brummte ich und sah hinab zu meinen Füßen, die ich von meinen Schuhen entledigt hatte. Dem kleinen Zehen war der Nagel abhanden gekommen und generell boten meine Füße einen schaurigen Anblick. Verkrüppelt und schmutzig. Seitlich konnte ich die vertrockneten Spuren von Blut ausmachen, weswegen ich einen Finger mit Speichel bedeckte und den Schmutz dann wegputzte. Als ich in die Gesichter der Männer blickte, konnte ich darin Ekel feststellen. Ein Gedanke stand ihnen förmlich auf der Stirn geschrieben: „So eine will ich nicht als Frau haben.“ Ich versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen, aber mein Vorrat an verlogener Freude war für heute definitiv aufgebraucht und als mir eines auffiel, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich wollte sie alle abschlachten. „Wo ist er?“, schrie ich und Spucke spritzte meinen Zuhörern entgegen. „Er... Er will nicht mehr. Er sagt, ihm wäre das alles zu viel, zu gruselig, zu... Zu grausam und unbegreiflich. Habt Ihr denn nicht die Flyer gesehen, Madam?“ Für das Stottern hätte ich ihm am liebsten einen Dolch durch sein erbärmliches, rotes Herz gejagt, aber er hatte mir wenigstens eine Antwort geliefert. „Ich kann euch die Geschichte nicht zu Ende erzählen, wenn ihr nicht acht seid.“ Verstehend nickten die Jugendlichen und standen bereits auf, „Bleibt sitzen. Er kommt schon noch zur Besinnung, glaubt mir.“ „Oscar?“ Ich blieb einen kurzen Moment stehen, um mögliche Geräusche nicht zu überhören, doch regte sich nichts in den Büschen. Ich hatte den Kleinen gefunden und gejagt, hinaus in den Wald, wo er sich jetzt wie ein kleines, feiges Huhn vor mir versteckte, „Komm raus, du abartiges Schwein“, flüsterte ich mehr zu mir selbst und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Dafür würde er länger büßen. Mehr und länger. Dreifach. Und für die Sache mit den Flyern vierfach mehr. Dort! Alle meine Sinne wurden angeregt, als ich das beinahe unmerkliche Bewegen der Sträucher entdeckte und mit rasender Geschwindigkeit darauf zupirschte. Kurz danach kam er mir in die Quere. „Das wird dein letztes Mal sein, dass du versuchst, mich beim König mit deinen Flyern anzuzeigen.“ „Ihr könnt euch, nachdem ich gegangen bin, gegenseitig vorstellen und kennenlernen, aber jetzt will ich einfach nur weitererzählen.“ Mit einem verschmitzten Grinsen strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und studierte den Gesichtsausdruck des Neuankömmlings. Regungslos. Durch die Bewegung tropfte die rote Flüssigkeit, die an der Spitze gehaftet hatte auf mein Kleid. Als ich an mir hinabblickte und versuchte, den Fleck zu finden, merkte ich, dass es sowieso belanglos war. Er war neben den anderen Blutspritzern nur ganz, ganz klein. Sakura hielt sich eine Hand vor den Mund, als sie merkte, dass das erneute Kratzen in ihrer Brust ihren Hals emporschlich und sich schließlich mit einem heftigen Hustenanfall bemerkbar machte. „Ich hasse es, krank zu sein“, schniefte sie leise und beschleunigte ihr Schritttempo. Sie war bei Ino gewesen, nachdem diese sie vollkommen aufgewühlt angerufen hatte, um ihr von ihrer Aufgabe zu erzählen. Sakura hatte sie nicht davon abhalten können, mit Sai zu schlafen, da diese sie erst am nächsten Morgen darüber informiert hatte. Die Wimperntusche hatte schwarze Streifen auf Inos Gesicht hinterlassen, ihre Augen waren gerötet und auch sonst schien sie ziemlich fertig zu sein. „Was heißt hier schien?“, wunderte sich die Rosahaarige über ihre eigenen Gedankengänge, weil es ja ziemlich offensichtlich war. „Ich musste mit Sai schlafen und das absolut Schrecklichste daran war, dass ich es nicht einmal bereue. Ich meine...“, an dieser Stelle hatte sie nach Luft gerungen und wäre fast erstickt, wenn Sakura ihr keine Ohrfeige verpasst hätte, „Danke. Es ist nur so, dass ich glaube, dass ich mich in ihn verliebt habe. Kannst du dir das vorstellen? Nein? Ich auch nicht! Wie kann man sich denn bloß in jemanden verlieben, nur weil er im Bett so gefühlvoll und so lieb und so nett und und und so zärtlich war? Verstehst du, was ich meine?“ Sakura, die in ihre Tasse gestarrt hatte, schüttelte den Kopf und besah ihre Freundin mit einem traurigen Blick. „Nein, leider versteh ich es nicht.“ „Tut mir Leid, ich weiß, ich bin schrecklich.“ „Nein, nein, schon gut, du kannst ja nichts dafür. Habt ihr noch miteinander geredet, nachdem... Nun ja, nachdem du deine Aufgabe erfüllt hast?“ „Er...“, stotterte Ino und errötete leicht, „hat mich gezeichnet und mir Komplimente gemacht, aber nicht über mein Äußeres... Doch, schon, aber mehr hat er meinen Charakter in den Himmel gepriesen. Sasuke ist ihm sehr ähnlich, nur versucht Sai wenigstens, aufzutauen, zu lächeln, zu lachen, freundlich zu sein und er macht gute Fortschritte, nachdem ich ihn von heute mit den Geschichten von damals vergleichen konnte. Er hat gemeint, er wäre irgendwo in einem Loch aufgewachsen mit extrem vielen Geschwistern und sie alle hatten bloß irgendwelche Zahlen als Namen.“ Sakura schlug die Augen überrascht auf und registrierte, wie Ino energisch mit dem Kopf nickte, um das Gesagte noch einmal zu bestätigen. „Wow... Ihr habt aber viel geredet.“ Die Blonde lächelte einen Moment, doch wurde ihre Miene dann wieder ernst. „Habt ihr... Habt ihr euch denn wieder verabredet?“ „Ja, für heute Nacht. Ich glaube, wir kommen zusammen. Irgendwann, wenn dieser Scheiß endlich aufhört.“ Die Rosahaarige stimmte ihr zu und schlug die Beine auseinander. „Ich geh dann mal lieber. Sai kommt bald vorbei und du musst dich noch hübsch machen. Eines verstehe ich aber nicht, Ino. Warum hast du so sehr geweint?“ „Weil er mich gefragt hat, woher mein plötzlicher Sinneswandel kommt.“ „Und? Was hast du ihm geantwortet?“ „Dass mir langweilig gewesen ist und ich jemanden zum Reden brauchte. Er hat ziemlich überreagiert und gesagt, er käme sich wie ein blödes Spielzeug vor. Dann aber habe ich ihm erklärt, dass ich meine Jungfräulichkeit nur für ihn opfern würde und am Anfang hat mir der Idiot nicht geglaubt, dass ich noch nie... Na, du weißt schon und dann meinte er, er wäre froh, dass er der Erste war, der mit mir... Du weißt schon.“ Sakura zog die Stirn zusammen, während sie leicht lächelte. „Du weißt aber, dass das keinen Sinn ergibt, oder?“ „Ja, ich weiß“, lachte Ino und fächerte sich Luft zu, „Ich war nur so geschockt von der Aufgabe und darüber, dass der Unbekannte Sai kennt, dass ich fast kollabiert bin, wenn ich nicht geheult hätte wie ein Baby. Ich wollte es nur nicht zugeben.“ Die Rosahaarige lachte, umarmte ihre Freundin fest und machte sich auf den Weg. Alleine. Im Dunkeln. Sasuke wartete in einer dunklen Ecke darauf, dass seine Zielperson aus der Haustüre trat. Die roten Kontaktlinsen, die er sich zur Tarnung gekauft und ins Auge gesetzt hatte, leuchteten in der Dunkelheit, während er die Strumpfhose, in die er extra zwei Löcher hineingeschnitten hatte, in der einen Hand hielt. Ein Atemzug, zwei, dann hörte er, wie eine Tür aufgerissen wurde und eine Person heftig hustete. Schnell zog er sich die Maske über und schlich von hinten an die Rosahaarige ran, die nichts ahnend ihren Weg fortsetzte. Und plötzlich hielt er ihr den Mund zu und zerrte sie in eine Gasse, wo er sie gegen die Wand drückte und ihr drohte, sie umzubringen, wenn sie schreien würde. „Das muss meine Aufgabe sein! Ich sollte mich gegen diesen Wichser verteidigen“, dachte sie und schlug nach ihm. In dem Moment, in dem er von ihrem Mund abließ, um sich zu ducken, sammelte sie all ihre Kräfte und schrie aus Leibeskräften um Hilfe. „Sei ruhig!“, flehte der Schwarzhaarige und drückte ihr den Hals zu, während er mit einer Hand versuchte, ihre Hose zu öffnen. Schnell hob und senkte sich ihr Brustkorb, während sie angestrengt versuchte, nach ein bisschen mehr Luft zu schnappen. Verzweifelt schlug sie ihm ihre Fingernägel in die Hand, weswegen er hörbar aufstöhnte und ihr dann mit diesen roten Augen in die Seelenspiegel blickte. „Bitte.“ Nur ein Wort, das ihn innehalten ließ, aber nicht davon abhielt, ihre Hosen abzustreifen. „Verdammt, nicht noch einmal, bitte nicht, tun Sie mir das nicht an. Nicht schon wieder, bitte!“ Sie schluchzte und keuchte, wimmerte und flehte, doch dann zerriss ihr Herz entzwei, wie schon so oft, zerbarst wie ein Spiegel, wurde gegen die Wand geschossen und erstarb. Die junge Frau weinte, presste ihren Kopf seitlich an die kühle, graue Wand, während sie versuchte, sich ihre Freunde vorzustellen, versuchte, zu vergessen, nicht daran zu denken, nicht zu hören und nicht zu sehen. Tränen tropften unaufhörlich auf ihr Shirt, das er ihr, dafür dankte sie Gott, nicht ausgezogen hatte. Nicht nur Sakura starb innerlich an diesem Tag das zweite Mal, auch Sasuke fühlte sich, als wäre er tot. Er wusste, er würde diese Sünde nie wieder von sich abwaschen können. Der nächste Tag begann mit einer seltsamen Stille. Kein Vogel weckte die 8 Freunde, keine vorbeifahrenden oder hupenden Autos, kein Kindergeschrei, ja nicht einmal die Schuhe, die auf dem Asphalt echohten, durchbrachen diese stumme Decke, die sich über sie gelegt hatte. Sie standen alle zur selben Zeit auf, irgendwann mitten in der Nacht, zwischen völliger Panik und der Müdigkeit, die sie seit geraumer Zeit begleitete. Plagte, wenn man es genau nahm. Sie alle erhoben sich von ihrem Bett, tapsten ein paar Schritte in vollkommener Dunkelheit, bis sie an das Fenster traten und versuchten, hinauszublicken. Aber alles, was sie sahen, war ihr eigenes Spiegelbild. Das fahle Haar, die dunklen Augenringe, die Blässe, die den Kontrast zwischen Haar und Haut noch mehr verstärkte. Die Acht konnten sich selbst kaum noch erkennen. Nicht einmal das Zucken ihres Mundwinkels wollte funktionieren, ohne dass es gekünstelt aussah und bald schon begriffen alle, dass sie sich verändert hatten. Zu einer Person, die sie nie werden wollten, vor der sie sich stumm und heimlich immer gefürchtet hatten. Sie fürchteten sich vor sich selbst. Davor, wie weit sie noch gehen würden, wie sehr sie den anderen noch verletzen konnten, ohne selbst an diesem verdammten Spiel zugrunde zu gehen. „Bald“, hauchten sie ihrem Spiegelbild zu, versprachen sich selbst, bald damit aufzuhören, nicht mehr mitzumachen, dem ganzen ein Ende zu bereiten und doch wussten sie alle, dass sie nicht aufhören konnten. So lange, bis ihnen das Spiel nicht sagte, dass es genug war, dass sie fertig gespielt hatten und wieder frei sein durften. Aber das Spiel blieb stumm, solange keine neue Aufgabe auf die Freunde zukam. Sie hatten erst die Hälfte erreicht, überschritten und weitere 30 Felder standen ihnen bevor. Ihnen allen drängte sich die Frage auf, ob sie die 30 Felder noch aushalten konnten. Wenn sie jetzt schon in die Knie gezwungen wurden, wie würde sich das nach zwei Runden äußern? Sie würden total am Boden liegen. Besiegt, von ihren eigenen Freunden, kaum dazu in der Lange würden sie sein, einen einzigen Finger zu rühren und die Jugendlichen gestanden sich schluckend ein, dass dieser Moment bald sein würde. Am Nachmittag konnten sie alle wieder Luft schnappen, denn die Watte, die sich um ihren Gehörsinn gelegt hatte, füllte sich mit Wasser und wurde durchlässig für die Geräusche, die man nun mal an einem normalen Tag zu hören bekam. Der Kinderwagen, der von Müttern beim Plaudern vor sich hergeschoben wurde, das plätschern eines Brunnens, die hitzige Diskussion eines Paares und das vorbeifahren eines Zuges. Man hätte meinen können, dass alles wieder so wurde, wie vor dem Morgen, als sie das Spiel fanden, aber sich das vorzustellen und ernsthaft in Erwägung zu ziehen, hätte einer Illusion gleichen können. Es wäre nicht real gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)