Huans von Nagisa_Tsubaragi ================================================================================ Kapitel 21: Halloween - 1. Aufgabe ---------------------------------- Halloween war wirklich eines der beliebtesten und größten Feste des Jahres neben Ostern, Valentinstag, Weihnachten, dem Schul- und Sportfest natürlich. Dementsprechend gigantisch war auch der betriebene Aufwand: Überall hing Dekoration, egal ob ausgehöhlte Kürbisköpfe, mannshohe Särge, verwitterte Grabsteine, mit durchsichtigen Schnüren befestigte Fledermäuse, Spinnennetze mit den dazugehörenden, tellergroßen Spinnen, Girlanden und so weiter. Nia hasste Halloween aus einem ganz einfachen Grund: Sie hatte selbst vor dem kleinen Schlossgespenst, als das sie sich verkleidete, so große Angst, dass sie fast laut aufkreischte, als sie sich selbst im Spiegel erblickte. Zum Glück hatte das weder Salvatore noch der gehässige Cedric mitbekommen. Auch diese zwei waren vom allgemeinen Rummel ergriffen und hatten sich ebenfalls verkleidet. Der große, schlanke, gutaussehende und majestätische Salvatore hatte sich kalkweiß geschminkt und einen langen, schwarzen und seidenen Mantel an. Seine pechschwarzen Haare waren so zurück gegelt, dass sich keine einzige Strähne herausstahl. Als er Nia anlächelte, erblickte sie zwei spitze, scharfe und lange Zähne – Salvatore war Graf Dracula! Hätte Nia nicht vor Schiss die Hosen voll gehabt, hätte sie ihren Schwarm als umwerfend empfunden. Auch Cedric war ein Bild von einem Mann: Ihn kleidete auch ein langer, bauschender Mantel und seine Haare waren streng zurückgebunden. Außer Augen und Mund war sein Gesicht nicht sichtbar, denn er trug eine weiße Maske – das Phantom der Oper! „Wir müssen los, es fängt gleich an!“, ermahnte der blonde Hüne die beiden Turteltauben, die sich schon wieder aneinander festzusaugen drohten. Wie zur Bestätigung ertönte die Durchsage: „Bitte alle in den großen Festsaal versammeln! Ich wiederhole: Bitte alle ...“ Also machte sich das Trio flugs auf den Weg, wobei Nia vor Schreck fast in einen offenen Sarg gehopst wäre, als sie mit einer faustgroßen Spinne in Augenhöhe konfrontiert wurde. Schließlich erreichten sie den „großen Festsaal“, der nicht umsonst so heiß: Nia tränten und schmerzten die Augen, so prunkvoll war alles, außerdem hatte der Saal mindestens die Ausmaße eines Fußballstadions – so kam es ihr zumindest vor. Der Sprecher des Festivals war Miguel, der, auch ohne oben auf einer Bühne zu stehen, alle überblicken konnte. Er hatte sich als Sensenmann verkleidet, was bei Nia ein wahres Feuerwerk an Gänsehaut, Zähneklappern und Kniezittern hervorrief. Allerdings musste sie zugeben, dass er ein imposantes Bild abgab: Mindestens 1, 90 m groß, durchtrainiert, zerstrubbelte, dunkelbraune Haare und ... zwei unterschiedliche Augenfarben. Das eine war hellgrün, fast gelb und das andere kräftig, strahlend blau. „Willkommen auf dem diesjährigen Halloweenfest!“, begrüßte er alle enthusiastisch und die Menge jubelte ihm zu, „Heuer gibt es einen neuen Kontest, der aus insgesamt drei Teilen besteht!“ Das Publikum war mucksmäuschenstill – alle lauschten gebannt. „Alle machen mit“, fuhr Miguel fort und deutete auf eine imposant große Blumenvase, die voller dunkelblauer Rosen gefüllt war. „Das hier ist der so genannte „Leichenpott“, aber keine Angst, meine Damen, der heißt nur so“, fügte er lachend hinzu, als er manch panischen Blick, beispielsweise den von Nia, erspäht hatte und erläuterte des weiteren: „Jeder zieht eine blaue Rose, an welcher eine kleine Aufgabe steht. Das kann alles mögliche sein: Etwas ausleihen, jemanden erschrecken, etwas singen, tanzen oder darstellen ... Und das innerhalb oder für eine bestimmte Zeit. Das Limit für die erste Aufgabe ist eine halbe Stunde! Keine Angst, wenn ihr jemanden nicht kennt: Überall hängen Listen mit Namen und Bildern! So und bevor ich noch einen fusseligen Mund bekomme: Aufgabe 2 gibt’s ab 22.30 Uhr hier im Saal! Jeder, der diese Challenge löst, bekommt eine gelbe Rose! Also: Auf die Plätze, fertig ...“ Doch bevor er fertig sprechen konnte, hatten sich schon alle auf den „Leichenpott“ gestürzt. „Ach ja: Es sind noch einige Sachen von unseren größeren Festivals dabei, die übrig geblieben sind! Für denjenigen, der alle Aufgaben meistert, wartet ein toller Preis!“, flötete Miguel ins Mikro und zupfte selbst eine blaue Rose aus dem Pott. Augenblicklich wusste jeder, was er mit den „größeren Festivals“ gemeint hatte: Valentinstag! Sofort schlug allen das Herz bis zum Halse, denn schließlich hatte jeder einen Schwarm und hoffte nun inständig, dass ihre Aufgabe etwas mit dieser Peron zu tun hatte! Auch Nias Puls beschleunigte sich zusehendst. „Salvatore! Irgendwas mit Salvatore!”, betete sie im Stillen, doch als sie ihre Aufgabe las, kotzte sie Gift und Galle: Küsse Cedric Urs! ___________________________________________________________________________ Ebenso wie Nia hatten Cedric und Salvatore ihre Aufgaben erhalten, doch im Gegensatz zu ihr waren sie damit sehr zufrieden. Trotz allem bekam der Blondschopf kalte Füße. Zwar hatte das, was er tun sollte, mit seinem Ruler zu tun und obwohl es keine größere Sache war, wurde er unglaublich nervös. So etwas hatte er noch nie zuvor gemacht! Als er sich umblickte, stellte er verwundert fest, dass Nia, die vor einer Sekunde noch neben ihm stand, spurlos verschwunden war! ___________________________________________________________________________ Kochend vor Wut stapfte Nia an der gruseligen Deko vorbei ohne mit der Wimper zu zucken. Momentan war ihr eh alles egal! Wie gern würde sie den Aufgabensteller würgen! Diesen Auftrag würde sie bestimmt nicht ausführen! Warum sollte sie jemanden küssen, den sie über alles hasste und der sie zudem mal zu so etwas gezwungen hatte? Unmöglich! Außerdem war sie verliebt! Und zwar nicht in Cedric, sondern in Salvatore! Eher würde sie sich die Zunge herausschneiden! Aber warum ging sie trotz dem festen Vorsatz, die Aufgabe nicht zu erfüllen, weg von ihren Huans, weg von dem blonden Hünen? Warum versteckte sie sich? Vielleicht ... Vielleicht, weil sie die Schmach nicht ertragen hätte? Schmollend wie ein kleines Kind setzte sie sich in eine dunkle Ecke. Das war doch alles doof! Zwar hatte sie sich dieses Jahr ein Herz gefasst und war verkleidet auf dem Halloweenfest aufgekreuzt, aber dennoch spielte ihr Schicksal solch einen „Streich“, den sie gar nicht lustig fand. Sobald die halbe Stunde vorbei war, würde sie ausscheiden, aber das war ihr ganz recht. Sie bekam direkt Gänsehaut bei dem Gedanken, Cedric zu küssen. Jede Faser ihres Körpers sträubte sich dagegen. Lieber hätte sie einen Frosch oder ein Schwein geküsst als ihn! Was Nia aber nicht wusste, war, dass sie von zwei Männern gesucht wurde ... Von zwei Männern, die noch etwas mit ihr zu „tun“ hatten. ___________________________________________________________________________ Das die Tiersinne eines Huans auch aktiv waren, wenn sie sich in Menschengestalt befanden, wussten die wenigsten. Salvatore konnte selbst beim schummrigsten Licht alles glasklar erkennen. Dies konnte Cedric zwar nicht, dafür war sein Geruchssinn so scharf, dass er es riechen konnte, wenn jemand am anderen Ende des Klassenzimmers einen fahren ließ. Dementsprechend einfach war es für ihn, die frische, duftende Fährte von seinem Ruler aufzuspüren. Er roch sie, bevor er sie sah, doch im gleichen Augenblick bemerkte er, dass Salvatore bei ihr war – er war ihm zuvor gekommen. „Nia“, flüsterte der Frauenschwarm zärtlich, „Hab ich dich endlich gefunden“ Das Mädchen traute seinen Ohren kaum und Cedric sah selbst bei diesem schwachen Licht ihr strahlendes Lächeln und die Schamesröte in ihrem Gesicht. Wütend versteckte sich Cedric hinter einer Mauer und knirschte mit den Zähnen. Dabei sahen seine Augen unendlich traurig aus. Seine Fäuste waren geballt. Der blonde Hüne bekam nicht das hinreißende, romantische Gedicht mit, bei dem Salvatore Nia zuletzt zärtlich auf den Mund küsste, sondern nur noch die letzten paar Sätze: „Nia, ich flehe dich an: Bitte, meistere deine Aufgaben, dann ... Dann werde ich dir ein Geschenk überreichen. Aber das geht nur, wen du diese erste und zweite Aufgabe erfolgreich abschließt!“ Nia schaute zunächst ihren Schwarm entsetzt an, doch sie liebte ihn so sehr, dass sie alles für ihn tun würde. Auch Cedric Urs küssen, wenn es sein musste. Zur Bestätigung nickte sie eifrig und zum Abschied küsste er sie erneut sanft auf den Mund. Dann schaute er Cedric, der sich in der Dunkelheit versteckt geglaubt hatte, genau an. Dieser wich entsetzt zurück und schalt sich einen Narren, dass er vergessen hatte, dass Salvatore einen ausgezeichneten Sehsinn hatte. Der Frauenschwarm verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Eine ganze Weile saß Nia noch in der Ecke, bis sie sich ein Herz fasste. ___________________________________________________________________________ Eins war so sicher wie das Amen in der Kirche: Sie liebte Salvatore über alles und das würde auch immer so bleiben. Deshalb würde sie auch jeder seiner Bitten folge leisten, so absurd oder seltsam sie auch waren. Für sie war das nicht Hörigkeit, sondern ein Liebesbeweis. Genau. Das sie in wenigen Minuten Cedric finden und küssen würde, hatte nichts mit ihren Gefühlen zu tun, sondern war einzig und allein ein Beweis ihrer hingebungsvollen Liebe an ihren Salvatore. Es dauerte noch kurz, bis sie die schrecklichen Momente jenes Nachmittags, als Cedric sie gegen ihren Willen geküsst hatte, verdrängt hatte. Doch dann stand sie entschlossen auf und machte sich auf die Suche. Erstaunlicherweise trat sie nur um die Ecke, wo der blonde Hüne schon stand, aber sie dachte sich nichts über diesen „Zufall“. „Dich hab ich gesucht“, flüsterte sie. Cedric schaute sie erst erstaunt, dann verlegen an. Sein harter Gesichtsausdruck wurde merklich weicher. „I ... Ich dich auch“, stammelte er beschämt. Seit Salvatore bei ihr gewesen war, hatte sie ihr albernes Schlossgespenst-Kostüm abgelegt und stand nun in einem weißen Rollkragenpulli mit einer verwaschenen, alten Jeans vor ihm. Ihre Haare waren ganz zerzaust, aber das machte sie eher noch liebenswerter und niedlicher. Cedric räusperte sich. Die Situation war ihm anscheinend äußerst unangenehm. „Würdest du ...“, setzte er an, verbesserte sich aber, „Ich wollte ... Ich wollte dich fragen ... ob du mit mir tanzt.“ Nia war überrascht von dieser Bitte, war sich aber zugleich bewusst, dass dies seine Aufgabe war. Es war das erste Mal, das er so etwas fragte. Glaubte sie zumindest, denn damals, beim großen Ball, hatte sich Cedric als Salvatore ausgegeben, ohne das jemand etwas bemerkt hatte. Nia konnte im diffusen Licht nicht sehen, wie rot der Blondschopf geworden war. Nachdenklich wandte sie ihr Köpfchen erst zur einen, dann zur anderen Seite, als würde sie überlegen. „In Ordnung“, antwortete sie schließlich und Cedric stieß einen kaum hörbaren, erleichterten Seufzer aus. Aber wie hieß es so schön? „Ein Kummer geht, ein anderer kommt.“ ___________________________________________________________________________ Das war für Nia die Gelegenheit, ihre bescheuerte Aufgabe hinter sich zu bringen. Kurz, bündig und schmerzlos. Dabei kam sie sich nicht unfair oder gar gemein vor, weil sie mehr oder minder mit den Gefühlen eines anderen spielte, sondern sie fühlte sich großartig, da sie damit Salvatores Versprechen einen Schritt näher kommen würde. Deshalb tanzte sie mit ihm und sie musste zugeben, dass Cedric ein ausgezeichneter Tänzer war, der wunderbar führte. Nein! Salvatore war besser! Um Klassen besser! Jetzt war der Augenblick gekommen. Sie blieb zur Überraschung Cedrics stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und ... Verdammt! Warum schlug ihr Herz so schnell? Sie hatten doch nur einen langsamen Walzer getanzt! Cedric war zunächst erstarrt und schaute sie ungläubig an. Sein Gesicht zeigte fast Entsetzen. Nia wollte ihm nur einen ganz kurzen Schmatzer auf den Mund geben – nicht mehr und nicht weniger. Doch als ihre Lippen die seinen berührten, küsste er sie sinnlich und so romantisch wie in einem Märchen. Nia wollte aufhören, aber irgendwie konnte sie nicht. Dann knabberte er zärtlich und neckisch zugleich an ihrer Unterlippe. Ihr Puls beschleunigte sich merklich und im ganzen Körper breitete sich eine angenehme Wärme aus. Schließlich spielte er mit ihrer Zunge, was ein wahres Feuerwerk der Gefühle in ihr auslöste. In ihrem Bauch kribbelte es und sie fühlte sich wie im siebten Himmel. Es war der leidenschaftlichste Kuss, den sie in ihrem ganzen Leben hatte. Sie konnte direkt den Hunger und das Verlangen von ihm spüren. Vorsichtig legte er eine Hand um ihre Hüften, während er mit der anderen sanft ihren Kopf hielt, damit sich die Intensität des Kusses noch verstärkte. Er hatte so große und warme Hände! Nia fühlte sich geborgen. Sie hatte die Welt um sich herum vergessen. Nach einer scheinbaren Ewigkeit löste er kurz den Kuss und flüsterte heiser: „Nia, Nia ich ...“ Mit einem Mal wurde das Mädchen wieder in die Realität zurückkatapultiert: Die ganze Zeit über hatte sie sich vorgestellt, Salvatore würde sie so küssen und nun stand sie einem großen, blonden jungen Mann gegenüber, den sie über alles hasste! „Lass mich in Ruhe!“, schrie sie und stieß ihn unsanft weg. Cedric starrte sie entsetzt und vor allem verwirrt an. Was war los? Doch mit einem Mal viel es ihm wie Schuppen von den Augen: Es war ihre Aufgaben gewesen! Der verwirrten Mine wich zunächst ein wütender Gesichtsausdruck. „Du!“, knurrte er bedrohlich. Doch dann schüttelte er resignierend den Kopf und als er sie wieder anschaute, lag unendliche Trauer in seinen Augen. „Du ...“, wisperte er kaum hörbar. Dann drehte er sich ruckartig um und lief davon. Nias Herz hatte für einige Momente aufgehört zu schlagen, als sie seinen letzten Blick gesehen hatte. War ihre Entscheidung wirklich richtig gewesen? ___________________________________________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)