Der Hund und der Wolf von Kiryava ================================================================================ Teil II ------- Teil 2 Und wie ich reite, so reiten Mir die Gedanken voraus; Sie tragen mich leicht und luftig Nach meiner Liebsten Haus. In der ersten Nacht und dem ersten Tag ihrer Reise kamen sie gut voran, und hatten am folgenden Abend einige Meilen zwischen sich und das Dorf gebracht. Von den schweren Regenfällen, die bei ihrem letzten Besuch in den Riverlands geherrscht hatten und für Überschwemmungen und unsicheren, schlammigen Grund gesorgt hatten, war nicht mehr viel zu sehen. Tagsüber schien die meiste Zeit die Sonne, sodass das Wasser größtenteils getrocknet war. Der Hound ritt voran, und sie folgte ihm trotzig schweigend. Er will nicht mehr kämpfen, dachte sie, wenn sie auf seinen breiten Rücken schaute, über den er sich das Langschwert gehängt hatte. Er hat Angst bekommen. Das hatte man zumindest im Dorf gemunkelt. Seit Stannis King’s Landing angegriffen hatte, sei dem Hound die Lust aufs Kämpfen vergangen. Arya war sich da allerdings nicht so sicher. Trotzdem hielt er sich weit von Straßen und Dörfern fern und wählte Wege, die durch die Felder führten. „Dich würde niemand erkennen, so zerlumpt wie du bist”, hatte er gebrummt, „aber sogar die beschränkten Bewohner von Hillside haben mein Gesicht erkannt.” In den Feldern, die ab und zu die Bewaldung auflockerten, hatte der Hound einen Hasen erbeutet. Nachdem sie ein Feuer entfacht hatte und der Hase einige Zeit über der Flamme gegart war, nahm er das Tier vom Stock und teilte es. Er warf ihr eine Hälfte zu und erklärte dann, dass sie sich nun südlich, in Richtung des Trident, orientieren würden. Das Feuer flackerte und knisterte. Über die Flammen hinweg schaute sie in das vernarbte Gesicht des Hounds. Er hatte sich auf einem umgefallenen Baumstamm niedergelassen und das Schwert gegen seine Schulter gelehnt. Während sie noch aß, hatte er bereits begonnen, die Klinge zu schleifen. Er tat das jeden Abend. Bei jedem Rostfleck und jeder Scharte verfluchte er dabei den Mann, der ihm das Schwert für seine Axt gegeben hatte, „Wir sollten nicht nach Riverrun gehen”, erklärte sie plötzlich. Ihre Stimme war ein bisschen rau, doch glücklicherweise zitterte sie nicht. Der Hound hob den Kopf und musterte sie prüfend. „Mein Onkel kennt mich nicht, er wird Euch kein Lösegeld zahlen. Er wird Euch aufknüpfen und sich freuen, dass Ihr ihm einfach so in die Arme gelaufen seid.” Das Lachen des Houndes war scharf und verächtlich. „Er kann es ja gerne versuchen.” Monoton rieb der Schleifstein über die Klinge seines Schwertes, auf dem sich die Flammen orange und rot widerspiegelten. „Er wird mich nicht haben -” „Das hast du schon gesagt”, schnitt er ihr harsch das Wort ab. „Wenn es einen anderen Angehörigen gäbe, würde ich dich ihm mit Freuden andrehen. Aber der Blackfish ist nun mal der einzige, der noch übrig ist.” „Wir sollten nach Norden reiten. Zum Wall”, sagte sie fest. „Zu meinem Bruder. Der würde mich aufnehmen.” „Sieh an, die kleine Wölfin will der Nachtwache beitreten.” „Mein Bruder ist dort.” „Der Wall ist Tausende von Meilen entfernt”, knurrte der Hound. „Wir müssten uns durch die Freys durchkämpfen, und durch die Marshes, wo es von Untieren nur so wimmelt. Und selbst wenn wir es in den Norden schaffen würden; die Hälfte der Burgen ist in der Hand der Plünderer von den Eiseninseln.” Arya legte den Kopf schief und schaute ihm furchtlos ins Gesicht. „Habt Ihr Angst vor denen?”, fragte sie leise. „Habt Ihr Angst zu kämpfen?” Einen Moment lang dachte sie, er würde sie schlagen. Oder anschreien. Aber er senkte nur den Kopf und schliff weiter sein rostiges Schwert. „Ich habe keine Angst”, brummte er schließlich. „Es ist nur so, dass du und dein Bruder mir scheißegal seid. Zufällig habe ich nämlich auch einen Bruder.” Sie waren nun schon seit zwei Tagen unterwegs und Arya sprach noch immer kein Wort. Sie sattelte die Pferde schweigend auf und wieder ab, holte Wasser, aß und ritt, alles in brütender Stille. Manchmal konnte er sie leise etwas murmeln hören, kurz bevor sie einschlief. Nicht, dass er selber besonders gesprächig gewesen wäre, aber das Schweigen der kleinen Wölfin machte ihn nervös, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Sie war wütend, das konnte er an ihren Blicken sehen. Sandor sagte sich, dass es ihm nichts ausmachte, schließlich brauchte er keine Angst vor einer Zehnjährigen zu haben. Trotzdem war die Stimmung unangenehm. Ihnen begegnete niemand auf ihrem Weg nach Süden, denn er achtete darauf, von der Kingsroad fern zu bleiben und suchte sich stattdessen Wildwechsel und versteckte Pfade durch die Wälder, die die Ausläufer der Berge bedeckten. Je näher sie dem Trident kamen, desto lichter würden die Bäume werden, und desto schwieriger würde es werden, unentdeckt zu bleiben, das war ihm bewusst. Aber um dieses Problem würde er sich kümmern, wenn es so weit war. Zunächst einmal musste er diese Wälder durchqueren. Glücklicherweise hatte sich die Wolkendecke am Mittag des Tages nach ihrem Aufbruch aus Hillside angefangen zu lockern und aufzureißen. Inzwischen war der Himmel klar und sonnig. Dadurch konnten sie sich auf ihrem Weg am Stand der Sonne, und während der immer früher hereinbrechenden Nacht an den Sternen orientieren. Sandor spürte den Winter kommen. Nachts kroch einem die Kälte in die Knochen und morgens erwachte er steif und ausgekühlt. Auch die niedrig stehende Sonne wärmte nicht mehr so, wie sie es noch vor einigen Wochen getan hatte. Das Mädchen litt ebenfalls unter der Kälte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie keinen wärmenden Umhang, den sie um sich ziehen konnte, wenn der Wind durch die Blätter rauschte. Es würde schlimmer werden, wenn die Wälder sie nicht mehr schützten, und die kalte Luft, die vom Meer den Trident hinaufwehte, sie umgab. Obwohl der Hound wie alle Menschen den Winter fürchtete, musste er doch zugeben, dass er die Kälte der Hitze vorzog. Im Sommer brannten und zogen seine Narben im Gesicht, während der Winter sie taub und gefühllos werden ließ. Vielleicht kam seine Abneigung gegen die Hitze auch von seiner Angst vor dem Feuer, aber so genau wollte er darüber nicht nachdenken. Es reichte, dass er, wann immer er an Gregor dachte, immer noch die lodernden Flammen auf seinem Gesicht spürte und ihm seine eigenen Schreie in den Ohren hallten. Seit diesem Tag war das Feuer sein persönlicher Feind, sein schattenhafter Begleiter der Angst. Er verstand die Besessenheit mancher Leute mit dem Feuer nicht. Seine Nackenhaare stellten sich auf, wenn ihm die Nacht in King's Landing in den Sinn kam, als Stannis angegriffen hatte und der Zwerg die Stadt in Brand gesetzt hatte. Gegen Feuer war man machtlos. Das hatte am Ende auch Dondarrion einsehen müssen, den das Feuer sechs Mal gerettet hatte, nur um ihn dann beim siebten Mal zu verlassen. Feuer ist kein sicherer Verbündeter. Und jetzt also Lady Stoneheart... Er hatte nicht einmal einen Ansatzpunkt, wo er nach ihr suchen sollte, geschweige denn, wie er sie finden und zur Strecke bringen sollte. Das zur Strecke bringen würde vermutlich der einfachste Part sein. Auch wenn sie sich mit den stärksten Banditen umgab, waren es doch letztendlich nur Banditen und für einen ausgebildeten Kämpfer wie Sandor Clegane keine ernsthafte Gefahr. „Sie müsste sich irgendwo in der Nähe des Trident aufhalten”, hatte Dennett ihm gesagt, doch der Trident war lang und spaltete sich am Ende in drei Arme. Eine einzelne Person zu finden, die auch noch alles tat, um nicht gefunden zu werden, war, als suche man eine Stecknadel in einem Heuhaufen. Aussichtslos. Und noch dazu lief ihm die Zeit davon. Dennett hatte ihm versprochen in Saltpans zu warten. Einen Monat, nicht länger. Dann würde er nach King's Landing aufbrechen, wo er angeblich Familie hatte, und wo Gregor auf ihn warten würde. Die Hände des Hounds krallten sich in einer plötzlichen, krampfhaften Bewegung um Strangers Zügel. Gregor ... Er stellte sich vor, wie er sein Schwert in seine Brust stieß. Er musste Lady Stoneheart finden. Selbst die winzige Chance, die Dennett ihm geboten hatte, war besser als ziellos in den Riverlands herumzuirren und darauf zu hoffen, seinem Bruder durch puren Zufall zu begegnen. Und selbst dann war sein Sieg keine Gewissheit. Gregor war nach allen Maßstäben ein Hüne mit der Kraft und Ausdauer eines Bären. Und bei ihrem Kampf beim Tournier zu Ehren von Ned Stark hatte er Sandor ganz schön zugesetzt. Wenn Dennet also wirklich so viel wusste, wie er vorgab, dann wäre dies eine einmalige Gelegenheit. Doch leider stand Lady Stoneheart zwischen ihm und seinem Bruder. Irgendwie musste er mit der Suche nach ihr anfangen, und zwar möglichst bald. Aber ohne einen Anhaltspunkt, konnte er monatelang umherwandern, ohne einen Outlaw auch nur von Weitem zu sehen. Sein eigener Bruder konnte davon ein Lied singen, auch er hatte Dondarrion lange gesucht und nur herausgelockt, indem er ihn an seiner sinnlosen Ehre packte. Das Ehrgefühl war Dondarrions Schwäche gewesen, das hatte er selber auch sofort erkannt. Aber Lady Stoneheart kannte er nicht, und auch Dennett hatte wenig nützliche Information über sie beisteuern können. Nur ihre Rachsucht. Und gegen wen die sich richtete war bisher ein Rätsel. Irgendwelche Riverlords, das hatte Dennett ihm verraten. Wenn dieser Idiot wenigsten länger bei der Gruppe geblieben wäre, dachte Sandor unleidlich, dann hätte er wenigstens etwas über sie gewusst. Dennetts Hinweise über den Verbleib von Lady Stoneheart waren ungefähr so rostig, wie das Langschwert, das er ihm für seine Mission gegeben hatte. Sein eigenes Schwert hatte der Hound vor den Zwillingen verloren, lediglich die Axt eines Soldaten hatte er behalten können. Langsam kamen ihm jedoch Zweifel, ob diese Axt nicht die bessere Wahl für die Mission gewesen war. Doch in Hillside, hatte der Griff des Schwertes sich vertraut und gut in seiner Hand angefühlt. Erneut schüttelte er den Kopf. Welche Waffe er bei sich trug, war im Moment unwichtig, solange die Person, gegen die er sie anwenden sollte, noch nicht gefunden war. Und bisher sah es damit nicht sonderlich vielversprechend aus. Zwischen den Bäumen tauchte ein kleiner Fluss auf, nicht mehr als ein Bach eigentlich, aber um einige Fuß angeschwollen durch die Regenfälle der letzten Wochen. Sandor drehte sich nach Arya um und wartete, bis sie aufgeschlossen hatte. Sie ritt immer ein Stück hinter ihm und manchmal fragte er sich, warum sie sich nicht einfach aus dem Staub machte. Er würde sich nicht die Mühe machen, sie zu verfolgen. Aber seit dem, was bei den Zwillingen passiert war, war es, als ob eine innere Flamme in ihr erloschen war. Sie war fügsamer als zuvor. Und auch das machte ihm Sorgen. „Beeil dich ein bisschen!”, knurrte er ungeduldig. Er hatte ein zügiges Tempo vorgelegt, da er den Trident möglichst schnell erreichen wollte, und die kleine Verzögerung begann ihn wütend zu machen, vor allem weil Arya in seiner Sache absolut keine Hilfe war. „Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.” Sie trabte heran, und kam neben ihm zum Stehen. „Da können Steine im Flussbett liegen, wir sollten besser absteigen”, murmelte er und schwang sich aus dem Sattel. Sie tat es ihm nach. Das Wasser war tiefer, als er zunächst vermutet hatte und begann ihm in die Stiefel zu laufen, bevor er den Fluss zur Hälfte durchquert hatte. Unter seinen Sohlen konnte er große Steine spüren. Vorsichtig setzte er seine Schritte, um nicht zu stolpern. Als er das andere Ufer erreichte, waren seine Füße pitschnass. Stranger kletterte hinter ihm an Land und schüttelte sich. Tropfen spritzten in alle Richtungen und glitzerten in der Mittagssonne. Arya war es schlechter ergangen als ihm, da sie ein gutes Stück kleiner war. Ihr stieg das Wasser beinahe bis zur Brust, aber sie watete tapfer weiter, ohne sich zu beklagen. Fast wünschte Sandor sich, sie hätte ihn angefaucht und ihm den Mord an ihrem Freund vorgehalten. Michael? Micha? Er hatte den Namen schon wieder vergessen. Er konnte sich noch gut erinnern, wie sie damals nach dem Prozess von Dondarrion auf ihn losgegangen war. Wie eine wütende, kleine Wölfin. Es war ihm schon mehrmals in den Sinn gekommen, sie nach ihrer Zeit bei der Bruderschaft zu fragen und jetzt schien die Gelegenheit günstig. Vielleicht hatte sie ja einen nützlichen Hinweis für ihn, auch wenn er es nicht glaubte. „Wie habt ihr eigentlich damals Dondarrion gefunden?”, fragte er beiläufig, während sie sich mühsam ans Ufer zog. „Als dich seine Handlanger zu ihm gebracht haben.” Sie sah ihn mit einem bösen Blick an, aber in ihren Augenwinkeln konnte er Verzweiflung sehen. Sie ist eben trotz allem noch ein kleines Kind. „Lem und Tom kannten seine Leute. Sie sind seiner Spur gefolgt.” „Was für Leute?” Ihre Augen funkelten. „Das geht Euch nichts an.” „Woher wussten diese Leute, wo er war?” „Sie wussten es nicht, niemand wusste es. Lem meinte, dass der Lightning Lord irgendwann uns finden würde. Und das hat er.” Sie schwieg trotzig und schaute auf ihre Hände, in denen sie die Zügel hielt. „Warum wollt Ihr das wissen?” „Vergiss es. Das geht dich nichts an.” Sie wusste genau so wenig wie er. Er saß auf und machte sich auf in Richtung Süden. Nach einigen bangen Augenblicken konnte er den Hufschlag ihrer Stute hinter sich hören, die ihm verrieten, dass sie ihm folgte. Den Rest des Tages ritten sie in Schweigen. Vielleicht findet Lady Stoneheart ja auch uns, dachte er. Der Mann hatte überhaupt keine Chance. Obwohl er alleine unterwegs war, hatten sowohl Arya als auch der Hound ihn gehört. Er bewegte sich nicht mit der Sicherheit eines Ortsansässigen durch die Wälder. Unter seinen Füßen knackten Zweige und raschelten Blätter. Selbst sein Atmen war laut. Wortlos sahen sich die beiden ungleichen Gefährten an, bevor erst Clegane und dann Arya absaß. Der Hound drückte ihr Strangers Zügel in die Hand. Dann zog er sein langes Schwert und gab ihr ein Zeichen, dass sie die Pferde anbinden sollte. Beinahe lautlos machte er sich dann durch die Bäume davon. Das durch die Blätter fallende Sonnenlicht spiegelte sich auf seiner blanken Klinge. Arya wartete, bis er verschwunden war, bevor sie Stranger und Craven an einem Ast festband und ihm folgte. Schließlich hatte er ihr nicht zu verstehen gegeben, sie solle hier auf ihn warten. Es war nicht schwer auszumachen, wo er sich gerade befand. Denn obwohl er wesentlich leiser als der Fremde war, verfügte er doch nicht über Syrios oder ihre Leichtfüßigkeit. Er war ja auch nie still wie ein Schatten gewesen und hatte Katzen und Tauben in den Straßen von King’s Landing gefangen. Der Mann stand auf einer Lichtung und untersuchte einen stacheligen Strauch. Vermutlich suchte er nach Beeren, oder er legte eine Falle aus. In jedem Fall hatte er abgesehen von einem langen Jagdmesser weder Waffen bei sich, noch trug er ein Kettenhemd oder lederne Schutzkleidung. Arya kroch neben den Hund, der lauernd im Gebüsch hockte, schaute zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. Es handelte sich nicht um einen Soldaten, und er hatte sie nicht gesehen. Er stellte keine Gefahr für sie dar. Doch der Hound beachtete sie gar nicht. Auf der kleinen Lichtung bückte der Mann sich, um irgendetwas vom Boden aufzulesen. Mit einer Schnelligkeit, die Arya dem Hound gar nicht zugetraut hätte, sprang er hervor und versuchte den Mann mit seinem Schwert gegen einen Baum zu drängen. Der jedoch hatte ihn gehört, fuhr herum und blockierte den Streich mit seinem Messer, das gar kein Jagdmesser war, sondern ein Dolch mit erstaunlich edler Klinge. Trotzdem ließ ihn die Wucht des Aufpralls der Klingen in die Knie gehen und einen Schritt rückwärts taumeln, sodass der Hound ein weiteres Mal angreifen konnte. Diesmal zielte er einen Schlag auf seine Beine, dem der Mann allerdings wieder entgehen konnte, indem er einen seltsam tänzerischen Schritt zur Seite und über die Klinge hinweg machte. Ungeachtet der beiden Kämpfenden pirschte Arya sich durch das Unterholz und schlug einen Kreis, den Dolch in der Hand. Wenn sie es schaffte, hinter den Fremden zu kommen, konnte sie ihn überraschen. Fluchend holte der Hound ein drittes Mal aus. Sein großes Schwert war nicht für schnelle Angriffe gemacht, da es schwer und klobig in seiner Hand lag. Nur aufgrund seiner ungewöhnlichen Kraft konnte er es überhaupt mit einer Hand führen. Als der Mann sah, dass der Hound sein Schwert hob, wirbelte er auf dem Absatz herum und versuchte davonzulaufen. Leider hatte er nicht mit Arya gerechnet, die pfeilschnell hinter einem Baumstamm hervorschoss und ihr ganzes Gewicht gegen den Mann warf, während sie ihren Dolch in das weiche Fleisch seines Oberschenkels bohrte. Wäre der Hound ihm nicht so dicht auf den Fersen gewesen, wäre ihre Anstrengung wohl umsonst gewesen, denn trotz der Verletzung war der Mann immer noch um einiges stärker als sie, aber so packte er den Mann am Oberarm und drehte ihn ihm auf den Rücken, sodass das Messer aus seiner Hand fiel. „Was wollt Ihr von mir?”, rief der Mann. Er hatte einen dornischen Akzent und seine schwarzen Haare und Bart und die dunkle Haut ließen ebenfalls auf eine südländische Herkunft schließen. Deshalb hatte er sich so schlecht im Wald zurechtgefunden. „Was macht ein Dornishmann in den Riverlands?”, fragte der Hound, ohne seinen Gefangenen loszulassen. „Und wo habt Ihr so kämpfen gelernt?” „Es ist keine Schande, sich gegen Angriffe zu verteidigen!” „Welchem Herren dient Ihr?” „Ich diene niemandem außer mir selber.” „Lügner!” Der Dornishmann stöhnte vor Schmerz auf, als der Hound seinen Arm einen Stück nach oben riss. „Welchem Herren dient Ihr?” „Nieman- Aaaaaah!“ Das Knacken, das dem Schrei vorausgegangen war, erinnerte Arya an ihre Zeit bei Gregor Cleganes Schergen. Gegen Ende des Verhörs hatten die Knochen der Opfer des Ticklers auch immer so geknackt. Und ebenso wie jetzt der Dornishmann, hatten auch die Opfer damals geschrieben. Seine Schreie gingen Arya durch Mark und Bein. Gibt es Gold im Dorf? „Welchem Herren dient Ihr?”, wiederholte der Hound stoisch seine Frage. Sie hätte ihn am liebsten angeschrien; dass der Gefangene es nicht wusste, dass er doch nichts dafür konnte. Doch da antwortete der Mann schwach: „Ich gehöre zur Bruderschaft ohne Banner.” „Ein Bandit. Dacht ich’s mir doch.” Ein furchtbares Grinsen zierte Cleganes entstelltes Gesicht. Er ließ den Arm, den er dem anderen bis eben auf den Rücken gedreht hatte, los und packte den anderen. Mit großen Augen starrte Arya auf den seltsam abstehenden Arm des Opfers und schluckte. „Nun solltet Ihr ja wissen, dass Ihr meine Fragen besser beantworten solltet. Wo ist Lady Stoneheart?” Der Bandit zitterte. Unter seinem Bart war er noch ziemlich jung. Ungefähr so alt wie Theon. „Ich weiß es nicht.” Als der Hound seinen Arm weiter verdrehte schrie er noch einmal: „Ich weiß es wirklich nicht!” „Du bist nicht alleine hier. Wo sind deine Gefährten?” Der Dornischmann schwieg. Es knackte noch einmal. Ein weiterer Schrei. „Östlich von hier ... ein Aussichtsturm ... ein aaaahh...” Unter der Herrschaft von Dunsen, und Raff und Polliver hatte Arya viele Männer weinen sehen. Sie sagte sich, dass das hier nichts anderes war. „Wo ist Lady Stoneheart?” Wo ist Beric Dondarrion? „Hört auf!” Die Worte hatten ihren Mund verlassen, bevor sie sich dessen überhaupt bewusst geworden war. Beide, der Hound und der Bandit sahen sie an. Der eine wütend, der andere schmerzerfüllt und flehend. „Hört auf! Er weiß es doch nicht!” „Vielleicht fällt es ihm ja ein”, brummte der Hound. „Er hat ja noch zwei Beine.” „Nein! Bitte ...” Der Bandit schluchzte. „Meine Gefährten ... sie ... bei ihnen ist einer, der kennt die Lady persönlich. Er ... er ist ihr Liebhaber. Er weiß wo sie zu finden ist.” „Sagt Ihr das auch noch, wenn ich Euch ein Bein breche?” „Ja! Bitte! Ich habe Euch alles gesagt! Bitte lasst mich gehen!” Der Hound dachte einen Moment nach, während der Dornishmann schluchzte und flehte. Schließlich ließ er ihn los. Der Mann fiel vornüber auf die Knie. „Wölfin!”, knurrte der Hound und fixierte Arya. „Geh und hol die Pferde. Und dann wirst du überprüfen, ob unser Freund hier die Wahrheit gesagt hat.” „Ich schwöre es! Möge der Vater mich richten! Ich schwöre es!”, wimmerte der Mann am Boden. Zögerlich verschwand Arya zwischen den Bäumen. Als sie wiederkam lag der Bandit in einer Blutlache und der Hound wischte sein Schwert an einem dichten Grasbüschel ab. Craven scheute bei dem Geruch von Blut und zerrte an ihrem Zügel. Wortlos starrte Arya auf den Banditen mit den verrenkten Armen. „Warum habt Ihr ihn umgebracht?” Der Hound gab ein kurzes, freudloses Lachen von sich. „Soll er zu seinen Freunden zurück rennen?” „Er hat Euch alles gesagt, was er wusste!” Sie blinzelte heftig, weil sie das Gefühl hatte, dass Tränen hinter ihren Lidern aufstiegen. „Und deshalb hat er mir nichts mehr genützt.” Er begutachtete seine Klinge, die wieder sauber war und matt schimmerte, steckte sie zurück in die Scheide und ging zu ihr hinüber, um ihr Strangers Zügel abzunehmen. „Das ist der Lauf der Dinge.” „Das ist grausam!“ „Na und? Ich weiß, was ich wissen muss.“ „Ihr ... Ihr seid wie Euer Bruder!” Diesmal schlug er sie. Der Schlag war so heftig, dass sie zu Boden fiel. Ihre Wange brannte. „Sag das nie wieder, Wölfin.” Ohne sie anzusehen, zäumte er Stranger ab und nahm ein paar Sachen aus den Satteltaschen. Während er sein Pferd versorgte und danach eine Scheibe Brot und Trockenfleisch aß, blieb sie wortlos am Boden sitzen. Sie weinte nicht, und sie hielt sich nicht ihre Wange, obwohl sie furchtbar pochte. Wenn ich doch nur Needle hätte. Dann würde ich ihn umbringen, so wie er es mit Mycah gemacht hat. Als das Licht abnahm erhob sie sich schließlich, um sich um Craven zu kümmern. Der Hound tat so, als existiere sie nicht. Der Körper des Dornishmannes lag auf dem Boden und blutete. „Wer ist Lady Stoneheart?” „Sie führt die Bruderschaft ohne Banner an.” Erstaunt hob sie die Augenbrauen, sah jedoch nicht von Cravens Steigbügeln auf, die sie gerade am Sattel festschnürte. „Was ist mit Lord Beric?” „Tot.” Der Hound spuckte ein Stück Knorpel aus. Beric Dondarrion hatte sie zu Robb und Mutter bringen wollen. Sie spürte einen leichten Stich in ihrer Brust. „Warum wollt Ihr wissen, wo Lady Stoneheart ist?” Die Frage hing in der milden Abendluft zwischen ihnen. Stur kaute der Hound auf einem Stück Fleisch, ohne zu antworten. Sie schloss kurz die Augen. „Ihr wollt Euch den Banditen anschließen.” Unvermittelt prustete der Hound los. „Und gerade als ich dachte, du seist nicht so naiv, wie deine Schwester.” „Was wollt Ihr dann?”, fragte sie und drehte sich doch zu ihm um. „Ich dachte Ihr wolltet mich nach Riverrun bringen.” „Die Pläne haben sich geändert. Wenn ich Lady Stoneheart finde und erledige, bekomme ich mehr, als ich für dich je kriegen könnte. Aber erst mal muss ich sie finden.” „Wer zahlt so viel dafür, dass Ihr sie umbringt?” „Das geht dich nichts an, Wölfin”, erwiderte er mürrisch. „Aber wenn du mir hilfst, dann sorge ich dafür, dass du deinen Bruder bei der Nachtwache wieder siehst.” „Woher weiß ich, dass Ihr nicht lügt?” „Weil ich dich bis hierher mitgeschleppt habe. Sollte genug sein.” Sie war sich sicher, dass er log, hatte er doch selber gesagt, dass ihn ihr Schicksal und das ihres Bruders nicht die Bohne interessierte. Aber es war eine Hoffnung, ein Strohhalm, an den man sich klammern konnte. Und Hoffnung war etwas, das sie bitter nötig hatte. Unmerklich nickte sie, ohne ihn anzusehen. Aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung war und lachte trocken. „Gute Entscheidung, Wölfin. Osten ist da, wo die Sonne grade nicht untergeht.” Die Kingsroad schlängelte sich durch das hügelige Land, links und rechts gesäumt von Wiesen und Feldern, die zerstört oder abgeerntet waren. Je weiter er nach Norden kam, desto mehr Reisende begegneten ihm. Es waren hauptsächlich Soldaten, die von den Zwillingen kamen oder sie zum Ziel hatten. Dazwischen befanden sich auch Gruppen der Soldaten der Bannermänner von Lord Tywin. Bauern und andere ‚kleine Leute’ waren auch ab und zu zu sehen. Sie brachten Erträge und Nahrungsmitteln von einem Ort zum anderen. Selten begegnete man einem Händler mit vollbeladenem Wagen. Auf seinem Weg von Saltpans zur Kingsroad hatte er viele Bäuerinnen und Fischersfrauen getroffen, die ihm manchmal etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf angeboten hatten. Das waren die Vorteile, wenn man ein wandernder Mönch war. Einmal waren mitten in der Nacht Soldaten durch das Dorf geritten, in dem er übernachtete. Die Bewohner hatten ihre Türen verriegelt und sich in Kellern versteckt. Als er gefragt hatte, zu welcher Gruppe die Soldaten gehörten, hatte eine Greisin ihm geantwortet „Das spielt keine Rolle. Soldaten sind gefährlich, egal welchem Lord sie unterstehen.” Die Sonne stand tief im Südwesten und warf einen langen Schatten vor ihm auf die unebene Straße. Mit seiner freien Hand strich er sich die dunklen, widerspenstigen Haare aus dem Gesicht, als er den Kopf hob, um zu erkennen, was vor ihm lag. Es war später Nachmittag. Nicht mehr lange und es würde dunkel werden. Er hatte gehofft, er würde entlang der Straße die eine oder andere Ortschaft finden, die er noch von früher kannte, doch die meisten Dörfer waren nur noch verkohlte Ruinen. Das waren die Folgen des Krieges. Hier an der Kingsroad, wo die Streitkräfte durchgezogen waren, hatte es kein Entkommen für die Bauern gegeben. Wer die mordenden und brandschatzenden Soldaten überlebt hatte, war ins Landesinnere geflohen. In die Berge, die Wälder oder an die Küste. Jetzt lebten auf der großen Straße, die Westeros von Norden nach Süden durchquerte nur noch Reisende wie er. William stellte sich darauf ein, eine weiter Nacht in einem dichten Gestrüpp zu verbringen. Glücklicherweise hatte er noch genug Vorräte, die auf den Rücken seines Esels geschnallt waren. Das Tier hatte ihm treue Dienste geleistet und trottete auch jetzt unermüdlich an einem Strick hinter ihm her. Immerhin gibt es hier draußen keine Flöhe, versuchte er sich aufzuheitern. Die gestrige Nacht hatte er in einer Herberge verbracht, die an der Schnittstelle zwischen der Kingsroad und der Riverroad lag. Das ‚Crossroads Inn’ war den meisten Reisenden ein Begriff, einerseits wegen seiner günstigen Lage an der Kreuzung der beiden wichtigen Straßen und andererseits wegen seiner beachtlichen Größe. Auf wundersame Weise hatte die Gaststätte den Krieg überlebt und war noch in Betrieb. William hatte sich ein Bett genommen und einen Stallplatz für seinen Esel dazu. Die Entscheidung dort zu übernachten, war nicht nur der reinen Bequemlichkeit zuzuschreiben. Raststätten waren voll von Gerüchten und Informationen, wenn man nur die Geduld hatte, zu lauschen. Und gestern war der Schankraum zum Bersten gefüllt gewesen mit Soldaten und Reisenden, die sich die Zeit mit Gerede, Saufen und Spielen vertrieben. William war zu Beginn seiner Reise von seinem Schweigegelübde losgesprochen worden, weshalb es ihm erlaubt war, Fragen zu stellen. Zunächst hatte er sich jedoch mit einem Stück Brot und einer heißen Wurst, aus der das Fett tropfte, und einem Becher Wasser an den Tresen gesetzt und zugehört. Da gab es Soldaten, die zu Roose Bolton gehörten und unterwegs nach Norden waren. Sie klagten über die Kälte, die sie im Winter dort erwarten würde und dass sie viel lieber im warmen Süden geblieben wären. Daneben saßen mehrere Männer, die an den zwei grauen Türmen vor blauem Grund auf ihrem Wams als Freys zu erkennen waren. Außerdem eine ganze Menge Reisender. Ein Sänger mit Harfe und ausgeblichenem, roten Umhang saß direkt am Feuer und spielte “The Bear And The Maiden Fair” und “When Willum’s Wife Was Wet” und andere Lieder, die ihm von den Leuten zugerufen wurden. Als der Abend voranschritt wurde die Stimmung immer ausgelassener. Die Lieder des Sängers wurden mitgegrölt, und wenn der Mann so tat als wollte er aufstehen und seine Vorstellung beenden, brüllten alle, er solle bleiben und gaben ihm ein weiteres Getränk aus. Ale und Met floss in rauen Mengen und die Tochter und Frau des Wirtes liefen, so schnell sie ihre dicken Beine trugen, um die Gäste mit allem zu versorgen, was sie verlangten. Gegen Mitternacht trat auch der Wirt aus dem Hinterzimmer und sah sich mit zufriedenem Gesicht unter den Männern um, die seinen Ale tranken und seine Speisen aßen. „Der Sänger, dieser Wendel, der ist eine wahre Goldgrube”, sagte er zu seiner Frau, als diese gerade sieben leere Krüge hinter den Tresen schaffte. „Es war klug von dir, ihm das Zimmer umsonst zu geben”, stimmte seine Frau ihm zu. Ihre Wangen waren gerötet von der Anstrengung des Laufens und sie schnaufte schwer. „Sie trinken mehr als vorher.” „Und sie zahlen mehr als vorher”, stimmte er ihr zu. „Wir haben mehr eingenommen, als während des gesamten, verdammten Krieges.” William trank einen Schluck Wasser und lächelte. Als der Sänger schließlich, nach weiteren eineinhalb Stunden Musik und mehreren Krügen Ale die Töne nicht mehr richtig traf, stand er endgültig auf, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Schnell erhob sich auch William und bahnte sich einen Weg durch die Trinker. Es waren immer noch eine Menge Menschen im Schankraum, obwohl im Laufe der Nacht viele gegangen waren. Trotzdem war es nicht einfach, dem Sänger, der wohlweißlich neben der Tür zur Treppe ins Obergeschoss gesessen hatte, zu folgen. Glücklicherweise verbeugte sich der Mann noch einige Male schwungvoll, wobei sein farbiger Umhang sich hinter ihm aufbauschte. Als der Sänger dann endlich den Schankraum verließ, drängte sich William zwischen zwei muskulösen Soldaten mit einer silbernen Sonne auf dem schwarzen Wams hindurch und hastete hinter ihm her. Der Sänger war die quietschende Treppe bereits zur Hälfte hinaus, als Will die Tür hinter sich schloss und, zwei Stufen auf einmal nehmend, zu ihm aufschloss. „Entschuldigt bitte, Wendel”, keuchte er. Im Gegensatz zu Will hatte der Sänger mehr als genug Alkohol im Blut und war ziemlich betrunken. In der Linken hielt er seine Harfe und mit der Rechten stützte er sich an der Wand ab, als er sich schwerfällig zu dem jungen Mönch umwandte. „Was is'?” „Ich ... “ Will dachte an die kluge Verschlagenheit, die er als kleiner Junge so oft angewendet hatte, wenn er mit den Ehefrauen reicher Kaufleute verhandelt hatte. „Ihr habt sehr gut gespielt, heute Abend. Ich hätte niemals gedacht, ein solches Talent wie Euch hier zu treffen.” Vielleicht hatte er etwas zu dick aufgetragen, doch man sah Wendel an, dass er geschmeichelt war. Trotzdem brummte er: „Und was weiß ein Mönch über Musik?” „Nicht so viel wie Ihr, natürlich”, schnurrte Will und lächelte schmeichelhaft. „Aber auch ein Unwissender kann gutes Spiel von schlechtem unterscheiden.” „Da mögt Ihr Recht haben.” Wendel stieß sich von der Wand ab und wandte sich wieder dem drohenden Anstieg der Treppe zu. „Danke für Eure freundlichen Worte. Aber jetzt werde ich mich ....” Er stolperte über eine Stufe und hätte beinahe seine Harfe fallen gelassen. Schnell drängte sich Will neben ihn, und legte sich seinen Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. „Bitte erlaubt mir, Euch zu helfen.” Wendel grummelte irgendetwas Unverständliches. Sie erklommen einige Stufen, wobei Will den Sänger mehr trug, als stützte. Zum Glück war er von der Arbeit auf der Stillen Insel und dem nahrhaften Essen dort kräftig geworden, sodass er die relativ geringe Masse des dünnen Sängers problemlos halten konnte. „Ich habe gehört”, setzte er nach ein paar Schritten abermals an, „dass Ihr schon eine Weile hier seid.” „Hmmjaah”, lallte der Sänger. “Das ist richtig.” „Ich dachte vielleicht ... ich suche meine Schwester, wisst Ihr? Ein Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren mit langen, roten Haaren und blauen Augen. Vermutlich in Begleitung einer Spielmannstruppe. Sie ist nicht zufällig hier vorbeigekommen?” „Rote Haare sagst du?” Es wurde zunehmend schwerer, Wendel zu verstehen. „Ja. Ungefähr dreizehn. Eine hübsche, junge Maid.” „Nun, das wird sie nicht lange bleiben, wenn se hier unterwegs is’”, brummte der Sänger. „Dann habt Ihr sie also nicht gesehen?” Will war enttäuscht. „Rote Haare?”, fragte Wendel noch mal. „Ja, genau. Mitglied einer Gruppe Gaukler.“ „Da war ein Mädchen hier. Is’ schon etwas her, vielleicht eine Woche. Hatte fünf Kerle dabei. Hübsches Ding. Hätte besser beim alten Wendel bleiben sollen.” Aufgeregt sah Will ihn an. „Seid Ihr Euch sicher?” Wendel lallte irgendwas, das Will nicht verstehen konnte. „Wo ... wohin war sie unterwegs?” „Nach Norden wollten sie. Zur Hochzeit von irgendeinem reichen Schnösel.“ Will wollte noch eine weitere Frage stellen, doch der Sänger löste sich von ihm. „Das's mein Zimmer”, murmelte er und stieß die dünne Holztür auf. „Viel Glück, Junge.” Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und Will hörte ein dumpfes Poltern, das entweder die zu Boden gefallenen Harfe war, oder bedeutete, dass der Sänger sein Bett verfehlt hatte. Sansa Stark war also am ‚Crossroads Inn’ vorbeigekommen und war tatsächlich mit Gauklern unterwegs, wie der Altbruder gesagt hatte. Das bedeutete, dass er auf dem richtigen Weg war. Natürlich, ob ein betrunkener Sänger die beste Informationsquelle war, war zu bezweifeln. Doch er hatte sich an die Haarfarbe des Mädchens erinnert und an das Ziel der Gruppe. Außerdem hatte Will die Erfahrung gemacht, dass betrunkene Männer öfter die Wahrheit sagten, als nüchterne. In Gedanken noch immer bei der vorigen Nacht, klopfte er seinem Esel abwesend den Hals, während ihn seine Füße automatisch weitertrugen. Wenn Wendel sich richtig erinnert hatte, waren Sansa und ihre Begleiter ihm ein gutes Stück voraus. Aber er würde sie einholen. Er schlief wenig und marschierte zügig. Er würde sie einholen, und dann würde er sie auf die Stille Insel bringen. Als der Mond schon aufgegangen war, lief er immer noch schnellen Schrittes am Rand der Straße. Auch ohne Laterne sahen seine Augen ausreichend und er hatte in den letzten Nächten genug geschlafen. Jetzt kam es auf jede Meile an. Die Blätter an den Bäumen hatten das helle, strahlende Grün des Sommers verloren. Sie kleideten sich jetzt in eine mattere, müdere Schattierung, die dunkler war, und an einigen Stellen bereits Gelb und Braun durchscheinen ließ. Trotzdem waren noch nicht viele Blätter gefallen, sodass Arya in den Baumkronen sitzend gut geschützt war. Ihre grauen Augen lugten wach aus dem Blätterdickicht hervor. Wie die Kinder des Waldes, dachte sie. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. Es tat gut, sich wieder still wie ein Schatten durch den Wald zu bewegen, die Blätter unter ihren nackten Füßen und das Rauschenden der schützenden Baumkronen über ihrem Kopf. Der friedliche Abend ließ sie den Grund ihrer Erkundungstour vergessen. Trotzdem hörte sie immer noch das Knacken der Knochen und die Schreie des Dornishmannes. Sie war froh, gerade nicht beim Hound sein zu müssen. Lange hatte es nicht gedauert, bis sie die Ruine des Aussichtsturmes zwischen den Ästen erspäht hatte. Das Dach und große Teile der oberen Stockwerke waren eingestürzt, doch unten stand die Mauer noch, und bot Schutz selbst für einen ungewöhnlich großen, aufrecht stehenden Mann. Was an Mauerwerk noch übrig war, war schwarz und verkohlt. Wo sie jetzt direkt gegenüber vom Turm in den Bäumen saß, konnte sie im Herbstwind ganz leicht den verbrannten Geruch wahrnehmen. Der Turm und die Handvoll Häuser, die an seinem Fuß angesiedelt waren, konnten noch nicht lange zerstört sein, waren vermutlich brandschanzenden Soldaten zum Opfer gefallen. Aufmerksam spähte sie um sich und lauschte. Die Sonne ging unter und tauchte ihre Umgebung in ein rötliches Licht. Ein Käuzchen rief, um den Beginn der Nacht anzukündigen, und Eichhörnchen raschelten im Geäst. Ansonsten war alles ruhig. Niemand war zu sehen. Wenn sich hier tatsächlich die Banditen aufhielten, so verbarg sie die Mauer des Turms. Sie wollte sich gerade am Stamm hinab gleiten lassen, um näher heran zu pirschen, als plötzlich ein hochgewachsener Mann hinter einer halb eingefallenen Außenwand des Turmes hervor trat. Seine Kleider waren zerlumpt und abgerissen, doch an seiner Hüfte hing ein großer Hammer, dessen schwerer Kopf an sein Knie schlug, wenn er sich bewegte. Er war bärtig und lange, verfilzte Haare fielen auf seine Schultern. Gegen die Kälte der Nacht trug er einen dunkelgrauen Umhang, dessen Rand mit Pelz besetzt war. Arya sank langsam auf den Ast , auf dem sie kauerte, zurück. Sieh mit deinen Augen. Der Mann war zwar groß, muskulös, aber er war auch abgemagert und blass. Er trug kein Kettenhemd, sondern lediglich einen ledernen Wams, der ihn kaum vor ernsthaften Angriffen schützen würde. Außerdem war weder auf seinem Umhang, noch auf seiner Brust irgendein Wappen aufgestickt. Trotz seines Streithammers konnte er also kein Soldat sein. Von seiner Aufmachung her ähnelte er dem dornischen Banditen, den sie im Wald getroffen hatten. Es musste also einer seiner Kumpane sein. Der Mann drehte sich um und rief etwas in das Innere des ausgebrannten Turmes hinein, allerdings zu leise, als dass sie es hätte verstehen können. Ebenso leise tönte eine Antwort hervor, eine zweite Männerstimme. Der erste Mann ging wieder hinein. Die Dunkelheit griff um sich, und bald konnte Arya ganz sacht den Feuerschein ausmachen, der auf den Innenwänden des Turmes tanzte. Sie ließ sich den Stamm hinabgleiten und landete leicht und lautlos auf ihren nackten Fußballen. Dann begann sie ihren Weg zum Turm. Der Hound hatte sich dagegen entschieden, ein Feuer zu machen, da er nicht gesehen werden wollte. Es war ziemlich dunkel geworden und der Wald begann in nächtlichen Stimmen zu wispern. Sein Magen knurrte und rumpelte, obwohl er vorhin etwas gegessen hatte. Jetzt, wo Arya weg war, konnte er auch nicht jagen gehen. Die Pferde und seine Sachen alleine zu lassen, war sicher keine gute Idee. Je weiter der Abend voranschritt, desto mehr fragte er sich, ob es wirklich richtig gewesen war, die Wölfin alleine loszuschicken. Er wusste, dass sie beunruhigend leise sein konnte, wenn sie wollte. Und um Leute zu belauschen war sie sicher die bessere Wahl als er. Egal wie sehr er trainiert hatte, er war eben groß und kräftig und konnte sich in einem Wald mit raschelnden Blättern und knackenden Zweigen unter seinen Stiefeln nicht so leise bewegen, wie ein schmächtiges Mädchen. Aber sie war nun schon sehr lange fort. Hatte seine Befragung des Banditen sie etwa so aufgebracht? Wenn er ehrlich war, war er ziemlich überrascht gewesen, dass sie ihn derartig angefahren hatte. Sonst war sie auch nicht so zimperlich, wenn es um berechtigte Gewalt ging. Und er hatte schließlich sichergehen müssen, dass der Dornishman die Wahrheit sagte. Nahm sie es ihm vielleicht übel, dass er sie geschlagen hatte? Oder war sie enttäuscht, weil er sie nicht nach Riverrun bringen würde? Das konnte eigentlich nicht sein, denn sie selber war es ja gewesen, die ihn daran erinnert hatte, dass Brynden Tully sie weder kannte, noch bereit sein würde, irgendeinen Preis für sie zu bezahlen. Indem er beide Pferde bei sich behalten hatte, war der Hound eigentlich sicher gewesen, dass sie nicht weglaufen würde. Ohne Pferd, Kleider und Vorräte würde sie ganz alleine nicht weit kommen. Der Weg in den Norden war weit, aber dort war der einzige Platz auf der Welt, den sie noch hatte. Immerhin etwas, dachte er. Immerhin hat sie einen Bruder, der sie aufnehmen würde. Es war mehr, als er von sich selbst behaupten konnte. Wo vorher die Leiche des Banditen gelegen hatte, war jetzt nur noch ein blasser Blutfleck zu sehen, der gemächlich in der Erde versickerte. Aryas Stute schreckte immer noch vor seinem Geruch zurück. Den Körper hatte er vor Einbruch der Dunkelheit in den Wald getragen und begraben. Ein Kadaver lockte Wölfe und andere Raubtiere an. Er stand auf, um zum fünften Mal den Knoten zu überprüfen mit dem er Stranger und Craven festgebunden hatte. Sein eigener Hengst war ruhig, selbst in der Nacht. Nur seine zuckenden Ohren verrieten ein leichtes Unbehagen. Craven hingegen war ein einziges Nervenbündel. Jedes noch so leise Geräusch ließ sie scheuen. Manchmal wieherte sie leise und scharrte mit den Hufen. Auch jetzt, als sie den großen Mann auf sich zukommen sah. Sandor fuhr ihr mit einer Hand den Hals hinunter und murmelte ein paar beruhigende Worte. Wenn das Mädchen jetzt nicht bald kommt, dachte er, bestimmt schon zum zwanzigsten Mal diesen Abend, dann gehe ich selber und sehe nach. Hinter ihm raschelte es im Gebüsch. Das Geräusch war leise genug, doch die beiden Pferde hatten schärfere Ohren, als er und drehten die Köpfe. Stranger warf auf und schnaubte leise. Der Hound drehte sich um. Zwischen den Zweigen konnte er Arya auftauchen sehen. Ihr zerzaustes Haar hing voller vertrockneter Blätter und am rechten Arm hatte sie eine Schramme, die vorher nicht da gewesen war. In ihren Augen konnte er immer noch einen Rest des Zornes sehen, der sie zuvor gepackt hatte. „Hat ja lange genug gedauert”, schnaufte der Hound, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Die Kerle haben lange genug gebraucht, um endlich mal eine nützliche Information von sich zu geben”, gab sie ohne zu Zögern zurück. „Gibt's nichts zu essen?” Er holte aus seinem Beutel ein Stück gepökeltes Fleisch heraus und warf es ihr zu. Sich selber nahm er ebenfalls etwas. „Was hast du rausgekriegt?” Sie ließ sich Zeit, kaute eine Weile auf dem Fleisch herum, bevor sie antwortete. Es machte ihr sichtlich Spaß, ihn zappeln zu lassen. Er riss sich zusammen und gönnte ihr die Freude, auch wenn er nicht verhindern konnte, ungeduldig mit den Zähnen zu knirschen. Schließlich sagte sie: „Ungefähr einen Tagesritt von hier ist wohl ein Wirtshaus. ‚Zur Goldenen Linde’, oder so. Ein Kumpane von ihnen ist wohl dorthin. Er heißt Lester.” Der Name sagt ihm nichts. „Und was bringt uns das?” „Dieser Lester ist der, von dem der Dornishmann vorhin gesprochen hat. Er soll wissen, wo sich Lady Stoneheart aufhält, weil er ihr Liebhaber ist. Das haben die zumindest gesagt.” „Warum ist er dort?“ „Weil er sich mit Lady Stoneheart treffen soll. Wegen eines Auftrags.“ „Und wo ist das Wirtshaus?” „Südlich, in der Nähe vom Trident. An der Kingsroad.” „Das heißt, wenn wir der Straße folgen, kommen wir dorthin.” Der Hound rieb sich das Kinn. „Und du bist ganz sicher, dass sie das gesagt haben?” „Ihr könnt ja selber noch mal hin und sie fragen.” Er wusste, was das bedeutete. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, so wenig ihm das auch gefiel. „Leg dich eine Weile aufs Ohr”, brummte er unwirsch. „Morgen brechen wir zu diesem Wirtshaus auf, von dem du gesprochen hast. Ich hoffe für dich, dass es auch da ist, wo du sagst.” „Wenn es nicht dort ist, dann haben die Männer im Wald gelogen”, erwiderte sie schlagfertig. Damit rollte sie sich auf dem Boden zusammen und schloss die Augen. Abgerissen und mager wie sie war, war sie einer Straßenkatze ähnlicher, als einer Wölfin. Der Hound schüttelte den Kopf und überprüfte ein letztes Mal an diesem Abend die Zügel der Pferde. Hoffentlich sagt sie die Wahrheit. Die Raststätte hatte definitiv schon bessere Tage gesehen. Dach und Wände waren morsch und rottig, das Stallgebäude daneben zur Hälfte eingefallen. Eine schwarz verkohlte Wand ließ darauf schließen, dass auch hier mal ein Feuer gewütet haben musste, das allerdings gelöscht worden sein musste, ehe es ernsthaften Schaden anrichten konnte. Ein großer Brunnen stand auf dem Hof, dem die Raststätte vermutlich ihre Existenz verdankte. ‚Zur Goldenen Linde’ hieß sie. Der namensgebende Baum stand neben dem Brunnen und überschattete Haus und Hof. Von Gold war in den Blättern allerdings kaum etwas zu sehen, sie standen noch im kräftigen Grün des Sommers. Vermutlich färbten sich die Blätter erst wenn es Herbst wurde gelb, schloss Will, während er seinen Esel unter den kräftigen Zweigen hindurchführte. Vor dem Haus war ein Balken angebracht, an dem er das Tier anbinden konnte. Auch ein Pferd stand dort. Es war wider erwarten kein alter Ackergaul, sondern ein kräftiges Pferd, dessen muskulöse Beine auf Kraft und Schnelligkeit schließen ließen. Sein cremefarbenes Fell glänzte und immer wieder warf es nervös den Kopf auf und schüttelte die seidige Mähne. Drinnen roch es nach Eintopf und Ale. Obwohl es noch früh am Abend war, war der Schankraum schon gut gefüllt. Offensichtlich war dies weniger eine Unterkunft für Reisende als ein lokaler Treffpunkt für Bauern, Arbeiter und Händler aus der Region, weshalb die ‚Goldene Linde’ auch nicht direkt an der Straße, sondern ein gutes Stück landeinwärts lag. Will sah eine kleine Gruppe Soldaten, deren Wappen er nicht erkannte, an einem Tisch sitzen, ansonsten waren aber alle Gäste Leute von niederer Geburt; sie trafen sich, um Neuigkeiten auszutauschen, und private Geschäfte abzuschließen. Als er die Wirtin auf ein Zimmer ansprach, sah sie ihn zuerst prüfend an, doch seine Kutte verlieh ihm einen vertrauenserweckenden Eindruck, und sie nickte brüsk bevor sie ihn ein Stockwerk höher schickte, wo die Kellnerin ihm einen kleinen Raum mit einem Bett aus Stroh zuwies. Als er mit dem Mädchen die Treppe hinaufstieg, kam ihm ein glattrasierter, blonder Mann mit stechenden Augen und einem Eineinhalbhänder an der Hüfte entgegen. Er drängte sich grob an ihnen vorbei und stieß mit einer ruckartigen Bewegung die Tür zum Schankraum auf. „Das ist unser zweiter Gast”, erklärte das Mädchen ungefragt. „Er ist seit gestern Abend hier. Mutter sagt, ich soll mich von ihm fernhalten, aber er hat gutes Geld bezahlt.” Das Haus hatte nur zwei Stockwerke, und auf diesem Flur waren lediglich zwei weitere Türen. Will schloss daraus, dass mit ihm und dem Mann mit dem Schwert keine anderen Gäste mehr Unterkunft erhalten konnten. Er lächelte dem Mädchen möglichst beruhigend zu und entließ sie dann mit einem Nicken, nachdem sie ihm die Tür zu seinem Raum geöffnet hatte. Eigentlich handelte es sich eher um eine Abstellkammer, als um ein Schlafzimmer. Der Boden bot gerade genug Platz für ein schmales Bett und eine Truhe. Er blieb nur im Zimmer, um seine Sachen abzustellen, dann kehrte er in den Schankraum zurück. Vielleicht war Sansa Stark ja hier vorbeigekommen. Er hoffte, einen Glückstreffer wie beim ‚Crossroads Inn’ zu landen. Oder zumindest jemanden zu finden, der ein rothaariges Mädchen auf dem Weg nach Norden gesehen hatte. Am Tresen holte er sich einen Eintopf mit Fleisch - das normaler Herbergsessen - und Wasser, bevor er sich an einen der langen Tische setzte, um zu essen. Mit der Zeit begann das Wirtshaus sich zu füllen. Bauern kamen von der Arbeit nach Hause, einige junge Burschen saßen beisammen und würfelten, während sich die Älteren zu kleinen Runden zusammensetzten. Will kannte die Dynamik der Gasthäuser inzwischen und konnte sehen, wer aus der Gegend war, und wer nicht. Er vertrieb sich die Zeit damit, die Leute zu beobachten und versuchte, Erkenntnisse aus ihren Gesprächen zu gewinnen. Leider sprachen die meisten nur über die Ernte und den anbrechenden Winter. Für Gauklertruppen oder andere Reisende interessierte sich niemand. Je später es wurde, desto öfter warf ihm die Wirtin hinter der Theke einen warnenden Blick zu. Wahrscheinlich war sie der Meinung, er sei nicht gut fürs Geschäft, da er nur einen Teller Eintopf gegessen hatte und jetzt Wasser trank. Darum bestellte er schließlich einen Krug Ale, den er möglichst langsam trinken wollte. An einem Tisch in der Ecke saß der Mann, der ihm vorher auf der Treppe begegnet war, und aß. Seine Kiefer mahlten das Essen, als wäre es nur eine Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Sein Gesicht war hart und emotionslos. Doch er hätte durchaus gut aussehen können, wenn er nur nicht so verbissen geschaut hätte. Er kam Will vor wie ein Söldner, mit seinem Schwert und dem bissigen Auftreten. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er zu ihm hinüberschaute. Wenn jemand etwas wusste, dann dieser Kerl. Aber Will war auch bewusst, dass ein Söldner selten ehrlich mit einem Mönch sprach. Er fragte sich, wie er ihm Informationen entlocken konnte, als die Tür auf einmal aufgestoßen wurde, und ein höchst seltsames Paar den Schankraum betrat. Der Mann war groß und breitschultrig, mit halblangen, schwarzen Haaren, die ihm ungekämmt auf die Schultern fielen. An seiner Seite hing ein langes Schwert. Das Auffälligste war jedoch sein Gesicht: Die rechte Seite war komplett von einer roten Brandnarbe überdeckt, sodass der rechte Mundwinkel auf unnatürliche Art nach oben gezogen wurde, was ihm ein unheimliches Grinsen auf das Gesicht malte. Begleitet wurde er von einem zerlumpten Kind mit einem Dolch am Gürtel. Will konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Das Kind war vielleicht zehn oder elf und ging barfuß. In seinen Augen war nicht die leiseste Spur von Angst. Aufmerksam sah es die einzelnen Gäste an, die – genau wie Will – die beiden Ankömmlinge musterten. Schließlich schien das Kind jemanden zu erkennen, zupfte seinen Kumpanen am Umhang und flüsterte ihm etwas zu. Will beobachtete gespannt, wie der Mann mit den Narben durch den Schankraum auf den einzelnen Tisch zuschritt, an dem der blonde Söldner saß. Als das Kind ihm folgen wollte, hielt er es mit einer eindeutigen Handbewegung zurück. Nachdem die beiden Männer kurz miteinander gesprochen hatte, folgte der blonde Mann dem anderen nach draußen. Die Tür polterte ins Schloss. Die Gäste hatten dem Austausch mit gemischter Aufmerksamkeit zugesehen und beobachteten, als sich die beiden Männer nach draußen bewegten, noch ein paar Sekunden lang die geschlossene Tür. Dann wandten sie sich wieder ihren jeweiligen Geschäften zu. Zurück blieb einzig das Kind, das fast ein wenig verloren in der Mitte des Schankraumes stand. Will beobachtete es, wie es sich mit dem Raum vertraut machte. Es war ganz offensichtlich kein Sprössling eines Bauern, dafür war seine Haltung viel zu lauernd. Außerdem trug es einen Dolch an seinem Gürtel. Wahrscheinlich war sein Vater ein reisender Ritter oder ebenfalls ein Söldner, der seinen Sohn als Knappen mitgenommen hatte. Fest stand jedoch, dass aus diesen beiden mehr herauszuholen war, als aus dem Rest der Leute hier, denn sie mussten Reisende sein. Er winkte der Bedienung und bestellte einen zweiten Eintopf mit Brot. Der Hound verschwand mit Lester nach draußen und ließ sie einfach im Schankraum stehen. „Bleib hier”, hatte der Hound gesagt, und sie zur Seite geschoben, während er den Banditen zur Tür eskortierte. „Dir wird das nicht gefallen.” Kurz hatte sie überlegt, sich zu widersetzen, und wenn es nur um des Widersetzens Willen gewesen wäre. Aber die Erinnerung an das Knacken, das die Knochen des Dornishmanns von sich gegeben hatten, als sie brachen, ließ sie bleiben. Wie viele Männer hatte er bei sich? Die Erinnerung an den Tickler drehte ihr den Magen um. Sie blinzelte, um den Gedanken loszuwerden und sah sich nach einer Ecke um, in der sie auf die Wiederkehr des Houndes warten konnte. An das, was er vermutlich grade mit Lester anstellte, um an Informationen zu kommen, mochte sie gar nicht denken. Die anderen Gäste wandten sich langsam wieder ab. Zwei Männer mit Schwertern und kriegerischem Aussehen waren eine Attraktion. Ein zerlumptes Mädchen nicht. Arya suchte auf den langen Bänken einen Platz, an dem sie nicht bemerkt werden konnte. Unterwegs zu einem der langen Tische mit zwei Krügen Ale und einem Teller Eintopf, scheuchte das Dienstmädchen sie grob zur Seite. Arya duckte sich und warf ihr einen bösen Blick zu. Vielleicht wäre es am besten draußen zu warten, bis der Hound fertig war. „Hey, Kleiner, hier drüben!” Sie wandte sich um. An einem der Tische saß ein Mann in einer braunen Kutte, den sie als einen der Braunen Brüder erkannte. Zuerst dachte sie an die Mönche, die sie zusammen mit der Bruderschaft ohne Banner in Stoney Sept getroffen hatte. Doch dann fiel ihr ein, dass in King’s Landing verschiedene Gerüchte über die Vorliebe der angeblich keuschen Männer für Kinder kursiert waren. Und Septon Mutt von den Bloody Mummers hatte sogar regelmäßig kleine Jungen ermordet. Bei dem Gedanken daran hätte sie sich beinahe umgedreht um wegzulaufen, wäre dieser Mönch nicht so jung gewesen. Und mit seinen dichten, schwarzen Haaren und den festen Augen sah er ein bisschen aus wie Gendry. Sie mussten auch ungefähr gleich alt sein. „Du musst keine Angst haben”, lächelte der Mönch. Er schob eine hölzerne Schüssel mit Eintopf, die vor ihm gestanden hatte, in ihre Richtung. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Seit dem gepökelten Fleisch am Vorabend hatte sie nur einen Schluck Wasser und ein paar Wurzeln zu sich genommen. Zögerlich näherte sie sich dem Tisch, wie ein wildes Tier, dem eine Hand mit Futter entgegengestreckt wird. Wenn er mir etwas tun will, dann laufe ich einfach weg. Der Mönch klopfte auf den Platz neben ihm. Sie setzte sich, achtete dabei aber darauf, so weit wie möglich von ihm entfernt zu sitzen. Großzügig schob er ihr die Schüssel entgegen. „Du hast bestimmt Hunger.” Der Geruch des Eintopfes stieg ihr verlockend in die Nase. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. „Warum gebt Ihr mir etwas zu Essen?”, zwang sie sich zu fragen. „Ich bin ein Mönch und wir geben den Hungrigen. Das ist eines der Gebote im Siebenzackigen Stern.” Sein Lächeln war breit und vertrauenserweckend. Sie wusste, dass sie den Eintopf nicht annehmen sollte, aber sie tat es trotzdem. Vielleicht weil sie wusste, dass der Hound bald wieder da sein würde. Vielleicht auch einfach nur, weil sie furchtbar hungrig war und schon lange nichts mehr Warmes im Bauch gehabt hatte. Sie nahm den Löffel und verschlang die Suppe. Die Schüssel war innerhalb von wenigen Minuten leer und ihr Bauch grummelte beunruhigend, während sie die letzten Reste mit dem Brot auftupfte. Sie war es nicht mehr gewohnt, so viel zu essen. „Ich bin William”, stellte der Mönch sich vor, als sie ihre Aufmerksamkeit von der Schüssel wieder auf ihn richtete. „Aber du kannst mich Will nennen. Wie heißt du?” Es brauchte ein wenig, bis sie sich erinnern konnte, wer sie war, so viele Namen hatte sie bereits gehabt. In Hillside war sie Wiesel gewesen, der Hound nannte sie meistens Wölfin. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe. „Arry”, murmelte sie schließlich. Der Name, den Yoren ihr gegeben hatte. William nickte. „Was bringt dich hierher, Arry?”, fragte er. „Bist du mit deinem Vater unterwegs?” Misstrauisch legte sie den Kopf schief. Fragte er sie aus? Sie beschloss, zu lügen. „Wir wollen Verwandte besuchen.” „Wo kommt ihr denn her?” Eindeutig, er fragte sie aus. War er vielleicht einer der Späher der Königin? Vielleicht war Cersei immer noch hinter ihr her. Anstatt zu antworten, schaute sie zur Tür. Als könnte der Hound jeden Moment zurück sein. Da er merkte, dass sie ihm offensichtlich nicht antworten wollte, begann er von sich zu erzählen. Er kam von einem Kloster auf der Stillen Insel, in der Nähe von Saltpans. Sie wusste, dass Saltpans ein gutes Stück im Osten lag und dass es dort einen Hafen gab. Vielleicht konnte sie ein Schiff nach Hause nehmen. Oder zu Jon. Die Nachtwache hatte auch einen Stützpunkt an der See. Will berichtete von seinem Leben im Kloster, aber da Arya – immer noch von der Idee, per Schiff nach Norden zu gelangen gefesselt – nicht richtig hinhörte, konnte sie sich nur merken, dass es dort genug zu essen geben musste. Sie überlegte, ob sie auch Mönch werden sollte, um in einem reichen Kloster zu leben. Wenigstens ihr Bauch wäre voll. Aber es gab keine weiblichen Mönche. Und die Brüder von Stoney Sept hatte der Krieg auch nicht verschont. Und als Mönch durfte man auch keine Waffen tragen. Unbewusst wanderte ihre Hand zu dem Dolch an ihrer Seite. Vermutlich war auch diese Stille Insel kein so friedlicher Ort, wie der junge Mönch ihn ihr geschildert hatte. Oder er war schon eine lange Zeit nicht mehr dort gewesen und hatte den Einfluss des Krieges noch gar nicht mitbekommen. “Warum bist du nicht auf dieser Insel, wenn es dort so schön ist?”, fragte sie ihn misstrauisch. Er schaute traurig auf den Alekrug, der vor ihm stand und drehte ihn zwischen den Händen. “Ich suche meine Schwester. Sie ist verschwunden, aber wahrscheinlich ist sie unterwegs nach Norden.” Norden. Das klang nach Zuhause. Nach Winterfell und Schnee. Sie wäre auch gerne unterwegs nach Norden. “Meine Familie ist aus dem Norden, weißt du”, erklärte er. “Meine Schwester war bei ihrer Tante hier im Süden, und jetzt versucht sie vermutlich alleine nach Hause zu kommen.” Will sah überhaupt nicht aus, wie jemand aus dem Norden. Seine Gesichtszüge waren viel zu weich und seine braunen Augen viel zu warm. Er hatte nicht die abgehärteten Gesichter der Nordmänner. Aber vielleicht hatte das Leben im Kloster ihn weich gemacht. Oder er war gar kein echter Nordmann, sondern meinte mit dem Norden nur die Freys, oder so. “Wo kommst du denn her?” Er zögerte einen Moment zu lange. “White Harbor”, sagte er schließlich. Dann fuhr er hastig fort, als wolle er sie davon überzeugen, dass er die Wahrheit sagte: “Meine Schwester, sie ist wahrscheinlich auf der Kingsroad unterwegs. Vermutlich mit einer Spielmannstruppe aus dem Süden. Sind du und dein Vater zufällig auf der Kingsroad in südlicher Richtung unterwegs gewesen und habt sie gesehen? Sie hat rote Haare und ist ein bisschen älter als du.” Stumm schüttelte sie den Kopf. Robb hätte mich bestimmt auch gesucht, wenn er nicht König gewesen wäre. „Schon gut. Trotzdem, vielen Dank.” Er sprach noch ein bisschen über das Kloster, doch Arya hörte ihm gar nicht mehr zu. Immer wieder blickte sie nervös zur Tür hinüber, doch das eine Mal, als sie sich öffnete, war es ein alter Mann, der wohl nur zum Wasserlassen draußen gewesen war. Irgendetwas machte sie nervös, auch wenn sie nicht sagen konnte, was es war. Das Gefühl, als hätte sie irgendwas vergessen oder übersehen. Irgendetwas Wichtiges. Auf einmal wurde die hölzerne Tür aufgestoßen und der Hound trat ein. Sein Gesicht war zu einer starren, wütenden Maske verzogen mit Augen, die aus Stein zu sein schienen. Arya stellte sich vor, wie der Bandit mit dem Gesicht nach unten und verdrehten Gliedmaßen auf dem Boden lag. Die Miene des Houndes ließ darauf schließen, dass Lester nicht so kooperativ wie der junge Dornishmann im Wald gewesen war. Er sah sich um, entdeckte Arya und nickte ihr kurz zu. Sofort stand sie auf. Bevor sie ging drehte sie sich noch einmal zu dem jungen Mönch um. „Vielen Dank für das Essen”, sagte sie. „Ich hoffe, Ihr findet Eure Schwester.” „Danke”, erwiderte er mit schwerer Zunge. „Gute Reise.” Der Hound hatte die Goldene Linde schon wieder verlassen und stand vor dem Hof, die Zügel von Stranger, Craven und dem Pferd, das vorher vor dem Gasthof gestanden hatte, in der Hand. „Glück gehabt, Wölfin. Du hattest Recht, der wusste was.” Natürlich, wollte sie sagen, doch sie unterdrückte den Impuls. Sie unterdrückte auch die Frage, nach Lester und wie der Hound die Information aus ihm rausgeholt hatte. Der Hound band das dritte Pferd an Strangers Sattel fest und saß mit einer ruckartigen Bewegung auf. Nach einem Tritt in die Flanken setzte sich der Hengst in Bewegung. Sie hatte alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten. „Wir übernachten nicht hier?” „Nein. Die Zeit drängt.” „Was habt Ihr denn herausgefunden? Wisst Ihr, wo Eure Lady Stoneheart ist?” Das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, egal wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass er es halten würde, ging ihr nicht aus dem Kopf. Wenn er sie findet, dann kann ich Jon vielleicht wiedersehen. „Ich weiß, wo ich nach ihr suchen muss.” „Wo reiten wir hin?” „Das wirst du sehen.” Sein Gesicht war eine wütende Maske. „Wenn ich die Männer nicht für Euch belauscht hätte, dann würdet Ihr jetzt immer noch planlos durch die Wälder irren”, rief sie wütend. Sie hatte es satt, dass er sie wie ein kleines Kind behandelte. Schließlich war sie es gewesen, die die entscheidende Information geliefert hatte. „Ihr könntet mir wenigstens sagen –” Der Hound wandte sich schnaubend zu ihr um. „Liegt diese Geschwätzigkeit bei Euch in der Familie? Ich dachte Leute aus dem Norden wissen, wie man das Maul hält!” „Ich wollte nur –” „Ich sage dir, wo wir hingehen, wenn ich es für richtig halte. Und jetzt sei still, du plapperst ja fast so viel wie deine verdammte Schwester.” Sie hat rote Haare und ist ein bisschen älter als du. „Meine Schwester”, flüsterte sie. „Sansa.” Will hätte sich selber für seine ungeschickte Fragerei ohrfeigen können. Als der Junge mit seinem Vater verschwunden war, wurde ihm klar, wie dämlich er sich angestellt hatte. Er musste das Kind ja völlig verschreckt haben. Wütend schob er den Alekrug von sich weg. Wieso hatte er sich auch dazu verleiten lassen, ihn zu trinken, wo er sich doch hätte denken können, dass er ihn nicht gut vertragen würde, besonders nachdem er seit seiner Zeit im Kloster ausschließlich Wasser zu sich genommen hatte. Und jetzt hatte ihn sein benebelter Kopf um die einzige mögliche Informationsquelle in diesem Gasthaus gebracht. Denn offensichtlich war der blonde Söldner, den er vorher im Auge gehabt hatte, mit Vater und Sohn verschwunden. Seit der vernarbte Mann Arry geholt hatte, war nämlich eine Stunde vergangen und der Söldner war noch nicht wieder aufgetaucht. Er hatte länger keine Berichte von einem rothaarigen Mädchen oder einer Gruppe Gaukler mehr gehört. Vielleicht war sie entführt worden, oder hatte irgendeinen Schleichweg genommen. Eines stand jedenfalls fest: Je mehr Zeit er verschwendete, desto unwahrscheinlicher war es, dass er sie finden würde. Wenigstens eine winzige Bestätigung, dass er auf dem rechten Weg war, hatte er sich heute Abend gewünscht. Doch stattdessen musste er ja seine eigenen Pläne ruinieren. Ich bin ein Idiot!, dachte er wütend. Und ich dachte, ich wüsste, wie man Leute befragt. Wie konnte ich mich nur so ungeschickt anstellen? Weiter hier zu warten war vergebens. Dass noch mehr Reisende an diesem Abend eintreffen würden, war höchst unwahrscheinlich. Er stand auf, um an der Theke zu bezahlen. Die Wirtin zog die Stirn kraus, während sie versuchte, die Summe, die er ihr schuldete, zu berechnen. „Das macht dann ...” Die Tür öffnete sich und ein kalter Windstoß fegte von draußen herein. Will traute seinen Augen nicht. Vielleicht hatte ihn das Glück doch nicht ganz verlassen. In der Tür stand der Reisende, den er unterwegs mit dem Jungen und seinem Vater gewähnt hatte. Sein linkes Auge zierte ein großer Bluterguss. Mit einer Hand rieb er sich den Hals, wobei er das Gesicht verzog, wann immer er an eine bestimmte Stelle stieß. Mit unsicherem Schritt wankte er auf die Theke zu und lehnte sich schwer neben Will auf das Holz. Nachdem er kurz Atem geschöpft hatte, griff er in seine Gürteltasche und holte einen roten, wohlgefüllten Beutel hervor aus dem er drei Kupferstücke auf den Tisch zählte. „Das sollte für Essen und Trinken reichen”, erklärte er mit rauer Stimme. „Das Zimmer nehme ich doch nicht. Stattdessen will ich Vorräte für ein paar Tage.” Gierig streckte die Wirtin die Hand nach dem Geld aus. Der Fremde legte zwei Silberstücke neben die anderen Münzen. „Ich brauche ein schnelles Pferd.” Nervös wechselte der Blick der Wirtin zwischen dem verlockenden Geld und dem Gesicht ihres Kunden. „Wir ... wir haben kein Pferd, m’Lord.” „Dann treibt eines auf.“ „Ich wüsste nicht wo, m’Lord.“ „Es wird hier in dieser verdammten Gegend doch irgendwo ein Pferd geben, das ich kaufen kann! Ich bezahle einen guten Preis.” „Es sind vor einigen Tagen Soldaten hier durchgekommen, m’Lord, sie haben alle Pferde mitgenommen...” „Als ich vorhin ankam, stand draußen ein Pferd”, schlug Will vor. „Vielleicht –” „Das ist jetzt nicht mehr da”, knurrte der Mann. „Und im Stall stehen auch keine, ich habe bereits nachgesehen. Es kann doch nicht sein, dass hier kein einziger brauchbarer Gaul zu finden ist!” „M’Lord, es tut mir leid, aber Ihr ...” „Genug!” Energisch sammelte er das Silber wieder ein und ließ es klimpernd zurück in seinen Beutel fallen. „Dann wenigstens die Vorräte. Und beeil dich, Weib!” Die Wirtin eilte davon und Will blieb mit dem Mann am Tresen zurück. Sein Nachbar schien nicht gerade in auskunftsfreudiger Stimmung, aber dies war Wills einzige Chance, ihn zu fragen. Und er musste sich beeilen, denn wenn die Wirtin mit dem Proviant zurück war, würde er aufbrechen wollen. „Darf ich Euch vielleicht auf einen Krug Ale einladen?”, fragte er unschuldig. Der Mann wandte sich ihm zu und schüttelte den Kopf. „Keine Zeit, Mönch.” Zu seinem Erschrecken bemerkte Will, dass an seinem Hals rote Male waren, die sich an den Rändern bläulich verfärbten. Was war zwischen den beiden Männern da draußen vorgefallen, dass der eine Hals über Kopf verschwand und der andere mit mehreren Verletzungen ebenfalls das Weite suchte? Er sagte sich, dass er sich nicht von dem einschüchternden Verhalten des Mannes verunsichern lassen würde. „Ihr seid unterwegs in südlicher Richtung?” „Nein, ich ... was geht Euch das an?” Im Hinterraum konnte Will die Wirtin ihren Mann anschreien hören, er solle gefälligst einen Schlauch mit Wasser auftreiben. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Er musste es riskieren. „Ich suche meine Schwester. Ungefähr zwölf oder dreizehn, rote Haare. Sie ist unterwegs nach Norden. Vermutlich mit einer Spielmannstruppe. Ihr seid ihr nicht zufällig auf der Kingsroad begegnet?” In den Augen des Mannes blitzte etwas auf, so als wäre ihm ein Gedanke gekommen, oder als erinnere er sich an etwas. Er musterte Will prüfend von oben bis unten und runzelte die Stirn. „Was wäre Euch diese Information wert, Mönch?” „Ich ... ich kann Euch Geld geben, aber viel habe ich nicht.” „Ich will kein Geld, ich will Eure Kutte.” „Meine Kutte? Warum wollt Ihr meine Kutte?” „Ich habe meine Gründe. Also, kommen wir ins Geschäft?” „Erst wenn Ihr mir sagt, wo Ihr meine Schwester gesehen habt.” Sein Gegenüber beugte sich vor und lächelte breit. „Ich mache Euch ein viel besseres Angebot. Ich führe Euch zu Ihr, wenn Ihr mich als „Bruder” anredet und mir keine Fragen stellt.” Er streckte die Hand aus. „Kommen wir ins Geschäft?” Unsicher versuchte Will einen möglichen Grund für das Verhalten des Mannes zu finden. Er war offensichtlich auf der Flucht, aber vor was? Konnte er sich auf so ein Angebot einlassen? Doch es war seine Aufgabe, Sansa Stark zu finden und dies war eine Gelegenheit, die er nutzen musste. Er schlug ein und nickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)