Der Hund und der Wolf von Kiryava ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Von der Hafenstadt Saltpans führte ein Weg in östlicher Richtung ins Landesinnere. An manchen Stellen war es kaum mehr als ein Pfad, der sich zwischen Bäumen und Hügeln durch die Landschaft schlängelte. Kleine Dörfer lagen versteckt in den Senken oder in den Hainen. Die meisten Menschen, die den Weg benutzten, stammten aus diesen Gemeinden. Es waren einfache Leute, Bauern und Fischer, deren Karren Spuren in der vom Regen feuchten Erde hinterließen. An diesem Tag waren zwei Mönche unterwegs. Einer von ihnen hatte die Kapuze seiner Kutte tief ins Gesicht gezogen. Unter dem Schatten, den der grobe Stoff warf, konnte man ein breites, von dunklen Bartstoppeln übersätes Kinn sehen, dessen eckige Form auf eine niedere Abstammung hindeutete. Er war schon älter, ein Arbeiter mit groben Händen und starken Armen. Sein Begleiter führte ein helles, cremefarbenes Pferd am Zügel. Es war ein edles Tier, vermutlich ein Schlachtross, dessen langer, schmaler Kopf im Takt seines sicheren Schrittes nickte. Der Mönch, der es führte, war kaum älter als 16 mit klaren, ehrlichen Augen und einem dichten, schwarzen Haarschopf. Er folgte dem älteren Mönch wie ein Knappe seinem Ritter. Die beiden waren schon eine Weile unterwegs, doch ihr Tempo hatte nur wenig abgenommen. „Und du bist dir ganz sicher, dass sie nach Süden gegangen sind?“, fragte der Mönch mit der Kapuze den Jungen. Dieser nickte stumm. Seufzend wandte sich der Mann wieder nach vorne und richtete seine Augen auf den Weg. „Wenn du es mir nicht unter Eid geschworen hättest, William, ich hätte dir nicht geglaubt.“ Der junge Mönch lächelte wissend. Vermutlich hätte er sich die Geschichte selber nicht abgenommen, wenn er sie nicht erlebt hätte. Noch immer fragte er sich manchmal, ob er nur geträumt hatte und gleich in seiner kleinen Zelle aufwachen würde. Wolkenverhangen spannte sich der Himmel über ihnen und die Luft roch nach Regen. In den letzten Tagen hatte es oft geregnet, doch die beiden Reisenden waren seit ihrem Aufbruch verschont geblieben. Auf einmal berührte der junge Mönch, William, den älteren an der Schulter und deutete dann ein Stück entfernt in den Wald hinein. Zwischen den Bäumen stand ein großes, schwarzes Pferd. Unter seinem seidigen Fell zeichneten sich kräftige Muskeln ab. Es handelte sich eindeutig um ein Schlachtross, ausgebildet zum Kämpfen. „Was macht denn ein solches Pferd ohne Reiter hier?“, wunderte sich der ältere Mönch. „Schau, es ist sogar noch gesattelt. Wir sollten nachsehen, ob etwas passiert ist. Vielleicht braucht jemand unsere Hilfe.“ Doch der junge Mönch hatte den schmalen Pfad bereits verlassen und lief auf den Rappen zu. Sein eigenes Pferd führte er dabei hinter sich her. Je näher er kam, desto weiter wich der fremde Hengst zurück. Der Alte folgte seinem Mitbruder so schnell er konnte, erkannte jedoch wieder einmal, dass seine Beine nicht mehr so kräftig waren, wie früher. Kurz verlor er seinen Begleiter aus den Augen, sah ihn dann aber wieder hinter einem hohen Gestrüpp auftauchen und heftig winken. Hastig schloss er zu ihm auf, um zu inspizieren, was der Junge entdeckt hatte. Mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt lag ein Mann dessen halbes Gesicht von einer grässlichen, roten Narbe entstellt war. An der Hüfte hatte er eine tiefe Wunde, aus der bereits eine große Pfütze Blut auf den Boden gelaufen war. Eine weitere Wunde war an seinem Bein, in seinem Nacken und direkt über seinem Ohr. Allerdings musste sich vor nicht allzu langer Zeit jemand der Wunden angenommen haben, denn sie waren mehr schlecht als recht verbunden. Die Augen des Mannes waren geschlossen und er rührte sich nicht. Auf dem Boden lag ein rostiges Langschwert und ein metallener Helm in Form eines Hundekopfes, der allerdings oben schwarz verkohlt war. Umgehend sank der alte Mönch neben dem Verletzten auf die Knie, um zu überprüfen, ob er noch atmete. Sein junger Begleiter sah ihm nervös zu, wobei er von einem Fuß auf den anderen trat. Die kundigen Hände des Alten, der mit der ruhigen Art eines Heilers handelte, untersuchten die Wunde. Schließlich nickte er und schaute zu seinem Gefährten auf: „Er lebt noch William. Schnell, hilf mir ihn auf das Pferd zu schaffen. Wir können ihn noch retten.“ Keinem der Mönche fiel auf, dass in der weichen Erde um den Verletzten herum, die Hufabdrücke eines weiteren Pferdes waren, vermischt mit einer Anzahl sehr kleiner Fußspuren, wie sie ein Kind von neun oder zehn Jahren hinterlassen würde. Teil I ------ Teil I Der Herbstwind rüttelt die Bäume, Die Nacht ist feucht und kalt; Gehüllt im grauen Mantel, Reite ich einsam im Wald. Die Stille Insel lag im Licht der untergehenden Sonne malerisch schön in den ebbenden Wassern der Bay of Crabs. Hinter ihr erhoben sich die Türme von Saltpans, der kleinen Hafenstadt, in deren umfriedeten Hafen einige Schiffe lagen, darunter eine Handelskogge aus Braavos, die neben den vielen kleinen Fischerbooten groß und mächtig aussah. Fremdländisch und unbekannt. Das Meerwasser hatte sich innerhalb der letzten zwei Stunden zurückgezogen und genauso lang standen auch schon Septon Merribald, sein vollbeladener Esel und ein großer Hund am Ufer und wartete darauf, den Walk of Faith zum Kloster auf der Insel zurücklegen zu können. Hier und da waren zwischen den flachen Wellen bereits Sandbänke und kleinere trocknende Schlammflecken zu sehen. Während die Sonne sich weiter dem Horizont näherte, hob der gealterte Septon seinen Blick, um zu seinem Ziel hinüberzusehen. Das Kloster war zweifelsohne ein erhabener Anblick. Es hatte vier Türme, die an je einer Seite des quaderförmigen Gebäudes standen, und deren grober Stein im Abendrot golden und weich schien. Ganz oben, unter den spitz zulaufenden Schindeldächern, befanden sich mehrere kunstvoll gemeißelte Wasserspeier, die in je eine der vier Himmelsrichtungen schauten. Die Insel war im Grunde ein besonders großer Hügel im Wasser. Das sah man besonders deutlich jetzt, wo sich das Meer langsam zurückzog und den sandigen Boden darunter freilegte. An den sanft abfallenden Hängen der Stillen Insel befanden sich fruchtbare Felder, die im vollen Korn standen. Die letzte Ernte vor dem Winter, wie Septon Merribald besorgt schätzte. Daneben gab es Obsthaine mit Apfel- und Birnbäumen, und einige Wiesen, auf denen Schafe grasten. Hier und dort standen kleine Hütten und Häuser, denn obwohl der Großteil der Brüder im Hauptgebäude wohnte, zogen es einige vor, direkt bei ihrer Arbeitsstätte zu schlafen und zu leben. Außerdem wurden in den Hütten Gebrauchsgegenstände und Teile der Vorräte gelagert. Dem diesseitigen Ufer zugewandt befand sich ein kleiner Fischersteg, an dem zwei Boote vertäut waren. Weitaus mehr Boten lagen auf der anderen Seite der Insel, Saltpans zugewandt, denn dort waren die Bedingungen in See zu stechen, weitaus besser als hier, wo Ebbe und Flut viel stärkere Auswirkung zeigten. Neben dem Steg begann ein schmaler Weg, der sich in zahlreichen Windungen, vom Strand aus den Hügel hinauf zum Kloster schlängelte. Der große, zottige Hund neben dem Geistlichen - er wurde Dog genannt, in Ermangelung eines anderweitigen Vorschlag des Tieres - wurde unruhig. Merribald riss seinen Blick von der Insel fort und richtete ihn stattdessen wieder auf die Fläche vor ihm. Während er seine Gedanken hatte schweifen lassen, war der Grund vollständig freigelegt worden, nur noch einige Gezeitentümpel, in denen Krabben, kleine Fische und Muscheln die Flut abwarteten, waren übrig geblieben. Die rote Sonne spiegelte sich in ihnen, als wären sie nicht mit Wasser, sondern mit flüssigem Metall gefüllt. Viel rauer und durchbrochener, aber doch vorhanden, reflektierte sie auf dem groben Sand und dem Schlick, der die Brücke vom Land zur Insel sein würde. Der Septon fasste seinen Esel am Zügel, nahm ihn dicht zu sich heran, damit das Tier nicht ausversehen in ein Loch mit Treibsand trat, und begann seinen Abstieg hinab zum Ufer. Dort angekommen entledigte er sich seiner Schuhe und begann seinen Weg in Richtung des Klosters. Walk of Faith wurde der schmale begehbare Pfad von den Brüdern der Stillen Insel genannt, und das nicht ohne Grund. Ein unwissendes Auge konnte den sicheren Weg nicht von trügerischen Prielen, Schlammlöchern und dem allgegenwärtigen Treibsand unterscheiden. Ein falscher Schritt und man war darin gefangen, hilflos, und angewiesen auf die Hilfe der anderen. Walk of Faith hieß der Weg allerdings auch deshalb, weil er nicht gerade verlief. Er verlief in unzähligen Windungen und Biegungen, hierhin und dorthin, sodass man über eineinhalb Meilen zurücklegen musste, um die Insel zu erreichen, die auf direktem Weg nicht einmal halb so weit vom Ufer entfernt war. Merribald hatte keine Angst. Beinahe von selber fanden seine Füße den Weg, den er schon so viele Male gegangen war. Er wusste, wohin er treten musste. Der Hund folgte ihm, sprang nicht wie sonst in weiten Kreisen um ihn herum. Auch er wusste, wem er in dieser Sache vertrauen musste. Wann immer Merribald sich nicht ganz sicher war, testete er den Grund mit seinem langen Stab. Und so bewegte sich das Dreiergespann langsam aber stetig auf die Insel zu. Der Septon hatte im letzten Jahr so viel Leid gesehen, dass er es kaum erwarten konnte, endlich im Frieden, den diese Insel immer noch bewahren konnte, ruhen zu dürfen, und sei es auch nur für eine Nacht. Leid hatte er schon immer zu Gesicht bekommen, denn bei seiner Arbeit als Septon der kleinen Leute sah er sich oft mit ihren Nöten konfrontiert. Krankheit, Not, Hunger, Missernten und Brände, all das war ihm bekannt und er hatte es viele Male gesehen. Aber nichts, nicht einmal seine eigene Vergangenheit als Soldat hatten ihn auf die Gräuel des Krieges vorbereiten können, die gerade die armen Bauern trafen. Er hatte vergewaltigte Frauen, Waisen mit hungrigen Augen, trauernde Eltern und verschreckte Kinder gesehen. Sie brauchten ihn, doch allzu oft wusste er nicht, wie er ihnen helfen sollte. Wie sollten seine frommen Worte, seine kleinen Gaben etwas an dieser katastrophalen, tiefgehenden Not ändern? Die Bilder des Leides hatten sich tief in seinen Geist gebohrt, verfolgten ihn bei Tag und Nacht. Doch vor ihm thronte das Kloster. Er kam sich vor wie ein Ertrinkender, der an Land gezogen wird, als er die schmalen, hölzernen Stufen des Steges am Ufer der Stillen Insel hinaufstieg. Oben warteten vier Mönche auf ihn. Es waren allesamt niedere Brüder, denen ihr Schweigegelübde nicht erlaubte, mit ihm zu sprechen, doch ihre offenen, freundlichen Gesichter waren ihm Gruß genug. Sie bedeuteten ihm mit einer einladenden Handbewegung, ihnen zu folgen und führten ihn zum Kloster hinauf. Das Abendgebet musste gerade vorbei sein, denn langsam füllten die Hänge sich wieder mit Brüdern, die im letzten Licht der Sonne ihrer Arbeit nachgingen. Da wurde Vieh in die Ställe getrieben, Körbe mit Früchten zum Kloster getragen und der Fang des Tages in Kisten gepackt, eingesalzen und gelagert. Auch das Kloster bereitete sich auf den nahenden Winter vor, der lange Sommer war endgültig vorüber. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Schnee fiel und die Menschen noch mehr litten, als es bereits der Fall war. Am Tor zum Innenhof des Klosters stand der Altbruder, ein kräftiger Mann mit prominentem, eckigem Kinn und einer großen Nase, die ihm ein grobes Aussehen verliehen. Seine Augen jedoch glänzten vor verborgener Schläue, eine Eigenschaft, die ihm – neben seinen Verdiensten als Heiler – sicherlich den Platz an der Spitze des Klosters eingebracht hatte. Sein Kopf war kahl rasiert. Ihm war es als einzigem von den Mönchen erlaubt, ständig zu sprechen. Er lächelte freudig, als er den Besucher sah. Er und Merribald begrüßten sich mit einer Umarmung. „Septon Merribald, es ist schön, Euch wiederzusehen”, begrüßte ihn der Altbruder. „Und Euch, Alinardus”, entgegnete der Angesprochene. „Ihr wisst, ich kehre immer gerne zu Eurer beschaulichen Insel zurück. Besonders in Zeiten wie diesen.” Der Altbruder nickte ernst und strich sich über den Bart. „Ja, wir sind hier verschont geblieben. Noch. Das Wasser schützt uns und unsere Lage. Aber ich nicht mehr lange und ...” Er unterbrach sich abrupt und schüttelte den Kopf. „Aber jetzt ist nicht die Zeit, um über solcherlei Dinge zu reden. Kommt, Bruder, Ihr habt zwar das Abendessen versäumt, doch ich kann Euch trotzdem eine warme Schüssel Krabbensuppe mit Brot und einige Stücke geräucherten Fisch anbieten. Ihr seid doch hungrig, nicht wahr?” Erleichtert nickte Merribald und folgte dem Altbruder - nachdem er den Esel und Dog in der Obhut der stummen Brüder gelassen hatte - , der ihn zu einer kleinen Zelle im Ostturm führte. Es war eine der Zellen, die für die Besucher des Klosters reserviert waren, aber Merribald bezeichnete sie gerne als seine eigene, denn er bewohnte sie jedes Mal, wenn er die Insel besuchte. „Ihr könnt Eure Sachen hier abstellen, das Essen wartet in meiner Kammer auf Euch, wenn es Euch nichts ausmacht”, sagte der Altbruder. „Ich würde gerne hören, was es Neues von der Welt da draußen gibt. Manchmal vergisst man sie ganz, so abgeschottet wie wir hier leben.“ „Im Moment ist das eindeutig die bessere Wahl”, murmelte Merribald, bevor er seinem Gastgeber für die Gastfreundschaft dankte. Er stellte seine wenigen Habseligkeiten neben das spartanische Bett, das mit frischem Stroh gefüllt war und herrlich duftete. Man hatte das Zimmer eigens für ihn hergerichtet, wie er bemerkte, denn es stand eine hölzerne Schale mit Wasser, das sogar noch warm war, auf einem kleinen Tischchen und ein bestückter Kerzenständer stand daneben. Erleichtert, sich Staub und Schmutz der langen Reise von Gesicht, Händen und Füßen waschen zu können, schöpfte er Wasser aus der Schale. Als er damit fertig war machte er sich auf, um den Altbruder zu sehen. Wann immer er die Insel aufsuchte, führten sie ein langes Gespräch über die Ereignisse in Westeros, denn trotz seiner abgeschiedenen Lebensweise, war der Vorsteher des Klosters ein neugieriger und weltoffener Mensch, der sich für alles interessierte, was außerhalb seiner Insel vor sich ging. Merribald war ein willkommener Gast, denn als Heckenpriester, der von Ort zu Ort zog, bekam er am meisten mit, sah alles, hörte alles, denn die Bauern waren aufmerksame Beobachter und oft kristallisierte sich ein Gerücht, das noch aus einem Mund unmöglich und seltsam geklungen hatte, zu einer klaren Begebenheit heraus, wenn man es erst in den Versionen mehrerer Dörfer gehört hatte. Das Zimmer des Altbruders lag am Fuße des Klosters. Mitten in den Hügel war eine hölzerne Tür eingelassen worden, die in das Quartier des Altbruders führte. Der erste Eremit, der auf die Insel gekommen war, hatte in genau dieser Höhle gelebt. Inzwischen war sie angemessen eingerichtet, mit einem Tisch, Stühlen und Bücherregalen. Allein die Möbel hatten eine seltsame Form, da sie ausschließlich aus Treibholz hergestellt wurden. Auf das deutliche Klopfen des Septons, öffnete ein junger Mönch die Tür, der dem Altbruder offenbar als Gehilfe diente. Er hatte die frechen Augen der Kinder - tatsächlich konnte er noch nicht viel älter als 16 sein - und dichte, schwarze Haare. Hätte er nicht die typische Mönchstonsur gehabt und eine alte, abgewetzte Kutte getragen, wäre er durchaus hübsch gewesen. Zur Begrüßung nickte er Merribald ehrerbietig zu, eine andere Begrüßung erlaubte ihm sein Schweigegelübde nicht. Mit einem unbehaglichen Schaudern fragte Septon Merribald sich, wie grausam es für ihn gewesen wäre, hätte er als Junge bereits ein solches Leben führen müssen. Weisheit und Genügsamkeit kommen mit dem Alter, dachte er. Man sollte sie den Kindern nicht aufdrängen. Doch es war nicht an ihm, die Gepflogenheiten des Klosters zu kritisieren und so bedankte er sich bei dem Jungen und nahm sich vor, ihm bei seinem Aufbruch eine der kostbaren Orangen zu schenken, die er in seinem Reisebeutel verstaut hatte. Der Altbruder saß im Hinterzimmer, hinter dem langen Tisch aus Treibholz. Lange, wächserne Kerzen tauchten den Raum in ein warmes, flackerndes Licht. Merribald nahm auf einem hölzernen Hocker zur Rechten des Altbruders Platz. Kaum saß er, brachte der Junge die Schale mit der Krabbensuppe, sowie Fisch und frisches Brot herein, Becher mit Wasser befanden sich bereits auf dem Tisch. “Vielen Dank, William. Du kannst jetzt gehen”, sagte der Altbruder und winkte den Jungen fort. Dieser deutete noch einmal eine leichte Verbeugung an und verließ dann den Raum, allerdings nicht durch die Eingangstür, sondern durch eine Tür am hinteren Ende des Raumes, die in ein Hinterzimmer führen musste. Merribald machte sich über die Suppe her. Es war lange her, dass er etwas Warmes gegessen hatte, und sie schmeckte köstlich. Es waren genügend der großen, dicken Garnelen darin und sie war gut gewürzt, besonders mit einem bestimmten Pfeffer, den die Brüder selber anpflanzten. „Es ist lange her, seit Ihr das letzte Mal hier wart”, sagte der Altbruder. „Beinahe ein Jahr”, bestätigte Merribald, ohne von seiner Suppe aufzuschauen. „Hier hat sich nicht viel geändert.” „Hier ändert sich selten etwas.” Der Altbruder nahm einen Schluck aus seinem Glas, als müsse er seine wenig gebrauchte Stimme ölen. “Aber ich habe Angst, dass auch uns bald der Krieg einholen wird.” Merribald nickte. “Es ist furchtbar. Die vielen Könige tragen ihre Streitereien auf dem Rücken ihrer Untertanen aus, und die, die es schon vorher schwer hatten, trifft es am härtesten. Es wundert mich, dass Ihr hier so unberührt seid, wo doch Saltpans einen größeren Hafen hat.” „Bisher schützt uns der Glaube”, antwortete der Altbruder. „Aber mit der neuen Religion, die Stannis praktiziert ... wer weiß wie lange wir hier noch so leben können. Aber erzählt, was habt Ihr erlebt?” Merribald merkte, dass sein Gastgeber das Thema des Krieges und der drohenden Zerstörung meiden wollte und er ging diesem Wunsch nur zu gerne nach, denn auch ihn plagten diese Gedanken in letzter Zeit viel zu sehr. Stattdessen erzählte er von den Menschen, die er in den Riverlands getroffen hatte, von den traurigen, lustigen und ergreifenden Geschichten, und versuchte all das Übel, das er ebenfalls gesehen hatte, zu verdrängen. Je später es jedoch wurde, desto spärlicher wurden die Geschichten, bis die beiden Männer schließlich in ein brütendes Schweigen verfielen. „Sagt”, setzte der Altbruder schließlich an, „habt Ihr etwas über den Tod König Joffreys gehört?” Merribald wiegte den Kopf. „Es sieht alles danach aus, dass Tyrion Lannister, sein Onkel, der Mörder ist.” „Er hat sein eigen Fleisch und Blut erschlagen?”, rief der Altbruder entsetzt. „Das kann ich mir nicht vorstellen! Nicht einmal bei einem Mann wie ihm!” „Es gibt leider zahlreiche Anzeichen, die gegen ihn sprechen. Seine Frau, Lady Sansa Stark ... ach nein, jetzt heißt sie ja Lannister, ist in der Nacht seines Todes aus King's Landing geflohen.” „Geflohen? Wie hat sie das geschafft? Wer hat ihr geholfen?” „Man weiß nichts, es scheint, als habe sie sich in Luft aufgelöst. Einige behaupten sie hätte ein Rudel Wölfe herbeigerufen und sei auf dem Rücken der riesigen Leitwölfin aus dem Saal geritten. Andere sagen, sie selber habe sich in einen Wolf mit ledernen Schwingen verwandelt, und sei davongeflogen. Wieder andere sagen, der Geist ihres Vaters habe sie mit sich genommen, oder ihr Mann habe sie versteckt. Es gibt viele Gerüchte. Ihr kennt ja das einfache Volk.” „Sie muss Freunde bei Hof gehabt haben”, mutmaßte der Altbruder und zupfte sich am Bart. „Alleine hätte das Mädchen es nicht geschafft. Bestimmt ist sie bei einem der Untergebenen des Königshauses versteckt, der jetzt darauf wartet, dass der Krieg vorübergeht, damit er mit ihrer Hilfe zu Geld und Macht kommt. Schließlich ist sie die rechtmäßige Erbin von Eddard Stark.” Merribald zuckte die Achseln. „Als ich auf dem Königsweg unterwegs war, habe ich ein junges Mädchen getroffen. Sie reiste mit einer Truppe von Gauklern. Es muss eine reiche Truppe gewesen sein, denn sie hatten zwei Wagen und Vieh. An ihren Namen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Sie waren unterwegs nach Norden zu der Hochzeit eines Edelmannes.” Er rieb sich die Stirn, die Erinnerung schmerzte ihn immer noch. „Erst hinterher dachte ich, dass es vielleicht Sansa Stark gewesen sein könnte. Es würde alles zusammen passen.” Der Mönch hatte seiner Rede aufmerksam gelauscht, und jetzt kam eine seltsame Energie in ihn. „Seid Ihr Euch sicher?” „Wie kann ich mir sicher sein? Ich habe Sansa Stark nie gesehen. Ich weiß nur, dass sie rote Haare gehabt haben soll, und das hatte dieses Mädchen. Auch das ungefähre Alter könnte stimmen. Wenn sie es gewesen wäre, hätte ich ihr helfen müssen.” „Was geschehen ist, ist geschehen, Ihr könnt es nicht rückgängig machen“, tröstete der Altbruder. „Wie lange ist es her, dass Ihr sie gesehen habt?” Septon Merribald drehte den mittlerweile leeren Becher in den Händen und dachte nach. „Nicht mehr als drei, vier Wochen. Als mir aufging, um wen es sich gehandelt haben könnte, kehrte ich um, aber ich fand sie nicht mehr. Und danach machte ich mich auf den Weg hierher.” Der Altbruder nickte abwesend. Es war ihm anzusehen, dass er angestrengt über etwas nachdachte und Merribald wollte ihn nicht länger behelligen. „Wenn es Euch recht ist, werde ich mich nun schlafen legen”, sagte er, während er sich bereits erhob. „Ich bin müde und möchte morgen weiterziehen.” Sein Gegenüber erhob sich ebenfalls. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Septon.” „Euch ebenfalls.” Als er am nächsten Tag die Stille Insel verließ drückte ihm der Altbruder herzlich die Hand und sagte ernst: „Vielen Dank für Euren Besuch, Merribald, Ihr habt uns sehr geholfen. Ich wünsche Euch alles Gute. Mögen die Sieben Götter mit Euch seien.” „Und mit Euch und Eurer Insel”, erwiderte Merribald. Dann bestiegen er, Dog und der Esel das Boot, mit dem die Brüder nach Saltpans hinübersetzten. Neben ihm selber enthielt es Güter zum Verkauf, sogar einige lebende Tiere. Mehrere Schafe und ein Esel. Merribalds Blick war auf die Stadt am Ufer gerichtet, sonst hätte er vielleicht unter den rudernden Mönchen den Novizen entdeckt, der ihn am vergangenen Abend in der Behausung des Altbruders bedient hatte. Der Junge hatte einen Stoffsack unter seinen Sitz geklemmt und hielt den Kopf gesenkt. Hillside lag ungewohnt friedlich im schweren, wolkenverhangenen Nachmittag, der sich über den Ausläufern des Gebirges festgesetzt hatte und erst allmählich begann, vor dem Abend zu weichen. Die Wolken hüllten die Spitzen der Mondberge ein, drückten auf die Gemüter der Menschen und machten sie träge und langsam. Auch Arya litt unter einer Mattigkeit, die sie sonst nicht von sich kannte. Sie war auf eines der Dächer des Dorfes geklettert und hing ihren Gedanken nach. Die Feuchtigkeit in der Luft sog sich in ihre Kleider, die ihr feucht und klamm am Leib hingen. Aber wenigstens war sie heute nur wenigen Menschen begegnet, denn bei dem Wetter bewegte sich niemand vor die Tür, der nichts Dringendes zu erledigen hatte. Nur die Männer, die an der Palisade arbeiteten, waren draußen und gingen ihrer Arbeit nach. Doch sie waren viel zu weit weg, als dass sie Arya hätten stören können. Leise hörte sie von ferne ihre tiefen Stimmen und das Krachen von Holz auf Holz, das Schlagen der schweren Hämmer. Der Klang mischte sich träge mit der tropfenden Stille. Hier auf dem Dach war sie alleine. Mit angezogenen Beinen, das Kinn auf die über den Knien gefalteten Arme gelegt, schaute sie hinauf zu den Bergen. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie beinahe die Festung sehen, in der ihre Tante Lysa wohnte. Zumindest stellte Arya sich das vor. Der Hound hatte gelacht, als sie ihm davon erzählt hatte, und sie eine dumme Gans genannt. „Hohenehr ist Meilen von hier entfernt, irgendwo mitten in den Bergen. Das, was du siehst, sind nichts als die Ausläufer des Gebirges.” Obwohl sie am Anfang dagegen gewesen war, wünschte sie sich jetzt, der Hound hätte sie zu ihrer Tante gebracht. Lysa Arryn war nicht Mutter, und Vater war sie schon gar nicht, aber sie war ein Teil von Aryas Familie. Und so, wie die Dinge standen, war nicht mehr viel von ihrer Familie übrig. Und alles war besser als Hillside, das kleine, dumme Dorf, in dem sie festsaß. Sie wollte gehen, jeden Abend wollte sie weglaufen. Aber wohin sollte sie fliehen? Ihre Brüder waren tot, Vater und Mutter waren tot, Sansa war in King's Landing, und Jon im Norden, viel zu weit weg, als dass sie ihn alleine hätte erreichen können. Wie sie sich nach Winterfell sehnte, nach dem Sommerschnee, nach den grauen Mauern und vor allem nach den vertrauten Gesichtern! Sie wünschte, sie wäre nie fortgegangen. Von hier oben konnte sie das ganze Dorf überblicken, aber das war wahrlich keine Meisterleistung. Wenn sie schnell ging, hatte sie es in nicht einmal einer Stunde durchquert. Hillside war ein winziger Marktfleck zu Füßen der Mondberge, mit einem einzigen Rasthof und ein paar Häusern. Die wenigen Männer, die der Krieg dem Dorf gelassen hatte, verdienten ihr Brot indem sie das karge Land bestellten. Wenige sahen je etwas anderes, als ihr Heimatdorf. Zur Zeit arbeiteten allerdings alle an der hölzernen Palisade, die das Dorf bald völlig umspannen würde, um Wölfe und Clansmänner aus den Bergen abzuhalten. Arya bezweifelte, dass ein kleines hölzernes Ding irgendjemanden, der etwas größer war als sie, aufhalten würde. Und Nymeria könnte mit einem Satz drüberspringen, dachte sie unglücklich. Nur für so ein kleines, abgemagertes Mädchen wie sie es war, war es ein ernstzunehmendes Hindernis. Sie wünschte sich, sie wäre ein Wolf. Oder dass Nymeria hier wäre. Oder Vater. Oder zumindest irgendjemand, der nicht der Hound war. Sie konnte ihn sehen zwischen den anderen Arbeitern. Er war leicht zu erkennen an seiner großen Statur, den breiten Schultern und den kräftigen Armen. Er überragte die meisten Männer um eine Handbreit oder mehr. Aber auch ohne diese Merkmale, wäre es einfach gewesen, ihn auszumachen. Allein daran, wie alle einen großen Bogen um ihn machten, wie sie ihre Blicke abwandten, wie keiner ihm ins Gesicht sah. Arya hatte keine Angst vor ihm, das sagte sie sich zumindest. Sie schaute ihm in sein grässlich verstümmeltes Gesicht und dachte an Mycah, den Metzgerjungen. Während sie ihren Gedanken nachgehangen hatte, hatte der Abend den Nachmittag verdrängt und Dunkelheit begann sich über die sanften Hügel um das Dorf herum zu legen. Als schließlich die ersten Arbeiter die Palisade verließen, um nach Hause zu ihren Familien und einem warmen Herd zurückzukehren, rutschte auch Arya vom Rand des Daches und hangelte sich an hervorstehenden Steinen hinab zum Boden. Ihre nackten Füße berührten die kalte, festgetretene Erde, aus der fast alle Straßen in Hillside bestanden. Die Kälte ließ sie ein wenig erschauern. Doch inzwischen waren ihre Fußsohlen hart und ledern, ebenso gut, wie die dünnen Schuhe, die sie irgendwann hatte wegwerfen müssen, da sie durchgelaufen waren und auseinanderfielen. Sie hatte es nicht eilig, ins Gasthaus und zum Hound zurückzukehren. Er war auch nüchtern keine besonders angenehme Gesellschaft und der Schankraum war voll mit gescheiterten Existenzen wie ihm. Die Betten waren hart und voller Ungeziefer und die Wirtin eine hartherzige Frau, mit kräftigen Händen und einer Angewohnheit, erst zuzuschlagen und dann Fragen zu stellen. Ihr Mann war nur wenig besser, aber mit ihm hatte Arya kaum zu tun, denn er war für den Ausschank verantwortlich und sie verbrachte ihr Abende selten mit Trinken. Da sie nichts anderes zu tun wusste, ging sie nach den Pferden sehen. Stranger, das monströse, schwarze Schlachtross von Sandor Clegane, stand zusammen mit ihrer eigenen Stute, Craven, in einem Stall neben dem einzigen Werkhaus im Dorf, das Schmied, Tischler und Schneider zugleich war. Es waren noch andere Pferde darin, klapprige alte Mähren und verbrauchte Ackergäule, keine Tiere, die auch nur annähernd mit Craven oder Stranger mithalten konnten. Auf dem Weg zum Stall hielt sie sich dicht an den Hauswänden und spähte aufmerksam um sich. Diese Verhaltensweise hatte sie sich während ihrer Zeit in Flea Bottom angeeignet, wo ein falscher Blick den Tod bedeuten konnte. Damals hatte sie Needle gehabt. Jetzt hatte sie den Dolch, den der Hound dem Bogenschützen abgenommen hatte, den sie schwer verwundet in der Nähe der Zwillinge gefunden hatten. Und mit den feigen Dorfbewohnern, die allesamt furchtbare Angst vor den beiden Fremden hatten, gab es eigentlich keinen Grund Angst zu haben. Aber Arya war seit dem Tag, an dem sie aus dem Palast hatte fliehen müssen, vorsichtiger geworden. Und die feindseligen Blicke der Dorfbewohner machten ihr mehr aus, als sie sich eingestehen wollte. Da war es besser, gar nicht gesehen zu werden. Besonders nach dem Vorfall mit der Tochter des Dorfältesten hielt sie das für das Beste. Nicht, dass sie Gesellschaft gebraucht hätte, sie kam wirklich gut alleine zurecht. Sie brauchte nicht mal den Hound. Sie blieb aus Gewohnheit bei ihm, und weil sie nun mal niemand anderen mehr hatte, aber sonst gab es keine Verbindung zwischen ihnen. Er war nicht Teil ihres Rudels, denn sie war ein Wolf, wild und frei, und er war Joffreys Hund gewesen. Craven wieherte leise, als Arya den Stall betrat, von Stranger kam nur ein ungeduldiges Schnauben. Der Hengst hatte das Temperament seines Herrn. Bei Clegane war er sanft wie ein Lamm, aber bei allen anderen biss und trat er. Arya war froh, dass sie ihn inzwischen füttern konnte, ohne Bisswunden davonzutragen. Trotzdem hatte sie es sich zur Regel gemacht, Stranger so fern wie möglich zu bleiben, nur um sicherzugehen. Craven hingegen trug ihren Namen zurecht. Sie war ein ängstliches Tier, aber abgesehen davon ein gutes Pferd. Arya streichelte ihr über die samtene Nase und lächelte, als die Stute ihre Hand anstupste und warmen Atem aus ihren Nüstern blies. Arya stahl den Ackergäulen der Dorfbewohner ein wenig Heu aus ihren Futterbehältern und hielt es Craven hin, die es mit weichen Lippen aus ihrer Hand nahm. Stranger warf sie eine Handvoll vor die Hufe; ihm das Futter hinzuhalten, hätte sie vermutlich eine Hand gekostet. Sie blieb noch ein bisschen bei den Pferden, denn sie schätzte die Gesellschaft der stummen Tiere. Mit ihren großen, sanften Augen sahen sie bedeutend freundlicher aus, als die meisten Menschen, die Arya bisher getroffen hatte. Außerdem war es warm und trocken im Stall, mehr, als man von ihrem eigenen Zimmer im Gasthof sagen konnte. Zwar war auch der Stall bei weitem nicht in bester Verfassung – es gab einige Löcher im Dach und das Holz war alt und morsch – , doch die Leiber der Pferde strömten eine Wärme und Freundlichkeit aus, die sonst nirgendwo im Dorf zu finden war. Arya hielt sich gerne hier auf. Als schließlich ein einzelner Stern durch ein besonders großes Loch in der Rückwand schien, erhob sie sich von ihrem Platz zwischen den Boxen und machte sich auf den Rückweg zum Gasthof. Es war bereits ziemlich spät. Sie konnte sich ins Bett legen und vielleicht einen ihrer Wolfsträume träumen. Vor dem Stall hatte sich eine Gruppe älterer Männer versammelt, um über die Ernte im Allgemeinen und ihr Leben im Besonderen zu klagen. Sie mussten eine Fackel haben, denn ein orangener Lichtschein flackerte bis vor den Stall und malte tanzende Schatten an die spröden Holzwände. Arya blieb mit dem Rücken an die Stallwand gelehnt stehen und lauschte ihnen, wartete, dass sie sich wieder entfernten. „Eine Schande, dass der König gestorben ist!”, brummelte einer der Männer. „Er war zwar nur ein Junge, aber alles ist besser, als ’ne Frau auf’m Eisernen Thron!” Arya dachte zuerst, er spräche von Robert Baratheon, aber dann fiel ihr ein, dass wohl eher Joffrey gemeint war. Es hatte einige Gerüchte über seine Ermordung gegeben, und Arya wünschte sich nichts mehr, als ihnen Glauben zu schenken. Sie hasste Joffrey von ganzem Herzen, denn er hatte Vater umgebracht und Lady und irgendwie auch Mycah, und wegen ihm hatte sie Nymeria vertreiben müssen. Er verdiente den Tod, genauso wie Königin Cersei und Polliver und Raff und ... „Joffrey hat aber doch 'n kleinen Bruder”, brummelte eine zweite Stimme. „Tommen. Der is’ doch jetzt König.” „Tommen ist doch noch 'n Kind!” Es war wieder der erste Mann. „Die wahre Herrscherin is' doch eindeutig Cersei Lannister. Die hat doch die Zügel in der Hand.” „Und ihren Bruder den Königsmörder gefickt.” Die Männer lachten. „Die würd ich auch nicht von der Bettkante stoßen”, erklärte einer und kicherte. „Schwester hin oder her.“ „Na, lass das aber nich' deine Martha hörn, die zieht dir das Fell über die Ohren.” Wieder lachten die Männer auf, und einer schlug dem Angesprochenen auf den Rücken. „Aber dass der Zwerg nur Ärger machen kann, das hätt ich denen auch schon früher sagen könn'n”, warf einer der Männer in die Runde. „Von so einem kann man doch nichts andres erwarten. Wie soll der sich auch sonst durchsetzen, ne?” Tyrion Lannister bot einen seltsamen Anblick mit seinen verschiedenfarbigen Augen und Haaren und seiner kleinen Statur. Damals in Winterfell war er ihr wegen seiner scharfen Zunge aufgefallen, ebenso wie aufgrund seiner Körpergröße. Sie war damals erst acht gewesen, und trotzdem bereits mit ihm auf Augenhöhe. „Hat den Jungen wahrscheinlich aus Neid umgebracht, weil der Kleine jetzt schon 'n größeren Schwanz hatte, als er je haben wird.” Die Gruppe brüllte laut los. „Da kannst du Recht haben, Walder!”, grölte einer. „Is' doch wahr”, fuhr Walder fort, angestachelt vom Lob seiner Freunde. „Und sein kleines Frauchen hat das auch gleich erkannt, sonst wäre sie ja kaum abgehauen.” Arya spitzte die Ohren. Als der Hound gehört hatte, dass Sansa Tyrion Lannister geheiratet haben sollte, hatte er seinen Krug gegen die Wand geschmettert, sodass er in unzählige Scherben zerbrach und der Ale die wurmstichigen Bretter der Schänke hinabrann, um auf dem Boden eine dreckige Pfütze zu bilden. Sie hatte nicht verstanden, warum er sich darüber so aufgeregt hatte, schließlich war Sansa nicht seine Schwester, sondern ihre. Und sie hatte keinen Alekrug an die Wand geworfen. Aber vielleicht, dachte sie, hat er mit Tyrion Lannister noch eine Rechnung offen. Ihr selber war der Zwerg ebenfalls suspekt gewesen, doch Jon hatte einiges von ihm gehalten. Aber das war auch gewesen, bevor sie und Vater und Sansa nach King’s Landing aufgebrochen waren, damit Vater die Hand von König Robert werden konnte. Damals hatte Lady noch gelebt und Robb, und sie waren eine richtige Familie gewesen. Während sie an Winterfell gedacht hatte, war das Gespräch der Männer zu einem anderen Thema übergegangen. Sie sprachen jetzt von Sansa. „Ich hab gehört, sie soll sich in einen Drachen verwandelt haben. Und nachdem sie den König mit ihrem eigenen Blut vergiftet hat, ist sie aus dem Fenster geflogen.“ „Was für ein Unsinn!“, widersprach Walder. „Sie ist doch keine Targaryen! Ein Wolf war’s. Mit Flügeln wie eine Fledermaus.“ Arya konnte sich Sansa bei weitem nicht mit Feldermausflügeln vorstellen. Und noch weniger dabei, wie sie Joffrey umbrachte. Sie war verrückt nach ihm gewesen. „Fest steht auf jeden Fall, dass sie nicht mehr in King’s Landing ist“, schloss jemand. „Wie auch immer sie das angestellt hat.“ Diese Information war neu für Arya. Wie hatte Sansa es wohl geschafft, aus den Fängen der Königin zu entkommen? Immerhin war es Sansa, die gerne stickte und sang und immer höflich war. Nach Flea Bottom würde sie wohl kaum gegangen sein. „Die wird irgendwer mitgenommen haben um sie ... auszubilden”, feixte einer der Männer mit einem dunklen Kichern. „Soll ja hübsch gewes’n sein, die Kleine.” „Würd mich echt nicht wundern, wenn sie's war, die Joffrey erledigt hat. Bei dem Vater.” Bei diesen Worten musste Arya sich zusammenreißen, um nicht aus ihrem Versteck zu kommen und die Männer anzuschreiben. Ruhig wie stilles Wasser, sagte sie sich. Ruhig wie stilles Wasser. Ihre linke Hand hatte sich um den Griff des Dolches gekrallt. “Einmal Verräter, immer Verräter”, stimmten die anderen zu. “Die ganze Stark-Sippe war ja schon immer kaum zu ertragen. Sitzen da oben und halten sich für was Bess’res, nur weil’s bei ihnen ein bisschen kälter is’, als bei uns.” “Ich wette als Stark nach King's Landing ging, um die Scheiße von seinem König Robert aufzuwischen, hat sein Weib ganz schnell ’n Neuen im Bett gehabt.” Die Männer bekundeten hämisch ihre Zustimmung und waren auch gleich mit einigen Vorschlägen zur Stelle. Ihr Kastellan, Littlefinger aus King’s Landing, einer der Riverlords... Die Liste schien gar nicht mehr aufzuhören. Bevor Arya richtig erfasst, hatte, was sie tat, war sie hinter der Stallwand hervorgetreten. In ihrer linken Hand blitzte der Dolch. Ihre grauen Augen leuchteten im Schein der Fackel. “Lügner!” Es waren vier, allesamt ziemlich alt. Arya schätzte, dass sie mehr als 40 Namenstage gesehen hatten. Die Männer waren typische Dörfler: Muskulös und braun gebrannt vom langen Sommer, die Haare und Bärte lang und verfilzt. Die Augen in den eingefallenen, wettergegerbten Gesichtern waren müde und dumm. Einer der Männer - vermutlich der Jüngste - lehnte sich auf einen großen Hammer, den er beim Bau der Palisade benutzt hatte. Arya kannte ihm vom Sehen. Er spuckte große Töne, aber auch er traute sich nicht, dem Hound ins Gesicht zu sehen, nicht mehr als alle anderen. Vor ihm musste sie keine Angst haben, sagte sie sich. „Was willst du, Wiesel?”, knurrte er und an der Stimme konnte sie hören, dass es Walder sein musste, der Wortführer des Quartetts. Ruhig wie stilles Wasser. Sie wollte ihm entgegenschreien, dass ihre Mutter niemals so etwas getan hätte. Sie wollte ihm sagen, dass ihr Vater kein Verräter war. Aber alles, was sie rausbrachte war ein weiteres „Lügner!” Das harte Metall des Dolches in ihrer Hand gab ihr Mut. Wütend funkelte sie Walder an, dessen Miene so etwas wie Furcht zeigte. Ein Hochgefühl erfüllte sie. Sie war kein Schaf mehr, oder eine Maus. Sie war wieder Wiesel, und Wiesel hatten scharfe Zähne und fraßen Mäuse. „Was weißt du schon, du dummes Gör?”, brummte einer der älteren Männer. Ihr Kopf fuhr herum, um den neuen Gegner ins Auge zu fassen. Er hatte nur noch vier Zähne, zwei oben zwei unten, der Rest war ihm abgefault. Sein Haar wäre weiß gewesen, wenn es nicht vor Dreck gestarrt hätte. „Mehr als du! Ihr redet über Sachen, von denen ihr keine Ahn-” Ihr Kopf flog zur Seite als Walder ihr eine Ohrfeige gab und sie taumelte ein Stück zurück. Ihre Wange brannte. Seine Augen waren immer noch aufgerissen. Auf einmal erkannte Arya, dass Angst Menschen manchmal dazu treiben kann, Dinge zu tun, die sie sonst nicht getan hätten. Nicht jede Angst lähmte. Und jetzt war der Damm gebrochen. Ein Grinsen breitete sich auf den Gesichtern der anderen Männer aus. Der Mann zu ihrer Linken stieß sich von der Stallwand ab, an der er gelehnt hatte, und machte einen Schritt auf sie zu. Sie war ja nur ein kleines Mädchen. Es war der Hound, den sie fürchteten, nicht sie. Angst schneidet tiefer als Schwerter. Arya schnürte es die Kehle zu, während sie bebend in die Haltung der Wassertänzer ging, den Dolch in der linken Hand vor sich. Angst schneidet tiefer als Schwerter. Aber es waren vier. Der Hound saß an seinem Stammplatz und tat das, was er immer tat, wenn er mit der Arbeit fertig war: Er trank. Der Schankraum des kleinen Gasthofes war voll mit Männern wie ihm. Die Arbeit an der Palisade war für heute beendet. Und wenn der Hound den Fortschritt der Arbeit richtig einschätzte, würde die Palisade in den nächsten zwei oder drei Tagen vollständig fertig sein. Schon jetzt umspannte sie das ganze Dorf. Nach außen sollten zugespitzte Holzpfähle Eindringlinge fernhalten und innen wurde die Wand von kräftigen Balken gestützt. Die gewöhnlichen Stammgäste waren alteingesessene Dorfbewohner, die sich in größeren oder kleineren Runden an den Tischen zusammengefunden hatten und auf den Feierabend, den Krieg, den Winter oder irgendetwas anderes anstießen. Dazwischen saßen vereinzelt Männer wie der Hound, brütend und schweigend, nur hier um sich zu betrinken. Niemand wagte es, sich zu ihnen zu setzen, und so verbrachten sie den Abend mit sich und ihren eigenen, trüben Gedanken. So schnell sie ihre Beine trugen, eilte das Dienstmädchen, ein plumpes, blondes Mädchen von 17 oder 18 Jahren, von Tisch zu Tisch und schleppte die schweren Steinkrüge voll mit Ale zu den Gästen. Ab und zu griff jemand nach ihren Brüsten oder ihrem Hintern, wurde jedoch mit einem Klaps auf die Finger und einem bösen Blick abgestraft. Der Ale, der serviert wurde, war eine fade, braune Brühe, die man nur mit sehr viel gutem Willen als Ale bezeichnen konnte. Oder wenn man sehr betrunken war. Aber genau das hatte der Hound ja vor. Es war noch nicht mal völlig dunkel draußen, und er hatte bereits seinen zweiten Krug vor sich stehen, und bei dem Tempo, mit dem er trank, würde diesem in Kürze ein dritter folgen. Gerade wollte er den Krug zu einem weiteren kräftigen Schluck ansetzen, da ging die Tür auf und der Dorfälteste kam herein. Der Dorfälteste war von der Sorte Mann, die der Hound auf den Tod nicht leiden konnte. Selber ein dicker, untersetzter Kerl mit Glatze und breitem Schnurrbart, mischte er sich immer und überall ein, hatte überall mitzureden und spielte den ehrenvollen, verantwortungsvollen Vater des Dorfes. Dabei hatte er noch keinen Finger bei der Arbeit an der Palisade krumm gemacht, wenn man mal von seinen ständigen Anweisungen und Verbesserungsvorschlägen absah. Wann immer Sandor ihm begegnete, wurde sein Gesicht eine Maske des Abscheus und er wandte schnell den Blick ab, um die Narben des Fremden nicht sehen zu müssen. Deshalb versuchte der Hound dem Ältesten aus dem Weg zu gehen, so oft es ging. Denn obwohl dieser ihn eingestellt hatte, verabscheuten sie sich gegenseitig, und der Hound wollte keinen Streit provozieren. Und er wollte in diesem Dorf bleiben, zumindest bis Krieg und Winter vorüber waren. Es war immer noch besser, als in den Riverlands herumzuirren. Der Dorfälteste war ein seltener Anblick in der Dorfschänke, weshalb einige Männer überrascht aufschauten, als sie den fülligen Mann in der Tür stehen sahen. Der sah von einem Mann zum anderen, bis er Sandor entdeckte und zu ihm stapfte. Der Hound fragte sich, was die kleine Wölfin jetzt schon wieder verbrochen hatte. Als sie “Ser Soldier”, die Puppe des kleinen Töchterleins vom Dorfältesten kaputtgemacht hatte, hätte man meinen können, sie habe dem Mädchen selber den Bauch aufgeschlitzt. Das Dorf war außer sich gewesen. Damals hatte der Dorfälteste seine Körpermasse auf eine ähnliche Art und Weise auf ihn zugewuchtet. Das Getue mochte ja bei Dörflern wirken, die noch nie aus ihrem erbärmlichen Zuhause herausgekommen waren, aber auf den Hound machte das keinen Eindruck. Und so stützte er seinen Kopf in die Handfläche und verzog seinen unversehrten Mundwinkel zu einem grotesken Lächeln, um zu sehen, wie der Alte beinahe augenblicklich seinen Blick zu Boden sinken ließ. Dieser hier hat mehr Angst vor mir als alle anderen vor ihm. Mit einem pfeifenden Atemgeräusch ließ sich der Dorfälteste ihm Gegenüber auf einen Stuhl fallen, den er zuvor ein großes Stück vom Tisch weggerückt hatte, um Platz zu haben. Ohne eine Miene zu verziehen, warf er einen roten Geldbeutel mit einer hübschen goldenen Stickerei am Rand zwischen ihnen auf die Tischplatte. Einige Münzen klimperten leise darin, kaum hörbar über den Lärm, der im Schankraum herrschte. „Die Palisade ist fertig”, erklärte er, als der Hound ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. „Ihr könnt jetzt gehen. Nehmt Euren Lohn und Eure Tochter und verschwindet. Ihr werdet hier nicht mehr gebraucht.” Da er offenbar der Meinung war, dass damit alles gesagt sei, stützte er seine dicken Hände mit gespreizten Wurstfingern auf die Tischplatte, um sich wieder aus dem Stuhl zu drücken. Pfeilschnell schoss Sandors Hand vor und schloss sich um den Unterarm des Dörflers. Für einen Moment entglitt diesem die steinerne Miene und man sah die Angst in seinen Augen. Sein Schnurrbart zitterte. „Was soll das heißen?”, knurrte der Hound mit rauer Stimme. „Ich bleibe den Winter über hier.” “Wir brauchen keine von Eurer Sorte hier, Hund!”, erwiderte der andere abfällig. Erstaunt hob Sandor die Augenbrauen. Er wusste, wer er war? Die Überraschung war ihm wohl anzusehen, denn der Dorfälteste grinste. Offenbar gewann er seine Fassung wieder. „Glaubt Ihr, wir sind so dumm, Euch nicht zu erkennen? Klar, hochwohlgeborene Lords und Ladies kommen hier nicht hin, aber wir haben Märkte und Händler und ein Gesicht wie Eures ist kaum zu übersehen und leicht zu erkennen.” Wie seltsam, dachte Sandor, wo Ihr Euch doch nie getraut habt, mir wirklich ins Gesicht zu sehen. „Mit Leuten wie Euch wollen wir nichts zu tun haben. Wir sind ehrenvolle Untertanen des rechtmäßigen Königs.” Welchen Königs? „Aber um Eure verdammte Palisade zu bauen, war ich Euch gut genug.” „Ihr könnt froh sein, dass ich Euch überhaupt Arbeit gegeben habe!” „Wir hatten etwas anderes vereinbart.” Seine Finger bohrten sich ins weiche Fleisch des Mannes. „Arbeit und einen Platz für den Winter.“ „Seid froh, dass ich Euch überhaupt bezahle und Euch nicht sofort an den König ausgeliefert habe!” Mit einer ruckartigen Bewegung riss sich der Dorfälteste von ihm los. „Macht, dass Ihr wegkommt! Und nehmt Euer Gör mit!“ Damit stand er vom Tisch auf und verließ er das Gasthaus. Die Tür fiel mit einem dumpfen Schlag ins Schloss. Für einen Moment war es gespenstisch still in der Gaststätte, alle Augen waren auf den Hound gerichtet. Das dicke Dienstmädchen stand mit drei Krügen in jeder Hand vor der Theke und glotzte. Ihr Mund stand offen. Sandor packte den Beutel und steckte ihn sich ohne nachgezählt zu haben in den Gürtel. Angewidert schob er mit der anderen Hand den Krug ein Stück von sich weg. Die Lust auf Ale war ihm vergangen. Nichts hätte er in diesem Moment lieber getan, als aufzustehen und zu verschwinden. Aber dann würden die Leute ihn für einen Feigling halten und es gab bereits genug Geflüster, er habe die Lust am Kämpfen verloren nach der Schlacht am Blackwater. Nein, er musste bleiben, zumindest bis nicht mehr alle zu ihm hinüberstarrten. Und so griff er doch wieder nach dem Becher und zwang sich, einen Schluck zu nehmen. William hatte seine eigene kleine Zelle in der Behausung des Altbruders, schließlich war er sein persönlicher Assistent. Sein Zimmer war klein und verfügte nur über eine schmale Pritsche und einen siebenzackigen Stern aus Metall, der an der Wand hing, und vor dem er jeden Abend betete. Trotzdem mochte er seine Unterkunft. Früher hatte er im Trakt der Novizen gewohnt, wo alle angehenden Mönche zusammen in einem Raum nächtigten. Da war ihm sein eigenes Zimmer, das er jetzt hatte, doch bedeutend lieber. Nicht, dass er sich je beklagt hätte. Im Kloster ging es ihm so gut wie es ihm in den Riverlands nie gegangen war, wo er sich nur mit Müh und Not über Wasser hatte halten können. Es war pures Glück gewesen, dass der Altbruder ihn gefunden hatte. Ein Waisenjunge ohne Zukunft, der sich mit kleinen Diebstählen zu ernähren versuchte. Jedes Schweigegelübde und jede Messe war besser als der nagende Hunger und die Frage, ob es am nächsten Morgen etwas zu Essen geben würde. Seit knapp zwei Jahren war er bereits im Kloster und ihm gefiel das Leben als Mönch. Der Glaube war in ihm gewachsen wie eine zarte Pflanze. Mit jedem Tag verstand er mehr von dem, was der Septon immer gepredigt hatte. Von den sieben Gesichtern des einen Gottes und von Vergebung und Sühne. Außerdem war Will ein aufgeweckter Junge, der wusste, wie man sich einen Vorteil verschafft. Das bewies auch seine Stellung als Assistent des Altbruders. In einem normalen Kloster hätten die Mönche gemunkelt, dass er der Nachfolger des Altbruders werden würde, aber hier war das nicht der Fall, denn niemand sprach oder tuschelte. Aber denken taten sie es. Will lächelte, als der Meister ihn aus dem Raum schickte, damit er sich ungestört mit dem gerade angekommenen Septon unterhalten konnte. Ja, seine Zelle war winzig, aber sie hatte einen gewaltigen Vorteil gegenüber allen Zellen, die das Hauptgebäude zu bieten hatte: Der Empfangsraum des Altbruders war nur durch eine dünne Wand aus Treibholz von ihr getrennt. Will ließ sich auf den Boden sinken, mit dem Rücken zu dieser Wand und lauschte. Wenn man immer schweigt, lernt man irgendwann das Zuhören ganz von selber. Und zur Abwechslung einmal menschliche Stimmen zu hören, anstelle vom gewohnten Vogelgezwitscher und Rauschen der Wellen, ließ den jungen Mönch an seine Kindheit bei seiner Familie denken. Andächtig lauschte er den Geschichten, die der fremde Septon zu erzählen hatte, vom Krieg von den einfachen Menschen, von seiner Heimat den Riverlands. Es war gar nicht so lange her, da war Will selber jemand gewesen, dem Merribald auf seinen Reisen hätte begegnen können. Jemand, der von Merribald eine Orange oder etwas Brot bekam, um nicht zu verhungern. Es war weit nach Mitternacht, als der Altbruder den Septon entließ und Will war zwischenzeitlich ein paar Mal eingenickt. Als er die Tür ins Schloss fallen hörte, schreckte er auf und erhob sich von seinem Platz auf dem Fußboden, um sich schlafen zu legen. Bevor er sich jedoch Schuhe und Kutte ausziehen konnte, hörte er, wie der Altbruder seinen Namen rief. Ob er gemerkt hat, dass ich gelauscht habe? , fragte Will sich besorgt, denn die Stimme des Mönches klang ernst und gewichtig. Was auch immer der Grund war, es hatte keinen Sinn zu warten, und so trat er eilig aus seiner Zelle in das Empfangszimmer, wo der Altbruder immer noch am Tisch saß. Genau so, wie er ihn zurückgelassen hatte. Will bewegte sich in sein Blickfeld und verneigte sich leicht, was ungefähr einem „Ihr wünscht?” gleichkam. „Nimm dir etwas zu trinken, William”, sagte der Altbruder und gestikulierte in Richtung des Kruges, der auf dem Tisch stand, „und schenk mir auch noch etwas ein.” Will kam der Aufforderung nach, nahm sich selber ein Glas und füllte es, nachdem er zunächst seinen Meister versorgt hatte. „Setz dich.” Unsicher ließ er sich auf einem Stuhl nieder. Ihm war ein wenig unwohl. Die Situation war mehr als seltsam. Normalerweise rief der Altbruder ihn um diese Zeit nie zu sich. Rasch ging er in Gedanken durch, welches Verhalten der letzten Monate eine strenge Unterhaltung herbeigeführt haben könnte, aber ihm fiel nichts ein. Der Altbruder zupfte sich am Bart und sah an ihm vorbei auf die Tür. „Ich nehme an, du hast gelauscht, nicht wahr?”, sagte er dann mit einem schelmischen Lächeln. Will überlegte erst, zu verneinen, entschied sich dann aber für die Wahrheit und nickte leicht, wobei er versuchte, möglichst schuldbewusst auszusehen. Der Altbruder würde viel ärgerlicher sein, wenn er ihn beim Lügen erwischte, als wenn er sein Vergehen gleich eingestand. „Dann hast du bestimmt auch gehört, dass Sansa Stark in den Riverlands gesehen wurde?” Den letzten Teil des Gespräches hatte Will leider in einer Art Halbschlaf verbracht. Er hatte den Namen zwar gehört, konnte ihn aber nicht genau zuordnen. Er machte eine Handbewegung, die bedeutete, dass er sich nicht ganz sicher war. Sein Gegenüber nickte. „Sansa Stark ist die Tochter von Eddard Stark. Du wirst von ihm gehört haben. Er wurde von König Joffrey hingerichtet, nach dem Tod von König Robert.” Will erinnerte sich an diese Geschichte, damals war sie in aller Munde gewesen, jedes Fischerweib hatte sie anders erzählt, aber letztendlich war sicher: Die Hand des Königs war getötet worden und der Junge Joffrey würde König werden. Will, der damals nur wenig älter als der König gewesen war, hatte oft gedacht, dass er bestimmt einen besseren König abgeben würde, als irgend so ein hochwohlgeborenes Knäblein. Zögerlich nickte er. „Sein Sohn, der Junge Wolf, ist tot. Ermordet von den Freys während der sogenannten Roten Hochzeit. Die Nachricht ist sogar bis zu uns vorgedrungen. Seine jüngeren Brüder sind ebenfalls gestorben.” Es war erstaunlich, wie viel der Altbruder über die Vorgänge in den Sieben Königreichen wusste. Allerdings kamen auch auf der Stillen Insel dann und wann Raben an, die Botschaften trugen. Wie zum Beispiel den Wechsel der Jahreszeiten, oder die Botschaft von König Stannis, die von Inzest und Sünde in den hohen Häusern erzählte. Trotzdem, Will fragte sich, wie der Vorsteher an diese Information gekommen war. Er ist gerissener, als ich man meinen könnte, dacht er. Sicher hat er seine Informationsquellen, von denen wir nichts wissen. “Sansa Stark ist seine älteste Tochter. Sie hat eine jüngere Schwester, Arya Stark, aber die ist verschollen. Vermutlich tot. Aber selbst wenn Arya Stark noch am Leben ist, Sansa ist die ältere und somit die Erbin.” Die Erbin einer ausgebrannten Ruine, dachte Will. Winterfell war schon lange nicht mehr in der Hand der Starks und Gerüchten zufolge lag die alte Festung in Schutt und Asche. Der Altbruder beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf der Tischplatte ab, um seinem Novizen besser in die Augen sehen zu können. „Sie ist aus King's Landing geflohen, und die Königin wird sie wiederhaben wollen. Sie wird wegen Verrat gesucht, aber sie ist auch die Erbin von Winterfell. Egal welche Seite diesen Krieg gewinnt, dieses Mädchen ist allen von Nutzen. Verstehst du das?” Will nickte wieder. Warum erzählt er mir das alles? , fragte er sich. Was habe ich damit zu tun? Schwer stützte sich der Altbruder auf dem Treibholztisch ab, als er sich erhob. Er machte einen Schritt in den Raum hinein, aber es war nicht genug Platz, um weit zu gehen. Er stellte sich mit dem Rücken zu Will, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Es waren grobe, kräftige Hände. Die Hände eines Arbeiters, eines Bauern. Oder eines Kriegers, dachte Will plötzlich. „Ich habe für Aerys Targaryen gekämpft, Junge. Hier, am Trident. Aerys wusste meinen Namen nicht, er wusste überhaupt nicht, dass es mich gibt. Es war ein Krieg zwischen hohen Lords, aber jeder musste darunter leiden. Ich habe die Schrecken gesehen, damals, als ich bis über die Knöchel im Fluss stand, dessen Wasser sich langsam rot färbte. Vom Blut, nicht von den Rubinen, wie die Sänger uns Glauben machen wollen. Vom Blut von Menschen wie dir und mir.” Er schwieg lange, nur sein schwerer Atem war zu hören, und weit, weit weg das Rauschen der Wellen, das Rauschen des Trident. Will konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er war sicher, dass es schmerzverzerrt war. „Ich hatte Glück”, fuhr der Altbruder schließlich fort, “dass ich hier gelandet bin, als ich damals fiel. Es hat mich gerettet, genau wie dich. Ich kenne den Krieg, William. Und ich möchte seine Schrecken nicht noch einmal erleben müssen.” Worauf will er hinaus? „Wir sind nur Mönche, wie sollen wir uns gegen die Willkür der Obrigkeit schützen? Wie hätte ich mich damals schützen sollen? Aber wenn wir das Mädchen hätten ....” Er brach ab, rieb sich die Stirn. „Das Mädchen ist der Garant für Frieden.” Er drehte sich zu Will um, und sah ihm eindringlich in die Augen. „Und du wirst gehen und sie hierherbringen.” Obwohl der Hound sich vorgenommen zu gehen, sobald sein Krug leer war, fand er sich schon bald bei einem dritten und vierten. Die Vorstellung, in die feuchte, unwirtliche Dunkelheit hinauszugehen, die Pferde zu satteln, und Arya zu sagen, dass sie aufbrechen würden, ließ den Ale besser schmecken und Wärme und Lärm des Schankraumes gemütlich und angenehm werden. Irgendwann musste er gehen, das war ihm bewusst. Aber noch hatte er Zeit, es gab keinen Grund, die Dinge zu überstürzen, vor allem wenn er durch sein Bleiben den Dorfältesten provozieren konnte. Als der vierte Krug noch nicht ganz geleert war, stellte das Dienstmädchen ihm einen fünften hin. Es roch nach Schweiß und Alkohol. „Den habe ich nicht bestellt”, brummte er unwirsch. „Der Herr da drüben hat gesagt, ich soll ihn Euch bringen, m'Lord”, erwiderte sie und zeigte auf einen dünnen, drahtigen Mann, der allein in einer der vier Sitznischen auf der anderen Seite des Schankraums saß. Als er merkte, dass das Mädchen auf ihn deutete, hob er eine Hand zum Gruß und lächelte. Die beiden vorderen Schneidezähne waren ihm ausgeschlagen worden, und sein Lächeln hatte etwas Verschlagenes und Hinterhältiges. Der Hound lächelte nicht zurück. Das Mädchen verschwand wieder, um einer Ansammlung grölender Bauern eine neue Runde zu servieren. Sandor starrte den Krug vor ihm an, ohne ihn anzurühren. Am anderen Ende des Raumes fädelte der Fremde sich aus seiner Sitznische und durchquerte den Raum mit einigen schnellen Schritten. Er hatte einen großen, dreckigen Beutel über der Schulter, den er neben dem Stuhl, auf dem eben noch der Dorfälteste gesessen hatte, abstellte. Dann ließ er sich selber nieder und faltete die knochigen Arme auf der Tischplatte, immer noch grinsend. Der Hound beschloss, ihn nicht zu beachten. Seltsam, wie viele Leute heute etwas von mir wollen, dachte er, sonst belästigt mich immer nur Arya. Der Fremde bestellte sich ein weiteres Ale und nachdem es gebracht worden war, schob er den Krug, den der Hound vorher bekommen hatte, zu ihm herüber und sagte: „Trinken wir zusammen!” „Ich trinke nicht mit Männern, die ich nicht kenne.” „Aber Ihr kennt mich.” Der Hound wandte den Kopf, um den Fremden zu mustern. Er hatte schüttere, hellblonde Haare und einen etwas dunkleren, dünnen Bart, der seinen Mund einrahmte. Die Augen waren von einem blassen Blau, auch sein Gesicht war auffällig bleich. Vielleicht ein Albino, dachte er, wie der weiße Direwolf von Ned Starks Bastard. Der Fremde zeigte wieder seine unvollständigen Zähne bei einem Lächeln, das seine hohen Wangenknochen und sein spitzes Kinn nur noch mehr betonte. Er musste zugeben, dass der Fremde ihm bekannt vorkam, zumindest war er sich sicher diesen Mann - oder jemanden, der ihm sehr ähnlich sah – schon mal irgendwo getroffen zu haben. Wo und wann das gewesen war, konnte er allerdings nicht sagen. „Wer seid Ihr?”, fragte er mit einem tiefen Grollen in der Stimme, nicht unähnlich dem Knurren eines Hundes, dem er seinen Namen verdankte. „Ihr könnt mich Dennett nennen, Ser Sandor.” „Ich bin kein Ser”, spuckte er aus. „Natürlich nicht.” Überheblich tippte der Mann sich an die Wange. „Ich wollte nur sichergehen, dass Ihr es auch tatsächlich seid. Wobei Euer Gesicht da eigentlich keine Zweifel lässt.” Langsam begann Sandor zu verstehen, warum Dennett die Schneidezähne fehlten. „Was wollt Ihr von mir?” „Wisst Ihr nicht, wer ich bin?” Dennett schien enttäuscht. „Wenn ich wüsste, wer Ihr seid, hätte ich Euch das bereits mitgeteilt.” „Ich war mir sicher, Ihr würdet mich erkennen.” Der Hound knetete seine Augenlider mit Daumen und Zeigefinger. Was für ein Selbstdarsteller. Und ich dachte, die gäbe es nur bei Hof. „Sagt mir was Ihr wollt und verschwendet nicht meine Zeit.” „Aber wenn Ihr wüsstet, wer ich bin, dann – “ „Das tue ich aber nicht, verdammt nochmal”, fluchte der Hund und schlug mit der Faust auf die Tischplatte, sodass Ale aus seinem Krug schwappte und eine braune, klebrige Lache auf dem Holz bildete. „Und wenn Ihr nicht langsam zur Sache kommt, wird euch bald nicht mal mehr Eure eigene Mutter erkennen!” „Schon gut”, lenkte Dennett ein. Er hob einen Finger, um seine spitze Nase zu kratzen, und faltete dann beide Hände auf der Tischplatte. „Ich war damals bei Beric Dondarrion in Hollow Hill, als Ihr Euren Prozess hattet.” Sandor konnte sich an die Höhle erinnern, den Priester Thoros aus Myr, Dondarrions übel zugerichtetes Gesicht, die umstehenden Banditen, die in der Dunkelheit verschwommen waren, an das Feuer, das brennende Schwert. Vor allem an das brennende Schwert. „Viele waren da. Ich kann mich nicht an jeden einzelnen aus Eurem Pack erinnern.” „Der Lightning Lord ist tot.” Dennett sagte das, indem er mit einem Ausdruck größten Bedauerns die Augen auf die rechte Ecke des Tisches richtete. Beinahe hätte der Hound ihm seine Trauer tatsächlich abgenommen. „Ist er diesmal auch wirklich tot? Wer hat es geschafft, dass er endlich mal liegen bleibt?” Er lachte krächzend. Er selber hatte sich ja schließlich daran versucht und war gescheitert. Hoffentlich war es nicht Gregor, schoss es ihm durch den Kopf. Sein älterer Bruder hatte Dondarrion gleich zweimal auf dem Gewissen, aber offenbar hatte Thoros von Myr ihn immer wieder zurückgeholt. Die meisten Outlaws dachten, dass er nur ein außergewöhnlicher Heiler sei, aber der Hound wusste, dass das nicht der Fall war. Er hatte gelernt, zu sehen. Und er hatte am Hof in King's Landing einige Male Rote Priester aus den Freien Städten bei ihren magischen Ritualen gesehen, aus Lys, Braavos oder Myr. Thoros musste eine große magische Begabung gehabt haben, denn dass Beric Dondarrion tot gewesen war, nachdem der Hound selber sein Schwert in seiner Schulter versenkt hatte, daran bestand kein Zweifel. Und trotzdem war er nur wenig später wieder am Leben gewesen, um ihn freizusprechen. „Er ist unwiederbringlich verloren”, bestätigte der Bandit nickend. „Wie ist das passiert?” „Habt Ihr von Lady Stoneheart gehört?” „Ein Weib hat ihn erledigt?” Sandor grunzte amüsiert. „Wie hat sie das angestellt?” „Wir fanden Sie an den Ufern des Trident, einige Tage nach der Roten Hochzeit. Sie war tot und ans Ufer getrieben worden. Eine Menge Wölfe strich um sie herum, aber niemand hatte sie angerührt.” Dennett beugte sich weiter vor, um seine Geschichte interessanter zu machen. Als Antwort darauf lehnte sich der Hound zurück, täuschte Desinteresse vor. „Lord Beric wollte, dass Thoros sie rettet, aber Thoros weigerte sich. Sagte, sie sei bereits zu weit auf der ‚anderen Seite’. So hat er's gesagt. Sie haben sich gestritten, die beiden. Keine Ahnung, warum Beric so einen Aufstand um das Weib gemacht hat. Und dann hat er sie einfach selber ...” Er stockte, suchte nach den richtigen Worten. „Wiederbelebt?”, schlug Sandor vor. Dennett nickte. „Aber dafür hat er sein eigenes Leben gelassen.” Der Hound lachte kurz und scharf auf, ein bellendes Lachen. „Der Narr war einfach zu ehrenhaft, um zu leben! Was für ein Idiot! Im Grunde hat er's nicht anders verdient.” Sein Gegenüber schien wenig erfreut über diese Reaktion. „Sagt das nicht!”, zischte er. „Lord Beric war der beste Mann, den Westeros je gehabt hat! Es ist eine Schande, dass er tot ist!” „Und das Weib, das ihn endgültig erledigt hat?”, fragte der Hound. „Was habt ihr mit der gemacht? Sie gleich wieder umgebracht?” „Hätten wir das doch nur getan!” Sandor schnaubte verächtlich. „Thoros und Lem und die anderen haben sie zur neuen Führerin der Bruderschaft ohne Banner erklärt!” Die Leute im Schankraum zuckten zusammen, als der Hound den Kopf zurücklegte und schallend lachte. „Darauf können wir trinken”, prustete er und hob seinen Krug. Dennett reagierte nicht. Seine blassen Wangen hatten sich zornesrot gefärbt. „Sie verrät die Bruderschaft!”, knurrte er. „Unter Lord Beric waren wir groß und ehrenhaft, aber sie missbraucht uns für ihre persönliche Rache.” Der Hound nahm einen kräftigen Schluck Ale und stellte den Krug polternd auf dem Tisch ab. „Als ob Leute wie Ihr überhaupt so etwas wie Größe und Ehre hätten.” Dennett funkelte ihn aus seinen blassen Augen böse an, ohne etwas zu erwidern. Sie schwiegen beide eine Weile, während der Hound seinen Krug zur Hälfte leerte. Schließlich ergriff er wieder das Wort, da der Bandit keine Anstalten machte, wieder zu verschwinden: „Eine wirklich fesselnde Geschichte, die Ihr mir da erzählt habt, Dennett. Aber ich weiß leider immer noch nicht, was das mit mir zu tun hat” „Ich brauche Euch.” Der blasse Mann sprach so leise, dass der Hound sich nach vorne lehnen musste, um ihn zu verstehen. „Ach. Und warum sollte ich Euch helfen?” „Ihr seid der einzige, der mir geeignet scheint.” „Tatsächlich.” Sandor war nicht beeindruckt. „Und was soll ich für Euch tun?” „Lady Stoneheart umbringen.” Der Hound faltete seine Arme auf der Tischplatte und senkte seinen Kopf. Da er um einiges größer als der Bandit war, befand er sich nun auf Augenhöhe mit ihm. „Und nun sagt mir bitte, Freund, warum ich das tun sollte.” „Weil ich weiß, wo sich Gregor Clegane aufhält. Und weil ich weiß, wie Ihr ihn umbringen könnt.” Sandor lehnte sich wieder zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein entstelltes Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung, lediglich sein rechter Mundwinkel zuckte ein wenig, als amüsiere er sich über einen Witz, den nur er verstehen konnte. Seine durchdringenden Augen waren auf einen der breiten Balken geheftet, die die Decke des Schankraumes stützten. So verharrte er eine Weile, bis er schließlich fragte: „Und warum glaubt Ihr, würde ich Gregor töten wollen? Er ist mein Bruder.” „Ich würde meine Bruder auch töten wollen, wenn er mir so etwas angetan hätte.” Dennett deutete mit seinem spitzen Kinn auf Sandors Brandnarben. Der Hund knurrte, sagte aber nichts. „Und wenn wir ehrlich sind, dann verdient er es auch zu sterben, oder?”, fuhr der Bandit fort. „Denkt nur, all die verbrannten Dörfer, die gefolterten, abgeschlachteten Menschen, die vergewaltigten Frauen, die verstümmelten Kinder ...” Er machte eine theatralische Pause, bevor er noch einmal betonte: „Er verdient den Tod.” „Wenn Ihr dieser Meinung seid, warum tötet Ihr ihn dann nicht einfach selber?” Das Gesicht von Sandor hatte sich in eine steinerne Maske verwandelt. „Seht mich doch an!” Dennett gestikulierte mit den Händen vor seiner Brust. „Ich bin wohl kaum in der Lage, jemandem wie Gregor Clegane, dem Reitenden Berg, das Wasser zu reichen. Da braucht es schon jemanden wie Euch.” „Und was hält mich dann davon ab, Euer angebliches Wissen nicht mit Gewalt aus Euch herauszuholen?” Als der Hound das breite Grinsen auf dem Gesicht des anderen sah, wusste er, dass er in die Falle gegangen war. Er hatte zugegeben, dass er an der Information interessiert war, die Dennett ihm geboten hatte. „Ihr braucht mich, um Gregor zu erledigen. Ich habe einen Plan, in dem ich selber eine wichtige Rolle spiele”, erklärte dieser und faltete seine langen, dünnen Finger zu einer Pyramide, indem er die Fingerspitzen aneinanderlegte. „Aber zuerst einmal wegen Lady Stoneheart ...” „Wieso sollte ich Euch glauben? Woher wollt Ihr so viel wissen?” Wenn er schon am Haken war, dann würde er so viel aus der Situation rausholen, wie möglich. Und zur Not konnte er den aufdringlichen Mann immer noch töten. Bei Morgengrauen würde er sowieso aus Hillside verschwunden sein. „Lasst es mich so ausdrücken: Ich habe meine Informationsquellen.” Sandor schüttelte den Kopf und lächelte furchteinflößend. „Das wird leider nicht reichen. Wenn Ihr nichts Stichhaltigeres zu bieten habt, dann verschwendet Ihr nur meine Zeit. Wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt.” Er machte Anstalten, sich zu erheben. „Euer Bruder hat Euch Eure Narbe zugefügt, nachdem Ihr ihm seinen Holzritter geklaut habt.” Sandor hielt inne. „Woher wisst ihr das?” „Es war mir klar, dass Ihr Euch nicht an mich würdet erinnern können.” „Das hatten wir bereits, Ihr seid einer der Banditen von Beric Dondarrion.” „Ich war Zimmerjunge bei Eurem Vater, als Ihr und Euer Bruder jung wart. Ich war für Gregor verantwortlich, habe seine Betten gemacht, ihm beim Ankleiden geholfen und ihm seine Waffen poliert.” Noch einmal musterte Sandor Dennett von oben bis unten. Das Gesicht des Mannes rief keinerlei Erinnerungen in ihm wach, und sicherlich hätte er sich einen solch auffällig blassen Jungen gemerkt. Aber es war so lange her und er war nicht mehr als ein Kind gewesen. Sicher hatte auch Dennett anders ausgesehen als jetzt. Und da er ihn als etwas älter als sich selber schätzte, konnte es zumindest vom Alter her passen. Trotzdem, so eine Sache war viel zu heikel, als dass er sich auf das Wort eines Banditen und ein paar Informationen, die er wer weiß woher haben konnte, verlassen konnte. „Beweist es.” „Das habe ich doch bereits. Ich weiß wie Ihr zu Euren Verbrennungen gekommen seid.” „Das reicht nicht.” „Niemand, der damals nicht auf Clegane’s Keep gearbeitet hat, weiß davon. Euer Vater-” „-hat verboten, dass davon gesprochen wird, ich weiß. Trotzdem. Dienstboten klatschen und Gerüchte verbreiten sich schnell. Das genügt nicht, um Euch glaubwürdig zu machen.” Es schien, als zögere Dennett einen Moment, um seine Chancen abzuwiegen. Dann griff er in seinen Umhang, in eine der dort eingenähten Taschen, und holte eine Holzfigur hervor. Ein Ritter mit beweglichen Armen und Beinen, kunstvoll geschnitzt und bemalt. Die Jahre hatten die Farbe verbleichen und abblättern lassen, doch Sandor erkannte immer noch den gelben Schild mit den drei Hunden darauf, dem Wappen des Hauses Clegane. Vorsichtig nahm er das Spielzeug in die Hand und drehte es langsam hin und her, um es von allen Seiten zu betrachten. Er bewegte sacht die Arme und Beine, verstellte sie, wie er es damals als Kind getan hatte. Die Gelenke waren brüchig geworden, aber sie funktionierten immer noch. Er stellte den Ritter mit erhobenem Arm auf den Tisch und sah Dennett lange und hart an. Dann nickte er langsam. Arya spürte, wie ihr Blut übers Kinn lief. Mühsam fuhr sie sich mit dem Handrücken darüber, um es wegzuwischen. Es musste eine beträchtliche Menge gewesen sein, denn ihre Hand war jetzt ebenfalls blutig. Ihr Kopf hämmerte schmerzvoll. Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie zu den vier Männern auf. Für einen Moment verschwamm das Bild, dann sah sie wieder scharf. Zumindest Walders Gesicht, das sie fixiert hatte. Sein Lächeln war verächtlich. Sie hatte nicht lange durchgehalten. Syrio hatte mehrere Ritter in Rüstung mit einem Holzschwert überwältigen können, doch sie war nicht Syrio und sie war auch kein Wassertänzer. Sie war jetzt Wiesel. Ihr Dolch lag unter dem Stiefel des alten Mannes mit den vier Zähnen. Der Fackelschein spiegelte sich auf der Klinge wider. Immerhin hatten sie ihn nicht benutzt. Noch nicht. Aber jetzt bückte der Alte sich danach. Arya versuchte auf die Beine zu kommen und wegzulaufen, wie sie es von Anfang an hätte tun sollen. Was für eine Chance hatte sie gegen vier ausgewachsene Männer? Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung, wollte sich umzudrehen - Einer der Männer stolperte zur Seite, als sich eine große Gestalt zwischen ihm und seinem Nachbarn hindurch drängte. Zwei schwere, lederne Stiefel schoben sich in Aryas Blickfeld. Dann packte sie jemand am Kragen und wuchtete sie in die Luft. Ihre Füße fanden Halt und sie stand wieder. „Wie mutig, ein kleines Mädchen zu verprügeln”, schnaubte der Hound. Nicht laut und wutgeladen, wie sein Bruder es getan hätte, sondern ruhig und gefasst. Mit einer Pranke schob er Arya in Richtung der Stalltür. „Sattle die Pferde, Wölfin. Wir verschwinden.” Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, um nicht loszurennen. Stattdessen schritt sie so langsam wie möglich davon. Sie war sich ihres schutzlos entblößten Rückens schmerzhaft bewusst, und auf halber Strecke begann sie sich doch misstrauisch umzusehen. So weit ging ihre Selbstbeherrschung dann doch nicht. Kaum war sie außer Sichtweite, stemmte sie das hölzerne Stalltor auf und rannte hinein. Stickiger Pferdegeruch schlug ihr entgegen, und die von der Bewegung und dem Blutgeruch aufgescheuchten Pferde wieherten nervös und traten unruhig hin und her. Arya führte Stranger und Craven in die Gasse zwischen den abgetrennten Boxen und sattelte und zäumte sie in Windeseile. Ihr rechter Arm tat zwar weh, wenn sie ihn höher als ihre Schulter hob, und ihre Finger waren immer noch ein wenig zittrig, aber sie war trotzdem beinahe so schnell wie immer. Kaum hatte sie Strangers Sattelgurt festgezurrt, kam auch schon der Hound in den Stall mit einem großem Sack in der einen und ihrem Dolch in der anderen Hand. Er warf ihr die Waffe zu. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst keinen Ärger machen?” Arya antwortete nicht, sondern tat so, als prüfe sie Strangers Sattelgurt. „Dich mit vier Dorfbewohnern anzulegen ist nicht unbedingt intelligent.” Er packte Stranger am Zaumzeug und zerrte ihn zur Stalltür. Arya schnappte sich Cravens Zügel und folgte ihm, achtete dabei aber darauf, sich Stranger von hinten nicht zu sehr zu nähern. Seine Zähne waren schmerzhaft, seine Hinterhufe jedoch tödlich. „Wohin gehen wir?” „Das geht dich nichts an.” „Warum brechen wir jetzt auf?“ Sie erhielt keine Antwort. Stattdessen saß der Hound auf und ritt in Richtung des Dorfeingangs. Arya bemühte sich ihm zu folgen, um ihn in der Dunkelheit nicht zu verlieren. Wie sie erwartete hatte, waren die Männer verschwunden. Sie hoffte, dass der Hound ihnen wehgetan hatte. Kaum hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, stieß sie Craven die Fersen in die Seiten, sodass sie zum Hound aufschloss. „Wohin gehen wir?”, fragte sie noch mal. “Ich dachte, Ihr wolltet den Winter hier verbringen.” „Meine Pläne haben sich geändert. Wir reiten nach Riverrun.” „Riverrun?” „Vielleicht gibt mir der Blackfish ein paar Kupferstücke für deinen Hintern”, knurrte der Hound. „Jedenfalls wäre ich dich dann los.” „Ich habe den Blackfish nie gesehen, er kennt mich nicht.” „Ich werde dafür sorgen, dass er dich kennt”, knurrte der Hound und damit war das Gespräch beendet. Er gab Stranger die Sporen und trottete voraus. So froh sie war aus dem Dorf herauszukommen, machte ihr doch die Vorstellung, nach Riverrun zu reiten, keine Hoffnung. Sie hatte schon so oft versucht, nach Riverrun zu kommen. Mit Gendry und Hot Pie, mit Beric Dondarrion ... Es schien, als täte sie nichts anderes, als nach Riverrun zu reiten, ohne jemals anzukommen. Was wollte sie in Riverrun, wo es der Norden war, wo sie hingehörte? Sie waren so weit gewesen, und jetzt ritten sie wieder nach Süden und damit in die falsche Richtung. Doch dem Hound das zu sagen, besonders nachdem er sie vor den Dörflern hatte retten müssen, schien ihr keine gute Idee. Und so schwieg sie und ließ zu, dass die Nacht sie verschluckte. Teil II ------- Teil 2 Und wie ich reite, so reiten Mir die Gedanken voraus; Sie tragen mich leicht und luftig Nach meiner Liebsten Haus. In der ersten Nacht und dem ersten Tag ihrer Reise kamen sie gut voran, und hatten am folgenden Abend einige Meilen zwischen sich und das Dorf gebracht. Von den schweren Regenfällen, die bei ihrem letzten Besuch in den Riverlands geherrscht hatten und für Überschwemmungen und unsicheren, schlammigen Grund gesorgt hatten, war nicht mehr viel zu sehen. Tagsüber schien die meiste Zeit die Sonne, sodass das Wasser größtenteils getrocknet war. Der Hound ritt voran, und sie folgte ihm trotzig schweigend. Er will nicht mehr kämpfen, dachte sie, wenn sie auf seinen breiten Rücken schaute, über den er sich das Langschwert gehängt hatte. Er hat Angst bekommen. Das hatte man zumindest im Dorf gemunkelt. Seit Stannis King’s Landing angegriffen hatte, sei dem Hound die Lust aufs Kämpfen vergangen. Arya war sich da allerdings nicht so sicher. Trotzdem hielt er sich weit von Straßen und Dörfern fern und wählte Wege, die durch die Felder führten. „Dich würde niemand erkennen, so zerlumpt wie du bist”, hatte er gebrummt, „aber sogar die beschränkten Bewohner von Hillside haben mein Gesicht erkannt.” In den Feldern, die ab und zu die Bewaldung auflockerten, hatte der Hound einen Hasen erbeutet. Nachdem sie ein Feuer entfacht hatte und der Hase einige Zeit über der Flamme gegart war, nahm er das Tier vom Stock und teilte es. Er warf ihr eine Hälfte zu und erklärte dann, dass sie sich nun südlich, in Richtung des Trident, orientieren würden. Das Feuer flackerte und knisterte. Über die Flammen hinweg schaute sie in das vernarbte Gesicht des Hounds. Er hatte sich auf einem umgefallenen Baumstamm niedergelassen und das Schwert gegen seine Schulter gelehnt. Während sie noch aß, hatte er bereits begonnen, die Klinge zu schleifen. Er tat das jeden Abend. Bei jedem Rostfleck und jeder Scharte verfluchte er dabei den Mann, der ihm das Schwert für seine Axt gegeben hatte, „Wir sollten nicht nach Riverrun gehen”, erklärte sie plötzlich. Ihre Stimme war ein bisschen rau, doch glücklicherweise zitterte sie nicht. Der Hound hob den Kopf und musterte sie prüfend. „Mein Onkel kennt mich nicht, er wird Euch kein Lösegeld zahlen. Er wird Euch aufknüpfen und sich freuen, dass Ihr ihm einfach so in die Arme gelaufen seid.” Das Lachen des Houndes war scharf und verächtlich. „Er kann es ja gerne versuchen.” Monoton rieb der Schleifstein über die Klinge seines Schwertes, auf dem sich die Flammen orange und rot widerspiegelten. „Er wird mich nicht haben -” „Das hast du schon gesagt”, schnitt er ihr harsch das Wort ab. „Wenn es einen anderen Angehörigen gäbe, würde ich dich ihm mit Freuden andrehen. Aber der Blackfish ist nun mal der einzige, der noch übrig ist.” „Wir sollten nach Norden reiten. Zum Wall”, sagte sie fest. „Zu meinem Bruder. Der würde mich aufnehmen.” „Sieh an, die kleine Wölfin will der Nachtwache beitreten.” „Mein Bruder ist dort.” „Der Wall ist Tausende von Meilen entfernt”, knurrte der Hound. „Wir müssten uns durch die Freys durchkämpfen, und durch die Marshes, wo es von Untieren nur so wimmelt. Und selbst wenn wir es in den Norden schaffen würden; die Hälfte der Burgen ist in der Hand der Plünderer von den Eiseninseln.” Arya legte den Kopf schief und schaute ihm furchtlos ins Gesicht. „Habt Ihr Angst vor denen?”, fragte sie leise. „Habt Ihr Angst zu kämpfen?” Einen Moment lang dachte sie, er würde sie schlagen. Oder anschreien. Aber er senkte nur den Kopf und schliff weiter sein rostiges Schwert. „Ich habe keine Angst”, brummte er schließlich. „Es ist nur so, dass du und dein Bruder mir scheißegal seid. Zufällig habe ich nämlich auch einen Bruder.” Sie waren nun schon seit zwei Tagen unterwegs und Arya sprach noch immer kein Wort. Sie sattelte die Pferde schweigend auf und wieder ab, holte Wasser, aß und ritt, alles in brütender Stille. Manchmal konnte er sie leise etwas murmeln hören, kurz bevor sie einschlief. Nicht, dass er selber besonders gesprächig gewesen wäre, aber das Schweigen der kleinen Wölfin machte ihn nervös, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Sie war wütend, das konnte er an ihren Blicken sehen. Sandor sagte sich, dass es ihm nichts ausmachte, schließlich brauchte er keine Angst vor einer Zehnjährigen zu haben. Trotzdem war die Stimmung unangenehm. Ihnen begegnete niemand auf ihrem Weg nach Süden, denn er achtete darauf, von der Kingsroad fern zu bleiben und suchte sich stattdessen Wildwechsel und versteckte Pfade durch die Wälder, die die Ausläufer der Berge bedeckten. Je näher sie dem Trident kamen, desto lichter würden die Bäume werden, und desto schwieriger würde es werden, unentdeckt zu bleiben, das war ihm bewusst. Aber um dieses Problem würde er sich kümmern, wenn es so weit war. Zunächst einmal musste er diese Wälder durchqueren. Glücklicherweise hatte sich die Wolkendecke am Mittag des Tages nach ihrem Aufbruch aus Hillside angefangen zu lockern und aufzureißen. Inzwischen war der Himmel klar und sonnig. Dadurch konnten sie sich auf ihrem Weg am Stand der Sonne, und während der immer früher hereinbrechenden Nacht an den Sternen orientieren. Sandor spürte den Winter kommen. Nachts kroch einem die Kälte in die Knochen und morgens erwachte er steif und ausgekühlt. Auch die niedrig stehende Sonne wärmte nicht mehr so, wie sie es noch vor einigen Wochen getan hatte. Das Mädchen litt ebenfalls unter der Kälte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie keinen wärmenden Umhang, den sie um sich ziehen konnte, wenn der Wind durch die Blätter rauschte. Es würde schlimmer werden, wenn die Wälder sie nicht mehr schützten, und die kalte Luft, die vom Meer den Trident hinaufwehte, sie umgab. Obwohl der Hound wie alle Menschen den Winter fürchtete, musste er doch zugeben, dass er die Kälte der Hitze vorzog. Im Sommer brannten und zogen seine Narben im Gesicht, während der Winter sie taub und gefühllos werden ließ. Vielleicht kam seine Abneigung gegen die Hitze auch von seiner Angst vor dem Feuer, aber so genau wollte er darüber nicht nachdenken. Es reichte, dass er, wann immer er an Gregor dachte, immer noch die lodernden Flammen auf seinem Gesicht spürte und ihm seine eigenen Schreie in den Ohren hallten. Seit diesem Tag war das Feuer sein persönlicher Feind, sein schattenhafter Begleiter der Angst. Er verstand die Besessenheit mancher Leute mit dem Feuer nicht. Seine Nackenhaare stellten sich auf, wenn ihm die Nacht in King's Landing in den Sinn kam, als Stannis angegriffen hatte und der Zwerg die Stadt in Brand gesetzt hatte. Gegen Feuer war man machtlos. Das hatte am Ende auch Dondarrion einsehen müssen, den das Feuer sechs Mal gerettet hatte, nur um ihn dann beim siebten Mal zu verlassen. Feuer ist kein sicherer Verbündeter. Und jetzt also Lady Stoneheart... Er hatte nicht einmal einen Ansatzpunkt, wo er nach ihr suchen sollte, geschweige denn, wie er sie finden und zur Strecke bringen sollte. Das zur Strecke bringen würde vermutlich der einfachste Part sein. Auch wenn sie sich mit den stärksten Banditen umgab, waren es doch letztendlich nur Banditen und für einen ausgebildeten Kämpfer wie Sandor Clegane keine ernsthafte Gefahr. „Sie müsste sich irgendwo in der Nähe des Trident aufhalten”, hatte Dennett ihm gesagt, doch der Trident war lang und spaltete sich am Ende in drei Arme. Eine einzelne Person zu finden, die auch noch alles tat, um nicht gefunden zu werden, war, als suche man eine Stecknadel in einem Heuhaufen. Aussichtslos. Und noch dazu lief ihm die Zeit davon. Dennett hatte ihm versprochen in Saltpans zu warten. Einen Monat, nicht länger. Dann würde er nach King's Landing aufbrechen, wo er angeblich Familie hatte, und wo Gregor auf ihn warten würde. Die Hände des Hounds krallten sich in einer plötzlichen, krampfhaften Bewegung um Strangers Zügel. Gregor ... Er stellte sich vor, wie er sein Schwert in seine Brust stieß. Er musste Lady Stoneheart finden. Selbst die winzige Chance, die Dennett ihm geboten hatte, war besser als ziellos in den Riverlands herumzuirren und darauf zu hoffen, seinem Bruder durch puren Zufall zu begegnen. Und selbst dann war sein Sieg keine Gewissheit. Gregor war nach allen Maßstäben ein Hüne mit der Kraft und Ausdauer eines Bären. Und bei ihrem Kampf beim Tournier zu Ehren von Ned Stark hatte er Sandor ganz schön zugesetzt. Wenn Dennet also wirklich so viel wusste, wie er vorgab, dann wäre dies eine einmalige Gelegenheit. Doch leider stand Lady Stoneheart zwischen ihm und seinem Bruder. Irgendwie musste er mit der Suche nach ihr anfangen, und zwar möglichst bald. Aber ohne einen Anhaltspunkt, konnte er monatelang umherwandern, ohne einen Outlaw auch nur von Weitem zu sehen. Sein eigener Bruder konnte davon ein Lied singen, auch er hatte Dondarrion lange gesucht und nur herausgelockt, indem er ihn an seiner sinnlosen Ehre packte. Das Ehrgefühl war Dondarrions Schwäche gewesen, das hatte er selber auch sofort erkannt. Aber Lady Stoneheart kannte er nicht, und auch Dennett hatte wenig nützliche Information über sie beisteuern können. Nur ihre Rachsucht. Und gegen wen die sich richtete war bisher ein Rätsel. Irgendwelche Riverlords, das hatte Dennett ihm verraten. Wenn dieser Idiot wenigsten länger bei der Gruppe geblieben wäre, dachte Sandor unleidlich, dann hätte er wenigstens etwas über sie gewusst. Dennetts Hinweise über den Verbleib von Lady Stoneheart waren ungefähr so rostig, wie das Langschwert, das er ihm für seine Mission gegeben hatte. Sein eigenes Schwert hatte der Hound vor den Zwillingen verloren, lediglich die Axt eines Soldaten hatte er behalten können. Langsam kamen ihm jedoch Zweifel, ob diese Axt nicht die bessere Wahl für die Mission gewesen war. Doch in Hillside, hatte der Griff des Schwertes sich vertraut und gut in seiner Hand angefühlt. Erneut schüttelte er den Kopf. Welche Waffe er bei sich trug, war im Moment unwichtig, solange die Person, gegen die er sie anwenden sollte, noch nicht gefunden war. Und bisher sah es damit nicht sonderlich vielversprechend aus. Zwischen den Bäumen tauchte ein kleiner Fluss auf, nicht mehr als ein Bach eigentlich, aber um einige Fuß angeschwollen durch die Regenfälle der letzten Wochen. Sandor drehte sich nach Arya um und wartete, bis sie aufgeschlossen hatte. Sie ritt immer ein Stück hinter ihm und manchmal fragte er sich, warum sie sich nicht einfach aus dem Staub machte. Er würde sich nicht die Mühe machen, sie zu verfolgen. Aber seit dem, was bei den Zwillingen passiert war, war es, als ob eine innere Flamme in ihr erloschen war. Sie war fügsamer als zuvor. Und auch das machte ihm Sorgen. „Beeil dich ein bisschen!”, knurrte er ungeduldig. Er hatte ein zügiges Tempo vorgelegt, da er den Trident möglichst schnell erreichen wollte, und die kleine Verzögerung begann ihn wütend zu machen, vor allem weil Arya in seiner Sache absolut keine Hilfe war. „Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.” Sie trabte heran, und kam neben ihm zum Stehen. „Da können Steine im Flussbett liegen, wir sollten besser absteigen”, murmelte er und schwang sich aus dem Sattel. Sie tat es ihm nach. Das Wasser war tiefer, als er zunächst vermutet hatte und begann ihm in die Stiefel zu laufen, bevor er den Fluss zur Hälfte durchquert hatte. Unter seinen Sohlen konnte er große Steine spüren. Vorsichtig setzte er seine Schritte, um nicht zu stolpern. Als er das andere Ufer erreichte, waren seine Füße pitschnass. Stranger kletterte hinter ihm an Land und schüttelte sich. Tropfen spritzten in alle Richtungen und glitzerten in der Mittagssonne. Arya war es schlechter ergangen als ihm, da sie ein gutes Stück kleiner war. Ihr stieg das Wasser beinahe bis zur Brust, aber sie watete tapfer weiter, ohne sich zu beklagen. Fast wünschte Sandor sich, sie hätte ihn angefaucht und ihm den Mord an ihrem Freund vorgehalten. Michael? Micha? Er hatte den Namen schon wieder vergessen. Er konnte sich noch gut erinnern, wie sie damals nach dem Prozess von Dondarrion auf ihn losgegangen war. Wie eine wütende, kleine Wölfin. Es war ihm schon mehrmals in den Sinn gekommen, sie nach ihrer Zeit bei der Bruderschaft zu fragen und jetzt schien die Gelegenheit günstig. Vielleicht hatte sie ja einen nützlichen Hinweis für ihn, auch wenn er es nicht glaubte. „Wie habt ihr eigentlich damals Dondarrion gefunden?”, fragte er beiläufig, während sie sich mühsam ans Ufer zog. „Als dich seine Handlanger zu ihm gebracht haben.” Sie sah ihn mit einem bösen Blick an, aber in ihren Augenwinkeln konnte er Verzweiflung sehen. Sie ist eben trotz allem noch ein kleines Kind. „Lem und Tom kannten seine Leute. Sie sind seiner Spur gefolgt.” „Was für Leute?” Ihre Augen funkelten. „Das geht Euch nichts an.” „Woher wussten diese Leute, wo er war?” „Sie wussten es nicht, niemand wusste es. Lem meinte, dass der Lightning Lord irgendwann uns finden würde. Und das hat er.” Sie schwieg trotzig und schaute auf ihre Hände, in denen sie die Zügel hielt. „Warum wollt Ihr das wissen?” „Vergiss es. Das geht dich nichts an.” Sie wusste genau so wenig wie er. Er saß auf und machte sich auf in Richtung Süden. Nach einigen bangen Augenblicken konnte er den Hufschlag ihrer Stute hinter sich hören, die ihm verrieten, dass sie ihm folgte. Den Rest des Tages ritten sie in Schweigen. Vielleicht findet Lady Stoneheart ja auch uns, dachte er. Der Mann hatte überhaupt keine Chance. Obwohl er alleine unterwegs war, hatten sowohl Arya als auch der Hound ihn gehört. Er bewegte sich nicht mit der Sicherheit eines Ortsansässigen durch die Wälder. Unter seinen Füßen knackten Zweige und raschelten Blätter. Selbst sein Atmen war laut. Wortlos sahen sich die beiden ungleichen Gefährten an, bevor erst Clegane und dann Arya absaß. Der Hound drückte ihr Strangers Zügel in die Hand. Dann zog er sein langes Schwert und gab ihr ein Zeichen, dass sie die Pferde anbinden sollte. Beinahe lautlos machte er sich dann durch die Bäume davon. Das durch die Blätter fallende Sonnenlicht spiegelte sich auf seiner blanken Klinge. Arya wartete, bis er verschwunden war, bevor sie Stranger und Craven an einem Ast festband und ihm folgte. Schließlich hatte er ihr nicht zu verstehen gegeben, sie solle hier auf ihn warten. Es war nicht schwer auszumachen, wo er sich gerade befand. Denn obwohl er wesentlich leiser als der Fremde war, verfügte er doch nicht über Syrios oder ihre Leichtfüßigkeit. Er war ja auch nie still wie ein Schatten gewesen und hatte Katzen und Tauben in den Straßen von King’s Landing gefangen. Der Mann stand auf einer Lichtung und untersuchte einen stacheligen Strauch. Vermutlich suchte er nach Beeren, oder er legte eine Falle aus. In jedem Fall hatte er abgesehen von einem langen Jagdmesser weder Waffen bei sich, noch trug er ein Kettenhemd oder lederne Schutzkleidung. Arya kroch neben den Hund, der lauernd im Gebüsch hockte, schaute zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. Es handelte sich nicht um einen Soldaten, und er hatte sie nicht gesehen. Er stellte keine Gefahr für sie dar. Doch der Hound beachtete sie gar nicht. Auf der kleinen Lichtung bückte der Mann sich, um irgendetwas vom Boden aufzulesen. Mit einer Schnelligkeit, die Arya dem Hound gar nicht zugetraut hätte, sprang er hervor und versuchte den Mann mit seinem Schwert gegen einen Baum zu drängen. Der jedoch hatte ihn gehört, fuhr herum und blockierte den Streich mit seinem Messer, das gar kein Jagdmesser war, sondern ein Dolch mit erstaunlich edler Klinge. Trotzdem ließ ihn die Wucht des Aufpralls der Klingen in die Knie gehen und einen Schritt rückwärts taumeln, sodass der Hound ein weiteres Mal angreifen konnte. Diesmal zielte er einen Schlag auf seine Beine, dem der Mann allerdings wieder entgehen konnte, indem er einen seltsam tänzerischen Schritt zur Seite und über die Klinge hinweg machte. Ungeachtet der beiden Kämpfenden pirschte Arya sich durch das Unterholz und schlug einen Kreis, den Dolch in der Hand. Wenn sie es schaffte, hinter den Fremden zu kommen, konnte sie ihn überraschen. Fluchend holte der Hound ein drittes Mal aus. Sein großes Schwert war nicht für schnelle Angriffe gemacht, da es schwer und klobig in seiner Hand lag. Nur aufgrund seiner ungewöhnlichen Kraft konnte er es überhaupt mit einer Hand führen. Als der Mann sah, dass der Hound sein Schwert hob, wirbelte er auf dem Absatz herum und versuchte davonzulaufen. Leider hatte er nicht mit Arya gerechnet, die pfeilschnell hinter einem Baumstamm hervorschoss und ihr ganzes Gewicht gegen den Mann warf, während sie ihren Dolch in das weiche Fleisch seines Oberschenkels bohrte. Wäre der Hound ihm nicht so dicht auf den Fersen gewesen, wäre ihre Anstrengung wohl umsonst gewesen, denn trotz der Verletzung war der Mann immer noch um einiges stärker als sie, aber so packte er den Mann am Oberarm und drehte ihn ihm auf den Rücken, sodass das Messer aus seiner Hand fiel. „Was wollt Ihr von mir?”, rief der Mann. Er hatte einen dornischen Akzent und seine schwarzen Haare und Bart und die dunkle Haut ließen ebenfalls auf eine südländische Herkunft schließen. Deshalb hatte er sich so schlecht im Wald zurechtgefunden. „Was macht ein Dornishmann in den Riverlands?”, fragte der Hound, ohne seinen Gefangenen loszulassen. „Und wo habt Ihr so kämpfen gelernt?” „Es ist keine Schande, sich gegen Angriffe zu verteidigen!” „Welchem Herren dient Ihr?” „Ich diene niemandem außer mir selber.” „Lügner!” Der Dornishmann stöhnte vor Schmerz auf, als der Hound seinen Arm einen Stück nach oben riss. „Welchem Herren dient Ihr?” „Nieman- Aaaaaah!“ Das Knacken, das dem Schrei vorausgegangen war, erinnerte Arya an ihre Zeit bei Gregor Cleganes Schergen. Gegen Ende des Verhörs hatten die Knochen der Opfer des Ticklers auch immer so geknackt. Und ebenso wie jetzt der Dornishmann, hatten auch die Opfer damals geschrieben. Seine Schreie gingen Arya durch Mark und Bein. Gibt es Gold im Dorf? „Welchem Herren dient Ihr?”, wiederholte der Hound stoisch seine Frage. Sie hätte ihn am liebsten angeschrien; dass der Gefangene es nicht wusste, dass er doch nichts dafür konnte. Doch da antwortete der Mann schwach: „Ich gehöre zur Bruderschaft ohne Banner.” „Ein Bandit. Dacht ich’s mir doch.” Ein furchtbares Grinsen zierte Cleganes entstelltes Gesicht. Er ließ den Arm, den er dem anderen bis eben auf den Rücken gedreht hatte, los und packte den anderen. Mit großen Augen starrte Arya auf den seltsam abstehenden Arm des Opfers und schluckte. „Nun solltet Ihr ja wissen, dass Ihr meine Fragen besser beantworten solltet. Wo ist Lady Stoneheart?” Der Bandit zitterte. Unter seinem Bart war er noch ziemlich jung. Ungefähr so alt wie Theon. „Ich weiß es nicht.” Als der Hound seinen Arm weiter verdrehte schrie er noch einmal: „Ich weiß es wirklich nicht!” „Du bist nicht alleine hier. Wo sind deine Gefährten?” Der Dornischmann schwieg. Es knackte noch einmal. Ein weiterer Schrei. „Östlich von hier ... ein Aussichtsturm ... ein aaaahh...” Unter der Herrschaft von Dunsen, und Raff und Polliver hatte Arya viele Männer weinen sehen. Sie sagte sich, dass das hier nichts anderes war. „Wo ist Lady Stoneheart?” Wo ist Beric Dondarrion? „Hört auf!” Die Worte hatten ihren Mund verlassen, bevor sie sich dessen überhaupt bewusst geworden war. Beide, der Hound und der Bandit sahen sie an. Der eine wütend, der andere schmerzerfüllt und flehend. „Hört auf! Er weiß es doch nicht!” „Vielleicht fällt es ihm ja ein”, brummte der Hound. „Er hat ja noch zwei Beine.” „Nein! Bitte ...” Der Bandit schluchzte. „Meine Gefährten ... sie ... bei ihnen ist einer, der kennt die Lady persönlich. Er ... er ist ihr Liebhaber. Er weiß wo sie zu finden ist.” „Sagt Ihr das auch noch, wenn ich Euch ein Bein breche?” „Ja! Bitte! Ich habe Euch alles gesagt! Bitte lasst mich gehen!” Der Hound dachte einen Moment nach, während der Dornishmann schluchzte und flehte. Schließlich ließ er ihn los. Der Mann fiel vornüber auf die Knie. „Wölfin!”, knurrte der Hound und fixierte Arya. „Geh und hol die Pferde. Und dann wirst du überprüfen, ob unser Freund hier die Wahrheit gesagt hat.” „Ich schwöre es! Möge der Vater mich richten! Ich schwöre es!”, wimmerte der Mann am Boden. Zögerlich verschwand Arya zwischen den Bäumen. Als sie wiederkam lag der Bandit in einer Blutlache und der Hound wischte sein Schwert an einem dichten Grasbüschel ab. Craven scheute bei dem Geruch von Blut und zerrte an ihrem Zügel. Wortlos starrte Arya auf den Banditen mit den verrenkten Armen. „Warum habt Ihr ihn umgebracht?” Der Hound gab ein kurzes, freudloses Lachen von sich. „Soll er zu seinen Freunden zurück rennen?” „Er hat Euch alles gesagt, was er wusste!” Sie blinzelte heftig, weil sie das Gefühl hatte, dass Tränen hinter ihren Lidern aufstiegen. „Und deshalb hat er mir nichts mehr genützt.” Er begutachtete seine Klinge, die wieder sauber war und matt schimmerte, steckte sie zurück in die Scheide und ging zu ihr hinüber, um ihr Strangers Zügel abzunehmen. „Das ist der Lauf der Dinge.” „Das ist grausam!“ „Na und? Ich weiß, was ich wissen muss.“ „Ihr ... Ihr seid wie Euer Bruder!” Diesmal schlug er sie. Der Schlag war so heftig, dass sie zu Boden fiel. Ihre Wange brannte. „Sag das nie wieder, Wölfin.” Ohne sie anzusehen, zäumte er Stranger ab und nahm ein paar Sachen aus den Satteltaschen. Während er sein Pferd versorgte und danach eine Scheibe Brot und Trockenfleisch aß, blieb sie wortlos am Boden sitzen. Sie weinte nicht, und sie hielt sich nicht ihre Wange, obwohl sie furchtbar pochte. Wenn ich doch nur Needle hätte. Dann würde ich ihn umbringen, so wie er es mit Mycah gemacht hat. Als das Licht abnahm erhob sie sich schließlich, um sich um Craven zu kümmern. Der Hound tat so, als existiere sie nicht. Der Körper des Dornishmannes lag auf dem Boden und blutete. „Wer ist Lady Stoneheart?” „Sie führt die Bruderschaft ohne Banner an.” Erstaunt hob sie die Augenbrauen, sah jedoch nicht von Cravens Steigbügeln auf, die sie gerade am Sattel festschnürte. „Was ist mit Lord Beric?” „Tot.” Der Hound spuckte ein Stück Knorpel aus. Beric Dondarrion hatte sie zu Robb und Mutter bringen wollen. Sie spürte einen leichten Stich in ihrer Brust. „Warum wollt Ihr wissen, wo Lady Stoneheart ist?” Die Frage hing in der milden Abendluft zwischen ihnen. Stur kaute der Hound auf einem Stück Fleisch, ohne zu antworten. Sie schloss kurz die Augen. „Ihr wollt Euch den Banditen anschließen.” Unvermittelt prustete der Hound los. „Und gerade als ich dachte, du seist nicht so naiv, wie deine Schwester.” „Was wollt Ihr dann?”, fragte sie und drehte sich doch zu ihm um. „Ich dachte Ihr wolltet mich nach Riverrun bringen.” „Die Pläne haben sich geändert. Wenn ich Lady Stoneheart finde und erledige, bekomme ich mehr, als ich für dich je kriegen könnte. Aber erst mal muss ich sie finden.” „Wer zahlt so viel dafür, dass Ihr sie umbringt?” „Das geht dich nichts an, Wölfin”, erwiderte er mürrisch. „Aber wenn du mir hilfst, dann sorge ich dafür, dass du deinen Bruder bei der Nachtwache wieder siehst.” „Woher weiß ich, dass Ihr nicht lügt?” „Weil ich dich bis hierher mitgeschleppt habe. Sollte genug sein.” Sie war sich sicher, dass er log, hatte er doch selber gesagt, dass ihn ihr Schicksal und das ihres Bruders nicht die Bohne interessierte. Aber es war eine Hoffnung, ein Strohhalm, an den man sich klammern konnte. Und Hoffnung war etwas, das sie bitter nötig hatte. Unmerklich nickte sie, ohne ihn anzusehen. Aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung war und lachte trocken. „Gute Entscheidung, Wölfin. Osten ist da, wo die Sonne grade nicht untergeht.” Die Kingsroad schlängelte sich durch das hügelige Land, links und rechts gesäumt von Wiesen und Feldern, die zerstört oder abgeerntet waren. Je weiter er nach Norden kam, desto mehr Reisende begegneten ihm. Es waren hauptsächlich Soldaten, die von den Zwillingen kamen oder sie zum Ziel hatten. Dazwischen befanden sich auch Gruppen der Soldaten der Bannermänner von Lord Tywin. Bauern und andere ‚kleine Leute’ waren auch ab und zu zu sehen. Sie brachten Erträge und Nahrungsmitteln von einem Ort zum anderen. Selten begegnete man einem Händler mit vollbeladenem Wagen. Auf seinem Weg von Saltpans zur Kingsroad hatte er viele Bäuerinnen und Fischersfrauen getroffen, die ihm manchmal etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf angeboten hatten. Das waren die Vorteile, wenn man ein wandernder Mönch war. Einmal waren mitten in der Nacht Soldaten durch das Dorf geritten, in dem er übernachtete. Die Bewohner hatten ihre Türen verriegelt und sich in Kellern versteckt. Als er gefragt hatte, zu welcher Gruppe die Soldaten gehörten, hatte eine Greisin ihm geantwortet „Das spielt keine Rolle. Soldaten sind gefährlich, egal welchem Lord sie unterstehen.” Die Sonne stand tief im Südwesten und warf einen langen Schatten vor ihm auf die unebene Straße. Mit seiner freien Hand strich er sich die dunklen, widerspenstigen Haare aus dem Gesicht, als er den Kopf hob, um zu erkennen, was vor ihm lag. Es war später Nachmittag. Nicht mehr lange und es würde dunkel werden. Er hatte gehofft, er würde entlang der Straße die eine oder andere Ortschaft finden, die er noch von früher kannte, doch die meisten Dörfer waren nur noch verkohlte Ruinen. Das waren die Folgen des Krieges. Hier an der Kingsroad, wo die Streitkräfte durchgezogen waren, hatte es kein Entkommen für die Bauern gegeben. Wer die mordenden und brandschatzenden Soldaten überlebt hatte, war ins Landesinnere geflohen. In die Berge, die Wälder oder an die Küste. Jetzt lebten auf der großen Straße, die Westeros von Norden nach Süden durchquerte nur noch Reisende wie er. William stellte sich darauf ein, eine weiter Nacht in einem dichten Gestrüpp zu verbringen. Glücklicherweise hatte er noch genug Vorräte, die auf den Rücken seines Esels geschnallt waren. Das Tier hatte ihm treue Dienste geleistet und trottete auch jetzt unermüdlich an einem Strick hinter ihm her. Immerhin gibt es hier draußen keine Flöhe, versuchte er sich aufzuheitern. Die gestrige Nacht hatte er in einer Herberge verbracht, die an der Schnittstelle zwischen der Kingsroad und der Riverroad lag. Das ‚Crossroads Inn’ war den meisten Reisenden ein Begriff, einerseits wegen seiner günstigen Lage an der Kreuzung der beiden wichtigen Straßen und andererseits wegen seiner beachtlichen Größe. Auf wundersame Weise hatte die Gaststätte den Krieg überlebt und war noch in Betrieb. William hatte sich ein Bett genommen und einen Stallplatz für seinen Esel dazu. Die Entscheidung dort zu übernachten, war nicht nur der reinen Bequemlichkeit zuzuschreiben. Raststätten waren voll von Gerüchten und Informationen, wenn man nur die Geduld hatte, zu lauschen. Und gestern war der Schankraum zum Bersten gefüllt gewesen mit Soldaten und Reisenden, die sich die Zeit mit Gerede, Saufen und Spielen vertrieben. William war zu Beginn seiner Reise von seinem Schweigegelübde losgesprochen worden, weshalb es ihm erlaubt war, Fragen zu stellen. Zunächst hatte er sich jedoch mit einem Stück Brot und einer heißen Wurst, aus der das Fett tropfte, und einem Becher Wasser an den Tresen gesetzt und zugehört. Da gab es Soldaten, die zu Roose Bolton gehörten und unterwegs nach Norden waren. Sie klagten über die Kälte, die sie im Winter dort erwarten würde und dass sie viel lieber im warmen Süden geblieben wären. Daneben saßen mehrere Männer, die an den zwei grauen Türmen vor blauem Grund auf ihrem Wams als Freys zu erkennen waren. Außerdem eine ganze Menge Reisender. Ein Sänger mit Harfe und ausgeblichenem, roten Umhang saß direkt am Feuer und spielte “The Bear And The Maiden Fair” und “When Willum’s Wife Was Wet” und andere Lieder, die ihm von den Leuten zugerufen wurden. Als der Abend voranschritt wurde die Stimmung immer ausgelassener. Die Lieder des Sängers wurden mitgegrölt, und wenn der Mann so tat als wollte er aufstehen und seine Vorstellung beenden, brüllten alle, er solle bleiben und gaben ihm ein weiteres Getränk aus. Ale und Met floss in rauen Mengen und die Tochter und Frau des Wirtes liefen, so schnell sie ihre dicken Beine trugen, um die Gäste mit allem zu versorgen, was sie verlangten. Gegen Mitternacht trat auch der Wirt aus dem Hinterzimmer und sah sich mit zufriedenem Gesicht unter den Männern um, die seinen Ale tranken und seine Speisen aßen. „Der Sänger, dieser Wendel, der ist eine wahre Goldgrube”, sagte er zu seiner Frau, als diese gerade sieben leere Krüge hinter den Tresen schaffte. „Es war klug von dir, ihm das Zimmer umsonst zu geben”, stimmte seine Frau ihm zu. Ihre Wangen waren gerötet von der Anstrengung des Laufens und sie schnaufte schwer. „Sie trinken mehr als vorher.” „Und sie zahlen mehr als vorher”, stimmte er ihr zu. „Wir haben mehr eingenommen, als während des gesamten, verdammten Krieges.” William trank einen Schluck Wasser und lächelte. Als der Sänger schließlich, nach weiteren eineinhalb Stunden Musik und mehreren Krügen Ale die Töne nicht mehr richtig traf, stand er endgültig auf, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Schnell erhob sich auch William und bahnte sich einen Weg durch die Trinker. Es waren immer noch eine Menge Menschen im Schankraum, obwohl im Laufe der Nacht viele gegangen waren. Trotzdem war es nicht einfach, dem Sänger, der wohlweißlich neben der Tür zur Treppe ins Obergeschoss gesessen hatte, zu folgen. Glücklicherweise verbeugte sich der Mann noch einige Male schwungvoll, wobei sein farbiger Umhang sich hinter ihm aufbauschte. Als der Sänger dann endlich den Schankraum verließ, drängte sich William zwischen zwei muskulösen Soldaten mit einer silbernen Sonne auf dem schwarzen Wams hindurch und hastete hinter ihm her. Der Sänger war die quietschende Treppe bereits zur Hälfte hinaus, als Will die Tür hinter sich schloss und, zwei Stufen auf einmal nehmend, zu ihm aufschloss. „Entschuldigt bitte, Wendel”, keuchte er. Im Gegensatz zu Will hatte der Sänger mehr als genug Alkohol im Blut und war ziemlich betrunken. In der Linken hielt er seine Harfe und mit der Rechten stützte er sich an der Wand ab, als er sich schwerfällig zu dem jungen Mönch umwandte. „Was is'?” „Ich ... “ Will dachte an die kluge Verschlagenheit, die er als kleiner Junge so oft angewendet hatte, wenn er mit den Ehefrauen reicher Kaufleute verhandelt hatte. „Ihr habt sehr gut gespielt, heute Abend. Ich hätte niemals gedacht, ein solches Talent wie Euch hier zu treffen.” Vielleicht hatte er etwas zu dick aufgetragen, doch man sah Wendel an, dass er geschmeichelt war. Trotzdem brummte er: „Und was weiß ein Mönch über Musik?” „Nicht so viel wie Ihr, natürlich”, schnurrte Will und lächelte schmeichelhaft. „Aber auch ein Unwissender kann gutes Spiel von schlechtem unterscheiden.” „Da mögt Ihr Recht haben.” Wendel stieß sich von der Wand ab und wandte sich wieder dem drohenden Anstieg der Treppe zu. „Danke für Eure freundlichen Worte. Aber jetzt werde ich mich ....” Er stolperte über eine Stufe und hätte beinahe seine Harfe fallen gelassen. Schnell drängte sich Will neben ihn, und legte sich seinen Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. „Bitte erlaubt mir, Euch zu helfen.” Wendel grummelte irgendetwas Unverständliches. Sie erklommen einige Stufen, wobei Will den Sänger mehr trug, als stützte. Zum Glück war er von der Arbeit auf der Stillen Insel und dem nahrhaften Essen dort kräftig geworden, sodass er die relativ geringe Masse des dünnen Sängers problemlos halten konnte. „Ich habe gehört”, setzte er nach ein paar Schritten abermals an, „dass Ihr schon eine Weile hier seid.” „Hmmjaah”, lallte der Sänger. “Das ist richtig.” „Ich dachte vielleicht ... ich suche meine Schwester, wisst Ihr? Ein Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren mit langen, roten Haaren und blauen Augen. Vermutlich in Begleitung einer Spielmannstruppe. Sie ist nicht zufällig hier vorbeigekommen?” „Rote Haare sagst du?” Es wurde zunehmend schwerer, Wendel zu verstehen. „Ja. Ungefähr dreizehn. Eine hübsche, junge Maid.” „Nun, das wird sie nicht lange bleiben, wenn se hier unterwegs is’”, brummte der Sänger. „Dann habt Ihr sie also nicht gesehen?” Will war enttäuscht. „Rote Haare?”, fragte Wendel noch mal. „Ja, genau. Mitglied einer Gruppe Gaukler.“ „Da war ein Mädchen hier. Is’ schon etwas her, vielleicht eine Woche. Hatte fünf Kerle dabei. Hübsches Ding. Hätte besser beim alten Wendel bleiben sollen.” Aufgeregt sah Will ihn an. „Seid Ihr Euch sicher?” Wendel lallte irgendwas, das Will nicht verstehen konnte. „Wo ... wohin war sie unterwegs?” „Nach Norden wollten sie. Zur Hochzeit von irgendeinem reichen Schnösel.“ Will wollte noch eine weitere Frage stellen, doch der Sänger löste sich von ihm. „Das's mein Zimmer”, murmelte er und stieß die dünne Holztür auf. „Viel Glück, Junge.” Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und Will hörte ein dumpfes Poltern, das entweder die zu Boden gefallenen Harfe war, oder bedeutete, dass der Sänger sein Bett verfehlt hatte. Sansa Stark war also am ‚Crossroads Inn’ vorbeigekommen und war tatsächlich mit Gauklern unterwegs, wie der Altbruder gesagt hatte. Das bedeutete, dass er auf dem richtigen Weg war. Natürlich, ob ein betrunkener Sänger die beste Informationsquelle war, war zu bezweifeln. Doch er hatte sich an die Haarfarbe des Mädchens erinnert und an das Ziel der Gruppe. Außerdem hatte Will die Erfahrung gemacht, dass betrunkene Männer öfter die Wahrheit sagten, als nüchterne. In Gedanken noch immer bei der vorigen Nacht, klopfte er seinem Esel abwesend den Hals, während ihn seine Füße automatisch weitertrugen. Wenn Wendel sich richtig erinnert hatte, waren Sansa und ihre Begleiter ihm ein gutes Stück voraus. Aber er würde sie einholen. Er schlief wenig und marschierte zügig. Er würde sie einholen, und dann würde er sie auf die Stille Insel bringen. Als der Mond schon aufgegangen war, lief er immer noch schnellen Schrittes am Rand der Straße. Auch ohne Laterne sahen seine Augen ausreichend und er hatte in den letzten Nächten genug geschlafen. Jetzt kam es auf jede Meile an. Die Blätter an den Bäumen hatten das helle, strahlende Grün des Sommers verloren. Sie kleideten sich jetzt in eine mattere, müdere Schattierung, die dunkler war, und an einigen Stellen bereits Gelb und Braun durchscheinen ließ. Trotzdem waren noch nicht viele Blätter gefallen, sodass Arya in den Baumkronen sitzend gut geschützt war. Ihre grauen Augen lugten wach aus dem Blätterdickicht hervor. Wie die Kinder des Waldes, dachte sie. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. Es tat gut, sich wieder still wie ein Schatten durch den Wald zu bewegen, die Blätter unter ihren nackten Füßen und das Rauschenden der schützenden Baumkronen über ihrem Kopf. Der friedliche Abend ließ sie den Grund ihrer Erkundungstour vergessen. Trotzdem hörte sie immer noch das Knacken der Knochen und die Schreie des Dornishmannes. Sie war froh, gerade nicht beim Hound sein zu müssen. Lange hatte es nicht gedauert, bis sie die Ruine des Aussichtsturmes zwischen den Ästen erspäht hatte. Das Dach und große Teile der oberen Stockwerke waren eingestürzt, doch unten stand die Mauer noch, und bot Schutz selbst für einen ungewöhnlich großen, aufrecht stehenden Mann. Was an Mauerwerk noch übrig war, war schwarz und verkohlt. Wo sie jetzt direkt gegenüber vom Turm in den Bäumen saß, konnte sie im Herbstwind ganz leicht den verbrannten Geruch wahrnehmen. Der Turm und die Handvoll Häuser, die an seinem Fuß angesiedelt waren, konnten noch nicht lange zerstört sein, waren vermutlich brandschanzenden Soldaten zum Opfer gefallen. Aufmerksam spähte sie um sich und lauschte. Die Sonne ging unter und tauchte ihre Umgebung in ein rötliches Licht. Ein Käuzchen rief, um den Beginn der Nacht anzukündigen, und Eichhörnchen raschelten im Geäst. Ansonsten war alles ruhig. Niemand war zu sehen. Wenn sich hier tatsächlich die Banditen aufhielten, so verbarg sie die Mauer des Turms. Sie wollte sich gerade am Stamm hinab gleiten lassen, um näher heran zu pirschen, als plötzlich ein hochgewachsener Mann hinter einer halb eingefallenen Außenwand des Turmes hervor trat. Seine Kleider waren zerlumpt und abgerissen, doch an seiner Hüfte hing ein großer Hammer, dessen schwerer Kopf an sein Knie schlug, wenn er sich bewegte. Er war bärtig und lange, verfilzte Haare fielen auf seine Schultern. Gegen die Kälte der Nacht trug er einen dunkelgrauen Umhang, dessen Rand mit Pelz besetzt war. Arya sank langsam auf den Ast , auf dem sie kauerte, zurück. Sieh mit deinen Augen. Der Mann war zwar groß, muskulös, aber er war auch abgemagert und blass. Er trug kein Kettenhemd, sondern lediglich einen ledernen Wams, der ihn kaum vor ernsthaften Angriffen schützen würde. Außerdem war weder auf seinem Umhang, noch auf seiner Brust irgendein Wappen aufgestickt. Trotz seines Streithammers konnte er also kein Soldat sein. Von seiner Aufmachung her ähnelte er dem dornischen Banditen, den sie im Wald getroffen hatten. Es musste also einer seiner Kumpane sein. Der Mann drehte sich um und rief etwas in das Innere des ausgebrannten Turmes hinein, allerdings zu leise, als dass sie es hätte verstehen können. Ebenso leise tönte eine Antwort hervor, eine zweite Männerstimme. Der erste Mann ging wieder hinein. Die Dunkelheit griff um sich, und bald konnte Arya ganz sacht den Feuerschein ausmachen, der auf den Innenwänden des Turmes tanzte. Sie ließ sich den Stamm hinabgleiten und landete leicht und lautlos auf ihren nackten Fußballen. Dann begann sie ihren Weg zum Turm. Der Hound hatte sich dagegen entschieden, ein Feuer zu machen, da er nicht gesehen werden wollte. Es war ziemlich dunkel geworden und der Wald begann in nächtlichen Stimmen zu wispern. Sein Magen knurrte und rumpelte, obwohl er vorhin etwas gegessen hatte. Jetzt, wo Arya weg war, konnte er auch nicht jagen gehen. Die Pferde und seine Sachen alleine zu lassen, war sicher keine gute Idee. Je weiter der Abend voranschritt, desto mehr fragte er sich, ob es wirklich richtig gewesen war, die Wölfin alleine loszuschicken. Er wusste, dass sie beunruhigend leise sein konnte, wenn sie wollte. Und um Leute zu belauschen war sie sicher die bessere Wahl als er. Egal wie sehr er trainiert hatte, er war eben groß und kräftig und konnte sich in einem Wald mit raschelnden Blättern und knackenden Zweigen unter seinen Stiefeln nicht so leise bewegen, wie ein schmächtiges Mädchen. Aber sie war nun schon sehr lange fort. Hatte seine Befragung des Banditen sie etwa so aufgebracht? Wenn er ehrlich war, war er ziemlich überrascht gewesen, dass sie ihn derartig angefahren hatte. Sonst war sie auch nicht so zimperlich, wenn es um berechtigte Gewalt ging. Und er hatte schließlich sichergehen müssen, dass der Dornishman die Wahrheit sagte. Nahm sie es ihm vielleicht übel, dass er sie geschlagen hatte? Oder war sie enttäuscht, weil er sie nicht nach Riverrun bringen würde? Das konnte eigentlich nicht sein, denn sie selber war es ja gewesen, die ihn daran erinnert hatte, dass Brynden Tully sie weder kannte, noch bereit sein würde, irgendeinen Preis für sie zu bezahlen. Indem er beide Pferde bei sich behalten hatte, war der Hound eigentlich sicher gewesen, dass sie nicht weglaufen würde. Ohne Pferd, Kleider und Vorräte würde sie ganz alleine nicht weit kommen. Der Weg in den Norden war weit, aber dort war der einzige Platz auf der Welt, den sie noch hatte. Immerhin etwas, dachte er. Immerhin hat sie einen Bruder, der sie aufnehmen würde. Es war mehr, als er von sich selbst behaupten konnte. Wo vorher die Leiche des Banditen gelegen hatte, war jetzt nur noch ein blasser Blutfleck zu sehen, der gemächlich in der Erde versickerte. Aryas Stute schreckte immer noch vor seinem Geruch zurück. Den Körper hatte er vor Einbruch der Dunkelheit in den Wald getragen und begraben. Ein Kadaver lockte Wölfe und andere Raubtiere an. Er stand auf, um zum fünften Mal den Knoten zu überprüfen mit dem er Stranger und Craven festgebunden hatte. Sein eigener Hengst war ruhig, selbst in der Nacht. Nur seine zuckenden Ohren verrieten ein leichtes Unbehagen. Craven hingegen war ein einziges Nervenbündel. Jedes noch so leise Geräusch ließ sie scheuen. Manchmal wieherte sie leise und scharrte mit den Hufen. Auch jetzt, als sie den großen Mann auf sich zukommen sah. Sandor fuhr ihr mit einer Hand den Hals hinunter und murmelte ein paar beruhigende Worte. Wenn das Mädchen jetzt nicht bald kommt, dachte er, bestimmt schon zum zwanzigsten Mal diesen Abend, dann gehe ich selber und sehe nach. Hinter ihm raschelte es im Gebüsch. Das Geräusch war leise genug, doch die beiden Pferde hatten schärfere Ohren, als er und drehten die Köpfe. Stranger warf auf und schnaubte leise. Der Hound drehte sich um. Zwischen den Zweigen konnte er Arya auftauchen sehen. Ihr zerzaustes Haar hing voller vertrockneter Blätter und am rechten Arm hatte sie eine Schramme, die vorher nicht da gewesen war. In ihren Augen konnte er immer noch einen Rest des Zornes sehen, der sie zuvor gepackt hatte. „Hat ja lange genug gedauert”, schnaufte der Hound, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Die Kerle haben lange genug gebraucht, um endlich mal eine nützliche Information von sich zu geben”, gab sie ohne zu Zögern zurück. „Gibt's nichts zu essen?” Er holte aus seinem Beutel ein Stück gepökeltes Fleisch heraus und warf es ihr zu. Sich selber nahm er ebenfalls etwas. „Was hast du rausgekriegt?” Sie ließ sich Zeit, kaute eine Weile auf dem Fleisch herum, bevor sie antwortete. Es machte ihr sichtlich Spaß, ihn zappeln zu lassen. Er riss sich zusammen und gönnte ihr die Freude, auch wenn er nicht verhindern konnte, ungeduldig mit den Zähnen zu knirschen. Schließlich sagte sie: „Ungefähr einen Tagesritt von hier ist wohl ein Wirtshaus. ‚Zur Goldenen Linde’, oder so. Ein Kumpane von ihnen ist wohl dorthin. Er heißt Lester.” Der Name sagt ihm nichts. „Und was bringt uns das?” „Dieser Lester ist der, von dem der Dornishmann vorhin gesprochen hat. Er soll wissen, wo sich Lady Stoneheart aufhält, weil er ihr Liebhaber ist. Das haben die zumindest gesagt.” „Warum ist er dort?“ „Weil er sich mit Lady Stoneheart treffen soll. Wegen eines Auftrags.“ „Und wo ist das Wirtshaus?” „Südlich, in der Nähe vom Trident. An der Kingsroad.” „Das heißt, wenn wir der Straße folgen, kommen wir dorthin.” Der Hound rieb sich das Kinn. „Und du bist ganz sicher, dass sie das gesagt haben?” „Ihr könnt ja selber noch mal hin und sie fragen.” Er wusste, was das bedeutete. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, so wenig ihm das auch gefiel. „Leg dich eine Weile aufs Ohr”, brummte er unwirsch. „Morgen brechen wir zu diesem Wirtshaus auf, von dem du gesprochen hast. Ich hoffe für dich, dass es auch da ist, wo du sagst.” „Wenn es nicht dort ist, dann haben die Männer im Wald gelogen”, erwiderte sie schlagfertig. Damit rollte sie sich auf dem Boden zusammen und schloss die Augen. Abgerissen und mager wie sie war, war sie einer Straßenkatze ähnlicher, als einer Wölfin. Der Hound schüttelte den Kopf und überprüfte ein letztes Mal an diesem Abend die Zügel der Pferde. Hoffentlich sagt sie die Wahrheit. Die Raststätte hatte definitiv schon bessere Tage gesehen. Dach und Wände waren morsch und rottig, das Stallgebäude daneben zur Hälfte eingefallen. Eine schwarz verkohlte Wand ließ darauf schließen, dass auch hier mal ein Feuer gewütet haben musste, das allerdings gelöscht worden sein musste, ehe es ernsthaften Schaden anrichten konnte. Ein großer Brunnen stand auf dem Hof, dem die Raststätte vermutlich ihre Existenz verdankte. ‚Zur Goldenen Linde’ hieß sie. Der namensgebende Baum stand neben dem Brunnen und überschattete Haus und Hof. Von Gold war in den Blättern allerdings kaum etwas zu sehen, sie standen noch im kräftigen Grün des Sommers. Vermutlich färbten sich die Blätter erst wenn es Herbst wurde gelb, schloss Will, während er seinen Esel unter den kräftigen Zweigen hindurchführte. Vor dem Haus war ein Balken angebracht, an dem er das Tier anbinden konnte. Auch ein Pferd stand dort. Es war wider erwarten kein alter Ackergaul, sondern ein kräftiges Pferd, dessen muskulöse Beine auf Kraft und Schnelligkeit schließen ließen. Sein cremefarbenes Fell glänzte und immer wieder warf es nervös den Kopf auf und schüttelte die seidige Mähne. Drinnen roch es nach Eintopf und Ale. Obwohl es noch früh am Abend war, war der Schankraum schon gut gefüllt. Offensichtlich war dies weniger eine Unterkunft für Reisende als ein lokaler Treffpunkt für Bauern, Arbeiter und Händler aus der Region, weshalb die ‚Goldene Linde’ auch nicht direkt an der Straße, sondern ein gutes Stück landeinwärts lag. Will sah eine kleine Gruppe Soldaten, deren Wappen er nicht erkannte, an einem Tisch sitzen, ansonsten waren aber alle Gäste Leute von niederer Geburt; sie trafen sich, um Neuigkeiten auszutauschen, und private Geschäfte abzuschließen. Als er die Wirtin auf ein Zimmer ansprach, sah sie ihn zuerst prüfend an, doch seine Kutte verlieh ihm einen vertrauenserweckenden Eindruck, und sie nickte brüsk bevor sie ihn ein Stockwerk höher schickte, wo die Kellnerin ihm einen kleinen Raum mit einem Bett aus Stroh zuwies. Als er mit dem Mädchen die Treppe hinaufstieg, kam ihm ein glattrasierter, blonder Mann mit stechenden Augen und einem Eineinhalbhänder an der Hüfte entgegen. Er drängte sich grob an ihnen vorbei und stieß mit einer ruckartigen Bewegung die Tür zum Schankraum auf. „Das ist unser zweiter Gast”, erklärte das Mädchen ungefragt. „Er ist seit gestern Abend hier. Mutter sagt, ich soll mich von ihm fernhalten, aber er hat gutes Geld bezahlt.” Das Haus hatte nur zwei Stockwerke, und auf diesem Flur waren lediglich zwei weitere Türen. Will schloss daraus, dass mit ihm und dem Mann mit dem Schwert keine anderen Gäste mehr Unterkunft erhalten konnten. Er lächelte dem Mädchen möglichst beruhigend zu und entließ sie dann mit einem Nicken, nachdem sie ihm die Tür zu seinem Raum geöffnet hatte. Eigentlich handelte es sich eher um eine Abstellkammer, als um ein Schlafzimmer. Der Boden bot gerade genug Platz für ein schmales Bett und eine Truhe. Er blieb nur im Zimmer, um seine Sachen abzustellen, dann kehrte er in den Schankraum zurück. Vielleicht war Sansa Stark ja hier vorbeigekommen. Er hoffte, einen Glückstreffer wie beim ‚Crossroads Inn’ zu landen. Oder zumindest jemanden zu finden, der ein rothaariges Mädchen auf dem Weg nach Norden gesehen hatte. Am Tresen holte er sich einen Eintopf mit Fleisch - das normaler Herbergsessen - und Wasser, bevor er sich an einen der langen Tische setzte, um zu essen. Mit der Zeit begann das Wirtshaus sich zu füllen. Bauern kamen von der Arbeit nach Hause, einige junge Burschen saßen beisammen und würfelten, während sich die Älteren zu kleinen Runden zusammensetzten. Will kannte die Dynamik der Gasthäuser inzwischen und konnte sehen, wer aus der Gegend war, und wer nicht. Er vertrieb sich die Zeit damit, die Leute zu beobachten und versuchte, Erkenntnisse aus ihren Gesprächen zu gewinnen. Leider sprachen die meisten nur über die Ernte und den anbrechenden Winter. Für Gauklertruppen oder andere Reisende interessierte sich niemand. Je später es wurde, desto öfter warf ihm die Wirtin hinter der Theke einen warnenden Blick zu. Wahrscheinlich war sie der Meinung, er sei nicht gut fürs Geschäft, da er nur einen Teller Eintopf gegessen hatte und jetzt Wasser trank. Darum bestellte er schließlich einen Krug Ale, den er möglichst langsam trinken wollte. An einem Tisch in der Ecke saß der Mann, der ihm vorher auf der Treppe begegnet war, und aß. Seine Kiefer mahlten das Essen, als wäre es nur eine Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Sein Gesicht war hart und emotionslos. Doch er hätte durchaus gut aussehen können, wenn er nur nicht so verbissen geschaut hätte. Er kam Will vor wie ein Söldner, mit seinem Schwert und dem bissigen Auftreten. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er zu ihm hinüberschaute. Wenn jemand etwas wusste, dann dieser Kerl. Aber Will war auch bewusst, dass ein Söldner selten ehrlich mit einem Mönch sprach. Er fragte sich, wie er ihm Informationen entlocken konnte, als die Tür auf einmal aufgestoßen wurde, und ein höchst seltsames Paar den Schankraum betrat. Der Mann war groß und breitschultrig, mit halblangen, schwarzen Haaren, die ihm ungekämmt auf die Schultern fielen. An seiner Seite hing ein langes Schwert. Das Auffälligste war jedoch sein Gesicht: Die rechte Seite war komplett von einer roten Brandnarbe überdeckt, sodass der rechte Mundwinkel auf unnatürliche Art nach oben gezogen wurde, was ihm ein unheimliches Grinsen auf das Gesicht malte. Begleitet wurde er von einem zerlumpten Kind mit einem Dolch am Gürtel. Will konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Das Kind war vielleicht zehn oder elf und ging barfuß. In seinen Augen war nicht die leiseste Spur von Angst. Aufmerksam sah es die einzelnen Gäste an, die – genau wie Will – die beiden Ankömmlinge musterten. Schließlich schien das Kind jemanden zu erkennen, zupfte seinen Kumpanen am Umhang und flüsterte ihm etwas zu. Will beobachtete gespannt, wie der Mann mit den Narben durch den Schankraum auf den einzelnen Tisch zuschritt, an dem der blonde Söldner saß. Als das Kind ihm folgen wollte, hielt er es mit einer eindeutigen Handbewegung zurück. Nachdem die beiden Männer kurz miteinander gesprochen hatte, folgte der blonde Mann dem anderen nach draußen. Die Tür polterte ins Schloss. Die Gäste hatten dem Austausch mit gemischter Aufmerksamkeit zugesehen und beobachteten, als sich die beiden Männer nach draußen bewegten, noch ein paar Sekunden lang die geschlossene Tür. Dann wandten sie sich wieder ihren jeweiligen Geschäften zu. Zurück blieb einzig das Kind, das fast ein wenig verloren in der Mitte des Schankraumes stand. Will beobachtete es, wie es sich mit dem Raum vertraut machte. Es war ganz offensichtlich kein Sprössling eines Bauern, dafür war seine Haltung viel zu lauernd. Außerdem trug es einen Dolch an seinem Gürtel. Wahrscheinlich war sein Vater ein reisender Ritter oder ebenfalls ein Söldner, der seinen Sohn als Knappen mitgenommen hatte. Fest stand jedoch, dass aus diesen beiden mehr herauszuholen war, als aus dem Rest der Leute hier, denn sie mussten Reisende sein. Er winkte der Bedienung und bestellte einen zweiten Eintopf mit Brot. Der Hound verschwand mit Lester nach draußen und ließ sie einfach im Schankraum stehen. „Bleib hier”, hatte der Hound gesagt, und sie zur Seite geschoben, während er den Banditen zur Tür eskortierte. „Dir wird das nicht gefallen.” Kurz hatte sie überlegt, sich zu widersetzen, und wenn es nur um des Widersetzens Willen gewesen wäre. Aber die Erinnerung an das Knacken, das die Knochen des Dornishmanns von sich gegeben hatten, als sie brachen, ließ sie bleiben. Wie viele Männer hatte er bei sich? Die Erinnerung an den Tickler drehte ihr den Magen um. Sie blinzelte, um den Gedanken loszuwerden und sah sich nach einer Ecke um, in der sie auf die Wiederkehr des Houndes warten konnte. An das, was er vermutlich grade mit Lester anstellte, um an Informationen zu kommen, mochte sie gar nicht denken. Die anderen Gäste wandten sich langsam wieder ab. Zwei Männer mit Schwertern und kriegerischem Aussehen waren eine Attraktion. Ein zerlumptes Mädchen nicht. Arya suchte auf den langen Bänken einen Platz, an dem sie nicht bemerkt werden konnte. Unterwegs zu einem der langen Tische mit zwei Krügen Ale und einem Teller Eintopf, scheuchte das Dienstmädchen sie grob zur Seite. Arya duckte sich und warf ihr einen bösen Blick zu. Vielleicht wäre es am besten draußen zu warten, bis der Hound fertig war. „Hey, Kleiner, hier drüben!” Sie wandte sich um. An einem der Tische saß ein Mann in einer braunen Kutte, den sie als einen der Braunen Brüder erkannte. Zuerst dachte sie an die Mönche, die sie zusammen mit der Bruderschaft ohne Banner in Stoney Sept getroffen hatte. Doch dann fiel ihr ein, dass in King’s Landing verschiedene Gerüchte über die Vorliebe der angeblich keuschen Männer für Kinder kursiert waren. Und Septon Mutt von den Bloody Mummers hatte sogar regelmäßig kleine Jungen ermordet. Bei dem Gedanken daran hätte sie sich beinahe umgedreht um wegzulaufen, wäre dieser Mönch nicht so jung gewesen. Und mit seinen dichten, schwarzen Haaren und den festen Augen sah er ein bisschen aus wie Gendry. Sie mussten auch ungefähr gleich alt sein. „Du musst keine Angst haben”, lächelte der Mönch. Er schob eine hölzerne Schüssel mit Eintopf, die vor ihm gestanden hatte, in ihre Richtung. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Seit dem gepökelten Fleisch am Vorabend hatte sie nur einen Schluck Wasser und ein paar Wurzeln zu sich genommen. Zögerlich näherte sie sich dem Tisch, wie ein wildes Tier, dem eine Hand mit Futter entgegengestreckt wird. Wenn er mir etwas tun will, dann laufe ich einfach weg. Der Mönch klopfte auf den Platz neben ihm. Sie setzte sich, achtete dabei aber darauf, so weit wie möglich von ihm entfernt zu sitzen. Großzügig schob er ihr die Schüssel entgegen. „Du hast bestimmt Hunger.” Der Geruch des Eintopfes stieg ihr verlockend in die Nase. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. „Warum gebt Ihr mir etwas zu Essen?”, zwang sie sich zu fragen. „Ich bin ein Mönch und wir geben den Hungrigen. Das ist eines der Gebote im Siebenzackigen Stern.” Sein Lächeln war breit und vertrauenserweckend. Sie wusste, dass sie den Eintopf nicht annehmen sollte, aber sie tat es trotzdem. Vielleicht weil sie wusste, dass der Hound bald wieder da sein würde. Vielleicht auch einfach nur, weil sie furchtbar hungrig war und schon lange nichts mehr Warmes im Bauch gehabt hatte. Sie nahm den Löffel und verschlang die Suppe. Die Schüssel war innerhalb von wenigen Minuten leer und ihr Bauch grummelte beunruhigend, während sie die letzten Reste mit dem Brot auftupfte. Sie war es nicht mehr gewohnt, so viel zu essen. „Ich bin William”, stellte der Mönch sich vor, als sie ihre Aufmerksamkeit von der Schüssel wieder auf ihn richtete. „Aber du kannst mich Will nennen. Wie heißt du?” Es brauchte ein wenig, bis sie sich erinnern konnte, wer sie war, so viele Namen hatte sie bereits gehabt. In Hillside war sie Wiesel gewesen, der Hound nannte sie meistens Wölfin. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe. „Arry”, murmelte sie schließlich. Der Name, den Yoren ihr gegeben hatte. William nickte. „Was bringt dich hierher, Arry?”, fragte er. „Bist du mit deinem Vater unterwegs?” Misstrauisch legte sie den Kopf schief. Fragte er sie aus? Sie beschloss, zu lügen. „Wir wollen Verwandte besuchen.” „Wo kommt ihr denn her?” Eindeutig, er fragte sie aus. War er vielleicht einer der Späher der Königin? Vielleicht war Cersei immer noch hinter ihr her. Anstatt zu antworten, schaute sie zur Tür. Als könnte der Hound jeden Moment zurück sein. Da er merkte, dass sie ihm offensichtlich nicht antworten wollte, begann er von sich zu erzählen. Er kam von einem Kloster auf der Stillen Insel, in der Nähe von Saltpans. Sie wusste, dass Saltpans ein gutes Stück im Osten lag und dass es dort einen Hafen gab. Vielleicht konnte sie ein Schiff nach Hause nehmen. Oder zu Jon. Die Nachtwache hatte auch einen Stützpunkt an der See. Will berichtete von seinem Leben im Kloster, aber da Arya – immer noch von der Idee, per Schiff nach Norden zu gelangen gefesselt – nicht richtig hinhörte, konnte sie sich nur merken, dass es dort genug zu essen geben musste. Sie überlegte, ob sie auch Mönch werden sollte, um in einem reichen Kloster zu leben. Wenigstens ihr Bauch wäre voll. Aber es gab keine weiblichen Mönche. Und die Brüder von Stoney Sept hatte der Krieg auch nicht verschont. Und als Mönch durfte man auch keine Waffen tragen. Unbewusst wanderte ihre Hand zu dem Dolch an ihrer Seite. Vermutlich war auch diese Stille Insel kein so friedlicher Ort, wie der junge Mönch ihn ihr geschildert hatte. Oder er war schon eine lange Zeit nicht mehr dort gewesen und hatte den Einfluss des Krieges noch gar nicht mitbekommen. “Warum bist du nicht auf dieser Insel, wenn es dort so schön ist?”, fragte sie ihn misstrauisch. Er schaute traurig auf den Alekrug, der vor ihm stand und drehte ihn zwischen den Händen. “Ich suche meine Schwester. Sie ist verschwunden, aber wahrscheinlich ist sie unterwegs nach Norden.” Norden. Das klang nach Zuhause. Nach Winterfell und Schnee. Sie wäre auch gerne unterwegs nach Norden. “Meine Familie ist aus dem Norden, weißt du”, erklärte er. “Meine Schwester war bei ihrer Tante hier im Süden, und jetzt versucht sie vermutlich alleine nach Hause zu kommen.” Will sah überhaupt nicht aus, wie jemand aus dem Norden. Seine Gesichtszüge waren viel zu weich und seine braunen Augen viel zu warm. Er hatte nicht die abgehärteten Gesichter der Nordmänner. Aber vielleicht hatte das Leben im Kloster ihn weich gemacht. Oder er war gar kein echter Nordmann, sondern meinte mit dem Norden nur die Freys, oder so. “Wo kommst du denn her?” Er zögerte einen Moment zu lange. “White Harbor”, sagte er schließlich. Dann fuhr er hastig fort, als wolle er sie davon überzeugen, dass er die Wahrheit sagte: “Meine Schwester, sie ist wahrscheinlich auf der Kingsroad unterwegs. Vermutlich mit einer Spielmannstruppe aus dem Süden. Sind du und dein Vater zufällig auf der Kingsroad in südlicher Richtung unterwegs gewesen und habt sie gesehen? Sie hat rote Haare und ist ein bisschen älter als du.” Stumm schüttelte sie den Kopf. Robb hätte mich bestimmt auch gesucht, wenn er nicht König gewesen wäre. „Schon gut. Trotzdem, vielen Dank.” Er sprach noch ein bisschen über das Kloster, doch Arya hörte ihm gar nicht mehr zu. Immer wieder blickte sie nervös zur Tür hinüber, doch das eine Mal, als sie sich öffnete, war es ein alter Mann, der wohl nur zum Wasserlassen draußen gewesen war. Irgendetwas machte sie nervös, auch wenn sie nicht sagen konnte, was es war. Das Gefühl, als hätte sie irgendwas vergessen oder übersehen. Irgendetwas Wichtiges. Auf einmal wurde die hölzerne Tür aufgestoßen und der Hound trat ein. Sein Gesicht war zu einer starren, wütenden Maske verzogen mit Augen, die aus Stein zu sein schienen. Arya stellte sich vor, wie der Bandit mit dem Gesicht nach unten und verdrehten Gliedmaßen auf dem Boden lag. Die Miene des Houndes ließ darauf schließen, dass Lester nicht so kooperativ wie der junge Dornishmann im Wald gewesen war. Er sah sich um, entdeckte Arya und nickte ihr kurz zu. Sofort stand sie auf. Bevor sie ging drehte sie sich noch einmal zu dem jungen Mönch um. „Vielen Dank für das Essen”, sagte sie. „Ich hoffe, Ihr findet Eure Schwester.” „Danke”, erwiderte er mit schwerer Zunge. „Gute Reise.” Der Hound hatte die Goldene Linde schon wieder verlassen und stand vor dem Hof, die Zügel von Stranger, Craven und dem Pferd, das vorher vor dem Gasthof gestanden hatte, in der Hand. „Glück gehabt, Wölfin. Du hattest Recht, der wusste was.” Natürlich, wollte sie sagen, doch sie unterdrückte den Impuls. Sie unterdrückte auch die Frage, nach Lester und wie der Hound die Information aus ihm rausgeholt hatte. Der Hound band das dritte Pferd an Strangers Sattel fest und saß mit einer ruckartigen Bewegung auf. Nach einem Tritt in die Flanken setzte sich der Hengst in Bewegung. Sie hatte alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten. „Wir übernachten nicht hier?” „Nein. Die Zeit drängt.” „Was habt Ihr denn herausgefunden? Wisst Ihr, wo Eure Lady Stoneheart ist?” Das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, egal wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass er es halten würde, ging ihr nicht aus dem Kopf. Wenn er sie findet, dann kann ich Jon vielleicht wiedersehen. „Ich weiß, wo ich nach ihr suchen muss.” „Wo reiten wir hin?” „Das wirst du sehen.” Sein Gesicht war eine wütende Maske. „Wenn ich die Männer nicht für Euch belauscht hätte, dann würdet Ihr jetzt immer noch planlos durch die Wälder irren”, rief sie wütend. Sie hatte es satt, dass er sie wie ein kleines Kind behandelte. Schließlich war sie es gewesen, die die entscheidende Information geliefert hatte. „Ihr könntet mir wenigstens sagen –” Der Hound wandte sich schnaubend zu ihr um. „Liegt diese Geschwätzigkeit bei Euch in der Familie? Ich dachte Leute aus dem Norden wissen, wie man das Maul hält!” „Ich wollte nur –” „Ich sage dir, wo wir hingehen, wenn ich es für richtig halte. Und jetzt sei still, du plapperst ja fast so viel wie deine verdammte Schwester.” Sie hat rote Haare und ist ein bisschen älter als du. „Meine Schwester”, flüsterte sie. „Sansa.” Will hätte sich selber für seine ungeschickte Fragerei ohrfeigen können. Als der Junge mit seinem Vater verschwunden war, wurde ihm klar, wie dämlich er sich angestellt hatte. Er musste das Kind ja völlig verschreckt haben. Wütend schob er den Alekrug von sich weg. Wieso hatte er sich auch dazu verleiten lassen, ihn zu trinken, wo er sich doch hätte denken können, dass er ihn nicht gut vertragen würde, besonders nachdem er seit seiner Zeit im Kloster ausschließlich Wasser zu sich genommen hatte. Und jetzt hatte ihn sein benebelter Kopf um die einzige mögliche Informationsquelle in diesem Gasthaus gebracht. Denn offensichtlich war der blonde Söldner, den er vorher im Auge gehabt hatte, mit Vater und Sohn verschwunden. Seit der vernarbte Mann Arry geholt hatte, war nämlich eine Stunde vergangen und der Söldner war noch nicht wieder aufgetaucht. Er hatte länger keine Berichte von einem rothaarigen Mädchen oder einer Gruppe Gaukler mehr gehört. Vielleicht war sie entführt worden, oder hatte irgendeinen Schleichweg genommen. Eines stand jedenfalls fest: Je mehr Zeit er verschwendete, desto unwahrscheinlicher war es, dass er sie finden würde. Wenigstens eine winzige Bestätigung, dass er auf dem rechten Weg war, hatte er sich heute Abend gewünscht. Doch stattdessen musste er ja seine eigenen Pläne ruinieren. Ich bin ein Idiot!, dachte er wütend. Und ich dachte, ich wüsste, wie man Leute befragt. Wie konnte ich mich nur so ungeschickt anstellen? Weiter hier zu warten war vergebens. Dass noch mehr Reisende an diesem Abend eintreffen würden, war höchst unwahrscheinlich. Er stand auf, um an der Theke zu bezahlen. Die Wirtin zog die Stirn kraus, während sie versuchte, die Summe, die er ihr schuldete, zu berechnen. „Das macht dann ...” Die Tür öffnete sich und ein kalter Windstoß fegte von draußen herein. Will traute seinen Augen nicht. Vielleicht hatte ihn das Glück doch nicht ganz verlassen. In der Tür stand der Reisende, den er unterwegs mit dem Jungen und seinem Vater gewähnt hatte. Sein linkes Auge zierte ein großer Bluterguss. Mit einer Hand rieb er sich den Hals, wobei er das Gesicht verzog, wann immer er an eine bestimmte Stelle stieß. Mit unsicherem Schritt wankte er auf die Theke zu und lehnte sich schwer neben Will auf das Holz. Nachdem er kurz Atem geschöpft hatte, griff er in seine Gürteltasche und holte einen roten, wohlgefüllten Beutel hervor aus dem er drei Kupferstücke auf den Tisch zählte. „Das sollte für Essen und Trinken reichen”, erklärte er mit rauer Stimme. „Das Zimmer nehme ich doch nicht. Stattdessen will ich Vorräte für ein paar Tage.” Gierig streckte die Wirtin die Hand nach dem Geld aus. Der Fremde legte zwei Silberstücke neben die anderen Münzen. „Ich brauche ein schnelles Pferd.” Nervös wechselte der Blick der Wirtin zwischen dem verlockenden Geld und dem Gesicht ihres Kunden. „Wir ... wir haben kein Pferd, m’Lord.” „Dann treibt eines auf.“ „Ich wüsste nicht wo, m’Lord.“ „Es wird hier in dieser verdammten Gegend doch irgendwo ein Pferd geben, das ich kaufen kann! Ich bezahle einen guten Preis.” „Es sind vor einigen Tagen Soldaten hier durchgekommen, m’Lord, sie haben alle Pferde mitgenommen...” „Als ich vorhin ankam, stand draußen ein Pferd”, schlug Will vor. „Vielleicht –” „Das ist jetzt nicht mehr da”, knurrte der Mann. „Und im Stall stehen auch keine, ich habe bereits nachgesehen. Es kann doch nicht sein, dass hier kein einziger brauchbarer Gaul zu finden ist!” „M’Lord, es tut mir leid, aber Ihr ...” „Genug!” Energisch sammelte er das Silber wieder ein und ließ es klimpernd zurück in seinen Beutel fallen. „Dann wenigstens die Vorräte. Und beeil dich, Weib!” Die Wirtin eilte davon und Will blieb mit dem Mann am Tresen zurück. Sein Nachbar schien nicht gerade in auskunftsfreudiger Stimmung, aber dies war Wills einzige Chance, ihn zu fragen. Und er musste sich beeilen, denn wenn die Wirtin mit dem Proviant zurück war, würde er aufbrechen wollen. „Darf ich Euch vielleicht auf einen Krug Ale einladen?”, fragte er unschuldig. Der Mann wandte sich ihm zu und schüttelte den Kopf. „Keine Zeit, Mönch.” Zu seinem Erschrecken bemerkte Will, dass an seinem Hals rote Male waren, die sich an den Rändern bläulich verfärbten. Was war zwischen den beiden Männern da draußen vorgefallen, dass der eine Hals über Kopf verschwand und der andere mit mehreren Verletzungen ebenfalls das Weite suchte? Er sagte sich, dass er sich nicht von dem einschüchternden Verhalten des Mannes verunsichern lassen würde. „Ihr seid unterwegs in südlicher Richtung?” „Nein, ich ... was geht Euch das an?” Im Hinterraum konnte Will die Wirtin ihren Mann anschreien hören, er solle gefälligst einen Schlauch mit Wasser auftreiben. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Er musste es riskieren. „Ich suche meine Schwester. Ungefähr zwölf oder dreizehn, rote Haare. Sie ist unterwegs nach Norden. Vermutlich mit einer Spielmannstruppe. Ihr seid ihr nicht zufällig auf der Kingsroad begegnet?” In den Augen des Mannes blitzte etwas auf, so als wäre ihm ein Gedanke gekommen, oder als erinnere er sich an etwas. Er musterte Will prüfend von oben bis unten und runzelte die Stirn. „Was wäre Euch diese Information wert, Mönch?” „Ich ... ich kann Euch Geld geben, aber viel habe ich nicht.” „Ich will kein Geld, ich will Eure Kutte.” „Meine Kutte? Warum wollt Ihr meine Kutte?” „Ich habe meine Gründe. Also, kommen wir ins Geschäft?” „Erst wenn Ihr mir sagt, wo Ihr meine Schwester gesehen habt.” Sein Gegenüber beugte sich vor und lächelte breit. „Ich mache Euch ein viel besseres Angebot. Ich führe Euch zu Ihr, wenn Ihr mich als „Bruder” anredet und mir keine Fragen stellt.” Er streckte die Hand aus. „Kommen wir ins Geschäft?” Unsicher versuchte Will einen möglichen Grund für das Verhalten des Mannes zu finden. Er war offensichtlich auf der Flucht, aber vor was? Konnte er sich auf so ein Angebot einlassen? Doch es war seine Aufgabe, Sansa Stark zu finden und dies war eine Gelegenheit, die er nutzen musste. Er schlug ein und nickte. Teil III -------- Teil III Es säuselt der Wind in den Blättern, Es spricht der Eichenbaum: Was willst du, törichter Reiter, Mit deinem törichten Traum? Einige Meter vor sich konnte sie den Hound leise fluchen hören. Die Nacht war sternenklar und der halbe Mond hatte mit seinem bleichen Licht den Hof vor der Goldenen Linde und die Straße, die von dort aus nach Süden führte, erhellt. Doch hier, unter dem dichten Blätterdach des Waldes herrschte Finsternis. Sie waren gezwungen gewesen abzusteigen und die Pferde zu führen, aus Angst, die Tiere könnten sich ein Bein brechen. Der Hound hatte Lesters cremefarbenen Hengst hinter Stranger gebunden. Dahinter folgte Arya mit Craven am Zügel. Vorwärtskommen war schwierig und sie waren viel zu langsam, wie der Hound ihr bereits mehrmals vorgehalten hatte. Doch auch er musste einsehen, dass man seine Schritte vorsichtig setzten musste, wollte man nicht über eine verdeckte Wurzel stolpern, oder in einem unvermuteten Erdloch hängen bleiben. Arya hätte sich kaum weniger für diese Problematik interessieren können. Ihre Gedanken waren noch immer bei dem, was der Mönch gesagt hatte. Im Licht der tiefstehenden Mittagssonne in Winterfell, hatten Sansas Haare oft geleuchtet, wie rotes Feuer. Ihr Farbton war viel heller als der von Bran und Robb und Rickon, genau so, wie ihr Augen auch von einen klareren Blau waren. Wie oft hatte Arya sie um ihre Augen und ihre Haare und ihre Art, alle für sich zu gewinnen, beneidet. Sie hat rote Haare und ist ein bisschen älter als du. Und unterwegs mit einer Spielmannstruppe aus King’s Landing. Und Sansa war vom Hof des Königs verschwunden. Arya kaute auf ihrer Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Sansa hatte Dutzende Lieder gekannt und es geliebt, sie mit ihrer reinen Stimme vorzutragen. Sie hatte sogar Harfenspielen gelernt. Auch wenn Sansa Dreck und Reisen über alles hasste, konnte Arya sie sich bei einer Spielmannstruppe vorstellen. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Schwester in ihrem hübschen, blauen Kleid, eine zierliche Harfe in der Hand in der Halle irgendeines Lords sitzen und das Lied von Florian und Jonquil singen. Es passte alles zu gut zusammen. Es konnte kein Zufall sein. Der Mönch hatte gelogen, was seine Schwester anging. Wenn er überhaupt eine hatte, war sie bestimmt längst tot und er ein Spitzel der Königin. Auf der Suche nach Sansa. Er hatte ja auch nicht ausgesehen, wie ein Nordmann. So weit war Arya allerdings auch schon vor einer Stunde gewesen. Wenn es Robb auf der Kingsroad gewesen wäre, oder Bran oder Rickon, Mutter oder Vater, sie hätte keine Sekunde gezögert, sie zu suchen. Aber das war Sansa. Und so sehr sie sich dafür schämte, sie konnte sich nicht vorstellen, dass Sansa sie so akzeptieren würde, wie sie gerade war. Dreckig, mager, abgerissen. Sie hatten sich nie gut verstanden, aber jetzt würde es noch schlimmer sein, denn selbst in den schlimmsten Tagen ihres alten Lebens, war sie niemals auch nur annähernd so dreckig gewesen, wie jetzt. Und damals hatte sie noch niemanden auf dem Gewissen gehabt. Sie war mit Lord Beric Dondarrion geritten und mit den Brüdern der Nachtwache. War Gregor Cleganes Gefangene gewesen, der Geist in Harrenhal und Roose Boltons Dienstmädchen. War sie überhaupt noch Arya Stark? Würde Sansa sie überhaupt als ihre Schwester erkennen, besonders, nachdem Arya sie in King’s Landing zurückgelassen hatte? Der nächtliche Wald war voller Geräusche. Eine Eule rief zweimal hintereinander, in den Baumkronen raschelte es und aufgeschreckt von den schweren Schritten des Hounds stob eine Maus aus ihrem Versteck, um im Unterholz zu verschwinden. Würde der Hound sie begleiten, wenn sie ginge? Irgendwie bezweifelte sie es. Er war hinter einer Sache her, die ihm so wichtig war, dass er mitten in der Nacht durch einen stockdusteren Wald stolperte, auf der Suche nach der Anführerin der Banditen. Wenn sie ging, um Sansa zu finden, wäre sie wieder allein. Und wenn sie Sansa nicht fand ... Sie erinnerte sich daran, dass sie denn Hound hasste, aber irgendwie änderte das nichts an dem beklemmenden Gefühl, das sie beschlich, wann immer sie daran dachte, alleine durch den Wald zurück zu reiten. Wenn der Schnee fällt und der eisige Wind heult, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt. Konnte ein Hund denn Teil eines Wolfsrudels sein? Sie wünschte ihr Vater wäre hier. Er hatte immer gewusst, was zu tun war. Hinter den dünnen Zweigen des Schlehdorn tat sich eine Lichtung auf. Das Mondlicht fiel auf die Gräser, die sie bedeckten. Mit zwei schnellen Schritten trat er zwischen den Bäumen hervor, die Pferde hinter sich. Am Stand des Mondes konnte er ungefähr abschätzen, wie viel Zeit schon vergangen war. Es war bereits spät in der Nacht. Sie brauchten zu lange. Kaum spürten die beiden Pferde des Gras unter ihren Füßen, senkten sie den Kopf und begannen zu fressen. Sogar Stranger, der über eine unglaubliche Ausdauer verfügte. Der Hals des Rappen war schweißnass und Sandor erkannte, dass er – zumindest um der Pferde willen – eine Pause einlegen musste, so wenig ihm das auch behagte. Es war nicht nur der dunkle Wald, der ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte, obwohl die Tatsache, dass hinter jedem Baumstamm ein Bandit lauern konnte, nicht gerade zu seiner Beruhigung beitrug. Vielmehr war es die Furcht, er könnte es nicht rechtzeitig schaffen. Lester hatte ihm alles erzählt, was er wusste. Wenn sie Todesangst hatten, gaben auch die stärksten Männer klein bei, das hatte jahrelange Kampferfahrung ihn gelehrt. Und Lester war da keine Ausnahme gewesen. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass der Bandit völlig unvorbereitet gewesen war, denn sonst hätte der Hound ihn nicht so schnell und leise überwältigen können. Wenn Lester Recht hatte, würde Lady Stoneheart sich dort am folgenden Abend in einem kleinen Dorf einfinden, das zwischen der Grünen und der Blauen Gabel lag, um einen „Angeklagten zu richten”. So hatte der Bandit sich ausgedrückt. Dem Hound was es völlig gleich, was die Bruderschaft ohne Banner dort mit ihren Gefangenen machte. Von ihm aus, konnte Lady Stonheart sich wie dieser Dondarrion mit jedem einzeln duellieren, solange er nur vor ihr dort war und nah genug an die Lady herankam, um sie zu töten. Das war sein Plan. Genaueres würde sich dann ergeben, sobald er das Dorf erreicht hatte. Wenn er es überhaupt noch rechtzeitig erreichen würde. Hinter ihm trat Arya aus dem Wald. Sie sah so müde aus, wie er sich fühlte. Seit ihrem Aufbruch von der Goldenen Linde, und dem folgenden Streit, hatte sie gehorsam den Mund gehalten und war ihm wortlos gefolgt. Jetzt erwartete er, dass sie ihn noch einmal fragen würde, wohin sie unterwegs waren, doch scheinbar war sie viel zu sehr mit sich selber beschäftigt. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Craven gesellte sich zu Stranger und Lesters Pferd und graste gierig. Sie mussten eine Pause machen, wenigstens eine klein. Völlig übermüdet am Treffpunkt anzukommen, um dann von den frischen Banditen überwältigt zu werden, würde ihnen nichts nützen. Aber Zeit war kostbar und Sandor wusste, dass er nicht vor dem Morgen aufwachen würde, wenn er sich jetzt erlaubte, zu schlafen. „Wir halten hier kurz”, teilte er dem Mädchen mit. „Versuch, dich eine wenig auszuruhen.” Sie blieb einfach stehen, als hätte sie ihn nicht gehört. Er fragte sich, ob sie im Stehen eingeschlafen war. Doch dann hob sie auf einmal den Kopf und sah ihn an, aufmerksam diesmal. „Ihr habt gesagt, meine Schwester hätte für Euch gesungen.” Er runzelte die Stirn und zuckte die Schultern. „Das hat sie. Und?” „Was hat sie gesungen?” „Ein kirchliches Lied, über die Mutter. Gentle Mother, font of mercy ...so ähnlich. Warum?” „Ihr habt auch gesagt, dass Ihr sie gerettet habt.” Langsam wurde er ungeduldig. „Was soll diese Fragerei? Deine Schwester interessiert gerade nicht.” „Also habt Ihr gelogen?” „Über was?” „Dass Ihr sie gerettet habt.” „Das ist die Wahrheit, kleine Wölfin. Der verdammte Mob hätte sie in tausend Stücke zerrissen, wenn ich nicht gewesen wäre.” Sie schaute ihn an und schwieg, überlegte. „Sansa ist aus King’s Landing geflohen.” „Wo hast du das gehört?” „Der Mönch vorhin, im Gasthaus, der war auf der Suche nach ihr. Er muss einer von Cerseis Männern gewesen sein. Sie ist auf der Kingsroad irgendwo.” Sein eigenes, bellendes Lachen klang ihm schmerzhaft in den Ohren, als es durch den ruhigen Wald schallte. „Das hat er dir erzählt? Was für ein Narr! Und du glaubst ihm auch noch.” „Das hat er mir nicht erzählt”, erwiderte sie wütend. „Er hat mir etwas von einem rothaarigen Mädchen erzählt, das angeblich seine Schwester ist, aber das muss sie sein, ich bin mir ganz sicher.” Er schnaubte. „Du bist übermüdet, das ist alles. Wir müssen weiter. Komm.” Sie rührte sich nicht. „Sansa ist die einzige, die noch von meiner Familie übrig ist.” Für einen kurzen Moment stand ihm das Bild des Mädchens vor Augen. Rotbraune Haare, blaue Augen. Er versuchte ihre Züge in Aryas Gesicht zu finden, doch der Mond warf ein unregelmäßiges Licht auf die Lichtung und er konnte keine Ähnlichkeit ausmachen. „Wir müssen gehen, und sie befreien.” Sandor legte eine Hand auf sein Schwert. „Und warum sollte ich das tun, Wölfin?” „Wenn Ihr sie gerettet habt, dann kann sie Euch nicht egal sein.” Sie hatte für ihn gesungen. „Ich habe nur das getan, was die Ritter der Königsgarde eben tun, nicht mehr. An deiner Schwester liegt mir so wenig, wie an dir.” „Dann ...” Sie zögerte und zog nervös an Cravens Zügel. Die Stute hob unwillig den Kopf und trat näher zu ihrer Reiterin. „Dann werde ich alleine gehen. Und Ihr könnt Eure Banditen jagen.” Langsam aber bestimmt drehte sie sich um und lief in Richtung des Waldes. „Sei kein Narr”, hörte er sich rufen. „Du wirst draufgehen da draußen, ganz allein.” „Ich kann auf mich aufpassen.” Sie drehte sich nicht um. „Du kannst nicht einfach gehen. Was glaubst du denn, wer du bist?” „Arya Stark aus Winterfell.” Mit jedem Schritt wurde der Wald dunkler und die Bäume rückten näher und näher zusammen, als wollten sie ihr das Vorwärtskommen zusätzlich erschweren. Nicht, dass es nicht schon schwer genug gewesen wäre. Ihre nackten Füße fanden nicht immer Halt zwischen den Wurzeln und Blättern und mehr als einmal stolperte sie. Craven war ohne die gewohnte Gesellschaft von Stranger noch schreckhafter als sonst, und scheute bei jedem Geräusch. Und in Aryas Kopf rasten die Gedanken. Wenn ich hier nicht bald rauskomme ... Ohne nachzudenken schwang sie sich auf den Rücken ihrer Stute und gab dem Pferd die Sporen. „Lauf, Craven”, wisperte sie ihr ins Ohr. „Wir müssen Sansa finden. Wir müssen sie finden, wir müssen!” Das Pferd scheute und weigerte sich, sich zu bewegen. Arya zwang sie mit fester Hand vorwärts, was Craven jedoch nicht zu mehr, als einem stolpernden Schritt brachte. Arya presste ihr die Fersen in die Flanken, doch die Angst vor der Dunkelheit überwog. „Jetzt mach schon, du Feigling!”, schimpfte sie. Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln. Ich muss hier weg ich muss sie finden ich muss Sansa finden ich darf nicht zurückschauen wenn ich – Ein dumpfes Knurren ertönte hinter ihnen, gefolgt von einem Chor weiterer Knurrer. Es klang, als lauere ein ganzes Wolfsrudel im Unterholz. Was Arya zuvor nicht geschafft hatte, erreichten diese Tiere sofort. Craven machte einen Satz nach vorne und stob davon, ungeachtet der Dunkelheit und der Hindernisse. Arya konnte nichts weiter tun, als sich an ihr festzuklammern und zu hoffen, dass die Stute sich kein Bein brach. Der Wald flog rechts und links an ihr vorbei, ab und zu von einem hellen Streifen Mondlicht erhellt. Blätter peitschten ihr Gesicht, Äste schienen nach ihr zu greifen und hinter sich hörte sie die schweren Sätze der Jäger, die sie verfolgten. Sieh dich nicht um! Der Hufschlag tönte ihr dumpf in den Ohren. Craven war ein gutes Pferd, schnell und stark, trotz ihrer ängstlichen Natur. Sie konnte es schaffen. Sie musste. Arya hört einen dumpfen Aufprall, ohne den genauen Ursprung des Geräusches ausmachen zu können. Dann explodierte ein furchtbarer Schmerz in ihrem Kopf und sie fiel. Die Bäume waren grau und schwarz und weiß, wo das Himmelslicht sie beleuchtete, und in der Luft lag der Geruch von Angst. In ihrem Mund sammelte sich Geifer. Ihre kleinen Brüder und Schwester hechelten aufgeregt. Auch in der Nacht fand sie sich im Wald problemlos zurecht. Ihre Nase führte sie, ihre Ohren warnten sie und ihre Augen erspähten, was vor ihr lag. Ihre Brüder hatten das braune Pferd eingekreist, in dessen Auge sich das Weiße zeigte. Es scheute und stellte sich auf die Hinterläufe, wann immer sie sich ihm näherten. Es war das Pferd, das den Angstgeruch verströmte, der schwer und süß in der Luft waberte. Geduldig umkreiste das Rudel es, und warteten auf einen Moment zum Zupacken. Sie wusste, dass dieser Moment kommen würde. Jede Kreatur hatte einen Moment, in dem die Aufmerksamkeit nachließ und sie hatte ihre grauen Brüder gelehrt, diesen zu erkennen und auszunutzen. Ein kleines Stück weiter weg lag der Mensch. Ihre Brüder und Schwestern ließen ihr zumeist die Menschen, denn nicht alle trauten sich, von den gefährlichsten Raubtieren zu fressen oder sich ihnen überhaupt zu nähern. Ihr war das einerlei. Alles war Beute. Und dieser Mensch würde keine Gefahr sein. Vermutlich war er tot, denn er hatte sich seit er gefallen war nicht gerührt. Als sie sich dem kleinen Körper näherte, stieg ihr ein vertrauter Geruch in die Nase. Er weckte Bilder in ihr, heißes, loderndes Licht, graue Wände und die nackten Füße eines Menschen, denen sie folgte. Unsicher beobachtete sie den Menschen. Es war offensichtlich noch ein Junges, denn es war geradezu winzig klein. Wieder prüfte sie die Luft. Da war er wieder, dieser Geruch. Und diesmal roch sie ihre Brüder darin und ihre tote Schwester. Nicht die Brüder, die gerade das Pferd umkreisten, sondern ihre richtigen Geschwister, mit denen sie im Schnee gelegen hatte. Ein Winseln entstieg ihrer Kehle, als sie an sie dachte. Inzwischen war sie dem Menschen so nahe, dass sie seinen Arm mit einem Biss vom Körper hätte trennen können. Doch wieder stiegen Bilder in ihr hoch: Ein eisernes Menschending, Steine, die sie trafen, der Wald, das Gefühl alleine zu sein. Nymeria? Wieder winselte sie und leckte dem kleinen Menschen über das Gesicht. Es war warm und sie konnte das Blut unter der Haut pulsieren hören. Er lebte noch. Das Pferd wieherte panisch und trat nach einem besonders kecken grauen Bruder, der jedoch zurücksprang, hechelnd, lauernd, die Zähen gebleckt. Sie fuhr herum und knurrte, scheuchte ihre Brüder durch den Wald davon, bis sie alleine war. Dann rollte sie sich neben dem Menschen zusammen. Ihr dichtes Fell schmiegte sich an die dünne Haut. Geduldig wartete sie auf den Morgen. Ihr Bauch rumpelte, doch heute Nacht würde sie nicht fressen. Wills neuer Reisegefährte hatte sich als Bal vorgestellt und nachdem er Wills Kutte angezogen hatte, bestand er darauf, mit „Bruder Bal” angesprochen zu werden. Obwohl die Kutten der Mönche von der Stillen Insel so geschneidert waren, dass sie fast allen passten, merkte man bei genauerem Hinsehen, dass dem falschen Mönch die Kutte zu eng war. Eigentlich war Will nicht besonders klein oder schmächtig, aber Bal war ein großer, breitschultriger Mann. Über seiner Brust spannte sich der Stoff, die Ärmel waren zu kurz und unten konnte man seine Fußknöchel sehen. Nur wenn er nicht genau hinsah, würde ein Reisender den großen Mann für einen Mönch halten. Will war mit einem neuen Hemd und einer neuen Hose aus dem Tausch hervorgegangen. Neu waren die Kleidungsstücke eigentlich nur für ihn, denn sie hatten vorher Bal gehört und waren in einem entsprechenden Zustand. Aber nachdem er Ärmel und Beine hochgekrempelt und sich an den Geruch gewöhnt hatte, fand er es gar nicht so schlecht, mal wieder ohne die sperrige Kutte unterwegs zu sein. Sie waren noch in derselben Nacht aufgebrochen. Bal hatte ihm gerade genug Zeit gelassen, die Rechnung zu bezahlen und sich die neuen Kleider überzustreifen, bevor er ihn aus der ‚Goldenen Linde’ gezerrt hatte. Jetzt waren sie wieder auf der Kingsroad unterwegs und folgten ihr Richtung Norden, Wills treuen Esel im Schlepptau. Der trug jetzt allerdings nicht mehr nur Wills arg geschrumpften Proviantvorrat, sondern auch das spartanische Gepäck seines Begleiters: Die neu erworbenen Güter und vor allem, unter einer Decke in den Satteltaschen versteckt, Bals Eineinhalbhänder. Unter der Kutte konnte er es nicht verbergen und es offen am Gürtel zu tragen kam nicht in Frage. Darum hatte er sich schweren Herzens davon getrennt und es Will gegeben, damit er es sicher verstaute. Bei Nacht war die Kingsroad gespenstisch still und verlassen, sodass Will manchmal das Gefühl hatte, sie wären die einzigen noch lebenden Menschen. Sie gingen in Stille. Bal brütete die ganze Zeit über etwas nach und ab und zu konnte Will ihn unter der Kapuze leise vor sich hin fluchen hören. Er überlegte, ihm zu sagen, dass er so kein besonders überzeugender Mönch war, doch er ließ es bleiben. Sein Gefährte war bestimmt nicht ungefährlich, und das seltsame Angebot, auf das er sich eingelassen hatte, trug nicht gerade dazu bei, ihn vertrauenswürdiger zu machen. Mehrfach ertappte er sich dabei, dass er sich den Sonnenaufgang herbeiwünschte, damit wieder mehr Menschen um ihn herum wären und er nicht mehr alleine mit dem falschen Mönch war. Nach einer schier endlosen Zeit ging zu ihrer Rechten, im Osten, die Sonne auf. Mit einem plötzlichen Stick im Herzen dachte Will an die Sonnenaufgänge auf der Stillen Insel. Wenn die Sonne langsam über den fernen Horizont kroch, wobei ihre goldenen Strahlen auf dem Wasser der Bucht tanzten und die Mönche gegen das helle Licht die Augen zusammenkneifen mussten. Er fragte sich, was seine Brüder jetzt wohl machten. Und er wünschte, er wäre wieder bei ihnen. Wenn die Götter mir hold sind, werde ich Sansa Stark bald finden, dachte er hoffnungsvoll. Während er sich durch den dunklen Wald schlug, ertappte er sich ein paar Mal dabei, wie er sich umdrehte, um zu kontrollieren, dass Arya noch hinter ihm war. Er verfluchte sich dann jedes Mal deswegen, und er verfluchte sie, dass sie einfach abgehauen war und er verfluchte den verdammten Wald, weil er dunkel und unwirtlich war. Und manchmal verfluchte er auch ihre Schwester, auch wenn er nicht genau wusste, warum. Die Dunkelheit und das spärliche Mondlicht, das immer dann aufzutauchen schien, wenn er es am wenigsten erwartete, spielten seinen Augen Streiche. Einmal meinte er, das entstellte Gesicht von Beric Dondarrion in den Runzeln eines Baumstammes zu erblicken. Oder Joffreys Gesicht mit den wulstigen Lippen in einem Strauch mit glänzenden, grünen Blättern. Da waren Robert Baratheon und Cersei. Tyrion Lannister war dabei und manchmal das trotzige Gesicht von Arya oder das verschreckte Lächeln ihrer Schwester. Und Gregor. Immer wieder Gregor. Und wann immer er Gregor zu sehen glaubte, tanzten die roten Flammen vor ihm und schienen ihn noch einmal aufzufressen. Gnadenlos und zerstörerisch. „Wenn ich dich erstmal umgebracht habe”, erklärte er einer Tanne, deren stoppelige Nadeln ihn an Gregors Bart erinnert hatten, „dann wirst du mich nicht mehr verfolgen. Dann wirst du mein Gesicht überall sehen und was du mir angetan hast.” In seinen Gedanken hatte Lady Stoneheart ebenfalls das Gesicht seines Bruders. Bleich, aufgequollen und tot. Er wusste, es würde ihm nicht leidtun, wenn er sie getötet hatte. Seine Füße zertraten die Blätter auf dem feuchten Waldboden. Er war kein echter Ritter. Er dachte an die Nacht nach dem Tournier der Hand des Königs, als er das kleine Vögelchen nach Hause eskortiert hatte. Als er ihr von seinen Verbrennungen erzählt hatte. „Er war kein echter Ritter” hatte sie auf seine Geschichte geantwortet und er hatte gelacht. Und jetzt wollte Arya ihn glauben machen, dass das Vögelchen aus seinem Käfig geflattert war, um nach Hause zu fliegen. Er konnte sich Sansa beim besten Willen nicht alleine auf der Kingsroad vorstellen. Sie, die hübsche Kleider und hübsche Lieder und hübsche Lügen so sehr geliebt hatte. Ich hätte sie damals mitnehmen sollen. Aber was hätte er ihr schon bieten können? Wohin hätte er mit ihr fliehen sollen? Die Ironie, ausgerechnet Arya Stark in den Riverlands zu begegnen, war beinahe zu viel für ihn. Aber vielleicht hatten die Götter ja ein Einsehen gehabt, selbst mit jemandem, der nicht an sie glaubte. Vielleicht hatten sie ihm Arya geschickt, damit er Lady Stonheart finden und seinen Bruder töten konnte. Zweifelsohne wäre die Welt ein besserer Ort ohne ihn. Die Morgendämmerung kroch leise und unbemerkt über den Horizont. Sandor war so in Gedanken versunken gewesen, dass er erstaunt aufblickte, als er die Zweige der Bäume um sich herum ausmachen konnte. Die Pferde hinter ihm schnauften. Stranger war in Ordnung, doch Lesters Hengst lahmte am linken Hinterhuf. Als er nachsah, entdeckte er einen harten Dorn, der sich zwischen Huf und Eisen geschoben hatte, und zog ihn heraus. Er hatte keine Ahnung, wie weit er gekommen war, doch die aufgehende Sonne im Osten verriet ihm, dass er in der richtigen Richtung unterwegs war. Um sich und den Pferden einen Moment Ruhe zu gönnen, setzte er sich mit dem Rücken zu einem Baumstamm und ließ die Tiere an dem dünnen Gras knabbern, das hier und da zwischen den Wurzeln spross. Die Sonne stieg höher und gab der Welt ihre Farben zurück. Sandor beobachtete wie die Blätter ihre Farbe von Dunkelblau zu Dunkelgrün und schließlich zu einen kräftigeren Grün veränderten und konnte sich nicht dazu bewegen, aufzustehen und weiterzugehen. Nach einer Weile war ihm, als höre er jemanden singen. Er kannte das Lied nicht, doch je länger er lauschte, desto sicherer war er sich, dass seine Fantasie ihm keinen Streich spielte. Wer auch immer da sang – er kam näher. Vermutlich waren es nur Spielleute und er war im Dunkeln in die Nähe eines Weges gekommen, auf dem tagsüber Bauern und andere Menschen unterwegs waren. Er beschloss, still sitzen zu bleiben, und zu warten, bis die Gruppe an ihm vorbeigezogen war, bevor er erneut aufbrach. Es dauerte nicht mehr lange, dann konnte er die einzelnen Worte des Liedes ausmachen, das auch noch von Harfenspiel begleitet war. Es ging um einen Ritter, dessen Frau sich in ein Murmeltier verwandelt hatte. Nach jeder Strophe kam ein Refrain, in dem das Wort „Murmeltier” gegrölt wurde, bei dem mehrere Männerstimmen mit einstimmten. „Jetzt halt doch endlich mal die Klappe, Tom”, rief auf einmal eine tiefe Stimme. „Man kann dich ja meilenweit hören.” Der Gesang brach ab und kurz darauf erklang die klare Stimme des Sängers: „So wissen die Leute, dass ich komme und haben genügend Zeit, mir aus dem Weg zu gehen.” „Ich würde dir auch aus dem Weg gehen, wenn ich könnte”, kam es von jemand anderem, begleitet von lautem Gelächter. Die Gruppe musste jetzt ganz in der Nähe sein, denn der Hound konnte ihre Stiefel auf dem erdigen Grund der Straße knirschen hören. Dem Geräusch nach zu schließen, waren es mindestens vier. „Du könntest ja wenigstens mal was Vernünftiges singen”, brummte die tiefe Stimme, die den Sänger am Anfang unterbrochen hatte. Die Schritte wurden bereits wieder leiser. „Ach, was findest du denn vernünftig? Vielleicht ein Lied der Mönche?” Ein Akkord erklang auf der Harfe. „Gentle mother, font of mercy, save our sons from war we pray , stay the swords and ...” Sein Gesang wurde von lautem Rufen seiner Gefährten übertönt und als sie sich wieder beruhigt hatten, waren sie schon so weit weg, dass der Hound keine Worte mehr ausmachen konnte. Arya wachte mit stechenden Kopfschmerzen auf. Ihre Stirn fühlte sich an, als hätte jemand versucht, einen Nagel hinein zu hämmern und der Schmerz war von dort über ihren Schädel bis in den Nacken gewandert. Außerdem war die Sonne längst aufgegangen. Ruckartig setzte sie sich auf und bereute es sofort wieder, als ein gleißender Blitz durch ihre linke Schläfe schoss und ihr schwarz vor Augen wurde. Bis sie sich wieder gefangen hatte, dauerte es einen Moment, doch schließlich war sie in der Lage, sie umzusehen. Craven graste in einiger Entfernung, auf einer winzigen Lichtung, die von einigen Bäumen freigegeben wurde. Arya selber saß auf dem Waldboden, unter ihr eine knorrige Wurzel, die sich schmerzhaft in ihren Oberschenkel bohrte. Sie hatte wieder von den Wölfen geträumt. Es war seltsam gewesen, denn sie hatte ihren eigenen Körper hier liegen gesehen. Beunruhigt blinzelte sie und kämpfte sich auf die Beine, um zu Craven hinüber zu laufen. Von Wölfen war glücklicherweise nichts mehr zu sehen. Wenn ich wirklich ein Wolf wäre, müsste ich vor niemandem mehr Angst haben. Zunächst wich die Stute vor ihr zurück und scheute, doch am Ende bekam Arya dann ihre Zügel zu fassen und beruhigte sie, indem sie ihren Hals streichelte. Während sie das tat wurde ihr bewusst, dass sie großes Glück gehabt hatte. Ein Ast musste sie am Kopf getroffen haben und sie war dabei von einem galoppierenden Pferd gefallen, ohne sich ernsthafte Verletzungen zugezogen zu haben. Abgesehen von den Schmerzen in ihrem Kopf natürlich. Die Sonne war am Himmel hinter ihr aufgegangen, also musste sie sich nach links wenden, um wieder zurück auf die Kingsroad zu kommen. Bevor sie in den Sattel kletterte, suchte sie sich einen markanten Punkt aus – eine besonders hohe Tanne – die sie als Ziel im Auge behalten konnte, damit sie nicht versehentlich die Richtung verlor. Dann setzte sie ihren Weg fort. Bis zum Mittag ritt sie zügig. Bald entdeckte sie die ‚Goldene Linde’ zwischen den Bäumen und gab Craven die Sporen, erleichtert, auf dem richtigen Weg zu sein. Als die Sonne begann, langsam gen Westen zu wandern, wandte sie sich ebenfalls nach Westen, um schließlich auf die Kingsroad zu stoßen. Wenn sie aufpasste, würde sie niemandem auffallen, schließlich hielten die meisten Menschen sie für einen zerlumpten Bauernlümmel. Und wenn Sansa tatsächlich mit einer Spielmannstruppe unterwegs war, dann musste sie ebenfalls auf der Kingsroad sein. Spielmannstruppen hatten Wagen, Ochsenkarren oder ähnliches, und seit sie mit Yoren unterwegs gewesen war, wusste sie, wie viel Ärger diese Art Gefährt auf unbefestigten Waldwegen machte. Die breite Straße war zu dieser Tageszeit gut besucht. Die Sonne hatte die Erde trocken gebrannt und die vielen Füße wirbelten Staub auf, der sich in Aryas Kleidern und ihren Haaren festsetzte. Sie hielt Ausschau nach Gruppen, die nach Musikern oder Narren aussahen, doch sie wurde immer enttäuscht. Die einzigen Karren, die sie entdecken konnte, waren die Wagen von Bauern beladen mit Stroh. Und die Leute, die ihr entgegenkamen nach einem rothaarigen Mädchen zu fragen, traute sie sich nicht. Man wusste nie, auf wessen Seite die Leute standen. Ihr Bruder Robb war von seinen eigenen Getreuen hinterrücks ermordet worden. Gegen Abend wurden die Reisenden immer spärlicher und noch immer gab es kein Anzeichen, von Spielmännern oder Sansa. Nach einem Tag im Sattel wurde ihr Kopfweh wieder stärker und bald bereitete ihr jeder Hufschlag Schmerzen. Ihr Kopf begann sich zu drehen und ein hohes Summen klang ihr in den Ohren. Sie wusste, dass sie sich besser irgendwo einen Unterschlupf suchen sollte, um zu rasten, doch noch wollte sie nicht aufgeben. Bei jedem Schritt ihres Pferdes sagte sie sich, dass sie nur noch einen weitern Schritt ertragen musste. Und noch einen, und noch einen ... Ein gutes Stück vor ihr kam auf einmal ein breiter Wagen in Sicht, der von zwei Ochsen gezogen wurde. Er war von einer weißen Plane überspannt, auf der etwas geschrieben oder gemalt worden war, allerdings war es zu klein, um für sie lesbar zu sein. Der Wagen war offenbar liegengeblieben, denn mehrere Leute standen um ihn herum und redeten miteinander. Bei genauerem Hingucken, erkannte sie einen zweiten, kleineren Wagen hinter dem ersten. Dessen Plane war ebenfalls bemalt, allerdings war sie grau. Die Leute sahen nicht aus, wie Narren oder Musiker, befand Arya, die Moonboy aus King’s Landing vor Augen hatte. Enttäuscht überließ sie sich wieder dem tranceartigen Zustand, den sie seit dem späten Nachmittag eingenommen hatte, eine Mischung aus Schmerz und Erschöpfung und Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit war immer noch besser, als Verzweiflung. Als sie das nächste Mal aufsah, bemerkte sie erschrocken, wie sehr sie sich dem Wagen genähert hatte. Genug um zu erkennen, dass die Hälfte der Männer Soldaten in Kettenhemd und Helmen war. Einer der Soldaten sprach mit einem Mann mit orangeroten Haaren, die ihm auf die Schultern fielen. Der Mann gestikulierte aufgebracht, während der Soldat nur mit strenger Miene zuhörte und ab und zu den Kopf schüttelte. Sie richtete sich im Sattel auf und kniff die Augen zusammen, um das Wappen des Trupps auszumachen, doch dazu war sie noch zu weit entfernt. Allerdings bildete sie sich ein, ein blaues Feld auf den grauen Gewändern ausmachen zu können. Das können keine Freys sein, dachte sie verunsichert, dafür bin ich doch noch nicht nah genug an den Zwillingen. Trotzdem hielt sie es für besser, abzusitzen und die Gruppe zu umgehen. Soldaten bedeuteten immer Ärger, das hatte ihr der Hound oft genug eingeschärft. Selbst wenn sie nicht als Arya Stark erkannt wurde, konnten sie ihr immer noch Craven wegnehmen. Auf der linken, der westlichen Seite, war die Kingsroad von einem dichten Wald gesäumt, während rechts ein par abgeerntete Felder brachlagen. Sie schwenkte möglichst beiläufig nach links, um zwischen den Bäumen zu verschwinden, als in ihren Augenwinkeln plötzlich etwas rot aufblitzte. Instinktiv riss sie den Kopf herum, um nachzusehen. Die Abendsonne stand tief am Himmel und schien nicht mehr gleißend hell wie am Nachmittag, sondern hatte einen freundlicheren, wärmeren Schein angenommen. Hinter dem Wagen war ein Mädchen hervorgetreten, dessen Haare rot in der Sonne leuchteten. Sie sprach ein paar Worte mit dem Soldaten, der wieder den Kopf schüttelte. Arya hielt den Atem an. Sie war mitten auf der Straße stehengeblieben und starrte in Richtung des Wagens. Konnte es ...? Sie war größer, als sie sie in Erinnerung hatte, aber es war ja auch eine Menge Zeit vergangen. Ihr Haar war röter, als sie gedacht hatte, doch das war bestimmt nur das Abendlicht. Es musste, ja, es konnte nur Sansa sein. Sansa auf dem Weg nach Norden. Und jetzt hatten die verdammten Freys sie geschnappt und würden sie auch noch umbringen, wie Robb. Bestimmt hatte sie den Wagen nur deswegen angehalten. Das ist meine Schwester, mein Rudel. Sie verschwand mit einer fließenden Bewegung, wie Syrio es sie gelehrt hatte, im Unterholz. Als es langsam Abend wurde, begann Will sich zu fragen, wo sie die Nacht verbringen würden. Alleine hätte es ihm nichts ausgemacht, sich unter einem Baum zusammenzurollen, doch mit Bal machte ihn diese Vorstellung nervös. Obwohl es um die Mittagszeit ziemlich warm gewesen war, hatte er die Kapuze der Kutte keinen Augenblick abgenommen. Seine stechenden Augen schauten unter dem dunklen Schatten, den der Rand warf, hervor und schienen alles zu sehen. Will hätte gerne gewusst, wovor dieser Mann davonlief, doch Bal hatte ihm klar gemacht, dass er keine Fragen dazu beantworten würde. Es war sowieso schwer, ein Gespräch mit ihm in Gang zu bringen, egal über was, und so hatten sie sich die meiste Zeit des Weges angeschwiegen. „Da sind Soldaten.” Bal sagte das, als sei es eine Nebensächlichkeit. Will schaute auf und sah in einiger Entfernung einen größeren Planwagen und dahinter, halb verborgen einen kleineren. Auf einem der Wagen stand etwas geschrieben. Er kniff die Augen zusammen, um es besser lesen zu können. Es sah fast aus wie ... „’Die Tanzenden Drachen’! Das sind Gaukler!” Bal sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. „Das sind Soldaten”, wiederholte er nur, etwas eindringlicher. „Wir sollten einem Bogen um sie machen.” Doch Will hatte zwischen den Gauklern bereits ein Mädchen gesehen. Ein Mädchen mit roten Haaren. Das musste sie sein! Er beschleunigte seinen Schritt, seinen Esel hinter sich herziehend. Beinahe rannte er schon auf die Gruppe zu. „Hey!”, rief Bal überrascht. „Was zum Teufel habt Ihr vor?” Ein Mann mit langen Haaren deutete auf den Wagen und das Mädchen, Sansa, verschwand darin. Er will nicht, dass die Soldaten sie sehen! Alles passte perfekt zusammen. Er hatte sie gefunden. Nun musste er sie nur noch zur Stillen Insel bringen, damit die Mönche auch in Zukunft in Frieden und Stille leben konnten, ohne sich um den Krieg sorgen zu machen. Seine Füße schlugen rhythmisch auf den Boden und der Wind fuhr ihm durch die Haare. Hinter sich konnte er Bal höchst unmönchisch fluchen und irgendwas über sein Schwert brüllen, doch er kümmerte sich einfach nicht darum. Unter dem ungewohnten Gewicht der Kutte, deren Schnitt das Rennen massiv erschwerte, blieb der Söldner bald hinter ihm zurück. Einer der Soldaten zeigte auf Will, als er ihn kommen sah und auf einmal fiel ihm glühend heiß ein, dass er keine Ahnung hatte, was er den Männern sagen sollte, wenn er erst einmal da war. Aber wenn die Götter ihn hierher geführt hatten, dann würden sie ihm auch die richtigen Worte in den Mund legen. Schließlich war seine Mission berechtigt. Ruhig wie stilles Wasser. Der Busch, hinter dem sie kauerte, hatte rote Blüten und Dornen. Als sie zu ihrem Versteck geschlichen war, hatte sie ausversehen in die Dornen gegriffen und sich mehrere Stiche im Handballen geholt. Zum Glück war es nur ihre rechte Hand, sodass sie in ihrer linken, der guten Hand, den Dolch halten konnte. Der Griff schmiegte sich kühl und beruhigend an ihre Handfläche. Der hintere Teil des Wagens war ungefähr drei Fuß von ihr weg. Eine Distanz, die sie in zwei Schritten zurücklegen konnte, wenn sie es darauf ankommen ließ. Auf beiden Seiten des großen Wagens, der selbst einen Mann wie den Hound überragte, stand „Die tanzenden Drachen” in geschwungener Schrift. Tatsächlich also eine Spielmannstruppe. Unter dem Schriftzug befand sich die Abbildung eines tanzenden Drachen, passend zum Namen. Dieselbe Zeichnung war auch auf dem kleineren Wagen. Er sah leichter und wendiger aus, weshalb er auch von Pferden und nicht von Ochsen gezogen wurde.Zwischen den beiden Wagen, zumindest soweit Arya sehen konnte, standen die Soldaten und die Schauspieler und stritten. Von ihrem Platz hinter dem Dornenbusch konnte Arya zwei Soldaten sehen, zwei junge Burschen, die gerade erst ihren ersten Bartwuchs hatten, und zwei Spielleute. Der Rest der Gruppe war hinter dem großen Karren, und damit ihrem Blick verborgen. Der Wortführer der Gaukler verhandelte fieberhaft mit den Soldaten. Anscheinend waren die „Tanzenden Drachen” unterwegs, um auf einer Hochzeit aufzutreten, doch die Freys ließen sie nicht passieren. „Ich kann Euch nicht durchlassen, bis wir nicht Eure Ladung kontrolliert haben”, erklärte einer der Hauptmann energisch. „Da könnt Ihr Euch aufregen, so viel Ihr wollt.” „Wir sind einfache Gaukler”, ereiferte sich der Mann, für Arya hinter der Plane verdeckt. „Das ist Schikane! Was könnten wir geladen haben, das Euch interessieren könnte?” „Wenn dem so ist, dann könnt Ihr uns doch einfach in Euren Wagen sehen lassen.” Arya vermutete, dass die Spielleute Angst hatten, die Soldaten würden sie ihres Besitzes berauben. Und damit hatten sie vermutlich auch recht. Allerdings war es jetzt sowieso schon zu spät, denn die Freys hatten bereits ein Auge auf die Ladung geworfen. Am Ende würden den Spielleuten nichts anderes übrigbleiben, als ihre Habe aufzugeben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das geschah. Unglücklicherweise hatte sie noch keinen Blick auf Sansa erhaschen können, da sie hinter dem großen Wagen verdeckt gewesen war. Nach einer Weile hatte der Wortführer der Spielleute sie in den großen Wagen geschickt, vermutlich um sie zu schützen. Dem Geräusch nach zu schließen, befand sie sich jetzt auch genau dort. Sie war zwar mit „Liane“ angesprochen worden, aber das verwunderte Arya nicht. Sie selbst hatte ja auch schon die verschiedensten Namen gehabt, warum sollte Sansa da eine Ausnahme sein. Der hintere Teil des Wagens war mit Holz verkleidet, ungefähr bis auf Brusthöhe von Arya. Darüber spannte sich die Plane, allerdings war sie nicht unten am Holz befestigt. Vielmehr konnte sie sehen, dass es sich um ein entfernbares Stoffstück handeln musste, das je nach Bedarf geöffnet oder geschlossen werden konnte. Ein geschickter Mensch konnte sich über die hölzerne Rückwand schwingen und so von hinten in den Wagen gelangen. Seit sie hier saß, hatte Arya mit den Augen abgemessen, wie sie es anstellen könnte, in den Wagen zu gelangen, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie es schaffen könnte. Allein, sobald sie ihr Versteck verließ, würde sie in voller Sicht der beiden Soldaten sein, die hinter der Menschenansammlung standen und offenbar dafür Sorgen sollten, dass kein Gaukler sich durch den Wald davonmachte. Die beiden waren jung und bartlos, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt. Außerdem waren sie relativ plump und vermutlich nicht zu raschen Bewegungen in der Lage. Beide hatten Kurzschwerter und einen Schild. Und obwohl sie nicht gerade aufmerksam waren, würde es ihnen bestimmt auffallen, wenn Arya versuchte, von hinten in den Wagen zu klettern. Aber wenn sie noch länger zögerte, dann würde der Spielmann bestimmt den Soldaten nachgeben und Sansa würde erkannt und verschleppt werden. Sie kaute auf ihrer Lippe und überlegte angestrengt. Je länger sie zögerte, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass sie Sansa befreien konnte. Irgendetwas musste ihr doch einfallen! Ruhig, wie stilles Wasser. Angst schneidet tiefer als Schwerter. Konzentriert schaute sie vom Wagen zu den Soldaten und zurück zum Wagen. Sie musste es einfach versuchen und wenn sie geschnappt wurde, dann würde sie ihnen zeigen, was in ihr steckte. Sie spannte ihre Muskeln und machte sich bereit zu springen. „Schau mal da, hat der Bengel dem Mönch seinen Esel geklaut?” Einer der Freys zeigte auf etwas, das hinter dem Wagen verdeckt war. „Er kommt hierher.” Die beiden Soldaten machten einen Schritt nach vorne, um besser sehen zu können. Das war ihre Gelegenheit. Solange die Ablenkung andauerte, musste sie handeln. Ohne lange nachzudenken hechtete Arya aus ihrem Versteck. Der Boden federte unter ihren Füßen. Ein Schritt, zwei, und sie war hinten am Wagen und zog sich mit der rechten Hand hinauf, trotz der Stiche. Ihre Beine katapultierten sie nach oben und sie fiel beinahe über die Rückwand in den Wagen hinein, den Dolch immer noch in der Hand. Sie landete in einem großen Stoffberg, der hauptsächlich aus bunten Kostümen bestand. Sofort war sie wieder auf den Beinen, obwohl das auf dem weichen Untergrund gar nicht so leicht war, und schaute im schummerigen Licht, das durch die Plane fiel, um sich. Im Wagen saß eine junge Frau mit roten Haaren und blauen Augen. Sie starrte Arya entsetzt an und Arya starrte genau so entsetzt zurück. Das war nicht Sansa. Und dann fing das Mädchen an zu schreien. Der Schrei aus dem Wagen ging allen Anwesenden durch Mark und Bein, doch am meisten zuckte der junge Mann mit den langen Haaren zusammen. Ohne zu zögern hastete er zum Wagen und riss die Plane hoch, die das Innere vor neugierigen Blicken schützte. Will war dicht hinter ihm, und schaute ihm entsetzt über die Schulter. Der ältere Soldat mit dem Vollbart trat ebenfalls hinzu. „Liane!”, rief der langhaarige Spielmann. Sansa Stark stolperte aus dem Wagen, die Augen immer noch in Panik aufgerissen. Will erhaschte einen Blick auf eine kleine Person, vielleicht einen Jungen, die hinten im Wagen gesessen hatte. Einen kurzen Moment glitzerte ihre Klinge auf, dann drehte sie sich um, und kletterte die Rückwand hinauf. „Bist du verletzt?”, rief der Mann und hielt Sansa in den Armen. „Was ist passiert?” „Der Junge!”, schrie gleichzeitig ein anderer Gaukler und deutete auf die kleine Gestalt, die versuchte, in den Wald zu rennen. Einer der hinten stehenden Soldaten, ein junger Bursche ungefähr in Wills Alter, warf sich zur Seite und bekam den Eindringling am Knöchel zu fassen. Das Kind stolperte, fuhr herum und hackte mit eine Messer nach dem Gesicht seines Gegners. Blutstropfen spritzten. Der junge Soldat schrie auf und versuchte seine Augen mit beiden Händen zu schützen, wobei er das Bein zwangsläufig loslassen musste. Fast wäre der kleine Junge tatsächlich entkommen, hätte der Kamerad des Opfers sich nicht auf ihn gestürzt und ihn so heftig zu Boden gerissen, dass der Dolch ins Unterholz geschleudert wurde. „Lass mich los!”, schrie das Kind, sich wild im Griff des Mannes windend. „Idiot!”, zischte Bal hinter ihm. Er hatte ihn in all der Aufregung gar nicht kommen hören. Doch Will hatte überhaupt keine Zeit, sich weiter damit auseinanderzusetzen, warum das Kind ihm so bekannt vorkam, denn direkt vor ihm stand Sansa Stark und er musste sie doch mitnehmen, doch er wusste nicht, wie er sie glauben machen sollte, dass er ihr wohlgesonnen und ein Mönch war, ohne seine Kutte. Und vor all diesen Leuten, die nicht wissen durften, wer sie war. Die Gaukler redeten wild durcheinander, Sansa schluchzte und der junge Mann, der sie festhielt, versuchte verzweifelt, sie zu beruhigen. Der junge Soldat rang mit dem Jungen, der ihn anfauchte wie eine Katze und trat und biss. Es war ein heilloses Chaos. „RUHE!”, brüllte der Hauptmann der Soldaten. Sein Vollbart wackelte. „SCHLUSS MIT DEM MUMMENSCHANZ!” Augenblicklich verstummten alle – bis auf den Jungen – und schauten verschämt aus der Wäsche. Die Soldaten nahmen Haltung an und der Soldat mit den Stichwunden im Gesicht versetzte dem Jungen einen heftigen Schlag aufs Ohr sodass dieser aufhörte, sich zu winden und um sich zu schlagen. Sansa Stark schluchzte leise, ansonsten war es still. Dann zog Bal mit einem schleifenden Geräusch sein Schwert aus den Satteltaschen von Wills Esel. Entsetzt drehte Will sich um. „Steckt das Schwert weg, Mönch“, sagte der Hauptmann, die Hand ebenfalls auf dem Schwertknauf. „Ihr wisst nicht was ihr tut.“ Bal hatte die Kapuze nicht von seinem Gesicht gezogen, doch er hob jetzt das Schwert und zeigte auf den Jungen, der mit Sansa im Wagen gewesen war. „Ich will das Kind”, sagte er leise und bedrohlich, „dann werde ich keine Schwierigkeiten machen.“ „So einfach ist das nicht”, knurrte der Hauptmann. „Dieses Kind ist vermutlich ein Bandit. Wir werden es mitnehmen müssen.” „Ich bin kein Bandit!”, widersprach der Junge energisch. Niemand schenkte ihm Beachtung. Zum ersten Mal sah Will sich den Kleinen genauer an und erkannte erstaunt das Kind aus dem Gasthaus. Er schaute zurück zu Bal hinter sich und dann wieder auf den Jungen. Arry war sein Name gewesen. Wie kam er hierher? Schleichend überkam ihn die Vermutung, dass er hier in etwas Größeres hineingeraten war, als er zunächst gedacht hatte. Unsicher schielte er zu Sansa. Sie hatte aufgehört zu weinen und lehnte sich jetzt haltsuchend an den jungen Gaukler. Will kam nicht umhin, sie unglaublich hübsch zu finden, mit den roten Haaren, den klaren Augen und den straffe Brüsten, die sich unter ihrem Mieder abzeichneten. Allerdings sah sie nicht wirklich aus wie ein dreizehnjähriges Mädchen, eher wie 15 oder 16. Das war kein Kind mehr, das war eine erwachsene Frau. Und ihre Augen waren auch nicht blau, sondern grün. Hatte er das falsche Mädchen erwischt? Verzweiflung kroch ihm den Rücken hinauf und schnürte ihm die Kehle zu. Bal verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen ohne die Augen von Arry zu nehmen, aber er sagte nichts mehr. „Wer bist du, Junge?”, verlangte der Hauptmann zu wissen. Es dauerte einen Moment, bis Will verstand, dass die Frage an ihn gerichtet war. „William”, antwortete er wahrheitsgetreu. „Ein Mönch von der Stillen Insel.” „Wie kommt es, dass du keine Kutte trägst und dein Begleiter schon?” „Ich ... Bruder Bal hat ... er ...” Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Mit einer Handbewegung brachte der Soldat ihn zum Schweigen und musterte Bal genauer. „Nehmt Eure Kapuze ab, Bruder Bal”, verlangte er im Befehlston. Bal rührte sich nicht. „Ich sagte, nehmt Eure Kapuze ab.” Die Stimme des Hauptmanns war schneidend wie kalter Stahl. Er nickte leicht, und zwei seiner Männer machten einen Schritt nach vorne. Sie führten eine Klammerbewegung aus, sodass Will, ebenso wie sein kurzzeitiger Begleiter, zwischen ihnen standen. Als Bal immer noch keine Anstalten machte, dem Befehl nachzukommen, trat auch der Hauptmann einen Schritt näher. „Ich kenne Euch”, sagte er leise. „Ihr seid kein Mönch. Ihr seid ein Gefolgsmann von Lady Stoneheart.” „Und Ihr von Lord Frey.” Zuerst hatte sie gedacht, ihr schmerzender Kopf würde ihr einen Streich spielen. Der junge Kerl mit dem Esel sah nämlich aus, wie der Mönch aus der ‚Goldenen Linde’. Dafür schien der Mann, der die Kutte trug, das Gesicht von Lester zu haben. Aber das konnte nicht sein. Der Hound hatte ihn getötet! Erst als der Hauptmann ihn als Banditen bezeichnete, erkannte sie, dass sie Recht haben musste. Deshalb war er auch an ihr interessiert gewesen. Vermutlich glaubte er, der Hound sei in der Nähe und er wollte sie als Geisel nehmen. Sie versuchte zu überlegen, wie sie entkommen konnte, doch ihr Kopf tat so furchtbar weh. Lester hatte unterdessen sein Schwert gehoben und duckte sich, als die drei Soldaten der Freys gleichzeitig auf ihn losgingen. William stolperte aus dem Weg und fiel hin. Einer der Freys hatte Lesters Schwert im Bauch, bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah. Noch während er sein Schwert aus dem Körper des Mannes herausriss, wobei Blut in alle Richtungen spritzte, duckte er sich unter dem Angriff des anderen Soldaten weg, indem er um den Körper des gerade Gefallenen herum hechtete. Als der Soldat ein zweites Mal anstürmte, trat er ihm den Körper seines Kameraden vor die Füße, und nutzte die kurze Unsicherheit des anderen, um sein Schwert von oben in seinem Schädel zu versenken. Der Mönch aus der ‚Goldenen Linde’ stolperte mit weit aufgerissenen Augen zur Seite und wischte sich einige Blutspritzer aus dem Gesicht. Der Griff des Soldaten, der Arya gepackt hatte, lockerte sich, als er den Tod seiner Kameraden verfolgte. Sie nutzte die Gelegenheit, indem sie ihre linke Hand aus seinen Fingern wand und ihm ihren Ellbogen in die Weichteile zu ramme. Heulend ließ er sie los und krümmte sich zusammen. Doch schon war der zweite junge Soldat da. Die Schnittwunden, die sie ihm an Gesicht und Händen zugefügt hatte, bluteten heftig. Anstatt zurückzuweichen wie er erwartete hätte, sprang sie auf ihn zu, wich seinen Armen aus und versuchte das Schwert an seiner Seite aus der Scheide zu reißen. Leider war es viel zu groß und bevor sie es auch nur zur Hälfte heraus hatte, schlossen sich seine Finger um ihren Oberarm. Sie wirbelte herum und biss ihn in die Hand. Als sie losließ schmeckte sie Blut und ihr Arm war frei. Sie stolperte rückwärts über den Körper des ersten Soldaten, dessen weitaufgerissene Augen leer waren. Unter seinem Kinn klaffte ein breites, rotes Loch. Arya fiel auf ihren Hosenboden, sah, wie sich die zerschnittenen Hände nach ihr Ausstreckten, und dann bohrte sich die Klinge von Lesters Schwert zwischen Hals und Schulterblätter und fraß sich einige Handbreit ins Fleisch hinein. Er klappte zusammen wie die Stoffpuppe des kleinen Mädchens aus Hillside. Keuchend versuchte sie sich vom Boden abzustützen, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Erde unter ihr war mit dem Blut der Freys benetzt und ihre Hände waren feucht und klebrig. Angstschweiß trat auf ihre Stirn. Lester focht mit dem letzten stehenden Soldaten, dem Anführer mit dem dichten Bart. Ihre Klingen kreuzten sich, verhakten sich, kreuzten sich wieder. Aryas ausgefranster Wams hatte sich im Kettenhemd des gefallenen Soldaten verfangen und ließ sie wieder auf den Boden fallen, als sie versuchte, aufzuspringen. Ihr Fuß rutschte in einer Pfütze aus Blut zur Seite und sie verlor wieder den Halt. Ihr Kopf hämmerte, und Schmerzwellen verbreiteten sich rhythmisch von ihrer Stirn über ihren Schädel aus. Die Welt schwankte. In ihren Ohren schepperte das metallische Surren und Klirren der Schwerter. Nur noch ein bisschen. Halt nur noch ein bisschen aus! Einer der beiden Kämpfenden gab einen luftleeren, stöhnenden Ton von sich, ähnlich einem Fass, aus dem der Stöpsel gezogen wird. Ohne Nachzudenken drehte sie sich um und sah einen Dolch aus dem Hals des Hauptmannes ragen. Allerdings ragte nicht der Griff zwischen dem strähnigen Bart hervor, sondern die Klinge. Hinter dem Soldaten stand einer der Gaukler und schaute ungefähr so entsetzt, wie sie sich fühlte. Lester hatte ihr den Rücken zugewandt, das Schwert zum Schlag erhoben, den er nicht mehr auszuführen brauchte. Sie schnappte nach Luft. Lester wirbelte herum, Arya fand ihre Füße wieder und sprang auf, rannte zum zweiten Mal auf den Wald zu. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen und sie stolperte. Doch da sah sie den Dornenbusch vor sich. Gleich ...! Die flache Seite des Schwertes traf sie ein Stück unterhalb ihrer rechten Schulter und schleuderte sie auf die Seite. Wäre es die Klinge gewesen, ihr Arm wäre sauber vom Körper getrennt worden, dessen war sie sich sicher. Die Luft wurde aus ihrem Brustkorb gepresst, als sie auf dem Boden aufschlug. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte das Schwindelgefühl abzuschütteln. Dann wurde sie grob auf die Beine gezerrt und roch den faulen Atem des Banditen. „Was für ein glücklicher Zufall”, knurrte er leise. „Wo ist denn dein Papa?” Ungeschickte wand sie sich und versuchte, sich seinem festen Griff zu entziehen, doch er war noch stärker als der Soldat vorher und Arya spürte ihre Kräfte schwinden. Hilflos sah sie zu den Gauklern hinüber, die allesamt zurückgewichen waren. Sie standen dicht beieinander vor dem kleineren Wagen. Die angespannten Pferde wieherten und scharrten aufgeregt. Der Blutgeruch machte sie unruhig. Auf allen Gesichtern lag Angst. Nur einer der fünf Männer schaute zu Arya, die anderen konnten den Blick nicht von den Leichen der Soldaten wenden. Die Frau mit den roten Haaren hatte sich einigermaßen gefangen und wischte sich die Hände an ihrem Kleid ab, als wären sie dreckig geworden. Der rostige Geruch von Blut lag in der Luft und es tauchten bereits die ersten Fliegen auf den Wunden der Gefallenen auf. Einer der Gaukler stolperte hinter den Wagen und erbrach sich. Ein wenig abseits stand der junge Mönch, der keine Kutte mehr trug. Auch sein Gesicht war bleich. Lester legte Arya einen Arm um den Hals und zerrte sie rückwärts hinter sich her. Sein von Muskeln gestählter Unterarm drückte Schmerzhaft auf ihre Kehle und der grobe Stoff der Kutte rieb an ihrer Haut. Nach Luft schnappend bemühte sie sich, mit seinen Bewegungen mitzuhalten. Ein dumpfes Pochen und eine leichte Erschütterung verrieten ihr, dass er mit dem Rücken zum größeren Planwagen stand. Sein Griff wurde enger. Arya würgte und zerrte vergeblich an seinem Ärmel. In ihren Ohren pochte es leise, wie ein weit entfernter Hufschlag. „Ihr da!”, sprach Lester die Gaukler an. Die kleine Gruppe fuhr zusammen, wie ein Gehege Kaninchen, die das Bellen eines Hundes vernehmen. „Ihr solltet besser verschwinden. Und nehmt die da mit.” Aus dem Augenwinkel sah Arya ihn mit dem Schwert in Richtung der Leichen gestikulieren. „Das ... das ist nicht unser Werk”, gab einer der Männer zurück. „Das wart Ihr.” „Aye. Aber ich nehme nicht an, dass ihr auch so enden wollt?” Die Männer schauten sich unentschlossen an. Sie hatten Angst vor dem brutalen Banditen in der Mönchskluft, doch sie fürchteten auch, mit der Ermordung von fünf Soldaten der Freys in Zusammenhang gebracht zu werden. „Der da ist nicht mal meiner.” Lesters Schwertspitze deutete auf den Hauptmann, dessen Bart rot und blutverklebt war. Einer der Schausteller, vermutlich derjenige, der dem Hauptmann das Messer in den Hals gestoßen hatte, bückte sich halbherzig und machte sich an der Leiche zu schaffen. „Mönch!” Lester wandte sich ohne eine Reaktion der Gaukler abzuwarten an William. „Den Esel werde ich brauchen, deine Sachen kannst du runternehmen.” „Lasst den Jungen frei, Bal”, erwiderte er langsam. „Dann könnt Ihr das Tier von mir aus haben.” Bal? „Daraus wird wohl nichts.” Lester zerrte Arya in Richtung des Tieres. An den Rändern ihres Sichtfeldes begannen schwarze Punkte zu tanzen. „Lasst .. lasst mich los”, krächzte sie schwach. Zur Antwort bekam sie ein freudloses Lachen. „Den Teufel werde ich tun.” Und an den Mönch gewandt: „Wird das bald was mit dem Vieh?” Hastig machte William sich an dem Gurt, der die Taschen hielt, zu schaffen. Trotz der einsetzenden Dunkelheit konnte Arya sehen, dass seine Finger zitterten und sein Atem schnell und flach ging. Unterdessen war das Pochen in ihren Ohren lauter geworden, sodass es sich inzwischen anhörte, als gallopierten mehrere Pferde direkt auf sie zu. An den Reaktionen der anderen konnte sie sehen, dass das Geräusch anscheinend nicht ihrem angeschlagenen Kopf zuzuschreiben war. Die Gaukler blickten auf etwas hinter ihr. Auch Lester sah sich um, doch der breite Wagen versperrte ihm die Sicht. Arya versuchte ihren Kopf zu drehen. Der breite Arm des Banditen hielt ihn jedoch in einer unerbittlichen Starre und selbst als sie die Augen ganz nach rechts verdrehte, konnte sie lediglich das lethargische Ochsengespann und die andere Straßenseite sehen. „Das ist ein Reiter”, erklärte Will, der von seiner Position aus freie Sicht die Straße hinab hatte. „Aber mit zwei Pferden.” „Sieben Höllen, das darf doch nicht wahr sein!”, fluchte Lester. „Dieser Bastard.” Es ist der Hound!, dachte Arya. Ihr Herz flatterte. Es ist der Hound! Er ist gekommen! Als er den Ochsenkarren mitten auf der Straße quer stehen sah, wusste er bereits, dass sie dort sein musste. Die hereinbrechende Nacht hatte die Reisenden von den Straßen gefegt und er ritt jetzt nun schon seit geraumer Zeit alleine. Der Hufschlag von Stranger donnerte ihm in den Ohren, mit dem ständigen Echo der Schritte des zweiten Pferdes kurz dahinter. Er war sich sicher, dass er Hämmern auch dann noch hören würde, wenn er sich neben der Straße in den Graben legen und die Augen schließen würde. Nachdem er die Wagen erblickt hatte, gab er seinem treuen Schlachtross noch ein letztes Mal die Sporen. Es musste sich um Arya handeln, denn viel weiter konnte sie nicht gekommen sein, nicht in so kurzer Zeit. Und er war geritten wie der Teufel. Er hatte die Pferde abgewechselt und war dadurch noch schneller gewesen. Und er hatte sich diesmal nicht durch die unwirtliche Wildnis geschlagen, sondern hatte die Kingsroad gewählt, trotz der Gefahr entdeckt zu werden. Und jetzt schien es, als hätte er sie gefunden. Das Problem war, dass die Wagen verdeckten, was immer sich dahinter befand. Es musste eine größere Gruppe von Menschen sein, denn niemand sonst reiste mit so schwerem Gefährt. In seinem Kopf mischten sich die Bilder der beiden Stark-Mädchen zu einem Gesicht, zu einer Person. Er hoffte, dass er sie finden würde. Und sein Instinkt sagte ihm das gleiche wie damals in King’s Landing, als der Mob sich um ihn geschlossen hatte: Dass er sie retten musste. Die Tatsache, dass er hier war, und nicht am Treffpunkt der Banditen, kam ihm immer noch seltsam unwirklich vor. Er kannte sich. Er hatte sein ganzes Leben lang nach einer Sache gestrebt: Gregor zu töten. Auf dem Weg zu diesem Ziel, war es ihm immer offensichtlich gewesen, welche Abzweigung er nehmen musste. Doch jetzt ritt er in die falsche Richtung, jetzt ritt er nicht mehr auf sein eigentliches Ziel zu. Und das Sonderbare war: Er ritt auch nicht davon. Kein Wunder, dass er immer noch nicht glauben konnte, was er da tat. Stranger hatte die Strecke zu den beiden Wagen in kürzester Zeit zurückgelegt, trotz seiner eigenen Erschöpfung. Er lenkte ihn ein wenig nach rechts, um einen besseren Einblick hinter den Karren zu erlangen. Da stand ein junger Mann mit einem Esel und eine Gruppe anderer Leute. Auf dem Boden lagen die Leichen von mehreren Soldaten. Wenn die seltsame Position der Wagen nicht schon eine Warnung gewesen war, jetzt hatte er Gewissheit: Irgendetwas war schiefgegangen. Und mit wem immer er es zu tun bekommen würde, war gefährlich. Einer der Männer kletterte in den hinteren, kleineren Wagen, ein zweiter war nach vorne zum Kutschbock gegangen, doch er achtete kaum darauf, denn das kurze Aufblitzen einer metallenen Klinge hinter dem Wagen zog seinen Blick auf sich. Jemand lauerte auf ihn. Er zügelte Stranger zu einem langsameren Tempo, und ließ ihn die letzten Meter im Schritt gehen. Selbstverständlich war er längst entdeckt worden, deshalb hatte es keinen Sinn, kopfüber in einen möglichen Kampf zu stürzen. Als er den größeren Wagen fast erreicht hatte, trat ein Mönch dahinter hervor. Er erkannte ihn sofort, trotz der Kutte. Ich hätte den Bastard umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Lester hatte seinen linken Arm um Aryas Hals gelegt und hielt die Klinge seines Schwertes an ihre Kehle. Die kleine Wölfin zappelte nicht, sie schaute ihn nur mit großen, grauen Augen an. Kinderaugen. Trotz allem. „Sieh an, dem Hund ist sein Welpe davongelaufen”, höhnte Lester und gab Arya einen Stoß, der sie zusammenzucken ließ. Der Hound biss die Zähne zusammen. „Lass sie los, Lester.” „Ich glaube nicht”, erwiderte der und lächelte. Das letzte Sonnenlicht fing sich auf seiner blanken Klinge. Ohne den Blick von den beiden zu wenden, saß Sandor ab und zog ebenfalls sein Schwert. Man konnte auf den ersten Blick sehen, dass es nicht so gut war, wie die Waffe seines Gegners. Ich hätte die Axt behalten sollen. „Lass sie los”, sagte der Hound noch einmal, so ruhig er konnte. „Sie hat dir nichts getan.” „Ach, das ist ein Mädchen?”, fragte Lester süffisant. „Hätte ich gar nicht erkannt.” Arya reagierte nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Sandor begann, sich ernsthafte Sorgen um sie zu machen. Er trat einen Schritt auf den Banditen zu. „Hör zu, wenn du nicht ...” Augenblicklich hob der sein Schwert wieder an Aryas Hals und grinste. „Nicht zu nah, Hund. Du willst doch nicht, dass der Kleinen was passiert?” Er ließ seinen Blick über die anderen Anwesenden schweifen. Eine junge Frau mit roten Haaren stand bei den Männern und schaute mit großen Augen zwischen ihm und Lester hin und her. Er lächelte schwach. Das war nicht Sansa Stark. Das war nur irgendein rothaariges Mädchen, genau wie er es von Anfang an vermutet hatte. Und dafür war er hierhergekommen. Er senkte sein Schwert. „Das Mädchen ist mir völlig gleichgültig”, sagte er mit einem leisen Lachen. „Mach mit ihr, was du willst.” „Aber ...” Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Bandit sein Schwert von Aryas Hals nahm. Sie hob ganz leicht den Kopf. „Warum bist du dann ...” Mit einer schnellen, eleganten Bewegung wirbelte er herum und zielte einen Streich auf Lesters Kopf. Der konnte seine Klinge gerade noch hochreißen, um zu blockieren. Im selben Moment biss Arya ihm in die Hand und riss sich von ihm los. Der Hound packte sie grob am Kragen und stieß sie zur Seite. „Aus dem Weg!” Sie landete auf allen Vieren und entfernte sich hastig von dem Kampf. Von links stieß Lester auf ihn ein und er konnte gerade noch einen Ausfallschritt zur Seite machen. Oberhalb seine linken Ellenbogens erwischte die Kante ihn und hinterließ eine kleine Wunde. Mit zwei großen Schritten nach hinten brachte er sich aus der Gefahrenzone. Er und der Bandit standen sich mit erhobenem Schwert gegenüber, schnaufend und bebend. „Diesmal wirst du mich nicht überrumpeln”, knurrte Lester. „Diesmal kriege ich dich.“ Kaum hatte William sie auf die Füße gezogen, fuhr sie auch schon herum, um die Kämpfenden zu sehen. Noch standen sie sich unbewegt gegenüber, die Ruhe vor dem Sturm. Die Gaukler hinter ihr flüsterten leise miteinander und huschten hin und her, doch sie selber stand mucksmäuschenstill da und sah zwischen den beiden Kontrahenten hin und her. Der Hound sah müde aus, sein Gesicht schien im Abendlicht eine fast graue Farbe zu haben. Doch auch Lester war nicht ganz frisch. Er hatte bereits gekämpft und obwohl die Leichen seiner Opfer von seinem Sieg zeugten, bemerkte sie jetzt mehrere kleine Schnittwunden und Risse in der Kutte. Der Hound wird ihn fertigmachen, dachte sie. Auf einmal stürmte Lester nach vorne und griff an. Klirrend trafen die Klingen aufeinander, zuckten hierhin und dorthin, die Bewegungen der beiden Männer nur verschwommene Linien in der Luft. Der Hound hatte die untergehende Sonne in den Augen und wich geblendet immer weiter zurück, während Lester Schläge auf ihn niederprasseln ließ. Plötzlich befand sich der Esel direkt hinter dem Hound. Fluchend wich er zur Seite und versuchte um das Tier herumzukommen, doch da kam ein weiterer Schlag des Banditen von oben. Der Hound konnte ihn abfangen. Das Bastardschwert rutschte an seiner Klinge hinab und bohrte sich in den Nacken des Esels. Mit einem beinahe menschlichen Schrei knickten dem Tier die Vorderbeine ein. Will schrie entsetzt auf und Lester fluchte lauthals. Es dauerte eine Sekunde zu lang, bis er das Schwert wieder unter seiner Gewalt hatte und das kostete ihn eine Wunde an der Schulter. Plötzlich rumpelte es hinter ihr. Die Schauspieler hatten sich auf den kleineren Wagen geflüchtet, der von Pferden gezogen wurde und darum schneller war. Vorne schnalzte jemand mit den Zügeln und das Gespann setzte sich in Bewegung. Der junge Mönch riss sich vom Anblick seines sterbenden Esels los und fuhr herum. „Nein! Nicht! My Lady ...!“ Er machte Anstalten, ihnen hinterherzulaufen. Es ist tatsächlich nicht seine Schwester, dachte Arya. Er hat auch nach Sansa gesucht. Aber warum? Ohne Nachzudenken rief sie: „Das Mädchen ist nicht Sansa!” Hinter ihr klirrten die Klingen aneinander und verstummten. William drehte sich um. Er schien nicht wirklich überrascht über diese Nachricht. Doch dann weiteten sich seine Augen, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen. „Arry ...” Der Wagen wurde kleiner hinter ihm. Seine Konturen begannen bereits, im Dunkeln zu verschwimmen. Der Hound und Lester hatten sich wieder voneinander getrennt und standen sich jetzt gegenüber. Der Hound atmete schwer. An seiner rechten Schulter prangte ein tiefer Schnitt. Lester hatte eine zweite tiefe Wunde am Oberschenkel und schien sein Gewicht nicht vollständig tragen zu können. Trotzdem machte er einen weiteren Vorstoß, schien zuerst einen Schritt an seinem Gegener vorbei zu machen, nur um dann seine Klinge von unten in Richtung seiner Brust zu stoßen. Der Hound blockte den Stoß mit seinem eigenen Schwert ab, musste dafür aber einen Schritt zurück machen. Dabei verlor er den Halt und krachte schwer gegen die Wand des Wagens. Sofort war Lester über ihm und holte aus. „Du bist Arya Stark.” Will achtete nicht auf die Kämpfenden, sondern hatte sie am Arm gepackt und schüttelte sie. „Nein, ich bin nicht –” Mitten im Schlag hielt Lester inne, um sie anzusehen. „Arya Stark?”, wisperte er. Sie schaute zwischen den beiden hin und her, suchte nach einer Antwort, als der Bandit keuchte und sein Schwert sinken ließ. Aus seiner Brust schaute die Schwertspitze des Hounds heraus. Verwirrt beobachtete Lester das Blut, das aus der Wunde floss, zwei dünne rote Bänder, kaum zu sehen in dem roten Stoff. Mit einer kräftigen Bewegung zog Sandor Clegane das Schwert wieder heraus und jetzt sprudelte das Blut nur so hervor. „Du ... du bist Arya Stark?”, flüsterte Lester kaum verstehbar, während er langsam in die Knie ging. „Ich bin ein Wolf”, sagte Arya leise. Es war bereits stockdunkel als sie die Kingsroad wieder hinabritten, dieselbe Strecke, die er nur wenige Stunden zuvor zurückgelegt hatte. Arya saß auf ihrer Stute, zusammengesunken und mit halb geschlossenen Augen. Er konnte nicht sagen, dass er selbst besonders gut fühlte. Die Wunde an seiner Schulter schmerzte und die harte Reise forderte ihren Tribut. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh. Trotzdem hatte er darauf bestanden, dass sie heute Nacht wieder aufbrachen. Sie mussten so weit von dem Wagen und den Leichen weg wie nur möglich. Der junge Mönch ohne Kutte hatte darauf bestanden, dass sie die Leichen begruben, doch Sandor war dagegen gewesen. „Dazu ist keine Zeit, Junge. Und wenn du klug bist, dann siehst du auch zu, dass du Land gewinnst.” In einem Anfall von Großzügigkeit hatte er ihm Lesters Pferd überlassen, da sein Esel ja gestorben war. Sein Kopf war zu dem Zeitpunkt seltsam leicht gewesen, als hätte er zu viel Wein getrunken. Er schob es auf den Schlafmangel. „Hey”, sagte Arya plötzlich. „Warum habt Ihr ihn nicht umgebracht?” Erstaunt, dass sie das Wort an ihn gerichtet hatte, schaute er auf. „Wen?” „Den Banditen. Lester.” Er schnaubte. „Du scheinst eine entscheidende Wendung nicht mitbekommen zu haben, Wölfin.” „Nein, ich meine vorher. Im Gasthaus. So wie den Dornishmann.” Unter ihm zog die staubige Straße vorbei und über ihm begannen Wolken die Sterne zu verdecken. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Sie wartete, doch als klar wurde, dass keine Antwort von ihm kommen würde, ergriff sie wieder das Wort: „Und warum seid Ihr zurückgekommen?” „Mir ist aufgefallen, dass es weniger Arbeit ist, dich dem Blackfish zu verkaufen.” „Aber wir können es doch wieder versuchen. Wir können Lady Stoneheart einfach wieder aufspüren und dann könnt Ihr sie umbringen”, sagte sie, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Nachdenklich schüttelte er den Kopf. „Nein, wir hatten großes Glück, dass wir genau im richtigen Augenblick auf ihre Leute gestoßen sind. Ich glaube nicht, dass das nochmal passieren wird.” „Was hättet Ihr denn überhaupt für ihren Tod bekommen?” Er schlug sie sanft auf den Hinterkopf. „Das geht dich immer noch nichts an.” Sie schwieg eine Weile. Ab und zu schaute er besorgt zu ihr herüber weil er fürchtete, sie sei eingeschlafen und würde aus dem Sattel kippen. Doch ihre Augen waren offen und begegneten seinem Blick jedes Mal ohne Furcht. „Warum seid Ihr dann zurückgekommen?”, fragte sie schließlich leise. „Weil du und deine Schwester zusammen mehr Lösegeld gegeben hätten”, brummte er nach kurzem Zögern. Sie nickte. Die Straße zog unter ihnen dahin. Der Mond wanderte stumm durch die Wolken und sah milde auf die Welt hinunter. Als Sandor wieder zu Arya schaute, hatte sie die Augen geschlossen und schwankte bedenklich im Sattel. Er streckte die Hand aus, um sie wachzurütteln, doch dann zögerte er. Mit einer leichten Bewegung der Zügel brachte er ihr Pferd zum Anhalten. Er stieg von Strangers Rücken und schwang sich vorsichtig hinter Arya in den Sattel. Ihr Atem ging noch immer regelmäßig, als er ihr die Zügel aus der Hand nahm. Sie war nicht aufgewacht. Er presste der Stute die Fersen in die Seite und machte sich auf nach Süden. Epilog: Epilog -------------- Epilog Als Craven den letzten Hügel erklommen hatte, konnte Arya auf Saltpans hinabsehen. Die Stadt war nicht sehr groß, einzig der Hafen machte sie attraktiv. Sie konnte einige Schiffe darin liegen sehen, doch der Krieg hatte dem Handel stark zugesetzt und nicht alle Plätze waren belegt. Während sie ihren Blick über die Dächer schweifen ließ, begann ihr Blickfeld zu verschwimmen. Energisch rieb sie sich die Augen und blinzelte heftig. In der Krabbenbucht lag die Stille Insel. Sie konnte sogar das Kloster darauf sehen. Williams Kloster. Sie fragte sich, ob er sie immer noch aufnehmen würde, so wie er es ihr angeboten hatte. Damals, als der Hound sie vor Lester gerettet hatte. Er hatte ihr zugeflüstert, dass er sie mitnehmen würde. Im Kloster wäre sie sicher, es gäbe genug zu Essen und sie könnte tun und lassen was sie wollte. Doch sie hatte abgelehnt. Ich hätte mit ihm gehen sollen, dachte sie wütend. Und nicht mit dem Hound. Er hatte sie verlassen. Genau wie alle anderen. Am Ende blieb doch immer nur sie übrig. Egal, wie sehr sie sich bemühte, ein Rudel aufzubauen. Am Ende war sie doch alleine. Ein weiteres Mal wischte sie sich über die Augen. Der blöde Hound konnte ihr gestohlen bleiben. Sie hoffte, dass er sterben würde. Verletzt und bewegungsunfähig war er ein leichtes Opfer für Wölfe. Wahrscheinlich würde er schon vorher seinen Verletzungen erliegen. Sie konnte ihn noch immer sehen, an den Baum gelehnt und mit diesem verzerrten Gesichtsausdruck. Das Geschenk der Gnade, dachte sie. Er hat keine Gnade verdient. Er hat Mycah umgebracht. Einen leichten Tod von meiner Hand ist zu gut für ihn. Craven setzte sich in Bewegung, nachdem sie ihr die Fersen in die Seite gedrückt hatte. In einem leichten Trab setzte die Stute den Hügel hinab, in Richtung der Hafenstadt. Sie wusste, dass es nicht Hass gewesen war, der sie davon abgehalten hatte, den Hound zu schonen. Sie hatte ihn nicht töten können. Trotz seiner schweren Verletzungen und seinen Beleidigungen hatte sie es einfach nicht gekonnt. Sie war wütend auf ihn, weil er sie alleine ließ und weil er zu schwach war, um zu überleben. Und ein klein wenig hasste sie ihn auch dafür. Doch ein weiteres Mitglied ihres Rudels sterben zu sehen, hätte sie nicht über sich bringen können. Und irgendwann auf ihrer Reise war er ein Teil ihres Rudels geworden. Und Wölfe töten keine Mitglieder ihres Rudels. Das hatte ihr Vater ihr irgendwann mal beigebracht, als sie noch zu klein gewesen war, um es wirklich zu verstehen. Eines Tages werde ich ein Rudel finden, dass mich nicht ständig im Stich lässt. Aber eines hatte sie immerhin gelernt: Dass Wölfe und Hunde nämlich doch Rudel bilden können. Auch wenn sie sich anknurren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)