Harry Potter und der Halbblutprinz von Orange-Glass ================================================================================ Kapitel 2: Eine Stunde Nachsitzen --------------------------------- Eine Stunde Nachsitzen Der Tag raste förmlich dahin, wie immer, wenn einen etwas Unangenehmes erwartete. Beim Abendessen in der großen Halle versuchte Harry, nicht zu Snape zu sehen, doch es gelang ihm nicht. Kurz hatten sie Blickkontakt, doch Harry wandte sich schnell ab. Sein Kopf glühte, die Bilder der letzten Nacht tauchten wieder in ihm auf, Snapes Gesicht so nah vor seinem..."Harry!" Hermine energische Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, wofür er ihr ausnahmsweise mal sehr dankbar war. "Was ist denn nur heute mit dir los?" fauchte Hermine ihn an. "Du bist schon den ganzen Tag so abwesend!" Harry brachte nur ein müdes Lächeln zustande und erklärte, er habe nicht gut geschlafen. Das schien sie zu beruhigen und sie wandte sich wieder ihrer Diskussion mit Neville zu. Als er seinen Blick wieder verstohlen zu Snapes Platz wandern ließ, stellte er überrascht fest, dass dieser verschwunden war. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken und aß seinen letzten Bissen Kürbiskompott, als Dumbledore das Abendessen beendete. Seufzend erhob sich Harry, murmelte seinen Freunden was von wegen "Hausaufgaben, Bibliothek" zu und begab sich in Richtung der Kerker. Er schlenderte so langsam wie möglich die feuchten, unterirdischen Gänge auf dem Weg in die Kerker entlang. Er konnte sich weißgott schöneres vorstellen, als den Abend bei Snape zu verbringen. Er wollte gar nicht daran denken, welche Unannehmlichkeiten ihn noch erwarten würden. Und er wollte nicht mehr an die Geschehnisse der letzten Nacht denken. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er nun doch vor der schmalen Tür zu Snapes Büro ankam. Er hob seufzend die Hand und klopfte an. Fast eine Minute stand er vor der verschlossenen Tür und wartete, fast schon wagte er zu hoffen, Snape würde nicht da sein, doch dann öffnete er ihm doch. Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert, nichts erinnerte mehr an das hämische Grinsen der letzten Nacht. "Potter, da sind Sie ja. Ihre Aufgabe wird es sein, meine persönlichen Vorräte aufzuräumen, die Behältnisse zu säubern und neu zu sortieren" Snape packte Harry am Ärmel und schubste ihn in sein bis zur Decke mit Gläsern und Schachteln voll gestelltes Büro. "An die Arbeit!" Der Schweiß rann Harry in Anbetracht der Tatsache, dass er wohl die ganze Nacht mit dieser unschaffbaren Aufgabe zu tun haben würde. Angewidert betrachtete er Reptilien und anderes undefinierbares Zeugs, die in Gläsern vor sich hin faulten, sofern sie nicht in eklige, trübe Brühe eingelegt waren. "Nicht so zurückhaltend, Potter!" da war er wieder, dieser kalte Hohn in Snapes Stimme, der ihm gestern schon das Blut hatte gefrieren lassen. Widerwillig krempelte er sich die Ärmel hoch, und begann ein Regal mit getrockneten Kräutern und Tiergliedmassen auszuräumen. Sorgfältig stapelte er Schachtel über Schachtel, sortierte und beschriftete, soweit ihm der Inhalt bekannt war. Er wollte sich nicht die Blöße geben, Snape jedes Mal nach dem Namen des jeweils fragwürdigen Objekts zu fragen. Zumal auch Snape wohl nicht sehr begeistert davon gewesen wäre. Harry war so vertieft in seine Arbeit, dass er nicht merkte, wie Snape aufstand und sich ihm näherte. Erst, als er den Atem seines Lehrers hinter sich hören konnte, fiel ihm auf, dass dieser schon eine Weile nicht mehr am Schreibtisch saß. Harry drehte sich ruckartig um und blickte direkt in die tiefschwarzen Augen des Lehrers. "Professor...?", brachte er mit zitternder Stimme hervor, doch der schien in gar nicht zu hören. Harry spürte schon wieder seine Knie weich werden und er wusste, dass er diesmal nicht so leicht davonkommen würde, wie letzte Nacht, auch wenn er kein Ahnung hatte, was er eigentlich verbrochen haben sollte. Es schienen unendliche Augenblicke, in denen sich die beiden gegenüberstanden, Harrys verschreckter Jadeblick gegen die dunklen, stechenden Augen seines Lehrers. "Potter, Sie sind ihrem Vater wirklich sehr ähnlich", wisperte Snape kalt und kam noch ein Stückchen näher. Einen kurzen Moment schoss Harry durch den Kopf, dass der Zaubertranklehrer ihn vielleicht küssen wollte, doch den Gedanken wischte er im selben Moment wieder weg. Wenn es nicht so beängstigend wäre, hätte er im selben Moment laut losgelacht. Nun berührten sich ihre Nasen beinahe und Snape hob die Hand und strich dem Schüler behutsam über die Wange. Mit aller Gewalt kam Harrys Phantasie von vorher in seinen Kopf zurück geschossen. "Ja, die Ähnlichkeit ist überwältigend", wisperte er, dann riss er sich von Harry los und rauschte, "Weitermachen!" brüllend, aus dem Büro. Völlig verdattert blieb Harry in dem Büro zurück, er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Der Drang, sich einfach aus dem Staub zu machen, solange Snape weg war, wurde unermesslich groß, doch er blieb einfach dort stehen, wo Snape ihm gerade zärtlich über die Wange gestreichelt hatte. Das Gefühl der kalten Hand auf seiner Haut durchfuhr in und seine Nackenhaare stellten sich wohlig auf. So wirklich unangenehm war ihm die Berührung nicht gewesen... Doch sofort schüttelte diesen Gedanken wieder ab, so etwas durfte er gar nicht zulassen. Es war nicht SNAPES Berührung, die ihm nicht unangenehm gewesen war, es war DIE Berührung gewesen, ganz gleich von wem. Er war sechzehn Jahre alt und bis auf sein seltsames Techtelmechtel mit Cho Chang hatte er noch keine körperliche Nähe erfahren. Auch wenn er es vor sonst niemandem zugeben würde, so sehnte er sich doch danach. Jetzt gaben seine Knie endgültig nach und er rutschte an einem Regal langsam auf den harten, kalten Steinboden um seinen Kopf in den Händen zu vergraben. Löschen, alle Gedanken auslöschen, sich nie wieder erinnern. Harry hatte Lust, seinen Kopf gegen das massive Holz des Regals zu schlagen um diese seltsame Erinnerung zu vertreiben. Einmal tief durchatmen, aufstehen, weitermachen. Weitermachen, als wäre nichts gewesen. Severus Snape stand im Gang vor seinem Büro und atmete schwer. Er musste sich endlich zusammenreißen, bevor Potter noch überall herumerzählte, dass er ihn sexuell belästigt habe... Snape sog die Luft scharf ein und dachte daran, wie er Harrys Wange gestreichelt hatte...Harry Wange, die der von James so ähnlich war. Warum musste er nur immer wieder von dem gleichen Typ arroganter Schönling fasziniert sein? Von hinten hatte Potter genau ausgesehen wie sein Vater, die gleiche sportliche Statur, vielleicht nicht ganz so muskulös, doch dafür sehniger, den Umhang unbeabsichtigt lässig von den Schultern fallend. Snape schüttelte sich den Gedanken aus dem Kopf und öffnete die Tür zu seinem Büro. So schnell er konnte, rappelte Harry sich hoch, als er die Tür quietschen hörte und Snape wieder den kleinen Raum betrat. Er versuchte, so zu tun, als wäre er die ganze Zeit über an der Arbeit gewesen, wusste aber nicht, wie überzeugend ihm die Vorstellung gelang. Doch Snape schien ihn gar nicht zu beachten, rauschte durch den Raum und ließ sich wieder an seinem Schreibtisch auf den Stuhl fallen. Harry widmete sich wieder den Kräutern und Tierteilen im Regal, doch wirklich auf die Arbeit konzentrieren, da er das permanente Gefühl hatte, Snape würde ihn mit seinem dunklen Blick durchbohren. Doch jedes Mal, wenn Harry einen verstohlenen Blick hinter sich riskierte, war der Lehrer in ein großes, altes Buch vertieft, das schon vorher auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Und doch wurde er das Gefühl nicht los, von Snape beobachtet zu werden. Einen getrockneten Krötenlaich in der Hand, merkte er, wie seine Ohren rot wurden. Fahrig versuchte er, mit einem Messer ein Stück Kordel zu zerschneiden, als er sich tief in das Fleisch seiner linken Hand schnitt. Der Schmerz durchzuckte ihn, als seine Hand sofort anfing, unaufhörlich zu bluten. Scheiße, was hatte er sich von Snapes Gestarre so ablenken lassen! Selber Schuld! Zu seinem Bedauern war dem Lehrer hinter ihm wohl aufgefallen, dass etwas nicht stimmte, wiederum hörte er leise Snape Robe rascheln, als dieser sich erhob und auf ihn zu schritt. Trotz eifriger Bemühungen, die Blutung unauffällig zu stillen, tropfte das Blut unablässig auf den grauen Kerkerboden. Harry schloss kurz die Augen. Snape idiotische Kommentare über seine Ungeschicklichkeit konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen. "Genug für heute, Sie dürfen schlafen gehen, es ist bereits spät!" War das etwa alles? Harry blickte verdutzt zu seinem Lehrer empor, konnte aber keinen Blick von ihm erhaschen, der das gerade erklären würde. Fast schien es so, als würde Snape Harrys grünen Augen ausweichen. Um etwas zu verstecken. Zu verheimlichen. "Nun gehen sie schon!", forderte Snape ihn ungeduldig auf. Das ließ sich Harry nicht noch einmal sagen. Er raffte seine Uniform um nicht über den Saum zu stolpern. Snape hielt ihm die Tür auf und als Harry den Gang hinuntereilte, hatte er das bekannte Gefühl, als würde Snape ihm hinterher starren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)