Die Begegnung von Nellas ================================================================================ Kapitel 2: Schatten im Lager ---------------------------- Ein junger Mann mit kurzgeschorenem dunklen Haar lag auf dem Boden des geräumigen Zeltes. Es war gerade groß genug, dass er aufrecht darin stehen könnte, würde er sich aufrichten. Er war nicht besonders groß und nicht besonders stark, aber ihn als klein und schmächtig zu bezeichnen würde ihm Unrecht tun. Die schlanken, sehnigen Arme waren durchaus harte Arbeit gewohnt, wie man an den dicken Fingern sehen konnte, auf die der kantige Kopf gebettet war. Die buschigen Augenbrauen und der struppige Dreitagebart wollten nicht so recht zum edlen Eindruck seiner ansonsten so zierlichen Gestalt passen. Diese flach hervortretende Stirn verlieh ihm vielmehr ein dümmliches Aussehen, als hätte man einen Teil seines Gehirns entfernt um seinen Kopf windschnittiger zu machen. Manche sagten auch, ihm wurde als Kind zu oft ins Gesicht geschlagen, und das hätte den Kopf eingedellt. Nichts als Gerede. Wer sich vom ersten Eindruck täuschen ließ und den Jungen für dumm und einfältig hielt, der beging einen tödlichen Fehler. Leider galt das nicht für jeden in der Familie. Quin wandte sich seufzend von seinem kleinen Bruder ab und hackte weiter durch die Schalen der restlichen Zwiebeln. Je schneller er fertig war, desto schneller war er diesen Geruch los. Er war so gut wie blind von den Trännen, und sogar Seisyll schniefte im Schlaf. Nicht dass dazu Zwiebeln nötig waren... Quin warf einen besorgten Blick auf seinen Bruder, doch er schien ruhig zu schlafen. Endlich. Seit die Kleinen nicht mehr da waren... Seisyll gab sich selbst die Schuld, dabei war Quinten der älteste von ihnen. Der älteste in der Nähe zumindest. Die Großen helfen den Kleinen... Aber das einzige, was er beitragen konnte, war, sich in Schwierigkeiten zu bringen aus denen ihn Seisyll wieder rausholen musste. Aber wenn er nicht seinen Spaß hatte, wer von ihnen hätte es sonst? Er wusste nicht mehr wann, aber Stück für Stück hatte er Seisyll die Zügel überlassen. Seine großen Brüder waren stärker als er, sie passten auf ihn auf wenn er mit den Soldaten unterwegs war. Sein kleiner Bruder war schlauer als er, er kümmerte sich um den Haushalt und die Ausbildung der Kleinen. Eine perfekte kleine Familie, in der jeder eine Aufgabe hatte. Jeder außer Quin, das fünfte Rad am Wagen. Die Tränen mit seinen Pranken wegwischen zu wollen war eine schlechte Idee, der Zwiebelsaft brannte in seinen Augen und er sah gar nichts mehr. Aber er hatte ihm doch versprochen, nach den Geistern Ausschau zu halten und ihn zu wecken, bevor sie ihn erreichten... Fluchend rieb sich Quin die Augen, aber es wurde immer noch schlimmer. Es schmerzte schließlich so sehr, dass ihm nichts anderes übrig blieb als nach draußen zu flüchten. Er blinzelte in die frische Luft. Wenn er nicht wüsste, dass die Tränen seinen Blick trübten... er hätte schwören können, dass blitzschnell Schatten an ihm vorbei ins Zelt huschten... Quin fuhr herum und riss das Tuch vom Eingang. Die kühle Vormittagssonne schickte ihre Strahlen hinein, doch Seisylls Decke war nun in umso tiefere Dunkelheit gehüllt. Aber sein Schlaf blieb ruhig. Quin war sich nicht sicher, ob er ihn wecken sollte oder nicht. Einerseits wollte er, dass er sich endlich mal so richtig ausschlafen konnte. Andererseits musste er um jeden Preis verhindern, dass ein Albtraum ihn weckte. Die Angst vor den Schatten hielt Sei schon seit Jahren wach. Die dunklen Ringe unter seinen Augen hatte er schon, seit er acht Jahre alt war. Es gab immer wieder bessere und schlechtere Zeiten, manchmal verschwanden die Schatten auf der Haut sogar fast vollständig. Doch momentan waren es definitiv wieder schlechtere Zeiten. Es spricht für sich, dass Quin - unschlüssig, was er tun sollte - die Augen seines Bruders eine ganze Weile beobachten musste, bis er bemerkte, dass sie offen waren. Schuldbewusst kam Quin näher. Es war ein gutes Zeichen, dass Seisyll nicht hochgeschreckt war. Aber auch wenn Quin dumm wie Brot war: Er kannte den Ausdruck in den Augen seines Bruders, wenn ein Alb seinen Geist entführt hatte. "Willst du's mir erzählen?", fragte er vorsichtig. Es war merkwürdig, dass er fragen musste. Normalerweise zwang Seisyll Quin nicht dazu, so feinfühlig daherzureden. Er setzte sich schweigend hin und Sei begann zu erzählen. So war es immer gewesen. Das war die Abmachung. Seisyll erzählte ihm seine Visionen und Quinten hörte zu, ohne sich darüber lustig zu machen. Aber diesmal schüttelte Sei den Kopf. Er hatte ihn nicht nur dazu gezwungen nachzufragen, sondern brach nun auch die Vereinbarung! Nicht dass sie je etwas direkt vereinbart hätten, aber Quin fühlte sich trotzdem verraten. Wütend stützte er sich zum Aufstehen auf Seisylls Kopf. "Dann nicht, Idiot!" In düsterem Schweigen hackte Quin auf die Zwiebeln ein. Er hasste es, in einer Situation wie dieser schniefen und heulen zu müssen. Und Seisyll sagte immer noch kein Wort! Er lag unbewegt da und bekam das Maul nicht auf. So schlimm konnte es nicht sein, sonst wäre er aus dem Schlaf hochgeschreckt, verschwitzt und mit aufgerissenen Augen, keuchend wie eine zusammengebrochene Schindmäre. Es war ja nicht so, dass die Geschichten harmlos waren. Oft genug hatte sich Quin zwar zurückhalten müssen nicht zu lachen, aber meistens waren die Erlebnisse düster. Vorahnungen, seine Zweifel und Ängste, es machte Seisyll nicht einmal etwas aus in diesem Zustand von zutiefst privaten Angelegenheiten zu erzählen. Das war hin und wieder schon merkwürdig, doch Sei erzählte es ihm ja nicht. Er sprach mit sich selbst, und Quin war einfach zufällig in Hörweite. Normalerweise. Diesmal war es anders. Seisyll schwieg beharrlich. Das konnte Quin auch. Die Stille verdichtete sich immer mehr. Sie ballte sich zwischen ihnen zusammen, nur durchbrochen von den saftigen Schnitten der massiven Klinge seines treuen Messers. Wenn das noch lange so weiterging, dann hätte er große Lust es nach Sei zu werfen! Und wenn er nach etwas warf, dann traf er das auch!! Aber schließlich war die letzte Zwiebel kleingeschnitten und Quin konnte mit der hölzernen Schüssel aus dem Zelt stürmen, bevor das Schweigen ihn erdrückte. Quin war einer der Späher, die ausgesandt wurden um andere verstreute Kameraden zu finden und nach dem feindlichen Heer Ausschau zu halten, das die Hauptarmee zermalmt hatte. Er sah Seisyll erst wieder, als er nach Einbruch der Nacht zurückkehrte. Sein Bruder hatte Wachdienst. Aber er saß einfach nur da und starrte in die Flammen des viel zu großen Lagerfeuers. Der edle Theoderich wenn ihn so erwischte! Eigentlich war sein Zorn über den Tag hinweg verraucht, doch nun war alles wieder da. Von den Kräutern, die er unterwegs als Versöhnungsgeschenk gesammelt hatte, bekam er bestimmt nichts ab! Doch als er sich abwandte, zuckte ein Schatten an seinem Augenwinkel vorbei. Die Sorge war wieder da, aber am Ende war die Wut stärker. Sollte er sich doch so viel Ärger einhandeln wie er wollte, irgendwie kam er da schon wieder raus! Auch diesen Morgen und den Morgen darauf wurde Quin nicht von unruhigem Hin- und Herwälzen geweckt. Das Schweigen war noch immer ungebrochen. Es stand zwischen ihnen wie eine Felswand. Sie hatten beide ihre Aufgaben, wenn sie keinen Wert darauf legten liefen sie sich tagsüber nicht besonders oft über den Weg. Aber Quin entdeckte ihn immer wieder, wie er zwischen den Zelten herumschlich. Zumindest war es das, wovon er überzeugt war. Er sah immer nur einen Schatten am Rande seines Blickfeldes, der verschwunden war sobald er genauer hinsah. Quin konnte sich nicht einmal sicher sein, überhaupt etwas gesehen zu haben, also hielt er den Mund. Aber er war sich absolut sicher, dass Seisyll etwas damit zu tun hatte. Wenn er nur wüsste was... Irgendwann wurde es Quin dann zu dumm. Die Lage war schon düster genug, da brauchte er sich nicht auch noch die Laune von seinem kleinen Bruder verderben lassen! Er begann wieder, mit seinen Kameraden am Lagerfeuer zu scherzen und seine gute Laune im Lager zu verteilen, auch wenn sie angesichts der aussichtslosen Situation und der gedrückten Stimmung der letzten Tage niemand haben wollte. Aber Quin ließ sich nicht beirren: Wenn niemand hinsah, dann ließen sich auch die griesgrämigsten Miesepeter zu einem kopfschüttelnden Lachen hinreißen! Und er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eben jene Miesepeter so lange zu bearbeiten, bis sie sich wünschten netter zu ihnen gewesen zu sein, weil sie sich dann zum gute-Laune-Trupp hätten setzen dürfen. Wenn Quin auch sonst zu nichts taugte, Spaß haben konnte er immer und überall. Ganz im Gegensatz zu Seisyll. Der fand überhaupt nichts mehr komisch. Fast wünschte ihm Quin, dass die Albträume wieder schlimmer wurden. Dann würde er angekrochen kommen. Dann würde er darum winseln, dass Quin über ihn wachte bis er eingeschlafen war. Immer noch Angst vor der Dunkelheit, zeh... Aber seit er sich ständig bei Heinrich von Hohenwasser und dessen Gefolge herumtrieb waren die Träume verschwunden. Er schlief unruhig, aber er erwachte still und verließ das Zelt leise. Sie sprachen kein Wort miteinander, aber Quin hörte wie man begann sich über Seisyll zu unterhalten. Er war nicht unbedingt auf dem Laufenden, aber wenn Sei spät oder gar nicht zurückkam, dann konnte er sich vorstellen wo er steckte. Es beruhigte, zu wissen wo er suchen musste. Auch wenn es ihn nicht beruhigte, dass er aus Seis Verhalten einfach nicht schlau wurde. Er war ein sturer dummer Esel, ja, aber auch abgesehen davon war er merkwürdig. Er spielte den unwissenden Bauerntölpel. Ließ sich herumschubsen, grinste dümmlich wenn sie ihn beleidigten... und wenn niemand hinsah, dann hatte er diesen Blick. Quin war der einzige, der es bemerkte. Er war auch der einzige, der seinen kleinen Bruder wirklich kannte. Und wenn es eins gab, dessen er sich sicher war, dann das: Die Dunkelheit machte Sei immer noch zu schaffen, aber er kam damit nicht mehr zu Quin. Und das bedeutete, dass es nichts mehr gab, das sie zusammenhielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)