Panoptikum einer Weihnacht von Sinistral (X-Mas in Castle Rock) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Nur noch der Stern, Mami!" "Den macht noch Papa, Spätzchen." Es war schon eine richtige Tradtition geworden. Jedes Weihnachten war es John, der den Baum zu Ende schmückte. Ein neun-zackiger Stern aus Silber, mit der goldenen Gravur "Von Jonas-Paul für Jenny-Lisa, die schönste Frau der Welt!"...Dieser Stern symbolisierte so unsagbar vieles für John. Schon zu Kindheitszeiten war dieser Stern der Fels in der Brandung für ihn, er konnte ihn stundenlang angucken, sich regelrecht in seiner Symmetrie verlieren. Sein Vater weilte nun nicht mehr auf der Welt, jetzt war es seine Aufgabe, den Baum fertig zu schmücken. Doch John hätte lügen müssen, wenn nicht ein Teil der Faszination des Sterns neben all der Nostalgie darin für ihn bestand, dass immer das Familienoberhaupt den krönenden Abschluss der Weihnachtsvorbereitungen vollendete. So sehr er sich anstrengte, er konnte den Stolz in seinem Gesicht nicht verbergen. Er war das Oberhaupt der Familie. Seine Mutter Jenny saß in der Einbauküche und backte mit Plätzchen mit den Kindern. Seine Mutter hätte es trotz ihres Alters noch mit einem Mammut aufnehmen können, soviel wusste John. "Jannilein, habe wir auch nicht zuviel vom Teig genascht, hm?" "Omi, nenn' mich nicht so, ich bin kein Baby mehr!" Johns Tochter Jana-Maria musste darauf hin laut loslachen. Kinder konnten so etwas Wunderbares sein. Jana-Maria konnte sich nicht mehr einkriegen. "Jannilein, Jannilein, Jan-ni-lein!, hahahahaha." Johns Frau Jill hatte alle Hände voll zu tun, die Geschenke einzupacken. Seit sie die zwei Kinder bekommen hatte, schien Jill sowieso immer im Stress zu sein. John wollte sie gerade küssen, als es klingelte. Das musste sein Bruder sein. Draußen war es in Castle Rock alles andere als Weiße Weihnacht, wie jedes Jahr eigentlich. Wer aus dem Fenster guckte, konnte nur ein paar leere Straßen mit ein paar Landstreichern sehen, welche an den mit Lichterketten gekleideten Häusern vorbeihuschten. Ein Mann stand nun vor der Tür, umhüllt von einen dicken, schwarzen Mantel. Seine Augen waren eisig und klar wie der zugefrorene Teich vor dem Haus, doch schienen sie sich mit einer gewissen Wärme durch die Nacht zu bannen. John umarmte Jill noch schnell und gab ihr einen Kuss, ehe er zu seinem Bruder eilte. Sein Bruder schaute sich das Schild vor der Haustür nochmal an: "Hier wohnen...John Smith, Jill Smith..." Jaja, dachte sein Bruder, die typische All-American-Family. "Jesus, Bruderherz, lange nicht mehr gesehen, was, alter Knabe? Komm herein!" Johns Bruder trat in das Haus. Lichterketten, Kerzen, Adventskränze und sehr, sehr viel selbstgebastelte Deko stachen in seine Augen und der Geruch von Lebkuchen kitzelte seine Nase. Dieses Haus schrie förmlich nach einen weihnachtlichen Familientreffen. "Du kannst dich etwas umsehen, Mutter und die Kinder sind in der Küche und backen Plätzchen, ich muss noch kurz zu Jill, Geschenke einpacken." sagte John und grinste. "Hui, das habt ihr hier schön eingerichtet, muss ich sagen." "Danke...du weißt ja, ich mag es eigentlich nicht so kitschig, aber..." "...die Kinder lieben es, , nicht wahr?" ergänzte Jesus, worauf sie beide laut loslachen mussten. Sei waren wie ein Herz und eine Seele und für einen kurzen Augenblick schien es, als ob vier statt zwei Kinder im Haus waren. Als John wieder zu Jill kam, ging sie in Geschenkpapier unter. "Du bist immer noch das schönste Geschenk von Allen, Darling" flüsterte John und soviel Stress Jill auch hatte, diese Schmeicheleien hatten sie fast vollständig wieder aufgebaut. Jill liebte ihre Familie zwar, aber...eine Stimme in ihr, die kleine Jill sozusagen, hätte diese Idylle am Liebsten in 1000 Teile zerfetzt. Diese innere Stimme war die einer junggebliebenen, rebellischen Göre, die nur drei Sachen wollte: Sex, Drogen und Rock'n'Roll. Als hätte John diese Gedanken lesen können, knabberte er an ihrem Ohrläppchen und flüsterte: "Ich weiß, wie sind keinen verliebten Teenies mehr, aber heute Nacht..." Jill kicherte und brachte die Geschenke zum Weihnachtsbaum, ihre Röte im Gesicht harmonierte wunderbar zu den Kerzen. Oh, wenn bloß Jenny-Lisa diese Flüstereien mitgekriegt hätte. Sie war eher noch der Mensch, der die Bibel statt Reader's Digest als Abendlektüre vorzog und warscheinlich auch gegen die Entwicklung des elektrischen Lichts auf allen Vieren protestiert hätte, wenn sich die Möglichkeit geboten hätte. Natürlich konnte John dies alles nur vermuten, aber auf eine seltsamme Art und Weise schien er es zu wissen. Jenny-Lisa war ihre Aversion gegen die Kommerzialisierung Weihnachtens ins faltige Gesicht geschrieben, aber sie erduldete es, wahrscheinlich um des Friedens Willen. Und besonders wegen ihrer Enkelkinder. In der Tat, was will man auch Kinder Moralpredigten von Geist der Weihnacht halten, wenn sie nur mit Mühe ihre eigenen Namen schreiben können? Jesus schien das alles nicht zu interessieren, er saß inzwischen gelassen im Sessel und putze seine Brille. Sein Bruder war der einzige in der Familie, den John nicht durchblicken konnte, jedenfalls nicht ganz. Vielleicht hing das mit seinem Beruf zusammen, dachte John. Schließlich war sein Bruder als Psychologe der Typ mit den Durchblick, er war es, der die Menschen analysierte, sie wie kleine Lego-Figuren auseinanderbaute, nur um sie wieder neu zusammenzusetzen. "Omi, krieg ich auch was aus Lego?", fragte Jana-Maria mit ihrem Dackelblick. "Warst du auch ein liebes Mädchen?" "Jaaa, Omi, und ob!" Ein sehr liebes Mädchen, dachte Jill. Ein sehr liebes Mädchen, das es verstand, emotionale Epressung zu ihrem Vorteil zu nutzen und sich schreiend auf den Boden warf, wenn es im Supermarkt seinen Lieblingslolli nicht bekam. "Dann wirst du bestimmt was kriegen, mein Schatz." Jenny blinzelte zu Jill rüber und wusste, wie sehr sich Jana-Maria über den Lego-Ponyhof freuen würde, auf den sie so versessen war. "Neun Jahre ist es jetzt her, dass wir alle so beisammen waren, Brüderchen." sagte Jesus in seinem therapeutischen Ton zu John. "Ja, es ist eine lange Zeit. Jill und ich waren noch nicht verheiratet und..." "...Daddy lebte noch." ergänzte Jesus trocken." "Also, willst du dieses Jahr den Weihnachtsmann spielen?", fragte John Jesus, welcher einwilligte. Jesus ging leise die Treppen hoch, richtung Dachboden, wo das Kostüm lag. John fragte sich, was alle Eltern sich fragte, nämlich, ob seine Kinder noch an den Weihnachtsmann glaubten oder einfach nur so taten. Hätte man ihm jedoch auf diese Frage eine Pistole an die Schläfe gepresst, hätte er zu "Nein" tendiert. "Daddy, krieg ich auch so 'ne coole Wasserpistole für Sommer?!". John war von seinem Sohn ganz schon erschreckt worden. "Weißt du, willst du nicht deiner Mutter in der Küche helfen?" wimmelte John ihn ab. Anders als seine Schwester war Jan nicht sehr energisch und leiste wenig Widerstand, sodass dieser sich sofort aufmachte. Endlich war es Neun Uhr Abends geworden. Die ganze Familie saß am großen Tisch im Esszimmer und wartete. Schritte hallten die Treppe runter. Das Ehepaar John und Jill Meier, Jenny-Lisa, "Jannilein" und Jana-Maria saßen jetzt alle ganz andächtig auf ihren Stühlen. Die ganze Bilderbuch-Familie, sie rührte sich nicht. Ihre Herzschläge synchronisierten sich, sie atmeten alle gleichmäßig und ihre Pulsschläge schlugen im gleichen Rhythmus. Jesus kam in das Zimmer und setzte sich in seinen Sessel. Sie wussten alle was jetzt bevorstand, und sie hassten es. Er polierte noch einmal seine Brille und lehnte sich zurück. Er musterte ihn, wie er da saß und kramte seinen Notizblock hervor und machte seine ersten Notizen, nachdem er einen kurzen Blick auf die Akten geworfen hatte. "Schau mich an. Ich bin da, um dir zu helfen. Erzähl mir von dem, was du als deine 'Familie' bezeichnest". Epilog: -------- Der Regen prasselte gegen die Scheiben und er wusste, dass es wieder ein langer Abend in der Psychatrie von Castle Rock werden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)