So finster wie die Nacht von BinaLuna ================================================================================ Kapitel 1: Ein Licht in dunkler Nacht ------------------------------------- So finster wie die Nacht Kapitel 1 ~ Ein Licht in dunkler Nacht Ryan zog die Tür hinter sich zu, doch sogleich bereute er es die heimelig warme Buchhandlung verlassen zu haben, in der er momentan jobbte. Warum musste er auch in einem Land leben, in dem es durchschnittlich an jedem dritten Tag regnete? Er blieb unter dem Unterstand stehen und stellte den Kragen seines Mantels hoch. Er musste wohl oder übel los, um seinen jüngeren Halbbruder von der Schule abzuholen. Bitte lass wenigstens den Wagen anspringen, betete Ryan und sauste dann durch den Regen zu seinem Auto. Als er hinter dem Steuer saß, waren seine braunen Haare bereits pitschnass. Ungeachtet dessen ging wenigstens sein Wunsch in Erfüllung und so stand er keine Viertelstunde später vor Jasons Highschool. Die Schule sah – jedenfalls Ryans Meinung nach – aus, wie ein altes englisches Spukschloss. Andere hätten vielleicht elitär dazu gesagt. Ryan konnte das ziemlich egal sein, denn sein Vater zahlte das Schulgeld. Er selbst hätte mit seinem mageren Aushilfsgehalt das Ganze auch kaum finanzieren können. Während er wartete, befand er sich Auge in Auge mit dem ehemaligen Schulleiter. Na ja, besser gesagt mit dessen Skulptur. Trotzdem fühlte er sich beobachtet. Umso erleichterter war er, als sein Bruder endlich auftauchte. Gerade noch rechtzeitig konnte er das kleine Päckchen in Sicherheit bringen, das er zuvor auf dem Beifahrersitz deponiert hatte. An eben jener Stelle nahm nun Jason platz und schüttelte sich. „Was für ein mieses Wetter.“ Jason verzog das Gesicht, doch seine grünen Augen funkelten amüsiert. Jene Augen waren die deutlichste Gemeinsamkeit der zwei Brüder, jedenfalls bis jetzt. Ryan war 25, Jason 17 Jahre alt. „Das kannst du laut sagen“, pflichtete Ryan ihm bei. Er versuchte den Wagen zu starten. Einmal, zweimal, beim dritten mal klappte es dann schließlich. Jason musterte Ryan von der Seite. „Zu dir oder zu ihr?“, fragte er nach einer Weile. Ryan besaß genug Anstand um verlegen zu werden. „Zu ihr“, entgegnete er. „Ich hatte nicht genug Zeit zum Einkaufen.“ Jason lachte. „Die Ausrede habe ich schon mal gehört.“ Obwohl sie seit fast einem Jahr kein Paar mehr waren, verbrachte Ryan noch immer mehr Zeit in Junes Wohnung, als in seiner eigenen. Kein Wunder, denn diese war größer, besser isoliert und der Kühlschrank war selten leer. Als es an der Tür klopfte, ahnte June schon, dass es mit dem ruhigen Abend vorbei war. Sie schloss auf und lehnte sich in den Rahmen. „Warum überrascht es mich nicht euch hier zu sehen?“ Ryan ging nicht weiter auf die Frage ein, die ohnehin rhetorisch gemeint war. Stattdessen umarmte er seine Ex-Freundin kurz. „Du siehst bezaubernd aus.“ „Netter Versuch.“ Dennoch trat sie einen Schritt beiseite und ließ die zwei hinein. June hatte haselnussbraune Augen, braunes Haar und klassische Gesichtszüge. Sie trug ein schlichtes, rotes Etuikleid, war aber barfüßig. „Wolltest du noch ausgehen?“ Jason mochte June, weil sie so unkompliziert war. Insgeheim wünschte er sich sogar, sie würde wieder mit seinem Bruder zusammen kommen und ihm vielleicht ein paar seiner Flausen austreiben. „Nein, ich war vorhin bei meinem Verleger und hatte noch keine Zeit mich umzuziehen“, antwortete June und ging in die Küche. „Wollt ihr zwei was essen?“ „Du kannst Gedanken lesen“, freute sich Ryan, während er seinen Mantel zum Trocknen aufhing. „Das war nicht schwer zu erraten.“ June blickte über ihre Schulter hinweg und schmunzelte. „Was macht der Job?“ „Na ja, was soll ich sagen.“ Ryan zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn noch.“ „Schön zu hören.“ Da June gerade in einem der unteren Schränke nach einem Kochtopf suchte, bemerkte sie zunächst nicht, dass Ryan hinter sie getreten war. Infolgedessen zuckte sie überrascht zusammen, als sie ihn nun dort stehen sah. „Apropos“, meinte Ryan und grinste breit. „Ich habe ein Geschenk für dich.“ June förderte ein augenscheinlich altes Buch zutage, welches Ryan zuvor in Packpapier eingeschlagen hatte. „Dracula?“ „Ja, du hast doch gesagt, du würdest das Buch gerne mal lesen.“ Ryan wirkte beinah ein bisschen verlegen, als er sah, dass sie sich darüber freute. Um sich das nicht anmerken zu lassen, plapperte er einfach weiter. „Ich wollte dir eine besondere Ausgaben schenken. Fast hätte ich die Suche aufgegeben, aber dann hat mir einer unserer Kunden sein Exemplar verkauft. Ob du es glaubst oder nicht, der Kerl sah selbst so aus, wie Bram Stoker.“ June lachte. „Nur, dass der seit fast 100 Jahren tot ist.“ Sie küsste ihn auf die Wange. „Vielen Dank!“ Jason gesellte sich zu den beiden und schaute June über die Schulter. „Hey, cool! Liest du so was?“ „Anscheinend schon“, gab June lächelnd zurück. Jason dachte nach. „Stellt euch mal vor, es würde Vampire wirklich geben.“ „Die gibt es. Mein Chef ist beispielsweise ein Blutsauger“, sagte Ryan. Belustigt rollte Jason mit den Augen. „Daran zweifle ich keine Sekunde, aber von solchen Blutsaugern war nicht die Rede.“ Die Nacht war kalt und sternenklar. Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und die silbernen Strahlen des Mondes erhellten die Umgebung. Auf der Straße waren nur noch wenige Autos unterwegs, die meisten Leute waren schon daheim und sicherlich war der Großteil der Menschen dieser Stadt schon längst am Schlafen. Jetzt, wo die Tage langsam wieder kürzer wurden und die Nächte sehr kalt, wurde es immer schwieriger, offene Fenster zu finden, durch die man in eine fremde Wohnung oder ein Haus einsteigen konnte. Doch Mona störte das weniger. Sie hatte eh keinen großen Spaß daran, irgendwo einzubrechen und sich ein Opfer zu suchen. Es war eher eine Notwendigkeit, denn sie brauchte Blut, um zu überleben. Menschliches Blut. Ihre langen, lockigen schwarzen Haare hatte sie sich sorgfältig hochgesteckt, damit sie nicht störten und so konnte das Mondlicht ungehindert auf ihr schönes, bleiches Gesicht fallen, während sie mit ihren dunkelroten Augen nach einer Gelegenheit suchte, um an ihre Nahrung zu kommen. Ihre Suche dauerte in dieser Nacht besonders lange, irgendwie hatte sie es diesmal einfach noch nicht fertig gebracht, jemanden zu töten. Mona tötete nicht gern, eigentlich hasste sie es sogar, obwohl es in ihrer Natur lag, denn sie war ein Vampir. Töten gehörte nicht unbedingt zwangsläufig dazu, wenn man einem Menschen das Blut aussaugte, aber bisher hatte es die Vampirin einfach nicht geschafft, ihren Durst genügend zu Stillen, bevor das Opfer sein Leben aushauchte. „Wie lange willst du denn noch suchen?“, fragte eine genervte Stimme plötzlich neben ihr und Mona verdrehte die Augen. „Lass mich in Ruhe, Katherine!“ „Du bist schon seit Stunden unterwegs. Ich habe noch nie jemanden von unserer Art getroffen, der dermaßen lang gebraucht hat“, feixte Katherine jedoch weiter. „Verfolgst du mich etwa wieder?“ Mona hasste es, wenn die andere Vampirin das tat. Ein böses Kichern war die einzige Antwort, die Mona bekam. Natürlich verfolgte Katherine sie. Das tat sie nur zu gerne, nur um jeden noch so kleinen Verstoß gegen ihre Gebote gleich den Oberen zu melden und sie zu triezen. Das ging bereits seit mehr als hundert Jahre so, genau genommen eigentlich seit dem Zeitpunkt, als die jüngere Vampirin zum Orden stieß. Mona schüttelte ihren Kopf, um die lästigen Gedanken an die damalige Zeit abzuschütteln. Sie wollte sich nicht daran erinnern, was damals geschah. Es tat einfach zu sehr weh. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Hier und Jetzt. Außerdem gab es noch ein weiteres Hindernis, das ihre Suche erheblich erschwerte. Sie konnte ein bewohntes Gebäude nur dann betreten, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Im Laufe der Jahre hatten die Vampire allerdings bemerkt, dass diese Bedingung vielfältig interpretiert werden konnte. Zu guter Letzt fand Mona ein mehrstöckiges Mietshaus, vor dessen Eingang eine Fußmatte mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen“ lag. „Oh, endlich“, flüsterte die Schwarzhaarige und blickte zu einem offenen Fenster hinauf. Sie raffte den Saum ihres schwarzen Samtkleides ein wenig, um ihre Landung leichter zu machen. Mona liebte zwar das Fliegen, das ihr mit dem Vampirumhang möglich war, aber mit Landungen auf Fenstersimsen hatte sie es nicht so. Diesmal jedoch gelang ihr eine sanfte Landung und vorsichtig spähte sie in den dunklen Raum, der vor ihr lag, die stechenden Blicke Katherines im Nacken spürend. Die fremde Wohnung lag ruhig und friedlich vor ihr und sie war sich sicher, dass die Bewohner bereits zu Bett gegangen waren. Obwohl sie es nicht gern tat, schlich sie zum Bett und wollte ihr Werk verrichten. „Du bist noch hier?“ Eve drehte sich nicht um. Stattdessen blickte sie in die finstere Tiefe unter ihren Füßen hinab. Sie mochte hoch gelegene Orte. Besonders der gut 50 Meter hohe Uhrenturm des Anwesens hatte es ihr angetan. Es gab einen simplen Grund dafür, dass sich Vampire gerne auf alten Landsitzen aufhielten. Meistens befanden sich diese schon seit ewigen Zeiten im Besitz der Familie, sie lagen abseits von Städten und niemand wunderte sich, wenn die Fenster stets mit schweren Vorhängen verdeckt waren. Es gab durchaus den ein oder anderen Vampir, der ein modernes Loft bevorzugte, aber diese waren deutlich in der Unterzahl. Untote hatten gerne ihre Ruhe. Da seine Frage realistisch gesehen keiner Antwort bedurfte, wartete Lionel auch nicht darauf. Er reichte Eve seine Hand. „Sei so gut und komm da runter“, bat er. Eve zögerte einen Moment, legte dann aber doch vertrauensvoll ihre Hand in seine. „Du wolltest Mona also nicht begleiten?“, erkundigte sich Lionel. „Nein.“ In der Dunkelheit konnte man nur Eves kornblumenblaue Augen erkennen, die von rabenschwarzen Locken halb verdeckt waren. Nein, natürlich nicht, dachte Lionel. Eve hasste es Menschen beim Sterben zuzusehen. Vielleicht auch deswegen, weil sie sich selbst nicht daran erinnern konnte, wie sie gestorben war. Auch waren ihre Erinnerungen an ein Leben als Vampir nur bruchstückhaft. Erst seit ihrem Eintritt in den Orden der Ewigen Nacht funktionierte ihr Gedächtnis wieder. Vampire waren in Orden zusammengefasst – als eine Familie, die ihre eigenen Gesetze hatte. Außerhalb einer solchen Gemeinschaft waren die Chancen auf ein Überleben im Laufe der Jahrhunderte immer schwieriger geworden. Sie waren Wesen, die von Natur aus zu Niedertracht neigten, doch wer würde es schon wagen sich gegen einen der Oberen – sie waren die Ältesten und Mächtigsten unter ihnen – zu richten? Aus diesem Grund funktionierte das System. Jedenfalls tat es das bisher. „Es ist eine merkwürdige Nacht“, sagte Eve unvermittelt. „Ist sie das?“ „Ja.“ Eve klang selbst ein wenig skeptisch, so als wüsste sie nicht, was sie zu dieser Aussage getrieben hatte. „Als würde der Wind eine Geschichte erzählen.“ Sie lächelte, was selten vorkam, und schüttelte dann den Kopf. „Was für einen sentimentalen Unsinn ich doch manchmal rede. Meine Nerven sind überspannt, weil ich mir Sorgen mache. Verzeih.“ Eve ging an Lionel vorbei, zurück ins Innere des Gebäudes. Das kuppelüberwölbte Treppenhaus lag im Halbschatten des Mondlichts. Das Anwesen erstreckte nahezu verlassen vor ihr. Der Großteil der Ordensmitglieder war in der Stadt auf Nahrungssuche. Lionel folgte Eve mit einigem Abstand. Irgendwann hatte Eve damit aufgehört ihn zu fragen, warum so häufig in ihrer Nähe war und es einfach hingenommen. Das war besser, als das Alleinsein. Lionels Blick fiel durch eines der Seitenfenster. „Möglicherweise hast du recht“, murmelte er. „Es ist eine merkwürdige Nacht.“ Ryan wurde von einem Schrei geweckt. Er brauchte etwa zehn Sekunden um folgende Dinge zu realisieren: Er war noch immer in Junes Wohnung. Vermutlich irgendwann auf dem Sofa eingedöst. Es war Nacht. Und – diejenige, die geschrien hatte, war June. Ryan kam so schnell auf die Beine, dass er fast stürzte. In Windeseile lief er zu Junes Schlafzimmer und riss die Tür auf. Die Dunkelheit machte es verdammt schwer etwas Genaues zu erkennen, aber jemand war June verdammt nah. Es genügte Ryan dies zu wissen. Wer auch immer seine Ex-Freundin festhielt, Ryan war bereit ihm oder ihr einen Schlag zu verpassen. Jedoch bestand dazu keine Notwendigkeit mehr. Ryan bekam eine Hand zu fassen und sogleich zog der Eindringling diese zurück, als hätte er sich verbrannt. Das Eigenartige daran war, dass Ryan tatsächlich das Gefühl hatte, die Person hätte sich verbrannt, was eigentlich nicht möglich war. Das Letzte, was er hörte, war eine Art Fauchen, dann war plötzlich alles still. Jedenfalls solange, bis Jason verschlafen das Zimmer betrat und das Licht anschaltete. „Störe ich euch bei etwas?“, fragte der Junge gähnend, der zuvor seelenruhig auf der Couch in Junes Arbeitszimmer geschlafen hatte. „Sehr witzig“, knurrte Ryan. „Hier ist jemand eingebrochen.“ Jason zog die Augenbrauen zusammen. „Hast du gestern Abend zu viel getrunken? Hier ist niemand.“ Ryan sah sich um. Der Einbrecher war tatsächlich verschwunden. „Er war hier“, beharrte er dennoch. Schulterzuckend trat Jason an das offene Fenster. „Wer auch immer hier hinein gekommen ist, der kann entweder fliegen oder verdammt gut klettern.“ Besorgt wandte sich Ryan June zu und streichelte ihr über die weichen, braunen Haare. „Bei dir alles okay?“ „Ja, ich denke schon.“ June wirkte mitgenommen, war aber glücklicherweise nicht der Typ, der bei so etwas völlig aufgelöst in Tränen ausbrach. „Du blutest!“ Jasons Müdigkeit war, wie weggefegt und nun war auch er besorgt. June legte eine Hand an ihren Hals. Dort war ein kleiner Schnitt zu spüren. „Vermutlich hat mich des Einbrecher gekratzt, als er überrascht wurde.“ „Ja, vermutlich.“ Ryan klang wie betäubt. Er starrte das Fenster an. June wohnte in im vierten Stock und auf dieser Seite des Hauses gab es keine Feuerleitern... Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)