So finster wie die Nacht von BinaLuna ================================================================================ Kapitel 3: Der Duft der Vergangenheit ------------------------------------- Kapitel 3 ~ Der Duft der Vergangenheit „Na, alles wieder klar bei dir?“ Gedämpft drang eine Stimme an Lilians Ohr, dann riss sie die Augen auf und setzte sich gerade hin. Ein Fehler, denn die plötzliche Helligkeit verursachte erstmal Orientierungslosigkeit bei ihr. Langsam erkannte sie, dass sie auf einem Bett saß. Ihr gegenüber stand Jason und schaute sie mit dem Anflug eines Lächelns an. Jason, nur dieser Name spukte in Lilians Kopf herum. Er musste sie in das Krankenzimmer der Highschool gebracht haben. Warum musste sie auch unbedingt wenige Meter hinter ihm umkippen?! Erst jetzt erinnerte sich Lilian wieder daran, warum es überhaupt soweit gekommen war. Der Vampirgeruch! Sie stellte fest, dass es erträglicher wurde, wenn man sich daran gewöhnte. Allerdings hatte sie keine Ahnung, warum dieser Geruch überhaupt an Jason haftete, denn dieser war zweifellos ein Mensch. „Alles wieder klar bei dir?“, wiederholte Jason seine Frage, weil er glaubte, Lilian habe ihn beim ersten Mal nicht verstanden. Seine arglosen grünen Augen blickten Lilian so neugierig an, dass sie für einen kurzen Moment vergaß zu atmen. „Äh... ja, alles bestens“, antwortete sie unsicher. „Das freut mich.“ Jasons Lächeln wurde breiter und er entblößte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne – als wäre er geradewegs einer Werbung für Zahncreme entsprungen. Lilian wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Hey, warst du in letzter Zeit mal mit einem Vampir zusammen? Nein, das konnte sie unmöglich fragen. Er würde sie mit Sicherheit für verrückt halten. Wahrscheinlich sogar zu Recht. Sie entschloss sich stattdessen dazu, das anzusprechen, was am nächsten lag. „Wie lange war ich ohnmächtig?“ „Eine gute halbe Stunde.“ Jason lehnte sich entspannt zurück gegen die Wand. „Ich konnte Mathe deswegen sausen lassen. Jetzt lohnt es sich nicht mehr hinzugehen.“ Nun war Lilian endlich mit ihrem Schwarm allein und sie hatte keinen blassen Schimmer davon, wie sie ein Gespräch mit ihm anfangen sollte. Sie hätte heulen können. Und dann war da ja auch noch die Sache mit dem Vampir. „Hast du das öfter?“, erkundigte sich Jason derweil. „Nein, normalerweise nicht.“ Okay, das klappte doch ganz gut. „Ich habe mich ganz schön erschrocken, als du ohne Vorwarnung umgekippt bist. Hast du dir den Kopf auch nicht angeschlagen?“ Wie auf Befehl fasste sich Lilian an den Kopf. „Alles noch heil.“ Sie probierte vorsichtig zu lächeln. „Ich habe einen Dickschädel, sagt meine Mutter immer.“ Jason lachte. „Das sagt mein Bruder mir auch immer. Dabei ist er selbst nicht besser.“ Er schaute zur Wanduhr hinüber. „Ist es okay, wenn ich dich jetzt allein lasse? Wenn ich Chemie auch noch schwänze, bekommt Mr. Greene bestimmt wieder einen seiner berühmten Anfälle.“ „Sicher, geh nur.“ Was hätte Lilian auch sonst sagen sollen? Jason wandte sich zur Tür, doch kurz bevor er den Raum endgültig verließ, fiel Lilian noch etwas ein. „Dein Fußballspiel heute... du warst klasse!“ Ein letztes Mal schaute sich Jason um und zog einen Mundwinkel nach oben. „Bis bald, Lilian!“ Zum Glück konnte er nicht mehr sehen, wie Lilian ihm mit mit offenem Mund nachstarrte. Er kennt meinen Namen, dachte sie. Seufzend ließ sie sich in das Kopfkissen zurückfallen, das vor Jahren vielleicht einmal weich gewesen war. Wie Wellen brachen die Gedanken über ihrem Kopf zusammen, kaum dass sie allein war. Wann war Jason mit einem Vampir in Kontakt gekommen? Oder bildete sich Lilian das alles nur ein? Nein, ausgeschlossen. Ein so starkes Gefühl konnte man sich nicht einbilden. Aber bedeutete das, dass Jason sich in Gefahr befand? Und wo zum Geier war eigentlich ihre Freundin Jessica? Diese hätte hier sein sollen. Durch Zufall fiel Lilians Blick auf ihr Handy. Eine ungelesene Nachricht. „Hab dich mit Jason allein gelassen. Versau deine Chance nicht. ;) Jessica.“ Am liebsten hätte Lilian das Handy gegen die Wand geworfen. „Okay, erkläre es mir noch mal“, seufzte Jessica. „Warum sind wie jetzt unter die Stalker gegangen und verfolgen Jason?“ Lilian legte einen Finger an die Lippen zum Zeichen, dass sie leiser sprechen sollte. „Ich habe dich nicht gebeten mitzukommen. Du bist mir einfach gefolgt“, stellte sie klar. Jessica machte eine vage Handbewegung. „Irgendwer muss dich ja im Auge behalten. Seit du umgekippt bist, verhältst du dich – selbst für deine Verhältnisse – eigenartig.“ „Vielen Dank auch“, gab Lilian sarkastisch zurück. Dann schwieg sie. Sie konnte Jessica sowieso nicht erklären, was es mit dieser Aktion auf sich hatte. Die Neugier hatte die junge Hexe gepackt. Sie wollte unbedingt herausfinden, was es mit dem Vampirgeruch auf sich hatte. Sie spähte um eine Ecke. Von hier aus konnte sie Jason gut sehen. Er stand an der Eingangspforte und schien auf jemanden zu warten. „Mir ist das zu blöd“, brummte Jessica nach einer Weile. Ihre Geduld war schnell strapaziert. „Ich gehe jetzt nach Hause. Ruf mich an, wenn du wieder normal bist.“ Lilian murmelte eine halbherzige Verabschiedung und schaute dann zum Eingang zurück. Fünf Minuten später hielt ein Wagen direkt vor Jason. Soweit Lilian es erkennen konnte, saß eine Frau darin. Sie musste näher heran. Jason zog sich die Kopfhörer seines iPods aus den Ohren und beugte sich zu dem offenen Wagenfenster. „June? Bist du jetzt neuerdings mein Fahrservice?“ Er grinste. June lehnte sich mit dem Oberkörper ein Stück weit vor, um ihn besser ansehen zu können. „Eine Ausnahme. Ryan rief mich an und bat mich dich abzuholen, weil er für einen kranken Kollegen einspringen musste.“ Das war ungewöhnlich. Normalerweise schrieb Ryan in solchen Fällen eine SMS mit dem Inhalt: „Es wird später. Nimm den Bus.“ Jason störte sich nicht weiter daran. Draußen war es viel zu ungemütlich, als dass er Junes Angebot ernsthaft hätte ablehnen wollen. Er öffnete die Tür und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Ryan hat zwar angeboten, sich um das Abendessen zu kümmern, aber um ehrlich zu sein hatte ich keine Lust auf den Kram vom Lieferservice“, erzählte June, wobei sie mit den Augen rollte. „Wir müssen also noch kurz einkaufen.“ Jason verkniff sich einen vorwitzigen Kommentar und nickte stattdessen bloß. „Kein Problem.“ Er fand es immer wieder erstaunlich, dass June und Jason sich aufführten, wie ein altes Ehepaar, aber nicht mehr zusammen waren. Andererseits konnte er gut verstehen, warum June die Nase voll hatte von Ryans Unzuverlässigkeit. Als sie abfuhren, bemerkte Jason nicht das Mädchen, das ihnen nachblickte. Da sie sich unbeobachtet fühlte, hatte Lilian ihren ganzen Mut zusammen genommen und war neben die Eingangspforte getreten. Diese Frau... der Vampirgeruch haftet auch an ihr, dachte Lilian erschrocken. Es war bereits dunkel, als Ryan endlich bei Junes Wohnung ankam. Er zog sich nicht mal den Mantel aus, sondern ließ sich gähnend auf das Sofa fallen. „Was für ein langer Tag“, murrte er leise. „Wenn die dunkle Jahreszeit bevorsteht kommen die Verrückten aus ihren Löchern gekrochen.“ „Das sagst du auch im Sommer. Da behauptest du nämlich immer, dass die Leute die Sonne nicht vertragen“, wandte June ein. „Und im Frühling ist es der Pollenflug“, pflichtete Jason ihr bei. Ryan ließ sich etwas tiefer in die Polster sinken. „Kunden sind grundsätzlich anstrengend.“ June tätschelte ihm den Kopf. „Ich weiß, du hast es wirklich schwer. Trotzdem musst du mir jetzt deinen Mantel geben und dir die Hände waschen, damit wir essen können.“ Ryan schnitt eine Grimasse. „Du bist schlimmer, als meine Mutter.“ Dennoch tat er brav, was sie ihm aufgetragen hatte. Der Gedanke ans Abendessen weckte seine verbliebenen Lebensgeister. June hatte keine Lust auf langwierige Küchenarbeit gehabt und kurzerhand Pilz-Omelette gemacht, was aber immer noch nahrhafter war, als das in Fett getränkte Zeug, das Ryan für gewöhnlich vom Schnellimbiss um die Ecke mitbrachte. „Ich weiß jetzt übrigens, wie der Einbrecher hier hinein gelangt sein könnte“, sagte Ryan unvermittelt, während er sich an den Tisch setzte und nach dem Besteck griff. Zwei Augenpaare richteten sich mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis auf ihn. „Ach ja?“ Jason zog eine Augenbraue hoch. „Und wie bitteschön?“ Er hielt die Erklärung mit dem Alptraum noch immer für die glaubwürdigste Variante. „Die Wohnung nebenan steht leer.“ Ryan gab sich keine Mühe ein triumphierendes Grinsen zu verbergen. June dachte nach. „Stimmt. Seit die alte Mrs. Miller vor drei Wochen in ein Seniorenheim gezogen ist, steht die Wohnung leer.“ Mit seiner Gabel deutete Ryan zum Fenster hinaus. „Die Vorsprünge an der Fassade sind breit genug, sodass man darauf stehen kann.“ „Du glaubst also, es wäre jemand auf diesen Vorsprüngen herum spaziert, um in diese Wohnung zu gelangen. Findest du das nicht etwas weit hergeholt?, fragte Jason. „Ich finde das sogar ziemlich naheliegend“, entgegnete Ryan. „Man liest in der Zeitung oft, dass alleinstehende Frauen ausgeraubt werden.“ „Das beruhigt mich jetzt richtig“, lautete Junes nüchterner Kommentar. Ryan überhörte den Einwurf und fuhr fort. „Eine Sache passt allerdings nicht so ganz ins Bild. Entweder war unser Einbrecher eine Frau oder ein Hippie mit langen Haaren.“ „Wie kommst du darauf?“ June drehte den Becher in ihrer Hand ohne daraus zu trinken. Zur Abwechslung hatte Ryan ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. „Ich habe ein langes, schwarzes Haar gefunden, das ja wohl offensichtlich niemandem von uns gehört. Damit haben wir den Beweis, das jemand hier war. Die Möglichkeit mit der Nachbarwohnung ist also meiner Meinung nach die einzig logische Schlussfolgerung.“ „Super, Sherlock! Jetzt bleibt nur noch die Frage, warum es ausgerechnet mich erwischt hat. Zufall?“, meinte June. „Möglicherweise.“ Ryan zuckte mit den Schultern. Über diesen Punkt war er sich noch im Unklaren. Es klopfte an Monas Tür. „Darf ich hereinkommen?“ Am liebsten hätte Mona laut „nein“ geschrien. Der Blutdurst machte sie zunehmend unleidlich. Sie seufzte. „Ja, komm rein.“ Eve betrat lautlos das Zimmer. „Lionel hat Katherine heute Nacht als Botin fortgeschickt, du wirst also deine Ruhe haben.“ Das mochte Mona an Eve. Sie hielt sich nie lange mit unnötigen Reden auf, sondern kam gleich auf den Punkt. Nur von Zeit zu Zeit sprach sie in Rätseln. „Heute Nacht musst du jemanden finden, sonst wirst du zum Risiko“, fuhr Eve fort. Das war unbarmherzig direkt gewesen und das mochte Mona schon weniger gern, aber sie musste sich damit abfinden. „Ich weiß. Richte Lionel aus, dass ich ihm keinen Ärger machen werde.“ Gedankenverloren band sie sich die Haare im Nacken zusammen. Wie sehr sie Eve doch manchmal beneidete, besonders weil diese in der Lage war auf die Jagd zu gehen, ohne ihre Opfer zu töten. Sie muss ein sehr alter Vampir sein, dachte Mona. Erst mit einiger Verzögerung fiel ihr auf, dass Eve sie musterte. „Stimmt etwas nicht?“ Eve schüttelte den Kopf. „Du riechst bloß nach Vergangenheit.“ Fortsetzung folgt... 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