So finster wie die Nacht von BinaLuna ================================================================================ Kapitel 10: Im Buchladen ------------------------ Kapitel 10 ~ Im Buchladen Den ganzen Tag über war Lilian auffällig ruhig gewesen. Das Gespräch mit Jason hatte sie traurig und wütend zugleich gemacht. Traurig, weil sie ihren Schwarm wohl gegen sich aufgebracht hatte, und wütend, weil er ihr nicht geglaubt hatte. Außerdem fragte sie sich, wie sie es anstellen sollte, dem Zirkel von ihrer Vermutung zu berichten. Es regnete, als sie den Heimweg antrat, aber die Hexe machte sich nicht die Mühe, ihren Schirm aufzuspannen. Der kalte Regen, der ihr übers Gesicht lief, tat ihr ganz gut, dennoch war sie pitschnass, als sie endlich daheim ankam. „Mom?“, rief sie, noch während sie die Haustür aufschloss. „Ja?“, hörte Lilian auch sogleich die Stimme ihrer Mutter aus der Küche. Die junge Hexe schloss die Tür hinter sich, stellte ihre Schultasche im Eingang ab und zog sich dann die Schuhe und Jacke aus, bevor sie sich zu ihrer Mutter gesellte. „Lilian, wie siehst du denn aus? Warum hast du deinen Schirm nicht benutzt?“, schimpfte diese sogleich. Das Mädchen unterdrückte den Impuls, ihre Augen zu rollen. „Mom, ich muss dir was wichtiges sagen“, entgegnete sie. Ihre Mutter sah sie fragend an, also fuhr Lilian fort. „Ich habe den Verdacht, dass einer meiner Schulkameraden in Gefahr ist. An ihm klebt seit ein paar Tagen Vampirgeruch.“ Sophia Brooks, Lilians Mutter, zweifelte keinen Augenblick an den Worten ihrer Tochter, so schlecht ihr Verhältnis zueinander auch sein mochte. „Wie stark ist es?“ „An ihm ist der Geruch nur sehr schwach. Aber er hat mir erzählt, dass sein Bruder angegriffen worden ist. Anscheinend sind die Vampire hinter seinem Bruder her, eventuell auch an einer Frau.“ „Wir sollten das im Auge behalten“, sagte Sophia nachdenklich. Natürlich konnte der Zirkel der Hexen nicht verhindern, dass die Vampire sich ihre Beute suchten und noch weniger konnten sie wirklich alle Vampire vernichten – dafür gab es einfach nicht mehr genügend Hexen in England. Nicht mehr, seit sie vor über 100 Jahren die damals mächtigste Hexe, die „Seherin“ verloren hatten. Der Zirkel hatte nie erfahren, was aus der jungen Frau geworden war und es gab die wildesten Gerüchte über dieses Thema. Aber dennoch versuchte der Hexenzirkel, die Wildereien der Vampire unter den Menschen so gering wie möglich zu halten. Es war die Aufgabe der Hexen, die Menschen zu beschützen. Jason hatte sich den ganzen Tag über sein schlechtes Spiel am Morgen geärgert. Und gleichzeitig wunderte er sich über Lilian. Bisher war sie ihm ziemlich normal vorgekommen, doch an diesem Morgen war sie sehr merkwürdig gewesen. Diese intensive Farbe ihrer Augen konnte er einfach nicht mehr vergessen und schon gar nicht diese Worte, er solle niemanden ins Haus lassen und Silber tragen. Einerseits sagte er sich, dass das Quatsch war, andererseits hatte er das Gefühl, dieses Mädchen wusste mehr, als sie sagen wollte. Schon allein die Tatsache, dass sie ihn beinahe wie eine Zitrone ausgequetscht hatte über die Sache mit Ryans Überfall – wieso interessierte sich seine Klassenkameradin für so was? Wusste sie etwa ganz genau darüber Bescheid, was eigentlich los war? Gab es wirklich einen Zusammenhang zwischen den komischen Vorfällen bei June und dem Überfall auf Ryan? Ein bisschen hatte Lilian ihm mit ihrer Warnung tatsächlich Angst gemacht und so hatte Jason tatsächlich sogar die Fußmatte mit dem Willkommensgruß von der Tür entfernt. Ryan kam an diesem Abend erst sehr spät nach Hause, aber Jason wollte unbedingt mit ihm sprechen, also blieb er solange wach, bis sein Bruder kam. Mona hatte tatsächlich Gefallen an dem Umgang mit einem PC gefunden und längst entschieden, dass sie selbst einen haben wollte. Das Surfen im Internet machte ihr Spaß und sie hatte nach langer Zeit endlich mal wieder ein anderes Hobby als nur das Klavierspielen. Bram drängelte zu ihrem Leidwesen bereits jetzt, dass er seinen Rechner gern zurückhätte – er hätte schließlich Deadlines einzuhalten – und so hatte die Vampirin kurzerhand beschlossen, dass sie (natürlich mit seiner Hilfe) selbst einen PC kaufen würde. Natürlich war es für einen Vampir nicht so leicht, einfach in einen Laden zu gehen und sich etwas zu kaufen – viele Läden schlossen bereits, bevor die Sonne unterging – dennoch hatte ihr der ältere Vampir versprochen, nach Sonnenuntergang in der nächsten Nacht mit ihr loszuziehen. Mona freute sich darauf, wie ein kleines Kind. Als es endlich soweit war, trug sie ein schlichtes, schwarzes Kleid, mit dem sie hoffte, nicht allzu sehr aufzufallen und darüber ihren ebenfalls schwarzen Vampirumhang. Dann wartete sie am Eingang des Anwesens auf Bram, der sie glücklicherweise nicht allzu lange warten ließ. „Eine gute Entscheidung, einen eigenen PC zu kaufen“, brummte er. „Die Dinger sind ungemein praktisch. Allerdings auch teuer, hast du genug Geld, Mona?“ Die junge Vampirin nickte. Sie gab nie besonders viel Geld aus, deshalb hatte sich einiges angesammelt. Es war noch früher Abend, aber es ging stark auf den Winter zu, deshalb war es schon dunkel und die beiden Vampire konnten sich frei in der Londoner Innenstadt bewegen. Mona fiel es schwer, sich einfach so unter die Menschen zu mischen. Sie befürchtete jeden Moment, dass einer der Menschen erkennen würde, was sie war. Bram hingegen bewegte sich sehr geschickt und unauffällig, wie er es schon seit Jahrzehnten machte. Er fiel zwischen der Bevölkerung der Stadt überhaupt nicht auf. Ohne Probleme konnten sie ein Geschäft für Elektronik und Computer aufsuchen und als sich die Vampirin darin umsah, stellte sie erneut fest, wie weit die Menschheit und die Technologie inzwischen fortentwickelt waren. Sie konnte mit den ganzen Bezeichnungen und Artikeln, die angeboten wurden, überhaupt nichts anfangen. Sie hatte sich auch nie sonderlich für die technischen Errungenschaften der letzten Jahre interessiert. Das sollte sich nun ändern. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Bram sie heranrief, um ihren neuen Computer, den er für sie ausgesucht hatte, zu bezahlen. Über den Preis staunte sie nicht schlecht, aber die Abbildung auf dem Karton, den Bram hielt, gefiel ihr. Es war einer dieser tragbaren Dinger, die man „Notebook“ oder „Laptop“ nannte. So ein kleiner Kasten würde für sie und ihre Zwecke völlig ausreichen. Ein breites Lächeln zierte ihre Lippen, als sie mit dem älteren Vampir den Laden verließ. „Danke, Bram“, sagte sie. „Ohne dich wüsste ich gar nicht, was ich nehmen würde.“ „Kein Problem“, kicherte der Ältere. „Ich helfe dir nachher auch beim Einrichten der Software. Hab ich alles schon zig mal gemacht. Aber erst wollte ich gern noch in den Buchladen um die Ecke. Kommst du mit?“ Mona nickte. „Gern. Vielleicht finde ich ja auch mal wieder ein Buch, das mich interessiert.“ Sie schlenderten weiter durch die Straße, wobei Bram – ganz der Gentleman – natürlich die große Tüte mit dem Notebook trug. Bis sie den Buchladen erreichten, erzählte der ältere Vampir Mona davon, wie er neulich eines seiner ersten Werke an den netten Verkäufer weitergegeben hatte, der es seiner Freundin hatte schenken wollen, und das er gerne wüsste, wie das Geschenk bei der Dame wohl angekommen war. Eine kleine Glocke klingelte, als Mona und Bram das Geschäft betraten und aus einem der Regale vernahmen sie die Stimme eines jungen Mannes, der „Guten Abend“ rief. „Ah, guten Abend! Ich wollte unbedingt fragen...“, dem Rest des Gesprächs zwischen Bram und dem jungen Mann verfolgte Mona nicht weiter. Sie war weiter in das Geschäft hineingegangen und las sich die Titel einiger Liebesromane durch. Mona mochte die Bücher von Jane Austen, aber die hatte sie inzwischen alle mehr als zehnmal gelesen und sie hoffte, etwas Neues zu finden. Allerdings sagten ihr die Titel von einer gewissen „Nora Roberts“ überhaupt nicht zu. Als sie sich schlussendlich für ein Buch entschieden hatte, trat sie zwischen den Regalen vor und suchte nach Bram, der sich noch immer mit dem Verkäufer unterhielt. „Bram, bist du soweit?“, fragte sie und erschrak, als sie schlussendlich einen Blick auf den Verkäufer warf. „Ryan!“, rief sie panisch, wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war und ließ vor Schreck das Buch fallen. Ryan horchte auf, als die junge Frau seinen Namen sagte. Er hatte zuvor nicht auf sie geachtet, da er nebenbei Bücher einsortierte, aber nun musterte er sie interessiert. „Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte er. Er fand den Kleidungsstil der Frau elegant, aber sehr altmodisch. Ihre Haare trug sie offen, aber sie waren sehr dunkel und ihre Augen verwirrten ihn. Erst hatte er sie für dunkelbraun gehalten, aber als er nun genauer hinsah, erkannte er, dass sie blutrot waren. Wie konnten Augen so blutrot sein? Und wieso war sie so erschrocken, ihn zu sehen? Bram schien sich das gleiche zu fragen, er sah Mona stirnrunzelnd an. „Was ist, Mona?“ Die junge Vampirin nahm weder die eine, noch die andere Frage so richtig wahr. In ihrem Kopf rauschte nur das Verbot, das Lionel ihr auferlegt hatte – sie durfte sich diesem Menschen nicht nähern! Natürlich hatte sie den Mann sofort erkannt – er war immerhin der Grund für ihre Verletzung gewesen und sie hatte sich ja intensiv mit ihm beschäftigt in den letzten Tagen. Ihn jetzt vor sich zu sehen, ängstigte sie. Wie konnte es nur so viele Zufälle geben? Schließlich verließ sie fluchtartig den Buchladen, wobei sie nicht bemerkte, dass sie ihr kostbares Medaillon verlor, dass sie immer um den Hals trug und das Ryan später finden würde. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)