So finster wie die Nacht von BinaLuna ================================================================================ Kapitel 11: Verschwunden ------------------------ Kapitel 11 ~ Verschwunden Ryans Auto streikte mal wieder, weswegen er an diesem Abend mit der U-Bahn nach Hause fuhr. Es war voll und laut, aber davon bemerkte Ryan kaum etwas. Nachdenklich betrachtete er die goldene Halskette in seiner Hand. Die eigenartige Besucherin musste sie verloren haben, als sie praktisch aus der Buchhandlung geflohen war. Eigentlich hätte er das Medaillon zu den Fundsachen legen sollen, aber die Reaktion der Frau und die Tatsache, dass sie ihn zu kennen schien, hatten Ryan schließlich dazu bewogen das Schmuckstück mitzunehmen. Mittlerweile hatte er eine Schließvorrichtung daran entdeckt, doch so sehr er sich auch bemühte, der Anhänger ließ sich einfach nicht öffnen. Letztendlich gab Ryan auf, als eine monotone Stimme seine Haltestelle ansagte. Er steckte die Kette in seine Manteltasche, griff nach seinen Sachen und machte sich auf den Heimweg. Jason erwartete seinen Bruder bereits an der Tür, da er ihn vom Fenster aus entdeckt hatte. Ryan wunderte sich ein wenig über diese Begrüßung. „Hi“, murmelte er. „Wie war dein Tag?“ Jason kratzte sich am Hinterkopf. „Merkwürdig. Und deiner?“ „Noch merkwürdiger.“ Ryan grinste schief, wobei er aber müde wirkte. Jason ging in die Küche hinüber und als Ryan seine Sachen abgelegt hatte und ihm endlich folgte, roch es dort bereits nach frisch aufgebrühtem Kräutertee. „Hast du aus einem bestimmten Grund auf mich gewartet?“, fragte Ryan, während er eine Tasse dampfenden Tee entgegen nahm und sich daran die Hände wärmte. Die Tage wurden immer kälter und er hatte es versäumt sich neue Handschuhe zu besorgen, nachdem er seine Alten verloren hatte. Er war dankbar für die Wärme, die ihn nun langsam durchflutete. Jason setzte sich seinem Bruder gegenüber. Es dauerte eine ganze Weile bis er antwortete. „Es geht um eine Klassenkameradin von mir“, begann er – unschlüssig, was er sich von diesem Gespräch erhoffte. „Ich habe ihr erzählt, dass ich mir Sorgen mache, weil du von irgendjemandem angegriffen wurdest.“ „Warum hast du das zu ihr gesagt?“ Skeptisch zog Ryan eine Augenbraue in die Höhe. Jason zuckte mit den Schultern. „Sie hat mich danach gefragt, weil ich... na ja, beim Fußball habe ich mich total daneben benommen, deswegen ist es ihr wohl aufgefallen“, meinte er peinlich berührt. „Das ist es aber gar nicht, was mich beschäftigt, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie mehr darüber zu wissen schien, als sie zugeben wollte. Sie hat mich gewarnt.“ Ryan drehte die Tasse in seiner Hand hin und her. „Wovor hat sie dich gewarnt?“ „Das wollte sie mir nicht sagen. Sie meinte nur, dass ich vorsichtig sein soll.“ Jason zählte ihre Ratschläge auf – vom Silber bis hin zu der Fußmatte. „Ergibt das für dich irgendeinen Sinn?“, fragte der Junge schließlich. Lange dachte Ryan darüber nach, schüttelte aber schließlich den Kopf. „Noch nicht wirklich. Tut mir leid. Doch ich bin mir fast sicher, dass es etwas zu bedeuten hat. An so viele absonderliche Zufälle auf einmal glaube ich nicht.“ Nun war es an Jason fragend dreinzuschauen und so berichtete Ryan ausführlich von den letzten Vorkommnissen in der Buchhandlung. Die Begegnung mit Mona hatte neue Fragen in ihm aufgeworfen, sodass er sie unmöglich als Zufall abtun konnte. „Diese Frau... sie wirkte so, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Augen waren blutrot.“ „Möglicherweise waren es nur Kontaktlinsen“, warf Jason ein. Er versuchte gelassen zu klingen, doch sein Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals. Blutrote Augen. Das erinnerte ihn an die Frau aus seinem Traum. „Wer weiß...“ Ryan kramte in seiner Tasche und legte dann das Amulett auf den Tisch, welches er aufgehoben hatte. „Ich vermutete, dass das ihr gehört.“ Kalter Schweiß trat Jason auf die Stirn und er wusste gar nicht, warum er sich mit einem mal so unwohl fühlte. Diese Veränderung entging Ryan nicht. Sein Blick war voller Besorgnis, als er seinen Bruder musterte. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ja ganz blass.“ Jason winkte ab, doch damit konnte er niemanden täuschen. Er fühlte sich, als würde er vor Hunderten von Fäden stehen, die an einer Stelle zusammenliefen, welche er nicht erreichen konnte. „Das ist alles vollkommen verrückt“, sagte er kopfschüttelnd. „So etwas kann überhaupt nicht wahr sein.“ Ryan verstand nicht ganz, worauf sein Bruder hinaus wollte, aber er fragte auch nicht weiter nach, solange Jason nicht von allein darüber reden wollte. Mona stellte ihr gesamtes Zimmer auf den Kopf. Sie suchte im Schrank, schaute unter das Bett und durchwühlte sämtliche Schubladen. Nichts. Ihr Medaillon, der Besitz an dem sie am meisten hing, blieb verschwunden. Langsam aber sicher beschlich sie der Verdacht, dass sie es bei dem Ausflug mit Bram verloren hatte. Es konnte praktisch überall sein, wenn sie es auf einer der belebten Einkaufsstraßen verloren hatte, durch die Bram sie geführt hatte. Sie seufzte innerlich und warf einen schnellen Blick zum Fenster hinaus. Es war bereits zu spät um sich draußen auf die Suche zu machen, denn in gut einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Sich jetzt noch auf den Weg zu begeben, wäre leichtsinnig gewesen, dennoch hätte Mona nichts lieber getan. Gedankenverloren band sich June ihre Haare mit einer roten Schleife im Nacken zusammen. Mit gemischten Gefühlen betrachtete sie das bunte Sammelsurium, das an diesem Sonntagmorgen vor ihr ausgebreitet auf dem Schreibtisch lag. Die meisten Spuren zum Orden der Ewigen Nacht führten in eine Sackgasse. June zerknüllte ein paar Zettel, die sich zwar mit einem Orden dieses Namens befassten – allerdings ging es dabei um irgendein Online-Rollenspiel. Die „Ewige Nacht“ hatte sie zu Krimis oder gar zu Songs geführt. Schließlich klappte sie ihren Computer zu, denn dem Internet misstraute sie in den meisten Fällen sowieso. Ein Mensch mit angeborener antiquierter Ader versuchte seine Informationen auf andere Weise zu finden – in einer Bibliothek. June schnappte sich die Autoschlüssel, ihren dunkelgrauen Dufflecoat und verließ die Wohnung in der Hoffnung endlich einen Anhaltspunkt zu finden, der sich nicht als Spinnerei erwies. Sie bereute es schnell den Wagen genommen zu haben um sich durch die Stadt zu bewegen. Denn glaubte man einer Statistik, dann kam man tagsüber in London mit dem Auto auf durchschnittlich 16 Stundenkilometer. Eigentlich wusste sie das, aber manche Dinge gewöhnte man sich nur sehr schwer ab. Erst als sie sich durch die Reihen neugieriger Touristen hinein ins Innere der Bibliothek geschoben hatte, überkam sie ein Gefühl von Erleichterung. Die Anwesenheit von Büchern, das gedämpfte Licht und die nahezu ehrfurchtsvolle Atmosphäre beruhigten ihre angespannten Nerven. Doch nur für kurze Zeit, denn noch wusste sie nichts von dem, was sie finden würde. June zuckte zusammen als eine Lautsprecherdurchsage sie darauf aufmerksam machte, dass die Bücherhalle bald schließen würde. Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und blickte auf die Uhr – schon kurz vor 17 Uhr, sie hatte also fast den ganzen Tag hier verbracht. Eilig griff sie nach ihren Sachen und verließ das Gebäude, stieß dabei aber dummerweise mit einem jungen Mann zusammen. „Verzeihung.“ Mit einen höflichen Lächeln, das so gar nicht zu seiner äußeren Erscheinung zu passen schien, überreichte er ihr die heruntergefallenen Bücher. June warf nur einen flüchtigen in seine Richtung. „Danke“, murmelte sie und eilte dann zu ihrem Auto. Das Letzte, was ihr in Erinnerung blieb, waren seine Piercings, die für einen Moment im Licht aufblitzten. Widerwillig erhob sich Ryan von der Couch, als es an der Tür klingelte. Der Sonntag war ihm heilig und da hatte er etwas gegen unerwünschten Besuch. Allerdings war dieser Besuch alles andere als unerwünscht, denn es war June, die vor ihm stand. Damit hatte er nicht gerechnet. „Hi“, begrüßte er sie, trat einen Schritt beiseite und ließ sie hinein. Er hielt ein wenig Abstand, denn er wusste nicht, wie sie zu dem „Beinah-Kuss“ vom vergangenen Freitag stand. „Hallo.“ June lächelte, wirkte aber aus irgendeinem Grunde angespannt. Ryan nahm ihr den Mantel ab und erst dann fiel sein Blick auf die Bücher in ihrer Hand. „Was hast du da?“, erkundigte er sich neugierig. June zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. „Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte sie. „Aber es könnte sein, dass wir endlich auf der richtigen Spur sind, was die merkwürdigen Vorfälle der letzten Tage betrifft.“ Damit hatte sie Ryans vollste Aufmerksamkeit. Nach den vielen Fragen, erschien ihm die Aussicht auf ein paar Antworten geradezu verlockend. Er schämte sich nur ein bisschen dafür, dass seine Wohnung schon wieder so unordentlich aussah. June schien sich nicht weiter daran zu stören und breitete stattdessen die mitgebrachten Bücher und Unterlagen auf dem Küchentisch aus. Ryan setzte sich neben sie und las einige der Titel. An einem der Bücher blieb sein Blick schließlich hängen. Sein Herz schlug schneller angesichts der dunklen Vorahnung, die ihn beschlich. Vorsichtig nahm er das Buch in die Hand, als könne er sich daran verbrennen. „Vampirismus?“ Er schluckte. June nickte, wobei sie nicht viel glücklicher aussah, als er. „Es gibt viele Vereinigungen, die sich Orden der Ewigen Nacht nennen. Vieles davon stellte sich als Unsinn heraus, aber alle diese Gerüchte gehen auf einen Bund zurück, der sich bereits Anfang des 11. Jahrhunderts in Südosteuropa gründete. Ihren Mitgliedern wurde nachgesagt, sie würden menschliches Blut trinken, weil sie glaubten, es würde ihnen ewiges Leben und Jugend schenken. Die Legende des Vampirismus ist allerdings schon wesentlich älter.“ Ryan atmete einmal tief durch, als ihm bewusst wurde, dass er die Luft angehalten hatte. Fragend schaute er zu June hinüber. „Angeblich stahl Lilith, die erste Frau Adams, nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies Kinder“, erklärte June. Skeptisch zog Ryan eine Augenbraue nach oben. „Aber das ist doch nur eine Legende“, wandte er ein. „Wichtig ist nicht, ob es eine Legende ist, sondern wer an die Legende glaubt und wie viel Wahrheit sich in ihr verbergen mag“, meinte June und schaute Ryan dabei in die Augen. „Ich weiß, das mag verrückt klingen, aber...“ „In letzter Zeit sind eine Menge verrückter Dinge passiert“, führte Ryan ihren Satz zuende. Nachdenklich fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, bis ihm ein Blatt ins Auge fiel, das er bislang nicht beachtet hatte. „Was ist das?“ Es war eine herausgerissene Buchseite. June schüttelte den Kopf. „Die habe ich nicht mitgebracht.“ Nachdenklich neigte sie den Kopf zur Seite. Da kam ihr der junge Mann wieder in den Sinn. „Warte mal... als ich die Bibliothek verlassen habe, bin ich mit jemandem zusammen gestoßen. Möglicherweise stammt das von ihm.“ „Wie sah derjenige aus?“, hakte Ryan misstrauisch nach. „Hm, ich weiß nicht... gefärbte Haare, Piercings, ausgefranste Klamotten“, kramte June in ihrem Gedächtnis. Ryan zog die Augenbrauen zusammen. „Die Beschreibung würde auf den Jungen passen, der mich neulich angegriffen hat“, wandte er alarmiert ein. June tippte auf die Buchseite. „Dann führt uns das entweder in die Irre oder aber auf die richtige Spur.“ Fortsetzung folgt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)