So finster wie die Nacht von BinaLuna ================================================================================ Kapitel 22: Sorgen ------------------ Kapitel 22 ~ Sorgen Nachdem Ryan sich endlich auf den Weg gemacht hatte, fühlte sich Jason ganz schön einsam in der Wohnung. Gern hätte er sich noch mit seinem Bruder etwas unterhalten, aber die Beziehung zu June ging eindeutig vor. Ryan durfte sie einfach nicht verlieren. Das wäre nicht gut, für keinen von beiden. Sie liebten sich gegenseitig noch, auch wenn sie sich getrennt hatten. Gefühle konnte man nun mal nicht von heute auf morgen einfach begraben! Jason wollte sich Frühstück machen, aber als er sich Gedanken darüber machte, was er essen wollte, fiel ihm auf, dass er gar keinen Hunger hatte. Diese ganze Geschichte mit Mona lag ihm irgendwie noch schwer im Magen. Also nahm er sich einfach nur eine Tasse Kaffee und verdünnte dieses ‚schreckliche Gebräu’ mit Milch und Zucker. Was Mona jetzt wohl machte? Sie hatten ihr in den völlig verdreckten Keller einen der Küchenstühle gestellt und ihr Decken gegeben, damit sie nicht fror – wenn sie denn überhaupt frieren konnte. Es war Ryan sicher unangenehm gewesen, sie in diesen engen, kleinen, unaufgeräumten Raum zu verfrachten, aber sie hatte es so gewollt. Ob sie sich langweilte? Im Keller gab es nichts, womit man sich beschäftigen konnte. Sie hatte zwar einen kleinen Laptop mitgebracht, aber der Akku des Geräts würde nicht ewig halten. Der Schüler musste grinsend den Kopf schütteln, als er an den Computer dachte. Wer hätte gedacht, dass es auch fortschrittliche Vampire gab? Es war seltsam. Obwohl er Angst vor der Frau aus seinen Träumen hatte, war er doch auch fasziniert von ihr. Jason seufzte, packte seine Schulsachen zusammen und machte sich auf den Weg, obwohl es bis zum Schulbeginn noch eine ganze Weile hin war. Statt das Haus zu verlassen, begab der Schüler sich jedoch in den Keller. Er musste sie sehen. Vielleicht konnte sie ihm endlich ein paar seiner Fragen beantworten! Der Keller war dunkel, kühl, muffig und feucht, nichts, wo sich Jason gern länger aufhalten würde. Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bevor er den Keller betrat. Jede Partei des Mehrfamilienhauses hatte seinen eigenen Kellerraum und der Raum von Ryan und Jason befand sich ganz am Ende des Ganges. An der hölzernen Tür gab es ein Vorhängeschloss, das sogar verschlossen war. Jeder der Brüder hatte für dieses Schloss einen eigenen Schlüssel und eben jenen zog Jason nun hervor, um das Schloss zu öffnen. „Mona?“, fragte er leise, als er die Tür öffnete und das erste, was er wahrnahm, waren ihre blutroten Augen, die ihn geradewegs anzustarren schienen. Der Mut, den sich Jason angesammelt hatte, schwand in jenem Augenblick deutlich. Dennoch zwang er sich, den Raum zu betreten und die Tür hinter sich zu schließen. „Was ist?“, fragte ihn die klangvolle Stimme der Vampirin und er zuckte zusammen. Mona saß auf dem Küchenstuhl, völlig unbeweglich und blickte ihn aus fragenden Augen an. Sie wirkte hier eindeutig fehl am Platze. Jason fiel auf, wie unwirklich ihm diese Frau vorkam. Sie war da und doch schien es ihm wie ein Traum zu sein. Sie war real – und war es doch auch auf irgendeine Weise nicht. „Ich habe Fragen an dich“, sagte er, nahm dabei erneut all seinen Mut zusammen. „Fragen. Hm. Jeder scheint im Moment nur noch Fragen zu haben. Auch ich habe eine Menge Fragen. Stell sie.“ Eine Pause trat ein, denn Jason zögerte. Er wusste gar nicht, mit welcher Frage er beginnen sollte und schon gar nicht, wie er sie möglichst höflich formulierte. Immerhin wollte er die Vampirin ja auch nicht verärgern. Sie war gefährlich, das wusste er. „Dieses Medaillon, das Ryan gefunden hat... es gehört wirklich dir?“, fragte er also. Immer schön langsam, dachte er. „Ja. Aber er hat es mir noch nicht zurückgegeben. Weißt du, wo es ist?“ Das wusste Jason in der Tat – Lilian hatte es. Aber das würde er Mona nicht sagen. Nicht jetzt. „Keine Ahnung“, log er also. „Schade. Es ist wichtig für mich. Mein Liebster hat es mir geschenkt.“ Traurig, dachte Jason. Ihre Stimme klingt unheimlich traurig. „Es wird sich sicher wieder anfinden.“ „Das hoffe ich. Es ist das einzige, das mir aus meinem Leben als Mensch geblieben ist.“ Wieder diese unendlich traurige Stimme, obwohl diesmal auch ein klein wenig Bitterkeit in ihren Worten mitschwang. „Auf diesen Bildern in dem Medaillon“, begann Jason nun, „da ist ein Mann abgebildet. Ein Mann, der genauso aussieht wie ich. Wie kann das sein?“ Was jetzt geschah, geschah so schnell, dass Jason keine Ahnung hatte, wie Mona es geschafft hatte, aufzustehen und ihn an die Wand zu nageln, ohne, dass er es bemerkte, bevor er den Aufprall in seinem Rücken spürte. Ihre Arme waren links und rechts neben seinem Kopf und hielten ihn so gefangen. Sein Herz klopfte wie wild und das erste Mal in seinem Leben wusste der Schüler, wie es ist, wenn man wirklich und wahrlich Angst hat. Er hatte Angst. Seine Augen waren weit aufgerissen und er starrte in eine blutrote Leere, die ihn anfunkelte. „Hast DU es geöffnet? Nein, das kann nicht sein. Kein Mann hätte es öffnen können! Es kann nur eine Hexe gewesen sein. Sag es mir! Los, sag es!“, fauchte Mona, so wild, dass Jasons Angst nur noch größer wurde. Tränen sammelten sich in seinen Augen, die unkontrolliert seine Wangen hinabliefen. Werde ich jetzt sterben? Beim Anblick seiner Tränen zuckte Mona jedoch zusammen und ließ ihn genauso plötzlich, wie sie ihn gefangen hatte, wieder los. „Es tut mir Leid“, flüsterte sie, gerade so hörbar. „Ich wollte dir nicht weh tun oder dir Angst machen.“ Jason rutschte an der Wand hinab und blieb einen Moment reglos sitzen, traute sich nicht, sich zu rühren. „Es ist der Blutdurst“, erzählte sie, ohne auf eine Reaktion seinerseits zu achten. „Er macht mich immer halb wahnsinnig und es ist schon fast zu lange her, dass ich Blut getrunken habe. Ich hasse es, weißt du? Ich habe nie darum gebeten, zu werden, was ich nun bin. Ich bin gegen meinen Willen zu einem Monster gemacht worden.“ Als Jason endlich zu ihr aufblickte, sah er, dass auch ihr Tränen übers Gesicht liefen. Er wunderte sich beinahe, dass diese Tränen genauso klar waren wir seine eigenen. Er hatte angenommen, ihre Tränen müssten genauso blutrot sein wie ihre Augen. „Ich hatte einen Geliebten, bevor ich zum Vampir wurde. Er hat mich an den Orden verraten und hat dafür mit seinem eigenen Leben gebüßt. Ich habe ihn sehr geliebt, sogar sein Kind habe ich in mir getragen und doch blieb ihm keine andere Wahl, als mich zu verraten. Sein Name war David.“ Mona klang noch trauriger als zuvor. „War das der Mann auf dem Bild?“, fragte Jason, seine Stimme heiser und rau. „Ja. Er war zu dem Zeitpunkt älter, als du jetzt bist. Aber er ist eindeutig dein Abbild.“ „Was ist mit ihm geschehen?“ „Junge, ich glaube, DIESE Geschichte ist nichts für deine Ohren. Sie ist grausam“, flüsterte Mona. „Jason“, sagte er nur. „Huh?“ „Meine Name ist Jason. Ich mag aussehen, wie dieser David, aber ich bin nicht er.“ Die Vampirin richtete ihren Blick auf ihn und nickte. „Nein, du bist nicht er.“ Jessica machte sich Sorgen. Seit zwei Tagen war Lilian nun schon nicht mehr zur Schule gekommen und sie fühlte sich schrecklich schuldig deswegen. Maria Curtis hatte ihre Freundin bedroht und in der ganzen Klasse als kleine „Schlampe“ bezeichnet, die sich einfach an „ihren“ Jason geschmissen hatte. Dass nun ausgerechnet beide gleichzeitig fehlten, machte die Sache nicht wirklich besser. Das beliebteste Mädchen der Klasse ging nun davon aus, dass ihre Drohung bei Lilian funktioniert hatte, aber niemand konnte sich einen Reim darauf machen, warum auch Jason an diesem Tag erneut fehlte. Gestern war er da gewesen, hatte aber seltsam abwesend gewirkt und wohl auch sein Fußballtraining geschwänzt. Jason hatte noch nie zuvor beim Fußball gefehlt, hatten die Jungs gesagt. „Vielleicht hängen die beiden ja zusammen ab“, hatte einer der Jungs – Henry – überlegt. „Ja. Bestimmt liegen sie gemeinsam im Bett und bumsen von morgens bis abends ohne Pause“, hatte ein anderer gesagt und die ganze Klasse hatte gelacht. Wie fies, dachte Jessica. Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm enden würde. Natürlich hatte Maria auf diese Worte sofort reagiert und behauptet, dass der „tolle Jason“ sich ja niemals in so ein Mauerblümchen wie Lilian verlieben würde. Sämtliche Mädchen standen auf Marias Seite und Jessica wurde jetzt bewusst, welchen schweren Stand ihre Freundin nun in der Klasse haben würde. Natürlich war sie froh darüber, nicht selbst das Ziel der anderen Mädchen zu sein und sie lachte bei jedem Scherz der Klassenkameraden mit. Aber sie fühlte sich sehr schlecht dabei und ihr schlechtes Gewissen bereitete ihr nun seit Tagen schlaflose Nächte. Sie hatte anrufen wollen, dann aber doch jedes Mal wieder den Mut verloren, auf die Wahltaste des Telefons zu drücken. Was würde Lilian ihr sagen? Zweifellos war sie wütend auf Jessica. Vielleicht würde sie ihr die Freundschaft kündigen – und sie hätte sogar jedes Recht dazu, nachdem sie von ihr im Stich gelassen worden war. Es begann gerade erneut zu regnen, als Jessica aus dem Fenster ihres Klassenraums schaute und beschloss, Lilian am Nachmittag zu besuchen. Lilian war mehr als überrascht, ausgerechnet Jessica zu sehen, die triefend nass vor ihrer Haustür stand und reumütig dreinblickte. „Hey Lil“, begrüßte sie die Freundin, schaffte es aber nicht, ihr in die Augen zu blicken. „Hi Jess. Komm rein.“ Die Hexe würde nie jemanden bei dem Regen draußen stehen lassen, auch, wenn sie wütend auf diesen jemand war. Zögernd trat Jessica in das Haus der Familie Brooks. Obwohl sie schon oft hier gewesen war und normalerweise gleich mit ihrer Freundin in deren Zimmer verschwand, blieb sie diesmal im Eingang stehen. „Oh, Besuch, wie reizend“, erklang da die Stimme von Amanda Wood. „Ah, Oma. Darf ich dir meine Freundin und Klassenkameradin Jessica Carter vorstellen? Jessica, dass ist meine Oma Amanda.“ Freundlich wie immer. So war Lilian. Jessica zwang sich zu einem netten Lächeln und begrüßte Amanda, während sie ihr die Hand reichte. „Geht ruhig auf dein Zimmer, Lily. Ich könnte euch Getränke bringen?“ „Nein, Oma, das geht schon, Danke. Ich hole bei Bedarf einfach was“, winkte Lilian ab, dann packte sie Jessica bei der Hand und verschwand mit ihr die Treppe hinauf, wo ihr Zimmer war. Als sie schließlich in ihrem Zimmer waren und sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, platzte es aus der jungen Hexe nur so heraus. „Was willst du?“ „Mich entschuldigen“, kam es leise von Jessica. Lilian hatte wütend sein wollen auf ihre Freundin, wollte sie anbrüllen, aber nach diesen Worten konnte sie das einfach nicht. Ihr fehlte die Kraft. „Ich hätte zu dir stehen müssen, als Maria dich so angemacht hat. Aber ich hatte Angst davor, selbst zum Opfer zu werden. Verzeih mir.“ Es war so viel passiert in den letzten Tagen und die Sache mit Maria war noch das geringste Problem für Lilian. Dennoch war sie sauer auf Jessica gewesen, als diese sie so einfach im Stich gelassen hatte. Sie hätte nie gedacht, dass ihre Freundin zu ihr kommen würde, um sich zu entschuldigen. Das passte eigentlich gar nicht zu Jessica. „Ich verzeihe dir“, seufzte Lilian resigniert. Sie hatte nicht viele Freundinnen. Genau genommen gar keine – außer Jessica. Sophia achtete einfach zu sehr darauf, dass sie fleißig lernte und keine Gelegenheiten bekam, ihre Kräfte zu demonstrieren. Es konnte ihr schaden, wenn zu viele Leute wussten, dass sie eine Hexe war. Genau genommen war ihre Mutter sogar stocksauer über die Tatsache gewesen, dass sie ihr Geheimnis Jason anvertraut hatte und gemeint, dass das ein großer Fehler gewesen war. Niemand durfte das wissen! Jessica wusste tatsächlich nichts von Lilians Macht und die Hexe würde ihr wohl auch niemals davon erzählen. Sie wusste, dass ihre geschwätzige Freundin das niemals für sich behalten würde. Nun riss sie die Stimme ihrer Freundin aus ihren Gedanken. „Es gibt Ärger in der Schule.“ „Inwiefern?“, fragte Lilian, aber eigentlich konnte sie sich schon denken, worum es ging. „Maria. Sie hetzt die anderen gegen dich auf, weil du mit Jason zusammen bist. Er hat heute auch gefehlt und da sind einige fiese, dumme Sprüche gefallen. Sie werden dir das Leben nicht gerade leicht machen“, erzählte Jessica. Er hat auch gefehlt? Das wunderte Lilian. Ob bei Jason etwas geschehen war? Ihr Schwarm war nun wirklich nicht der Typ Mensch, der die Schule schwänzte. Dem würde sie wohl nachgehen müssen. Aber erst mal musste sie Jessica wieder loswerden. „Er geht nicht ran.“ Diesmal war es Ryan, der diese Worte sprach und sich Sorgen machte. „Hoffentlich ist nichts passiert. Immerhin habt ihr einen Vampir in eurem Keller“, sagte June und auch ihre Sorge wuchs. Eigentlich hatte Ryan seinem Bruder Bescheid geben wollen, dass er noch eine Weile bei June bleiben würde, aber Jason ging weder an das Haustelefon, noch an sein Handy. Anfangs hatte Ryan noch gehofft, dass Jason einfach noch nicht wieder von der Schule zurück war, aber inzwischen war es schon dunkel draußen und sein Bruder hatte auch nicht zurückgerufen. „Es geht nicht, June“, seufzte der braunhaarige Mann, „ich muss schauen, ob alles in Ordnung ist. Du bleibst hier!“ June wollte widersprechen, aber Ryans Blick sagte ihr deutlich, dass er sie nicht mitnehmen würde, egal, was sie sagte. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, Mona zu helfen!, dachte er voller Kummer. Er zog sich seine Jacke über, winkte seiner Exfreundin noch einmal kurz zu und schon war er verschwunden. Eilig lief er die Treppen hinab und ging schließlich das kurze Stück Weg zu seinem Auto, nicht wissend, dass er beobachtet wurde. Als er sein Auto startete und wegfuhr, schob Carol Gray ihre Gardine wieder vors Fenster. „Hier gehen durchaus interessante Sachen vor sich“, sagte sie lächelnd. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)