Tödliches Geheimnis von AnniPeace (Die Legende der geflügelten Rasse) ================================================================================ Kapitel 9: 「友達」 ・ Freund 「Tomodachi ~ Come play with me」 -------------------------------------------------------- Kapitel neun: 「友達」 ・ Freund 「Tomodachi ~ Come play with me」 *Anmerkung: Die folgenden Ereignisse haben eigentlich nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun, sind aber trotzdem wichtige Hintergrundinformationen Wenn man die Uhr ein paar Stunden zurück stellen würde, könnte man nun wieder von der Situation ausgehen, dass Noriko zum ersten Mal seit einer Weile auf ihre vermisste große Schwester Miyuki getroffen ist. Doch während sie ihr lang ersehntes Gespräch führte, schlief ein gewisses blondes Mädchen einen nicht ganz erfreulichen Traum. Misa hatte schon lange nicht mehr an ihre Vergangenheit gedacht, sie hatte die Erinnerungen wohl eher verdrängt, und erzählt hatte sie diese, ihrer Meinung nach unwichtige, Geschichte auch niemandem, sie fand dass sie es nicht unbedingt jedem auf die Nase binden müsse. Doch in dieser rätselhaften Nacht brachte ihre Traumwelt sie nun doch dazu, dass sie zum ersten Mal seit einer langen Zeit an ihre Kindheit zurück dachte...und vorallem an das, was sich damals zugetragen hatte... Rückblick in Misa’s Vergangenheit Das Mädchen saß alleine und zusammengekauert an einem kleinen Fluss. Sie blickte in ihr eigenes kleines Gesicht, ihr trauriges Spiegelbild, welches sie aus großen braunen Augen ansah. Ihre blonden Haare hingen schlaff um ihr Gesicht und die Strähnen kitzelten ihre vom weinen rot gewordenen Augenlider. Ihr Spiegelbild sagte ihr deutlich, dass etwas mit ihrem Leben nicht stimmen konnte, wenn man die geschwollene Lippe und den blauen Fleck über dem rechten Auge musterte. Das war natürlich nicht bei einem Sturz passiert, doch immer, wenn jemand den sie kannte sie auf ihre Verletzungen ansprach, musste sie ihm genau das erzählen, da es ihr sonst noch schlimmer ergehen würde. Misa Harada war gerade sechs Jahre alt geworden, als ihr richtiger Vater bei einem Herzstillstand um’s Leben kam. Ihre Mutter heiratete neu und ihr Stiefvater war so gut wie das genaue Gegenteil zu ihrem richtigen Vater. Zuallererst: Er war ein normaler Mensch. Doch Misa und ihre Mutter gehörten zu einer ganz anderen Rasse, der Winged Race, welches ihr Stiefvater natürlich nicht wusste. Jedes Mal, wenn ihm irgendetwas mal wieder nicht gepasst hatte, hatte er seine Wut an Misa raus gelassen. Ihre Mutter versuchte immer sie zu verteidigen, doch es hatte nie geholfen. Letzten Endes war sie wegen einer seiner Aggressionsphasen schließlich ebenfalls um’s Leben gekommen, da sie ihre kleine Tochter ein einziges Mal mutig in Schutz genommen hatte und seitdem musste Misa alleine mit diesem Tyrannen von einem Menschen fertig werden. Sie hatte sich bis jetzt vieles gefallen lassen, die Schläge, wenn das Haus nicht ordentlich genug war, die Schreie, wenn ihm irgendetwas an ihr nicht passte und auch die Beschimpfungen, wenn sie einmal widersprach, das alles hatte sie beinahe tonlos über sich ergehen lassen. Doch dieses kleine Mädchen wusste einfach nicht mehr, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollte. Ihr fehlte die Liebe, die sie von ihrem neuen Vater einfach nicht erwarten konnte. Dafür hatte er einfach ein zu kaltes, zu verschlossenes Herz. Misa war eigentlich immer schon auffallend ruhig und zurückgezogen gewesen. Wenn früher ein paar andere Mädchen mit ihr hatten spielen wollen, so war sie immer schüchtern zu Hause geblieben und hatte ihrer Mutter beim Haushalt geholfen. Wie sehr sie dieses erhalten von damals doch bereute...wenn sie wenigstens ein, oder zwei Mal vor die Tür gegangen wäre, und mit ein paar Kindern gespielt hätte, wäre sie jetzt vielleicht nicht in dieser Lage. Ihre Freunde hätten zusammen mit ihr und ihren Eltern vielleicht eine Lösung finden können, doch ohne Freunde, ohne richtige Familie...was sollte sie nur tun, denn viel länger würde sie das alles nicht mehr ertragen können... Sie strich sich durch ihre Haare und wischte sich über ihr Gesicht, damit ihr Vater sie gleich nicht wegen ihren Tränen beschimpfen würde. Ja, sogar wegen solchen Dingen wurde sie mittlerweile schon von ihm misshandelt. Er würde sowieso schon sauer sein, da sich die Blonde mal wieder viel zu viel Zeit gelassen hatte, um wieder nach Hause zurück zu kehren. Damit das Rot um ihre Augen verschwinden würde, fuhr sie mit beiden Händen durch das Wasser, schöpfte etwas davon ab und spritzte es sich schnell in’s Gesicht. Sie zitterte leicht, da das Wasser wirklich sehr kalt war. Als sie die Augen schloss, um noch einmal kurz zur Ruhe kommen zu können und sie diese danach wieder öffnete, sah sie auf einmal ein fremdes Gesicht im Wasser. Die Blonde zuckte sehr stark zusammen, sie hatte hier mit niemandem gerechnet. Das Gesicht eines Mädchens, so wie es schien, starrte sie bemitleidend an, doch als Misa sich umdrehte, stand absolut niemand hinter ihr. Sie fuhr sich noch einmal durch die Haare, dann stand sie rasch auf und lief zurück in die Richtung, in der ihr Haus lag. Wenn sie dies ihrem Vater erzählen würde...es würde direkt die nächsten Schläge hageln, denn er schärfte ihr immer und immer wieder ein, dass sie nicht lügen solle. Und er bezeichnete wirklich alles als eine Lüge, auch, wenn Misa wirklich die Wahrheit erzählte. Das fremde Mädchen sah ihr hinterher. //Vielleicht versteht sie ja mein Leben…//, dachte sie und seufzte leise. Das, was sie bis jetzt von dem Leben des blonden Mädchens verstanden hatte, war, dass sie es nicht wirklich leicht gehabt hatte…Sie hatte sie schon öfters mal beobachtet und ihr war tatsächlich aufgefallen, dass das Mädchen immer zu diesem einen Fluss kam, wenn es ihr schlecht ging. Sie war beinahe täglich hier, und ihre Verletzungen waren nicht ein einziges Mal verschwunden oder gar besser geworden. „Kann ich nicht irgendetwas tun?“, fragte sich Tora, dann strich sie sich ebenfalls ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe sie wieder in den Büschen verschwand und nach Hause zurückkehrte. Ein paar Tage später saß Misa wieder am selben Fluss. Sie ließ die Beine in das kalte Wasser baumeln und seufzte laut. An dem einen Tag war sie tatsächlich erneut geschlagen worden, dabei hatte sie sich nur um 15 Minuten verspätet. Dazu kam noch, dass sie die gewünschten Sachen, wegen denen sie ihr Vater überhaupt losgeschickt hatte, am Fluss vergessen hatte, und deshalb hieß es ein weiteres Mal Schläge. Langsam war sie es leid, doch alleine konnte sie auch nichts daran ändern…wenn doch nur ihre Mutter noch leben würde…dann wäre sie wenigstens nicht alleine und die beiden könnten sich zusammen eine Lösung überlegen. Verzweifelt schluckte Misa ihren Frust und ihre Schmerzen hinunter. Sie schloss die Augen, schluchzte einmal leise und faltete dann die Hände zu einem Gebet. An diesem Ort waren wirklich schöne Dinge geschehen. Natürlich waren hier auch traurige Dinge geschehen, aber die schönen Dinge überragten alles. Dieser Ort hatte eine ganz besondere Bedeutung für Misa... Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass sie hier ihrem Vater zum ersten Mal begegnet war. Sie war gestolpert und in den Fluss gestürzt, und ihr Vater war gerade zufällig in der Nähe gewesen. Er hatte sie herausgezogen und sie anschließend mit Hilfe seiner Lichtfähigkeiten getrocknet. Misa’s Mutter, welche selber keine besondere Fähigkeit besaß, war damals sehr angetan von dem jungen Mann gewesen. Das Nächste, was hier geschehen war, war die Hochzeit ihrer beiden Eltern gewesen und – nach Misa’s Mutter – einer der schönsten Tage ihres Lebens gewesen. Nur neun Monate später wurde ihre wunderschöne Tochter geboren – ebenfalls an diesem Fluss. Seitdem hatte Misa eigentlich jeden Geburtstag in ihrem Leben an diesem Fluss verbracht. Und als ihr Vater dann vor einem halben Jahr erkrankt war, war die Blonde jeden Abend hier her gekommen um für ihn zu beten. Selbst in der Nacht als er gestorben war, in der Nacht in der sie eigentlich glücklich wegen ihrem Geburtstag sein sollte, war sie hier her gekommen, und hatte gefordert, dass der Himmel ihren Vater wieder hergeben sollte. Sie hatte nach ihm gebeten, sie hatte geschrieen, sie hatte geweint und alle ihre Spielsachen in den Fluss geworfen um so zu zeigen, dass sie es ernst meinte...doch ihr Vater war an seiner Krankheit gestorben und niemand hatte etwas unternehmen können. Misa wischte ihre Tränen weg. Sie musste endlich einen Weg finden, um ihrem Stiefvater zu entkommen. Sie hatte schon öfters darüber nachgedacht, ihm wegzulaufen, doch durchgezogen hatte sie diesen Plan noch nie. Die Angst, von ihm erwischt zu werden, war einfach zu groß. Sie wollte nicht so enden wie ihre Mutter...obwohl ihr diese Art von 'Leben' irgendwie leichter und schmerzvoller vorkam. Wütend über ihre eigene Feigheit sah sie zu ihrem Spiegelbild in’s Wasser – Und erschrak einen Moment später: Sie sah schon wieder das Spiegelbild von diesem fremden Mädchen. Sie kannte es nicht und sie sah auch keinem ähnlich, den sie jemals gekannt hatte. Schnell drehte sich die Blonde um und dieses Mal war das Mädchen auch nicht weggelaufen. „Hallo~“, sagte sie mit einer unbeschreiblich ausgeglichenen Stimme. Misa schluckte leicht. „H-hallo.“, erwiderte sie die Begrüßung. Sie musterte das fremde Mädchen leicht. Ihre Hüftlangen Haare hatten die Farbe von Lavendel, ihre großen Augen hatten eine dunkelgrüne Färbung und ihr restlicher Körper machte einen zierlichen Eindruck. Misa kannte sie wirklich nicht, doch sie fragte sich ernsthaft, warum dieses Mädchen sie beobachtet hatte. „Was willst du von mir?“, fragte sie nun und versuchte angestrengt den leicht weinerlichen Unterton aus ihrer Stimme zu verbannen - es gelang ihr nicht. Das Mädchen lächelte lieblich. „Mich mit dir anfreunden~“, sagte sie mit derselben ausgeglichenen Stimme, die sie eben schon verwendet hatte. „Ich hab dich hier schon öfters gesehen.“, sagte sie weiter und setzte sich langsam neben Misa. Sie nickte ihr zu und machte keine Anstalten weg zu laufen. „Achso...ja du hast recht, ich komme auch öfters hier her~“, meinte sie und sah wieder zu ihrem Spiegelbild. Das Mädchen musterte sie leicht. „Sag mal…woher kommen immer deine ganzen Verletzungen?“, fragte sie etwas besorgt und hob leicht eine Augenbraue. „Sowas kommt nicht einfach so und jedes Mal, wenn ich dich hier gesehen habe, hattest du solche Verletzungen. Was steckt dahinter?“, fragte sie. Die Blonde sah verwirrt zu ihr hinüber. „Sag mir doch lieber erst mal, wie du heißt. Ich rede nicht gerne mit fremden Leuten.“, sagte sie, diesmal mit einem leicht bissigen Unterton. Das Mädchen kicherte. „Ich bin Tora.“, stellte sich das Mädchen vor. Misa nannte nun ebenfalls ihren Namen. Sie wollte wirklich nicht unhöflich klingen, denn womöglich würde sie nun ihre erste Freundschaft in ihrem ganzen Leben knüpfen – Und davon hatte sie schon ewig geträumt. „Darf ich nochmal auf meine Frage von vorhin zurück kommen?“, fragte Tora und spielte mit einer ihrer Haarsträhnen. Misa bemühte sich mit ihrem Lächeln. „Ich erzähle es dir...aber es ist keine schöne Geschichte und du darfst sie niemandem erzählen.“, sagte Misa. Tora nickte und sah sie genau an. Und so begann Misa mit der Erzählung über ihr Leben. Und obwohl die beiden äußerlich nicht älter als fünf oder sechs Jahre alt waren, so besaßen sie trotzdem durch ihre Herkunft den Verstand eines Erwachsenen, denn Tora war ebenfalls ein Mitglied der geflügelten Rasse. Nachdem ein paar Stunden vergangen waren und Misa ihre ganze Lebensgeschichte erzählt hatte, fühlte sie sich direkt besser. Es tat ja so unglaublich gut, wenn man jemanden hatte, mit dem man über sein Leben sprechen konnte. Die Blonde hatte so jemanden bisher noch nie gehabt, deshalb war sie umso erleichterter, denn sie hatte sich alles von der Seele reden können. Tora musterte sie wieder. Sie hatte die ganze Zeit zugehört, hatte Misa die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen – Und dafür war sie ihr unglaublich dankbar. „Verstehe. Und dein Stiefvater schlägt dich ernsthaft wegen solchen lächerlichen Gründen?“, fragte sie und strich sich ein paar Haarsträhnen aus den Augen. Misa nickte leicht. „Das ist…einfach unfassbar…“, murmelte die Lilahaarige und dachte nach. Sie hatte vor einer Weile einen Einfall gehabt, ungefähr zu der Zeit, als sie Misa die ersten paar Male beobachtet hatte. Ihrer Meinung nach konnte sie etwas tun. Sie hatte schon vor etwa einem halben Jahr ihre ersten Begabungen für eine Fähigkeit gezeigt, als sie mit Hilfe eine blauen Masse, welche aus ihren Händen kam, den gebrochenen Arm eines Vogels geheilt hatte. Sie hatte die ganze Zeit an diesen Fähigkeiten gearbeitet, und als sie dann Misa gesehen hatte, war sie fest entschlossen gewesen, ihre Fähigkeit in den Griff zu bekommen. Zuerst hatte sie den kleinen Vogel gesund gepflegt. Dann hatte sie ihre Fähigkeiten an dem gebrochenen Bein ihrer Mutter getestet, und schließlich hatte sie sogar Krankheiten wie eine Grippe oder Fieber heilen können. „Ich kann dir vielleicht mit deinen Wunden helfen.“, erklärte Tora und lächelte freundlich. Misa weitete überrascht die Augen. „Was, wirklich?“, fragte sie, voller Ungläubigkeit in der Stimme. Die Jüngere nickte erfreut und wies sie an, sich ihr gegenüber hinzusetzen, und ein paar Male tief ein-, und auszuatmen. Misa tat wie ihr geheißen, und Tora schloss ihre Augen. Sie murmelte ein paar Worte vor sich hin und langsam trat eine blau leuchtende Masse aus ihren Fingern. „Was ist das?“, fragte Misa, doch Tora wies sie mit einer leichten Handbewegung hin, weiterhin zu schweigen. Die Masse schwebte in kleinen, welligen Bewegungen zu Misa herüber und verteilte sich auf ihren Wunden. Misa spürte erst ein Kribbeln, dann ein schmerzendes Stechen, danach ein Gefühl von Feuer auf der Haut und schließlich eine angenehme Taubheit. Die Masse war verschwunden, Misa musterte die zuvor geschädigten Stellen – Nichts war zu sehen. Die Blonde strahlte ungläubig und trotzdem glücklich. „Vielen Dank!“, sagte sie und umarmte Tora übermütig. Tora lachte leicht vergnügt. Doch dann weitete Misa wieder ihre Augen und stand rasch auf. „Was ist los?“ „Ich hab es vergessen! Tut mir leid, ich muss jetzt schnell gehen!“, sagte Misa und rannte los. „Okay~“, sagte Tora und starrte ihr verwundert hinter her. Ein breites Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Lilahaarigen. Endlich konnte sie eine richtige Verbindung knüpfen. Der Hintergrund war zwar nicht der schönste, aber für sie zählte nur die erste Freundschaft in ihrem Leben – Genauso wie für Misa. Natürlich gab es da noch diesen anderen Jungen aus ihrem Dorf...doch der zählte jetzt nicht. Zwei Monate waren seit dem ersten richtigen Treffen zwischen Misa Harada und Tora Shindo vergangen. Die beiden hatten sich beinahe jeden Tag heimlich an dem Fluss getroffen – Tora hatte fast jedes Mal Misa’s Wunden heilen müssen. Für Misa’s Stiefvater war das schnelle Heilen der Wunden unerklärlich, und er wunderte sich ebenfalls darüber, dass Misa sich nun nicht mehr ganz so schnell einschüchtern lassen ließ. Das ein oder abdere Mal war schon eine schnippische Antwort aus ihrem Mund entwichen, doch ihm war es egal, nach dem zweiten oder dritten Schlag bekam er ja doch immer das, was er haben wollte. Misa wusste tatsächlich nicht mehr weiter. Sie war es leid, jeden Tag aufs Neue wieder geschlagen zu werden. Tora wusste ebenfalls nicht weiter. Sie konnte nur zusehen wie ihre einzige Freundin Tag für Tag misshandelt wurde, und tun konnte sie außer dem Heilen der Wunden auch nicht wirklich etwas. Natürlich war es schon eine unsagbar große Erleichterung für die Blonde, dass die Wunden so schnell wieder verschwanden, doch seelisch war sie beinahe am zusammen brechen... Auch an diesem Tag trafen sich die beiden wieder. Tora war gerade mit dem Heilen fertig geworden. Sie wirkte an diesem Tag irgendwie anders, sie war nicht mehr so gut gelaunt und ausgelassen wie noch an ihrer ersten Begegnung. Auch Misa ging es nicht besonders gut. Heute war der Putztag bei ihr zu Hause gewesen. Zuerst hatte sie verschlafen, dann hatte sie der Meinung ihres Vaters nach nicht gründlich genug geputzt, und anschließend war dann noch das Mittagessen angebrannt. So schlimm wie heute hatte Misa noch niemals ausgesehen, dass konnte sie selber bestätigen. „Ich verstehe einfach nicht, warum du nicht wegläufst. Dieser grausame Mensch…der verdient deine ganze Arbeit nicht mal, als Dank dafür wirst du dauernd von ihm geschlagen! Und trotzdem kehrst du jedes Mal wieder zu ihm zurück. Bitte, erklär es mir, ich verstehe es nicht…“, sagte Tora und schüttelte Misa einmal. Sie ließ den Kopf hängen und ein paar Tränen fielen zu Boden. „Ich weiß es nicht…er macht mir solche Angst…und wenn ich weglaufen würde, und er mich dabei erwischen würde…dann bringt er mich vielleicht tatsächlich irgendwann noch um!“, schluchzte sie und wischte sich die immer wieder kehrenden Tränen weg. „Aber was ist eigentlich mit dir los, du bist doch heute auch anders drauf als sonst immer…“, bemerkte Misa und drehte sich zu ihrer Freundin. Sie sah zu Boden. „Nein…es ist nichts passiert…ich bin nur mit dem falschen Fuß aufgestanden…das ist auch alles~“, versicherte sie und setzte ein großes, falsches Lächeln auf. Doch eigentlich war bei ihr absolut gar nichts in Ordnung. Ihre Eltern waren beide heute Morgen an einer unerklärlichen Krankheit gestorben, und Tora hatte dabei nur zusehen können. Ihre Heilkräfte hatten überhaupt nichts gebracht, im Gegenteil, sie hatten es durch die schlimmen Gefühle während der Behandlung nur schlimmer gemacht und deshalb war sie sehr angeschlagen gewesen. Ihre Mutter hatte ihr versichert, dass es nicht ihre Schuld wäre und das niemand diese Krankheit hätte heilen können, doch die Lilahaarige glaubte daran, dass, wenn sie sich nur genug konzentriert hätte, sie ihre beiden Eltern noch rechtzeitig hätte retten können. Doch sie schüttelte bei ihren Gedanken nur den Kopf. „Ich finde du solltest lernen, dich endlich einmal durchzusetzen. Damit wird das Leben viel einfacher, glaube mir.“, sagte Tora und schaute Misa ernsthaft ins Gesicht. Die Blonde sah in eine andere Richtung. „Du kennst meinen Vater nicht...wenn du dich bei ihm durchsetzen willst, hast du direkt schlechte Karten.“, sagte sie und spielte mit einer blonden Haarsträhne. Tora seufzte. „Na gut…bei dieser Entscheidung kann ich dir auch nicht weiter helfen, dass musst du schon ganz für dich alleine rausfinden.“, sagte Tora und stand schließlich auf. „Ich muss jetzt gehen...ähm...das Abendessen vorbereiten und so...man sieht sich morgen schätze ich mal~“, sagte sie und lächelte Misa noch einmal über die Schulter an. Misa lächelte schwach zurück und stand dann ebenfalls auf. Sie musste etwas an ihrem Leben ändern…und sie würde nun auf Tora hören. Sie hatte vollkommen recht, Misa musste endlich einmal lernen, sich durchzusetzen. Und genau das würde sie nun tun! Während das blonde Mädchen nach Hause lief, und sich einen Plan überlegte, ging Tora zurück zu dem Haus ihrer Eltern. Sie packte alle ihre Sachen zusammen und ging dann schließlich los, um woanders ein neues Leben anzufangen - mit fünf Jahren... An diesem Abend traf Tora Shindo zum ersten Mal auf Ren Kenka, und Misa und Tora sahen sich niemals wieder. „Komm schon, die Flasche ist doch gleich leer!“, feuerte die Blonde ihren Stiefvater an. Dieser war schon dunkelrot angelaufen. „Nein Misa…ich kann nichts mehr trinken~“, sagte er betrunken. Misa hatte ihm alle Sakeflaschen gebracht, die sie in dem kleinen Haus hatte finden können. Es waren genau sieben Flaschen gewesen, und sechs davon hatte der Mann schon geleert. Die letzte Flasche wanderte gerade durch seinen Mund – und somit hatte er alle sieben Flaschen getrunken. Misa klatschte laut. „Bravo! Hast du gut gemacht~ Und nun hast du dir Ruhe verdient, komm, gönn dir ein paar Stunden Schlaf.“, überredete Misa ihren Vater. Dieser grunzte einmal und ließ sich zur Seite fallen – Wo er dann auch schon eine Sekunde später schnarchend einschlief. Misa hatte ihre Chance erkannt. Sie lief schnell zu der rechten hinteren Ecke des Raumes die sie stolz ihr „Zimmer“ nennen konnte und packte alle Sachen die sie nun brauchen würde in eine kleine Reisetasche. Ihr Gepäck bestand aus einem Foto ihrer Eltern, einem Laib Brot und einer silbernen Kette, die einmal ihrer Mutter gehört hatte. Sie band sich diese um ihren Hals und verstaute die beiden anderen Sachen sorgfältig. Als sie sich umdrehte, stand auf einmal ihr Vater hinter ihr. Er hob eine Augenbraue und sah sich ihre Tasche an. „Hey, was soll das, du kleine Göre?! Hast du etwa vor wegzulaufen?“, fragte er nuschelnd und ballte die rechte Hand zu einer Faust. Misa weitete die Augen, sie wusste was gleich passieren würde. Doch sie erinnerte sich an Tora’s Worte und trat gegen die Beine des Älteren. Er, der mit dieser Antwort niemals gerechnet hätte, verlor das Gleichgewicht, geriet ins Schwanken und knallte dann zu Boden. Er richtete sich fluchend ein Stück auf, doch Misa war vorbereitet. Mit laut pochendem Herzen griff sie nach einer der Sakeflaschen, die der Mann geleert hatte. Sie rannte auf den betrunkenen Mann zu und schlug zum ersten Mal zurück. Mit einem sehr lauten Aufschrei schlug sie mit der Glasflasche auf ihn ein, zweimal, dreimal… Als dann schließlich eine deutliche Platzwunde zu erkennen war, ließ sie die Flasche auf den Boden fallen, sie war schon deutlich angeschlagen. Voller Angst im Blick griff sie nach der Tasche und verließ schnell das Haus in der Befürchtung, dass sie ihren grausamen Stiefvater gerade getötet hatte. Sie fühlte den kalten Boden unter ihren Füßen und rannte dann los, in die erst beste Richtung, die ihr in den Sinn kam. Doch der Mann war gar nicht tot gewesen... Das Einzige, was danach mit ihm geschehen war, war, dass er einen schweren Gedächtnisschwund erlitten hatte. Er erinnerte sich weder daran jemals eine Stieftochter gehabt zu haben, noch daran, von derselben niedergeschlagen geworden zu sein, zu Misa’s Glück… ein paar Wochen später kam ein kleines blondes Mädchen zu dem Haus, welches vorher noch niemals zuvor in dieser Gegend gesehen worden war. Als sie das Haus später wieder verließ, lebte ein weiterer Mensch weniger auf der Welt und das Mädchen wurde niemals wieder dort gesehen. Schwer atmend erwachte Misa aus ihrem Traum und sah sich um. Da sie trotzallem so müde war, dachte sie, dass schon alles ruhig sein würde und so schlief sie fast sofort wieder ein. Wie hätte sie auch damit rechnen können, dass Noriko gerade auf ihre große Schwester getroffen war? _______________________________________________ Nächstes Kapitel: 「呪い」 ・ Fluch 「Noroi ~ Smile until the end」 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)