Tödliches Geheimnis von AnniPeace (Die Legende der geflügelten Rasse) ================================================================================ Kapitel 14: 「生きている」 ・ Lebendig 「Ikite iru ~ World of the countless souls」 ------------------------------------------------------------------------- Kapitel 14: 「生きている」 ・ Lebendig 「Ikite iru ~ World of the countless souls」 Regen tropfte auf den modrigen Grasboden. Seit Tagen schon war das Wetter so mies gewesen, nicht ein einziges Mal hatte der Himmel ein Zeichen auf besseres Wetter geliefert. Die Erde unter dem sonst so saftig grünen Gras wurde langsam aufgeweicht und Schlamm bildete sich, Schmutz wurde von Häusern und Felsen gewaschen, und Tiere erfreuten sich an dem kühlen Nass nach der langen Trockenperiode. So wie an diesem Tag hatte es schon seit einem halben Jahr nicht mehr geregnet, Bäche und kleinere Flüsse waren ausgetrocknet und die Tiere des Waldes hatten bis unter die Erde graben müssen, um etwas von der erfrischenden Flüssigkeit aufnehmen zu können. Ihre Füße glitten über den Boden, stolperten durch eine Schlammpfütze und versanken knietief im Morast. Schon so lange war sie auf der Suche gewesen, vieles hatte sich verändert, sah beinahe vollkommen anders aus, aber das war ja unvermeidlich, nach einer so langen Zeitspanne… Tora wusste, dass es hier irgendwo sein musste. Sie war zu lange nicht mehr hier gewesen, es war schon mindestens acht Jahre her gewesen. Durch ihren nassen Pony, welcher in den letzten Wochen ein Stückchen gewachsen war, konnte sie fast nichts mehr erkennen, ihre rötlichvioletten Augen sahen sich suchend in der Gegend um. Sie hatte fast nichts an, nur ein dünnes Kleid, eigentlich eher ein Nachthemd, deshalb begann die Lilahaarige nun auch noch, zu zittern. Ein Blitz schlug ein, der laute Donner ließ auch nicht lange auf sich warten. Das grollende Geräusch ließ das Mädchen stark zusammenzucken, ob es nur daran lag, oder ob es auch an der Kälte lag, das wusste sie nicht mehr. Ein weiteres Mal versank sie im Morast, dabei stolperte sie und fiel mit einem überraschten Aufschrei zu Boden. Schlamm spritzte auf, ihr Atem wurde flacher. Die Erschöpfung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Nur zu gerne würde sie nun einfach auf dem Boden liegen bleiben und einfach alles abbrechen, doch sie hatte mit ihrem Plan angefangen, und nun konnte sie nicht mehr zurück, besonders nicht, nachdem Noriko nun gestorben war. Es hatte sie gefreut, dass sie ihren Körper gefunden hatte, erstaunlicher Weise sah er fast noch genauso aus wie früher, als sie noch klein gewesen war. Vor dem Unfall. Doch nachdem sie ihre Seele in dem Körper verankert hatte, begann sie zu altern und die letzten Jahre holten sie ein. Gedankenverloren stieß sie mit dem Kopf gegen eine hölzerne Wand. Hoffnungsvoll wanderte ihr Blick nach oben und ein leichtes Lächeln legte sich auf das hübsche, aber doch angeschlagene Gesicht Tora’s. Endlich hatte sie es geschafft, endlich war sie wieder bei ihrem Haus gelandet. Schnellen Schrittes lief sie in den Garten, in den hinteren Teil, wo die drei Gräber ihrer Familie standen. Eins von ihrem Vater, eins von ihrer Mutter, und eins von ihrer Schwester. „Keine Sorge, ich werde es schaffen und euch alle rächen, doch dafür musst du mir leider helfen, No-chan…“ Erneut schlug ein Blitz ein, das Mädchen zuckte zusammen und die Schaufel in ihrer linken Hand entglitt ihr. Yoshi schlug ihre blauen Augen auf. Ein sehr seltsamer Traum war das eben gewesen… War jenes Mädchen in ihren Träumen, welches Noriko tatsächlich sehr ähnlich sah, vielleicht diese Tora, über die ihre Freunde schon ein paar Mal geredet hatten? Da sie das Mädchen früher nie getroffen oder gekannt hatte, konnte sie sich auch nicht sicher sein und so beließ sie es dabei. Ihr war noch etwas schwindelig, vor ihren Augen drehte sich alles, bevor ihre Sicht langsam immer klarer wurde. Sie stellte fest, dass sie sich immerzu auf und ab bewegte und als Yoshi ihr hübsches Gesicht nach oben neigte, blickte sie direkt in ein Paar dunkelbraune Augen. „Na, bist du endlich aufgewacht?“, fragte Riku höflich und lächelte leicht. Sie nickte leicht und sah sich dann etwas um. Neben Riku lief Ren, dahinter Shinji. Während sie von Riku getragen worden war, lag Misa in Ren’s, und Umino in Shinji’s Armen. Der braunhaarige Shinji starrte leicht eifersüchtig herüber zu Ren, anscheinend hätte er lieber Misa getragen. Beide Mädchen schienen noch immer bewusstlos zu sein und jeder hier sah ziemlich fertig aus. „Was…ist passiert?“, fragte die Rothaarige und zuckte zusammen, ihr Kopf pochte laut, sie hatte ziemlich starke Kopfschmerzen und auch sonst tat ihr ziemlich viel weh. Ihre Wunde, welche fast verheilt war, schien wieder entzündet zu sein, jedenfalls sagte ihr das ein unangenehm brennendes Gefühl an ihrer Schulter, außerdem schmerzte ihr Rücken sehr. Noch dazu kam ein stechendes Gefühl an ihrem Hals, es fühlte sich an wie eine schwere Wunde und ihr fiel auf, dass ihr das Atmen schwerer fiel als sonst. „Wir haben vor ein paar Tagen Yoko und Ryoko wieder getroffen…“, fing Riku an, doch er wurde durch Ren unterbrochen. „Erzähl lieber erst mal von wichtigeren Sachen, als von diesen beiden Verrätern…“, sagte er abfällig und hustete. „Ist doch egal was ich zuerst erzähle…“, motzte der Braunhaarige und die beiden Jungen fingen an zu Streiten. Das ging ein paar Minuten so weiter, Yoshi überlegte schon, ob sie trotz der vielen Schmerzen im Kopf und am Hals etwas dazu sagen sollte, doch diese Aufgabe wurde ihr abgenommen. „Hört auf zu streiten…“, ertönte eine leise Stimme und Ren’s Aufmerksamkeit richtete sich auf das blonde Mädchen in seinen Armen. Misa war ebenfalls endlich aufgewacht. Riku seufzte leise auf und widmete sich dann wieder seiner Schilderung der letzten Erlebnisse. „Jedenfalls haben sie nur die ganze Zeit so getan, als wären sie nette Leute. In Wirklichkeit aber hat Yoko ihn die ganze Zeit kontrolliert, sie hat uns alle manipuliert und uns einige wichtige Dinge erzählt… Noriko ist anscheinend vor etwas mehr als drei Monaten gestorben, durch einen Fluch von diesem komischen Priester wurde Ren manipuliert und dazu gebracht sie…naja egal. Auf jeden Fall haben wir herausgefunden, dass Yoko eigentlich keine echte Winged Race ist, sie ist ein ursprünglicher Halbvampir und hat sich an dir begnügt. Sie fand dein Blut anscheinend sehr reizend…“, erklärte der Ältere und seine Stimme wurde immer zorniger. Ein leichtes Glücksgefühl machte sich in Yoshi’s Bauch breit, sie war froh darüber, dass Riku sich Sorgen um sich machte. Auch, wenn er sich dauernd wegen unwichtigen Dingen um sie sorgte und sie umschwärmte, in solchen Situationen wurden die Gefühle von jemandem wirklich getestet. „Yoko ist uns leider entwischt, durch einen plötzlichen Blitzeinschlag haben wir alle das Bewusstsein verloren und konnten sie nicht an ihrer Flucht hindern. Wir sind nun wieder auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, doch bevor wir das festlegen, müssen wir erst unsere Vorräte wieder aufstocken, deshalb sind wir gerade auf dem Weg zu einem meiner Häuser.“, sagte Ren und stieg über einen großen Ast, welcher den ganzen Weg versperrte. Riku holte seine Flügel hervor und flog geradewegs hinüber, dabei achtete er sorgfältig darauf, Yoshi nicht unnötig zu bewegen. Sie spürte, dass er vor Wut kochte. „Was ist los?“, fragte sie, ihre Stimme hatte einen leicht besorgten Unterton. Er winkte ab. „Diese…widerwärtige Yoko…sie hat es doch tatsächlich gewagt, dich zu verletzten, als du so hilflos warst…“, presste er mühevoll hervor und atmete stärker. Ein leichtes Lächeln legte sich auf das Gesicht der Rothaarigen. „Komm mal etwas näher.“, sagte sie langsam. Überrascht sah Riku zu ihr herunter. „Wieso, geht’s dir nicht gut?“, fragte er und kam näher. Ren und Shinji drehten sich verwirrt um. Wollte sie etwa tatsächlich…? Es kam, wie es kommen musste. Ohne damit gerechnet zu haben, zog Yoshi Riku am Kragen zu sich herunter, sie kam ihm etwas näher und küsste ihn innig. In diesem Moment schien es so, als würden tausende von kleinen Schmetterlingen durch ihren Bauch fliegen, sie fühlte sich frei und vergaß für einen Moment sogar die ganzen Schmerzen. Überrascht, aber doch glücklich erwiderte Riku den Kuss, das war es, wonach er sich schon so lange gesehnt hatte. Ren und Shinji sahen schnell weg und gingen weiter, in Ren’s Armen ertönte Misa’s Stimme: „Hey! Was ist denn los, warum geht ihr einfach weiter? Was ist passiert, sagt es mi-“, verlangte sie, doch Ren hielt ihr einen Finger vor den Mund und drehte sich so herum, dass die Blonde es sehen konnte. „Mach diesen Moment jetzt nicht kaputt, stör sie lieber nicht, sonst giftet Riku dich den ganzen Abend an.“, sagte er grinsend und ging wieder weiter. Ein fettes Grinsen legte sich auf ihr Gesicht, sie hatte nun verstanden. Während sich Shinji mit Umino auf den Armen ebenfalls wieder fortbewegte, sah er sehnsüchtig von Misa zu Riku und Yoshi herüber. „Hör gefälligst auf, Trübsal zu blasen, das macht mich vollkommen krank.“, murmelte eine schwer atmende Stimme unter ihm. Shinji’s Blick wanderte nach unten und sah in Umino’s geöffnete Augen. „Sei still, ich darf hingucken, wo ich will.“, sagte er leise. Die Blauhaarige schnaubte leicht verächtlich. „Wenn du es sagst…“ Und nach endlosen 30 Sekunden lösten Riku und Yoshi sich wieder voneinander. Riku hatte ein spitzbübisches Grinsen aufgesetzt, er wirkte wie ein kleiner Junge, der genau das an Weihnachten geschenkt bekommen hatte, was er sich gewünscht hatte. Yoshi ließ sich zufrieden weiter von ihm tragen. Ein paar Stunden vergingen. Es hatte nicht lange gedauert, bis die sechs an einem der Häuser von Ren’s Familie angekommen waren. Es war schon seit Jahren niemand mehr hier gewesen, deshalb war alles hier etwas staubig, aber trotzdem konnte man es aushalten. Der Blonde suchte nach ein paar neuen Kerzen. Die alten Öllampen waren ausgetrocknet, alle anderen Kerzen abgebrannt. Gearbeitet wurde hier schon lange nicht mehr. Als damals der Krieg ausgebrochen war, waren alle Bediensteten geflohen, um nicht die Konsequenzen für das Arbeiten in einer Familie mit Angehörigen der Winged Race erleiden zu müssen. Riku zündete die Kerzen mit seinen Fähigkeiten schnell an, in dem leichten Licht der Kerzen konnte man kaum etwas sehen. Es war schon ziemlich dunkel draußen, die Sonne war vor mehreren Stunden untergegangen. Der Sommer neigte sich langsam, aber sicher dem Ende zu, es wurde etwas kälter und die Zikaden zogen sich zurück. Ihre Rufe hörte man am meisten in den Hochsommermonaten, also von Juli bis August. Müde und ausgelaugt sah Misa sich in dem Raum um. Es war ein sehr großer Raum, er lag im Untergeschoss dieses Hauses, da man diesen nicht so leicht finden konnte. Deshalb war es hier auch ziemlich kalt. Als sie dies laut feststellte, sprang Shinji sofort auf und gab ihr seine eigene dünne Decke. Dankbar lächelte sie und wurde dabei von einem Hustenreiz unterbrochen. „Wem von uns geht es eigentlich am miesesten?“, ertönte Umino’s heisere Stimme. Ren sah sich um. „Also ich würde sagen, dass wir Jungs so gut wie unversehrt sind, die paar Kratzer und Schrammen sind nicht schlimm. Euch Mädchen hat es wohl mehr erwischt, besonders Yoshi.“, stellte er laut fest und sah rüber zu der Rothaarigen, welche erschöpft in Riku’s Armen schlief. Der Braunhaarige wärmte sie zusätzlich durch seine eigene Körperwärme, das würde auch helfen, um ihre Wunden schneller zu heilen. Wenn sie viel Kälte abkriegen würde, würden sich die Wunden nur unnötig entzünden. Der Junge schien glücklich zu sein, jedenfalls konnte er sich nicht beklagen. Misa lehnte sich an Shinji an, sie war sehr erschöpft und ihr war auch immer noch kalt. „Stört dich das?“, fragte sie müde und sah zu ihm hoch. In dem spärlichen Licht konnte sie, und er dankte Gott dafür, nicht sehen, dass er dunkelrot anlief. „Nein, ist schon in Ordnung…“, murmelte er und lächelte leicht. Es dauerte nicht lange und auch Misa landete im Land der Träume. Unentschlossen sah Umino rüber zu Ren, welcher als Einziger noch frei war. Der Blonde kicherte leise. „Na komm schon her~“, sagte er und winkte sie zu sich. Dankbar lächelnd rutschte sie zu ihm und lehnte sich an. Eine angenehme Wärme durchzog sie, sie zitterte leicht und schlief dann ebenfalls ein. Zum ersten Mal seit einer Weile hatte sie einen angenehmen, traumlosen Schlaf, dass konnte man nicht mit den letzten paar Nächten vergleichen. Die drei Jungen sahen sich an. Riku hustete leise. „Ist schon komisch, oder?“, fragte Ren und sah den beiden ins Gesicht. „Was denn?“, fragte der Älteste und sah ratlos rüber zu Riku, welcher auch nicht ganz verstand, worauf Ren hinaus wollte. „Naja…wir sollten eigentlich nach dem Mädchen suchen, und so schnell wie möglich dafür sorgen, dass der Krieg bald beendet wird. Doch stattdessen würde ich lieber einfach hier sitzenbleiben und darauf warten, dass jemand anderes unser Schicksal erfüllt, und wir in Ruhe hier bleiben können. Das wäre doch was…“, murmelte er leise und seufzte wohlig. „Also ich finde das nicht. Wir müssen unser Schicksal selber bestimmen. Und unser Schicksal beinhaltet das Beenden dieses sinnlosen Kriegs. Willst du etwa, dass Noriko vollkommen umsonst gestorben ist?“, fragte Riku und pustete eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. Ren zuckte leicht zusammen. „Riku hat recht, wir sollten uns kurz ausruhen, und dann so schnell wie möglich weiter reisen. Wo sollen wir eigentlich als nächstes hin gehen? Die Auswahl ist ja nicht mehr so groß…“, erklärte Shinji. Ren zog die Landkarte hervor. „Ich weiß nicht…die Sache mit diesem Mädchen ist ja nur eine Legende…vielleicht sollten wir einfach die Regierung der Menschen aufsuchen und ihren Anführer herausfordern, vielleicht können wir es so schaffen…“, schlug der Blonde vor, doch Riku widersprach ihm. „Wir sollten nicht so überstürzt handeln. Ich finde, wir sollten es nicht darauf ankommen lassen, und lieber weiter nach dem Mädchen suchen. Wie wäre es mit diesem Ort?“, sagte der Braunhaarige und zeigte mit seinem Finger auf eine trockene Gegend, auch bekannt als Spiegel-Seelen Wüste. „Stimmt, da waren wir wirklich noch nicht…dahin sollten wir gehen! Dieses Haus liegt im Nordwesten des Landes…und der Karte nach liegt die Wüste im Nordosten. Das würde ein paar Tage Fußmarsch bedeuten, aber das werden wir schon schaffen.“, sagte Shinji motiviert und steckte die Karte wieder ein. „Welchen Monat haben wir eigentlich mittlerweile?“, fragte Riku und dachte nach. „Ich hab mich schon eine Weile nicht mehr um das Datum gekümmert, es war mir nie so wirklich wichtig…“ Shinji dachte nach und schien zu rechnen. „Ich glaub wir haben jetzt seit kurzem September.“, erklärte er überzeugend. Aus unergründlichen Gründen musste Ren in just diesem Augenblick an Noriko denken. Was für eine Bedeutung hatte der Monat September für Noriko? Gedankenverloren suchte Ren in seinen Hosentaschen nach Noriko’s Armband. Doch wider Erwarten fand er dort nichts Vergleichbares. Verwundert suchte er in der nächsten Tasche, doch wieder fand er nichts. Er suchte und suchte, dann noch ein zweites Mal, doch das silberne Armband blieb verschwunden. „Hey Riku, weißt du zufällig wo Noriko’s Armband ist?“, fragte der Blonde. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein. Wieso, hast du es vielleicht verloren?“, fragte er und nervös zuckte Ren mit seinen Schultern. „Ich hatte es doch neulich noch…wo kann es denn bloß sein?“, fragte er verzweifelt und dachte nach. Vielleicht hatte er es vor ein paar Tagen verloren, als sie vor Yoko geflohen waren. Sie hatten sich sehr beeilt und nur dringend nötige Rasten eingelegt. „Sollen wir suchen gehen?“, fragte Shinji und legte Misa vorsichtig neben sich auf den Boden. Ren nickte leicht und legte Umino neben sich. Riku sah seufzend runter zu Yoshi. „Okay, ich bin dabei.“, stimmte er zu und legte sie ab. Dann sprangen die drei Jungen auf und verließen das Haus. Die Gruppe trennte sich und suchte in einem kleinen Umfeld um das Haus herum, da es schon so dunkel war, konnten sie sich nicht weiter entfernen, sonst würden sie womöglich nicht mehr zurück finden. Riku wusste schon nach vier Minuten nicht mehr, ob er sich noch in der Nähe des Hauses befand. Er stolperte über einen mit Moos überwachsenen Stein. „Hmm… mein Bruder sagte mal, dass die moosige Seite eines Steines in Richtung Süden zeigt.“, murmelte er vor sich hin und beäugte den Stein. „Und da der Stein vollkommen mit Moos bewachsen ist, heißt das, dass ich im Kreis laufen muss!“, sagte er entschlossen. Doch er schaffte es nicht und lief stattdessen einen halben Kilometer nach Süd-West. Vor einer kleinen Quelle stoppte er schließlich. //Hmm…bin ich hier nicht schon mal gewesen? Oder sollte mich mein Schicksal etwa genau hier hin führen?//, fragte er sich und dachte nach. Die zweite Lösung schien ihm einleuchtend zu sein, also sprang er geradewegs in das kühle Wasser und suchte nach dem Armband. Um ihm die Suche zu erleichtern, schoss aus seiner rechten Hand eine warme Flamme, gefärbt wie ein milder Sonnenuntergang im Sommer. Mit diesem Lichtspender kniete er sich in die Quelle und er konnte tatsächlich bis auf den Boden sehen. Doch neben einer Menge Kieselsteine, ein paar größeren Steinen und ein paar Muscheln, konnte er nichts anderes entdecken. Vielleicht war er doch am falschen Ort gelandet… Gerade wollte er sich wieder aufrappeln und versuchen, den Weg zurück zu dem Haus der Kenka Familie zu finden, als er das Spiegelbild von etwas Leuchtendem sah. Etwas Feines schwebte auf ihn zu, klein wie eine Blatt. Er blickte auf und streckte die Hand aus. Eine eisblau leuchtende Engelsfeder landete auf seiner Handfläche. Der Braunhaarige schien für einen Moment wie benebelt zu sein, das Leuchten der Feder schien nicht wie von dieser Welt zu sein. Gehörte sie womöglich zu einem Mitglied der Winged Race? Die Färbung der Feder erinnerte ihn allerdings an jemanden…doch an wen nur? Grübelnd verließ Riku die Quelle und ging mit der Feder in der Tasche zurück auf die Suche nach einem Weg zu Ren’s Haus. Ein paar Monate zuvor… Nachdem Noriko ein letztes Mal ein Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert hatte, und ein letztes Mal das Gesicht von Ren, dem Jungen, den sie über alles liebte, berührt hatte, zersprang ihr Körper zu Eis. Es war nicht ungewöhnlich für ein Mitglied der Winged Race auf so eine Weise zu sterben. Die Winged Race konnten bis zu 1000 Jahre alt werden, besaßen aber immer das Aussehen eines jungen Erwachsenen, und den klaren Verstand eines hochgebildeten Menschen, auch in noch sehr jungen Jahren. Ihr Verstand war fast von Anfang an so perfekt, wie an ihrem Lebensende. Wenn sie in ihrem Leben eine spezielle Fähigkeit besessen hatten, dann endete ihr Leben in Etwa so wie mit Noriko. Wenn dem nicht so war, dann holten die vergangenen Jahre ihre Körper ein, sie alterten unfassbar schnell und zerfielen schließlich zu Staub. Von diesem Staub wurde gesagt, dass er lebensbedrohliche Wunden heilen, und alte Menschen wieder jung werden lassen könnte, doch noch hatte dies niemand ausprobieren können. Wenn ein Winged Race so alt war, dass er wusste er würde nicht mehr lange leben, dann verbrachte er die letzten Jahre seines Daseins meistens im engsten Kreis seiner Familie und wartete still auf sein Ende. Doch bisher waren nur wenige Mitglieder so alt geworden, die meisten waren damals schon von Menschen getötet worden. Noriko’s Seele löste sich langsam von der Erde, sie spürte nicht viel davon, dass Einzige, woran sie gerade in diesem einen Augenblick denken konnte, war das letzte Bild von Ren gewesen – Traurig, still, eine Maske der Verzweiflung. Doch was hätte sie tun sollen? So wie ihre Schwester es ihr gesagt hatte, hatte sie gedacht, dass sie sich opfern müsse, da ja das Mädchen, welches den Krieg begonnen hatte, und der Legende nach als Einzige wieder den Krieg beenden konnte, in ihr wohnte, seit mehr als zehn Jahren. Sie hatten gedacht, dass der Krieg durch ihr Opfer endlich vorbei wäre, doch noch hatte sich diese Prophezeiung nicht erfüllt, es herrschte noch immer dieser schreckliche Krieg. Und durch den Zufall mit Tora in ihrem Inneren war es ihr fast noch leichter gefallen, sich für Ren zu opfern, dafür zu sorgen, dass er weiter leben konnte. Sie fühlte sich frei, schwerelos, als sie unsichtbar über die Wälder schwebte, in ihrem Kopf drehte sich die Zeit rückwärts und sie sah die letzten Wochen ihres Lebens an ihr vorbeistreichen. Ihre Freunde lächelten sie an, daneben ihre Familie. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen, da war sie sich nun vollkommen sicher. Langsam lösten sich ihre Erinnerungen von ihr, sie blieben in der Welt zurück, genau wie alles, was sie an diese Welt gebunden hatte. Ihre Seele flog weiter, immer höher, immer schneller… Es dauerte lange, bis sie an ihrem neuen Bestimmungsort ankam. Fast drei ein Viertel Monate war sie umher geschwebt, durch ihre Gedanken, Erinnerungen, Träume. Durch Farben, das Weltall und andere Dinge, es war ein schöner Weg gewesen. Doch je weiter sie sich von der Erde entfernt hatte, desto mehr Erinnerungen verschwanden aus ihrem Kopf. Als sie die grünen Augen wieder aufschlug, lag sie an einem Strand. „Wo…bin ich hier gelandet?“, fragte sie sich leise, ihre Stimme klang verändert, nicht mehr so rau und viel süßer. Eine blonde Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht. Stimmte ja, bevor sie in diesen Unfall mit der Person geraten war, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, war sie blond gewesen. Sie hatte ehrlich keine Ahnung mehr von den letzten Wochen, sie erinnerte sich an gar nichts mehr…nur noch an ihren Namen, und, dass sie kein menschliches Wesen war. Sie war von Geburt an etwas Besonderes gewesen, da war sie sich sicher. Es fiel ihr auf, nachdem sie etwas an ihrem Rücken gespürt hatte. Ein kurzes Ziehen, ein leichtes Brennen, und ein paar weiße Flügel erschienen. Sie hatten einen leichten, eisblauen Schimmer. Da kam Noriko in den Sinn, dass das Herauslassen ihrer Flügel dieses Mal nicht sehr weh getan hatte, früher hatte ihr das viel mehr ausgemacht…wieso nur? Doch das war jetzt unwichtig, sie musste herausfinden, wo sie war und was sie hier sollte. Ungeschickt rappelte sie sich auf, ihr war noch ein wenig schwindelig, doch allmählich schärfte sich ihre Sicht wieder. Der Blick der Blonden schweifte über die Insel. Sie lud nicht gerade zu einem Besuch ein, doch sie schreckte einen auch nicht im ersten Moment ab. Sie sah interessant aus, irgendwie verwildert. Die Insel schrie geradezu danach, von jemand Fremdem erforscht zu werden. Obwohl Noriko sich nicht mehr daran erinnern konnte, jemals mit ihren Flügeln geflogen zu sein, bewegten sich die großen weißen Schwingen reflexartig auf und ab, das Mädchen ging in die Hocke und sprang ab – nur um im nächsten Moment wieder auf den Boden zu fallen. „Was ist los?“, fragte sie sich laut und tastete die Flügel nach irgendwelchen Verletzungen ab. Nichts Besonderes fiel ihr dabei auf. Auf dieser Insel funktionieren solche Kräfte nicht, hier ist jeder gleich, egal ob Mensch, geflügeltes Wesen oder anderes Wesen. Jeder hat die gleichen Fähigkeiten. Also kannst du auch nicht fliegen, oder deine anderen Fähigkeiten einsetzen… Die Blonde zuckte stark zusammen. Was war das gerade für eine Stimme in ihrem Kopf? Wieso hatte sie ihr diese Dinge erzählt? Und warum überhaupt hörte sie solche Stimmen? Wurde sie allmählich verrückt? Ohne weiter darüber nachzudenken, erinnerte sie sich an den Rest, den die Stimme in ihrem Hinterkopf ihr erzählt hatte. „Meine…anderen Fähigkeiten…was meinte sie damit? Habe ich etwa noch andere Fähigkeiten?“, fragte sie sich laut und dachte angestrengt nach. In ihrem Kopf erschien für einen Moment wieder das Bild von einem unbekannten blonden Jungen, welcher ungläubig zu einigen Eissplittern starrte. Hatten ihre Fähigkeiten vielleicht etwas damit zu tun? Doch sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn urplötzlich spürte sie einen sehr starken, brennenden Schmerz im Bauch. Sie sackte auf die Knie, schrie überrascht auf und sah zu ihrem Bauch. Dort war nichts. Nichts, was nach einer Verletzung aussehen könnte. Sie hob das dünne, unbekannte Oberteil nach oben – auch auf ihrer nackten Haut konnte sie nichts erkennen. Verwirrt schob sie das Hemdchen wieder an seinen richtigen Platz und richtete dann wieder den Blick auf die Insel. Etwas zog sie dort hin, wie ein riesiger Magnet… Sie kehrte dem Strand den Rücken zu und marschierte geradezu in den angrenzenden Wald, dabei bemerkte sie nicht, dass der vordere Teil des Strandes, welcher direkt am Meer lag, zu glühen begann, und sich dann um etwa einen halben Meter dehnte – auf der ganzen Insel. Und irgendwo auf der Insel, in den Tiefen des Urwaldes, verschwand das Leuchten von einigen winzigen Lichtern. An einem anderen Ort auf der Insel sah ein schwarzhaariger Junge zu Etwas in seiner rechten Hand, es sah aus, wie eine feine Kette mit einem relativ großen, silbernen Amulett. Es blinkte ein Mal kurz, dann erschien das Gesicht eines silberhaarigen Mädchens. „Nun, was kannst du mir berichten, Yoko.“, fragte er mit einer Stimme, welche normalerweise jedes Lebewesen abgeschreckt hätte. Das Mädchen sah beschämt zu Boden und wirkte zerknirscht, es verneigte sich tief. „Verzeiht mir bitte Shadow-sama, ich habe es leider nicht geschafft, mir die Seelen der Auserwählten zu holen, mir kam etwas dazwischen.“, sagte sie, mit einem flehenden Unterton in der Stimme. Ein kaltes Lächeln legte sich auf das Gesicht des Jungen. „Das ist bedauerlich Yoko, sehr bedauerlich. Ich weiß nicht, ob ich dir so noch weiterhin vertrauen kann…“, sagte er und überlegte gespielt. „Es tut mir leid, Sie können mir natürlich vollkommen vertrauen Shadow-sama, aber ich habe mir gedacht, dass diese wertlosen Aussätzigen es nicht verdient hätten, zu ihrer Sammlung hinzugefügt zu werden…“, versuchte sie sich herauszureden. Der Junge lachte verächtlich. „Was soll ich nur mit dir machen…ich kann nicht auf dich verzichten…Du weißt genau, wie wichtig mir diese Seelen waren, sie hätten mir geholfen und ich wäre mit meinem Plan ein ganzes Stück weiter gekommen…bist du bereit, deine Strafe zu ertragen?“, fragte er und konzentrierte sich. Yoko schluckte – sie wurde schlagartig kreidebleich. „J-ja, natürlich, ich verdiene es so.“, sagte sie. Die orange leuchtenden Augen des Jungen glühten für wenige Sekunden, Yoko schrie plötzlich auf. Etwas Schweres fiel zu Boden. Dann ein erneuter Aufschrei. „Ich finde, dass diese Flügel schon lange nicht mehr zu dir gepasst haben, Yoko. Vielleicht hättest du nicht zu einer Winged Race werden sollen, es steht dir nicht. Und jetzt verfolge diese Lebewesen bitte, und hör auf, deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Du weißt, dass ich das nicht leiden kann.“, sagte er und lächelte wieder kalt. Yoko keuchte schwer auf. „Vielen Dank für Ihre Gnade, diese Flügel habe ich tatsächlich nicht gebraucht. Wären Sie so gütig, die Wunden für mich zu heilen?“, fragte sie und neigte den Kopf wieder gen Boden. „Ich bin sicher, du wirst es auch so aushalten, sie es als eine Prüfung deiner Kräfte an. Wenn es jedoch nicht mehr zu ertragen ist, würde ich dir empfehlen, ein wenig Blut zu Trinken.“, kam die vage Antwort und mit einem letzten Nicken und Verbeugen wurde die Verbindung unterbrochen. „Und mit sowas muss ich mich immer herumschlagen…“, murmelte der Junge seufzend und sah nach unten. Dort am Strand konnte er deutlich die Umrisse einer Person erkennen. Ein weiteres Lächeln legte sich auf sein Gesicht. „Unser nächster Gast ist also gerade eingetroffen…wunderbar!“, murmelte er vor sich hin und erhob sich von seinem Platz. Er sah etwas genauer hin. War das womöglich das Mädchen, welches ihm von Yoko empfohlen worden war, da ihre Seele anscheinend besonders groß war? Das konnte doch nur sie sein, die Beschreibungen passten perfekt. Nur ihre Haarfarbe wirkte anders, als in Yoko’s Beschreibung, aber das war ihm jetzt auch erst mal egal. „Das wird ja immer besser heute!“, rief er fröhlich vor sich hin und lief zum Rande der kleinen Klippe. Mit einem erfreuten Ausruf ließ er sich fallen, auf dem Boden angekommen rollte er sich ab und stellte sich gerade hin. Seine Kleidung hatte sich verändert, sie wirkte nun wie die von allen Neuankömmlingen, zumindest von den männlichen. Er trug ein weißes Baumwollhemd, eine dunkelbraune Hose aus einem weichen Stoff, aber weder Schuhe, noch irgendetwas anderes dieser Art. Er setzte eine freundliche Miene auf, marschierte dann langsam los. „Das wird ein Spaß! Mal sehen, ob ich sie wieder zurück schicken kann…“, murmelte er noch vor sich hin, dann machte er sich auf den Weg durch den finsteren Wald. Noriko stolperte und fiel – schon wieder. Hier war es so dunkel, dass man nicht mal die Hand vor Augen sehen konnte, auch, wenn man es noch so sehr versuchte. Das konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen. Doch gegen ihre Erwartung als sie nachschaute, hatte sie immer noch keine Verletzung davon getragen. Was war das hier für eine seltsame Insel? Warum konnte man sich hier nicht verletzen? Und wie überhaupt hatte sie es geschafft, hier her zu kommen? Weiterhin unwissend ging sie weiter, genau dahin, wo sie hingezogen wurde. Sie drückte einige Äste beiseite, stolperte beinahe wieder über einen Baumstamm. Langsam wurde sie wütend. Als sie dann auf dem feucht-kalten Boden ausrutschte, blieb sie vorerst liegen. Der modrige Geruch des Waldes in ihrer Nase kam ihr bekannt vor. War sie vielleicht früher öfters durch Wälder gelaufen? Die Blonde wusste es nicht, also beließ sie es einfach dabei. Als sie jedoch ihren Kopf anhob, um sich wieder aufzurappeln, fiel ihr Blick auf etwas an dem Baumstamm hinter ihr. Ein paar hellgelbe Pilze wuchsen an ihm. Für einen kurzen Moment kam ihr wieder das Bild von dem unbekannten blonden Jungen in den Sinn, und sie fühlte sich seltsam beglückt. Als wäre das eine lustige Erinnerung von früher. Sie schüttelte schnell den Kopf und stand rasch auf. Ohne weiter über verlorene Erinnerungen und seltsame Pilze nachzudenken, ging sie stur geradeaus, bis sie vor etwas Halt machte. Das Bild vor ihr schien perfekt zu sein: Ein paar kleinere und viele größere Felsen standen nah aneinander, ein paar waren aufgereiht. Von ganz oben floss Wasser hinab, ein kleiner Wasserfall, wie es schien. Unter den Felsen hatte sich ein kleiner See gebildet, umgeben von weißen Kieselsteinen und Schilfrohr. Hunderte von kleinen, hell leuchtenden Punkten flogen über dem Wasser, nahmen immer wieder neue Positionen ein. Ihr fehlten die Worte, die diese Szene hätten ausdrücken könnten, es war einfach zu atemberaubend. „Wunderschön, nicht wahr?“, fragte eine Stimme neben ihr. Noriko zuckte zusammen, sie erkannte diese Stimme. Es war jene, die ihr vorhin erzählt hatte, dass man hier keine außergewöhnlichen Fähigkeiten einsetzen konnte, dass jedes Wesen hier vollkommen gleich war. Schnell drehte sie sich um, erblickte einen unbekannten Jungen. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, seine Augen dagegen von einem milden Orange, fast Honigfarben. Er trug einfache Kleidung und aus seinem Rücken ragten zwei tiefschwarze Flügel, sie wusste nicht genau, von welchem Wesen sie hätten sein können, vielleicht die eines Raben, doch das war nicht das Auffälligste an ihm. An seiner linken Wange entlang verlief ein schwarzes Muster aus verschlungenen Linien, es musste wohl oder übel eine Tätowierung sein. „Hallo, du musst Noriko Sukui sein, oder irre ich mich?“, fragte er mit einer sanften und höflichen Stimme. Das Mädchen schluckte hart. Was sollte das? „J-ja, das bin ich.“, stammelte sie. Wieso kannte dieser Junge ihren Namen? Er schien ihr nicht geheuer zu sein. Unschlüssig ob sie ihn etwas fragen sollte, verschlang sie ihre Finger ineinander und dachte nach. Vielleicht war er ja auch nur zufällig hier, doch da er hier mit ihr auf der Insel war, wusste er vielleicht etwas über sie. Die Blonde fasste den Entschluss, dass sie vielleicht diesen Typen ausquetschen könnte, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. „Woher kennst du mich und vor allem meinen Namen?“, fragte sie mutiger, immer noch schwang ein leicht verwirrter Unterton in ihrer Stimme mit. Der Junge schien sich sehr darüber zu amüsieren, er kicherte leise und seufzte erheitert. „Hmm…darauf gibt es natürlich ein paar simple Antworten. Willst du sie hören?“, fragte er und verschränkte die Arme. Noriko nickte eifrig. „Du wirst mir bestimmt nicht glauben…“, sagte er, ein wenig abwehrend. Das Mädchen hob beide Augenbrauen an, und wies ihn an, ihr alles zu erzählen. Ein weiteres Mal lächelte der Junge. Noriko verstand nicht recht, was an der ganzen Sache so furchtbar komisch war. „Nun, die gröbste Antwort auf deine Frage ist wohl, dass ich kein gewöhnlicher Mensch bin. Ich bin ein Gott.“, sagte er knapp. Ihre Reaktion war genau so, wie er es erwartet hatte, und wieder kicherte er leise. Noriko machte ein skeptisches Gesicht, unterbrach ihn aber nicht, sie wartete darauf, dass er eine gute Erklärung ablieferte. „Natürlich bin ich kein einfacher Gott, ich bin der Gott, der über diese Insel wacht.“, fuhr er fort und wartete wieder ihre Reaktion ab. „Was für eine Insel ist das hier? Sie…es kommt mir so vor, als wäre hier irgendeine seltsame Kraft, die Insel ist so seltsam…es scheint mir außerdem so, als hätte sie mir alle Erinnerungen gestohlen, die ich bis jetzt hatte, ich erinnere mich an fast gar nichts mehr.“, erklärte die Blonde leicht aufgebracht und wartete ab, da der Junge eine nachdenkliche Miene aufgesetzt hatte. Noriko schien verwundert. „Was ist los?“ „Seltsam…willst du nicht zuallererst meinen Namen wissen? Ist doch irgendwie unhöflich, dass ich weiß, wer du bist aber du nicht weißt, wer ich bin, denkst du nicht?“, fragte er und legte den Kopf schief. Das Mädchen verdrehte die Augen, das wäre wohl ihre nächste Frage gewesen, aber ihr war es gerade ziemlich egal, wie dieser „Gott“ hieß, ihr waren ihre anderen Fragen wichtiger als das. „Dann sag wie du heißt, und dann beantworte bitte meine anderen Fragen.“, sagte sie trocken und ließ sich auf den Boden fallen. „Mein Name ist Taiyo, Taiyo Hiretsu. Und diese Insel hier ist keine gewöhnliche Insel. Du hast recht mit deiner Überlegung, hier gibt es tatsächlich ungeahnte Kräfte. Diese Insel ist ein Friedhof. Ein Friedhof für Seelen genauergesagt. Ich bin der Gott der Seelen.“, erklärte Taiyo trocken. Noriko schnaubte leicht. „Dann hast du aber den falschen Namen…“, sagte sie leise und dachte an die Bedeutung des Namens, Sonnenschein. Sie hatte seine Worte noch nicht ganz registriert. Dann leuchtete die Erkenntnis in ihren Augen und sie hatte den Wink verstanden. „Warte mal, das hier ist ein Friedhof? Aber…wieso bin ich dann hier, und wieso sind hier überall diese lebenden kleinen Tiere?“, fragte sie verwundert und deutete auf die schwebenden Punkte neben ihnen, es waren Glühwürmchen. Taiyo holte tief Luft, dann sah er sie mit einem durchdringenden Blick an. „Du bist tot.“, war seine knappe Antwort. „Kurz nach deiner Ankunft auf dieser Insel müsstest du irgendwo starke Schmerzen gespürt haben, sie zeigen einem auf eine verborgene Weise, wie man gestorben ist.“, sagte er weiter und beobachtete jede Mimik in Noriko’s Gesicht. Ihr Gesicht wurde kreidebleich, sie versteinerte und fühlte sich, als hätte ihr jemand direkt ins Gesicht geschlagen. „Ich bin…tot?“, ertönte ihre Stimme, die Worte kamen ihr über die Lippen, als müsse sie jedes einzelne Wort herausziehen. Der Junge nickte still. Sie schluckte schwer, so vieles ergab Sinn, aber genauso viel verstand sie noch nicht so ganz. „Aber…wieso bin ich dann die Einzige, die noch so aussieht, wie früher? Und was ist jetzt mit diesen Glühwürmchen?“, fragte sie und starrte schwach zu Boden. „Mhhm.“, machte der Schwarzhaarige, es war ein schwaches, leises Geräusch, doch es dröhnte in den Ohren der Blonden, als ob er sie angeschrien hätte. „Diese Glühwürmchen sind eigentlich keine. Es sind die Seelen von den Verstorbenen, die noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Wenn man stirbt, dauert es eine Weile, bis man an diesen Ort kommt. Hier angekommen verlieren alle Seelen ihr Gedächtnis, sie wissen nichts mehr, außer höchstens ihren Namen oder sowas in die Richtung. Alle 300 Jahre gibt es eine besonders starke Seele, die ihre frühere Gestalt annimmt. Meine Kräfte erlauben es mir, diese Person wieder in ihr Leben zurückzuschicken, falls diese Person den Wunsch dazu hegt. Vor 300 Jahren war schon mal ein Mädchen hier, viel jünger als du. Sie landete hier, weinend und blutverschmiert. Sie war verzweifelt. Ich half ihr wieder zurück in ihr früheres Leben, wir stehen noch immer in Kontakt.“, erzählte er weiter und es schien Noriko so, als wäre das das Ende seiner Erzählung. Seine Worte bohrten sich in ihren Kopf, jedes einzelne davon glitt durch ihren Verstand. „Das heißt…ich könnte wieder zurück in mein altes Leben? So etwas geht tatsächlich?“, fragte sie, vollkommen erstaunt. Taiyo nickte leicht. „Natürlich ist es ein Eingriff, der gegen die Naturgesetze geht, deshalb muss ich dabei einen Teil meiner eigenen Kräfte verwenden, aber so eine Chance bekommt man nur ein Mal im Leben. Oder eher im Tod.“, sagte der Schwarzhaarige und die Blonde schien nachzudenken. „Willst du wieder zurück?“ Noriko massierte ihre Schläfen, dass alles bereitete ihr Kopfschmerzen. Einerseits wollte sie hier bleiben, dieser Ort schien ihr wie geschaffen für eine verlorene Seele wie sie, doch andererseits spürte sie ein Verlangen. Ein sehr starkes Verlangen, etwas aus der wirklichen Welt rief nach ihr, wollte sie um jeden Preis wieder haben. Was sollte sie tun? „Du kannst gerne noch ein wenig darüber nachdenken, doch sehr viel Zeit bleibt dir nicht mehr. Ich muss innerhalb von wenigen Stunden handeln, je länger es dauert, desto größer ist die Gefahr, dass das alles nach hinten los geht.“, sagte er mit einem leicht drängenden Unterton in der Stimme. Das Mädchen kauerte sich zusammen. Ihr Kopf schmerzte von dem ganzen Nachdenken, von der Verwirrung der ganzen Worte. Sollte sie in die Naturgesetze eingreifen und zurückkehren, oder sollte sie es einfach bei ihrem Tod belassen? Eine sehr schwere Entscheidung lastete auf ihren Schultern. Doch nach einigen Minuten des Überlegens nickte sie kaum merklich. „Bist du sicher?“, fragte Taiyo, er würde es nur tun, wenn sie es tatsächlich selber wollte. Noriko hob ihren Blick, sah ihn aus ihren Giftgrünen Augen an – sie wirkte sehr ernst. Ernst und sicher. „Ja. Schick mich bitte zurück, ich muss herausfinden, warum ich so ein Verlangen verspüre, wieder zurückzukehren.“, sagte sie und ihr Ton zeigte keinerlei Unsicherheit mehr. Der Schwarzhaarige lächelte sie freundlich an. „Nun denn. Es gibt aber etwas anderes, was ich dir noch erzählen muss: Es ist nicht hundertprozentig sicher, dass alle deine Erinnerungen wieder kehren werden. Manchmal kamen sie zurück, wenn auch ein wenig verspätet, manchmal kamen sie niemals wieder. Bist du immer noch überzeugt?“, fragte er und drehte sich leicht seitlich weg, doch nun sprang das Mädchen auf. „Ich bin vollkommen sicher. Tu es bitte.“ Taiyo nickte und stimmte zu. Er nahm ihre Hand in seine. „Folge mir bitte, ich muss etwas vorbereiten.“, sagte er mit einem sachlichen Ton, Noriko nickte und die beiden gingen zurück in die Richtung, aus der der Junge vorhin gekommen war. Oben auf der Klippe angekommen, ließ Taiyo Noriko’s Hand wieder los, er wies sie an, sich hinzusetzen und abzuwarten. Sie tat wie ihr befohlen worden war und sah ihm gespannt zu, wie er einige Dinge gleichzeitig tat. Er bewegte seine Hand zum Mund, und küsste den schwarzen Stein in einem Ring an seinem rechten Zeigefinger. Der Stein begann zu glühen. Dann fuhr er mit dem Zeigefinger ein paar seltsame Muster und Gravierungen auf dem Steinboden nach, sie färbten sich schwarz. Er stellte sich in die Mitte des Musters, hielt die Hände neben sich als würde er jemandem die Hand hinhalten wollen, schloss die Augen und murmelte einige für das Mädchen unverständliche Worte. „Steh jetzt auf und stell dich da hin.“, forderte er Noriko auf und wies sie an, sich an dieselbe Stelle zu stellen, auf der er gerade eben noch gestanden hatte. Sie nickte und stellte sich auf die besagte Stelle. Sie richtete ihren Blick zu Boden und besah sich das Muster. Die schwarzen Linien, welche im Übrigen dem Muster an Taiyo’s Wange ähnlich waren, leuchteten dunkel und dunkle Strahlen traten aus ihnen hervor. Noriko schloss ihre Augen, die Strahlen umhüllten sie. „Gute Reise, ich hoffe, dass du deine zweite Chance nutzen wirst.“, ertönte Taiyo’s Stimme, irgendwo unter ihr – sie hatte nicht gemerkt, dass sie, oder vielmehr die Kugel aus dunklem Licht abgehoben hatte. Sie wollte ihm danken, doch ihre Lippen waren fest aufeinander gepresst, sie spürte, dass sie immer schneller wurde. „Wunder dich nicht. Wenn du in der wirklichen Welt ankommst, dann wirst du die Form von irgendetwas annehmen, dass eine Verbindung zu dir hatte. Und es wird etwa einen Tag dauern, bis du deine alten Formen wieder angenommen hast!“, rief der Schwarzhaarige ihr im ersten Moment zurück, doch Noriko bekam weniger als die Hälfte davon noch mit. Der Junge sah ihr nach, sah, wie die dunkle Kugel immer kleiner wurde und schließlich vollkommen verschwand. Er erhob eine Hand um ihr nachzuwinken, doch er ließ sie sofort wieder sinken. Er sah runter zu seinem rechten Zeigefinger – der Ring mit dem schwarzen Stein war verschwunden. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht, doch es war vollkommen anders. Ein eiskaltes Lächeln. Der Junge kicherte, lachte dann schallend. „Ich bin mal gespannt, wie der Ring ihr gefällt, den wird sie so schnell nicht mehr abbekommen…“, murmelte er zu sich selbst und streckte sich. Er drehte sich um und im weggehen sagte er: „Hätte ich vielleicht noch erwähnen sollen, dass ein Fluch auf demjenigen lastet, der den Ring trägt?“ Erneut lachte er. Dann fragte er sich etwas anderes. „Wieso hab ich ihr eigentlich meinen wahren Namen gesagt? Ich hätte einfach meinen Götternamen verwenden sollen…Shadow klingt doch viel besser. Naja egal, sie hat sowieso jede Erinnerung an diesen Ort verloren.“ Sie fühlte sich wieder so schwerelos, wie bei ihrer Ankunft auf der Insel. Ein letztes Mal sah sie die Bilder von Taiyo und der Insel vor sich, danach verschwanden sie im Unterbewusstsein ihrer Erinnerungen – genau da, wo ihre anderen verloren Erinnerungen zurückgeblieben waren. Sie spürte nichts mehr, nur noch dieses Verlangen. Dabei merkte sie auch nicht, dass sie ihre Gestalt verlor und sich in etwas anderes verwandelte. Doch diese Reise war nicht mal ein Viertel so lang, wie ihre Hinreise gewesen war. Es dauerte nicht länger als drei Tage. Dabei löste sich das dunkle Licht langsam auf, und gab ihre neue Gestalt preis. Ein eisblaues Leuchten erschien am dunklen Nachthimmel. Leicht, beinahe schwerelos schwebte die Engelsfeder zu Boden, kam immer näher und landete schließlich in der Hand von jemandem, den Noriko schon sehr bald wieder sehen würde. Die wichtigste Frage war nur, ob sie sich dann überhaupt noch an Riku erinnern würde. __________________________________________________ Nächstes Kapitel: 「任命」 ・ Verabredung 「Ninmei ~ Stop it, do not destroy it!」 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)