Tödliches Geheimnis von AnniPeace (Die Legende der geflügelten Rasse) ================================================================================ Kapitel 15: 「任命」 ・ Verabredung 「Ninmei ~ I would have been a brother by now」 ---------------------------------------------------------------------------- Kapitel 15: 「任命」 ・ Verabredung 「Ninmei ~ I would have been a brother by now」 Der Regen wollte und wollte kein Ende nehmen, es war einfach zum verrückt werden. Der Junge sah stirnrunzelnd nach draußen, es regnete jetzt schon seit einer Ewigkeit. //Langsam muss das doch mal weniger werden…//, dachte Shinji zähneknirschend und griff nach der Sakeflasche. Heute war wieder einmal der Jahrestag von ihr, der elfte um genau zu sein. Die letzten paar Male hatte er die Gefühle, Gedanken und Erinnerungen daran verdrängen können, indem er wie heute etwas zu tief ins Glas geschaut hatte. Die scharf riechende Flüssigkeit lief seinen Rachen hinunter, die darin gerade eben noch anhaltende, angenehme Taubheit verschwand und augenblicklich brannte seine Kehle. Der Junge hustete stark, wischte sich den Mund am Ärmel seines Oberteils ab, und nahm noch einen Schluck. In seinem Haus hätte ihn niemand davon abhalten können, mit dem Trinken aufzuhören, da gab es schon lange niemanden mehr. Shinji hatte sich daran gewöhnt, dass er ganz alleine war. Seit fast zehn Jahren hatte er mit niemandem mehr gesprochen, niemanden mehr gesehen. Hätte jemand ihm vollkommen fremdes ihn so gesehen, hätte er sofort gesagt, dass er nach der langen Einsamkeit allmählich verrückt geworden war. Vermutlich war er auch schon lange verrückt, denn wenn er es wirklich gewollt hätte, hätte er schon vor langer Zeit weggehen können, doch etwas Wichtiges verband ihn mit diesem Haus. Wie ein unsichtbares Band hielt ihn die Erinnerung an seine tote Verlobte an diesem Ort, sie hatte nicht weit weg gelebt. Sein einziger Trost war, dass er damals noch mit jemandem über seine Gefühle hatte reden können, doch nachdem Tora so plötzlich verschwunden war, hatte er niemanden mehr. Vor ein paar Jahren hatte er einen Wutanfall gehabt, wegen seinem eigenen Verhalten. Vor Wut zitternd, hatte er mit allem um sich geworfen, was in seiner Nähe gelegen hatte, doch diese Wut war augenblicklich verflogen, als er aus dem zerstörten Fenster gesehen, und ein fremdes blondes Mädchen gesehen hatte. Dieses Mädchen war so schön, dass es ihm den Atem raubte, er dachte, sie sei keine Realität. Er hatte sie nur für einen sehr kurzen Moment gesehen, doch es hatte gereicht, um neue Gefühle in ihm aufflammen zu lassen. Sie war ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen, fast jeder dritte Gedanke von ihm hatte mit ihr zu tun. Doch dieses Mädchen, Misa Harada, hatte nichts gespürt. Sie hatte ihn nicht bemerkt, zu sehr war sie in ihre eigenen Gedanken vertieft gewesen. Schnell vergrub Shinji das Gesicht in seinen Händen. Das mit dem Trinken klappte heute nicht so, wie er es gerne gewollt hätte. Und so riss er sich schließlich zusammen und stellte die Sakeflasche zurück in den Keller, indem es nur so von Flaschen zu wimmeln schien. Das riesige Haus seiner reichen Familie hatte einen unterirdischen, fast genauso großen Sakekeller wie der Grundriss des eigentlichen Hauses, in welchem schon seit sehr vielen Jahren die teuersten Stücke darauf warteten, eines Tages von jemandem getrunken zu werden. Doch so sollte es niemals sein, denn als ein zaghaftes Klopfen an der schweren Kiefernholztür ertönte, änderte sich das Leben von Shinji Kenta schlagartig – schon wieder. Der Junge öffnete ohne nachzudenken, er war sehr neugierig, denn er hatte schon sehr lange keinen Besuch mehr gehabt. Er hatte ja auch weder Verwandte, noch irgendwelche Freunde, die noch am Leben waren. Dazu kam noch, dass das große Haus seiner Familie sehr geschützt lag, kaum einer könnte es finden, der nicht schon mal dagewesen war. Ein lauter Donner ertönte, ließ die schmale Gestalt im Türrahmen zusammen zucken. Kurz darauf schlug ein neuer Blitz ein, und für einen kurzen Moment wurde die vollkommen durchnässte Person erhellt. Ein Mädchen, nicht viel größer als eine junge Jugendliche trat ein, ihr dunkelblaues Haar kringelte sich in sanften Wellen bis zu ihrer Hüfte. Sie atmete tief durch, dann lächelte sie leicht. „Ich…bin’s nur, Shinji.“, sagte sie mit einer sanften Stimme und räusperte sich. Der Junge hatte Angst, dass er gleich einen Herzinfarkt erleiden würde. „Aber…Umino, du bist doch…“, stammelte Shinji, doch das durchnässte Mädchen schüttelte schnell den Kopf. „Verstehst du nicht? Ich bin es, Shinji.“, sagte sie und trat näher. Als er endlich verstand, worauf sie hinaus wollte, fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf vor Überraschung. Wie war so etwas nur möglich? Und da kam ihm die eine Möglichkeit in den Sinn, die alles logisch aussehen ließ, und er verstand es etwas mehr. „Bitte, du musst mir helfen.“ Shinji stolperte über einen Faustgroßen Stein und fiel auf die Knie. Er war abgelenkt gewesen, zu abgelenkt von seinen Gedanken und Erinnerungen an die Zeit vor sechs Monaten. Damals ging es ihm wirklich mies, jeder einzelne Tag war eine Qual gewesen. Er hatte den Sinn in seinem Leben verloren, als damals dieses Mädchen gestorben war. Er hatte sie geliebt, jeden Tag mit ihr verbracht, doch letzten Endes war alles zu spät gewesen, das Mädchen starb nach einer langen Reihe von Krankheiten, und vielen Jahren von Schmerzen. Als seine alte Freundin Umino jedoch nach einer langen Zeit vor sechs Monaten wieder bei Shinji aufgetaucht war, hatte das seinem Leben endlich einen Sinn gegeben. Endlich hatte er wieder eine richtige Aufgabe, sie suchten zusammen nach dem Ende des Krieges. Und insgeheim hatte der Braunhaarige damals gehofft, dass er das hübsche blonde Mädchen eines Tages wieder sehen würde. Als er Misa dann an jenem verhängnisvollen Tag des Vulkanausbruches tatsächlich wieder getroffen hatte, war das ein Ausbruch von einem innerlichen Feuerwerk, er hatte sich großartig gefühlt, und seitdem versucht, sie wo es nur gerade ging zu unterstützen, ihr zu helfen. Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er an jenem Tag, als er sie zum ersten Mal erblickt hatte, mit dem Gedanken gespielt, seinem Dasein ein Ende zu setzen, diese tägliche Qual nicht mehr ertragen zu müssen, endlich ein ruhiges Ende zu haben, doch bevor er sich mit einer Glasscheibe einer zerbrochenen Sakeflasche wie geplant die Pulsadern hatte aufschneiden können, hatte er sie erblickt, und sein einziger Wunsch war es, jenes Mädchen, welches sein Leben indirekt gerettet hatte, noch ein einziges Mal wieder zu sehen. Doch genug davon, in diesem Augenblick, an dem er halb auf dem Boden kniete, versuchte er seine Gedanken auf etwas anderes zu fokussieren. Er atmete tief durch, sog die Luft des Waldes ein, schmeckte den feucht-kalten Geruch und kam schließlich zur Ruhe. Dann füllte er seine Gedanken mit dem Aussehen von Noriko’s Armband und stiefelte weiter durch die feuchten Farne. Er ging fast einen halben Kilometer weiter geradeaus, dann ließ sich Shinji auf einem großen Stein nieder und dachte nach. Wie sollte er so etwas Kleines, Feines überhaupt in so einem großen Wald finden? Der Braunhaarige seufzte tief, beschloss dann, dass er in dieser Finsternis sowieso keine Chance mehr haben würde, um das Armband zu finden und ging dann wieder zurück in die Richtung, aus der er gerade eben noch gekommen war. Grübelnd vor sich hergehend, bemerkte er nicht, dass von links eine leise Stimme auf ihn zu kam, jemand rief nach ihm. Schon wieder war er tief in seine Gedanken versunken, er bemerkte die Rufe erst, als Riku schon in ihn hinein gerannt war. Mit einem lauten Geräusch prallten die beiden an den Köpfen aneinander und fielen zu Boden. Das Geräusch hörte sich in etwa so an, als würde jemand zwei Kokosnüsse zusammenschlagen. Ein sehr hohles Klingen. Außerdem war es ein Beweis für eine Theorie von Yoshi und Misa, die sich damit auch bestätigte. „Au mein Kopf! Mensch, hast du mich nicht gehört?“, fragte Riku empört und richtete sich kopfschüttelnd auf, dann klopfte er sich den Staub von den Schultern. „Tut mir leid Riku, ich hing gerade meinen verworrenen Gedanken nach…Was wolltest du denn von mir?“, fragte er seufzend und ein leicht verwirrter Blick legte sich auf sein Gesicht. Der jüngere Braunhaarige sah ihn erst selbst mit einem verwirrten Blick an, dann erinnerte er sich wieder an das, was er ihm hatte zeigen wollen. „Es ist echt verrückt. Ich habe zwar nicht das Armband gefunden, aber dafür das hier~“, sagte er beschwörend und zog die eisblau leuchtende Feder hervor. Der Junge nahm sie in seine Hand, fühlte die hauchzarte Oberfläche. Obwohl die Feder seine Hand fast nicht berührte, kitzelte sie ihn ein wenig. Und sie fühlte sich auf der nackten Haut eiskalt an, irgendwie angenehm… Von dem Leuchten ging etwas wirklich Beruhigendes aus. In Shinji’s Augen spiegelte sich das Leuchten der Feder wider, es erfüllte ihn mit Trost und Ruhe, und endlich konnte er tatsächlich zur Ruhe kommen, ein einziges Mal wirklich tief durchatmen, ohne sich dabei wieder in seinen Gedanken zu verirren. „Das sieht unfassbar schön aus, wo hast du die Feder gefunden?“, fragte er interessiert und gab sie wieder zurück zu dem Eigentümer. Ein leises Kichern ertönte aus Riku’s Kehle. „Das war schon irgendwie seltsam…Ich bin vom Weg abgekommen, hab mich schließlich verlaufen. Dann war mir plötzlich irgendwie so, als würde mich etwas in die Nähe von einer kleinen Quelle ziehen. Ich dachte nach und kam schließlich zu dem Schluss, dass das Schicksal wohl gewollt hatte, dass ich zu dieser Quelle gehe. Ich dachte mir, dass ich dort bestimmt das Armband von Noriko finden würde, doch dann schwebte diese Feder auf mich zu. In dem ersten Moment, in dem ich sie erblickte, dachte ich für einen kurzen Moment, dass ich Noriko wieder Lachen sehe…“, murmelte er leicht abwesend und steckte die Feder weg. Shinji räusperte sich. „Klingt…interessant.“, sagte er und kratzte sich am Hinterkopf. Für einen kurzen Augenblick schwiegen beide, doch es war kein unangenehmes Schweigen, wie wenn man mit jemandem in einem Raum ist, den man nicht so gut kennt, und man nicht weiß, was man sagen soll, sondern ein Schweigen, in welchem beide Jungen über ein und denselben Gedanken nachdachten. Sollten sie Ren davon erzählen, oder sollten sie es für sich behalten? Beide konnten in den Augen ihres Gegenüber sofort ablesen, was sie tun würden – sie würden es erst mal für sich behalten, zumindest für Heute. Vielleicht würden sie es morgen erzählen, wenn die Freunde etwas ausgeruhter sein würden. Dann könnte man sich bestimmt auch viel besser darauf konzentrieren. Und so begaben sich die beiden wieder zurück auf den Weg zu Ren’s Haus, beide schwiegen und hingen wieder ihren eigenen Gedanken nach – eigentlich genau das, was Shinji vermeiden wollte. Ren bückte sich und schaute unter den nächsten Felsen. Schon wieder nichts… Wie sollte er denn auch bei solch mageren Lichtverhältnissen und in diesem riesigen Wald etwas so Kleines wie Noriko’s Armband finden? Er suchte bestimmt schon länger als eine Stunde, und das Einzige, was er bisher einen außergewöhnlichen Fund hätte nennen können, war das Ei eines Phönixes, doch seine Mutter war schneller als er und pickte ihm auf die Hände, sodass er von dem Baum fiel und sich weh tat. Betrübt und leicht deprimiert schlug er langsam den Weg zurück zu seinem Haus ein. Vielleicht lag es ja doch noch irgendwo bei seinen Sachen, vielleicht hatte er ja wirklich nicht gut genug nachgeguckt, und das Armband lag noch irgendwo in dem Haus. Ja, so musste es wohl gewesen sein. Voller neuem Enthusiasmus stolperte er weiter geradeaus und musterte ein wenig seine Umgebung. Eigentlich war es hier sehr schön, hier in der Gegend lebten viele seltene Tierarten, und man konnte prunkvolle Häuser wie eines von Ren bestaunen, denn nur sehr reiche Leute konnten es sich leisten, in so einer schönen Gegend zu wohnen, das war nicht wirklich billig. Gedankenversunken schien der Blonde endlich etwas Abstand zu seinen Erinnerungen zu finden, das konnte manchmal sehr angenehm sein. Dann dachte man an nichts, was einem innerlich Schmerzen zu fügte, man konnte einfach für einige wenige Minuten glücklich sein, einfach an nichts Schlimmes denken. Doch so schnell seine Gedanken eben noch aus seinem Kopf verschwunden waren, so schnell holten sie ihn nun auch wieder ein. Er musste dieses Armband finden, er würde sich sonst dafür hassen, dass er die einzige Erinnerung an Noriko verloren hatte, die er noch besaß… Mit einem schweren Kloß im Hals ließ er sich auf einem Stein nieder und starrte den Erdklumpen vor sich mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck an. In seinem Hinterkopf hörte er plötzlich eine Stimme, eine helle, leicht raue aber doch angenehme Stimme. Die Stimme lachte laut, als hätte man ihr geradeeben den allerbesten Witz erzählt. Noriko’s Stimme… Schmerzlich vergrub Ren das Gesicht in seinen Händen. Er vermisste sie schrecklich, jeder Tag ohne sie war wie ein Schlag in die Magengrube oder ein riesiges Loch in seinem Herzen. Auch, wenn er noch so fröhlich schien, er hatte diesen Tag vor etwas mehr als drei Monaten noch immer nicht überwunden… Ren… Er schreckte hoch, sah sich verwirrt um. Er hatte wieder ihre Stimme gehört, doch dieses Mal so klar und deutlich, als würde sie genau vor ihm stehen. Doch auf dem Erdklumpen, der ihm gleich gegenüber stand, war niemand. Erleichtert, aber doch irgendwie traurig seufzte er schwer und stand wieder auf. Als er sich umdrehte, hörte er sie wieder. Geh nicht…weg… Er drehte sich wieder um, schwungvoller als eben. Und da saß sie. Die Beine übereinander geschlagen, die Arme verschränkt, das Lavendelfarbene Haar auf einer Seite über die Schulter gelegt, mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen. Ein erschreckter Schrei entkam Ren’s Kehle, er stolperte ein paar Schritte rückwärts. Wenn du auch noch gehst, dann…dann werde ich ganz alleine sein… sagte Noriko und eine Träne lief über ihr hübsches Gesicht. Doch als Ren näher zu ihr ging, um sie zu trösten, sie in den Arm zu nehmen und zu fragen, wieso sie wieder hier war, verzerrte sich ihr Gesicht zu einer Maske aus Schmerz, Wut und Enttäuschung. Wie konntest du es wagen? Wie konntest du es wagen, das Armband von mir zu verlieren? schrie sie und stand auf. Sie ging langsam auf ihn zu, streckte einen Arm nach ihm aus und blieb schließlich vor ihm stehen. Er konnte ganz genau sehen, wie ihr die Tränen aus den Augen liefen, doch jede weitere Träne wurde immer dunkler und dunkler. Die Tränen wurden zu Blut… Weiteres Blut tropfte aus ihrem Mund, die Stelle an ihrem Bauch, an der Ren ihr damals sein Katana durchgestochen hatte, verfärbte sich ebenfalls blutrot. Sie verzog das Gesicht, hustete leicht. Und dann schrie sie. So laut, dass die Bäume erzitterten. Ren wich zurück. Das war nicht Noriko. Er hielt sich die Ohren zu, kniff die Augen zusammen, sodass er sie weder hören, noch sehen konnte. „Verschwinde!!!“, schrie er, der Schrei kam von ganzem Herzen. Als er die Augen wieder öffnete, war sie verschwunden. Ren atmete schneller und heftiger, als es vielleicht nötig gewesen wäre. Dann ballte er seine Hand zu einer Faust und schlug mit voller Kraft gegen den Erdklumpen. Es knackte laut, Ren verzog das Gesicht und er fluchte laut. Er hatte sich höchst wahrscheinlich die Hand gebrochen, an dem Erdklumpen, welcher eigentlich ein Stein war. Zu dumm, dass ihm das nicht früher aufgefallen war… Was war nur los mit ihm? Wieso hatte er auf einmal Halluzinationen von Noriko? Das war ihm doch früher auch noch nicht passiert…Egal, darüber konnte er später noch nachdenken. Jetzt musste er erst mal zurück zu seinem Haus finden, und den anderen sagen, dass das mit dem Armband erledigt sei, sie würden es sowieso nie mehr wieder finden. Die wichtigste Erinnerung an Noriko trug er ja immer noch in seinem Herzen, und dort würde sie auch niemals im Leben verloren gehen. Hinter sich hörte er leise Stimmen. Stimmen, die seinen Namen riefen, immer und immer wieder. Er rührte sich nicht, blieb einfach auf dem modrigen Boden sitzen und tat so, als hätte er nichts gehört. „Ren!“, rief Riku erneut, als er durch ein paar Büsche lief, und beinahe auf den Gesuchten getreten wäre, dicht hinter ihm kam Shinji zum Vorschein. „Wieso antwortest du nicht, wenn man nach dir ruft?“, fragte der Jüngere vorwurfsvoll und ließ sich auf dem Erdklumpen-Stein nieder. Ren hustete. „Hab es nicht gehört…“, murmelte er und guckte auf seine Hand. Sie pochte schmerzhaft, sie war wohl tatsächlich gebrochen. Shinji folgte seinem Blick. „Was ist passiert?“, fragte er leicht besorgt und tastete die Verletzung ab. Ren zuckte leicht zusammen, dann beherrschte er sich wieder. „Ich hab einen Stein geschlagen.“, erklärte er Achselzuckend. Riku und Shinji sahen sich verwirrt an. „Ahja, und wieso wenn ich fragen darf?“, fragte Shinji und setzte sich neben Riku. „Ist doch egal, meine Hand tut jedenfalls sehr weh…“, sagte der Blonde und wich der Frage so ein Stückchen aus. „Wieso haust du auch auf einen Stein?“, fragte Riku leicht amüsiert. „Ich war wütend und hielt den Stein für einen Erdklumpen.“, erklärte Ren nuschelnd und seufzte schwer. „Wie kann man einen Erdklumpen mit einem Stein verwechseln?“, fragte Shinji verwirrt. „Tut mir wirklich leid, dass ich nicht so toll sehen kann wie ein Maulwurf!“, sagte er leicht erzürnt und sah sich seine gebrochene Hand an. Ein echt toller Vergleich. Riku und Shinji sahen sich durcheinander an. Dann seufzten sie gleichzeitig. Was sollten sie nur mit diesem Nervenbündel anstellen? Wenn sie ihm in dieser Situation sagen würden, dass sie etwas gefunden hatten, welches einen sehr an Noriko erinnerte, würde er wahrscheinlich einen ganzen Wald zerschmettern…also beließen sie es lieber dabei. „Los, lass uns zurückgehen. Wenn die Mädchen aufwachen, und wir nicht da sind, bekommen sie bestimmt Panik, oder die Grippe oder sonst etwas…“, murmelte Shinji und Riku erkannte eine Spur von Blödheit in seiner Aussage, doch anstatt wie sonst diskutierend darauf einzugehen, wie es sonst eigentlich Ren’s Art war, schüttelte er nur wieder den Kopf und zog den Blonden auf die Beine. Mit Hilfe von Ren’s Wegbeschreibungen und Shinji’s Orientierungssinn, welcher glücklicherweise nicht mal halb so schlimm war, wie der von Riku, fanden sie also schließlich zurück zu dem Haus von Ren’s Familie. Gegen ihre Erwartungen, waren die drei erschöpften Mädchen nicht aufgewacht, dazu waren sie nicht kräftig genug. Den drei Jungs war es ganz recht, dass sie nichts von der Abwesenheit der dreien mitbekommen hatten, und so legten auch sie sich wieder zur Ruhe und schliefen schnell und traumlos ein. Riku hatte die Engelsfeder vorsichtshalber nicht in seiner Tasche gelassen, sondern sie in eine wahllose Schublade eines Schrankes gesteckt, von diesen Schränken stand hier überall einer rum, deshalb würde wohl so schnell niemand auf die Idee kommen, eine eisblau leuchtende Feder in einem von mindestens 300 identischen Schränken zu suchen. Riku war ganz zufrieden mit seinem Einfall. So würde es am nächsten Morgen garantiert niemals zu irgendwelchen peinlichen Vorkommnissen kommen…hätte man meinen können. In meinem Kopf…gibt es diese Bilder… Bilder, von mir bekannten Mädchen.. Sie sind alle so unterschiedlich…und doch scheint sie irgendetwas zu verbinden… Umino…Tora…Noriko… Sie verschmelzen…und ergeben ein neues Bild. Denk nicht…darüber nach! Du wirst es am Ende noch bereuen! …aber ich brauche sie…sie ist alles für mich, sie darf nicht verschwinden! HÖR AUF!!! Schweißgebadet fuhr Ren aus seinem Schlaf. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und kniff die Augen zusammen – das Licht der grellen Vormittagssonne blendete ihn. Vor ihm verschwamm noch alles, doch langsam bildeten sich verwischte Umrisse, dann ein paar Personen. Misa kniete vor ihm, grinste ihn an. Neben ihr saß Umino mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck und weiter hinten döste Yoshi an Riku angelehnt. Ren wusste nicht recht, warum die beiden so fröhlich aussahen. Hatten sie womöglich eine gute Nachricht für ihn? „Ren du Schlafmütze, bist du auch endlich aufgewacht?“, fragte Misa und lachte laut. Ein tonloses Geräusch kam aus Ren’s Mund. „Steh auf, sonst werden wir dich dazu zwingen, es ist schon fast elf Uhr!“, sagte Umino und machte ein Gesicht, als dürfte niemand auf der Welt so lange schlafen. „Anscheinend…lasst mich in Ruhe, ich bin müde…“, murmelte er schlecht gelaunt und ließ sich wieder zurück sinken. Zufrieden merkte er, wie er wieder kurz davor war einzuschlafen. Plötzlich jedoch spürte er etwas Nasses, Kaltes an seinen Füßen, seine Augen sprangen auf und ein leises Quietschen drang aus seinem geschlossenen Mund. Misa kicherte, Umino seufzte tief. „Ich hatte ihn ja gewarnt…“, murmelte sie und warf erneut mit einem großen Wasserball nach den Füßen des Älteren. Er fuhr schlagartig in die Höhe und knurrte laut. „Ich bin müde, lasst mich in Ruhe!“, fauchte er, doch Misa machte das keine Angst. Sie zwickte ihm in die rechte Wade und schmerzerfüllt keuchte der Junge auf. Riku räusperte sich laut. „Jetzt ist aber mal gut, er ist doch wach. Er verdient es zu schlafen, schließlich waren wir drei starken Männer gestern noch sehr lange wach!“, verkündete er und seine Brust schwoll an, Yoshi lachte ihn für diese Bemerkung aus. Bestürzt sah der Braunhaarige zu ihr herunter und fragte, was daran so komisch sein würde, doch die Rothaarige winkte ab und küsste ihn lieber. Damit war das Thema dann auch für Riku gegessen. Ein Knurren ertönte. Ren sah runter zu seinem Magen – er war vollkommen ausgehungert. Zumindest kam es ihm so vor. Die Blonde zog ihn hoch und schleifte ihn mit in die Küche, in welcher Shinji gerade am Herd stand und das Frühstück zubereitete. Ren grüßte ihn nuschelnd, zuckte dann aber zusammen. „Guten Mor…ähm Shinji, du trägst jetzt nicht ernsthaft eine rosa Kochschürze, oder?“, fragte er und lachte laut los. Der Angesprochene sah ihn verwirrt an. „Nein, wieso sollte ich?“, fragte er und sah an sich herunter. Er schrie laut auf, Umino lachte los. „Entschuldige, aber du warst so vertieft, dass du das gar nicht gemerkt hast.“, presste sie zwischen den lauten Lachanfällen hervor und hielt sich den Bauch. Misa verdrehte die Augen. Sie ging auf den Jungen zu und riss ihm die Schürze vom Leib. „Hmm.“, machte sie. „Sieht doch gleich viel besser aus~“ Der Braunhaarige errötete leicht und drehte sich schnell weg. Ren schlug sich eine Hand vor die Stirn, dabei zuckte er zusammen und gab einen erschrockenen Laut von sich – es war die verletzte Hand gewesen. Umino bemerkte die Bewegung und sah ihn besorgt an. „Was ist passiert?“, fragte sie und untersuchte die Hand mit Fingern, leicht wie eine Feder. Peinlich berührt kratzte sich der Blonde am Hinterkopf. „Ich hab gestern einen Stein geschlagen und mir die Hand gebrochen…“, murmelte er leise und zog die Hand weg. Die Mädchen erstarrten. „Warum hast du…ich frag lieber gar nicht erst nach…Mino-chan, könntest du dich bitte um die Verletzung kümmern, ich decke derweil mit Shinji-kun den Tisch…“, sagte Misa stirnrunzelnd und ging rüber zu Shinji, welcher, als er dies gehört hatte, vor Aufregung eine Schale mit Reis an die Decke geworfen hatte. Schnell behob er seinen Fehler und ging dann mit Misa rüber ins Speisezimmer. Sorgsam zog Umino Ren an der anderen Hand mit sich zu ihrer Medizintasche. „Du machst vielleicht Sachen Ren…“, sagte sie stirnrunzelnd und drückte ihn auf den Boden, sie setzte sich neben ihn. Ganz vorsichtig verteilte sie eine scharfriechende Salbe aus einem kleinen Töpfchen auf Ren’s gebrochenem Handgelenk, danach umwickelte sie dieses mit einem Verband und schiente es mit einem dünnen Stück Holz. „So…pass mir bloß auf, dass das nicht nochmal passiert, in Ordnung?“, sagte sie lächelnd und sah ihn aus ihren tiefgründigen blauen Augen an. Ihre Hand fuhr leicht über seinen Arm, das kitzelte ein wenig. Das Herz des Jungens schlug plötzlich schneller, die Stellen, die sie eben mit ihren Händen berührt hatte, wurden warm und brannten leicht. Er zuckte zusammen und wich leicht zurück. Erschrocken weitete Umino die Augen. „Habe ich…habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie nervös, Ren schluckte hart und schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid, ich…ich…“, fing er an, doch er konnte den Satz nicht beenden und stand rasch auf. Während er dabei war, den Raum zu verlassen, flüsterte sie leise: „Tut mir sehr leid, Ren-sama…“ Ren blieb schlagartig stehen. Er drehte sich um und starrte sie vollkommen verwirrt und überrascht an. Seine Augen waren stark geweitet, sein Herz schlug schneller. „Was ist?“, fragte Umino, doch Ren drehte sich sofort wieder um, sagte kurz „danke“ und verließ den Raum. Verwirrt blieb das Mädchen am Boden sitzen. Was hatte sie bloß falsch gemacht? Schnellen Schrittes ging der blonde Junge Richtung Speisezimmer. Diese Art…wie Umino eben seinen Namen betont hatte, wie sie ihn Ren-sama genannt hatte…so hatte ihn bisher nur eine einzige Person angesprochen… Er schüttelte schnell seinen Kopf. Ach was. Das hatte er sich bestimmt nur eingebildet… „Da bist du ja endlich!“, sagte Riku grinsend und klopfte auf den Platz rechts von ihm. Um den großen Tisch herum hatte Misa Sitzkissen hingelegt, weil der Boden relativ hart und kalt war. Links neben Riku saß Yoshi. Sie hatte schon zwei Portionen Reis verdrückt, dazu kamen noch einige Reisbällchen und etliche Beilagen, doch wie üblich ließ sie sich nichts davon anmerken und aß fröhlich weiter. Gegenüber von ihr saß Misa, daneben Shinji, welcher nervöser als je zuvor wirkte. Der Blonde sah hinter sich, im Türrahmen stand Umino. Sie ließ sich neben Shinji nieder und haute ihm in die Seite. „Reiß dich zusammen!“, flüsterte sie ihm zu und griff nach ihrer Reisschale. Der Braunhaarige räusperte sich und aß ebenfalls weiter. Schultern zuckend ging Ren rüber zu Riku und ließ sich neben ihm nieder. Er grinste noch immer. „Beeil dich lieber, sonst isst Yoshi dir deine Portion weg.“, sagte er lachend und merkte nicht, dass genau dies gerade mit seiner eigenen Portion geschah. Ren musste wohl oder übel loskichern. „Pass lieber auf deine eigene auf.“, sagte er und deutete in Yoshi’s Richtung. Mit einem dämlichen Gesichtsausdruck drehte der Braunhaarige sich um und wurde Zeuge, wie das Mädchen sich den Mund abtupfte und die Schüssel wieder vor ihn stellte. Bestürzt verlangte Riku nach einer neuen Portion, doch Misa haute ihm auf die gierigen Hände. „Yoshi hat genug für vier gegessen. Da hast du wohl Pech gehabt, wir wollen auch noch was essen.“ „Wieso ist das mein Problem?“, fragte er weinerlich. „Weil sie deine Freundin ist.“, sagte die Blonde ausdrucksvoll und aß weiter. Riku drehte sich um und starrte Ren mit Hundeaugen an, denn er hatte gerade begonnen, seine eigene Portion zu essen. Er fühlte sich leicht gestört und so schluckte er schnell herunter. „Was ist?“, fragte er skeptisch und hob die Augenbrauen an, als der Ältere hungrig sein Essen anstarrte. „Ren. Wenn du mein Freund bist, dann willst du doch sicherlich mit mir teilen, oder?“, fragte er bittend und blinzelte ihn lieblich an. „Bist du bescheuert? Ich habe selber großen Hunger! Frag doch Yoshi.“, sagte er hart und aß weiter. Geschockt sah Riku rüber zu Yoshi, sie starrte ihn bitterböse an. Er seufzte, dann sank er in sich zusammen. „Wie könnt ihr nur so Herzlos sein?“, fragte er und sein Magen knurrte. Shinji lachte verächtlich. „Und da sagt ihr immer, dass ich hier der Dumme bin.“ Umino haute ihn. „Wir haben nie gesagt, dass es nicht zwei Dumme geben kann…“, sagte sie mit einem leicht genervten Unterton und aß ihre Portion auf. Ren schenkte ihr einen Seitenblick. Doch bevor er weiter über solche Sachen wie vor dem Frühstück nachdenken konnte, richtete Misa das Wort an ihn. „Kannst du mir einen Gefallen tun? Yoshi, Umino und ich würden gerne das Bad benutzen, könntest du uns Wasser einlassen und so weiter?“, fragte sie und lächelte ihn erwartungsvoll an. Ren nickte leicht und erhob sich. „Hey Yoshi. Könntest du solange ich weg bin auf mein Essen aufpassen? Riku ist mir nicht ganz geheuer…“, fragte er und die Rothaarige salutierte. Misa, Umino und Shinji kicherten leise. Lächelnd verließ der Blonde das Esszimmer. Beleidigt sagte Riku, das er sich schon nicht darüber her machen würde, aber niemand hörte ihm mehr zu. Umino schenkte ihrem Kindheitsfreund einen Seitenblick. Er zuckte vor Nervosität, sie wusste genau, was er tun wollte. Sie räusperte sich und rutschte näher an ihn heran. „Jetzt frag sie schon!“, flüsterte sie in sein Ohr und schubste ihn seitlich zu Misa heran. Shinji verlor das Gleichgewicht und plumpste in Misa’s Schoß. Errötend sah er hoch in ihr verwundertes Gesicht. „Was ist denn heute mit dir los?“, fragte sie und grinste ihn an, „Heute machst du noch mehr seltsame Sachen, als sonst überhaupt schon.“ Sie störte sich nicht weiter an seiner Position. So schnell wie der Schall richtete sich der Braunhaarige wieder auf und entschuldigte sich drei Mal. „Ist schon gut, du hast das ja nicht absichtlich getan.“, sagte sie freundlich. Riku schnaubte empört. „Wenn mir das passiert wäre, läge ich jetzt halb tot im Ofen!“, sagte er bestürzt. Misa zuckte mit ihren Schultern. „Du machst sowas ja auch absichtlich, wegen deinen perversen Fantasien…“, sagte sie seelenruhig und lächelte hämisch. „Sowas habe ich niemals getan!“ „Und ob, als wir uns kennen gelernt haben, hast du das geschlagene 17 Mal versucht, erinnerst du dich?“, sagte sie und eine Ader an ihrer Schläfe pulsierte. Shinji war das Chaos, das wegen ihm ausgebrochen war, nicht geheuer, und so versuchte er das wieder gerade zu biegen. „Hört auf mit dem Streit…ich wollte dich noch etwas fragen, Misa-chan…“, sagte er und sofort wurde er wieder nervös. Umino grinste, als sie ihn so sah und überlegte, ob er das früher auch schon so getan hatte. Die Antwort war ein klares Ja. Misa schenkte ihm ein nettes Lächeln. „Was willst du denn wissen?“, fragte sie neugierig und bemerkte, dass er so nervös war, wie sie ihn zuvor noch niemals erlebt hatte. Sie hob eine Augenbraue an und wartete. Doch der Junge ließ sich eine ganze Weile Zeit. Dann wurde es Umino zu bunt. „Meine Güte Shinji! Du wirst es doch mit deinen 19 Jahren mal schaffen, einen vernünftigen Satz zu formulieren, oder?!“, fragte sie genervt und trank einen Schluck Tee. Shinji sah sie giftig an, ignorierte sie aber dann. „Ich wollte dich fragen…ob du…ob…du…den Tagmitverbrwillst…“, fing er an, doch er verschluckte den letzten Teil und keiner der Anwesenden hatte es verstanden. Umino schlug sich eine Hand vor die Stirn. Misa sah ihn leicht bedauernd an. „Was?“ „Willst du den Tag mit mir verbringen?“. Wiederholte er und lief rot an. Das blonde Mädchen schien überrascht zu sein. Dann lächelte sie jedoch wieder und nickte. „Warum nicht.“, sagte sie freundlich und kicherte vergnügt. Shinji setzte eine strahlende Miene auf. Gedankenverloren betrat Ren das Badezimmer. Dabei hatte er vollkommen die kleine Stufe vergessen, die genau unter der Tür war. Er geriet ins Stolpern, fing sich dann aber ab und hielt sich an einem weißen Handtuch fest. Das war ihm früher schon oft passiert. Er hatte sich immer wieder vorgenommen, sich ein einziges Mal an die Stufe zu erinnern, aber er hatte es immer vergessen. Es war außerdem schon eine Ewigkeit her, seitdem er das letzte Mal in diesem Haus gewohnt hatte, deshalb war alles etwas ungewohnt für ihn. Vor ungefähr elf Jahren, als er gerade sechs Jahre alt gewesen war, hatte er sich mal den Kopf angeschlagen und sein Vater hatte aus Wut über die geringen Vorsichtsmaßnahmen die Hälfte der Hausbediensteten entlassen. Zu dieser Zeit war er sowieso schon sehr aufgebracht gewesen. Ren dachte nicht gerne an die Zeit von damals zurück, als etwas Schreckliches geschehen war. Seine Mutter hatte bestimmt drei Monate lang Depressionen gehabt, sein Vater war sehr wütend geworden, schon bei der kleinsten Auseinandersetzung… Doch der Blonde wollte nicht weiter darüber nachdenken, er schüttelte schnell den Kopf und ging weiter geradeaus. Neben ihm standen mehrere Schränke mit Körben in ihnen, in welchen man seine Kleidung aufbewahren konnte, ohne dass sie auf dem Boden schmutzig werden würde. Er blieb vor einer weiteren Schiebetür stehen und schob sie zur Seite. Vor ihm sah man die überdimensional große Badewanne. Da sie so gewaltig groß war, konnte man es nicht mal Badewanne nennen, denn eigentlich war es eine heiße Quelle. Das Haus war damals um sie herum gebaut worden. Doch das Wasser musste immer mal wieder aufgefüllt werden, denn nach all diesen Jahren war die Quelle schon versiegt, die Hitze allerdings würde niemals einfach vergehen. In einer der Türen rechts neben der Quelle war ein größerer Raum, indem das Wasser gelagert wurde. Lauter große Fässer, gefüllt mit reinem Mineralwasser, das Beste vom Besten eben. Für jemanden, der das nicht von Geburt an gewöhnt gewesen war, war das alles bestimmt ein zutiefst beeindruckendes Haus, für Ren war es nichts Besonderes. Er öffnete die Tür und holte mehrere Fässer mit Wasser. Es dauerte eine Weile, bis das ganze Wasser schließlich in der leeren Quelle war. Nur noch ein paar Minuten, und es würde so entspannend sein, wie eine andere heiße Quelle auch. Er wollte gerade wieder gehen, als er hinter sich etwas hörte…oder viel mehr jemanden… Wieso bist du so traurig?, fragte die Stimme eines Mädchens. Der Junge blieb schlagartig stehen und schluckte hart. //Nicht schon wieder…//, dachte er verzweifelt und drehte sich um. Wie erwartet saß Noriko auf einem Stein neben der Quelle. Sie spielte mit einer Strähne ihres Haares und schenkte ihm einen leicht besorgten Blick. Ren schloss die Augen, hielt sich eine Hand davor. „Das ist nicht echt, du bist nicht echt, ich bilde mir das alles nur ein, niemand außer mir ist gerade in diesem Raum…“ Erzähl mal keinen Unsinn, willst du mich als einen Niemand bezeichnen?, fragte Noriko schnippisch und stand auf. Sie kam ein paar Schritte näher und grinste verwegen. „Was willst du schon wieder? Mich aus der Fassung bringen, so wie gestern Nacht auch schon?“, fragte er mit einem leicht sarkastischen Unterton und biss sich auf die Unterlippe. Das Mädchen sah ihn stirnrunzelnd an. Nein, wieso sollte ich? Ich wollte nach dir sehen. Ich vermisse dich., sagte sie und lächelte lieblich. Ein Schauder lief den Rücken des Jungens hinunter. Also hatte er wirklich vollkommen den Verstand verloren, wie würde das nur werden, wenn er einmal so alt wie sein Großvater sein würde? Er hatte immerzu alles vergessen, schließlich keine Nahrung mehr angenommen und war eines natürlichen Todes gestorben, obwohl man es auch als „verhungern“ oder „verdursten“ ansehen konnte. „Du bist doch gar nicht wirklich hier, ich verwirre mich nur selbst…“, sagte er zu sich und ließ sich auf einem Stein nieder. Dann sah er zu seiner gebrochenen Hand. Die Schmerzen waren dank Umino fast vollkommen vergangen, er hatte vergessen, dass sie jemals existiert hatten. Noriko’s Blick ruhte für einen Augenblick ebenfalls auf dem Verband, ihr Blick wirkte leicht verunsichert. Natürlich bin ich hier. Glaube mir, oder lass es bleiben. Ich denke, es ist ganz gut, dass ich hier bin, du musst mit jemandem reden…, sagte sie und strich mit der flachen Hand über seine Schulter. Das letzte, was Ren gerade tun wollte, war reden. „Ich habe keine Lust, mit einer Halluzination zu reden. Ich habe Besseres zu tun…“, sagte er schnippisch und ignorierte ihre Hand auf seinem Körper. Noriko schüttelte den Kopf. Du redest doch schon längst mit mir…, sagte sie nuschelnd und setzte sich neben ihn. Leicht, wie eine Feder, strich sie über seinen Nacken, nahm ihre Hand wieder an sich und lehnte sich an den Jungen. Also…willst du mir jetzt erzählen, warum du gerade eben so traurig geguckt hast? Ich weiß genau, dass es einen anderen Grund als sonst immer gibt…Irgendetwas hier drin muss dich an eine nicht so schöne Erinnerung erinnert haben. Rede, mir kannst du alles sagen., erklärte sie und sah in seine Augen. Er schluckte schwer, er hatte schon lange nicht mehr an damals zurückgedacht… „Ich...wäre vor elf Jahren Bruder geworden.“, begann er, doch er stoppte mit dem Erzählen, als er eine Stimme hörte. „Hey Ren, wie lange dauert das denn noch?“, fragte Misa, die immer noch im Esszimmer saß. Er schreckte auf, sah neben sich und konnte niemanden sehen. //Also alles wieder nur Einbildung…//, dachte er und verließ das Badezimmer. Misa stand unruhig im Türrahmen und sah von Yoshi zu Umino. Die drei Mädchen sehnten sich sehr nach einem heißen Bad, schon lange war ihnen dieser Luxus vorenthalten worden. Sie hörte, dass Ren ihr etwas zurück rief, doch verstehen konnte sie es nicht, dafür war er zu weit entfernt gewesen. Dann stand er vor ihr und zeigte in die Richtung, aus der er eben gekommen war. „Dahinten ist direkt das Badezimmer, keine Umwege nötig.“, sagte er trocken und ging zurück ins Esszimmer. Die drei Mädchen sahen im verwirrt nach. „Was hat er denn?“, fragte Misa, die beiden anderen zuckten mit den Schultern. Keine zwei Minuten später standen die drei schon mit Handtüchern bepackt vor der zweiten Tür, sie schoben sie beiseite und waren sofort vollkommen begeistert. „Wahnsinn! Das ist kein Badezimmer, das ist ein Badehaus!“, sagte Umino begeistert und ging näher zum Rand der Quelle. Sie hielt eine Hand in das dampfende Wasser – es hatte genau die richtige Temperatur, um sofort hinein zu steigen. Misa lächelte sie an und nickte eifrig, sie legte ihre Kleider ordentlich gefaltet in einen Korb in den Schrank. Gleich in dem Korb daneben, lagen Yoshi’s Sachen, und überall auf dem Boden verteilt lagen Umino’s Kleidungsstücke. Die Blonde verdrehte die Augen. „Willst du das nicht wegräumen? Nachher rutscht noch jemand darauf aus…“, sagte sie, doch das Mädchen winkte ab. „Wenn alle aufpassen, wird schon nichts passieren.“, sagte sie gut gelaunt und steckte ihre langen, blauen Haarlocken zu einem Dutt zusammen. Dann steckte sie einen Fuß in das Wasser, dann das Bein, und dann ging sie ganz hinein. Ein Seufzer entglitt ihrem Mund. „Ahh, das tut echt gut!“, stellte sie fest und lehnte ihren Kopf an den Rand an. Yoshi folgte ihr, sie war so still wie sonst auch immer. An ihrer Hüfte stach etwas hervor, ein kleines schwarzes Muster. Umino machte große Augen. „Ist das deine Tätowierung?“, fragte sie neugierig und die Rothaarige schenkte ihr ein kleines Lächeln und nickte dann. „Hey, das Motiv sieht echt schön aus. Wann hast du es machen lassen?“, fragte sie weiter. Yoshi zuckte mit ihren Schultern. „Das hab ich schon fast zehn Jahre lang. Ist einfach so entstanden, ich weiß auch nicht wie. Plötzlich war es da…“, sagte sie und die beiden anderen Mädchen hoben ihre Augenbrauen an. Wie konnte sowas denn einfach so erscheinen? Keiner hatte eine Ahnung, wie oder vor allem wieso. „Das ist ein Schriftzeichen. Kaze. Es bedeutet „Wind“.“, erzählte sie weiter und die beiden anderen Mädchen nickten ihr zu. Dann ließ sich das älteste Mädchen ebenfalls im Wasser nieder und schloss ihre Augen. Misa folgte, nachdem sie sich ebenfalls ihre langen Haare hochgesteckt hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und dachte nach. So wurde es eine Weile lang still zwischen den dreien. Doch nachdem etwas Zeit vergangen war, richtete sie wieder das Wort an ihre Freundinnen: „Ich frag mich, was Shinji heute vor hat. Ich hatte noch niemals eine Verabredung mit einem Jungen…“, sagte sie und seufzte leicht. Umino sah sie lächelnd an. „Das überrascht mich jetzt. Du bist richtig hübsch, wie kommt es, dass du dich noch nie mit einem Jungen getroffen hast?“ „Ich hatte einfach keine Zeit. Und keinen Jungen.“, sagte die Blonde schulternzuckend. Sie war die letzten Jahre immer auf der Suche nach Freunden gewesen, doch sobald sie welche gefunden hatte, stellten sie sich als Menschen und vor allem als Verräter heraus, die sie an die Regierung hatten verkaufen wollen. Und durch ihren menschlichen Stiefvater war ihr Vertrauen sowieso schon sehr angeschlagen. Deshalb war sie sehr froh gewesen, als sie Ren und Noriko damals getroffen hatte. Endlich hatte sie sich jemandem vollkommen öffnen können, endlich war sie nicht mehr alleine. „Na dann kannst du ja froh sein, dass du Shinji hast. Er passt perfekt zu dir, er braucht nämlich endlich jemanden, der ihn statt meiner immer zurechtstutzt und fertig macht!“, sagte Umino gut gelaunt und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. Misa wurde rot. „Naja…ich weiß nicht recht, wie ich es sagen sollte…“, fing sie an und strich sich ein paar verirrte Haarsträhnen aus den Augen. Die beiden Mädchen sahen sie mit großen Augen an, als würden sie sagen „Los, erzähl schon endlich!“. „Die Sache ist die…wenn Shinji mich heute Morgen nicht gefragt hätte, hätte ich es wahrscheinlich getan…“, murmelte sie leise und Umino sah sie geschockt an. „Ist das dein Ernst? Hast du Fieber? Oder dir den Kopf irgendwo angestoßen?“, fragte sie schnell, nur um sicher zu gehen versteht sich. Das blonde Mädchen nickte leicht. „Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie…fasziniert mich seine Art. Er hat mich von Anfang an so behandelt, als würde er mich kennen. Er ist immer so freundlich und zuvorkommend, aber gleichzeitig auch ungeheuer ungeschickt und tollpatschig…das macht ihn sympathisch.“, erklärte sie leise und sah zu ihren Händen. Yoshi räusperte sich. „Klarer Fall von Verliebtheit.“, sagte sie trocken und schloss wieder ihre Augen. Misa sah sie überrascht an. „Was? Wie kommst du darauf? Ich meine…wir kennen uns doch erst seit ein paar Tagen, und…“ „In der Liebe ist nichts unmöglich! Es soll ja sowas geben, was sich Liebe auf den ersten Blick nennt!“, sagte Umino schnell und schaute rüber zu Yoshi. „Das trifft auf deinen Freund zu, Yoshino-san.“, sagte sie und grinste. „Ich hab Riku lange zappeln lassen, um zu sehen, wie er auf eine Abfuhr reagiert. Aber am Ende konnte ich seinem Charme einfach nicht wider stehen…“, sagte sie und kicherte. Man merkte a ihrer Art, dass sie eigentlich etwas anderes gesagt hätte, wenn sie nicht die immer lauter werdenden Schritte gehört hätte. Jemand kam gerade ins Badezimmer, einen Moment später hörten sie auch, um wen es sich – natürlich – handelte. „Bist du sicher? Ich hab keine Ahnung wo ich bin, ich wollte doch nur in die Küche gehen…Wenn du so ein Schlaukopf bist, kannst du mir ja sagen, wohin ich gehen muss, und-“, hörten sie die Stimme eines Jungen. Einen Augenblick später wurde die Tür aufgeschoben und Riku stand vor ihnen. Er machte große Augen, als er sah, wo genau er sich gerade befand. „Ähm…“, fing er an, dann räusperte er sich und suchte in seinem Kopf nach einem passenden Spruch. Er grinste, als ihm einer einfiel: „Wow…soll ich mich etwas auch ausziehen?“, fragte er charmant und kam etwas näher, blieb aber stehen, als er die pulsierende Ader auf Misa’s Schläfe bemerkte. „Ich will ja nicht unhöflich sein…oder warte, ich will. VERSCHWINDE!“, brüllte sie und warf mit einem großen Stein nach dem armen Jungen. Mit einem überraschten Ausruf wich er aus und stolperte drei Schritte rückwärts. „Es tut mir leid, das war keine Absicht!“, verteidigte er sich und hielt sich eine Hand vor die Augen. „Ich wollte eigentlich in die Küche gehen.“, sagte er und ging weitere Schritte nach hinten. Umino und Misa sahen rüber zu Yoshi. Sie hatte ein süffisantes Grinsen aufgesetzt. „Was denn? Soll ich mich jetzt um ihn kümmern?“, fragte sie und das Grinsen verschwand. Ohne nachzudenken stand sie auf, gerade als Riku die Hand wieder von seinen Augen genommen hatte. Seine Augen wurden bei ihrem Anblick so groß wie Teller. Er stammelte vor sich hin, als sie auf ihn zuging, sich ein handtuch schnappte, und ihn hinter sich her schliff. „Ich bin in…sagen wir 30 Minuten wieder da.“, sagte sie und zum ersten Mal klang ihre Stimme leicht erheitert. Sie wickelte sich in das Handtuch und marschierte los, dicht gefolgt von Riku, welcher leicht abwesend wirkte. Misa und Umino mussten wohl oder übel Lachen. „Lass uns auch raus gehen, ich und Shinji wollen uns eh gleich treffen.“, sagte die Blonde und Umino stimmte ihr zu. Zehn Minuten später kamen die beiden Mädchen aus dem Badezimmer, vollkommen getrocknet und angezogen. Shinji stand in der Tür und schien zu warten, Misa schenkte ihm ein Lächeln und fing ein Gespräch mit ihm an, während die beiden langsam nach draußen gingen. In Shinji’s Tasche lag die leuchtende Feder. Riku hatte sie ihm gegeben, damit er sie Misa schenken könnte. Er war sich sicher, dass sie sich sehr über eine Erinnerung an Noriko freuen würde. Umino ging in ihr Schlafzimmer. Dort lagen noch immer die medizinischen Dinge, die sie vorhin bei Ren angewandt hatte. Mit einem Seufzer erinnerte sie sich wieder an seine komische Reaktion. Sie begann aufzuräumen und dachte dabei die ganze Zeit daran, was sie wohl falsch gemacht hatte. Sie spürte ein seltsames Gefühl in ihrem Inneren. Doch sie konnte es nicht zuordnen. Wieso fühlte sie sich neuerdings so komisch? Mehrere Stunden vergingen. Nachdem Ren vorhin das Bad verlassen hatte, hatte er seinen beiden Freunden mitgeteilt, dass er einen Spaziergang machen würde. Kurzentschlossen war er dann aus dem Haus gegangen, und hatte sich in den Wald verzogen. Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte er sich auf den kühlen Waldboden gelegt, und eine Runde geschlafen. In seinem Traum war nicht viel geschehen, er war einem eigenartigen Vogel hinterhergelaufen. Als er ihn fast eingeholt hatte, veränderte sich sein Aussehen und plötzlich stand ein großer, schwarzer Drache vor ihm. Er spie Feuer aus und mit einem lauten Schrei erwachte der Blonde aus seinem Schlaf. Kalter Schweiß lief seinen Nacken hinunter und er keuchte leise. Obwohl der Traum eigentlich nicht sehr schlimm war, so fühlte er sich trotzdem, als wäre es der schlimmste Traum, den er jemals geträumt hatte. Eine Hand legte sich auf seine. Alles in Ordnung?, fragte Noriko leise und sah ihn mitfühlend an. Ren weitete seine Augen. //Das darf doch wohl nicht wahr sein!//, dachte er verzweifelt und strich sich die Haare aus seinen Augen. Wieso war Noriko noch immer hier? Er sah zur Seite. „Mir geht es gut.“, sagte er trocken und richtete sich auf. Der Himmel wurde langsam immer rötlicher. Überrascht stellte der Junge fest, dass er fast den ganzen Tag verschlafen hatte. Das war nicht gut, ohne ihn würden die anderen in dem Haus bestimmt nicht klar kommen… „Ich gehe zurück.“, sagte er und ging los, doch Noriko sprang zurück und versperrte ihm den Weg. Er musste lächeln. „Ich kann einfach durch dich hindurch gehen, das ist dir klar, oder?“, fragte er und ging einen Schritt näher. Noriko setzte eine ernste Miene auf. Das würdest du aber nicht tun, sagte sie bestimmend und ging auf ihn zu, legte ihre Hände auf seine Schultern. Erzähl mir bitte, was du vorhin sagen wolltest. Wir wurden gestört. Ren sah sie zweifelnd an. Wieso wollte sie, dass er seine Geschichte fortsetzte? „Was würde mir das nützen?“, fragte er und legte den Kopf schief. Das Mädchen lächelte. Ich weiß, dass er dir danach besser gehen wird, sagte sie und setzte sich auf den Boden. Ren seufzte tief und tat es ihr gleich. Er dachte einen Moment darüber nach, sah dann zu Boden und legte ein trauriges Lächeln auf. „Ich war gerade sechs Jahre alt, als meine Mutter zum ersten Mal davon sprach, dass ich vielleicht das Glück hätte, ein großer Bruder zu sein. Ich hatte schon öfters darüber nachgedacht, wie das wohl sein würde, wenn man sich um jemanden kümmern könnte. Mir gefiel der Gedanke und so wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder bekommen würde. Einen Monat danach hatten mir meine Eltern stolz erzählt, dass sich ihr Wunsch nach einem zweiten Kind erfüllt hätte, und dass es noch fast acht Monate dauern würde, dann wäre ich ein großer Bruder. Das war alles sehr aufregend für mich, ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete, schwanger zu sein. Alles was ich gesehen hatte, war, dass meine Mutter immer dicker und dicker wurde. Ich fragte meinen Vater, warum sie plötzlich so anders als vorher aussehen würde, und er erklärte mir, dass in dem Bauch meiner Mutter mein Geschwisterkind leben würde. Ich fragte natürlich sofort, wie es nur darein gekommen war, doch mein Vater meinte, er würde mir das irgendwann später mal erzählen. Kurz bevor die acht Monate um waren, sprang meine Mutter abends beim Essen auf und verkündete aufgeregt, dass das Kind heraus kommen wollte. Sie ging zusammen mit einem Kindermädchen in ihr Schlafzimmer, dort sollte das Kind geboren werden. Mein Vater und ich warteten in einem anderen Raum. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als sich schließlich die Türen öffneten und ich meine Mutter laut weinen hörte. Mein Vater lief sofort zu ihr, mir sagte man, dass ich bleiben sollte, wo ich war. Ich gehorchte. Dann kamen meine Eltern zu mir und sagten, dass der Tod sich meine kleine Schwester geholt hatte, und dass ihr Wunsch nun doch nicht in Erfüllung gegangen war. Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Meine Mutter war monatelang alleine in ihrem Schlafzimmer, wurde sogar gezwungen etwas zu essen, da sie sonst verhungert wäre. Und mein Vater war gemein zu jedem, der ihn auch nur schief angesehen hatte.“, sagte der Junge und spielte mit seinen Fingern. Diese Geschichte hatte er noch niemals jemandem erzählt. Es war eine sehr private Angelegenheit, die eigentlich niemanden außer seiner Familie etwas anging. Er fühlte sich schlecht, jetzt, da er wieder über alles nachgedacht hatte, doch Noriko hatte Recht behalten. Er fühlte sich trotz alledem ein wenig besser. Das Mädchen nickte ihm aufmunternd zu. Ren hatte sich abgewandt, dachte über dies und jenes nach um nicht weiter an seine tote kleine Schwester zu denken, und hörte so nicht, dass leise Fußschritte auf ihn zu kamen. Misa, gerade von ihrer Verabredung mit Shinji zurückgekommen, kam von hinten auf ihn zugelaufen, da Riku ihr vorhin verwundert mitgeteilt hatte, dass er irgendwo Richtung Wald abgehauen war, und mal wieder sehr niedergeschlagen gewirkt hatte. Mit einem breiten Lächeln dachte sie an den tollen Tag zurück. Sie griff in ihre Kimonotasche und spielte mit der leuchtenden Feder in ihrer Hand. Sie war angenehm kühl, ein guter Kontrast zu der heißen Luft. Sie fragte sich, warum es überhaupt noch so heiß war, schließlich war es doch schon September, Spätsommer, beinahe Herbst. Doch darum ging es ihr jetzt nicht. Sie hatte schon vor einigen Tagen gemerkt, dass Ren, wenn man ihm genau ins Gesicht schaute, eine freundliche Miene aufsetzte, doch sobald jemand nicht mehr hinsah und er sich unbeobachtet fühlte, sanken seine Mundwinkel nach unten, und er machte einen furchteinflößenden Gesichtsausdruck. Voller Hass, Zweifel und vor allem voll Trauer. Sie hatte zuerst nicht verstanden, warum er so traurig aussah. Sie hatte lange darüber nachgedacht, nächtelang wach gelegen und war schließlich zu einem Entschluss gekommen. Sie würde mit ihm reden müssen, ihn fragen, warum er noch immer so traurig über den Tod von Noriko war. Natürlich fühlte sie sich schlecht wegen des Todes ihrer Freundin, doch man konnte ihr nicht ewig nachtrauern und musste lernen, sie loszulassen, schließlich war sie schon seit über drei Monaten tot. Vielleicht konnte er sie nicht loslassen, weil er sich noch immer für das, was ihr zugestoßen war, verantwortlich machte. Doch egal wie oft sie ihm auch gesagt hatte, dass es einfach nicht seine Schuld war, sondern die des Priesters, es hatte niemals etwas genützt. Er hatte nur ein mattes Lächeln aufgesetzt, hatte sich umgedreht und war davon gegangen. Offensichtlich wollte er nicht, dass andere Leute merkten, wie er sich fühlte. Doch man musste jemandem von seinen Gefühlen erzählen, sonst würde man irgendwann daran zerbrechen. Und Ren wirkte äußerlich so, als würde es bis dahin nicht mehr lang dauern. Die Blonde hatte oft nach einer passenden Gelegenheit gesucht, gewartet, gehofft. Doch es war nie zu einem Gespräch unter vier Augen zwischen den beiden Blondschöpfen gekommen. So konnte und durfte es nicht mehr weiter gehen. Kurzentschlossen fasste sie sich ein Herz – nun war endlich der passende Moment gekommen. Ren sah hinter sich. Noriko saß auf einem Stein, blinzelte ihn an. Was ist los?,fragte sie. Der Blonde schüttelte seinen Kopf. Er wollte sie weiterhin nur ansehen, das war wirklich alles, was er gerade wollte. Allein der Gedanke daran, wieder an ihren Tod zu denken, ließ ein seltsames Gefühl in seinem Bauch aufsteigen. Ein nicht sehr angenehmes Gefühl. Er wollte wirklich nicht darüber nachdenken, doch die andauernden Halluzinationen von dem Mädchen, welches er liebte, schon immer geliebt hatte, auch jetzt noch, machten ihm schwer zu schaffen. Doch schnell schüttelte er den Kopf. Noriko lächelte ihn an. Ren…du musst es endlich schaffen…versuche es, sagte sie und kam ein paar Schritte näher, strich ihm durch das weiche blonde Haar. Ihre giftgrünen Augen funkelten, sahen direkt in seine meerblauen. //Was soll ich versuchen?//, fragte er sich innerlich. Er sah sie lange an. Sie lächelte weiterhin, doch das Lächeln wurde immer trüber, am Ende war es nur noch ein trauriges Lächeln. Sie hob ihren Blick und bedeutete ihm so, sich wieder umzudrehen und nachzusehen, was gerade passierte. Misa räusperte sich leise. Ren gab keinen Mucks von sich und tat so, als könnte er Noriko nicht sehen, als wäre er nicht vollkommen übergeschnappt. „Was gibt es Misa?“, fragte er und legte wieder dieses abscheulich falsche Lächeln auf. Seit Wochen schon benutzte er es, es kostete ihn immer und immer wieder neue Anstrengung, am liebsten hätte er losgeschrieen. Das Mädchen vor ihm verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Bein auf das andere, nervös wie sie war, wusste sie einfach nicht, wie sie mit der Unterhaltung anfangen sollte, ohne ihren Freund zu verletzen. „Ich weiß nicht, wieso du es noch immer tust, aber warum belügst du mich? Mich, die anderen und vor allem dich selbst?“, fragte sie, ein dicker Kloß steckte in ihrem Hals, sie versuchte ihn runterzuschlucken, doch er schwoll noch mehr an und erschwerte ihm das Atmen. Der Blonde sah sie an, eine Mischung aus Erstaunen und Angst. Er schluckte, sah zu seinen Händen. Sie zitterten. „Ich weiß nicht…w-was du meinst.“, sagte er und schaute wieder auf, ein wenig Entschlossenheit lag nun ihn seinem noch immer ängstlichen Gesicht. Misa sah ihn gequält an, er spürte einen Stich in seinem Herzen. Er hasste es, wenn jemand ihn so ansah, doch dieses Mal wusste er wirklich nicht, was Misa meinte. Wieso sollte er sich selbst belügen? „Spiel nicht den Dummen. Du weißt, was ich meine.“, sagte das Mädchen, sie sah ihn noch immer so an, eine Spur von Wehmut hatte sich unter gemischt, als würde sie jedes Wort, dass sie noch nicht ausgesprochen hatte, nur beim Gedanken daran quälen. Zu gerne würde er jetzt zu ihr hingehen, sie in den Arm nehmen und sagen, dass schon alles gut sein würde, doch solange er nicht wusste, warum sie ihn so verletzt an sah, konnte es einfach nicht besser werden. Sie kam näher zu ihm, Ren wich ein wenig zurück, obwohl das in seiner sitzenden Position nur schwer möglich war. Dann sagte sie ein Wort, nur eines, was seine ganze Fassade zerbröckeln ließ, er fasste sich an sein Herz, atmete schwerer. Er verstand nun, worauf sie hinaus wollte. „Noriko.“, sagte sie, es klang trotz ihres Gesichtsausdruckes und ihrer Körperhaltung seltsam neutral. „Irgendwann musst du mit jemandem darüber reden. Ich weiß genau, dass du das noch nicht getan hast.“, fuhr sie fort und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr leider nicht. Der Junge wandte seinen Blick ab, sichtlich getroffen von ihren Worten. Noriko hinter ihm legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wieso sollte ich das tun wollen?“, fragte er und seine Stimme klang kratzig und rau. „Weil du ihretwegen traurig bist. Seit ihrem Tod habe ich dich noch kein einziges Mal wirklich Lachen gesehen und-“ „Ich habe gelacht!“, unterbrach er sie, „Sehr oft sogar.“ „Ich habe gesehen, dass das nur ein aufgesetztes Lachen war. Jedes Mal, wenn du dich unbeobachtet gefühlt hast, hat man klar und deutlich gesehen, wie du wirklich gefühlt hast.“, sagte sie und schenkte ihm einen nun vorwurfsvollen Gesichtsausdruck. „Ich bin nicht mehr traurig…schon lange nicht mehr.“ „Hör auf!“, sie schrie plötzlich, ballte beide Hände zu Fäusten. „Hör auf damit, hör auf dich selbst zu belügen!“ Sie kam noch näher, legte ihm beide Hände auf die Schultern und schüttelte ihn heftig. „Ich…lüge nicht…“, gab Ren schwach von sich, doch er konnte selbst hören, wie kläglich diese Ausrede sich anhörte. Erneute Stiche, mitten ins Herz. „Du musst darüber reden, sonst zerbrichst du vollkommen!“, sagte sie energisch und schüttelte ihn erneut, der Junge spürte, dass sie heftig zitterte. „Und wenn ich nicht darüber reden will? Was dann?“, fragte er, nun klang auch er wütend, gereizt. Ein Teil seiner Gefühle sprudelte dabei aus seinem Bauch. Er fühlte sich ein klein wenig besser. Doch nicht gut genug. Misa verengte ihre Augen. Sie richtete sich auf, ging wieder zu ihrem Platz zurück und sah ihn wütend an – wütender als er sie angesehen hatte. „Ist es das? Muss man dich erst wütend machen, damit du endlich einmal einen Teil deiner wahren Gefühle herauslässt?!“, schrie sie und kniff ihre Augen zusammen, sie zitterte erneut. Ren schnaubte. Sie wollte Gefühle? Sie würde sie bekommen. Er explodierte. „Du willst, dass ich über meine wahren Gefühle spreche? Na schön. Ja, ich bin traurig und ich vermisse Noriko, jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Jeder Tag ohne sie ist so schmerzvoll, als würde ich immer und immer wieder sterben. Ich konnte damals nichts für sie tun, habe alles nur noch schlimmer gemacht. Sie ist weg, ich bin es nicht, doch ich fühle mich schon lange nicht mehr mit dieser Welt verbunden. Alle meine Verbindungen wurden mit ihrem toten Körper zu Eis, zerbrachen schließlich. Ich habe ständig das Gefühl verfolgt zu werden, habe Halluzinationen von ihr und Angstzustände. Nur die gewohnte Einsamkeit, die mich seit meinem siebten Lebensjahr begleitet hat, hält mich momentan davon ab, alles in meiner Nähe abzuschlachten, vollkommen den Verstand zu verlieren!“, schrie er, dann stolperte er ein paar Schritte zurück und sank an einem Baum nieder. Dabei vergrub er sein Gesicht in seinen Händen. „Jeder Tag, an dem ich andere glückliche Personen sehe, denke ich an Noriko zurück und wünsche mir, dass sie hier ist, bei mir. Ich sehe Riku und Yoshi, dich und Shinji…ich versuche täglich, meine Gefühle zu verdrängen, indem ich mir einbilde, Gefühle für Umino zu haben. Wer weiß, vielleicht mag ich sie ja tatsächlich mehr als normal, ich kann absolut nichts mehr einordnen.“ Seine Stimme klang nicht länger wütend, viel mehr verzweifelt. Misa wusste in diesem Augenblick, in welchem sie endliche einmal das Ausmaß seiner verwirrten Gefühle zu spüren bekam, nicht, was sie nun sagen oder tun sollte. Sie war froh, dass er das alles gesagt hatte. Er musste sich selbst wieder erkennen, sich seiner Lügen gegen sich selbst bewusst werden. Sie steckte eine ihrer Hände zurück in die Tasche ihres Kimonos. Sie berührte die kühle Feder. Shinji hatte ihr vorhin erzählt, dass es besser wäre, wenn sie sie Ren nicht zeigen würde, doch sie spürte, dass alleine der Gedanke an Noriko, an etwas, was ihn an sie erinnern konnte, seine Laune anheben würde. Noriko legte ihren Kopf auf Ren’s Schulter. Sie legte ihre Lippen an sein Ohr, er spürte sie kaum. Ich versuche dir zu helfen. Es ist deine schuld, dass ich noch immer hier bin, weil du mich nicht loslassen kannst., hauchte ihre Stimme in sein Ohr. Er bekam eine leichte Gänsehaut. //Sie hat recht.//, dachte er. Ja, Noriko hatte recht. Das hatte er erkannt, nachdem er die Worte, die aus seinem Mund gekommen waren, gehört hatte, jedes einzelne Wort verstanden hatte. Er musste sie loslassen und nach Vorne sehen, damit sie endlich ihren Frieden finden würde. Er nickte ihr zu, sah sie dabei aber nicht an. Stumm richtete sich das Mädchen auf, ging ein paar Schritte rückwärts und verschwand. Vor seinen Augen tauchte etwas Leuchtendes auf. Er sah genauer hin, erkannte eine weiße Feder, die eisblau leuchtete. Eine angenehme Kälte ging davon aus. Der Blonde schluckte hart. „Was ist das?“, fragte er, doch er meinte nicht den Gegenstand, den Misa ihm gerade entgegenstreckte, sondern viel mehr, was das zu bedeuten hatte, warum sie so etwas bei sich trug. Er wusste genau, dass die Beigefarbenen Flügel von Misa orange leuchteten. Orange – nicht Eisblau. „Eine Feder. Riku hat sie gestern Nacht gefunden, Shinji hat sie mir vorhin geschenkt. Ich möchte sie lieber dir geben.“, sagte sie sanft und ihre dunkelbraunen Augen strahlten eine Wärme aus, die sehr angenehm war. „Sie…die Feder, sie…erinnert mich an…an-“ „Ich weiß, an Noriko. Deshalb möchte ich sie dir ja geben, als Erinnerung an sie. Shinji hat mir erzählt, dass du das Armband nicht mehr findest, dass du ihr einst geschenkt hast.“, sagte sie und deutete ihm mit ihrem Gesicht, nach der Feder zu greifen. Er tat es. In dem Moment, in dem er die kühle Feder berührte, begann sie zu leuchten. Noch mehr zu leuchten als zuvor, ihre Umrisse wurden schwer sichtbar und Ren und Misa kniffen ihre Augen zu. Beide zogen ihre Hand zurück, als eine eisige Kälte von der Feder ausging. Sie fiel zu Boden, das helle, blaue Leuchten wurde weniger. Ein Geräusch ertönte, zu laut für eine normale Feder, aber zu leise für einen anderen Gegenstand. Die beiden sahen zu Boden. Die Feder war kristallisiert. Zu einem dünnen, kleinen Eisbrocken in Form der Feder. „Was zum-“, fingen die beiden Blondschöpfe an, doch sie sprachen nicht weiter, als ein eiskalter Wind aufkam. Der Eiskristall wuchs. Wurde immer breiter, immer höher. Nahm allmählich eine Form an. Langsam bildeten sich die Formen für Beine, Arme, einen Kopf. Die beiden trauten ihren Augen kaum, als sie eine Person in dem Kristall erkennen konnten. Das Leuchten verschwand nun vollkommen, in dem Kristall bildeten sich Risse und der Kristall zersprang mit einer solchen Wucht, dass beide zurück geworfen wurden. Erneut hörten sie das Geräusch eines Aufpralls, nun schwerer. Kalte Luft schwebte durch die Atmosphäre. Ren und Misa öffneten ihre Augen erst, als sie leise Atemzüge hörten. Sie starrten vor sich auf den Boden, ihre Augen geweitet vor Erstaunen. Was zur Hölle war gerade eben nur passiert? Ren’s Blick schweifte über die früher kurzen, jetzt langen Beine, den nackten Körper, welcher nur an manchen Stellen von langen, blonden Haaren verdeckt war. Sein Blick wanderte weiter, blieb auf dem Engelsgleichen Gesicht ruhen, das er schon immer geliebt hatte. Noriko… Noriko war zurück gekehrt! ___________________________________________________ Nächstes Kapitel:「実験」 ・ Versuche 「Jikken ~ Why do we always miss our chance? 」 Hosted by Animexx e.V. 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