Roadtrip von Jeschi ================================================================================ Kapitel 3: Not macht erfinderisch --------------------------------- Nach Karben folgt Friedrichsdorf und nach Friedrichsdorf Friedberg. Wir verbringen die Autofahrt schweigend, hören nur auf das Radio, dass schon zum gefühlten hundertsten Mal die CD von My chemical romance durchspielt. Meine Aufforderungen an Jannis, doch eine andere einzulegen, blieben bisher unerhört. Er hat den Kopf ans Fenster gelehnt und sieht aus, als würde er schlafen. Aber dafür bewegt er sich zu viel. „Jan?“, unternehme ich einen neuen Versuch. Er schielt zu mir, ich sehe seine wasserblauen Augen auf mir ruhen. Aber er sagt nichts. „Von mir aus auch eine von deinen CDs,“ lenke ich ein, weil ich bisher erfolglos meine eigenen angepriesen habe. Zuerst kommt keine Reaktion. Doch dann streckt er müde einen Arm aus, holt die CD aus dem Player und schiebt eine andere rein. Dann schließt er die Augen wieder und rutscht in eine bequemere Position. Vielleicht die Hälfte der Strecke, die wir für den heutigen Tag geplant haben, haben wir nun geschafft. Ich bin erleichtert, auch wenn es schon später Nachmittag ist. Nach einer Weile atmet er dann doch gleichmäßig und scheint tatsächlich eingeschlafen zu sein. Ich lasse ihm seinen Schlaf. Ich kenne den Weg erst einmal ungefähr und er soll später fit sein, wenn er fahren muss. Es ist eh schon risikoreich, wenn er, trotz dem Mangel an einem Führerschein, fährt. Ich blicke zu ihm und denke an unser Gespräch. Ich hab ihn nie sonderlich gemocht, nicht mal, als er noch ‚normal’ war. Er gehörte nie zu meinen Freunden, damit sind wir aber beide klar gekommen. Jetzt sitzen wir hier im gleichen Boot und verstehen uns plötzlich gut, können normal miteinander reden. Wer hätte das jemals gedacht? Und entgegen meiner Befürchtung, es würde noch eskalieren, läuft alles gut. Wir denken ähnlich und treffen schnell Entscheidungen. Fast so, als wäre ich mit Micha hier, als wären wir Freunde. Irgendwann erwacht er wieder und reißt mich aus meinen Gedanken. „Hab ich was verpasst?“ Ich sehe zu ihm. Wir sind an Bad Nauheim vorbei und kurz vor Butzbach. „In Bad Nauheim ist ne nackte Oma auf die Straße gerannt, aber sonst war nichts…“ Ich grinse. Die Oma… na ja, sie war nicht nackt. Sie trug einen Badeanzug. Aber sie ist auf die Straße gerannt, ihrem Hund nach. Den hätte ich fast erwischt, wenn sie ihn nicht noch, gerade rechtzeitig, zurück gepfiffen hätte... „Verarsch mich nicht,“ mault er nur. Er glaubt mir also nicht. Ich lache amüsiert. „Mach ich nicht. Das war so.“ Dann pruste ich los und zerstöre mein letztes bisschen Glaubwürdigkeit. „Kein schöner Anblick,“ füge ich dennoch hinzu und langsam ziert auch sein Gesicht ein Grinsen, auch wenn er es mich dennoch sicher nicht abnimmt. „Butzbach ist nicht so toll, wie ich dachte,“ meint er dann, als wir eben jenes erreichen und er aus dem Fenster blickt. „Was erwartest du von einer Stadt, die Butzbach heißt?“ Ich sehe ihn an und ziehe eine Braue hoch. Zumindest versuche ich das. Irgendwie klappt das nicht so ganz und sicher sehe ich jetzt total komisch aus. Ich entspanne mein Gesicht schnell wieder, aber Jannis grinst schon wieder. Super... „Wir sind bald in Gießen,“ werfe ich also ein, um abzulenken. „Bald ist gut,“ stöhnt er auf und blickt auf die Karte, ehe er mich irgendwann mit unzufriedenem Gesichtsausdruck ansieht. „Hier drin stinkts.“ Die Klimaanlage funktioniert noch immer nicht richtig und ich öffne doch wieder ein Fenster, obwohl wir im Moment so schnell fahren, dass wir sicher einen Zug kriegen werden. „Ich fühle mich, als hätte ich drei Tage nicht geduscht,“ stimme ich ihm zu und in der Tat fühle ich mich einfach nur dreckig. Schweißperlen rinnen mir ständig über das Gesicht und mein Hemd klebt an meinem Rücken. „So riechst du auch,“ neckt Jan mich und ich zeige ihm den Mittelfinger. „Glaub mir, du riechst genauso.“ „Nach Gießen fahren wir an einem Fluss entlang,“ meint er daraufhin ohne auf meine Worte einzugehen, „Lass uns da irgendwo anhalten und baden.“ Oh und manchmal muss man ihm einfach lassen, dass er auch gut Ideen haben kann. Ich sehe ihn anerkennend an. In meinem Wahn, einfach so schnell wie möglich in Meschede anzukommen, hab ich ganz vergessen, dass sich mit einem Fluss auch unsere hygienischen Probleme erledigen. „Ganz, wie Madame wünscht,“ grinse ich ihn also an und nun zeigt er mir doch seinen Mittelfinger. Ein Eigentor, wie ich feststelle, weil er seine Nägel schwarz lackiert hat. Aber dazu sage ich nichts, ich will mein Glück nicht herausfordern. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Straße und sinniere über die wundervolle Idee, baden zu gehen. Ich kann es kaum erwarten, mich endlich in die kalten Fluten zu stürzen. Einige Zeit später erreichen wir Gießen und lassen es auch bald hinter uns. Und dann sehen wir auch schon die Lahn. Wir wählen extra eine Strecke, am Fluss entlang und finden irgendwann einen kleinen Rastplatz, von dem es nicht weit zum Fluss ist. Glücklich springen wir aus dem Auto, kaum habe ich das Auto abgestellt. „Ich hoffe, jetzt kommt keiner,“ meint Jannis, während er sich von seinem Shirt und seiner Hose befreit und dann losstürzt. Ich sehe ihm nach, kämpfe noch mit den vielen Knöpfen meines Hemdes. Ich sollte mir wirklich auch ein Shirt drüber ziehen, wenn wir gebadet haben! Irgendwann stolpere ich ihm hinterher und springe ebenfalls glücklich ins Wasser. Wie gut so was tun kann. Gleich fühle ich mich sauberer. Überhaupt habe ich darauf schon Lust, seit wir vorhin mit den Füßen im Wasser waren! Während ich noch das kühle Nass genieße, ist Jannis schon einen Schritt weiter und ehe ich mich versehe, habe ich einen großen Schwall Wasser ins Gesicht bekommen. Ich sehe ihn empört an, während mir meine dunkelblonden Haare nass ins Gesicht hängen und sicher schon dabei sind, leichte Locken zu bilden. „Das kriegst du zurück,“ warne ich ihn und attackiere ihn mit Wasser. Aber irgendwie kriegt er gar nichts zurück. So schnell, wie er ausgewichen und verschwunden ist, kann ich gar nicht gucken. Im nächsten Moment stehe ich alleine im Wasser und Jan ist am Rand und trocknet sich ab. „Hey,“ beschwere ich mich und er grinst mich an. „Bevor du meine Frisur zerstört…“ Ich verdrehe die Augen. „Weib!“ Und schon streckt er mir die Zunge raus. Ich grinse und folge ihm zurück ans Ufer. „Wenn wir in Marburg sind, lass uns einkaufen gehen,“ meint er in einem plötzlichen Einfall. Ich stimme ihm zu, weil wir wirklich langsam Wasser und Essen brauchen. Mein Bauch meldet sich erneut so langsam wieder zu Wort und die Getränke, die wir für den Ausflug eingepackt haben, gehen zur neige. Wir trocknen uns flüchtig mit den alten Shirts ab und laufen dann ohne zum Auto, um uns dort neu einzukleiden. Ich tausche meine Jeans gegen Shorts und Jannis hat tatsächlich eine dreiviertellange schwarze Hose dabei – und ich dachte immer, er trägt nur Röhrenjeans. Shirts lassen wir weg, dafür ist es irgendwie immer noch zu warm. Wenig später sitzen wir sauber wieder im Auto und sind bereit für den Rest der Fahrt. Wir fahren eine ganze Weile an der Lahn entlang, ehe wir endlich Marburg an der Lahn erreichen. Einen Supermarkt zu finden, ist nicht schwer und wenig später halte ich auf einem überfüllten Parkplatz. Einen kurzen Moment sehen wir einer Frau zu, die ihr Kind schimpft, weil es heulend um ein Eis bettelt, dann steigen sie in das Auto neben uns und fahren weg. „Ich will auch ein Eis,“ stelle ich daraufhin fest und sehe zu Jan, der sich schon abgewandt hat, um nach einem frischen Shirt zu suchen. Ich tue es ihm gleich. Ordentlich angezogen treten wir dann aus dem Auto und laufen zum Eingang des Supermarktes. Darin ist es kühler als draußen, aber nicht wirklich angenehm. Während wir durch die Gänge streifen, blicken uns ein paar alte Omas nach und ich werde das Gefühl nicht los, das könnte an Jannis liegen. Aber weil es ihn nicht zu stören scheint, stört es mich sicher auch nicht. Ich folge ihm brav und überlasse ihm das einkaufen. Er ist es ja auch, der mit dem Einkaufswagen durch die Gänge schrubbt. „Auf was hast du so Hunger?“, möchte er irgendwann von mir wissen und ich sehe mich in den Regalen um. „Keine Ahnung. Ich will ein Eis,“ unternehme ich einen erneuten Versuch, der gekonnt ignoriert wird. Irgendwie komme ich mir vor, als wäre ich das bettelnde Kind und Jannis die Mummy. Ich muss grinsen. „Was ist?“, will er daraufhin wissen und ich winke nur ab. „Lass uns was einkaufen, was man nicht unbedingt warm machen muss, aber das man auch nicht kühlen muss.“ Okay, das schränkt unsere Möglichkeiten enorm ein, aber Jannis findet unsere Rettung. In den Sonderangeboten findet sich nämlich ein Dosenöffner und wenig später haben wir Dosensuppen in Massen eingekauft, zusammen mit Brot, Marmelade, Müsliriegeln und Obst. Außerdem wuchtet er gefühlte tausend Liter Wasser in den Einkaufswagen. Bei der Hitze widerspreche ich aber nicht. Es finden sich auch Plastiklöffel, mit denen wir die Suppe essen können und – oh Wunder – er drückt mir tatsächlich ein Eis in die Hand, ehe wir zur Kasse gehen. Ich könnte ihn abknutschen! Naja… nicht wirklich… Wir bezahlen – dank der Wasserfalschen doch ein wenig mehr, als gedacht – und kutschieren unseren überfüllten Einkaufswagen dann wieder zum alten VW, der treu auf uns wartet. „Also langsam geht der Platz aus,“ grinst Jannis, als wir umständlich die Reisetaschen, die ganzen Dosen und Getränkeflaschen und was wir sonst noch eingekauft haben, in den kleinen Kofferraum quetschen. Kaum zu glauben, aber irgendwie geht er dennoch zu. Mit genügend Essen und Wasser im Gepäck, könnten wir jetzt eigentlich gleich nach Kiel durchfahren, wäre es nicht so eine verdammt weite Strecke. Wir steigen wieder in den Wagen, ich lenke ihn wieder auf die Straße und weiter geht es an der Lahn entlang, bis wir Hessen hinter uns lassen und Nordrhein-Westfahlen erreichen. Es ist nach Acht, als wir in Bad Berleburg ankommen. „Wir schaffen es tatsächlich heute noch bis Meschede,“ meint Jan erstaunt und ich grinse ihn stolz an, weil ich eine so gute Zeitplanung besitze. Er ignoriert das, was wirklich frustrierend ist. Mit ihm kann man gar nicht streiten, weil er einen immer ignoriert. Als wir irgendwann am späten Abend in Schmellenberg ankommen und ich am Straßenrand parke, sieht Jannis ein wenig unglücklich aus. Aber ich kann wirklich nicht mehr und es ist jetzt dunkel genug, dass er den Rest fahren kann. „Du bist dran,“ prophezeie ich ihm und er steigt nickend aus und wir tauschen Plätze. Wahrscheinlich vor Aufregung, würgt er dreimal ab, ehe er ein wenig unsicher losfährt. Aber die erste Scheu verfliegt schnell und ich muss sagen, dass er gut Auto fährt. „Das ist der beste Praxisunterricht, den du je haben wirst,“ meine ich zu ihm. „Wenn du deine Prüfung dann nicht bestehst, weiß ich auch nicht.“ Er sieht mich unglücklich an und ich schätze mal, er denkt daran, nie zur Prüfung antreten zu können, falls er jetzt ohne Führerschein erwischt wird. Ich lege ihm beruhigend eine Hand aufs Knie. „Hier ist keiner und du fährst gut. Das wird schon. Es ist ja nicht mehr weit.“ Ich helfe ihm ein wenig, mache ihn auf Geschwindigkeitsbegrenzungen aufmerksam, sag ihm, wenn mir etwas auffällt oder er schalten sollte. Aber meistens macht er das schon instinktiv und ich bin eigentlich überflüssig. Dennoch habe ich das Gefühl, dass ihm das die Sicherheit gibt, die er braucht. Ich könnte glatt Fahrlehrer werden, so gut wie ich mich da mache. Diese Erkenntnis teile ich Jan sogleich mit und er muss lächeln. „Was ist? Was willst du denn nach dem Abi machen?“, frage ich ihn daraufhin. „Keine Ahnung. Ich dachte, ich werde Autoknacker,“ überlegt er und ich pruste los. „Oh ja, ich glaube, darin würdest du dich gut machen.“ Schon habe ich ein Bild von uns Beiden im Kopf, wie wir, ganz wie Bonnie und Clyde, Banken überfallen und dann Autos stehlen und abhauen. Als ich ihm davon erzähle, schüttelt er nur den Kopf. „Und ich bin Bonnie, oder was?“ Damit nimmt er mir leider den Wind aus den Segeln, aber den Kommentar, dass ihm diese Figur tatsächlich auf den Leib geschneidert ist, kann ich mir nicht verkneifen. „Lass uns das als Decknamen verwenden, wenn das FBI sich in unseren Fall einschaltet.“ „Das FBI“, stöhnt Jannis – wahrscheinlich über meine Dummheit. Ich grinse nur. Als wir wenig später einen Rastplatz nahe Meschede erreichen, können wir unser Glück kaum fassen. Vor allem Jannis sieht aus, als ob er vor Erleichterung heulen würde, was an dem Polizeiauto liegen könnte, dass die letzten paar Meter hinter uns gefahren ist, aber uns zurückgelassen hat, als wir zum Rastplatz abgebogen sind. Jan vergräbt nun jedenfalls das Gesicht in den Händen und ich fürchte schon, er muss tatsächlich heulen, aber schon nimmt er die Hände wieder weg und sieht mich aus klaren Augen an. „Nie wieder,“ stößt er hervor und ich nicke zustimmend. Man soll sein Glück ja nicht ausreizen. „Du bist übrigens toll gefahren,“ meine ich dann anerkennend, um ihn ein wenig aufzuheitern und er lächelt mich schwach an. Dann steigen wir aus, klappen unsere Sitze zurück und versuchen, es uns irgendwie mit T-Shirts als Kopfkissen bequem zu machen. „Das wird eine beschissene Nacht,“ stelle ich fest, während wir in uns in den VW quetschen. „Der Preis der Freiheit,“ sinniert Jan daraufhin und wir müssen lachen, ehe ich mein Gesicht in ein Haufen T-Shirts presse. „Die haben es echt nicht gemerkt,“ stelle ich ungläubig fest. „Der Köpke wird so Ärger kriegen, wenn rauskommt, dass er sich nicht richtig um unseren Verbleib gekümmert hat.“ „Das er sich nicht wundert, dass der Rektor ihn nicht angerufen hat, wegen der Sache…“, erwidert Jannis. „Tja. Er denkt sicher, wir sind die totalen Problemkinder, oder Freaks, oder so… und jeder würde das so sehen, so dass seine Entscheidung keiner jemals hinterfragen würde.“ „Du Problemkind, du,“ murmelt der Emo daraufhin und ich piekse ihm in die Seite. „Du Freak, du.“ „Findest du wirklich, dass ich komisch bin?“, will er daraufhin wissen und ich seufze. „Nein man. Ich dachte es immer, aber du bist es nicht.“ „Ich finde auch nicht, dass du ein Arsch bist. Dabei dachte ich das immer…“ Ich muss lächeln. „Ich mag dich, Jannis, weil du manchmal so scheiße bist.“ „Das kann ich nur zurückgeben.“ Ich habe eine unruhige Nacht, wache oft auf und fühle mich am Morgen wie gerädert. Ich bin sicher, Jan geht es ähnlich, denn als der Wecker meines Handys klingelt, vergräbt er sein Gesicht nur unzufrieden in seinen Shirts und schläft weiter. Ich drehe mich umständlich auf die Seite und blicke aus dem Fenster. Draußen ist es hell, es ist ja bereits sechs Uhr morgens. Der Entschluss, ein billiges Motel zu suchen, setzt sich in mir fest, weil das Übernachten im Auto einfach eine Zumutung ist. Ich fürchte, ich habe gerade genug Schlaf abbekommen, um das Auto auf der Straße gerade halten zu können und zum ersten Mal kommen mir Zweifel, ob ich mir nicht zu viel zugemutet habe. Es wäre leichter, wenn Jan und ich uns abwechseln könnten, aber ich glaube, so eine Situation wie gestern Abend, möchte keiner von uns Beiden wieder erleben. Ich seufze. All das nützt mir jetzt nichts, wir müssen aufstehen. Ich richte mich also auf und schüttle Jannis leicht, bis er müde die Augen öffnet und sich langsam aufrichtet. „Ich habe kaum geschlafen,“ erörtert er mir und ich erwidere, mir geht es genauso. „Lass uns in Meschede Kaffee holen,“ kommt ihm dann die Idee und wir beschließen, dass sofort zu erledigen. Also steigen wir aus, strecken uns und laufen dann den kurzen Fußmarsch nach Meschede, das Auto bleibt stehen, weil ich zu müde bin, zu fahren. In der Stadt dauert es zum Glück nicht all zu lange, bis wir einen Bäcker finden und diesen betreten. Darin riecht alles herrlich nach frischen Gebäck und Kaffee. Die Leute, die den gleichen Gedanken hatten, wie wir, sehen uns komisch an und ich bin sicher, wir machen auch keinen guten Eindruck. Ringe unter den Augen, durchgeschwitzte Klamotten, unrasiert… Und Jannis verschmiertes Make-up als krönenden Abschluss. Ich muss grinsen. „Neben dir sieht man einfach immer gut aus,“ grinse ich und ich glaube, er ist zu müde, um etwas zu erwidern. Als wir endlich unseren Coffee to go in Händen halten, machen wir uns auf den Rückweg. Um diese Uhrzeit ist die Temperatur noch angenehm und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als wenn es den ganzen Tag angenehm kühl bleiben würde. Aber sicher wird es heute genau so ein heißer Tag, wie gestern. Wir sind ein wenig froh, als wir die Stadt hinter uns lassen. Nicht nur, weil uns dann keiner mehr angucken kann, wie ein Alien, sondern einfach, weil wir uns an unsere gemeinsame Einsamkeit gewöhnt haben. Mal wieder streift mein Blick Jannis, der wortlos an seinem Kaffee nippt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich bin gerne mit dir zusammen.“ Er wirft mir einen Blick zu. „Ich weiß, was du meinst.“ Wenn man nichts hat, muss man erfinderisch sein. Und ich kann Jannis nur anrechnen, wie erfinderisch er ist. Gerade schmiert er sich Rasierschaum ins Gesicht und rasiert sich im Rückspiegel die Bartstoppeln weg. Ich sehe ihm eine Weile dabei zu, bis ich beschließe, dass ich es ihm gleichtun sollte. Der Kaffee hat wahre Wunder gewirkt. Ich fühle mich fitter und vor allem Jan ist von den Toten auferstanden und gleich nach unserer Ankunft am Auto begonnen, sich abzuschminken. Es war gestern eine gute Idee, mehr Wasser als nötig zu kaufen, denn man kann das Wasser natürlich super für die Hygiene nutzen. Zwar ist es eine absolute Verschwendung, das teure Vulkangesteinwasser für das Abwaschen von Rasierschau zu nutzen und sich damit nach dem Zähneputzen den Mund anzuspülen, aber in unserer Not müssen wir mit dieser Sünde leben. Das zumindest hat Jannis sarkastisch vor sich hin gemurmelt, als ich meinte, es wäre schade um das gute Wasser. Aber er hat ja Recht. Besser das, als ungepflegt durch die Gegend zu laufen. Kaum zu glauben, dass wir all das in einer Stunde geschafft haben. Aber es ist tatsächlich erst sieben Uhr, als wir unsere Fahrt fortsetzen, um einiges gepflegter und mit Deo eingesprüht. Das nächste Ziel: Warstein. Fürs erste. Beim Bäcker haben wir zwei trockene Brötchen erstanden und während ich fahre, öffnet Jannis diese mit einem Taschenmesser und krümelt dabei das ganze Auto voll. Aber wir haben beschlossen während der Fahrt zu essen, um nicht mehr Zeit zu verlieren. Nun streicht er dick die gekaufte Marmelade auf das Brötchen und ich trauere meinem Taschenmesser nach, das jetzt verklebt am vor sich hin vegetiert, bis wir wieder an einem Fluss halten, um es zu säubern. Dennoch bin ich dankbar über das Marmeladenbrötchen, mit dem Jan mich jetzt füttert. Irgendwie eine seltsame Situation, aber wir sagen nichts dazu. Hauptsache essen, und es fährt sich nun mal nicht gut, mit einem Brötchen in der Hand. Da sind mir die Umstände egal. „Ob sie es wohl schon bemerkt haben?“, will er irgendwann wissen und ich zucke mit den Schultern. Wir vermuten noch immer, dass der Köpke doch noch mit dem Rektor telefonieren könnte, aus welchen Gründen auch immer, und dann alles raus kommt. Von einer unbegründeten Panik ergriffen, blickt Jannis erst auf sein Handy und nach meinem Drängen auch auf meines, ehe wir sicher sein können, dass niemand versucht hat, uns zu erreichen. Nur eine SMS von Micha ist auf meinem Handy zu finden. Darin schreibt er, dass die Fahrt langweilig ist und ich froh sein soll, nicht dabei zu sein. Ich sage ihm nicht, dass ich gerade mehr Spannung erlebe, als vielleicht gut für mich ist, sondern trage Jan nur auf, ihm zu antworten, dass wir uns im Unterricht abquälen und ihm noch viel Spaß wünschen. „Wenn er raus findet, was wir hier tun, wird er sich dafür hassen, mit auf den Ausflug gegangen zu sein.“ Ich lache belustigt auf. Wenig später erreichen wir Warstein. „Kommt hier eigentlich das Bier her?“, will ich wissen und Jan nickt. „Sicherlich.“ „Lass uns ein Bier kaufen,“ meine ich belustigt und er verdreht die Augen. Nach einiger Zeit wühlt er im Handschuhfach nach der Karte, während wir schon wieder Büren erreichen und verlassen. „Was meinst du? Wie weit kommen wir heute?“ Er sieht mich fragend an, während ich Richtung Salzkotten fahre. „Ibbenbüren wäre cool,“ befinde ich, nachdem ich einen flüchtigen Blick auf die Karte geworfen habe. Mein nächster Blick fällt auf die Tankanzeige, die sich kurz vorm Absaufen befindet und wir halten erst Mal Ausschau nach der nächsten Tankstelle. Diese kommt zum Glück schneller, als erwartet und wir machen Halt. Während ich auftanke, ist Jannis schon in der Tanke verschwunden – sicher muss er pinkeln, das tut er ja ziemlich gerne – und wartet dann darin auf mich. Wir kaufen noch etwa zu Essen, dann geht’s weiter. „Gott, hab ich Hunger!“, meine ich und beiße gierig ein großes Stück von dem Pizzastück ab, welches Jannis erstanden hat. „Reiß dich zusammen und warte bis Mittag, sonst hast du gleich wieder Hunger,“ kommt es nur gänzlich kaltherzig von Jan und er reißt mir die Pizza aus der Hand, ehe ich protestieren kann. Obwohl ihr verführerischer Duft das ganze Auto erfüllt, faste ich ihm zu liebe weiter. Er hat ja auch Recht. Irgendwann erreichen wir dann Salzkotten und überqueren die Lippe, um auch bald in Delbrück anzugelangen. Unser nächstes Ziel ist Rietberg und wir hoffen, dass wir dort irgendwo baden gehen können. Doch ehe wir auch nur ans Baden denken können, kommt uns etwas in die Quere. Ein kleiner Stau. Wir fahren langsam auf diesen zu und sehen langsam, aber sicher, was sich da vor uns auftut. Eine Straßensperre. Aber das ist nicht das Schlimme. Das Schlimme sind die Polizisten, die in jedes Auto blicken, ehe sie es weiterwinken oder sich kurz daran aufhalten. Eine allgemeine Fahrzeugkontrolle? Mir wird schlecht und ich blicke zu Jan, der ungewöhnlich blass um die Nasenspitze ist – also noch blasser, als normal. Was sollen wir jetzt tun? Wir können hier nicht weg. Zum einen wäre das total auffällig, zum anderen sind hinter uns Autos zum stehen gekommen, so dass ich nicht einfach den Rückwärtsgang einlegen und lospreschen kann. Ich sehe ängstlich zu, wie der Polizist ein paar Autos durchwinkt, ehe er einen VW kurz kontrolliert und auch weiter winkt. So geht das eine ganze Zeit und plötzlich ahne ich, was dort vor sich geht. Nun ist es aber eh zu spät, abzuhauen, denn das Auto vor und wird durch gewunken und nun sind wir dran. Ich lasse das Fenster herunter und sehe aus den Augenwinkeln, wie Jan immer weniger wird, auf seinem Sitz. Sicher rutscht er gleich in den Fußraum. Vielleicht denkt der Polizist ja, er sei krank und lässt uns schnell weiter fahren. Ich könnte ja auch behaupten, er wäre schwanger und ich müsse schnell zum Krankenhaus, weil das Baby kommt… Ob er uns das glaubt? Mental ohrfeige ich mich für meine dummen Gedanken, während ich nach außen hin unbeteiligt tue und nett ‚Hallo’ sage. Der Polizist aber beachtet meinen Gruß gar nicht, wendet sich nur nach hinten und ruft: „Hier ist noch ein VW Golf.“ Dann mustert er mich und mir rutscht das Herz in die Hose, weil sich meine Vermutung endgültig bestätigt. Die suchen einen VW Golf. Die suchen uns. „Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte,“ fordert er uns nun auf und ich kann gar keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es ist Jan, der plötzlich die Ruhe weg hat und tatsächlich in das Handschuhfach greift, um den Fahrzeugschein herauszuholen. Am liebsten würde ich seine Hand packen und ihn aufhalten, weil ich nicht mehr weiß, was schlimmer ist: Gar keinen Fahrzeugschein aufweisen zu können oder den eines geklauten Autos. Mir wird so übel, dass ich mir fast auf den Schoß kotze. Ob es hilft, zu behaupten, dass Köpke mein Onkel ist und mir seinen Wagen geliehen ha? Aber wenn sie Köpkes Wagen suchen, dann liefern wir ihnen mit dem scheiß Papieren den ultimativen Beweis. Ganz abgesehen von meinem beschissenen B-17-Führerschein, den er ja auch sehen will. Als mir gerade klar wird, dass wir in der Falle sitzen, suche ich in meiner Jacke – hinten auf dem Beifahrersitz – nach meinem Führerschein und nehme den Wisch aus dem Handschuhfach an mich, um beides dem Polizisten auszuhändigen. Kurz bin ich geneigt, einfach zu fliehen, aber das würde nur in einer rasanten Verfolgungsjagd und mächtig viel Ärger enden. Als ich dem Typen gerade das Zeug in die Hand drücken will, ruft von hinten einer seiner Kollegen: „Wir suchen aber einen schwarzen, keinen roten!“ Der Typ vor mir sieht zu ihm, dann wieder zu mir, dann zuckt er die Schultern. „Ihr habt’s gehört, Jungs. Ihr könnt weiter fahren, ihr seit die Falschen.“ Fast pisse ich mir in die Hose, nicht vor Angst, sondern vor überdimensional großer Erleichterung. Ich mach, dass ich davon komme, ehe er doch noch unser Zeug sehen will und sehe, wie er ungeduldig das nächste Auto heran- und weiter winkt. Wir fahren einige Kilometer, ehe wir uns langsam entspannen und wieder Leben in uns kommt. Ich blicke zu Jan, er zu mir, dann fangen wir Beide an, gleichzeitig zu lachen und zu heulen. Er sieht blass aus. Ich möchte nicht wissen, wie ich aussehe! Müde reibe ich mir die Augen und richte meine Aufmerksamkeit dann wieder nach vorn, auf die Straße. Trotzdem kann ich nicht umhin, das Ereignis immer wieder in Gedanken durchzuspielen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätten wir ihm den Fahrzeugschein ausgehändigt, ehe der Andere eingegriffen und Entwarnung gegeben hat… Jetzt ist mir doch wieder schlecht vor Panik und ich muss kurz anhalten und mich sammeln, ehe es weiter gehen kann… Nach der kurzen Pause verdrängen wir das Geschehen lieber, weil es einfacher ist, statt darüber zu reden. Stattdessen lenken wir uns vom Erlebten ab, in dem wir über jeden Scheiß sprechen, der uns gerade in den Sinn kommt und uns wieder darauf konzentrieren, eine Stelle zum Baden zu finden. Es fuktioniert. Während draußen die Landschaft vorbei zieht, klingt der Schock langsam ab... 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