Kaffee und Vanille 2 von Jeschi ================================================================================ Kapitel 3: Küchenaktivitäten und andere Katastrophen ---------------------------------------------------- Der nächste Morgen beginnt verhalten. Obwohl wir am Abend nicht mehr diskutiert haben, ist die Stimmung merklich gesunken. Ich komme damit nicht wirklich klar. Zwar war es kein richtiger Streit, aber es fühlt sich so an. Und das einzige, was für mich wirklich zählt, ist Harmonie in unserer Beziehung. Heute ist es andersherum, wie gestern. Heute muss Valentin früh aufstehen, während ich liegen bleiben kann. Als er geht, ohne noch ein Wort zu mir zu sagen, kann ich aber nicht mehr schlafen. Ist doch nicht alles so okay, wie wir zu tun versuchen? Habe ich mich zu sehr eingemischt? Aber warum redet er nicht einfach mit mir? Er zweifelt offenbar nicht nur, weil ich nicht begeistert bin, sondern aus Gründen, die mir nicht so ganz klar sind. Aber natürlich hat er Recht… Er muss die Entscheidung treffen. Ich sollte ihm da nicht reinreden. Vielleicht sollte ich mich noch mal entschuldigen. In der Hoffnung, dass dann alles wieder in Ordnung kommt. Ich stehe auf und ziehe mich an. Schlafen geht jetzt eh nicht mehr. Also kann ich auch an die Uni und dort warten. Den Tag über überlege ich, wie ich mich am besten entschuldige, ohne dass es zu übertrieben wirkt. Ich habe ja nun auch nicht wirklich sonst was verbrochen… Eigentlich versuche ich mich sogar für etwas zu entschuldigen, von dem ich gar nicht so recht weiß, was es genau ist. Ich raufe mir die Haare, während der Professor sich den Mund fusselig redet. Mal wieder kriege ich nicht mit, was gesprochen wird. Wenn das so weiter geht, falle ich noch durch. Ich hoffe, Valentin macht sich mindestens genauso viele Gedanken! Kann ja nicht sein, dass er mit der Situation jetzt zufrieden ist. Ich schiele zu meinem Handy, das brav in meiner Tasche liegt. Ich könnte Benni anrufen und fragen, was zu tun ist. Aber am Ende sind er und Jona wieder aufgelöst, während wir uns schon wieder in den Armen liegen. Vielleicht sollte ich ihm einfach einen Starbuckskaffee mitbringen, dann würde er schon wieder handzahm werden. Ich kenne ja meinen Valentin… Aber seien wir ehrlich. Ich will mich entschuldigen und mir nicht seine Zuneigung erkaufen. Ich glaube, ein paar ehrliche Worte sind mehr, als genug. Mit diesem Vorsatz mache ich mich auf den Weg nach Haus, kaum das die Lesung beendet ist. Die andere lasse ich einfach ausfallen. Ich kriege ja eh nichts mit. Als ich die Türe aufschließe, riecht es nach Essen, was mich erstmal stutzen lässt. In meiner Aufgewühltheit habe ich gar nicht bedacht, dass Valentin um die Uhrzeit ja auch noch an der Uni ist. Aber offenbar hat es ihn ebenso wie mich früher nach Hause gezogen. Oder war er etwa gar nicht erst dort? Aber wo ist er dann am Morgen hin verschwunden? Ich runzle die Stirn und streife mir meine Schuhe von den Füßen. Neugierig schiele ich dabei ins Wohnzimmer, erblicke aber niemanden. Als ich mich gerade frage, ob der Geruch von Essen vielleicht von einem der Nachbarn zu uns zieht, höre ich es in der Küche klappern. Oh Gott… er wird doch nicht etwa… Ich eile zur Küchentür, reiße diese auf und erstarre. Die Küche ist ein einziges Schlachtfeld. Überall stehen Töpfe und Schüsseln, an der Wand sind Soßenspritzer und die Spüle ist komplett mit Geschirr vollgestellt. Auf dem Boden kullern Nudeln herum, die den Weg in den Topf nicht gefunden haben und mitten in all dem Chaos steht Valentin und grinst mich schief an. „Du bist ja schon da.“ Ich starre ihn an, starre das an, was mal eine Küche dargestellt hat. Er hat es wirklich getan. Er hat versucht, zu kochen. Oh mein Gott!!! Ich massiere mir die Schläfen und blicke Valentin an: „Was hast du hier angestellt?“ „Ich habe gekocht.“ Das hätte ich mir denken können. Aber vielleicht hätte ich die Frage einfach anders stellen sollen. Zum Beispiel: Warum stehen sämtliche Töpfe hier herum? Oder: Warum siehst du aus, als wärst du in einen Eimer mit Tomatenmark gefallen? So sieht er nämlich aus. Sein Gesicht und seine Klamotten sind ebenso hübsch mit roter Soße dekoriert, wie die Wand bei der Küchenablage. „Du hast noch nie gekocht,“ meine ich und bahne mir vorsichtig einen Weg zum Herd, blickte in einen Topf, dessen Inhalt fröhlich vor sich hinköchelt. Es sieht undefinierbar aus. Braune Soße mit Bröckchen… „Was ist das?“, will ich wissen und krame nach einem sauberen Löffel. „Spaghetti Bolognese.“ Mit viel Vorstellungskraft könnte es tatsächlich so sein, da hat er schon Recht. Aber das sage ich lieber nicht. „Aha,“ stoße ich nur hervor und probiere das Ganze dann. Im ersten Moment schmeckt es eigentlich ganz gut, doch schon eine Sekunde später muss ich wie verrückt husten. „Scharf,“ keuche ich. „Wie viel Pfeffer hast du da denn rein gemacht?“ Unsicher blickt er mich an, aber ich kann nicht wirklich etwas sagen, weil ich zu sehr mit Husten beschäftigt bin. Plötzlich meine ich, Enttäuschung in seinem Gesicht zu erkennen. Er kommt zu mir und packt den Topf, trägt ihn zur Spüle. „Was tust du da?“, würge ich hervor, während ich mich langsam von meinem Hustenanfall erhole. „Ich kippe es weg.“ „Nicht doch!“ Ich springe neben ihn, packe seine Hände und zwinge ihn dann, den Topf wieder abzustellen. Abgesehen davon, dass am Ende sicher nur der Abfluss verstopft, schmeckt er ja eigentlich ganz gut. Als der Topf sicher auf der Ablage steht, drehe ich Valentin zu mir und sehe ihn an. Er blickt traurig zurück. „Valentin. Hey…“ Sanft wische ich ihm ein wenig Tomatenmark von der Wange und lächle ihn an. „Es ist wirklich lecker. Wir strecken es noch etwas, damit die Schärfe nicht so durch kommt und dann passt es schon.“ Er nickt und schnieft, was sofort Panik in mir aufsteigen lässt. Ich komme absolut nicht damit klar, wenn Valentin weint. Vor allem, wenn ich mehr oder weniger die Ursache dafür bin. „Ich wollte dir nur eine Freude machen,“ nuschelt er nun leise und ich sehe schon, wie seine Augen feucht werden. „Das ist dir doch auch gelungen,“ versichere ich ihm schnell und küsse ihn zärtlich, ehe sich wirklich noch eine Träne einen Weg über seine Wange bahnen kann. Eng presse ich ihn an mich und küsse sein Haar. „Ich freue mich sehr darüber, Valentin,“ versichere ich ihm nochmals und streiche sanft über seinen Rücken. Das meine ich ganz ehrlich. Wenn er sich die Mühe macht, für mich zu kochen, dann kann ich gar nicht anders, als mich zu freuen. Ganz egal, wie viel Pfeffer er auch immer dafür verwendet hat. „Ich war gestern echt blöd zu dir, Joshua,“ murmelt er plötzlich und vergräbt sein Gesicht an meiner Brust. „Schon gut. Ich hab dich bedrängt, obwohl es wirklich alleine deine Entscheidung ist.“ Er hebt den Kopf und ich lächle ihn an. „Ja, aber ich hätte nicht so reagieren sollen. Du wolltest mir ja nur helfen und ich bin auch froh, dass du mir deine Meinung gesagt hast. Aber das Thema ist im Moment so nervig, weil mich jeder darauf anspricht und jeder etwas dazu weiß, ohne zu fragen, was ich will und…“ Ich unterbreche ihn, in dem ich ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauche. Er versteht. Es ist jetzt unwichtig, vergessen. „Sorry, dass die Küche so furchtbar aussieht,“ nuschelt er deshalb nur noch und ich schüttle den Kopf und schnappe erneut nach seinen Lippen, sauge sanft daran. Nun lächelt auch er, was ich mehr spüre, als das ich es sehe. „Lass uns essen, bevor es kalt wird,“ nuschelt er in den Kuss, aber wieder schüttle ich den Kopf. „Nur noch kurz,“ murmle ich und vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Er ahnt ja gar nicht, wie sehr ich unter unserem kleinen Streit gelitten habe. Und noch weniger ahnt er, wie froh ich bin, dass er beigelegt ist. Wobei…, denke ich und streiche ihm sanft durchs Haar. Sicher weiß er es ganz genau, denn wenn er sich die Mühe macht, mir ein Abendessen zu kochen, dann muss er wohl genauso darunter gelitten haben, wie ich. Wenig später ist die Soße gestreckt und wir sitzen im Wohnzimmer, schauen DVDs und essen die Spagetti Bolognese, die jetzt richtig, richtig lecker ist. „Ich wusste einfach nicht, wie ich es wieder gut machen sollte. Heute morgen hatte ich keine Ahnung, ob du noch sauer auf mich bist und wie ich mich verhalten sollte,“ erklärt Valentin mir dann. „Als ich dann auf dem Weg zur Uni war, bin ich am Supermarkt vorbeigekommen und hatte plötzlich eine Idee, wie ich dir eine Freude machen könnte. Also hab ich die Lesung sausen lassen und hab eingekauft.“ Ich grinse. Diese Spontanität ist typisch Valentin. „Eigentlich wollte ich ein supertolles Abendessen zaubern, mit Kerzen und Wein und so… aber dann ist alles schief gegangen. Erst ist mir vor dem Supermarkt die Weinflasche runtergefallen, dann sind zu Hause die Nudeln umgekippt…“ Ich kann nicht anders, sondern muss lachen. „Oh Valentin… du bist eine einzige Katastrophe,“ lache ich und er verzieht den Mund. Ich beuge mich über den Tisch und küsse ihn. „Es gibt niemanden, der gleichzeitig so chaotisch und so wahnsinnig süß sein kann, wie du.“ „Ich bin nicht chaotisch,“ murrt er und ich grinse: „Stimmt. Du bist einfach nur wahnsinnig schusselig.“ Er lächelt. „Ist jetzt wieder alles gut, zwischen uns?“ „Das war es schon die ganze Zeit. Wir haben es nur irgendwie nicht gemerkt.“ Dann essen wir schweigend zu Ende und er räumt ab. Ich seufze und blicke auf den Fernseher. Vom Film haben wir nicht wirklich etwas mitbekommen, also schalte ich ihn aus. Ich bin unheimlich erleichtert, dass jetzt alles wieder gut ist. Und ich bin unheimlich gerührt, dass er sich solche Mühe gegeben hat, mir was zu kochen. Ich stehe auf und folge ihm in die Küche, wo er versucht, noch einen Platz für die Teller zu finden. „Sollen wir uns gleich ans aufräumen machen?“, fragt er und ich schüttle den Kopf und trete grinsend zu ihm. „Ich bin dafür, dass wir unsere Versöhnung feiern.“ Als er mich fragend anblickt, drücke ich ihn gegen die Küchenzeile und presse ihm meine Lippen auf. „Ich liebe dich, Valentin,“ hauche ich dagegen, ehe ich ihn fordernd küsse. Sofort schlingt er seine Arme um mich und presst seinen Körper gegen meinen. Meine Hände landen auf seinem Po und ich zupfe pikiert an seiner Jeans. „Du hast eindeutig zu viel an.“ „Das sollten wir schnell ändern,“ grinst er mir entgegen und wenig später haben wir das getan. Ich schiebe die Töpfe vom Küchentisch und sie fallen mit lautem Scheppern zu Boden. Valentin sieht mich unsicher an, während ich ihn auf den Küchentisch hebe. „Hier?“ Ich küsse seinen Hals. „Bis zum Schlafzimmer kann ich leider nicht mehr warten.“ Daraufhin muss er lachen, was sich in ein Stöhnen verwandelt, als ich mich in ihn dränge. Wir finden einen gemeinsamen Rhythmus und wenig später finden wir auch unseren gemeinsamen Höhepunkt. Erschöpft klammere ich mich danach an Valentin und lehne mich verschwitzt und schwer atmend gegen ihn. Er vergräbt seine Nase in meinem Haar. „Glaubst du, die Küche räumt sich selbst auf, wenn wir nur lange genug warten?“ Ich lache. „Ganz sicher, Süßer. Aber wir sollten ihr vielleicht ein wenig unter die Arme greifen.“ Der Freitag kommt und mit ihm erneutes Basketballtraining. Man sieht mich schräg an, weil ich es gestern geschwänzt habe und natürlich fragt man nach dem Grund. Aber was soll ich sagen? Das ich lieber meinen Freund gevögelt habe, um es mal krass auszudrücken?! Also meine ich nur, dass er mir nicht gut ging und höre mir an, dass sie mich hinter meinem Rücken ‚Weichei’ und ‚Tunte’ nennen. Ich verdrehe die Augen. Es macht wirklich keinen Spaß mehr. Einmal mehr sehne ich mich danach, wieder mit Benni, Jona und den anderen auf dem Feld zu stehen. Wir waren ein solch tolles, eingespieltes Team. Zwar gab es auch bei uns Querschläger, aber alles in allem hat es Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen. Ich war stolz darauf, Teil einer solch wundervollen Mannschaft gewesen zu sein. Und jetzt… jetzt bin ich zwar stolz, dass ich es in die Unimannschaft geschafft habe. Aber mehr auch nicht. Ich bin zum Beispiel nicht stolz, solche Teamkameraden zu haben, obwohl einige von ihnen es ohne Frage ziemlich drauf haben. Seufzend beginne ich mit dem Aufwärmen und frage mich, ob Benni Recht hat. Wird sich etwas ändern, wenn ich die Position des Kapitäns inne habe? Und wenn ja, was? Wird man mich respektieren? Vielleicht endet es in einer Katastrophe. Vielleicht wird man mich dann nicht ernst nehmen und meine Entscheidungen übergehen. Aber vielleicht mache ich mir auch nur zu viele Gedanken. Bisher hat man mich auch nur auf privater, nicht aber auf sportlicher Ebene zum Trottel erklärt. Ich verziehe den Mund. Und warum das alles? Weil ich einen Jungen liebe… ist das denn wirklich so verwerflich? Ich finde nicht, dass auch nur irgendetwas an meiner Beziehung zu Valentin falsch oder komisch ist. Im Gegenteil. Als ich einmal zu Benni gesagt habe, Valentin sei das Beste, was mir je passiert ist, habe ich das ernst gemeint. Ich könnte auf alles verzichten. Auf meinen Bademantel, auf meine Universitätskarriere, sogar auf Basketball. Aber niemals könnte ich auf ihn verzichten. In der kurzen Zeit – wobei es ja doch schon fast ein Jahr ist – in der wir nun zusammen sind, gab es keinen Tag, an dem ich nicht dankbar war, ihn an meiner Seite zu haben. Ich seufze, weil meine Gedanken schon wieder so schnulzig werden und konzentriere mich ganz auf den Ball in meinen Händen. Wenig später ist die Aufwärmphase vorüber und Ausdauer- und Krafttraining steht auf dem Programm. Ich keuche. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder öfter joggen gehen. Aber blöderweise finde ich dafür kaum Zeit. Nach dem Training ruft uns der hiesige Sportlehrer und Trainer zusammen und sieht uns an. „Nächste Woche entscheidet sich, wer neuer Kapitän wird. Ich möchte ganz ehrlich sein. Momentan haben wir die Auswahl auf Joshua und Tobias eingeschränkt.“ Tobias und ich wechseln einen Blick. Er ist unser momentaner Center, also der körperlich kräftigste Spieler auf dem Platz. Seine Aufgabe ist es, um es groß zu umreißen, Gegner zu blocken und Bälle, nahe dem Korb, für uns zu ergattern. Er macht seine Sache wirklich gut, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Auch vom Charakter her ist er eigentlich ein ganz netter, der kaum ein schlechtes Wort über mich verliert. Das nehme ich als Maßstab. Denn wenn man aus der Reihe tanzt und nicht die ‚Schwuchtel’ angreift, dann muss man außer Reife auch wirklich Mut beweisen. Ich denke, dass Positive an der Sache ist, dass es sicher angenehm wäre, Tobias als Kapitän zu haben. Das Negative – und ich meine wirklich negativ, im Sinne von Katastrophe! – ist, dass er ein idealer Kandidat ist, was meine Chancen ziemlich einschränkt. Denn im Gegensatz zu mir hat Tobias den Vorteil, dass ihn alle mögen. Ich seufze. Eigentlich kann ich mir die Position doch schon abschminken. Deprimiert verlasse ich kurz darauf die Halle und ziehe mich schnell um, will gehen. In dem Moment legt sich eine Hand auf meine Schulter und ich blicke nach hinten. „Ich wollte dir nur viel Glück wünschen.“ Überrascht sehe ich Tobias an. „Danke. Dir auch viel Glück.“ Er lächelt mich an und nickt zu den Anderen, die uns nicht beachten. „Egal, wer von uns es wird. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam ein wenig Ordnung in diesen Chaotenhaufen bringen könnten.“ Ich nicke und lächle und denke mir, dass er wirklich der perfekte Kapitän wäre. Ich will gehen, aber er hält mich erneut auf. „Joshua?“ Ich sehe ihn fragend an und er grinst verlegen und meint: „Ich finde es übrigens nicht schlimm, also das…“, er macht eine hilflose Handbewegung, „Das mit dir und dem Emo.“ Ich nehme ihm nicht übel, dass er Valentin auf sein Emodasein beschränkt. Im Gegenteil, ich weiß ja, dass es nett gemeint ist. Und ich bezweifle auch, dass jemand weiß, wie mein Freund eigentlich heißt. Zwar haben sie ihn alle schon gesehen, war er ja nun schon öfter beim Training oder bei Spielen mit dabei. Aber so richtig interessiert hat sich keiner für ihn. Nur dafür, wie wir uns geküsst haben und wie man uns daraufhin mit irgendwelchen Schimpfwörtern betiteln konnte. Ich lächle Tobias also dankbar an und verlasse dann die Umkleide. Wären wir nicht Konkurrenten, könnte ich echt anfangen, ihn zu mögen. Aber so… hasse ich ihn einfach nur, weil er meine Chancen einfach mal so herunterschraubt. „Du siehst angespannt aus,“ stellt Valentin fest, während er sich fertig macht, um zur Bandprobe zu gehen. Es ist Samstagmorgen und ich gammle noch im Bett rum, während er schon putzmunter ist. „Es ist wegen der Kapitänsache… nächste Woche entscheidet es sich und der Kerl, der mit mir im Rennen ist, ist einfach perfekt für die Rolle geeignet.“ Valentin mustert mich, während er sich in eine enge Röhrenjeans quetscht. Ich sehe ihm dabei zu. Ich mag es, wenn er solche Teile trägt. Darin sieht sein Po schön knackig aus. Aber ich schweife ab. „Jetzt habe ich Angst, dass ich keine Chance mehr habe. Im Gegensatz zu ihm bin ich nämlich unbeliebt.“ Er sieht mich an und zuckt mit den Schultern: „Ich finde, du gibst den perfekten Kapitän ab. Es geht doch nicht darum, beliebt zu sein, sondern darum, taktische Entscheidungen zu geben. Und das kannst du doch, wie kein Zweiter.“ Ich lächle und in der Beziehung hat er sogar Recht. „Trotzdem. Das Team wird wohl mitentscheiden und spätestens wenn das geschieht, kann ich einpacken.“ „Und wenn schon.“ Ich sehe ihn an. Und wenn schon? Hat er mir gerade nicht zugehört, weiß er nicht, wie wichtig das für mich ist? Ehe ich etwas sagen kann, spricht er weiter: „Dann bist du eben Vizekapitän. Joshua… du denkst die ganze Zeit nur daran, Kapitän zu werden. Aber dass du es bereits jetzt eine Position erhalten hast, ist dir noch gar nicht aufgefallen.“ Ich stutze und muss einsehen, dass er Recht hat. Nur noch Tobias und ich sind in der Auswahl. Das heißt, dass ich im schlechtesten Fall immerhin Vizekapitän bin. „Du hast Recht,“ gebe ich nun zu. „Natürlich. Ich hab immer Recht.“ Er kommt zu mir, gibt mir einen Kuss und winkt dann. „Bin in drei Stunden wieder da! Und wehe, es gibt dann nichts zu Essen!“ Das restliche Wochenende über bin ich entspannter und kann es sogar genießen. Und als wir uns dann am Montag zum Training versammeln, da bin ich gar nicht so nervös, wie ich es ohne Valentins Aufmunterungen gewesen wäre. „Ich bitte euch jetzt, den Namen auf den Zettel zu schreiben, von dem ihr wollt, dass er Teamkapitän wird. Wir sammeln dann die Zettel ein und der mit den meisten Stimmen gewinnt,“ erklärt unser Sportlehrer das einfache Prinzip von eigentlich jeder Wahl und verteilt Zettel und Stifte. Ich möchte nicht so egoistisch sein, meinen Namen auf meinen Zettel zu schreiben, also gebe ich notgedrungen meine Stimme Tobias. So, wie ich ihn einschätze, wird er das gleiche denken und meinen Namen aufschreiben. Dann halten sich unsere Stimmen die Waage und die anderen können entscheiden. Wenig später sind alle Zettel eingesammelt und unsere Lehrer zählt durch. Ich kaue nervös auf meiner Lippe herum und wünsche mir, Valentin wäre hier. Aber der sitzt gerade in einer ‚sterbenslangweiligen Lesung über Mozart’ und… ja… langweilt sich. „Gut, das Ergebnis ist bekannt,“ meint der Angemüller, wie er mit Namen übrigens heißt und sieht uns alle an, macht eine Kunstpause um Spannung aufzubauen. Ich denke nur, dass ich ihm ins Gesicht springe, wenn er nicht gleich die Entscheidung verkündet. Nicht, dass ich mir Hoffnungen auf die Position mache… Ich rechne hastig aus. Wir sind fünfzehn Mannschaftsmitgleider und zwei Trainer, die ebenfalls ihre Stimme abgeben dürfen. Das macht siebzehn Mann. Tobais und meine Stimme fällt mehr oder weniger weg, das heißt, es gibt fünfzehn Stimmen, die entscheiden. Ergo bedeutet das, um eine Mehrheit an Stimmen zu haben, müssten acht Mitglieder für einen Stimmen. „Joshua hat sieben Stimmen…“ Ich seufze auf. Ich weiß ja nicht, ob Tobias auch schon gerechnet hat, aber mir ist klar, dass er jetzt schon gewonnen hat. Resigniert lasse ich den Kopf hängen. Ich habe es ja gewusst… „Und Tobias hat sechs Stimmen. Zwei haben ihre Stimme enthalten.“ Ich hebe den Kopf wieder und starre unseren Trainer an. Eine Verwechslung? Ein Weltwunder? Ein… „Man, Joshua! Glückwunsch!“ Tobias wuchtet mir seine Pranke auf den Rücken, so dass ich fast vornüber falle. „Ich wusste doch gleich, dass ich gegen dich keine Chance habe!“ „Ja aber… mich mag doch keiner und du bist beliebt und…“, stammle ich, total überfordert. Das kann doch gar nicht sein. „Ja, schon. Aber du bist der von uns, der die taktisch klugen Entscheidungen trifft!“ Tobias lacht und zuckt die Schultern: „Als man unsere Namen vorgelesen hat, war mir sofort klar, dass ich gegen dich keine Chance haben werde.“ Ich starre ihn mit offenem Mund an, dann wird mir langsam klar, dass ich tatsächlich Kapitän bin. Wahnsinn! Ich bedanke mich kurz für die Wahl, dann jogge ich in die Umkleide, um Valentin anzurufen. „Dir ist klar, dass man mir gerade die unglaublich langweilige Geschichte von Mozart eintrichtert? Ich dachte schon, die frisst mich gleich, als ich aufgestanden bin, um auf Toilette zu gehen,“ murrt Valentin am anderen Ende der Leitung, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten. „Als wenn es dich nicht brennend interessiert, wie die Wahl gelaufen ist,“ grinse ich und als er nichts mehr sagt, weiß ich, dass dem so ist. „Ich hab tatsächlich gewonnen! Ist das zu glauben?“ „Yeah! Glückwunsch!“, freut er sich. „Aber war ja eigentlich klar, oder?“, fügt er dann hinzu, „Du triffst nun mal die taktisch klügeren Entscheidungen, nicht?“ Darauf weiß ich keine Antwort mehr. Wie kann es eigentlich sein, dass immer jeder bescheid zu wissen scheint – nur ich nicht?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)