Kaffee und Vanille 2 von Jeschi ================================================================================ Kapitel 15: Das Auto, zwei Verrückte und ich -------------------------------------------- Rick hasst mich. Ich weiß, dass er mich hasst, weil er es mir vor genau drei Sekunden ins Gesicht gesagt hat. Ich starre ihn nun an und weiß nicht so wirklich, wie mit dieser Information umgehen. Ich meine… ihm war doch klar, dass man ihm die Position als Trainer nehmen würde, würde einer von uns Beiden – sprich Tobias oder ich – zurückkehren. Aber wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass dieser unwahrscheinliche Fall eintreten würde – wer hätte das schon? Dennoch… seine Reaktion finde ich reichlich übertrieben. Und zum Glück sehe nicht nur ich das so. „Also… du musst Joshua schon verstehen – immerhin ging es um seinen Freund,“ ergreift Sascha für mich Partei. Sascha kann mit drei Worten beschreiben: Groß, fett und Russe. Was für mich den Vorteil hat, dass Rick da ein wenig Angst hat, was dagegen einzuwenden. Dafür bin ich Sascha schon mal dankbar – und natürlich auch dafür, dass er für mich Partei ergreift. „Wie geht es deinem Valentin denn?“, wendet sich besagter Russe nun an mich und ich nicke und meine, es geht ihm schon wieder ganz gut. „Wegen so ner scheiß Schwuchtel…“, wendet sich Rick nun brummelnd ab und der Rest des Satzes geht unter, weil er sich mehr oder minder die Mühe macht, leise vor sich hin zu schimpfen. Ich seufze und blicke die Anderen an. „Schön, dass du wieder hier bist, Josh,“ meint nun Andreas und ich lächle schwach. „Wir sind alle schon gespannt, was du uns für unser Training erzählen kannst,“ fügt Daniel hinzu und ich nicke und nehme meine neue, alte Aufgabe in Angriff. Irgendwie ist es seltsam, wieder Trainer zu sein. Immerhin habe ich nun wochenlang einfach gemacht, was man mir sagt. Nun bin ich es, der dafür verantwortlich ist, dass alles seinen Gang geht. Aber da ich diese Aufgabe vorher schon so lange innehatte, finde ich schnell wieder hinein und vor allem beginnt es auch gleich wieder Spaß zu machen. Vielleicht sollte ich einfach Trainer werden. Das wäre doch eine gute Idee… Aber leider kann ich mich nicht lange mit meiner Idee beschäftigen, denn das Training ruft und fordert meine gesamte Konzentration. Ich will die Jungs nicht gleich überfordern und deshalb verschärfe ich das Training für den Anfang nur minimal, mache ein paar längere Ausdauer- und Krafteinheiten und lasse sie ein paar schwerere Übungen durchführen, als sie es bisher gewohnt haben. Sie beschweren sich nicht, aber ich fürchte, dass mir dieses Glück nicht lange gegönnt bleibt. Jetzt sind sie noch motiviert, aber irgendwann werden sie sich sicher beschweren, wie heftig mein Training ist. Dabei werden sie sicher noch viel anderes über sich ergehen lassen müssen, wenn Tobias erst Mal zurück ist. Wie auch immer… Irgendwann ist das Training zu Ende und ich verlasse die Halle als Letzter und trete unter die Dusche. Ich beeile mich, weil ich eigentlich nur noch zu Valentin zurück möchte. Ich hoffe, er hat sich brav im Bett aufgehalten, statt irgendwelche Ausflüge sonst wo hin zu unternehmen. Ich fürchte ja fast, er würde vor der Halle stehen um mich abzuholen, aber zum Glück ist dem nicht so. Ich laufe also nach Hause und finde ihn im Wohnzimmer vor. Dort sitzt er mit einer Decke vor dem Fernseher und sieht mich an aus großen Augen an, wie ein Hund. Man könnte ja sprichwörtlich sagen, er sähe aus, als könnte er kein Wässerchen trügen, aber ich sehe sofort, dass er genau das gemacht hat. „Hast du etwa Haare gefärbt?“, frage ich, ohne mich lange vorher mit ihm zu unterhalten. „Mir war langweilig,“ kommt es prompt als Antwort. „Valentin, du solltest im Bett bleiben und dich nicht überanstrengen!“ Ich stemme die Hände in die Hüften. „Ich hab nur Haare gefärbt, keinen Marathonlauf absolviert.“ Er verzieht den Mund zu einer Schnute und ich seufze und löse meine strenge Haltung, krabble zu ihm aufs Sofa. Sanft küsse ich sein Haar, dass noch nach diesem Färbemittel und reichlich anderen Haarprodukten riecht. „Bist du jetzt zufrieden?“, frage ich immer noch ein wenig verärgert, aber vor allem belustigt und er nickt nur als Antwort. Ich hebe sein Kinn an und küsse ihn. „Dann ist ja gut,“ murmle ich gegen seine Lippen. „Wie war die Uni?“, fragt er nach einiger Zeit, die wir ausgeharrt und gekuschelt haben. Also erzähle ich ihm ein wenig vom Training und auch von Ricks Aussetzer. „Er ist ein richtiger Idiot,“ murrt mein Hase – so langsam gewöhne ich mich echt an Tobias Kosenamen – und richtet sich ein wenig auf. Bis eben lehnte er an mich. „Wohl wahr.“ Ich denke an die anderen Male, an denen mir Rick unangenehm aufgefallen ist. Allen voran der schmerzlichen Szene, als Valentin nach unserer Trennung zu mir in die Halle kam und Rick alles noch schlimmer gemacht hat. „Aber du setzt dich schon durch,“ versichert Valentin mir oder auch sich selbst, kuschelt sich dann wieder eng an mich und lächelt leicht. Ich schlinge die Arme fest um ihn. „Garantiert,“ stimme ich zu und glaube wirklich daran, alles in den Griff zu bekommen. Es ist der erste Tag der Woche und der erste Tag, an dem Valentin von unserem Hausarzt das okay bekommen hat, wieder an die Uni zu gehen. Und natürlich hat mein kleiner Wirbelsturm nur darauf gewartet, wieder zu wüten. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass er schon wach und fertig gestylt ist, als mein Wecker klingelt. „Du kannst es auch gar nicht erwarten, oder?“, frage ich und schüttle belustigt den Kopf, während er nur den Kopf schüttelt und in der Küche verschwindet, um Kaffee zu kochen. Ich mühe mich aus dem Bett und gehe duschen. Als ich wenig später in die Küche trete, wartet Valentin schon mit einer Tasse voll dem heißen Gebräu auf mich. „Endlich sehe ich mal wieder was anderes, als immer nur die vier Wände hier,“ meint er begeistert und seine Augen strahlen regelrecht. Ich lächle und küsse ihn. „Und morgen Bandprobe,“ freut er sich und ich mustere ihn. „Bandprobe,“ echoe ich dann und zähle eins und eins zusammen. „Wenn du wieder singen kannst, kannst du ja auch ganz andere Dinge wieder tun,“ meine ich anzüglich und er sieht mich kurz verwirrt an, ehe er grinst. „In der Tat,“ flüstert er nur und streicht aufreizend über meinen Oberschenkel, als er an mir vorbeiläuft, um sich eine Sweatshirtjacke zu holen. Plötzlich habe ich das Bedürfnis, die Uni Uni sein zu lassen und mit ihm im Bett zu verschwinden. Aber Valentin wäre nicht Valentin, wenn er mich nicht durchschauen würde. Er küsst mich und meint: „Bis heute Abend.“ Dann ist er auch schon verschwunden. Ich sehe ihm irritiert nach und nehme dann einen großen Schluck Kaffee. Hoffentlich ist bald Abend. Natürlich vergeht der Tag extra langsam, wenn man hofft, dass er schnell vergeht. Vor allem das Training zieht sich unglaublich lange hin, so dass ich mir wünschte, gar nicht hingegangen zu sein. Aber natürlich kann ich als Kapitän und momentaner Leiter des Trainings nicht einfach so wegbleiben. Schon gar nicht, wenn ich bedenke, welches Ansehen ich im Moment bei der Konrektorin genieße, die mich die nächste Zeit sicher noch mit Argusaugen beobachten wird. Fast muss ich gestehen, dass ich die Semesterprüfungen herbeisehne, um ihr zu zeigen, dass ich es doch drauf habe. Und das, obwohl ich nicht wirklich Zeit finde, all den Stoff nachzuholen – ich kriege langsam doch echt Angst! – und obwohl ich weiß, dass ich den Stress einer nahenden Prüfung jetzt nicht auch noch gebrauchen kann. Als ich endlich nach Hause kann, renne ich fast. Ich weiß, dass ich mich total dämliche benehme. Wie ein Schwanzgesteuerter Volltrottel. Aber verdammt… unter den gegebenen Umständen kann ich mich wirklich mit diesem Titel anfreunden. Wenig später stehe ich vor unserer Wohnung und schließe auf. Valentin ist im Wohnzimmer und grinst mich an, als ich zu ihm trete. Ich muss grinsen, als ich bemerke, dass er meinen Bademantel trägt. „Hi,“ meine ich atemlos und er winkt mir flüchtig zu. „Hey. Ich hab schon geduscht und essen gemacht und…“ Ich lasse ihn nicht ausreden, sondern trete zu ihm und küsse ihn. Warum noch lange aufhalten? Schon als sich unsere Lippen treffen, erbebt mein Körper unter Freude. Als ich dann aus den Augenwinkel auch noch wahrnehme, wie der Bademantel von seiner Schulter löst, kann ich wirklich nicht mehr länger an mich halten und schiebe ihn aufs Sofa. Und dann endlich… endlich habe ich Valentin wieder für mich. Die nächsten Wochen sind wie im Himmel. Sex mit Valentin, zwischendrin lernen, Basketballtraining und ja… Sex mit Valentin. Eigentlich bin ich gerade so zufrieden mit meinem Leben, dass es wirklich nicht anders werden soll. Aber natürlich kommt es immer anders, als man denkt oder gar möchte. So ist es natürlich auch bei mir und deshalb passieren gleich zwei Katastrophen auf einmal, als ich endlich denke, alles ist gut. Katastrophe 1: Ich muss feststellen, dass ich den Stoff immer noch nicht richtig aufgeholt habe und deswegen auch Probleme habe, den neuen Stoff zu lernen. Katastrophe 2: Ein Brief meiner Eltern, die uns – also sprich Valentin und mich – zu ihrer silbernen Hochzeit einladen. Kaum zu glauben, dass meine Eltern schon so lange zusammen sind. Jedenfalls stellt mich diese scheiß Hochzeit vor ein kleines, großes Problem. Ich schiele zu Valentin, der neben mir auf der Couch sitzt und lernt und den Brief noch gar nicht weiter bemerkt, geschweigedenn ihm irgendeine Beachtung geschenkt hat. Ich fackle nicht lange, sondern schiebe ihm diesen vor die Nase und er blickt auf. „Was ist das?“, will er wissen, kann sich die Frage aber selbst beantworten, als er anfängt, zu lesen. „Deine Eltern sind schon 25 Jahre verheiratet?“, fragt er erstaunt und ich nicke und blicke grimmig drein. „Weißt du, was das heißt?“, frage ich und er scheint es wirklich nicht zu wissen. „Wenn wir da auftauchen, dann muss ich mich vor meiner ganzen Familie outen.“ Einen kurzen Moment ist es still um uns, dann verkrampft er sich ein wenig und blickt auf den Brief. Erst denke ich, dass er sauer ist. Das er denkt, dass ich nicht zu ihm stehen möchte – was gar nicht der Fall ist! Wirklich! Ich habe einfach nur ein wenig Angst vor der Reaktion -, aber dann meint er: „Das solltest du lassen.“ Ich ziehe die Brauen hoch. „Was?“ „Schau meine Familie an. Die Reaktion ist nicht immer so, wie man sie sich erhofft… ich will nicht, dass du wegen mir nicht mehr mit deiner Familie sprichst.“ Ich seufze auf. „Valentin… wenn sie das nicht akzeptieren, will ich sie gar nicht zu meiner Familie zählen.“ Und plötzlich bin ich es, der sich stark fühlt. Plötzlich habe ich gar keine Angst mehr, sondern pure Entschlossenheit brennt in mir. Irgendwie seltsam. Kurz denke ich, dass Valentin vielleicht genau das mit seinem Satz erreichen wollte, aber ich werde eines besseren belehrt. Er meint das, was er gesagt hat, wirklich so. „Valentin?“, frage ich leise und er seufzt. „Na schön,“ gibt er dann nach, weil ihm eh nichts anderes übrig bleibt, als einzuwilligen. Ich nicke und überlege, wie meine Semesterferien zu Hause wohl aussehen, wenn ausgerechnet an der Silbernern Hochzeit meiner Eltern der ganze Familienfrieden schief hängt. Weil ich nicht weiter darüber nachdenken möchte, beschließe ich, mich wieder auf meinen Prüfungsstoff zu konzentrieren, was mich aber in Anbetracht der Tatsachen, nur noch mehr deprimiert. Ich verziehe den Mund und seufze synchron mit Valentin. „Ich freu mich jetzt schon, wenn das neue Semester endlich beginnt und der ganze Stress um ist,“ murmelt mein Freund und ich kann nur zustimmen. Recht hat er! Leider kommt es eben nie, so wie man es sich wünscht. Und so beginnen die Prüfungen, und danach das große Zweifeln und Bangen. Ich habe das Gefühl, am Ende doch ganz gut vorbereitet gewesen zu sein. Zumindest müsstet ich das Ganze relativ ausreichend nachgeholt haben. Ich hatte auch keine Angst, irgendetwas nicht zu wissen – was im Nachhinein auch okay war, weil ich tatsächlich auf alles eine Antwort geben konnte. Auch Valentin hat – seinem Gefühl nach – gut abgeschnitten und so ist zumindest die erste Hürde gemeistert. Wenn ich allerdings daran denke, was jetzt noch auf uns zukommt, wird mir langsam bewusst, dass dies die kleinere Hürde war. Ich weiß, dass Valentin Angst davor hat, dass ich meinen ganzen Verwandten von ihm erzähle. Natürlich, meine Eltern haben es akzeptiert, aber selbst mein Vater hofft immer noch darauf, dass ich irgendwann zum Einsehen komme, dass eine Beziehung mit einem Jungen nicht die Erfüllung all meiner Wünsche ist. Aber nur weil meine Eltern es mehr oder minder gut aufgefasst haben, heißt das leider nicht, dass es auch der Rest meiner – recht großen – Familie tun wird. Und ich verstehe natürlich auch Valentins Bedenken, der mit seiner Familie nur schlechte Erfahrungen gemacht hat, als raus kam, dass er nun fest mit mir zusammen ist. Ich weiß heute noch, wie er ewig am Telefon hing und seine Eltern bat, sich noch mal zusammen zu setzten und zu reden. Aber da seine Eltern ihn – wegen seines äußeren Erscheinungsbildes – eh für missraten hielten, blieben sie relativ stur, was man heute ja noch bemerkt. Seine Mutter jedenfalls hat gesagt, er solle sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen und sein Vater ging sogar soweit zu sagen, dass er keinen schwulen Sohn habe und wenn dieser schwul sein wollte, hieße das eben, dass er keinen Sohn mehr habe. Ich hab damals damit gerechnet, dass es Valentin wahnsinnig runter ziehen würde, aber er blieb relativ locker, als hätte er das bereits geahnt. Allerdings wusste ich auch, dass er viel in sich hineinfraß, statt es herauszulassen, was auch jetzt noch ab und an aus ihm heraus kommt. Sicher hat er Angst, dass es mir ähnlich ergehen könnte und natürlich will er nichts weniger, als das. Das heißt, dass neben meiner Angst, auf die Reaktion meiner Familie, auch noch die Angst hinzu kommt, wie sich das Ganze auf Valentins Psyche auswirkt. Mit diesem Hintergrund sinkt meine Motivation, nach Hause zurück zu kehren, auf Null. Da kann auch die Aussicht nicht helfen, dass ich die Jungs dann wieder sehen werde. Und auch die Tatsache, dass Benni ebenfalls zur Silbernen Hochzeit eingeladen ist – als mein bester Freund gehört er ja fast schon zu Familie – und auch kommen wird, uns beistehen wird. Ich weiß nicht, ob Bennis gesamte Familie von seiner Lebensweise bescheid weiß, weil wir darüber irgendwie nie geredet haben. Aber ich weiß, dass alle die, die es wissen, keine Probleme damit haben. Was mich einerseits ermutigt und hoffen lässt, andererseits deprimiert. So viel Glück kann gar nicht jedem vergönnt sein! Dank all dieser Gedanken sinkt meine Laune nur weiter, während ich im Schlafzimmer stehe und meine Sachen in eine Reisetasche stopfe. Ich werfe einen Blick auf Valentin, der immer noch überlegt, was er überhaupt mitnehmen will. Er sieht entspannt aus, weshalb ich ein wenig gehemmt bin, meine Gedanken anzusprechen. Ich möchte ihn nicht wieder darauf bringen. Aber Valentin wäre ja nicht Valentin, wenn er nicht von selbst darauf kommen würde, dass ich nicht begeistert aussehe. „Du machst dir ziemlich Gedanken, was?“, fragt er und ich nicke. „Josh, wir brauchen es nicht offiziell vor allen zugeben,“ meint er und legt ein T-Shirt weg, dass er gerade einpacken wollte. „Aber ich möchte es,“ murmle ich leise und er seufzt. „Josh, sie werden vielleicht…“ „Ich weiß,“ unterbreche ich ihn und trete zu ihm, küsse ihn. „Aber ich möchte zu dir stehen. Irgendwann werden sie es eh herausbekommen.“ Früher oder später ganz sicher… Ich komme ja auch in ein Alter, in dem viele mich fragen, wann ich die Richtige finde und heirate. Und was soll ich dann sagen? Dann lieber gleich. Valentin blickt zu Boden und ich küsse ihn nochmals. „Im Ernst… ich liebe dich viel zu sehr, um mich vor ihnen beherrschen zu können,“ versuche ich die Stimmung zu locker und kralle meine Hände beherzt in seinen Po. Tatsächlich muss er daraufhin grinsen. „Übertreib es aber nicht,“ bittet er mich und ich küsse ihn. Nicht nur flüchtig diesmal, sondern intensiv und leidenschaftlich. „Dann übertreib ich es eben jetzt,“ murmle ich und meine Hände finden ihren Weg unter sein Shirt. Er grinst und ich weiß, dass ihm meine Übertreibung ziemlich gefallen wird. Wir fahren eigentlich recht spät, müssen also nicht früh aufstehen. Dennoch fühlen wir uns wie gerädert, als wir am nächsten Morgen aus dem Bett steigen und uns langsam fertig machen. Die Nacht war nicht wirklich erholsam, mit all den Gedanken, die wir uns – im Bezug auf das bevorstehende Aufeinandertreffen mit meiner Familie – gemacht haben. Da hilft nicht einmal der Kaffee etwas, den Valentin uns kocht, ehe wir nacheinander ins Bad schleichen und uns irgendwie herrichten. Mürrisch blicke ich den Spiegel und kann nicht aufhören, Panik zu schieben, während ich meine Haare irgendwie richte. Ich weiß, es wird eine Katastrophe. Das ist nicht nur die Unruhe in mir, die mir das sagt. Das ist einfach das Gefühl, dass man immer hat, wenn man weiß, dass der Tag scheiße wird. Am liebsten würde ich wieder im Bett verschwinden – vorzugsweise natürlich noch mit Valentin –, aber natürlich geht das nicht. Und so sehr ich mich auch damit ablenken möchte – ich kann nicht mal an Sex denken! Ich bin viel zu nervös für Sex. Frustriert lege ich den Kamm weg und seufze. Meine Haare sehen aus wie hingekackt, aber was soll’s. Neben Valentins geordnetem Chaos auf seinem Kopf werden meine Haare kaum auffallen. Abgesehen davon glaube ich, wird am Ende des Tages kein Hahn mehr nach meinen scheiß Haaren krähen. Ob das gut, oder eher schlecht ist, sei mal dahin gestellt. Als ich aus dem Bad trete, ist Valentin schon im Schlafzimmer und zieht sich an. Oder versucht es zumindest, weil er irgendwie nicht damit klar kommt, eine Mischung aus Anzug und Emostyle zu kreieren. „Kann ich das so tragen?“, fragt er und ich starre auf seine Klamotten. Schwarze Röhrenjeans, mindest drei seiner Nietengürtel, ein graues Bandshirt, darüber einen schwarzen Blazer und einen grauen Palischal. Zur Krönung schwarz lackierte Nägel. „Ist das dein Ernst?“, rutscht es mir heraus, ehe ich mich stoppen kann und er verzieht missmutig das Gesicht und zeiht den Blazer wieder aus. „Dann sag mir mal bitte, was ich sonst tragen soll!“ Ich verdrehe die Augen. „Du wirst doch wohl was festlichen in deinem Schrank haben!“, maule ich und öffne seinen Kleiderschrank – oder den (wesentlich größeren) Teil meines Schrankes, den ich ihm überlassen musste – und erstarre. Manche Dinge soll man einfach lieber sein lassen! Ich blicke auf das Chaos, das mir beinahe entgegen fällt und stöhne dann auf. „Was ist das denn?“, stöhne ich entsetzt und er schnaubt. „Habs nicht geschafft, aufzuräumen.“ Ich schüttle den Kopf. Ich glaube, er hat nicht mal Notwendigkeit dafür gesehen, ja… Mürrisch wühle ich mich durch seinen Schrank, was ihn tatsächlich den Kommentar abringt, dass ich ihm nichts durcheinander bringen soll. „Valentin!“, fauche ich ungehalten und wirble zu ihm herum. „Es ist bereits alles durcheinander!“ „Das Ganze hat System, ja?“, murrte er und verschränkt trotzig die Arme. Ich lächle belustigt auf und zerre dann unsicher ein weißes T-shirt und einen dunkelrosa Pullunder heraus. Dann stutze ich und blicke auf die Farbe. What the fuck! Ich sehe zu Valentin, der das ganze ungerührt verfolgt. „Das Ding ist schon ziemlich schwul,“ meine ich und wedle mit dem Pulli herum. Er zuckt die Schultern, murmelt „Ist schon alt“ und reißt mir das Zeug aus der Hand. „Darf ich mich dann anziehen?“ Ich beiße mir unglücklich auf die Lippen. „Das?“, frage ich und deute auf die Klamotten, woraufhin er zischend die Luft einzieht. „Das hast du doch gerade herausgesucht!“ Ich zucke mit den Schultern. „In deinem Schrank ist es irgendwie schwer, etwas zu finden, was nicht ganz so… schwul aussieht.“ Er wirft mir den Pulli ins Gesicht und wühlt dann selbst weiter. „Geh zum Bäcker und hol mir nen Kaffee für die Fahrt. Bis dahin bin ich angezogen,“ befiehlt er und weil ich keine Lust habe, mit ihm zu diskutieren, leiste ich folge. Als ich wiederkomme, steht Valentin in der Küche und trinkt den Kaffee leer, den er heute Morgen gekocht hat. Und obwohl er das Gebräu noch an den Lippen hat, starrt er beinahe gierig auf den Becher in meiner Hand. Ich hingegen starre Valentin an und pfeife dann anerkennend. „Geht doch,“ meine ich und blicke auf seinen Aufzug. Ein weißes Shirt, darüber ein helles, gelb-grün kariertes Hemd und eine graue Strickjacke. Sehr ordentlich – zumindest für ihn. „Ist das mein Hemd?“, meine ich dann aber und bringe ich dazu, die Tasse wütend in die Spüle zu knallen. Beschwichtigend hebe ich die Hände. „Nicht wild,“ wehre ich ab und verschränkt die Arme. „Sonst trage ich auch Sachen von dir,“ erklärt er mir trotzig – offenbar findet er die Aussage alles Andere, als ‚nicht wild’. Ich beiße mir auf die Lippen. „Ja… nach dem Sex.“ „Sonst auch,“ murrt er und verschränkt wieder die Arme. Er hat seine Nägel ablackiert, was ich ihm wirklich anrechne. Vor allem, weil er sich sonst mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Davon beschwichtigt, trete ich zu ihm und küsse ihn. „Ich will nur nicht, dass jemand merkt, dass du mein Hemd trägst,“ kläre ich ihn auf und das beschwichtigt dann wiederum ihn. Er schlingt die Arme um mich und murmelt ein: „Sie kriegen es auch anders mit, Joshi,“ gegen die Brust. Damit hat er Recht. Sie kriegen es mit, weil ich es ihnen sagen werde. Hallo, flaues Gefühl im Magen. Aber jetzt habe ich keine Zeit für Nervosität. Wir müssen zum Bahnhof, sonst kommen wir noch zu spät. Stunden später – die irgendwie sehr schnell umgingen – kommen wir am Bahnhof in Hamm an. Und diesmal ist es nicht einer meiner Kumpels, die mich abholen, sondern meine Oma, die uns gleich zur Familienfeier kutschieren wird. Juhuuu… „Joshua,“ begrüßt sie mich und schenkt Valentin ein nettes Lächeln, ehe sie ihm seinen Koffer abnimmt, mit den Worten ‚Wo du doch so zierlich bist’. Das sie eine alte gebrechliche Oma ist, scheint sie dabei nicht zu stören, denn sie überhört Valentins Proteste und wuchtet den Koffer selbst ins Auto. Ich hingegen darf mich selbst abmühen. „Also… das ist dein Nachbar, von dem deine Mutter so schwärmt?“, fragt sie mich dann, als hätte sie sich das jetzt nicht denken können. „Und wie kommt es, dass du jedes Mal mit zu Joshua kommst?“, fragt meine Oma Valentin – offenbar lässt sie das höfliche siezen gleich von Anfang an weg. „Naja…“, murmelt Valentin und sieht unsicher zu mir. „Familiäre Probleme,“ kläre ich sie auf und zerre Valentin dann zum Auto. Wir nehmen Beide auf der Rückbank Platz, was meine Oma zum Stirnrunzeln bringt. Aber sie sagt nichts. „Ist das eigentlich das Hemd, dass ich dir mal zu Weihnachten geschenkt habe?“, fragt sie dann, meint aber unglücklicher Weise nicht meines, sondern das, das Valentin trägt. Ich hab’s geahnt. „Ja. Joshi hat es mir gegeben, weil ich nichts Festliches habe,“ klärt Valentin sie auf und sie echot: „Joshi?“ „So nennt er mich gerne mal… um mich zu ärgern,“ stammle ich und blicke meinen Hasen warnend an. Er grinst nur zurück und ich glaube, ich begreife, was er tut. Er versucht, meiner Oma eine Ahnung zu geben, damit es sie nicht mehr ganz so überrascht. Super… „Tante Inge hat schon nach dir gefragt, Joshua,“ kläre meine Oma mich auf, während wir zu der Kirche fahren, in der meine Eltern unbedingt eine kleine Andacht zu ihren Ehren wollten. Tante Inge ist eigentlich gar nicht meine Tante. Sie ist nur irgendeine alte Dame, die über fünf Ecken mit uns verwandt ist und nur deshalb zu Festen eingeladen wird, weil sie sich so gut mit meiner Oma versteht. Blöderweise will sie mich seit jeher mit ihrer Enkelin Anna verkuppeln. Und genau das Thema greift nun auch meine Oma auf. „Anna hat sich wirklich gemacht. Ein hübsches Mädchen. Groß, schlank und blond. Sie würde dir gefallen.“ „Glaub ich nicht,“ murmle ich und sehe zu Valentin, der allen Ernstes grinst. Na Danke auch. „Warum? Magst du keine Blondinen?“, fragt meine Oma mich und ich selbst frage mich, ob sie wirklich denkt, ich sei so oberflächlich, dass ich mir um die Haarfarbe Gedanken mache. Ich sehe wieder zu Valentin. Ob ich es einfach sagen soll? Jetzt und hier? Aber dann kriegt sie noch nen Herzkasper. Was in Anbetracht dessen, dass sie gerade Auto fährt, nicht so günstig wäre. „Nein,“ meine ich also, „Ich mag mehr Schwarzhaarige.“ Daraufhin nickt meine Oma – übrigens heißt sie Rosalinde, wird aber nur Rosa genannt – begeistert und Valentin wird rot. Oh man… Zwei Verrückte in einem Auto und ich mittendrin! Dann kommen wir endlich an und ich flüchte fast aus dem Auto, noch ehe meine Oma einparken kann. Ich blicke mich suchend nach meiner Mutter um, bis ich sie sehe, wie sie schnurstracks auf mich zustürmt. Dann stürmt sie allerdings an mir vorbei und ich sehe ihr irritiert nach und finde sie bei Valentin wieder, den sie fast zerquetscht. „Oh, Gott sei Dank, dir geht es besser!“, kreischt sie und ich fürchte, dass er zwar den Unfall überlebt hat, jetzt aber wegen ihr sterben wird. Überhaupt… Was ist mit mir? Ich räuspere mich und sie winkt mir zu. „Hey Joshua!“ Mürrisch verziehe ich das Gesicht. Wer war noch mal der leibliche Sohn? Aber andererseits freue ich mich, dass sie sich so viel Sorgen um meinen Freund gemacht hat. Das sie ihn so lieb aufgenommen hat, macht mir nur Mut, dass auch der Rest der Familie das tun wird. Meine Oma beobachtet das verwirrt und meine Mutter klärt sie auf, während sie auch endlich mich umarmt. „Kein Wunder, dass du so abgemagert bist,“ meint Rosa daraufhin zu Valentin und kneift ihn in die Wange. „Im Krakenhaus geben sie einem ja nichts Gescheites zu Essen!“ Ich verdrehe die Augen und sehe mich nach meinem Vater um, bis sich unsere Blicke treffen. Er nickt mir zu. Nett… Die weiblichen Angehörigen meiner Familie reden noch immer auf Valentin ein und irgendwie bin ich plötzlich eifersüchtig. Nicht, weil er meine Familie in Beschlag nimmt, sondern weil meine Familie ihn in Beschlag nimmt. Ich will ihn für mich. Vielleicht ist das der Grund, warum ich zu ihnen trete und meine: „Wollen wir noch mal aufs Klo, ehe es losgeht?“ Valentin nickt: „Dann kann ich meinen Kajal nachziehen.“ Daraufhin tritt eine seltsame Stille ein und Valentin schlägt sich die Hand vor den Mund. Mum und ich blicken zu Rosa, die Valentin seltsam mustert und dann nickt. „Heutzutage ist wirklich alles anders, dass sich sogar schon Männer schminken. Aber du musst zugeben, Joshua,“ sie wendet sich dann mir zu, „Wenn allen Männern Schminke so stehen würde, wie ihm, dann wäre das sicher schon eingebürgerter.“ Ich nicke. „Ich brauch es trotzdem nicht,“ meine ich während meine Oma Valentins Augen mustert und anerkennend nickt. „Sieht gut aus,“ meint sie begeistert und ich packe Valentins Arm und ziehe ihn mit mir, ehe es noch ein komplettes Desaster wird. „Sorry,“ murmelt er und bereut es wirklich. Aber es stört mich eigentlich nicht. Soll sie denken, was sie will. „Joshua?“, fragt Valentin, während ich ihn wortlos ins Klo schiebe. Kaum ist die Tür hinter uns zu, küsse ich ihn. Er sieht mich verwirrt an. „Das habe ich vermisst,“ kläre ich ihn auf und er grinst. Der Rest ist vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)