Shards von UrrSharrador (At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 4: Detective Work ------------------------- Tokio, Japan Mittwoch, 1. August 2007 07:00 Uhr Tai gähnte. So früh aufzustehen, obwohl Ferien waren, lag ihm ganz und gar nicht. Ein Jahr lernen wäre seiner Ansicht nach schon schlimm genug, könnte man bis Mittag schlafen, aber dann nicht einmal in der Freizeit ordentlich ausschlafen zu können … Seine Schwester Kari kam in die Küche und richtete sich ihre Portion Frühstückmüsli her. Wie sie das frühe Aufstehen so einfach wegsteckte, ohne auch nur müde zu wirken, war ihm ein Rätsel. Er wollte schon etwas dazu sagen, ließ es dann aber bleiben, als sie den Fernseher einschaltete. Eine blonde Nachrichtensprecherin berichtete eben von einem Mordfall in West-Shinjuku. „Es handelt sich bei dem Opfer um einen vierzehnjährigen Mittelschüler, der ermordet in der Wohnung seiner Eltern aufgefunden wurde. Der Junge dürfte um die Mittagszeit alleine zuhause gewesen sein und am Computer gespielt haben, als der Täter ihn angegriffen hat. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Bislang wurde die Tatwaffe, vermutlich ein Messer, noch nicht gefunden. Die Polizei geht von einem Profi aus, da der Tod durch einen einzigen Stich ins Herz eingetreten ist.“ Kari schüttelte den Kopf. „Er war noch ein Kind …“ „Wer zum Teufel tut so was nur?“, brummte Tai, aber es klang abgestumpft. Meldungen wie diese kamen schließlich oft im Fernsehen, und die Frage nach dem Warum war meistens einfach nicht zu erklären. „Dieser grausame Mord ist nur einer in einer Reihe von insgesamt vier Kindermorden, die in den letzten Tagen in Tokio verübt wurden. Experten gehen von einem psychopatischen Serienmörder aus.“ „Soll ich umschalten?“, fragte Tai trocken. Kari schüttelte nur den Kopf. Also zuckte er mit den Schultern und biss in seinen Toast. Nun kam sowieso eine andere Meldung. Es dauerte nicht lange, bis Tais Handy lautstark klingelte. Mit vollem Mund hob er ab. „Izzy, was gibt’s?“ „Wo zum Teufel bleibt ihr? Ihr wolltet schon längst bei mir sein!“, ertönte die aufgebrachte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich hab dir gesagt, dass wir erst frühstücken, bevor wir zu dir fahren, und wir frühstücken noch“, mampfte Tai. „Verdammt noch mal, Tai, das ist wichtig, geht das nicht in deinen Schädel?!“ „Ist ja schon gut, wir kommen ja schon.“ Tai legte auf und schluckte erst mal hinunter. „Er ist so nervös in letzter Zeit, so kenne ich ihn gar nicht.“ „Es wird wirklich etwas Wichtiges sein“, meinte Kari unbehaglich. „Immerhin hat er sich extra bei seiner Firma krankgemeldet und versucht, uns alle zusammenzutrommeln.“ Und das Dumme war, dass sie Recht hatte. Tai nahm die Fernbedienung und schaltete den Apparat aus. Izzy wartete ungeduldig, bis die beiden in seinem Zimmer auf eilig herbeigeschafften Bürostühlen Platz genommen hatten. Er schämte sich fast selbst dafür, so ungeduldig zu sein, aber es ging einfach alles zu langsam: Gestern, seit seiner Mittagspause – obwohl diese offiziell wegen des Netzwerkproblems für die Supportabteilung ausgefallen war – hatte er versucht, alle DigiRitter ihrer und Davis‘ Generation anzurufen. Das Ergebnis war ernüchternd gewesen: In den Jahren hatten sie sich immer mehr aus den Augen verloren und das bekam er nun zu spüren. „Und? Stand der Dinge?“, fragte Tai. Izzys Augenbrauen sanken ein wenig. „Stand der Dinge: Entmutigend. Soll ich dir sagen, wen ich gestern erreicht habe? Außer euch hat mich nur T.K. zurückgerufen. Er sollte in den nächsten Minuten hier sein. Von ihm hab ich erfahren, dass Matt immer noch auf Tournee ist. Da also schon mal Fehlanzeige. Sora ist auch nicht im Land, und ich hab ihre momentane Nummer nicht.“ „Ich hätte sie dir geben können“, meinte Tai, aber Izzy winkte ab. „Es war dann im Endeffekt auch schon egal. Dachte ich mir zumindest, nachdem ich auch noch die anderen durchprobiert hatte.“ Er seufzte und wirkte nicht mehr genervt, sondern einfach nur erschöpft. „Von Mimi hab ich an die fünf Handynummern, aber sie hat bei keiner abgehoben. Wahrscheinlich fehlt mir gerade die, die sie momentan hat. Ich hab ihr dann noch eine Mail geschrieben, aber bis sie die liest …“ Er hob die Schultern. „Was ist mit Joe?“, fragte Kari. Izzy schnaubte. „Der muss lernen, sagt er. Wenn alle hier wären, würde er auch kommen, aber bis dahin hat er wichtige Sachen zu erledigen. Ich hab ihm dann gesagt, es eilt nicht, weil ich sowieso erst die Hälfte erreicht habe. Tja, Yolei ist bei ihrem Onkel in Korea auf Urlaub, Cody hat mich noch nicht zurückgerufen, Davis hat heute ein wichtiges Fußballmatch in Hokkaido … Tja, und Ken …“ Er sprach nicht weiter und auch Tai und Kari senkten betroffen den Blick. Das Unglück der DigiWelt hatten sie damals abgewehrt, aber Kens persönliches Unglück hatte ihn weiter verfolgt. Vor etwas mehr als einem halben Jahr waren beide seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Vor allem Davis und Yolei hatten versucht, Ken in dieser schweren Zeit beizustehen, aber er war immer abweisender geworden. Kurz darauf war er dann einfach verschwunden gewesen – er hatte weder auf Anrufe noch auf E-Mails reagiert. Polizeilich galt er als vermisst. „Soweit der Stand der Dinge“, brach Izzy das unangenehme Schweigen. „Aber das größte Problem, nein, die größte Gefahr ist: Gestern habe ich noch gedacht, es würde nicht eilen und wir könnten warten, bis wir alle wieder einmal in Tokio versammelt sind. Aber das hat sich jetzt geändert.“ Tai nickte. Izzy hatte so etwas schon am Telefon erwähnt. Da sie schon immer recht gut befreundet gewesen waren und er außerdem noch Ferien hatte, war er von dem Rotschopf als erstes angerufen worden und hatte auch sofort abgehoben. Es klopfte und gleich darauf kam T.K. herein. Er trug einen Jogginganzug und wirkte verschlafen, hatte aber eine ernste Miene aufgesetzt. „Hallo. Tut mir leid, dass ich so spät komme.“ Er nickte Tai zu und gab Kari einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Geht es dir gut?“, fragte er plötzlich, als er sich Izzy zuwandte. „Du wirkst irgendwie … krank.“ Tai stutzte und besah sich Izzy genauer. Jetzt, wo er es sagte: Der Computerfreak hatte tatsächlich tiefe Ringe unter den Augen und war blasser als üblich. „Es geht schon, danke“, winkte Izzy ab. „Es waren zwei anstrengende Tage für mich, das ist alles. Gestern das mit der Firma … und dann meine Recherchen über die neuen DigiRitter …“ „Wie war denn das gestern eigentlich? Wisst ihr, wer das Netzwerk gestört hat?“, fragte Tai, als T.K. sich einen Hocker schnappte und sich neben Kari setzte. Izzy wurde nachdenklich. „Außer mir weiß es keiner“, sagte er. „Es gibt mir auch keiner die Schuld, aber … Ich hab dir von diesem Jagari erzählt, Tai.“ Tai nickte. „Willst du damit sagen …?“ „Ja. Er war es. Er hat unser Firmennetzwerk gecrasht, und zwar gründlich.“ Tai hob ungläubig die Augenbrauen. „Aber stand er nicht auf unserer Seite? Wieso sollte er das tun?“ „Das kann ich dir sagen. Als er mit mir gesprochen hat, wollte jemand – oder etwas – bei seiner Tür herein. Er saß in der Enge und hat mir so viel es ging mitgeteilt, bevor er …“ Izzy brach ab und begann neu. „Tai, Kari, das ist das Problem, vor dem wir stehen. Wir müssen uns damit abfinden, dass offenbar jemand die DigiRitter umbringt.“ Schweigen trat ein. T.K. nickte. Tai fragte sich, ob er schon mehr darüber wusste als sie. „Laut Jagari gibt es in der DigiWelt noch einen DigiRitter, der dort Probleme verursacht oder etwas in der Art. Jagari hat gewusst, dass er nicht mehr lange Zeit hat, und sich an uns gewendet, damit wir dieses Problem lösen. Aber er hat befürchtet, dass der Feind herausfinden würde, dass er mit mir Kontakt hatte. Damit wäre ich als ehemaliger DigiRitter ebenfalls in Gefahr – und der Feind müsste nur ein wenig in Schularchiven und sonstigen Dingen stöbern und würde auch eine Verbindung zu euch allen aufdecken. Also hat Jagari, als er sich in unser Netzwerk gehackt hat, einen Virus mitgebracht, der dort alle Verbindungen zerstört und Chaos verursacht hat.“ „Aber warum muss er da so viel Schaden anrichten?“, fragte Tai zweifelnd. „Hätte es nicht gereicht, wenn er mit einem eigenen Computer offline geht?“ Izzy schüttelte den Kopf. „Ich könnte dir jetzt einen Vortrag über IP-Adressaufzeichnungen, Routerprotokolle, Datenverschlüsselung und noch einige andere Dinge halten, aber ich mach’s kurz: Wenn der Feind sich so gut mit Computern auskennt wie ich oder Jagari, weiß er zweifellos, dass er mit meiner Firma Kontakt hatte. Da Jagari aber unser Netzwerk lahmgelegt hat, kommt der Mörder da nicht ran und weiß somit nicht, mit wem genau er geredet hat.“ Izzy seufzte ergeben. „Soweit die Theorie.“ „Ja“, meinte T.K. bitter. „Ganz dürfte sein Plan wohl nicht aufgegangen sein.“ „Was meinst du damit?“, fragte Tai, aber T.K. schüttelte nur den Kopf und ließ Izzy weitererzählen. Seine Tonlage hatte sich verändert, als der Computerfreak sagte: „Matt hat mich heute Morgen angerufen. Er wurde angegriffen, in Madrid, scheinbar grundlos.“ „Ist das wahr?“ Tai und Kari rissen die Augen auf. „Das ist noch nicht alles. Matt hat mir noch mehr erzählt: Kaum zehn Minuten später hat derselbe Attentäter in Paris Sora und Mimi angegriffen. Sora wurde sogar verletzt.“ „Sora wurde …“ Tai sprang auf. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“ Er wirkte auf einmal, als würde er Izzy gleich an die Gurgel springen. „Beruhige dich“, murmelte T.K. „Es ist nichts Ernstes.“ „Bist du sicher, dass es derselbe Attentäter war?“, fragte Kari unsicher. „Hundertprozentig nicht. Er müsste immerhin mehr als tausend Kilometer in zehn Minuten zurückgelegt haben. Allerdings ist er nach dem Angriff auch spurlos verschwunden.“ Izzy machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. „Sora und Mimi sind momentan mit dem Zug auf dem Weg zu Matt. Mimi hat Palmon dabei, sie sind also wenigstens geschützt. Sobald sie bei ihm sind, fliegen sie alle drei zurück nach Japan.“ „Moment – wenn jemand Matt und Sora in Madrid gefunden hat …“ Tai hatte sich noch immer nicht gesetzt. „Ja, Tai. Dann sind wir in noch größerer Gefahr“, sagte Izzy und wirkte plötzlich etwas beklommen. „Und das alles, obwohl wir keine Ahnung haben, worum es geht“, meinte T.K. bitter. Izzy drehte sich auf seinem Sessel herum und wandte sich seinem Computer zu. Neben dem modernen Flachbildschirm standen auch noch zwei Laptops auf dem Schreibtisch. Izzy hatte immer die neueste – und teuerste – Ausstattung. „Das ist genau unser Problem. Ich fasse zusammen: Ein offenbar wahnsinnig gewordener DigiRitter bedroht die DigiWelt und steckt wahrscheinlich auch hinter den Attentaten. Das ist alles, was wir wissen, und es ist auf jeden Fall zu wenig, um eine Gegenmaßnahme zu treffen und uns zu schützen.“ Er machte nebeneinander ein paar Fenster auf dem Bildschirm auf. „Ich hab mich schon ein wenig schlau gemacht, was Jagari angeht. Er ist leider wirklich tot, sie haben’s heute Morgen in den Nachrichten gesagt.“ „Er war das?“, fragte Tai ungläubig. „Jagari?“ Izzy nickte, ohne ihn anzusehen. „Sein voller Name ist Jagari Morino. Ich habe sogar schon rausgefunden, wo er wohnt, und außerdem noch die Namen und Adressen seiner Freunde, von denen ich vermute, dass sie die neuen DigiRitter sind ... oder viel eher waren.“ „Wie hast du das geschafft?“, fragte T.K. anerkennend. Ohne eine Miene zu verziehen, sagte Izzy: „Eine kleine illegale Aktivität hier und da ist manchmal ganz nützlich.“ Er öffnete das Bild eines Stadtplans, auf dem Jagaris Wohnung eingezeichnet war. „Und was hast du jetzt vor?“, fragte Kari. „Bis wir nicht alle wieder versammelt sind, können wir wenig tun. Und selbst, wenn wir wieder alle vereint sind …“ Sie wussten alle, was er meinte. Seit sie MaloMyotismon besiegt hatten, hatten ihre DigiVices es nicht mehr geschafft, eine Verbindung zur DigiWelt aufzubauen, weder die der alten, noch die der jüngeren DigiRitter. „Was wir aber tun können, ist, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Als Jagari mit mir via Computer gesprochen hat, hab ich nur die Hälfte verstanden. Vielleicht stoßen wir bei ihm daheim auf Hinweise, was er mir noch hat sagen wollen.“ „Bei ihm daheim? Aber wie sollen wir das machen?“, fragte Kari unsicher. „Wir müssen uns eben etwas ausdenken. Es geht immerhin um die DigiWelt – und um unsere Leben“, sagte T.K. entschlossen. „Du meinst, das klappt?“, fragte Tai zweifelnd. „Warum nicht?“ „Ich weiß nicht … Ich find’s ein wenig taktlos.“ Izzy rollte die Augen. „Hör mal, das Schicksal der DigiWelt steht auf dem Spiel und wir befinden uns vielleicht in Lebensgefahr, und du …“ „Schon gut, ich hab’s nicht so gemeint“, sagte Tai schnell. Izzy sah ihn noch eine Weile missmutig an, dann drehte er sich zu der Haustür um. „Ich läute jetzt an“, verkündete er und drückte den Klingelknopf. Sie musste länger als eine Minute warten, bis ihnen von einer untersetzten Frau mit lockigen Haaren geöffnet wurde. Tai erschrak. Er hatte in seinem kurzen Leben schon viel erlebt, aber noch nie hatte er eine Frau gesehen, die derart zerstört wirkte. Ihre Augen waren leer, rot und verquollen und tiefe Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Sie ging ein wenig gebückt, als läge ihr eine schwere Last auf dem Rücken. Tai konnte es sich nicht vorstellen, was die Sache für sie bedeutete. Für ihn und die anderen war Jagari ein Mitstreiter gegen die Macht der Dunkelheit in der DigiWelt gewesen und sie hatten ihn nicht einmal persönlich gekannt. Für diese Frau war er ihr Sohn gewesen – Izzys Nachforschungen zufolge ihr einziger. „Ja?“, fragte sie mit zittriger Stimme. Tai räusperte sich. Sie hatten vereinbart, dass er redete, auch wenn er dazu absolut keine Lust verspürte. „Entschuldigen Sie bitte die Störung. Sind Sie Jagaris Mutter?“ Die Frau schluckte, ehe sie antwortete. „Ja, bitte?“ „Ich bin Taichi, das sind meine Schwester Hikari, Koshiro und Takeru. Wir sind … Freunde von Jagari.“ Er stockte. „Wir wollen Ihnen unser Beileid aussprechen“, sprang T.K. ein. Abermals schluckte die Frau, als müsste sie gegen die Tränen ankämpfen. „Danke. Jagari hat mir nie etwas von euch erzählt.“ Tai wollte schon etwas entgegnen, als sie sagte: „Aber das muss ja nichts heißen. Er war schon immer sehr verschlossen. Saß fast die ganze Zeit am Computer …“ „Bitte, wir würden auch gerne wissen, warum das mit Jagari … passiert ist“, sagte Kari. „Es war auch ein großer Schock für uns. Dürften wir uns vielleicht sein Zimmer ansehen?“ Die Frau rang sichtlich mit sich. Einen Moment befürchteten die DigiRitter, sie würde die Fremden einfach abweisen, aber dann sah man ihr regelrecht an, dass es ihr egal war. „Kommt herein.“ Sie führte sie direkt in das Zimmer am Ende des kurzen Ganges; das Haus war nicht sehr groß. Aus der Küche drang ein eigentümlicher Geruch und so laute Radiomusik, als hätte sich Jagaris Mutter damit betäuben wollen. Als sie die Tür öffnete, lag das Zimmer im Halbdunkel vor ihnen. Polizei und Spurensicherung waren schon wieder abgezogen, und man sah deutlich, dass noch niemand hier gewesen war, um aufzuräumen, und auch als die DigiRitter es betraten, blieb die Frau im Türrahmen stehen, als hätte sie Angst davor, einzutreten. Vor allem Izzy sah sich gründlich um. Es wirkte wie ein ganz normales Teenager-Zimmer und es war dasselbe, das er über das Chatfenster gesehen hatte. Allerdings … „Ich dachte, Jagari hätte hier einen Computer gehabt?“, sagte er. Jagaris Mutter nickte langsam. „Den hat die Polizei mitgenommen. Wegen der Spurensicherung … Er war komplett in Stücke gehauen …“ Die letzten Worte waren so leise und erstickt, dass man sie fast nicht verstand. In Stücke gehauen? Izzy tauschte einen Blick mit Tai. Dieser nickte. Nicht nur, dass der Attentäter trotzdem irgendwie von ihnen erfahren hatte, er hatte auch noch alles zerstört, was ihnen weiterhelfen hätte können. „Wer tut nur so etwas?“, wimmerte Jagaris Mutter, als Schweigen einkehrte. „Jagari war so ein lieber Junge. Er hat nie jemandem etwas getan. Die meiste Zeit war er nur in seinem Zimmer und hat am Computer gearbeitet. Vor einem halben Jahr in etwa hat er neue Freunde kennen gelernt. Übers Internet, hat er gesagt. Vielleicht sind sie ja schuld … Ich weiß es nicht.“ Das ist vielleicht gar nicht mal so falsch, dachte Izzy bitter und sah zu, wie die Frau ihre leeren Augen auf den Dielenboden richtete. Plötzlich war es den DigiRittern unangenehm, hier zu sein. „Hat er viel mit diesen Freunden unternommen?“, fragte T.K. auf einmal. Die Augen der Frau richteten sich auf ihn, als würde sie diese Frage überraschen. „Oh ja. Er ist oft nach der Schule mit ihnen zusammen ins Kino gegangen oder zum Fußball spielen, er hat sich auch manchmal in seinem Zimmer eingeschlossen, damit sie in Ruhe übers Internet Spiele spielen oder chatten konnten … Und einmal haben sie sogar einen mehrtätigen Ausflug in die Berge unternommen.“ Diesmal nickten sich T.K. und Kari zu. Das waren genau die Ausreden für einen kürzeren bis längeren Trip in die DigiWelt. Jagaris Mutter seufzte. „Mein armer Junge … Dabei hatte ich mich so gefreut, weil er früher nur mit seinen Computern gearbeitet hat …“ Es war Izzy, dem es auffiel. „Sagten Sie Computern?“ Die Frau sah ihn verwirrt an. „Ja, Computer. Er wusste alles über sie“, meinte sie. „Heißt das, er hatte mehr als den einen?“, hakte Izzy nach. „Selbst wenn, was …“, begann Tai, aber Izzy schüttelte den Kopf. „Wie sieht es aus?“ Die Frau musterte ihn einen Moment, dann lächelte sie. „Du hast genau den gleichen Ausdruck in den Augen, den mein Jagari immer hatte, wenn es um Computer ging.“ „Frau Morino, hatte Ihr Sohn noch einen Computer? Es ist wichtig.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Unten im Keller … Ein altes Ding. Wir wollten es wegschmeißen.“ „Dürfte ich es sehen?“ Izzy blieb hartnäckig. Jagaris Mutter musterte ihn zweifelnd. „Vielleicht hat Jagari uns darauf eine Nachricht hinterlassen“, sagte der Computerfreak hastig. Tai gab ihm einen unmerklichen Stoß gegen das Schulterblatt, aber das Argument schien die Frau – warum auch immer – zu überzeugen. „Kommt mit“, sagte sie und schlurfte mit hängenden Schultern los. Der Keller war vollgerammelt mit allem möglichen Plunder. Alte Fahrräder staubten hier genauso vor sich hin wie Familienalben, alte Radios und – ein alter Blechkasten, der der PC war, von dem Frau Morino gesprochen hatte. Izzy kniete sich neben dem Gehäuse nieder. Es waren Fingerabdrücke im Staub zu sehen. Am meisten überraschte ihn jedoch das Kabel, das aus der Hinterseite des Computers lief und in der Wand verschwand. „Er hat Strom“, sagte Izzy und deutete auf das grün leuchtende LED auf der Vorderseite. „Und er ist eingeschaltet.“ „Ich lasse euch hier allein. Das Zeug ist ohnehin wertlos“, meinte Jagaris Mutter und stieg die schmale Treppe wieder hoch. Offenbar hatte sie den Hoffnungsschimmer, Jagari könnte eine Nachricht hinterlassen haben, ebenso schnell fallen gelassen, wie sie ihn gefasst hatte. Izzy packte seinen Laptop aus und verband ihn mit dem Computergehäuse, um einen Bildschirm zu haben, dann schloss er eine Maus an den Uralt-PC an. Er brauchte nicht einmal ein Passwort, um sich einzuloggen. Auf dem blankblauen Desktop lag nur ein Ordner, in dem an die zwanzig Videodateien gespeichert waren. „Haha!“, rief Izzy aus. „Ich wusste es!“ Kari und T.K. schauten ihm neugierig über die Schulter. Tai machte sich nicht die Mühe, auf den Bildschirm zu sehen. „Was denn?“, fragte er gelangweilt. „Der Computer hier ist zwar alt, aber er hat anscheinend WLAN. Vielleicht hat Jagari ihn umgebaut. Er hat wohl gewusst, was ihm blüht, und benutzt ihn als eine Art RAID-System. Er hat die beiden Computer über ein Adhoc-Netzwerk verbunden, unser Gespräch gescreencuttet und ein Backup davon auf den hier überspielt.“ „Hä?“, machte Tai. Er kannte sich zwar ein wenig mit Computern aus, aber Izzys Fachchinesisch war wesentlich einfacher zu entschlüsseln, wenn man es sich einfach nochmal für Normalsterbliche erklären ließ. Izzy seufzte ungeduldig. „Er hat mit seiner Webcam das Gespräch mit mir aufgezeichnet. Wahrscheinlich hat er gewusst, dass es Bild- und Tonstörungen gibt. Außerdem hat er das Aufnahmeprogramm so umgeschrieben, dass es alle zehn Sekunden kurz unterbricht und das Folgende in eine neue Videodatei schreibt, während es die alte auf diesen PC hier im Keller kopiert. Was wir hier sehen“, er scrollte durch die Dateienliste, „ist das, was seine Webcam aufgenommen hat, in Zehn-Sekunden-Videos unterteilt. Der Attentäter hat zwar den Computer in seinem Zimmer zerstört, aber von der Datensicherung hier unten hat er sicher nicht mal gewusst. Genial!“ „Deine Augen leuchten wirklich, weißt du das?“, fragte Tai. Izzy hörte gar nicht zu. Er zückte einen USB-Stick, schloss ihn an und kopierte die Videos darauf. „Das reicht fürs erste. Daheim schneide ich sie zusammen, damit wir das ganze Video sehen.“ ================================== So, eher ein storylastiges Kapitel. Nicht besonders spannend, aber ich hoffe, dass die Nachforschungen trotzdem nicht langweilig waren, und ich will auch keine reine Action-FF hieraus machen. Ich finde, man sieht ganz gut, wie verstreut die DigiRitter nach den Jahren wirklich sind. Das nächste Kapitel wird DigiWar heißen und begibt sich wieder auf Kens Spuren. Bis dann! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)