Shards von UrrSharrador (At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 11: Another Angel down ------------------------------ Am Fuße des Ogusu-Berges, Japan Freitag, 4. August 2007 14:32 Uhr Das Lachen von Kindern drang leise an ihr Ohr und wurde kurz von der rufenden Stimme einer männlichen Aufsichtsperson übertönt. Wenn Matt über die Felsenkette lugte, die wie eine gewaltige Wurzel aus dem Boden ragte, konnte er die hölzernen Bauten sehen, zwischen denen Kinder in quietschbunten Kleidern umher huschten. Ein bebrillter Lehrer in einem weißen Hemd versuchte vergeblich, Ordnung in das Chaos zu bringen. Es war so ähnlich wie damals, auch wenn es so viele Jahre her war. Matt schloss die Augen und atmete tief durch. Hier hatte alles begonnen. Hier waren sie, vor acht Jahren, drei Tagen und etwa zwei Stunden, zum ersten Mal in die DigiWelt gesogen worden. Und auch heute war ein Feriencamp in vollem Gange, aber es würde wohl – für die Kinder – friedlich und ohne übernatürliche Vorkommnisse wieder enden. Er drehte sich um. Tais Toyota stand neben dem großen Wohnwagen geparkt, aus dem ein mäßig köstlicher Duft wehte – was auch immer dort drin brutzelte, roch ein wenig angebrannt. Die DigiRitter waren tatsächlich alle von Zuhause ausgezogen, unter dem Vorwand, einen gemeinsamen, mehrtägigen Ausflug mit Tais Wohnmobil zu machen. So würde es schwerer sein, sie ausfindig zu machen, sollte Ansatsu wirklich auch hier in Japan aktiv sein. Matt ließ die Augen über die Versammelten schweifen, die auf Hockern um einen Holzhaufen saßen, der dazu einlud, nachts ein Lagerfeuer zu entzünden. So lange würden sie allerdings nicht warten. Sie wollte sich noch schnell an dem zweifelhaften Essen stärken und dann alle gemeinsam mit Auto und Wohnwagen zu Fumiko fahren, wobei sie unterwegs anhalten würden, um Proviant für die Reise in die DigiWelt zu kaufen. „Wo sind die anderen?“, fragte Matt schließlich. Izzy sah Tai vorwurfsvoll an. „Du hast es ihm noch nicht gesagt“, stellte er fest. Tai schob sich das Reisbällchen in den Mund und schluckte es, ohne viel zu kauen, hinunter. Dann erst antwortete er und sah Matt fest in die Augen. „Wir wussten nicht, ob Fumiko solange durchhält, bis ihr da seid. Also habe ich Kari, T.K, Davis und Joe in die DigiWelt vorgeschickt.“ „Verstehe“, sagte Matt und ließ sich auf einen der freien Hocker sinken. Tai sah ihn verblüfft an. „Wie jetzt – du bist gar nicht wütend, weil ich T.K. in die DigiWelt geschickt habe?“ „Warum sollte ich? Er ist erwachsen genug. Und er hat Patamon“, meinte Matt und sah nun seinerseits so aus, als könnte er Tais Reaktion nicht verstehen. Dann jedoch wurde sein Blick lauernd. „Verschweigt ihr mir noch etwas?“ „Es ist so“, begann Izzy. „Nach allem, was wir wissen, gibt es in der DigiWelt gerade einen Krieg, in den mindestens drei Fraktionen involviert sind. Es dürfte dort also gerade ziemliches Chaos herrschen …“ „Und das sagt ihr mir jetzt?“ Matt war aufgesprungen und hatte Tai am Kragen in die Höhe gezogen. „Tai! Was fällt dir ein … Wenn ihr noch gar nicht mal wisst, wie es auf der anderen Seite aussieht! Das war verantwortungslos!“ Tai packte seine Hand und riss sie grob zur Seite. „Wie war das jetzt, er ist erwachsen genug?“, knurrte er. „Ich habe getan, was ich für das Beste hielt.“ „Aber ohne richtig nachzudenken – wie immer!“, zischte Matt. Sora war es, die dazwischen ging. Sie legte beiden die Hand auf die Schulter. „Hört bitte auf“, sagte sie. „Jetzt sind wir endlich wieder beisammen, und ihr streitet schon wieder.“ „Wir sind eben nicht alle wieder beisammen“, schnappte Matt, hatte sich aber schon beruhigt. Offenbar traute er T.K. doch mehr zu als früher und seine Reaktion war nur der Ausdruck seiner Sorge gewesen, von der er immer geglaubt hatte, er müsse sie um seinen jüngeren Bruder haben. Tai sah ihn mit gemischten Gefühlen an, aber Matts Wut flaute tatsächlich schnell wieder ab. Sie hätten auch gar keine Zeit gehabt, um weiter zu streiten, denn Izzys Handy klingelte – das einzige, das sie gewagt hatten, eingeschaltet zu lassen. Er hob ab, lauschte ohne Begrüßung ein paar Sekunden, dann wurde er sichtlich bleicher. Sein Atem ging zitternd, als er auflegte. „Wir müssen sofort los“, murmelte er. „Was ist denn los?“, fragte Tai alarmiert. „Es war Fumiko. Irgendetwas ist im Krankenhaus passiert. Sie hat Schreie gehört“, sagte der Computerfreak mit ernster Miene. Tai schluckte. „Ansatsu?“ Izzy machte eine Bewegung, die zwischen einem Schulterzucken und einem Nicken lag. „Wir müssen es annehmen.“ „Und ihr habt das Mädchen ohne Bewachung allein gelassen?“, fragte Matt ägerlich, als sie sich zu fünft ins Auto zwängten und Yolei, Cody und Palmon in den Wohnwagen einstiegen. „Wir brauchen Stunden, bis wir beim Nagano-Krankenhaus sind, das ist euch doch klar, oder?“ „Was hätten wir denn tun sollen?“, murrte Tai. „Uns aufteilen? Ihr seid Ansatsu nur wegen Palmon entkommen, oder?“ Matt wollte etwas sagen, aber Tai fiel ihm ins Wort: „Ich weiß, du hättest es anders gemacht. Das ist ja nichts Neues. Aber du warst auf der anderen Seite des Erdballs, also verkneif‘s dir!“ Pixel-Dorf, DigiWelt Unbekannte Zeit Durch das winzige Fenster in seinem Zimmer sah Ken die Sonne untergehen. Dennoch konnte es noch nicht sehr spät sein, vielleicht war es sechs Uhr abends. Wenn diese Eiswüste in der DigiWelt etwas mit dem hohen Norden der Realen Welt gemein hatte, dann brach die Nacht hier sehr früh herein – aber müsste nicht eigentlich gerade Sommer sein? Wo war dann die Mitternachtssonne? Oder war er im Süden, wo die Jahreszeiten anders waren? Aus seiner Zeit als DigimonKaiser wusste er, dass die meisten Gegebenheiten der Realen Welt auch hier Gültigkeit hatten, wenn auch längst nicht alle. Ob das auch für Jahreszeiten galt, hatte er nie für wichtig befunden und sich dementsprechend keine Gedanken gemacht. Und im Endeffekt war es ihm auch jetzt egal. Er war nun seit eineinhalb Tagen hier. Die Nacht, die er in einem – mehr oder weniger – echten Bett geschlafen hatte, hatte seine Kräfte wiedererweckt. Gestern am Abend sowie heute Morgen und mittags hatte Digitamamon ihm eine Schüssel mit breiigem Essen gebracht, von dem er mutmaßte, dass es nichts weiter war als dieselben geschmacklosen Pilze, nur zu Brei zerstampft. Erst war er froh gewesen, sein Quartier nicht verlassen zu müssen, aber je besser er sich fühlte, desto weniger hielt er es in dem stickigen Zimmer aus. Sein Fieber war so weit gesunken, dass er es kaum noch wahrnahm. Seinen linken Arm konnte er mittlerweile wieder bewegen, aber er kribbelte und juckte unerträglich, alles Kratzen half nichts; das Gefühl schien von der verästelten, schimmernden Narbe zu stammen und machte ihn fast wahnsinnig, aber ansonsten ging es ihm, den Umständen entsprechend, wieder gut. Obwohl ihn Moyamon eindringlich gewarnt hatte, es nicht zu tun, öffnete Ken schließlich die Tür und stieg möglichst leise die Treppe hinunter. Sein Wizardmon-Kostüm kratzte ihn am ganzen Körper und seine Haare waren unter dem Hut feucht von seinem Schweiß, als er unten ankam. Er brauchte dringend frische Luft, und außerdem musste er sich orientieren und ein wenig die Umgebung erkunden. Schließlich konnte er nicht für ewig in diesem Dorf am Rand der Welt bleiben. In einer wolkenverhangenen Nacht wie dieser würde man auch kaum sehen, dass er ein Mensch war. Digitamamon stand wie festgewurzelt hinter dem Empfangstresen im Erdgeschoss. Ken nickte ihm flüchtig zu, dann kam ihm ein Gedanke. „Du hast wirklich ein nettes Motel“, sagte er und hoffte, dass es nicht sarkastisch klang. „Danke“, schnarrte das Digimon, das im Grunde nur ein Ei mit Augen und Beinen war. „Man muss sehen, wie man hier zurechtkommt.“ „Und du hast auch hohe Gäste“, fuhr Ken fort. „Ich habe gehört, ein Lucemon von der DigiAllianz nächtigt auch hier.“ „Oh ja.“ Das Digimon klang stolz. „Das ist eine große Ehre für mich, auch wenn ich fürchte, es wird nicht lange hier blieben.“ „Verstehe“, murmelte Ken. „Wo ist es gerade?“ „Lucemon und seine Begleiter sind zu Mittag aufgebrochen, um die Hügel zu erkunden. Vor zwei Tagen hat dort eine Schlacht stattgefunden, das wollten sie untersuchen. Sie sind noch nicht zurückgekommen.“ „Verstehe“, sagte Ken erneut und leckte sich über die Lippen. Es wäre im lieber gewesen, wenn Lucemon in seinem Zimmer wäre, während er spazieren ging, aber jetzt wollte er auch nicht mehr umdrehen. Ohne ein weiteres Wort trat er in die schneidende Winterluft hinaus. In regelmäßigen Abständen brannten auf der Straße gelbe Fackeln, die nur Licht, aber keine wirkliche Wärme zu verstrahlen schienen. Es durfte wirklich noch nicht spät sein; trotz der Dunkelheit waren noch einige SnowAgumon und Icemon auf der Straße und auch die meisten der Stände waren noch besetzt. Ken schlenderte, möglichst unauffällig, die Straße entlang und versuchte sich genauer einzuprägen, wo er sich befand. Eines der Veggiemon-Händler konnte ihm sicher sagen, ob es in der Nähe eine Straße gab, die irgendwohin führte, wo man nicht ganz so sehr am Ende der Welt war wie hier. Sein Blick glitt weiter über die Stände – und dann zuckte er zusammen und drängte sich in die schattige Gasse zwischen zwei Häuschen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er hielt den Atem an. Obwohl er noch nie ein Lucemon gesehen hatte, erkannte er es sofort. Dennoch war er überrascht, als er keinen prächtigen Krieger vor sich hatte, sondern ein Digimon, das aussah wie ein Kind mit goldgelocktem Haar. Es trug nur eine weiße Toga, dennoch schien ihm nicht kalt zu sein. Aus seinem Rücken sprossen gleich zwölf Flügel, die dem Engeldigimon etwas Majestätisches verliehen. Flankiert wurde Lucemon von zwei Knightmon, herrschaftlichen Rittern in einer weißen Ganzkörperrüstung mit einem gewaltigen Schild und einem noch gewaltigeren Schwert auf dem Rücken. Lucemon war offenbar in ein Gespräch mit einem der Händler vertieft, das Ken nicht genauer verstehen konnte. Er war sich sicher, kein verräterisches Geräusch verursacht zu haben, doch eines der Knightmon griff plötzlich zu seinem Schwert. Lucemon wandte im gleichen Moment den Kopf und seine glockenhelle Stimme erklang lauter, sodass auch Ken sie verstehen konnte. „Ich weiß, dass du dich versteckst. Komm heraus!“ Ken gefror das Blut in den Adern. Die Stimme hatte so kalt geklungen wie der Schnee rings um ihn herum. Er hielt immer noch den Atem an und blaue Flecken tanzten bereits vor seinen Augen, aber er war unfähig sich zu bewegen. „Hörst du nicht?“, fragte Lucemon schneidend. Ken schluckte. Schweiß sammelte sich an seinem Kinn und seine Kopfhaut juckte unter dem lächerlichen Hut. Seine Kleidung war so durchweicht, dass er fror, wenngleich der Grund für seine zitternden Glieder ein anderer war. Auch wenn Lucemon nicht besonders gefährlich aussah – seine Begleiter waren es bestimmt und das kindliche Engeldigimon genoss sicherlich eine gewisse Autorität. Ken wollte, um die Sache nicht noch zu verschlimmern, schon aus seiner Deckung hervortreten, als er eine Stimme hinter sich hörte. „Wie von dir zu erwarten war, Lucemon. Allerdings irrst du dich, wenn du denkst, ich hätte mich vor dir versteckt.“ Lucemon kniff die Augen zusammen. Ken fuhr herum und spähte an der Hauswand vorbei. Da war eine Gestalt, die auf dem Dach von Digitamamons Motel stand. Der Mond kam soeben hinter ihr zum Vorschein und ließ die Umrisse eines zackigen Mantels mit hohem Kragen erkennen. Außerdem flatterten noch unzählige kleine, verschwommene Schatten dort in der Luft. Ken war im ersten Moment vor allem erleichtert gewesen, dass er offenbar doch unbemerkt geblieben war, doch bei diesem Anblick schlug das Gefühl um. Es war, als berühre eine kalte Hand seine Seele. „Ich kann jemanden wie dich meilenweit gegen den Wind riechen“, sagte Lucemon. „Bist du für die Schlacht auf den Feldern verantwortlich?“ Die Knightmon zogen ihre Schwerter, obwohl sie in ihren massigen Rüstungen nicht aussahen, als würden sie das Motel erklimmen können. Ken glaubte das Lächeln des Schattens zu spüren. „Nicht doch. Ich bin einzig und allein hier, um dich zu kassieren, Engelchen.“ Lucemon senkte den Kopf und runzelte finster die Stirn. „Wie von dir zu erwarten war. Aber deine Rechnung geht nicht auf. Ich werde die Welt von dir säubern!“ „Tatsächlich?“ Der Mantel teilte sich und die Gestalt breitete die Hände aus. „Du weißt, was passiert, wenn wir gegeneinander kämpfen. Willst du die unschuldigen Digimon in diesem Dorf da mit reinziehen?“ Lucemon trat herausfordernd einen Schritt vor und hob die Arme. Die Federn seiner Flügel sträubten sich. „Von jemandem wie dir lasse ich mir nicht drohen“, stellte es klar. Der Schatten klang verstimmt. „In Ordnung, dann lass uns beginnen. Erlaube mir, zuerst das Altmetall zu entsorgen. Albtraumkralle!“ In den Händen der Gestalt flackerte rotes Licht auf – und zwei blutrote Strahlen schossen auf die Knightmon zu und durchschlugen mit einem Knall ihre Brustpanzer. Wankend gingen die Ritterdigimon zu Boden und lösten sich in Daten auf. Lucemon zuckte nicht mit der Wimper. Ken fühlte sich wie mit eisigem Wasser übergossen. Diese Attacke … die Silhouette des Digimons, die Fledermäuse, deren Flügelschläge die Luft erfüllten … Sein Mund formte stumm den Namen des Wesens. Myotismon … Er fühlte sich wieder in jene Zeit zurückversetzt, als er als DigimonKaiser unsägliches Leid über die DigiWelt gebracht hatte. Damals war Myotismon der Auslöser von allem gewesen, hatte die Menschenwelt angegriffen, Oikawa umgebracht und beinahe die Herrschaft über beide Welten erlangt. Es hatte damals eine andere Form gewählt, aber Ken wusste aus den Erzählungen der anderen, wie seine Ultra-Form aussah, und er sah deutlich das Gesicht seines schlimmsten Feindes vor sich … Er zwang sich, sich zusammenzureißen. Myotismon war tot, und das seit vielen Jahren. Auch die Stimme war nicht die des Digimons von damals. Offensichtlich hatte er es hier mit einem anderen Myotismon zu tun – was nichts daran änderte, dass es todgefährlich war. „Einwohner des Pixel-Dorfes“, rief Lucemon mit klarer, lauter Stimme. „Hört meinen Rat: Flieht von hier, so schnell ihr könnt! Dieses Dorf wird zerstört werden!“ Die SnowAgumon und Icemon, die das Zwiegespräch verfolgt hatten, zögerten nur kurz, ehe sie tatsächlich ihr Heil in der Flucht suchten. Das Myotismon lachte nur. „Du versuchst, sie zu evakuieren? Ich will nur dich!“ Ken unterdrückte einen warnenden Ruf, als eine rot glühende Peitschte auf Lucemon zuschoss und das Engeldigimon keine Anstalten machte, auszuweichen. Die Albtraumkralle schlang sich um den zierlichen Körper und hob ihn hoch, bis Lucemon auf gleicher Höhe wie Myotismon in der Luft hing. Ein verirrter Lichtstrahl reflektierte Myotismons Grinsen, als es befahl: „So, meine Kleinen, Futterzeit!“ Kreischend und flügelschlagend stürzte sich die Fledermausarmee auf das hilflose Digimon, attackierten es mit Zähnen und Klauen und rissen ihm die Haut auf. Lucemon verzog immer noch keine Miene. Ken war unfähig, wegzusehen, als hunderte winzige Wunden den ehemals strahlenden Körper verunzierten und sich die weiße Toga langsam rot färbte. Digimon stürmten an Ken vorbei aus dem Dorf, ohne zurückzusehen. War er der einzige, dem das Schicksal dieses Digimons naheging? Dabei war es nicht einmal sein Freund … In diesem Moment schlug Lucemon die Augen auf und sah, fast gelangweilt, in seine Richtung. „Worauf wartest du, Wizardmon? Verlasse dieses Dorf, oder stirb. Ich gebe dir eine Minute.“ Ken schluckte. Es hatte ihn gesehen … aber nicht erkannt? Er riss den Blick von dem zerschundenen Engel los und stolperte die Gasse entlang, bis er die Häuser hinter sich gelassen hatte und bis zu den Knien im Schnee einsank. Er erklomm den Hügel, bis er den Waldrand erreichte, dann erst sah er zurück. Er konnte im glühenden Licht der Albtraumkralle immer noch Myotismon sehen, der am Dach des höchsten Hauses stand, und Lucemon, das von seiner Kralle festgehalten wurde und von einem Schwarm blitzender Zähne und schlagender Flügel umkreist wurde. Er wünschte sich, er könnte etwas tun, um dem Digimon zu helfen … Aber ohne Wormmon … Lucemon straffte mit einem Mal die Flügel und reckte den Kopf in die Höhe. Seine Augen veränderten sich und wurden furchteinflößend und starr. Etwas krachte und rumste, die Erde bebte. Mit angehaltenem Atem verfolgte Ken, wie sich hinter dem Dorf die Erde auftat. Schnee rieselte in die Tiefe. Myotismon schien diese Attacke auch Furcht einzuflößen, denn es löste seine Albtraumkralle auf. Lucemon entfaltete seine Flügel und verscheuchte damit die Fledermäuse, die sich kreischend an den Rückzug machten. Es blieb in dieser Position und faltete die Hände. „Planetenkreuz!“ Etwas geschah zwischen den Händen des Digimons – und mit einem Mal schossen riesige, farbige Kugeln auf Myotismon zu, so rasend schnell, dass man sie nur als Schemen sah. Ken zuckte zusammen. Ein grelles Licht flammte auf, als die Kugeln einschlugen. Häuser wurden zerfetzt, Holzteile flogen wie in einem unsichtbaren Sturm durcheinander. Gut die Hälfte der Hütten im Dorf brach unter diesem Angriff zusammen; Staub, Schnee und Rauch wirbelten auf und versperrten die Sicht. Ehrfürchtig wich Ken einige Schritte zurück. Das scheinbar schwächliche Digimon war stärker, als es aussah … Etwas Rotes blitzte durch die Staubwolken auf. Myotismons Albtraumkrallen attackierten wieder. Hatte die Attacke das Vampirdigimon verfehlt? Der Staubmantel wurde zerrissen, als Lucemon wie ein Habicht hindurchflog. Hinter ihm züngelten die roten Peitschen abermals, Myotismon war nicht zu sehen. Im Flug warf sich Lucemon herum und faltete erneut die Hände. „Planetenkreuz!“ Der Rest des Dorfes explodierte in den Kugeln, die es diesmal schoss. Aber das Engeldigimon beließ es nicht dabei. Ein drittes und viertes Mal schoss es das Planetenkreuz auf das Pixel-Dorf, in dem kein Stein mehr auf dem anderen liegen konnte. Ein Schwarm aus Fledermäusen schoss aus der undurchdringlichen Wolke hervor und umkreiste Lucemon, das sich die bissigen kleinen Biester nur schwer vom Leib halten konnte. Dann zuckte eine Albtraumkralle aus dem Nebel, umklammerte Lucemons Taille und riss es in die Staubwolke. Ein paar Mal blitzte noch etwas rot oder schwarz auf, dann gab es eine neuerliche, erdbodenerschütternde Explosion, verkohlte Häuserreste segelten durch die Luft und gingen unweit von Kens Versteck nieder, dann rumpelte und krachte es, als ob etwas Großes zum wahrscheinlich dritten oder vierten Mal einstürzte, und dann herrschte Stille. Es hatte zu schneien begonnen. Der Schnee bildete einen starken Kontrast zu der finsteren Nacht und die dicken Flocken ließen das verwüstete Dorf bald unter einer weichen Decke versinken. Ken kletterte über die Trümmer und verkohlten Holzbalken, die gleich Stacheln aus dem Schnee ragten. Seine Pluderhosen waren schon nach wenigen Schritten zerrissen und auch die Haut darunter kam nicht heil davon. Nachdem er gesehen hatte, wie ein riesiger Fledermausschwarm das ehemalige Dorf verlassen hatte, hatte er nicht länger gezögert und die Ruinen wieder betreten. Die gewaltige Staubwolke war immer noch so dicht, dass man nur wenige Schritte weit sehen konnte. Mehr und mehr schälten sich die Umrisse der Zerstörung aus dem Nebel und offenbarten erst, wie schrecklich das Dorf tatsächlich zugerichtet worden war. Er hatte sich wohl geirrt – es lag nicht nur kein Stein mehr auf dem anderen, es musste buchstäblich jeder Stein auch mindestens einmal auseinandergerissen worden sein. Ken erreichte das Zentrum der Staubwolke, die sich langsam legte. Es schien, als kämpfte der fallende Schnee den Staub nieder. Ein einzelner, angekokelter Dachbalken ragte schräg aus einem Trümmerhaufen. Ken hielt die Luft an, als er Lucemon sah. Das zierliche Digimon war daran aufgespießt worden; die zerrissene, verkohlte Spitze des Balkens ragte aus seinem Brustkorb. Blut lief Lucemon aus den Mundwinkeln. Seine Augen waren matt, als es Ken im gleichen Moment bemerkte wie er das Digimon, und ihn schwach ansah. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck wider, den Ken nicht deuten konnte. War er flehentlich? Oder überrascht? Jetzt erst merkte Ken, dass er seinen Wizardmon-Hut verloren hatte. Er musste ihm irgendwo beim Klettern über die Trümmer abhanden gekommen sein. Dann sah es für einen Moment so aus, als verzöge Lucemon spöttisch die Lippen. Es schloss die Augen und einen Herzschlag später löste es sich in einen glitzernden Datenwirbel auf. Ken war, als höre er Myotismons Lachen in dem Augenblick, in dem das Digimon starb. Und dann ertönte tatsächlich seine Stimme über die Horizonte: „Und wieder ist ein Engel gefallen!“ Es folgte ein weiterer Lacher, als erfreue sich Myotismon an der Zweideutigkeit seiner Worte. ================================== Ich möchte noch hinzufügen, ich weiß nicht, ob es wirklich der Ogusu-Berg war, wo sie einst ihr Sommercamp hatten, direkt erwähnt wurde es ja nicht, und ich hab mir einfach einen passenden Berg herausgesucht ;) Von dort zum Nagano-Krankenhaus braucht man wirklich recht lange. Tais Pläne sind eben doch nicht perfekt ... Ob Lucemon so wirklich zu besiegen ist? Ich dachte mir, warum nicht. Dieses eine ist eben gerade so stark. Das nächste Kapitel wird den Titel One Life tragen und ist bis jetzt mein persönliches Lieblingskapitel :D Also freut euch schon drauf ;) Wo wir schon dabei sind, danke nochmal an meine treuen Kommischreiber :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)