Shards von UrrSharrador (At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 24: I can't wait to see the Sunrise again ------------------------------------------------- Albtraumschloss, DigiWelt Donnerstag, 24. August 2007 01:31 Uhr Als Davis in das Zimmer zurückkehrte, fragte ihn niemand, wo er gewesen war. Das war ihm nur recht. Er kauerte sich am Boden zusammen. Seine Schulter juckte noch ein wenig von der Berührung des Geistes. Seine Gedanken wurden langsam schwerfällig, als er immer müder wurde, doch er wusste, schlafen konnte er nicht mehr. Alle würden sterben, bis auf ihn. Alle würden sterben, bis auf ihn … „Davis!“, drang Yoleis Stimme irgendwann wie durch Watte. „Was tust du da?“ Er blickte auf und blinzelte verwirrt in ihr bebrilltes Gesicht. „Was?“ „Dein Daumen! Du blutest!“ Verständnislos sah er auf seine Hand. Ja, sie schmerzte. Er war immer wieder mit dem Daumen über die Schneide seiner Axt gefahren und hatte sich einen tiefen Schnitt zugezogen. „Das macht nichts“, murmelte er apathisch, während er den rubinroten Blutstropfen betrachtete, der aus der Wunde sickerte. „Solange ich den Schmerz fühle, lebe ich noch.“ Yolei runzelte die Stirn. „Ist dir nicht gut?“ Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. „Du glühst ja!“, rief sie aus. „Was ist denn los?“ Izzy kam auf sie zu. Davis fegte wütend Yoleis Hand zur Seite. „Es geht mir gut“, knurrte er. „Aber du hast eindeutig Fieber. Du solltest dich ausruhen. Versuch ein wenig zu schlafen.“ „Schlafen?“ Davis‘ Stimme war heiser geworden. Er schüttelte langsam den Kopf und spürte, wie schwer er war. In seinen Ohren rauschte das Blut und er hörte, dass er schwer keuchte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er weiße Dampfwölkchen geatmet hätte. Außerdem war ihm schwindlig. Aber schlafen? Das durfte er nicht. Er wusste, dass er überleben würde, aber deshalb durfte er nicht unvorsichtig werden. „Nein“, murmelte er. „Wenn man hier einschläft, wacht man vielleicht nicht mehr auf.“ „Aber Davis, das ist doch …“ „Begreifst du es nicht?“ Wie konnte sie nur so dumm sein? „Das hier, das ganze Schloss oder Hotel, was immer das sein soll, das alles hier, das ist böse! Es hat einen Hauch des Todes an sich! Wir sind an einem Ort in der DigiWelt, an den nicht einmal Digimon gehen sollten!“ „Keine Sorge“, schaltete sich Izzy ein. „Wir haben jeden begehbaren Weg in dem Hotel abgesucht. Hier ist nichts, kein Digimon und sonst auch nichts. Und die ganze Nacht über kann auch nichts in das Hotel hereinkommen.“ Davis schüttelte nur den Kopf. „Sie könnten durch die Wände kommen …“, sagte er unheilvoll. „Es gibt hier Geister. Sie werden euch holen kommen …“ „Du legst dich jetzt ins Bett und schläfst“, sagte Yolei bestimmt und stand auf. „Du bist krank, es ist nicht gut, wenn du dich überanstrengst.“ „Ich werde auf keinen Fall sterben!“, fuhr sie Davis erbost an. Yolei blieb der Mund offen stehen. „Wer spricht denn vom Sterben? Davis, du …“ Ein Geräusch unterbrach sie. Ein Schaben und Kratzen ließ sie alle aufhorchen. Davis bekam große Augen. Es war soweit. Mühsam stand er auf und packte die Feuerwehraxt fest. „Ich gehe nachsehen, was das war.“ Damit ging er zur Tür und trat auf den Gang hinaus. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Yolei ihm folgen wollte. Er drehte sich um und fauchte sie an: „Ich gehe allein!“ Eilig stapfte er aus dem Zimmer. Es tat ihm leid, aber er wollte nicht dabei sein, wenn es geschah. Wollte seine Freunde nicht sterben sehen. Durch den fiebrigen Nebel in seinen Gedanken sah er, wie sich die hölzernen Wände des Ganges zu wellen schienen. Sein Sichtfeld war eingeschränkt, als wäre er betrunken. Hatte Yolei recht, war er krank? Er atmete tief aus. Das Geräusch wiederholte sich. Es kam von überall her, wie es ihm schien. Sollte er sich die Ohren zuhalten? Was auch immer da herankroch, es würde seine Freunde umbringen, alle, bis auf den letzten. Oder vielleicht brach auch die Zimmerdecke ein. Er wollte nicht sehen, wie es geschah. Eine Gestalt mit lilafarbenem Haar stand plötzlich neben ihm. Er drehte sich um und sah Yolei neben sich stehen. Es dauerte eine Weile, ehe er begriff, dass sie ihre Pistole in beiden Händen hielt und soeben entsicherte. Sie zielte den Gang entlang, von wo aus die Geräusche am lautesten kamen. Davis starrte auf die Waffe. Seine Augen wurden feucht. „Du bist es“, hauchte er. Jetzt war ihm alles klar. Sie hatte als einzige eine Waffe. Yolei sah ihn fragend an – und sah die Axt auf sich zusausen. Mit einem schrillen Aufschrei sprang sie zur Seite. Die scharfe Schneide berührte ihre Haarspitzen, sie taumelte gegen die Wand. Davis‘ Schlag hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er hüpfte auf einem Bein herum, stützte sich an der Wand ab und sah sie mit einem Ausdruck verzweifelten Irrsinns an. „Ich lass nicht zu, dass du sie tötest!“, schrie er guttural. „Davis!“, rief Yolei. Was sollte sie tun? Er ging wieder auf sie los, holte weit aus, doch sein Fieber ließ ihn taumeln und unscharf sehen. Die Axt krachte in die Holzwand. Der Aufprall ließ Davis zurücktaumeln und schwer mit dem Kopf gegen die andere Wand stoßen. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Die Axt entglitt ihm und er sank an der Wand herunter, halb das Bewusstsein verlierend. „Was ist passiert?“, hörte Yolei Izzys Stimme. Die anderen kamen aus dem Zimmer gerannt, sogar Tai, der in den letzten Stunden kaum ein Wort gesagt hatte. Yolei schüttelte nur ungläubig den Kopf und sah unsicher auf Davis hinab. „Ich … ich weiß nicht … Ich kann es mir nicht einmal selbst erklären …“ Das Schaben unterbrach sie abermals. Die DigiRitter sahen den Gang hinunter. „Da!“, rief Izzy plötzlich. Aus dem Boden und den Holzwänden grub sich etwas hervor, zerriss und zermahlte das Holz. Kräftige Beißwerkzeuge wurden sichtbar, dann raupenähnliche, warngelbe Körper von der Größe von Nudelhölzern. Es waren Kunemon, die sich durch das Holz nagten. „Igitt!“, spie Mimi den Digimon entgegen. Aus den Löchern quollen noch mehr der Raupen, immer mehr durchlöcherten die Wände wie einen Schweizer Käse. „Zurück!“, schrie Yolei und zielte mit ihrer Pistole. Ihre Hände zitterten wie verrückt; sie hätte wohl nicht einmal getroffen, wenn die Kunemon still gehalten hätten. Die krochen im Gegenteil immer näher an sie heran und gaben schrille Quietschgeräusche von sich. Das vorderste von ihnen spuckte aus seinem Maul einen elektrischen Strahl, der Yolei traf. Mit einem Aufschrei begann das Mädchen am ganzen Körper zu zucken und stürzte sich wie ein Kreisel drehend zu Boden. „Was tun wir?“, rief Mimi panisch. In dem Moment stürmte Tai an ihr vorbei, genau auf die Kunemon zu. „Tai!!“ Er schaffte es, über die meisten der Larven hinwegzusetzen, die immer noch stur auf dieses Ende des Ganges zukrochen; das hinterste trat er mit dem Fuß zur Seite. Kurz verschwand er in der Klavierkammer und trat dann mit einem zwei Meter langen Holzbrett bewaffnet wieder auf den Gang. Wie ein Berserker wütete er unter den Kunemon, trat sie zur Seite, fegte sie mit dem Brett weg, sodass sie gegen die Wände klatschten. Stück für Stück arbeitete er sich bis zu den anderen vor. „Zurück in das Zimmer!“, schrie er. Die Kunemon hatten ihn wohl endlich aus seiner apathischen Starre befreit. Yolei hatte sich von dem elektrischen Schlag erholt, nur Davis lag noch benommen am Boden. „Joe, hilf mir!“, rief Izzy und packte Davis unter den Achseln. Joe nahm seine Beine und gemeinsam trugen sie ihn ins Zimmer zurück. Rückwärts gehend folgten auch Tai und Yolei. „Die Axt!“, rief Tai. Mimi schnappte sie sich. Tai war der letzte, der am Gang blieb und die Kunemon grimmig erwartete. „Tai, komm schon!“, rief Izzy. Die Raupendigimon feuerten wieder Blitze ab, einer fuhr nur knapp an Tai vorbei. Das war das Zeichen für ihn, das Brett fallen zu lassen. Er wollte sich gerade auch in das Zimmer flüchten, als eines der Kunemon ihn plötzlich ansprang und seine Beißwerkzeuge in seine Brust schlug. Tai schrie auf, packte das glatte, leicht feuchte Digimon mit beiden Händen und riss es von sich fort wie einen Blutegel, was nicht ohne eine Schmerzfontäne vonstatten ging. Mit einem Satz war er bei den anderen im Zimmer und Izzy schlug kräftig die Tür zu. Tai war ein wenig bleich im Gesicht und ließ sich erschöpft gegen die Wand gelehnt zu Boden sinken. Kurz hörte man nur das Quietschen der Kunemon, dann ertönte erneut das grausige Schaben und der gelbe Kopf mit den blitzförmigen Mustern eines der Digimon bohrte sich durch das Türblatt. Yolei nahm breitbeinig Aufstellung, hielt die Luft an, zielte und schoss. Aus einem halben Meter Entfernung konnte sie es gar nicht verfehlen. Die Kugel riss das Kunemon aus der Tür und beförderte es zurück in den Gang, wo es sich in einen Datenwirbel auflöste. Der Knall ließ die anderen erschrocken aufquieken und durch das Loch in der Tür konnte man sehen, wie sie auf einmal aufgeschreckt Reißaus nahmen. „Alles in Ordnung?“, fragte Joe und kniete sich neben Tai nieder. „Es ist nichts.“ Joe zog die Hand fort, die Tai sich auf die Brust gepresst hatte. Ein faustgroßer Blutfleck zierte sein Hemd, wo ihn das Kunemon gebissen hatte. Blut sickerte immer noch hervor, wenn auch nicht allzu viel. „Mimi, gib mir dein Halstuch“, kommandierte Joe. Mimi sah aus, als wollte sie eine Frage stellen, dann stellte sie die Axt ab reichte Joe das Tuch. „Es ist einigermaßen sauber, wir werden es auf die Wunde pressen.“ Während der Arztsohn das Tuch faltete, kam Davis wieder zu Bewusstsein. Wo war er? Alles verschwamm vor seinen Augen, die Farben schienen nicht zu stimmen, mal zu grell, mal zu blass, mal komplett verkehrt … Was war passiert? Dann schälten sich die Umrisse der anderen aus dem Nebel hinter seinen Augen. Er spürte, wie schwindlig ihm war. Seine Wangen glühten und seine Schulter brannte wie Feuer. Heiß, ihm war so heiß …. und gleichzeitig musste er sich beherrschen, nicht zu zittern. Alles tat ihm weh, als hätte er eine schwere Sommergrippe. Dumpf vernahm er die Stimmen der anderen. Dann sah er Tai und erschrak. Sein Freund lag am Boden und blutete aus einer grässlichen Brustwunde. Es war soweit! Jemand oder etwas hatte ihn verletzt! Er würde sterben, langsam und qualvoll, würde verbluten … Es sei denn … Davis‘ Hand fand den Griff seiner Axt. Mit unendlicher Mühe stemmte er sich in die Höhe. Er musste schnell und genau sein. Er musste Tai erlösen. Izzy bemerkte ihn als erstes. „Davis, was ist los?“ Yolei fuhr herum, als sie ihn mit der Axt nähertaumeln sah. „Warte, Davis! Nicht!“, rief sie, schon ahnend, was er vorhatte, wenngleich sie es nicht verstand. Davis stieß sie grob aus dem Weg, holte aus und schlug mit der Axt zu. Tais Augen weiteten sich, als er die Schneide auf sich zufliegen sah. Dann wurde die Axt mitten im Flug hart gebremst, als Joe Davis an den Handgelenken packte. „Was soll das, Davis?“, rief er hyterisch. „Davis, hast du sie nicht mehr alle?!“, brachte Yolei hervor und wollte ihm die Axt entreißen, aber Davis entwickelte plötzlich Bärenkräfte. Wütend riss er sich los, stieß Joe von sich und holte hoch über dem Kopf aus. Tai hob abwehrend die Hand. „Davis – ich bin‘s! Was tust du da?!“ Mimi kreischte, als Davis‘ Axt niederfuhr und den Boden spaltete. Tai hatte sich gerade rechtzeitig zur Seite gerollt. „Spinnst du total?“, brüllte Yolei und versuchte einmal mehr, ihn zu packen. „Lass mich!“, schrie Davis mit Tränen in den Augen. „Er wird sonst leiden!“ „Du hast sie ja nicht mehr alle!“, schrie Mimi. „So tu doch einer was!“ „D-Davis, ganz ruhig!“ Tais Stimme zitterte, seine Pupillen flackerten unstet hin und her. Er konnte nicht fassen, was sich vor seinen Augen abspielte. „Ich bin ruhig!“, brüllte Davis, dass es ihm schier die Stimmbänder zerreißen musste. „Jetzt!“, kommandierte Izzy, und er und Joe packten ihn an den Armen und entrissen ihm die Axt. Mimi riss die Tür eines Schrankes auf. „Da rein mit ihm! Soll er sich da drin beruhigen!“ Mangels Alternativen steckten sie den wütenden und zeternden und fieberheißen Davis in den Kleiderschrank, warfen die Tür zu und drehten den Schlüssel um. Sie hörten ihn wie verrückt brüllen und von innen dagegen trommeln. Yolei rieb sich schaudernd die Arme. „Was … was ist mit ihm los?“ „Er halluziniert wahrscheinlich. Vielleicht ein Fiebertraum“, überlegte Izzy. „Einen Traum nennst du das? Er hätte fast Tai umgebracht!“, rief Mimi, deren Nervenkostüm sichtlich am Boden schleifte. „Und was tun wir als nächstes?“, jammerte Joe. Auch er klang aufgelöst. „Wir schieben das Bett vor die Tür. Die Wände sind nicht aus Holz, und durch die Mauer fressen sich die Biester hoffentlich nicht“, entschied Tai, fast wieder der Alte. Davis hämmerte mit den Fäusten gegen die rohe Schranktür, bis sie bluteten. „Lasst mich raus! Ihr werdet alle sterben! Ich muss euch helfen! Lasst mich hier raus!! Veemon! Hilf mir!“ Als er zunehmend heiser wurde, gab er auf, sank in sich zusammen, zog die Knie an und schluchzte. Ich werde überleben, schärfte er sich ein. Ich werde überleben … Nur wenige Minuten vergingen. Dann hörte er wieder etwas schaben und ächzen, dann ein lautes Brummen. Dann schrien seine Freunde draußen auf. Davis zuckte zusammen und schnellte in die Höhe. „Schnell!“, rief er keuchend und klopfte wieder gegen die Tür. Er bekam kaum noch Luft. „Lasst mich raus!“ Er hörte etwas summen, dann erklang ein Schuss aus Yoleis Pistole. Es war soweit. Seine Freunde hatten begonnen, sich gegenseitig umzubringen! Er musste sie aufhalten! „Na warte, du!“, hörte er Tai rufen. Kurz darauf schrie Mimi auf. Ein Axthieb traf eine Mauer. „Tai!“, schrie Davis aufgelöst und heiser. „Lass Mimi in Ruhe!“ Er drückte sich gegen die hintere Schrankwand und trat kräftig gegen die Tür. Endlich gaben die altersschwachen Scharniere auf und brachen. Die Holztür landete krachend am Boden. Als Davis aus dem Schrank kletterte, sah er, was wirklich los war. In der Decke, die dummerweise auch aus Holz bestand, klaffte ein riesiges Loch. Ein Insekt, so groß wie ein Hund, surrte pfeilschnell durch das Zimmer. Selbst Davis‘ benebelter Verstand kannte das Digimon. Es war ein Flymon. Seine Freunde rannten wie aufgeschreckte Ameisen im Zimmer herum und versuchten den giftigen Stacheln des Digimons zu entkommen, die es aus seinem Unterleib feuerte. Davis hob den Arm, ehe er merkte, dass er die Axt nicht mehr hatte. Mit der versuchte Tai soeben das Flymon aus der Luft zu holen. Yolei war auf das Bett gesprungen, das jetzt vor der Tür stand, und zielte mit der Pistole dem windschnellen Digimon hinterher. Joe langte zu ihr, packte die Waffe und drehte sie zu Boden. „Nicht!“, keuchte er. „Du könntest jemanden von uns treffen!“ „Davis!“ Tai rief seinen Namen. Er sah das Flymon direkt auf sich zukommen, es reckte ihm den rötlichen Stachel entgegen. Davis blieb ungerührt stehen. Tai warf sich auf ihn und riss ihn aus der Schusslinie. Das Flymon feuerte seinen Stachel zielgenau in die Überreste des Schranks. „Verdammter Idiot, wach auf!“ Tai verpasste Davis eine Ohrfeige. „Willst du dich umbringen?“ Davis befühlte seine Wange. Der Schmerz klärte seine Gedanken ein wenig. „Ich wäre nicht gestorben“, sagte er bestimmt. Tai schüttelte fassungslos den Kopf und stand mit der Axt auf, als sich seine Brustwunde wieder zu Wort meldete. Ächzend presste er die Hand gegen den Brustkorb. Plötzlich war Joe neben ihm und packte den Griff der Axt. „Du bist verletzt. Lass mich das machen.“ Tai ließ nicht los, auch nicht, als Joe daran zerrte. Er starrte den älteren nur ausdruckslos an. Joe erwiderte den Blick fest. „Tai, bitte. Lass mich meinen Beitrag leisten. Ich weiß, ich konnte Kari nicht retten, und ich werde es mein Leben lang bereuen, aber lass mich dir jetzt helfen. Lass mich wenigstens euch retten. Es soll niemand mehr sterben.“ Tai sah ihm in die Augen. Joe meinte es ernst. Er zögerte noch, dann ließ er los und überließ Joe das Feld. Der Blauhaarige wog die Axt in den Händen. Sie war wirklich schwer. „Was ihr auch tut, tut es bald!“, kreischte Mimi. Das Flymon hatte sie ein paar Mal quer durch den Raum gejagt. Joe schaffte es, hinter das Digimon zu kommen, und sprang. Er erwischte Flymon am linken Hinterbein, als es eben wieder auf sie zielen wollte, und zerrte es zu sich. Das Digimon summte laut auf und zerrte mit beachtlicher Kraft an ihm. Dann richtete es seinen Stachel auf ihn aus. Joe schlug zu und traf das Wespendigimon mit der Axt zwischen den Flügeln. Laut brummend taumelte Flymon zu Boden. „Jetzt, Yolei!“, rief Joe. Yolei trat zu dem am Boden zappelnden Digimon, zielte und drückte ab. Die Kugel durchschlug den gestreiften Kopf des Flymons und löste es in Datenfragmente auf. Erleichert seufzend sanken die DigiRitter zu Boden. Die Gefahr wieder gebannt. Fürs erste. Wieder einmal. Sora wachte auf, als sie jemand heftig an der Schulter rüttelte. „Sora! Sora, wach auf!“ Das war Matts Stimme – und er klang … seltsam. War es schon Tag? Müde blinzelte sie und sah im ersten Moment nichts, dann den Schein seines Handys. Es war noch tiefste, tintenschwarze Nacht. Matts Gesicht zeugte von Erleichterung. „Gottseidank“, murmelte er. „Gottseidank …“ Sein Gesicht … Irgendetwas stimmte damit nicht. Er hatte einen gehetzten Ausdruck in den Augen … Ehe sie darüber nachdenken konnte, drückte er sie so fest an sich, dass es weh tat. „Sora … Sora …“, schluchzte er. Das schockierte sie mehr als alles andere. Er weinte. Sie spürte seine Tränen an ihrem Nacken. „M-Matt“, sagte sie verdattert, „was ist denn los?“ „Ich … bin eingenickt“, flüsterte er mit erstickter Stimme. „Und ich habe geträumt … Ich habe geträumt, dass du gestorben bist.“ Sora erstarrte. Deswegen war er so aufgelöst … Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlte. In einer Situation, die an sich schon ein Albtraum war, einzuschlafen, und so fertig, wie er war … Er musste tatsächlich geglaubt haben, sie verloren zu haben. Sanft strich sie ihm durchs Haar. „Aber ich bin da.“ „Es war so real ... Du hast dich nicht mehr bewegt …“ Sie spürte, wie er die Augen zusammenkniff, sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Neue Tränen kamen. Sie konnte nicht sagen, ob sie ihn überhaupt schon einmal so erlebt hatte. „Es ist gut. Es war nur ein Traum“, sagte sie beruhigend und löste sich von ihm, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie waren feucht und voller Schmerz. Sora drückte ihre Wange gegen seine, hoffte, dass ihre Wärme seine Ängste zerstreute. „Siehst du? Ich lebe noch. Und ich werde nicht sterben.“ Matt schluckte hart. „Ich hätte nicht einschlafen dürfen. Das war die Strafe. Es war … es war schrecklich.“ „Ich weiß. Denk nicht mehr daran“, sagte sie leise. Es traf sie sehr, seine Angst so deutlich spüren zu können. „Wenn es doch nur schon Tag wäre“, flüsterte er und schloss in der Umarmung die Augen. Ein ziehender Kloß steckte in ihrem Hals. „Es ist erst kurz nach zwei“, sagte Sora nach einem Blick auf ihr Handy. „Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder die Sonne aufgehen zu sehen“, sagte er. Sora wusste, was er meinte. Es wäre ein Sonnenaufgang, wie sie ihn noch nie ersehnt hatte. „Bald“, sagte sie und strich wieder durch sein Haar. „Bald wird der Morgen grauen, Matt. Ein neuer Morgen, und wir werden diesen Ort verlassen können. Und wir haben die Karten. Dann haben wir es geschafft!“ „Wenn wir es schaffen“, murmelte Matt mutlos. „Es sind noch so viele Stunden … Es kann noch so viel passieren … Die Spinnen, das Devidramon …“ „Es wird gut werden.“ „Ich wünsche es mir auch.“ Schweigend saßen sie da und warteten. Keiner von ihnen konnte noch schlafen. Sie wachten, Seite an Seite, sich fest an den Händen haltend, warteten, dass sich hinter den Fenstern ein schmaler Streifen Tageslicht am Horizont zeigte. Am Gang blieb es still, nur einmal ertönte ein Rauschen, doch was immer es verursachte, es kam nicht in ihre Kammer. Sora hatte den Kopf auf Matts Schulter gebettet. Was auch geschehen mochte, selbst wenn im nächsten Moment ein Ogremon bei der Tür hereinstürmte, sie konnte zumindest jetzt noch seine Nähe genießen. „Matt?“ „Hm?“ „Ich liebe dich.“ „Ich dich auch.“ Er drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen. Dann schwiegen sie wieder, schwiegen und warteten, und die Nacht war endlos. Wann würde sich endlich die Sonne zeigen? Wann kam der Morgen? Würde es überhaupt je wieder Tag werden? Sie sahen nicht mehr auf die Uhren, sie sahen nur stumm aus dem Fenster, verloren jegliches Zeitgefühl in der Dunkelheit. Leise, fast flüsternd, begann Matt zu singen. „Hold me tight until the night is over, hold me tight, so there‘s no doubt between us, when the night is touching us softly, carrying us away on silent wings, just the two of us …“ Seine ruhige Stimme füllte die Dunkelheit. Sora schloss die Augen und lauschte dem Lied. Es war eines der letzten Lieder, die er bei den Teenage Wolves komponiert hatte, inspiriert von einer deutschen Band, und Sora liebte es. Sanft stimmte sie mit ein und sie wiederholten den Refrain, und noch einmal, und noch einmal. Es war ihnen nunmehr gleich, ob die Spinnen sie hörten oder nicht, sie sangen, wurden mal lauter, dann wieder leiser. Schließlich wusste Sora nicht mehr, ob sie noch wach war, oder schlief und Matts Stimme sie im Traum erreichte. Am Anfang sagte keiner von ihnen, dass er es sah. Sie waren sich beide nicht sicher, wollten sich keine Hoffnung machen. Doch dann wurde es zu deutlich, um es nicht zu bemerkten. Die Finsternis war ergraut und hinter den Fenstern war ein schmaler, blassrosafarbener Streifen am Himmel aufgetaucht. Sora lächelte. Noch nie hatte sie größere Erleichterung verspürt. Es war, als fielen Tonnen von ihr ab. Sie wusste mit untrüglicher Sicherheit, dass sie es geschafft hatten. Sie sah in Matts Gesicht. Er lächelte ebenfalls. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)