Shards von UrrSharrador (At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 31: Noble Ambitions --------------------------- Yokomon-Dorf, DigiWelt Dienstag, 28. August 2007 16:47 Uhr „Soll ich das etwa essen? Dieses Vogelfutter könnt ihr behalten!“ Miyuki warf die blecherne Schale von sich, dass die kleinen, braunen Körner auf die verängstigten Yokomon hinabregneten. „Ihr Biester habt keinen Geschmack. Ihr zwei da!“, herrschte sie zwei Yokomon an, die unter ihrem Blick zusammenzuckten. „Bringt mir Wasser, die ganze Warterei macht mich durstig.“ Das einzelne Yokomon, das auf ihrer Schulter saß und ihren Nacken mit seinen winzigen Tentakelchen massierte, hielt seufzend und erschöpft inne. „Ich kann nicht mehr …“ Miyuki machte ein abfälliges Geräusch. „Ihr seid wirklich zu nichts zu gebrauchen – ist das etwa zu viel verlangt?“ Sie packte das Yokomon an den Blütenblättern und schleuderte es von sich. „Wer macht freiwillig weiter? Oder soll ich jemanden aussuchen?“ Das Yokomon rappelte sich hoch, mit Tränen in den Augen. „Wenn Meramon noch hier wäre, würdest du dich das nicht trauen“, stieß es hervor. „Ah ja?“ Miyuki beugte sich in ihrem Liegestuhl gerade so weit vor, dass ihre Verletzung nicht einen heftigen Schmerzblitz durch ihre Hüfte schoss, und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. „Euer tapferes Meramon steht sich aber wahrscheinlich gerade als Wachposten bei der Allianz in irgendeinem Schlammloch die Beine in den Bauch.“ Sie ließ eine Beelzemon-Pistole in ihrer Hand erscheinen und wedelte damit vor den Yokomon herum. „Ihr bringt mir jetzt sofort was Richtiges zu essen, oder ich werde ungemütlich. Und ihr zwei da vorne, ihr massiert mich weiter.“ Während die Yokomon eilig taten, wie ihnen geheißen war, ließ Miyuki seufzend den Blick durch das Dorf wandern. Sie waren auf der FileInsel – und so wichtig die Insel auch für die DigiWelt war, in diesem Krieg bedeutete sie so gut wie nichts. Hier suchte niemand nach ihr. Trotzdem wäre sie lieber mit den anderen gegangen, aber Taneo hatte keine Widerrede geduldet. Dazu kam, dass sie überfällig waren. Miyuki fühlte wieder, wie die Wunde, die ihr Matts jüngerer Bruder zugefügt hatte, Schmerzen zu sprudeln begann. „Ihr könnt aufhören“, murmelte sie und scheuchte die Yokomon von ihren Schultern. Sie biss auf ihre Lippen, während sie darauf wartete, dass der Schmerz abklang. Insgesamt wurde die Verletzung zwar stetig besser, aber sie konnte es kaum abwarten, endlich wieder ohne fremde Hilfe zu gehen. Verdammt, sogar in den Liegestuhl hatte Ansatsu ihr helfen müssen! Sie war ihm bereits mehr schuldig, als sie je zurückzuzahlen bereit war. Die Sonne neigte sich schon dem Horizont entgegen, als endlich der Dorfplatz vor ihr zu flimmern begann und die anderen erschienen. Sie hatten sich verändert, und Miyuki wusste nicht, ob sie es jetzt immer noch bereute, nicht mitgegangen zu sein. Taneos Haare waren angesengt und sein Mantel stellenweise verbrannt und zerrissen. Kentarous linkes Brillenglas war gesprungen und er hatte eine frische Wunde an der Stirn. Außerdem war der Laptop, den er dabei hatte, ein anderer als der, den er sonst benutzte; sie waren also auch kurz in der Menschenwelt gewesen, um ihm einen neuen zu besorgen. Miyuki stellte sich vor, wie die alte Kiste jetzt aussah. Der Kampf war sicher ungemein heftig gewesen, denn normalerweise kam niemand auch nur in die Nähe von Kentarou. Außerdem hatten sie eine beachtliche Truppe Guardromon und sogar eines ihrer kostbaren MegaGargomon mitgenommen, von denen anscheinend kein einziges mehr übrig war. Aber das war bei diesem Gegner zu erwarten gewesen. Ansatsu sah noch am normalsten aus, allerdings hatte er einen noch grimmigeren Gesichtsausdruck als üblich. Und das alles nur, weil dieser unbekannte Vollpfosten es geschafft hatte, die DigiVice-Fabrik in der Schneeweite in die Luft zu jagen, ehe Ansatsu ihn hatte daran hindern können. Es war nicht so, dass Miyuki sich weitere Dunkle wünschte, vielleicht noch solche, die so tickten wie Aki, aber ein wenig Verstärkung wäre in dem Kampf, den sie gerade ausgefochten hatten und der sie einen großen Teil ihrer ohnehin recht karg gewordenen Armee gekostet hatte, wohl gar nicht so übel gewesen. „Hallo, Jungs“, begrüßte sie sie. „Ich dachte schon, ihr lasst mich hier anbrennen.“ Keiner erwiderte etwas. Taneo warf den Yokomon nur einen einzigen Blick zu, der ihnen klarmachte, dass sie dringend etwas zu essen und zu trinken brauchten. „Jetzt sagt schon. Habt ihr’s geschafft?“, fragte Miyuki. Taneo hob sein DigiVice. „Ja. Die Attacke, die uns zum Sieg verhelfen wird, ist hier drin gespeichert.“ Locomotown, DigiWelt Freitag, 31. August 2007 16:57 Uhr Es vergingen Tage, in denen im Lager einfach nur trainiert und die Umgebung erkundet wurde. Leomon hatte trotzdem alle Hände voll zu tun und wühlte sich durch einen Berg aus Spähberichten und anderen Neuigkeiten. Am Freitag, dem letzten Tag des Augusts, wurde erstmalig ein offizieller Kriegsrat in dem großen Saal im Rathaus von Locomotown abgehalten. Nicht nur General Leomon und die anderen hohen Würdenträger der DigiAllianz nahmen daran teil, Leomon setzte sich dafür ein, dass Tai und Matt ebenfalls dabei sein durften. Izzy ließ es sich natürlich nicht nehmen, ebenfalls sein Wissen aufzubringen, und als Tai zur Überraschung aller darum bat, auch Joe mitmachen zu lassen, gab Leomon seufzend bekannt, dass es wohl kein Problem war, wenn alle DigiRitter und ihre Digimon bei der Sitzung zugegen waren – bis auf Mimi, die sich in der Öffentlichkeit gar nicht zeigte. „Wir haben so viel Information über unsere Feinde gesammelt, wie es ging“, begann Meramon mit seinem Bericht. In der Mitte der O-förmig aufgestellten Tische erschien ein Hologramm mit Bildern, das Andromon dorthin projizierte. Die Freude der DigiRitter war groß gewesen, als sie in dem Cyborg-Digimon ihren alten Freund wiedererkannten, allerdings hatten sie bisher nicht viel Zeit gehabt, um mit ihm zu sprechen. Auch das Centarumon von damals war bei der DigiAllianz, allerdings bei den Spähern und soeben unterwegs, und Ogremon war bei der Sitzung nicht zugelassen, weil ihm anscheinend doch nicht alle vorbehaltlos trauten. Tai war es ein Rätsel, dass Ogremon und Leomon es in einem Lager aushielten, ohne sich ständig an die Gurgel zu gehen, aber der Krieg schien selbst ihr ewiges Kräftemessen auf Eis gelegt zu haben. Die Projektion zeigte das Bluray-Gebirge aus der Vogelperspektive, wobei ein bestimmter Bereich blau gehighlightet war. „Hier irgendwo befindet sich die Finsterzitadelle. Früher haben sich die Dunklen hier aufgehalten, doch als die Scherben erwachten und ihre losen Truppen sich wieder zu einer Armee zusammensetzten, haben sie sie von dort vertrieben und bewohnen die Zitadelle nun selbst“, erklärte Meramon. Nacheinander erschienen sich drehende 3D-Abbilder von Digimon. „Wer die Triumviratoren der Scherben sind, wissen wir schon seit längerem. Es waren zunächst Phantomon, SkullSatamon und LadyDevimon. Allerdings haben wir gehört, dass die Dunklen LadyDevimon ausgeschaltet haben. Vor kurzem ist ein neuer Triumvirator aufgestiegen, ein Mensch namens Takeru, der außerdem zurzeit der Marschall der Armee der Scherben ist.“ „T.K. …“, murmelte Matt. Tai bemerkte, wie grimmig er aussah. Sora drückte seine Hand. Sogar ein Bild von T.K. hatte die Allianz aufgetrieben. Er war kaum wiederzuerkennen: Eine schwarze Kapuze mit rotem Rand verdeckte sein halbes Gesicht. Blonde, zerzauste Haarsträhnen zwängten sich darunter hervor und wirkten länger als sonst. Seine Augen verschwanden im Schatten der Kapuze, der Rest seines Gesichts war ausdruckslos. Die Kapuze ging in einen wehenden Umhang über, der pechschwarz war, bis auf das ausgefranste Ende, das genauso blassrot war wie der Kapuzenrand. Das Foto war in der Bewegung aufgenommen worden, wohl inmitten eines Kampfes zwischen den Spähern der Allianz und den Albtraumsoldaten. In der rechten Hand hielt T.K. den Griff eines blitzenden Schwertes, die linke hatte er zur Faust geballt und etwas wie eine unnatürlich intensiv rote Flamme erschien soeben darin. Tai konnte kaum glauben, dass dieser Junge der sanftmütige, freundliche T.K. war, den er dachte, gekannt zu haben. Für einen Moment spürten die DigiRitter die Blicke von Leomon, Andromon und Meramon auf sich. Sie wussten natürlich, wer das da in der Projektion war. Tai war ihnen dankbar, dass sie keine Fragen stellten, hier vor dem guten Dutzend anderer Digimon. „Es ist schwer zu sagen, welche Gefahr von ihm ausgeht“, fuhr Meramon nach einer Weile fort. „Soweit wir wissen, verfügt er über ein DigiVice, wie es auch die Dunklen besitzen; außerdem wird in seiner Nähe oft ein Angemon gesehen.“ Das Flammendigimon machte eine Pause und musterte die Versammelten aus feurigen Augen. „Wir können also davon ausgehen, dass sowohl die Mächte der Finsternis als auch die Mächte des Lichtes unsere Feinde sind. Wir sind auf uns allein gestellt.“ Es sprach es nicht aus, aber jedes Digimon hier wusste wohl, was ein Angemon an seiner Seite bedeutete, das so gar nicht in das Regiment der Scherben passte. Dieser Takeru war ein DigiRitter, und Angemon sein Partner. Und das fütterte die Abneigung der Digimon gegenüber den DigiRittern noch mehr. Tai hoffte, dass der schlimmste anzunehmende Fall nicht eintrat, nämlich dass die Allianz-Digimon ungeachtet Leomons Befehle sie einfach verjagen oder töten würden. Daher war er erleichert, als das Bild wechselte. „Die Armee der Scherben kann grob in drei große Einheiten aufgeteilt werden. Als erstes haben wir die Hauptstreitmacht, die Bodenstreitkräfte der Albtraumsoldaten. In ihrer Schlagkraft sind sie uns wahrscheinlich in etwa ebenbürtig, aber wir haben bis jetzt noch keinen direkten Kampf ausgetragen. Angeführt werden sie von Musyamon, dem ersten General.“ „Soll das heißen, dass die große Armee der Scherben von einem Champion-Digimon angeführt wird?“, fragte Yolei verwundert. Sie erinnerte sich an ihre Begegnung mit einem Musyamon in Kyoto. Es war kein sehr eindrucksvoller Gegner gewesen. „So ist es“, sagte Leomon. „Aber Musyamon ist berüchtigt für seine wohl durchdachten Strategien und seine Grausamkeit. Es geht auch keine Risiken ein, weder für sich selbst noch für seine Truppen.“ „Deswegen haben sie unsere Armee auch noch nicht angegriffen!“, rief ein Rapidmon dazwischen. „Weil sie Feiglinge sind!“ „Taktik hat nichts mit Feigheit zu tun“, berichtigte es ein Jerrymon, dessen riesiger Baumkopf kaum in der Halle Platz hatte. Meramon überging die Zwischenrufe. „Dann haben wir die Marine der Scherben. Sie setzt sich neben Albtraumsoldaten auch aus einigen Überresten der Deep-Server Armee zusammen. Ihr General ist MarineDevimon.“ Ein Hologramm des furchtbaren Digimons, gegen das die jüngeren DigiRitter einst im Westend-Viertel gekämpft hatten, erschien. „Und zu guter Letzt noch die Luftstreitkräfte, das Vilemon-Battailon, das von einem Megadramon unterstützt wird. Ihr General ist der neue Triumvirator Takeru.“ „T.K. ist ja wirklich unglaublich in deren Reihen aufgestiegen“, murmelte Matt finster. „Die Marine und das Vilemon-Battailon wurden zuletzt in der Nähe dieser Küstenregion gesichtet, wo sie offenbar die Festung der Dunklen zerstört haben“, fügte Meramon hinzu. „Was?“, rief Tai und sprang auf, als die Karte erschien. Meramon schüttelte den Kopf, bevor er irgendetwas fragen konnte. „Die Dunklen waren allem Anschein nach nicht mehr dort. Es gab keinen Widerstand, laut unseren Spionen.“ Tai ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Es wäre ja wohl zu schön gewesen, wenn sich ihre Feinde gegenseitig vernichtet hätten. „Soweit die Informationen über die Scherben. Kommen wir zu den Dunklen. Sie sind Menschen, die mithilfe ihrer Geräte, den sogenannten DigiVices, die Attacken von toten Digimon kopieren und dann selbst einsetzen können. Wir konnten den Tod von einem von ihnen eindeutig feststellen.“ Ein Bild eines Menschen erschien, gehüllt in zerfetzte und blutgetränkte Myotismon-Kleidung. Der Kopf fehlte; der Hals des Dunklen ging in einen blutigen Stumpf über. Sora kniff die Augen zusammen und sah weg. Matt streichelte sie beruhigend über die Schulter. „Das war mit Sicherheit dieser Engelsmörder“, rief Joe. „Also hat T.K. Rache an ihm genommen?“ „Oder Davis“, murmelte Matt. „Oder vielleicht auch ein Digimon.“ Das grausige Bild verschwand zum Glück gleich wieder. „Wo sich die anderen vier Dunklen befinden, ist unklar, aber im Laufe der Zeit konnten wir einige Informationen über ihre Fähigkeiten erlangen. Zuerst ihr Anführer.“ Ein Bild von Taneo erschien. „Dieser ehemalige DigiRitter hat die neuen DigiVices entwickelt und an seine Anhänger verteilt. Allerdings hat er bisher nicht selbst gekämpft, sondern das die anderen machen lassen. Daher wissen wir nicht, welche Attacken er in seinem DigiVice gespeichert hat.“ Ein Bild von Ansatsu, dem Attentäter, erschien. „Dieser hier arbeitet als Meuchelmörder und Spion. Er ist für unsere Armee keine große Gefahr, da er eigentlich nur einzelne Ziele angreift.“ „Sein Name ist Ansatsu“, erklärte Izzy mit lauter Stimme, und die Versammelten drehten die Köpfe, um ihm zuzuhören. „Er war auch in der Menschenwelt und hat versucht, alle umzubringen, die den Dunklen gefährlich werden können.“ „Kannst du uns dann etwas über seine Fähigkeiten erzählen?“, fragte Jerrymon. Izzy schluckte, plötzlich ein wenig nervös. „Naja, er … beherrscht die Schwarze Planetenkraft von BlackWarGreymon.“ Aufgeregtes Murmeln wurde laut. „Das ist absurd!“ Rapidmon schlug mit der Kanone an seinem Arm auf den Tisch. „Das letzte BlackWarGreymon, das in der DigiWelt gesehen wurde, ist vor viereinhalb Jahren verschwunden, und selbst das war kein richtiges Digimon, sondern bestand aus schwarzen Türmen!“ „Das ist in der Tat seltsam“, sagte Matt und glich Rapidmons wütende Stimme mit seiner eisigen, vernünftigen Ruhe aus. „Er beherrscht nämlich noch eine Attacke von ihm – vermute ich. Sora, du hast erzählt, er kann drei Krallen aus seiner Hand wachsen lassen?“ Sora nickte. „Ich vermute, das ist der Drachenkiller von BlackWarGreymon.“ Rapidmon wollte etwas einwenden, aber Matt überrollte es einfach mit produktiven Informationen. „Außerdem kann er den Letzten Stich eines Stingmons einsetzen, und bei unserer letzten Begegnung konnte er sich einfach vor unseren Augen materialisieren. Wir vermuten, er hat die Fähigkeiten eines Parallelmons absorbiert.“ Die Versammlung schwieg. „Von dem Engelsmörder ist bekannt, dass er die Attacken eines Myotismons und eines Phantomons benutzte“, sagte dann Leomon. „Wir haben erfahren, dass die Dunklen, als sie in die DigiWelt kamen und die Festung des DigimonKaisers wieder in Betrieb nahmen, den Strudel der Finsternis besuchten. Zweifellos haben sie dort die Daten der gefallenen bösartigen Digimon gescannt.“ „Der Dunkle Strudel?“, rief Yolei. „Heißt das, Taneo hat dann doch die Macht der Dunkelheit in sich aufgenommen?“ „Muss nicht sein“, sagte Izzy nachdenklich. „Ken … Ich meine, der DigimonKaiser hat seinerzeit die Daten eines Devimons absorbiert, und zwar so sehr, dass er einen kompletten Arm von ihm reproduzieren konnte. Taneos Leute haben die Daten der Digimon wahrscheinlich nur auf ihre Attacken gescannt. Dass sie BlackWarGreymon dort drin gefunden haben, kann ich mir allerdings nicht vorstellen.“ „Ist doch völlig egal“, sagte Tai. „Vielleicht haben sie in irgendeiner entlegenen Einöde noch ein BlackWarGreymon gefunden. Meramon, was ist mit den anderen zwei?“ Ein Bild der jungen Frau mit dem wallenden blonden Haar erschien, der Yolei bereits begegnet war. „Wir kennen ihren Namen nicht, aber sie hat etliche Attacken in ihrem DigiVice, die Waffen wie Pistolen oder Kanonen beinhalten, so zum Beispiel den Patronentorpedo eines Beelzemons oder den Gerechtigkeitsflash eines Revolvermons.“ „Das passt“, meinte Yolei trocken. „Damals in der Menschenwelt hatte sie auch ein Scharfschützengewehr dabei.“ „Von dem letzten der Dunklen haben wir kein Bild, aber er scheint für unsere Armee am gefährlichsten zu sein.“ „Wieso das?“, fragte Tai. Ihm fiel auf, dass er bisher gar nicht gewusst hatte, dass es neben Taneo, Ansatsu, dem Engelsmörder und der Frau noch jemanden gab. „Es heißt, er koordiniert die Streitkräfte der Dunklen, die zum größten Teil aus Maschinendigimon bestehen. Wir vermuten, dass er sie mit Computerviren oder der DigiBombe eines Datamons umprogrammiert oder die Fähigkeiten eines Hagurumons, Maschinen zu kontrollieren, einsetzt und sie sich so gefügig macht. Und er kann auch andere Digimon unter seine Kontrolle bringen, heißt es.“ Cody horchte auf. „Du meinst, damals …“ Er erinnerte sich, wie er im Nagano-Krankenhaus gegen zwei Ninjamon gekämpft hatte, von denen das eine dann plötzlich die Seiten gewechselt hatte. „Dann hat er es kontrolliert!“ „Wir wissen nicht, wie viele Digimon er gleichzeitig beherrschen kann, aber wir müssen höllisch aufpassen, sonst erwischt er am Ende noch jemanden von uns. Und damit meine ich im Speziellen Maschinendigimon“, schloss Meramon mit einem Seitenblick auf Rapidmon. „Pah!“, rief das Digimon mit blecherner Stimme. „Ich bin ein Androidendigimon. Er wird kaum Macht über mich haben.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Joe. „Als wir … gegen den Engelsmörder gekämpft haben, ist ihm ein Rapidmon zu Hilfe gekommen. Das hat wohl auch dieser eine Dunkle gesteuert.“ „Willst du damit sagen, ich bin ein Verräter?“ Rapidmon richtete angriffslustig seine Kanonen auf Joe. „Äh, nein, nein, natürlich nicht“, beeilte er sich zu versichern und wurde blass um die Nasenspitze. Wie um alles in der Welt kam Rapidmon auf so etwas? Seine Schaltkreise schienen irgendeinen Gedankengang gemacht zu haben, den er nicht nachvollziehen konnte. „Ein Grund mehr, wachsam zu bleiben“, sagte Leomon, während Meramon zurücktrat. „Nun werden wir besprechen, was wir als nächstes tun sollen.“ „Ich bin immer noch dafür, dass wir als allererstes die Stadt des Ewigen Anfangs zurückerobern“, sagte Jerrymon. „Sie ist schon viel zu lang unter dem Joch der Scherben. LordMagnaAngemon hat sich immer quergestellt; ich hoffe, dass du die Idee besser findest, Leomon.“ „Es stimmt schon, dass die Stadt von den Albtraumsoldaten besetzt wird und ihre Brutstätte geworden ist“, sagte Monzaemon, das große Teddybärendigimon, das am anderen Ende der Tafel Tai gegenüber saß. „Auch, dass sie alle anderen Digimon töten, ist bekannt. Aber ich denke, die Stadt an sich ist nicht so wichtig. Bis ihre ausgeschlüpften Digimon weit genug digitiert sind, um zu kämpfen, wird es lange dauern. Wenn wir die Scherben jetzt direkt angreifen und vernichten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns auch die Stadt wieder gehört. Aber wenn wir unsere Kräfte darauf verwenden, die Stadt des Ewigen Anfangs zu befreien, müssen wir sie auch verteidigen und dann dauert es für uns genauso lange, bis unsere gefallenen Kameraden zurückkehren. Nein, ich finde, das rentiert sich nicht.“ „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Tai stand so wütend auf, dass sein Sessel umflog, und drosch mit beiden Fäusten auf den Tisch ein. „So einer wie du will bei der DigiAllianz sein? Es ist doch völlig gleichgültig, ob wir einen Vorteil davon haben oder nicht! Die Scherben töten frisch geschlüpfte Digimon! Ob sie nun wiedergeboren werden oder nicht – wie könnt ihr nur tatenlos dabei zusehen?“ Der Raum hüllte sich in betretenes Schweigen. Selbst Monzaemon schien nun nachdenklich. Tai war aber noch nicht fertig. „Könnt ihr wirklich frohen Mutes auf das Schlachtfeld spazieren, ohne zu wissen, dass es Hoffnung für eure Freunde gibt, wenn sie sterben? Was ist nur los mit euch?“ Er senkte die Stimme. „Wollt ihr mir weismachen, dass wir, die Menschen, von denen ihr glaubt, dass sie euch so viel Leid antun, uns mehr um eure Babys sorgen als ihr selbst?“ „Das ist eine Unverschämtheit!“, brauste Rapidmon auf. „Ganz ruhig“, sagte Jerrymon. „Ich finde, er hat recht“, sprang Andromon Tai in seiner mechanisch-monotonen Stimme bei. Leomon nickte. „Seid ihr alle dieser Ansicht, DigiRitter?“ Sie nickten unisono. „Dann habt ihr euch wirklich nicht verändert.“ Leomon erhob nun die Stimme. „Was diese Menschen sagen, ist vielleicht eine dreiste Behauptung, aber nun ist es an uns, diese Behauptung zu widerlegen. Die DigiEier und Baby-Digimon dürfen nicht länger unter den Albtraumsoldaten leiden. Darum werden wir Vorbereitungen treffen, die Stadt des Ewigen Anfangs zu befreien. Wer nicht dafür ist, soll jetzt sprechen.“ Leomon hatte offenbar wirklich enorm viel Einfluss und die anderen hatten Respekt vor ihm. Selbst Rapidmon ließ schließlich ergeben die Arme sinken. Das Löwendigimon nickte erneut. „Dann ist es entschieden.“ Als Tai nach der Sitzung völlig erschöpft in sein Zimmer zurückging, war er nicht überrascht, als er Mimi auf seiner Pritsche sitzend vorfand. Sie war in den letzten Tagen regelmäßig abends bei ihm vorbeigekommen. Sie hatten geredet, über ihre Schmerzen, Sorgen und Albträume, und das Leid gegenseitig gemildert, oder sie waren auch nur stumm nebeneinander gesessen. Tai warf einen Blick über die Schulter. Agumon war ihm nicht gefolgt, sondern trainierte noch mit anderen Rookie-Digimon auf dem Hauptplatz. Er schloss die Tür. „Hey“, sagte er und setzte sich neben Mimi auf seinen mittlerweile angestammten Platz. „Hey.“ Mimi hatte die Hände um die Bettkante geschlossen und wippte mit den Zehen, die gerade nicht den Boden erreichten, weil die Pritsche eher für Digimon von Ogremons Größe montiert war. „Wie ist es gelaufen?“ „Ganz gut. Ich hab mich bei Rapidmon unbeliebt gemacht.“ „Aha.“ Tai bemühte sich um ein Lächeln. „Aber ich habe gute Neuigkeiten. Wir werden Palmon zurückholen.“ „Wirklich?“ Mimis Augen leuchteten, aber es war ein vorsichtiges Leuchten. „Ich … ich dachte, die Scherben haben die Stadt des Ewigen Anfangs besetzt …?“, flüsterte sie. „Ja, aber wir werden sie befreien.“ Er verschwieg es sogar vor sich selbst, dass er sich nur ihretwegen so für den Plan eingesetzt hatte. Dass er den Mut aufgebracht hat, sich und seine Freunde mit seinen Worten zum erklärten Hassobjekt der Allianz-Anführer zu machen, und das alles ihretwegen. Um Mimi wieder mit Palmon zu vereinen. Um Mimi wieder lächeln zu sehen. Er packte sie an die Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. „Mimi, nun freu dich doch! Du wirst Palmon wiedersehen! Wir werden die Stadt einnehmen und es wird aus einem DigiEi schlüpfen, und dann werdet ihr wieder zusammensein, für immer!“ Mimi sah ihn immer noch aus großen Augen an, rührte sich nicht in seiner Umklammerung. Sie bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus. Tränen traten in ihre Augen. „Ach, Tai … Warum …“ Er sah sie fragend an. Die Tränen liefen über ihre Wangen. „Wie kannst du so voller Freude sein … Kari wird nie wieder zurückkommen … Und du freust dich über mein Palmon …“ Tai fühlte sich bestürzt. Würde sie etwa auch nicht froh sein, solange er noch trauerte? „Mimi“, murmelte er. Erst zögerte er, dann wischte er mit dem Finger ihre Tränen fort. „Wenigstens du sollst wieder lachen können. Du sollst wieder wie früher werden, vor diesem ganzen Abenteuer. Also lächle wieder, bitte!“ Mimi brachte tatsächlich so etwas wie ein zaghaftes, verwischtes Lächeln zustande. Dann warf sie sich Tai entgegen und drückte ihm ihre Lippen auf den Mund. Zunächst war er überrascht, dann schloss er die Arme um sie und drückte sie fest. Ihr Körper war warm und so zart wie eine Blume. Ihre Lippen schmeckten salzig von ihren Tränen. Schließlich löste sich Mimi etwas verlegen von ihm. Eine merkbare Röte legte sich auf ihre Wangen. „Es … tut mir leid“, sagte sie. Ihr Herz hämmerte wie wild. Sie hatte es getan! Sie hatte ihn geküsst! Und als sie es getan hatte, dachte sie, ihr Herz würde schmelzen, einfach zu schlagen aufhören, um schließlich die Zeit selbst anzuhalten, aber nun raste es wie verrückt in ihrer Brust. Sie tastete mit ihren Fingern nach ihren Lippen. „Es hat mich irgendwie einfach überkommen … Wahrscheinlich, weil ich einen Moment lang so … so glücklich war …“ Etwas schnürte ihr den Hals zu. Er sah sie immer noch erstaunt an, dann lächelte er. „Willst du dich etwa dafür entschuldigen?“ Für einen Moment war er wieder der Alte, wie sie erlöst feststellte. Vielleicht hatte nicht nur sie diesen Kuss gebraucht. Sie legte den Kopf auf seine Schulter. „Nein, natürlich nicht. Ich bin froh, dass ich es getan habe.“ Ihr Herz pumpte wie wahnsinnig weiter. Sollte sie etwa in Tai … Ja oder nein? Sie war sich deswegen nie sicher gewesen. Natürlich, sie hatte ihn früher mal recht gern gehabt; als sie in die Vereinigten Staaten gezogen war, hatte sie ihm oft Briefe geschrieben, die sie den anderen nicht geschrieben hatte, aber die Entfernung hatte eventuelle Gefühle schnell abflauen lassen. Vielleicht fühlte sie sich auch nur mit ihm verbunden, weil sie beide jemanden verloren hatten und deshalb ihre gegenseitigen Gefühle viel besser verstanden … Aber war es dann überhaupt Liebe? „Liebe blüht auch in der dunkelsten Einöde … und ihre Blüten sind dort am allerschönsten“, murmelte sie eine Zeile eines Gedichts, das sie mal gelesen hatte und das ihr nun wieder einfiel. „Hast du was gesagt?“, fragte Tai. „Ach nichts.“ Seufzend schloss sie die Augen. Sie wollte nicht darüber nachgrübeln. Vielleicht würden sie auch nur wieder die Freunde sein, die sie vorher waren, wenn sie erst Palmon wiederhatte. Aber für den Augenblick tat es unglaublich gut, ihm nahe zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)