Shards von UrrSharrador (At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 33: The Pirate's final Harbor ------------------------------------- Vor der Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt Sonntag, 2. September 2007 6:20 Uhr Als die DigiAllianz zeitig am nächsten Morgen, als noch dichter Waldnebel über den Boden kroch, ihr Lager abbaute, waren Tai und Mimi wie ausgewechselt. Oder eher – sie waren wie früher, bevor die Tragödie mit Kari passierte. „Wieso kannst du deinen Kram nicht selber tragen?“, maulte Tai soeben. Mit Kram meinte er Mimis eisernes Kurzschwert, das die DigiRitter von Leomon und dem Waffenmeister Knightmon bekommen hatten, um im Fall, dass sie selbst kämpfen mussten, gewappnet zu sein, als auch ihr Walkie-Talkie und den Rucksack mit Notrationen, die ebenfalls für den Ernstfall gedacht waren. „Spinnst du? Der Rucksack ist kratzig und ich ruiniere mir noch das Kreuz. Sei wenigstens einmal ein Gentleman und trag ihn für mich, so schwer ist das Zeug ja nicht“, sagte Mimi, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Wenn es nicht so schwer ist, warum muss ich es dann tragen?“ Ihr Gezanke ging noch ein wenig hin und her, und es lief darauf hinaus, dass natürlich Mimi ihren Willen bekam und Tai brav auch noch ihren Rucksack schulterte. Sora musste leise lachen. „Mit den beiden stimmt irgendwas nicht“, stellte Matt fest. „Glaubst du?“, fragte Sora vergnügt. „Mich erinnert das irgendwie an unseren ersten Tag auf der File-Insel.“ „Eben das meine ich.“ „Ach, Matt“, seufzte sie nachsichtig. „Sie sind erlöst, siehst du das nicht?“ Matt sah den beiden zweifelnd zu, als Tai Mimi ihr Schwert unter die Nase hielt. „Was soll ich damit?“ „Nimm wenigstens das, damit du eine Waffe hast, wenn’s gefährlich wird. An meinem Gürtel bringt dir das Ding nämlich gar nichts.“ „Dann musst du eben ständig hinter mir bleiben“, meinte sie schnippisch. Matt zog amüsiert den Mundwinkel hoch. „Vielleicht haben wir in nächster Zeit wieder mehr zu lachen.“ „Du bist fies, Matt.“ „Ich weiß.“ Bevor sie wieder nach Locomotown abzog, sah die Armee noch einmal bei der Stadt vorbei, um Wachen aufzustellen. Schon als sie sich dem Durchgang näherten, neben dem der Apemon-Wächter, den die Feiernden irgendwie vergessen zu haben schienen, immer noch schlief, sahen sie die Gestalt, die wie ein Schatten inmitten der verbleibenden DigiEier stand. „Was hast du hier zu suchen?“, brüllte Rapidmon, aber ohne auch nur auf eine Antwort zu warten, richtete es seine Kanonen auf den Eindringling. „Rapidfeuer!“ „Warte!“, wollte Matt rufen, aber es war zu spät. Zwei einander umwirbelnde Raketen bohrten sich durch die Luft auf die abgerissene Gestalt zu, die abwehrend die Arme hob, und dann wurde sie von der glühenden Explosion verdeckt. „Verdammt, halt dein Temperament im Zaum“, rief Matt wütend Rapidmon zu. „Du beschädigst noch die Eier!“ Die DigiRitter und Leomon rannten in die Stadt, während das Androidendigimon schmollend zurückblieb. Als sich der Rauch legte, waren sie überrascht, dass die Gestalt noch genauso wie vorher und offenbar ohne Kratzer dastand. Und ihre Überraschung wuchs, als sie merkten, dass es Ken war. „Ken!“, riefen die DigiRitter wie aus einem Munde und starrten ihn aus großen Augen an. Er hatte sich ziemlich verändert. Seine Haare waren länger, was nach einem halben Jahr in der DigiWelt kein Wunder war, und seine Kleidung war so zerfetzt und übelriechend wie die eines Landstreichers. Früher einmal mochte sie ein legerer Pullover und eine Jogginghose gewesen sein, jetzt war sogar ihre wahre Farbe undefinierbar. An seinem linken Arm schillerte bläuliches Licht wie eine glühende Schlange, die sich zur Schulter hochwand. Ein Lächeln breitete sich auf Kens Zügen aus, als er sie sah, aber er sagte nichts, sondern wandte sich ab und ging langsamen Schrittes durch die Stadt. „Was tust du denn hier?“, platzte schließlich Yolei heraus. Matt sah ihr an, dass sie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre, aber sein seltsames und unerwartetes Auftreten ließ sie wohl zögern. „Ich muss es finden“, sagte er. „Ich habe es schon einmal hier …“ Er stockte, ging ein paar Schritte weiter und hob schließlich lächelnd ein DigiEi auf. Unter seiner Berührung begann es zu wackeln, dann platzte die Schale auf und ein kleines grünes Digimon, das wie eine Knolle mit breitem Blatt aussah, purzelte in seine Hände. Er drückte es, glücklich lächelnd, an seine Brust. „Leafmon“, murmelte er. „Hallo, Ken“, antwortete das Baby-Digimon piepsig. Also war Ken die ganze Zeit über hier in der DigiWelt gewesen. Matt konnte es sich nicht anders erklären. Und er hatte Wormmon ein weiteres Mal verloren, und nun war es gerade rechtzeitig geschlüpft. Nein, das war es nicht. Es hatte nur auf ihn gewartet … Mimi war anzusehen, dass sie zu demselben Entschluss gekommen war und die Tatsache, dass Palmon noch nicht wieder bei ihr war, auf ihr Gemüt drückte. Matt wollte schon eine Frage stellen, als Ken sich zu ihnen umwandte. „Es tut mir leid, dass ich mich nicht schon eher auf die Suche nach euch gemacht habe“, sagte er, und es klang förmlich. „Ich war eine Weile ziemlich verwirrt. Als ich endlich wieder ich selbst war, habe ich zufällig diese Stadt gefunden und mir gedacht, ich könnte Wormmon vielleicht aus den Händen der Scherben befreien …“ Er streichelte Leafmon über den Kopf. „Aber offenbar wart ihr schneller. Ich danke euch, dass ihr die Scherben vertrieben habt.“ Während die DigiRitter ob seines plötzlichen Auftauchens immer noch sprachlos waren, wanderte sein Blick von einem zum anderen. „Wo ist Davis? Und Kari?“ Niemand antwortete sofort. „Das ist … eine lange Geschichte. Es ist ziemlich viel passiert“, sagte Cody. Ken war nicht von seiner Glückseligkeit abzubringen. Er lächelte den jüngsten DigiRitter an. „Du hast dich ganz schön verändert, Cody. Ich hätte dich kaum wiedererkannt.“ „Das sagt der Richtige“, gab Cody trocken zurück und Ken lachte, doch es klang immer noch, als hätte er Vorbehalte. Auch die anderen waren unsicher, wie sie mit ihm umgehen sollten. „Ich störe nur ungern eure Wiedersehensfreude“, sagte Leomon. „Aber wir müssen uns auf den Weg machen. Wird uns euer Freund begleiten?“ „Das wird er“, sagte Ken und sah Leomon fest in die Augen. „Du kannst den Digimon sagen, dass sich der Datenpirat ihnen anschließen wird.“ Leomons Gesicht zeugte kurz von Erstaunen, dann nickte es. Im Nu wurden ein paar Woodmon und Apemon zu den Wächtern der Stadt abkommandiert, die Oberaufsicht bekam ein Mammothmon zugesprochen, das für die Verhältnisse dieser Digimonart recht intelligent und weitsichtig war. Kurz darauf zog der ganze Trupp gen Locomotown. Es war ein beachtlicher Zug; die Wasserdigimon benutzten so gut es ging Flüsse, die Fußtruppen und die Vorratswagen minderten das Tempo des Trupps, die geflügelten Digimon, die am wenigsten Verluste von allen erlitten hatten, verdeckten den Himmel, während sie vorausflogen, um den Rest der Armee zu informieren, gemeinsam mit Rapidmon, das dieses Schneckentempo nicht aushielt. Die DigiRitter gingen vorne bei Leomon und dem Taktischen Stab. Leomon, Tai und Matt hatten Ken in ihre Mitte genommen und fütterten ihn regelrecht mit Informationen über ihre Armee und den momentanen Stand der Dinge. „Ich verstehe“, sagte Ken düster. „Also deswegen ist T.K. bei den Scherben. Und Davis ist fortgelaufen?“ „Ja. Wir vermuten, er hat es bei uns einfach nicht mehr ausgehalten“, sagte Matt. Ken legte den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die Sonne. „Ich habe T.K. getroffen“, sagte er. „Was?“ „In mei… in der Festung der Dunklen. Sie trieb im Wasser und T.K.s Truppen haben sie zerstört. Ich habe gehört, dass einer von euch … ich meine, einer von uns den Albtraumsoldaten beigetreten ist. Jetzt, wo ihr mir das erzählt habt, ergibt es endlich auch einen Sinn.“ Er überlegte. „Aber eines verstehe ich nicht. Ihr habt mir erzählt, er hätte damit gedroht, Angemon zu MagnaAngemon digitieren zu lassen, und ich habe Angemon mit eigenen Augen gesehen. Wie ist es möglich, dass es überhaupt zu einem Engeldigimon wird, wenn T.K. die Seiten gewechselt hat?“ „Das habe ich mich auch schon gefragt“, murmelte Tai und brachte seinen und Mimis Rucksack in eine angenehmere Position. „Als ich auch nur ein klein wenig zu erpicht darauf war, dass Greymon digitiert, und meinen Mut missbraucht habe, ist es zu SkullGreymon geworden.“ Auch Matt wusste darauf keine Antwort. „Wer ist der Datenpirat?“, fragte er. Ken lächelte schwach. „Habt ihr noch nicht davon gehört? Es ist so etwas wie mein neuer Spitzname.“ „Der Pirat ist schon länger in aller Munde“, mischte sich Leomon ein. „Es heißt, er beherrsche die Fähigkeit, die Attacken von Digimon abzuwehren und dabei zu kopieren. Dann kann er sie selbst einsetzen.“ „Ist das wahr?“, rief Tai. „So wie die Dunklen?“ Ken nickte. „Es liegt an dieser Narbe.“ Er hielt den Arm mit dem zerrissenen Ärmel hoch, sodass sie die Narbe gut sehen konnten. „Ich habe eine Maschine zerstört, mit der die Dunklen ihre DigiVices hergestellt haben. Irgendwie hat sich die Kraft dieser DigiVices dann mit meinem Arm verbunden.“ „Deswegen konntest du Rapidmons Attacke überstehen“, sagte Matt. „Wenn das so ist, ist es gut, dass du wieder mit uns kämpfst.“ Yolei ging weiter hinten und verstand die Worte nicht, aber es sah nicht so aus, als würde Ken jemand nach seiner eigenen Geschichte fragen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, ihn selbst so lange auszuquetschen, bis sie alles über seinen Verbleib wusste, und ihn dann zu schelten, weil er einfach abgehauen war, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Aber sie brachte es nicht über sich. Er hatte sich äußerlich so sehr verändert, sie war sich nicht sicher, wie es in seinem Inneren aussah. Sora schloss zu ihr auf. „Was hast du? Du hast noch kein Wort mit ihm gesprochen.“ Yolei wich ihrem forschenden Blick aus und seufzte. „Ich kann nicht.“ „Sicher kannst du. Frag ihn einfach, wie es ihm geht und wo er war.“ Yolei beobachtete, wie Ken das Leafmon in seinen Armen streichelte, und kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Aber ich kann doch nicht einfach so nach vorn marschieren und ihn vor aller Augen darauf ansprechen. Vielleicht will er nicht mal darüber reden.“ „Yolei, Yolei“, machte Sora kopfschüttelnd. „Sei doch einfach du selbst. Die Yolei, die ich kenne, läuft nicht einfach stumm hinter einem Freund, den sie über ein halbes Jahr nicht gesehen hat.“ Irgendwie hatte Sora ja Recht … aber trotzdem. Waren sie noch Freunde? Ken kam ihr so entfremdet vor. Wie hatte er sich genannt? Datenpirat? Sie fragte sich, was das wohl bedeutete. Während sie noch mit sich haderte, ertönte plötzlich eine dröhnende Stimme vom Himmel her. „An alle Spione, Späher und Informanten! Dies ist eine Nachricht an die Dunklen, und wer sie ihnen als erstes überbringt, wird zweifellos belohnt werden!“ Die Köpfe der Allianzdigimon ruckten in die Höhe, suchend. Doch vor allen anderen zuckten die DigiRitter zusammen, denn sie erkannten die Stimme. „T.K“, flüsterte Sora. Yolei nickte zaghaft. Oder? Die Stimme besaß einen unglaublichen Nachhall, er musste sie mit irgendetwas verstärken. Aber er war nirgendwo zu sehen. Die Yolei, die ich kenne … Vielleicht lag es an Soras Worten, oder sie tat es, weil sie die Zerrissenheit der Gruppe schon nicht mehr aushielt, diese ständige Eigenbrötlerei und Unentschlossenheit – T.K, der sich den bösen Digimon anschloss, Davis, der einfach abhaute, Tai, der kurz zuvor noch apathisch und jetzt auf einmal wie ausgewechselt war, Mimi, die ihr Palmon immer noch nicht hatte, aber dennoch froh wirkte, auf eine Weise, die Yolei sich nicht erklären konnte, und Ken, vor allem Ken, der ein halbes Jahr verschwunden war und plötzlich wieder auftauchte, jetzt Datenpirat genannt wurde und dessen Gedanken ihr mehr denn je verschlossen waren. Jedenfalls straffte sie die Schultern und kletterte kurzerhand auf den nächsten Baum, bis in den Wipfel, um nach dem Ursprung von T.K.s Stimme Ausschau zu halten. „Die Suche nach den Karten hat ein Ende! Wir Albtraumsoldaten haben acht von neun Karten beisammen. Da sowohl ihr als auch wir eine Karte doppelt haben, wird sich die Frage um Piedmons Wiedererweckung nur in einer entscheidenden Schlacht klären lassen.“ Sie stieg auf den höchsten Ast, der sie tragen konnte, und beschattete die Augen mit der Hand. „Da vorne! Da ist er!“, rief sie. „Yolei, komm da runter!“, rief Hawkmon und flatterte zu ihr herauf. „Sieh doch!“ Sie deutete auf den Schatten in der Ferne. Es war T.K.s Megadramon, in begleitung einer wuselnden schwarzen Masse; zweifellos das Vilemon-Battailon. Sie waren so weit weg, dass sie im dunstigen Himmel zu verschwinden schienen, und flogen ohne erkennbares Ziel in Schlangenlinien über die Landschaft. „Wir sind dabei, unsere Armee zusammenzuziehen und einen vernichtenden Schlag gegen euch zu führen. Myotismons Tor wurde von unseren Streitkräften bereits in den Thronsaal der Finsterzitadelle gebracht. Hört ihr mich, Dunkle? Es ist Zeit, dass ihr vor der Macht der Scherben erzittert! Wir alle wissen, dass ihr uns unterlegen seid – also mache ich euch ein Angebot: Bringt eure Karten freiwillig zu den Summenden Feldern, und ich garantiere euch, dass ihr die DigiWelt in Frieden verlassen dürft.“ Das Megadramon verschwand im Morgendunst, aber T.K.s Worte warfen ein langes Echo. „Hast du das gehört, Hawkmon?“, fragte Yolei. „Ich bin ja nicht taub“, konstatierte das Digimon. Yolei rutschte am Stamm zum Waldboden hinunter, klopfte sich den Schmutz von den Klamotten, und lief zu den anderen, die mit ihrem Marsch innegehalten hatten. „Er ist auf Megadramons Rücken“, berichtete sie aufgeregt und stellte sich zu Tai, Matt, Leomon und Ken, wobei ihr Blick auf letzterem hängenblieb. „Aber sie sind schon wieder weg. Sie haben uns nicht gesehen.“ „Er hat also tatsächlich Taneo herausgefordert“, stellte Leomon fest. „Wieso sollte er das tun?“, fragte sich Ken, der Yolei einfach ignorierte. Zumindest kam es ihr so vor. „Wenn er den Dunklen erzählt, dass sie ihre Armee zusammenziehen, werden sie das doch zu verhindern versuchen.“ „Genau das wird sein Plan sein“, sagte Matt grimmig. „Er lädt die Dunklen ein, sie zu verraten. Sie werden garantiert zu diesem Feld kommen – mit den Karten, aber auch mit ihren Truppen. Und dort wird dann die wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden. Denn statt nur eine Delegation auszuschicken, die die Karten abholt, wird T.K. mit der ganzen Armee dort auf sie warten.“ „Wo sind denn diese Summenden Felder?“, fragte Yolei, an Ken gewandt, aber er sah sie immer noch nicht an. „Das ist eine Felsebene im Bluray-Gebirge. Vermutlich befindet sich die Finsterzitadelle irgendwo dort in der Nähe“, erklärte Leomon. Ken nickte. „Ich verstehe. Und wer auch immer die Karten am Schluss gewinnt, muss nur noch in die Zitadelle und kann dort Myotismons Tor öffnen.“ Er sagte es zwar in die Runde, sah aber trotzdem nur Matt, Tai und Leomon an, und Yolei wurde es zu bunt. „Jetzt hör mal, Mister“, rief sie erbost, packte Ken an den Schultern und zwang ihn, in ihre funkelnden Augen zu sehen. Sie spürte Zornesröte in ihrem Gesicht aufsteigen. „Kann es sein, dass ich heute unsichtbar bin? Also – hier stehe ich. Also sieh mich gefälligst an! Wie wär’s mit einem einfachen Hallo?“ Ken sah sie einen Moment lang verdattert an, ehe er sich zu einem schwachen „Hallo, Yolei“ durchrang. „Das reicht nicht“, sagte sie, stieß ihn von sich und verschränkte die Arme. „Ich will jetzt sofort alles von dir wissen“, sagte sie. „Wo du die ganze Zeit warst, wie es dir ergangen ist, und was du erlebt hast. Ich will genau wissen, was dich bedrückt hat und was dein Kummer war, damit ich endlich wieder weiß, wer du bist!“ Ken starrte sie immer noch sprachlos an, dann schluckte er und eine sanfte Röte schlich sich auf seine Wangen und Yolei wurde plötzlich bewusst, was sie gesagt hatte. Viel zu spät, wie sie bemerkte. Verlegen wedelte sei mit den Armen. „Ähm, ich meine, natürlich nicht jetzt sofort und vor all den Leuten, aber … Wenn wir wieder in Locomotown sind und du ein eigenes Zimmer hast, dann reden wir, ja?“ Sie hörte Matt tief seufzen und Tai die Augen verdrehen, aber in Kens Augen, der sie noch einen Moment musterte, als sähe er sie heute zum ersten Mal, erschien plötzlich eine gewisse Wärme. „In Ordnung, Yolei“, sagte er lächelnd, und sie grinste zur Antwort. Locomotown, DigiWelt Sonntag, 2. September 2007 20:26 Uhr „Was kam eigentlich bei der Besprechung heraus?“, fragte Mimi. Sie lag auf der Pritsche in Tais Zimmer, nur mit der zerschlissenen Bettdecke bedeckt. Er saß neben ihr, und sie strich geistesabwesend über seinen bloßen Rücken. „Sie war einstimmig“, sagte er tonlos. „Wir werden in das Bluray-Gebirge ziehen. Es wäre zwar besser, wenn wir warten, bis sie sich gegenseitig vernichtet haben, aber wir dürfen nicht zulassen, dass während dem Kampf irgendwer von ihnen alle Karten auf einmal in der Hand hält.“ „Und wann?“ Sie zeichnete mit den Fingerspitzen die kleinen Höcker nach, die seine Nackenwirbel bildeten. „Gleich morgen früh.“ Ihre Finger hielten inne. „Wirst du wieder bei der Sturmtruppe kämpfen?“ „Ja.“ Mimi schwieg eine Weile, doch als sie sprach, krallte sie die Finger in die Decke. „Ich will nicht, dass du das tust“, sagte sie bestimmt. „Wir haben ihnen lange genug geholfen. Diesen Kampf werden sie doch wohl ohne uns schaffen.“ Tai schüttelte seufzend den Kopf. „Wir dürfen kein Risiko eingehen“, erklärte er und klang so sachlich und unberührt, dass es sie in Rage versetzte. „Risiko?“, rief sie mit erstickter Stimme. „Wer redet denn von Risiko? Du wirst gegen T.K. kämpfen müssen! Willst du das wirklich?“ „Ich muss es sogar“, sagte er. „Keines der AllianzDigimon wird ihn am Leben lassen, sollten sie wirklich gewinnen. Wahrscheinlich nicht einmal Leomon. Stell dir vor, was Rapidmon mit ihm anfangen würde, wenn es ihn gefangen nimmt! Deswegen müssen wir mitkämpfen. Um ihn zu retten.“ Mimi schüttelte fassungslos den Kopf und starrte dann die graue Wand an. T.K. hatte Palmon getötet, ohne mit der Wimper zu zucken, als Demonstration seiner Stärke … Dennoch konnte sie ihn irgendwie nicht hassen. Er hatte Kari verloren, und auch wenn ihm das nicht das Recht gab, anderen ihre Liebsten zu entreißen, so wollte sie ihn nicht auch noch sterben sehen … Am besten, es würde gar niemand mehr sterben! Wiedersehen wollte sie T.K. zwar auch nicht gerade, aber trotzdem … „Schön“, meinte sie schließlich schnippisch. „Dann komme ich mit.“ „Sei nicht albern. Du bleibst hier.“ „Sag mir nicht, was ich zu tun habe!“, fauchte sie ihn an. „Oder glaubst du, ich wäre dir ein Klotz am Bein? Wenn das so ist, dann hast du wohl keine Wahl, als am Rand des Schlachtfelds zu bleiben.“ Tai seufzte. „Du bist echt … schwierig.“ „Dann passen wir ja gut zusammen“, meinte sie spitz. Locomotown, DigiWelt Sonntag, 2. September 2007 21:53 Uhr „Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte Matt, als er Sora wach in ihrem Bett vorfand. Sie hatte die Decke bis zu ihrer Nasenspitze hochgezogen und starrte zur Decke. „Ich muss immer … an morgen denken.“ Matt seufzte tief. „Nicht nur du.“ „Du wirst T.K. gegenübertreten müssen.“ „Ja“, sagte er düster. „Obwohl ich es vermeiden will, so gut es geht. Aber er gehört jetzt zu den feindlichen Anführern.“ Eine Weile schweigen sie beide. Matt blieb in der Tür stehen. Er wollte heute Nacht lieber alleine sein und war nur gekommen, um zu sehen, wie es ihr ging, vor der finalen Schlacht. „Du glaubst es vielleicht nicht“, sagte Sora nach einer Weile in die Dunkelheit hinein. „Aber ich bin froh, wenn es vorbei ist. Egal, wie es ausgeht“, fügte sie flüsternd hinzu. „Ich will nur, dass es zuende ist.“ Matt schwieg. Ken ließ sich die Ereignisse des Tages durch den Kopf gehen und stellte fest, dass er glücklich war. Endlich war er wieder bei seinen Freunden, an dem Ort, an den er gehörte. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sehr er sie vermisst hatte. Schmunzelnd dachte er an Yolei. Sie hatte ihn ausgequetscht wie eine frische Orange und sich erst zufrieden gegeben, nachdem sie sämtliche Details über seinen Verbleib in Erfahrung gebracht hatte, angefangen von dem Unfall seiner Eltern über seine Reise in die DigiWelt – wie sie gemeinsam herausgefunden hatten, war das Tor deswegen offengestanden, weil zu der Zeit die neuen DigiRitter zum ersten Mal in die DigiWelt gerufen worden waren – bis hin zu Wormmons Tod und Kens ziellosem Umherstreunen in der DigiWelt. Dann hatte Yolei mit einem grinsenden „Na also, jetzt geht’s dir bestimmt besser“ seine Erzählung quittiert, und da es spät gewesen war, hatten sie sich alle in ihre Schlafräume begeben, und nun war Ken erstmals wieder mit seinem Digimonpartner allein. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher nach dir gesucht habe“, flüsterte Ken. Er hatte eine schmale Kellerwohnung bekommen, da es ohnehin nur für einen Tag war. Die Allianzdigimon begegneten ihm mit einer Mischung aus Respekt und Misstrauen, aber keiner wollte wirklich ein Gespräch mit ihm anfangen, und es war ihm auch recht so. Leafmon, das nach dem Abendessen zu dem tannenzapfenähnlichen Minomon digitiert war, hüpfte auf Kens Bauch herum. „Mach dir keinen Kopf. Ich habe gern auf dich gewartet, Ken.“ Er hatte ihm alles erzählt, was er erlebt hatte, und Minomon war zutiefst beeindruckt, kam sich aber offenbar auch ein wenig fehl am Platz vor, nun, da er selbst Attacken beherrschte, die es nie erlernen würde. „Wirst du mich morgen kämpfen lassen?“ „Nein“, sagte er und sah es ernst an. Minomon wirkte traurig. „Du bist erst heute Morgen geschlüpft. Und ohne Veemon kannst du nur bis zum Champion-Level digitieren.“ „Aber ich kann trotzdem kämpfen!“ Ken erinnerte sich an den letzten Kampf. Daran, wie Stingmon von diesem Menschen besiegt worden war. Nein, nicht nur besiegt. Vernichtet. „Du wirst nicht kämpfen“, sagte er bestimmt. „Und jetzt keine Widerrede mehr.“ Wälder, DigiWelt Sonntag, 2. September 2007 22:33 Uhr „Ist auch wirklich alles in Ordnung, Davis?“ Raidramons Stimme zeugte von Sorge. Davis‘ Zustand hatte sich in den letzten Tagen nicht wirklich gebessert. Das Mal auf seiner Schulter hatte sich entzündet und sah nun eher wie eine alte Wunde aus als ein Handabdruck, und sein Fieber war zurückgekehrt. „Jaja“, sagte Davis, während sie durch die Wälder ritten. Auch sie hatten T.K.s Verkündigung gehört. Davis hatte bisher noch gar nicht gewusst, dass sein ehemaliger Freund bei den Scherben war. Die Ansage machte es ihm klar. T.K. war wahnsinnig. Und Kari … wie hatte sie ihn nur jemals lieben können? Es war ihm mehr denn je ein Rätsel. Davis‘ Hände krallten sich fester um Raidramons Schulterstacheln. Nicht nur, dass er sie nicht beschützt hatte, dass er sie einfach hatte sterben lassen – jetzt machte er auch noch gemeinsame Sache mit dem Feind! Er hatte sie betrogen, ausgenutzt, Davis kam sogar der Gedanke, T.K. könnte schon länger auf der Seite der Scherben stehen, vielleicht sogar von Anfang an? Oikawa hatte ja auch von Myotismon Versprechungen bekommen und war darauf eingegangen, vielleicht war T.K. ebenfalls, als einfältiges, kleines Kind, auf die Seite der Dunkelheit gezogen worden, und sein Hass auf selbige war nur gespielt gewesen, um jeden Zweifel an seiner Gutartigkeit zu ersticken? Was, wenn er mit Piedmon schon seit damals gemeinsame Sache machte? Wenn es ein Plan gewesen war, ihn zu verbannen, um ihn nun wiederzuerwecken? Davis konnte sich nicht vorstellen, wozu das hätte gut sein sollen, aber das hieß nicht, dass es nicht möglich war … Stöhnend rieb er sich den Kopf. Ein Nadelkissen schien darin explodiert zu sein. „T.K. …“, knurrte er. „Du falsche Schlange …“ „Sollen wir eine Pause machen, Davis?“ „Nein …“ Er würde nur einschlafen und wieder von ihr träumen. Und immer war T.K. in seinen Träumen an ihrer Seite, jedes Mal. Es machte ihn wahnsinnig. Er, Davis, hätte es sein sollen. Er hätte ihr Freund sein sollen, von Anfang an, er hätte es sein sollen, der in der Rauchenden Krone mit ihr in ihrem Zimmer … Ein Schmerzblitz rief Übelkeit in ihm hervor. „Halt … halt an …“, keuchte er und würgte. Raidramon blieb stehen und ließ ihn absteigen, und Davis übergab sich auf den Waldboden. Bitterer Gallegeschmack blieb auf seiner Zunge übrig. T.K. hatte nichts unternommen, um Kari zu schützen … schlimmer noch, er hatte sie ihm weggenommen, auf mehr als eine Weise, und anstatt Verantwortung zu zeigen, arbeitete er jetzt mit der Macht der Dunkelheit zusammen. „T.K, du verräterischer Mistkerl“, zischte Davis, während der Baumstamm, an dem er sich abstützte, sich vor seinen Augen verdoppelte und seine Sicht verschwamm, nur um beim nächsten Schmerzanfall in seinem Hinterkopf wieder kristallklar zu werden. „Dafür … werde ich dich töten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)