New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 10: Minneduell ---------------------- Tag 22 „Nicht nachlassen!“, schrie Davis und rannte atemlos neben Ex-Veemon her. Die Bakemon verglühten im Licht der Attacken, und hier in der engen Höhle konnten sie ihre Flinkheit nur begrenzt ausspielen. Ihnen allen war klar gewesen, dass sie die Blütenstadt ohne den Wall keine weitere Nacht halten konnten. Also hatten sie kurzerhand die Initiative ergriffen. Nach wenigen Stunden noch weniger erholsamen Schlafes war der größte Teil der Besatzung ausgeschwärmt, um die nahen Gebirgstäler zu durchkämmen. Bei Einbruch der Nacht traten wieder die Geister hervor, nur noch wenige diesmal – der endlose Strom der unheimlichen Digimon war endlich unterbrochen. Dank der AeroVeedramon und Unimon konnte der Rest der Truppe rasch von dem Ort informiert werden, aus dem die Bakemon und Phantomon quollen. Die Flugeinheiten fingen die Geister ab, sobald sie durch die Felswände sickerten, der Rest mit Davis, Ex-Veemon und Löwemon an der Spitze fand einen Höhleneingang in diesem Berg und kämpfte sich dort drin den Weg frei. Davis wusste, dass ihr Sieg zum Greifen nahe war. Sein Herz schlug schneller – er würde tatsächlich eine ganze Stadt retten! Das hatten die Getreuen des Staubes nie geschafft. Vor ihm tauchten fünf Phantomon an, die einander wie in einem wirren Karussell umkreisten. Löwemon schoss zwei von ihnen endgültig ins Jenseits, der Rest wurde von den Arbormon niedergepeitscht und fast überrannt. Dann erreichten sie eine letzte, sehr geräumige Höhle, in der glühendes Licht sie erwartet. Davis blieb stehen, während die Digimon durch den Gang hereinstürmten, die seltsamen Bakemon, die Hexenhüte trugen, vernichteten und unsicher einen Halbkreis um das letzte Digimon bildeten, das hier verweilte. „Eure Ausdauer ist bemerkenswert“, begrüßte es sie mit blecherner Stimme. Davis kannte es. Er hatte es in seinem Traum gesehen, und zuvor schon als Schatten. „Du bist das!“, rief er. „Du warst das, damals über Cherrymon!“ Er meinte zu spüren, wie es in der Höhle kälter wurde. Das Digimon lachte kehlig. Es schein von den es umzingelnden Soldaten keine Angst zu haben. Sein rissiger, dunkler Umhang flatterte lose über einer Wirbelsäule aus Metall, die in einer rot glühenden Kugel endete. Seine Hände, die nur über substanzlose, blitzende Arme mit den Schultern verbunden waren, öffneten und schlossen sich, als versuchten sie etwas zu ergreifen, und sein Gesicht war ein metallischer Totenschädel, von einer Kapuze verdeckt. „Ich war niemals über ihm“, verkündete es hämisch. „Nur in seinen Träumen. An dich erinnere ich mich auch, Junge. Ich habe dir einen Traum geschickt, in dem du deinen Kameraden hast sterben sehen, ehe du mich hinausgefegt hast.“ „Du bist das also, der den Digimon ständig diese Albträume schickt“, rief Ex-Veemon. „Jetzt ist Schluss damit!“ Das Eisenskelett lachte. „Glaubt ihr, ihr hättet uns besiegt? Auch wenn ihr meine Geisterarmee aufgehalten habt; in den Nadelbergen warten noch viel schrecklichere Kreaturen auf euch!“ „Im Namen von König Leomon“, verkündete Löwemon und richtete seinen Stab auf das Digimon, „dein Heer ist besiegt. Die Belagerung ist beendet. Beantworte unsere Frage, und wir machen dir einen fairen Prozess. Was hat die Schwarze Königin vor? Wo versteckt sie sich? Warum hat sie die Blütenstadt angegriffen?“ Das Digimon zischte durch seine stählernen Zähne. „Das wollt ihr wissen? Es ist einfach. Sie will euch nur eine Botschaft überbringen. Liebt uns, das ist es, was sie euch sagen will.“ Davis runzelte die Stirn. „Liebt uns?“ Das Skelett schwebte näher und seine glühende Kugel ließ Schatten im Raum tanzen. Die anderen Digimon wichen zurück. Davis meinte eisigen Atem zu spüren, als es sagte: „Liebt uns. Liebt die Geister. Liebt das Jenseits. Liebt den Tod. Umklammert ihn wie einen alten Freund, und lasst euch von ihm auf die Tiefe des Ozeans der Stille ziehen.“ „Aus dem bekommen wir nichts heraus“, beschloss Löwemon. „Am besten lassen wir uns von ihm vorzeigen, wie man den Tod am besten umarmt! Greift an!“ Es machte selbst den ersten Schritt, öffnete seine Bauchklappe und schoss einen violetten Schattenmeteor auf das unheimliche Digimon ab, das davon zurückgeworfen wurde, und gleich darauf prasselten weitere Attacken auf es ein, schlenkernde Hände von Arbormon prügelten es, Unimon, die nachgekommen waren, ließen Lichtbälle an ihm zerplatzen, Ex-Veemons Laser prägte ein glühendes Muster in seine Metallrüstung, Apemon schleuderten ihre Knochen. Als die gleißenden Blitze, die auf Davis‘ Netzhaut nachflimmerten, nachließen, stand das Digimon unberührt inmitten der Höhle und lachte langsam und fauchend. „Na?“, fragte es, als es die entsetzten Blicke des Trupps sah. „Freut ihr euch, endlich ein Geistdigimon zu treffen, das auch Substanz hat?“ „Nochmal!“, befahl Löwemon kurzatmig. „Versuchen wir es mit Feuer, Davis“, schlug Ex-Veemon vor und wurde in mildem Licht wieder zu Veemon. „Okay.“ Davis holte das ArmorEi hervor. „Erstrahle!“ Verbissen griffen die Digimon erneut an. Flamedramons Feuerbälle fraßen sich durch den Umhang des stählernen Feindes, und aus dem Gang hinter ihnen kam ein Rauschen, und ein AeroVeedramon schoss mit voller Geschwindigkeit in die Höhle und prallte frontal gegen das Geistdigimon, entlockte ihm ein Ächzen und stieß es gegen die Höhlenwand, dass der Fels Risse bekam und Staub von der Decke rieselte. „Unmöglich!“, stieß Davis hervor, als er sah, dass die Attacken allesamt nichts nutzten. „Es hat keinen Kratzer!“ Das Digimon lachte nur weiter. „Ihr könnt ebenso gut aufgeben. Keines von euch niederen Wesen kann mir, MetallPhantomon, etwas anhaben.“ „Und wie sollen wir es dann besiegen?“, rief jemand aus dem Trupp schrill. „Es hält viel aus“, sagte Flamedramon plötzlich, „aber es greift selbst nicht an.“ Davis stutzte. „Du hast recht!“ „Vielleicht sind die Albträume seine einzige Waffe“, mutmaßte sein Partner. Löwemon nickte. „Eine gefährliche Fähigkeit, in der Tat, aber nur, wenn man sie richtig einsetzen kann.“ MetallPhantomon schwebte reglos auf der Stelle. Selbst sein Umhang, der gebrannt hatte, war unbeschädigt, als die Flammen erloschen. „In diesem Fall ist die Sache einfach“, beschloss Löwemon. „Dass wir dich nicht töten können, arbeitet sogar für uns. Deine Armee ist geschlagen, und du kannst uns keinen Schaden mehr zufügen. Wir werden alles aus dir herausholen, was es über die Nadelberge zu wissen gibt. Bis dahin werden wir dich mit allem, was wir haben, angreifen, immer und immer wieder. Das sollte einer Folter gleichkommen, meinst du nicht?“ MetallPhantomon schnaubte. „Als ob es dazu kommen würde. Ich wollte mir nur die Gesichter derer einprägen, die meinen Auftrag vereitelt haben. Ein Löwemon aus König Leomons Löwengarde. Ein Digimon, das die Armor-Digitation vollführen kann. Und den Flammenjungen, der das ArmorEi besitzt. Das reicht für meinen Bericht.“ Unter seinem Eisenkörper leuchtete etwas wie ein roter Beschwörungskreis auf, in den es hineinglitt. „Nein! Lasst es nicht entkommen!“, befahl Löwemon. Ein drittes Mal wurde MetallPhantomon von Attacken überflutet, bis das Licht verhinderte, dass sie sahen, was mit ihm geschah. Als in der Höhle wieder Ruhe einkehrte, war es verschwunden. „Wir haben es diesmal auch nicht vernichtet, oder?“, fragte Davis unsicher und wagte es nicht, den Bereich der Höhle, wo der Kreis geleuchtet hatte, zu betreten. „Wahrscheinlich nicht“, murmelte Löwemon und schulterte seinen Stab. „Nichtsdestotrotz, es ist unser Sieg. Lasst uns in die Blütenstadt zurückkehren und mit den Aufräumarbeiten beginnen.“ Es nickte Davis zu. „Es wird Zeit, dass der König von deinen Heldentaten erfährt, Auserwählter.“     Mimi ließ sich eben von Babamon das Haar kämmen – Palmon war dazu zu ungeschickt –, als etwas gegen das Fenster prasselte, so als hätte jemand Kieselsteine dagegen geworfen. Wie von einem Dokugumon gebissen sprang sie auf. Das musste er sein! Der Drachenritter hatte ihr schließlich versprochen, sie mit einem Gedicht zu überraschen, und es war schon lange finster geworden. Sie war ja so aufgeregt! In ihrem Gemach war es taghell und warm, draußen war es finster und kühl, und sie würde an ihrem Fenster stehen und von ihrem Freier ein Liebesgedicht hören, der sehnsüchtig zu ihr emporsah, das alles natürlich heimlich und halb in den Büschen versteckt … wie romantisch das doch war! Sie huschte zum Fenster, dass ihre Röcke sich bauschte, und schob es auf. Kühle Nachtluft schlug ihr entgegen, ein leichter Wind ging. „Seid Ihr allein?“, hörte sie ihn flüstern. Mimi strengte die Augen an, aber selbst das Licht, das aus ihrem Zimmer fiel, ließ sie nicht erkennen, wo er war. „Du kannst gehen“, sagte sie knapp zu Babamon, das sich verbeugte und schlurfend den Raum verließ. Palmon, das auf dem Bett gesessen war, sah sie fragend an. „Du darfst bleiben“, sagte Mimi und flüsterte dann in die Dunkelheit: „Ja, ich bin allein.“ Etwas raschelte in den Büschen und sie meinte, die Umrisse seiner schlanken Gestalt zu sehen. Der Drachenritter hielt etwas in der Hand, das wie eine Laute oder ein Shamisen aussah. Ihr Herz klopfte schneller. Würde er ihr etwas vorsingen? Das war genau, wie sie es sich vorgestellt hatte! Sanft strichen seine Finger über die Saiten und verzückende Klänge drangen an ihr Ohr, nicht zu laut, gerade so wie ein warmer Hauch Sommer. Er begann leise zu singen. „Über meiner Steppe, ein neuer Stern geht auf Der Mond und die Sonne folgen seinem Lauf Mein Stern, mein Stern, seid Ihr, holde Maid An Euren Silbertränen klettre ich hinauf …“ Mimi seufzte. Er hatte eine so schöne Stimme, das war ihr gar nicht aufgefallen … sie stützte sich mit den Ellbogen auf das Fensterbrett und bettete ihr Kinn auf ihre Handflächen. Die Augen geschlossen, lauschte sie genießerisch. „Euch, meine Schöne, dieses Lied gebührt Seid Ihr doch der Stern, der meinen Nachthimmel ziert Nur Ihr, nur Ihr, das Dunkel erhellt und mich und mein Herz aus der Finsternis führt …“ Eindeutig, das war genau so ein Liebeslied, das sie immer hatte hören wollen. Es bedeutete nicht, dass sie sich nun Hals über Kopf in ihn verlieben musste, keineswegs. Aber er hatte zumindest eine Chance verdient. Sie und der Drachenritter … Singen und dichten konnte er also.     Tai überflog noch einmal hastig seinen Schummelzettel und stellte sicher, dass er sich die Verse eingeprägt hatte. Es war so anstrengend geworden, das Gedicht zu verfassen, dass er es schon fast auswendig kannte, und sonderlich lange war es schließlich auch nicht. Er würde es schon schaffen. Er legte sich den Umhang um die Schultern, immerhin wollte er auch in so einer Bettelposition unter ihrem Fenster seine Würde bewahren. Zur Vollständigkeit halber gürtete er sich sogar sein Schwert um, das er extra gekauft hatte, um vor Mimi damit anzugeben. Es war ein schönes Stück, eine Eigenanfertigung. Das Heft war vergoldet und mit einem prachtvollen Rubin besetzt, die Parierstange endete in zueinander gegengleichen Schnecken. Die Klinge war reinweiß. Er hatte sie noch nie für den Kampf gezogen. „Wünsch mir Glück, Agumon“, sagte er zu seinem Partner, der aber schon laut in seinem Bett schnarchte. Tai verließ im Eilschritt das Gasthaus, die teuerste Herberge, die es in ganz Little Edo gab und für deren Kosten selbstverständlich der Shogun aufkam. Er hatte es für besser gehalten, heute nicht in der Pagode zu nächtigen, wo Mimi ihm jederzeit über den Weg laufen und womöglich nach dem Stand des Gedichts fragen konnte. Sein Atem ging unregelmäßig. Konnte es sein, dass er nervös wurde? Als Tai sich um die Pagode schlich, damit er unter Mimis Fenster kam, drangen Gitarrentöne an sein Ohr. Jemand sang. Was zum …? War das etwa ein Ständchen? Für die Prinzessin?     „Und wenn dann am Morgen der Mond ganz versinkt Noch immer Euer Stern hoch über mir blinkt Der Glanz, der Glanz, den ihr dem Himmel schenkt den Sieg gegen die Sonne am Tag sogar erringt …“ Mimi sah, dass sogar Palmon den Kopf im Takt bewegte. Verträumte sah sie in die Nacht hinaus, konnte den Drachenritter aber immer noch nur als Schatten erkennen. Noch nie hatte man ihr ein derart schönes Lied geschrieben … „Nach Euch, meiner Holden, sich mein Herz verzehrt Ich reite durch die Steppe, doch bleibt Ihr mir verwehrt Der Wind, der Wind, weht sanft in meinem Haar Doch nur Euren Kuss mein Mund so sehr begehrt …“ Erst nach dieser Strophe hatte sie sich so an die Melodie gewöhnt, dass sie sich auf seine Stimme konzentrieren konnte. Sie stutzte und war plötzlich leicht verwirrt – war das wirklich der Drachenritter, der da sang? „Der Duft Eures Haares die Sinne verwirrt Der Klang Eurer Stimme die Seele berührt So schön, so schön, wie ein Stern in der Nacht Ein Mann in Eurer Nähe nur Liebe ver–“ Der Sänger wurde abrupt unterbrochen, als sich ein zweiter Schatten aus der Dunkelheit schälte, schwärzer noch als der erste. Das Saitenspiel endete mit einem Misston. Mimi runzelte die Stirn und hörte jemanden fluchen. „Verdammt, was soll das?“ „Das frage ich dich! Wer zur Hölle bist du? Weißt du überhaupt, wessen Fenster das ist?“ Das war jetzt die Stimme des Drachenritters. „Sir Taichi?“, rief Mimi fragend in die Nacht hinaus, aber niemand antwortete ihr. „Würde ich hier singen, wenn ich es nicht wüsste?“ „Hau ab, such dir ein anderes Fenster! Ich bin hier mit der Prinzessin verabredet!“ „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, sagte der Sänger. „Was fällt dir ein, mich zu unterbrechen?“ „Dein Gejaule will hier sowieso niemand hören“, knurrte der Drachenritter. „Wer ist da unten? Hört ihr mich?“, fragte Mimi lauter, aber die beiden Männer beachteten sie nicht. „Verschwinde, oder du kriegst meine Faust zu spüren“, drohte Sir Taichi. „Versuch’s doch. Ich habe es im Guten versucht, aber wenn du nicht hören willst …“ „Wenn ihr euch unbedingt schlagen wollt, dann tut es wie edle Ritter und nicht wie zwei Trunkenbolde!“, schrie Mimi nach unten und schob dann wütend ihr Fenster zu. „So was aber auch!“, zischte sie und warf sich auf ihr Bett.     Tai hatte den fremden Sänger am Kragen seines sandbraunen Mantels gepackt und der wiederum ihn, als sie das Fenster schloss. Die beiden sahen entgeistert hoch, als auch schon ihre Silhouette dahinter schwand. „Da siehst du, was du angerichtet hast“, knurrte der andere und riss Tais Hände fort. „Ich?“ Tai plusterte sich auf. „Du bist es, der hier nichts verloren hat! Ich will um die Hand der Prinzessin anhalten, da kann ich keine dahergelaufenen Barden brauchen, die …“ „Dann bin ich dein Nebenbuhler“, sagte der Kerl schlicht. Er hatte schmutzig blondes Haar und steckte in einem weiten Staubmantel, außerdem trug er Handschuhe und Reiterstiefel. Die Gitarre hatte er fallen gelassen, es war ein billiges Stück, wie man sie bei Trödlern in den großen Städten kaufen konnte. Neben diesem armen Schlucker kam sich Tai umso vornehmer vor. „Und wer bist du, dass du glaubst, die Prinzessin würde dich nehmen?“ Tai streckte die Brust raus. „Ich bin …“ „Sir Taichi, der Drachenritter des Nördlichen Königreichs. Sie hat es ja laut genug geschrien.“ Tai stieß die Luft aus. Wenn er es wusste, warum war er dann so völlig unbeeindruckt? „Und wer bist dann du, wenn ich fragen darf?“ Der Junge, der in etwa so alt war wie er, strich sich sein Haar zurück. „Ich bin Matt.“ Kein Titel, kein Ritter. Ein Niemand also. „Na dann, Matt“, spottete Tai. „Verkriech dich wieder in der Gosse und überlass die hochgeborene Prinzessin mir.“ „Lass das doch sie entscheiden. Ich bin mir sicher, sie zieht mich jemanden wie dir vor.“ Tai war sprachlos ob dieser Arroganz. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Der DigimonKaiser persönlich? Das wiedergeborene Legendäre Goldene? Oder … nein. Niemals. Er legte den Kopf schief. „Warum willst du die Prinzessin? Hast du sie je richtig gesehen, wenn du so über ihre Schönheit säuselst? Ich hab noch nie so ein schmalziges Lied gehört.“ „Was hast du denn für sie vorbereitet?“ Tai wedelte mit dem zerknitterten Zettel. „Ein Gedicht.“ „Was du nicht sagst.“ „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum singst du meiner Braut so widerlich süße Lieder?“ Matt zuckte mit den Achseln. „Ich dachte, es wäre ganz gut, einen festen Platz zu haben, an den man nach einem Feldzug zurückkehren kann. Mit ausreichend Rückendeckung.“ Also doch! „Du bist der Eherne Wolf!“ Tai zeigte, wie anklagend, mit dem Finger auf ihn. „Hast ja lange genug gebraucht, das rauszubekommen.“ Matt wandte sich um. „Also, bis zum nächsten Versuch dann.“ „Moment! So einfach kommst du mir nicht davon!“ Tai packte ihn an der Schulter und riss ihn herum, um in seine zornigen Augen zu sehen. „Das hier wäre mein Moment gewesen, zu glänzen. Das büßt du mir.“ „Gern. Du hast mein Lied unterbrochen, zwei Strophen hätte ich noch gehabt.“ „Dann steht böses Blut zwischen uns“, sagte Tai, zufrieden damit, dass sie diese Rechnung offen hatten. „Wenn du meinst. Mir ist nur nicht so nach einem Schwerterduell oder wie immer ihr Ritter das normalerweiser regelt. Mit den Fäusten prügeln wäre schon eher was, aber der Prinzessin werden die blauen Flecken sicher nicht gefallen“, meinte er lässig. „Keine Sorge.“ Tai schlug einen drohenden Ton an. „Ich hatte da an was ganz anderes gedacht.“     In diesem Teil der DigiWelt war es offenbar üblich, Digimon aufgrund ihrer Körpergröße anzustänkern. Spadamon hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich mit einem Rōnin zu prügeln, eigentlich wollte es sich mit niemandem prügeln, schon allein deswegen, weil es dann Aufsehen erregen würde, und das wiederum war schlecht fürs Geschäft. Da war es gut, dass das kleine Schwertduell in einer stillen Seitengasse stattgefunden hatte. Solche gab es in Little Edo nicht viele, weil die Häuser Wände wie aus Papier hatten und vor allem die Otamamon, die hier lebten, bis aufs Blut neugierig waren. Nach einem kurzen Schlagabtausch hatte Spadamon das herrenlose Kougamon – das aussah wie ein Ninjamon in violetter Kleidung und ironischerweise nicht mal größer, sondern nur schwerer als Spadamon war – in die Knie gezwungen, bewusstlos geschlagen und gefesselt und geknebelt auf einen der Karren geworfen, die Little Edo bei Abenddämmerung verließen. Mit etwas Glück würde Kougamon erst spät in der Nacht munter werden und erst in der Morgendämmerung auf sich aufmerksam machen, wenn der Marktkarren längst in einem anderen Reich war. Und Spadamon konnte sich einstweilen mit dem erwirtschafteten Geldbeutel den Bauch vollschlagen. Es saß gerade in einer der mittelmäßigen Kneipen im Stadtkern, die die Ninjamon-Wachen nicht so sehr auf dem Kieker hatten wie die gammeligen Spelunken weiter von der Pagode entfernt mit ihren teils zwielichtigen Stammrunden. und aß genüsslich eine frisch gebackene Teigtasche mit Nussfüllung und ordentlich Zuckerglasur, als es die beiden hereinkommen sah. Spadamon hatte diese Kneipe gewählt, weil man hier generell viele Gerüchte und Ninjagarn aufschnappte. Die Aufgabe, die sein Kaiser ihm gegeben hatte, war schließlich nicht ganz einfach; es hatte noch nicht alle Menschen, von denen es Steckbriefe erhalten hatte, ausfindig gemacht, und sollte nebenbei aber auch noch ein Auge auf die bereits gefundenen haben. Dann würde der DigimonKaiser mit der heutigen Ausbeute zufrieden sein. Spadamon sah zu, wie die zwei grimmig dreinschauenden Menschen das verrauchte Lokal betraten und sich einander gegenüber an einen der rohen Holztische setzten. Es kannte die Gesichter aus seinen Steckbriefen auswendig. Der eine war Matt der Eherne Wolf, seines Zeichens Anführer der Nomadentruppe aus der Großen Ebene, und der andere Sir Taichi, oder Tai, der Drachenritter, treuester Untergebener König Leomons und außerdem Kommandant der berühmt-berüchtigten Megadramon-Drachenstaffel. Zwei von den hochkarätigen Freunden, die der DigimonKaiser hatte. Dass er sie als Freunde ansah, hatte er nie gesagt, aber es war leicht, das herauszufinden, wenn man Spadamon hieß. Es verstand nur nicht, warum die Menschen vom Kaiser nicht auch als Freund dachten, aber das herauszufinden machte die ganze Sache nochmal so interessant. Auch untereinander schienen sie nicht wirklich durch dick und dünn zu gehen, so wie sie einander anfunkelten. Spadamon wusste, dass Menschen sich nicht untereinander auffraßen, aber diese beiden sahen aus, als stünden sie kurz davor. Der Drachenritter bestellte bei dem Monzaemon-Wirt, der relativ klein für seine Art war, und Spadamon rutschte auf seiner Bank so weit zur Seite, dass es über den Lärm im Schankraum hören konnte, was die beiden miteinander sprachen. Erst mal gar nichts. Als Monzaemon dann ein Tablett mit einer Sake-Flasche und zwei Trinkschälchen brachte, schnupperte der Wolf hinein. „Sake“, meinte er abfällig. „Hier bekommst du kaum was anderes.“ „Und warum genau sollte ich mir dir trinken?“ „Sieh‘s doch als Duell an. So machen das echte Männer. Und die Prinzessin braucht einen echten Mann. Keinen lauwarmen Sänger.“ Matt schnaubte, während Tai ihnen einschenkte. Es sah so aus, als hätte er die Trinkschale nie angerührt, wenn Tai ihm nicht Beleidigungen an den Kopf geworfen hätte. Fasziniert sah Spadamon den beiden Menschen beim Trinken zu. Die erste Flasche leerten sie in eisernem Schweigen. Als Tai Monzaemon nach einer zweiten schickte, stand Matt auf. „Das ist doch albern. Ich gehe.“ „Du bleibst.“ „Die Prinzessin erobert niemand, der keinen klaren Kopf behält“, behauptete Matt, aber er schien stärker zu schwitzen als zuvor. Ein wenig wackelig auf den Beinen war er auch, fand Spadamon. „Falsch. Du kennst die nicht. Bei der wirkt klarer Kopf nicht. Nur Härte und Durchhaltevermögen.“ Tais Zunge schien schon ein wenig schwer zu werde, wie Spadamon amüsiert zur Kenntnis nahm. Es bestellte sich ein Glas Milch und noch ein Dessert, gesüßten Reis mit Pflaumenmus und eine Extraportion Honig zum Darübergießen, und beobachtete die beiden weiterhin. Als die zweite Flasche kam, saß Matt wieder und versuchte, Tai über die Prinzessin auszufragen. „Du kennst sie also schon? Wie lange bist du schon hier?“ Er schien zu der Erkenntnis gekommen zu sein, dass er mittrinken musste, wenn er Tai Informationen entlocken wollte. Immerhin, planlos war er nicht. Und Tai war in Plauderstimmung, als müsste er seinem Ärger Luft machen. „Seit … vorgestern Vormittag. Hätte nicht gedacht, dass du so schnell hinterher kommst.“ „Dann wirst du kaum etwas über die Prinzessin wissen“, meinte Matt. Aha, dachte Spadamon. Psychologische Kriegsführung. Nicht übel. Das war tatsächlich eine Art Duell, das Matt hier führte. „Genug, genug“, murrte Tai, als sie anstießen. „Ich hab ja zwei ganze verdammte Tage mit ihr verbracht. Und wofür, was glaubst du?“ „Sag du’s mir.“ „Nicht mal ein Küsschen auf die Wange. Aber speisen habe ich mit ihnen dürfen, oh ja. Bevor diese kleine Hexe mich heiratet, heiratet mich noch der Shogun.“ „Jetzt sind wir also schon bei Hexe, ja?“ Matt lächelte kurz schief. „Was, wenn die Prinzessin hier Spione hat?“ Oder der DigimonKaiser, dachte Spadamon und schaukelte vergnügt auf seiner Bank. Tai machte eine wegwerfende Bewegung. „Is‘ ja alles egal“, lallte er. „Jetzt, wo du aufgetaucht bist, hast du sowieso alles vermasselt.“ „Dann gib doch auf.“ „Niemals! Prost.“ Sie stießen erneut an. Spadamon hatte das Gefühl, dass sie gar keine Feinde sein wollten. Es sah zumindest nicht so aus. Es war neugierig, wie der DigimonKaiser diese Neuigkeit auffasste. „Wir buhlen hier also um ein Herz aus Stein?“, fragte Matt. „Kannst du laut sagen. Sie will nur beachtet werden, was anderes will sie nicht. Und Blumen. Und Geschenke. Und Komplimente. Und was weiß ich noch alles. Wenn Leomon mir’s nicht befohlen hätte, wär ich schon längst wieder auf dem Heimweg.“ Ein Hicksen entkam ihm. Offenbar tat es ihm gut, sich seinen Frust von der Seele zu reden – oder zu trinken. „Soso.“ Matt schien sich noch ganz gut im Griff zu haben, aber Spadamon meinte zu sehen, dass seine Augen glasig geworden waren. „Also wenn ich du wäre, würd ich meine Wölfe schnappen und wieder abhauen.“ Tai schwenkte seine Sakeschale gefährlich, ehe er sie zum Mund führte. „Sie liebt Heldengeschichten und Ritter und das alles. Träumereien eben. Und was bist du? Du hast ein Wolfsrudel hinter dir und ziehst durch das Land. Das ist alles, was man über dich sagen kann.“ „Weil du ja so viel besser bist“, sagte Matt kühl. „Ich hab die Eisregion zurückerobert. WarGreymon ist mindestens so stark wie König Leomon in seiner höchsten Form. Wir beide haben den SkullGreymon-General ausmanövriert, der im Auftrag des Einhornkönigs den Dornenwald angegriffen hat, und den legendären Marodeur SkullMammothmon im Zweikampf besiegt. Hast du von ihm gehört? So ein knöcherner Elefant. Hat die Kriegslage ausgenutzt, um am Ufer des Nadelöhrs alles niederzutrampeln.“ „Und solche Geschichten beeindrucken Mimi?“ „Sicherlich mehr als dein dämliches Liebeslied. Wie kann man nur so was schreiben, wenn man gar nicht in sie verliebt ist?“ „Wie kann man um ihre Hand anhalten, wenn man nicht in sie verliebt ist?“ „Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.“ Tai beugte sich vor und lallte so verschwörerisch leise, dass Spadamon die Ohren spitzen musste. „Sobald ich sie geheiratet habe, muss ich ja nicht mit ihr auskommen. Wir kriegen von ShogunGekomon ein schönes Anwesen, sie kann dort so weiterleben wie bisher, und ich zieh sowieso wieder in den Krieg. Nichts ändert sich, außer dass wir uns bei der Hochzeitsfeier küssen. Wahrscheinlich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das ist jetzt auch nicht so schlimm.“ „Hm“, machte Matt. Er verschüttete einen Tropfen Sake, als er das Trinkschälchen aufhob. „Du findest mein Lied also lächerlich. Wovon handelt dann dein Gedicht? Von prahlerischen Lobeshymnen auf dich selbst? Sowas wie, Hört, wie die Feinde des Reiches schier greinen, seh‘n sie den Ritter der Drachen erscheinen. Heldenhaft und aufgeblasen, und sie laufen wie die Hasen?“ „Wie machst du das?“, rief Tai aus und starrte ihn mit großen Augen an. „Ich hab eine halbe Stunde gebraucht, bis ich einen einzigen Reim gefunden hab! Noch eine Flasche!“, rief er Monzaemon zu, obwohl nach Spadamons Erachten die alte noch nicht leer sein konnte. Matt zuckte mit den Schultern und trank seine Schale aus. „Was für Reime hast du denn?“ „Sie sind … ganz gut“, murmelte Tai und entfaltete einen Zettel braunes Papier. Offenbar hatte er sich die Verse dort aufgeschrieben. „Zeig her.“ Matt machte Anstalten, danach zu greifen. „Finger weg!“ Tai riss die Hand fort und fegte dabei die Sake-Flasche um. Es war tatsächlich noch was drin gewesen, das nun über die Tischplatte lief und zu Boden tropfte. Monzaemon brachte sofort Nachschub und hatte eine missmutige Miene aufgesetzt, aber es schien zumindest Tai zu erkennen und wagte es nicht, sich zu beschweren. Matt sank mit einem Seufzen zurück. „Noch eine?“, grummelte er. „Hältst du das für eine gute Idee?“ „Du willst doch den harten Mann für die Prinzessin markieren, oder?“, grinste Tai. „Hab dich nich‘ so.“ Er schenkte beiden ein. „Ich bewahre lieber einen kühlen Kopf.“ „Ganz schlecht, wenn du mal in die Hitze des Gefechts kommst“, behauptete Tai. „Im Gegenteil.“ „Woll’n wir wetten?“ Ihr Gespräch drehte sich im Kreis, während sie die nächste Flasche leerten. Irgendwann wirkten sie tatsächlich wie zwei langjährige Freunde und Tai jammerte sich über die Prinzessin aus. „Sie is‘ ja so verwöhnt! Ich schwör dir, lass die Finger von ihr, du verbrennst sie dir. Was glaubst du, warum die immer noch nich‘ unter die Haube gekommen is‘? Die will ja eh keiner.“ „Angeblich will sie keinen.“ „Ausreden“, behauptete Tai. „Die is‘ so, weil sie immer mit Samthandschuhen angefasst wird. Die müsste mal jemand richtig hart rannehmen, so sieht’s aus.“ „Das kann man jetzt zweideutig verstehen“, nuschelte Matt. „So war’s auch gemeint. Monzaemon, noch eine!“ Am Ende wurde Spadamon Zeuge, wie die beiden, die so feindselig die Kneipe betreten hatten, sie ohne zu zahlen Arm in Arm wieder verließen – oder besser gesagt, sie stützten sich gegenseitig. Spadamon hatte außerdem eine interessante Beobachtung gemacht: Tai hatte es zwar geschafft, wesentlich schneller betrunken zu werden, hatte diesen Zustand aber auch wesentlich länger als Matt durchgehalten. Zumindest war der Eherne Wolf kreideweiß und fast bewusstlos, als sie sich nach draußen schleppten. Kaum waren sie verschwunden, drehten sich die Gespräche in dem Lokal um ihr Benehmen. Es sah so aus, als hätte der Drachenritter heute Nacht einiges an Reputation eingebüßt. Spadamon wünschte den beiden gedanklich einen erholsamen Schlaf und ein nettes Erwachen, als draußen zaghaft die Sonne aufging und es herzhaft mit seiner Holzgabel in das nächste Stück Schokoladenkuchen stach.   Three words for my magic, my magic song A boat for love I’d carve Three words for my magic, my magic song A craft of life I’d build (Amorphis – Three Words) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)