New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 14: Zug und Gegenzug ---------------------------- Tag 35 Der Schmerz in seiner Hand pochte, aber schlimmer war das Pochen der Niederlage. Hawkmons Feder hatte seine Handfläche durchbohrt. Er konnte von Glück reden, wenn keine Sehne oder ein wichtiger Muskel ernsthaft verletzt war. Der Schmerz wollte ihn wohl glauben machen, ihm würde gleich die ganze Hand abfallen, gleich wie fest er den Saum seines Umhangs um die Wunde wickelte. Den man nach der Expedition in die Maya-Pyramide auch nicht mehr gerade als sauber bezeichnen konnte. Dennoch war das nichts gegen die Verluste, die er heute hatte einstecken müssen. Er wusste nicht, was schief gegangen war. Das heißt, er wusste es sehr wohl. Alles war perfekt gewesen, dieser verzweifelte strategische Engpass hatte sich vor seinen Augen in ein Bilderbuchmärchen verwandelt, und trotzdem hatte er es am Ende nicht nur nicht geschafft, das DigiArmorEi der Liebe in seine Finger zu bekommen – ausgerechnet das DigiArmorEi der Liebe! Nun würde Yolei eine noch unberechenbarere Variable in diesem Krieg werden! –, sondern auch noch so viele Digimon verloren, dass auch die Schlacht als verloren gelten konnte. „Hier spricht der DigimonKaiser“, sagte er müde in seinen Connector, während Airdramon über endloses Dschungelgebiet flog. „Wie ist die Lage?“ Es dauerte eine Weile, bis sich jemand meldete. Offenbar waren genügend Türme in der Nähe, dass diese das Signal auch an das Basislager auf dem Hügel weiterleiten konnten. Es war ein Wunder, dass er unter der Pyramide überhaupt Empfang gehabt hatte, als der Schwarze Turm zerstört worden war. „Nich‘ so schön, ‘jestät. Sie hab’n uns aus’m Lager vertrieb’n. Sind jetzt hinter der Hügelkuppe in so ‘nem Erdloch. Die verdammten Starmon woll’n uns ausbomb’n, und die Schwarzringler hatt’n keine Lust mehr und sind abgehau’n. Oder helfen jetzt denen. Was soll’n wir mach‘n?“ Er hatte vor der Schlacht nicht einmal die Gelegenheit gehabt zu prüfen, wie viele seiner Digimon unter dem Einfluss von Schwarzen Ringen gestanden hatten. Er konnte sich nur ausmalen, wie groß die Verluste wirklich waren. „Die Stellung wird aufgegeben. Zieht euch sofort in die nächste Stadt zurück, egal ob im Norden oder im Süden, aber verlasst auf jeden Fall den Dschungel. Was ist mit DarkTyrannomon passiert?“ „Kommandant DarkTyrannomon hat’s erwischt, ‘jestät. Ich bin Bearmon, wenn’s beliebt.“ „Ich übertrage dir das Kommando für den Rückzug. Lasst euch nicht in Kämpfe verwickeln. Sieh zu, dass du so viele Digimon wie möglich rettest.“ „Werd’s versuchen, ‘jestät.“ „Wen funkst du jetzt an?“, fragte Wormmon, als Ken an dem Frequenzregler auf seinem Connector drehte. „Hier spricht euer Kaiser“, teilte er den Hagurumon in seiner Festung tonlos mit. „Übermittelt eine Nachricht an Devimon. Wenn das DarkTyrannomon wiedergeboren wird, das in der Schlacht bei der Maya-Pyramide getötet worden ist, lasst es persönlich zu mir bringen. Ich werde es in den Ritterstand erheben.“ Er ließ Airdramon noch eine Runde fliegen, um sich den Schaden in seinem Lager anzusehen. Baronmon war den fliehenden Digimon zum Glück nicht weiter nachgesetzt. Der Kommandantenhügel war völlig verwüstet worden und nur noch ein rauchender Haufen Asche, in dem Krater klafften. Die Überreste des Schwarzen Turmes verunzierten den Dschungel, finster und traurig und zerbröckelnd. Auf dem Schlachtfeld war ebenfalls eine schwarze Aschespur zu sehen, die einen Halbkreis um die Pyramide zog, wo Matts Wölfe eine Wand aus Feuer errichteten hatten. Der Wald war frisch und feucht, und wo die Wölfe mit ihrem Feuer die Hitze nicht genährt hatten, waren die Flammen bald erstickt. Wenigstens etwas; ein Flächenbrand am Stiefel käme einer Katastrophe gleich, egal wie wenige Digimon hier leben mochten. Dann musste er sich zurückziehen und das Bild der Zerstörung hinter sich lassen. Baronmons Digimon vernichteten systematisch jeden Schwarzen Turm in dem verlassenen Urwald, aber das schien reiner Trotz zu sein. Sie bauten keine eigenen Türme, also vermutete Ken, dass sie auf die gleiche Weise wieder abziehen würden, auf die sie hergekommen waren. Er zwang sich positiv zu denken, während Airdramon über dem Meer in Sichtweite der Gekomon-Küste in Richtung Kaiserwüste flog. Das war nur eine kleine Alternativarmee. Meine Hauptarmee kämpft im Westen an der Front, und das Saatkind wird sicher kein zweites Deckerdramon haben. Dennoch, Fakt war und blieb, dass er versagt hatte. Er hatte sich dazu reizen lassen, alles für dieses dämliche DigiArmorEi aufs Spiel zu setzen, und hatte mit so vielen Digimonleben, einer Niederlage und einer beachtlichen Schädigung des Vertrauens, das seine freiwilligen Anhänger in ihn setzten, dafür bezahlt. Dazu kam, dass Matt und Yolei beinahe beide gestorben waren. Und sie erinnerten sich tatsächlich nicht an ihn. „Drückt dir etwas auf die Seele, Ken?“ Kaum dass Ken mit ihm Kontakt aufnahm, ergriff Deemon hämisch das Wort. „Du solltest doch mittlerweile wissen, dass der Einsatz dieses Spiels hoch ist.“ Ich weiß vor allem eines, knurrte Ken in Gedanken. Du bist ein hinterhältiger Spieler, Deemon. Ein Betrüger. „Bin ich das?“ Deemon wusste, dass er es herausgefunden hatte, und fand es amüsant, ihn zu reizen. Ich habe die Nase voll von deinen Spielereien. Ich dachte, du würdest nur mir zusehen. Aber du kannst mit den anderen Saatkindern auch sprechen, nicht wahr? „Und was treibt dich zu dieser Annahme?“ Warum sonst sollte das Saatkind aus der Wüste seine Truppen plötzlich in meinen Dschungel schicken? Woher hätte es von dem ArmorEi erfahren sollen? Es wusste davon, seine Drimogemon haben zuallererst gebohrt, also versuch nicht, es auf einen Zufall zu schieben. Yolei hat das Ei gefunden, und Matt war zu der Zeit in Little Edo, deswegen waren die beiden dort. Aber der Einhornjunge? Er hat keine Verbindung zu dem Shogunat, kein Abkommen, gar nichts, und sie würden es ihm auch niemals einfach verraten. „Vielleicht hat er ja einen Spion in der Stadt, so wie du auch?“ Gut möglich, aber woher wusste er, wem er zuhören musste? Und woher wusste ich eigentlich davon? Du hast uns beide auf diese Fährte gebracht, du wolltest, dass wir uns vor der Pyramide bekriegen, sonst hätten Yolei und Matt das Ei geholt, ohne dass wir etwas davon gewusst hätten! Und du hast dem Einhornjungen meine Pläne verraten. Er hätte nie gewagt, mein Lager und meinen Turm anzugreifen, wenn er nicht gewusst hätte, dass ich nicht dort bin und nur ein paar wenige zur Verteidigung zurückgelassen habe. Und kaum, dass ich beschlossen habe, auf Verstärkung zu warten und ihn auszuhungern, hat er mich mit seinen Drimogemon zum nächsten Zug gezwungen. Das sind mir zu viele Zufälle, Deemon! Tonloses Gelächter folgte Kens Gedankenausbruch. „Interessant, interessant, Ken. Du hast natürlich recht“, gab Deemon dann freimütig zu. „Warum sollte ich nur dir Ratschläge erteilen? Jeder, der einst mit der Saat der Finsternis in Berührung gekommen ist, kann meine Worte hören, weil die Saat ein Kernelement der Macht der Dunkelheit ist. Du bist zwar mein vielversprechendster Spielstein, aber warum sollte ich nur dich bevorzugen? Wenn du zu mächtig wirst, gefährdest du mich. Das Gleiche gilt für den anderen Jungen. Ich musste euch aneinander reiben lassen, damit euer Wachstum ein wenig gebremst wird.“ Also hast du all meine Ratsbeschlüsse, meine Truppenbewegungen und meine Befehle einfach so an die Saatkinder weitergeleitet?, dachte Ken entsetzt. Die ganze Tragweite dieses Umstands wurde ihm erst nach und nach bewusst und ihm lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Was, wenn Zephyrmon von einer ganzen Armee aus der Elite des Saatkinds am Rand der Kaktuswüste erwartet worden war? „Nein. Du scheinst eines zu missverstehen. Ich sehe, was in der DigiWelt vor sich geht, ja. Ich kann meinen Blick überall dorthin schweifen lassen, wo es etwas Interessantes für mich zu beobachten gibt. Aber ich erzähle es nicht einfach jedem. Der Junge hat nicht mehr Tipps von mir erhalten als du auch. Ich habe kein Interesse daran, dich diesen Krieg verlieren zu sehen, Ken. Ich habe nur Interesse daran, dass du ihn nicht gewinnst.“ Ken knirschte mit den Zähnen. Egal, was du sagst: Das sind faule Tricks, die du da anwendest! Ich werde kein Wort mehr von dem glauben, was du von dir gibst, und selbst wenn du mir eines Tages erzählst, dass Veemon mit Wormmon zu Imperialdramon digitieren will, werde ich einfach nicht hinhören! „Du klingst ja richtig wütend“, stellte Deemon trocken fest. „Das passt nicht zu dir. Ein weinerliches Gesicht steht dir besser, Ken.“ Aber Ken antwortete nicht. Er blendete Deemon so gut es ging aus und konzentrierte sich auf die Gegenwart, das Schlagen der Airdramon-Flügel, das Heraufziehen der Nacht, und den Schmerz in seiner Hand. Tag 36 Eine kurze Nacht folgte, die er nur mithilfe eines Schlaftranks seines neuen Jijimon-Heilers überwand. Obwohl seine Hand und sein Kopf am nächsten Tag höllisch schmerzten und Wormmon ihn bat, liegen zu bleiben, ging er den Bericht der Schlacht durch. Sechsundsechzig Prozent seiner Truppen waren ausgelöscht worden, weitere neunzehn waren desertiert, als sie ihre Schwarzen Ringe losgeworden waren. Baronmon hatte nicht einmal die Hälfte seiner verloren. Bearmon hatte es tatsächlich geschafft, die Überlebenden hinter die Mauern von Fort Netwave zu bringen, einer kleinen Bastion am Nordende der Stiefelbucht. Dort hatten sie mit der Besatzung eine Verteidigungslinie organisiert, die den Stiefel von seinem restlichen Land abschnitt, aber die Einhornarmee wurde nicht mehr gesehen. Küstenposten berichteten, dass sie weiter draußen in der Bucht von einem Whamon ans Festland in das Gebiet der Rose übergesetzt worden waren. Ob sie das gigantische Waldigimon angeheuert oder erpresst hatten oder ob es zu ihnen gehörte, hatte sich nicht nachverfolgen lassen. Sämtliche Schwarzen Türme in einem Umkreis von fünfzig Kilometern waren zerstört worden. Zu guter Letzt hatte das Deckerdramon wahllos in den Dschungel gefeuert und dreißig Hektar Land verwüstet. Drei, vier Digimon-Dörfer waren dabei zerstört worden; ob und wie viele Opfer es gab, war noch nicht bekannt. Ken würde dort am Stiefel schnell wieder neue Türme bauen und für Ordnung sorgen müssen. Marodeure und Plünderer gab es immer und überall. Wie es um die Ehernen Wölfe stand, wusste ebenfalls niemand. In der flächendeckenden Zerstörung hatte man auch keine Menschenleichen gefunden, was die erste gute Nachricht war, die Ken an diesem Tag hörte. Von Fort Netwave wurde ihm versichert, dass die Wölfe nicht versucht hatten, die Halbinsel durch ihre Verteidigungslinie zu verlassen, aber Ken vermutete, dass sie das schon getan hatten, bevor Bearmon seine zerschlagene Truppe dorthin geführt hatte. Jijimon bestand darauf, seine Wunde erneut zu desinfizieren, und wechselte die Verbände. Danach brauchte Ken einen weiteren Becher Schmerzmittel und drei Tassen schwarzen Kaffee. Die Bittsteller, deren Anliegen größer wurden, je mehr auch sein Reich wuchs, wies er an diesem Tag ab und bat Wormmon, sich um die wichtigen Fälle zu kümmern, während er darüber brütete, was nun zu tun war. Ein Bericht von der Front war noch nicht eingetroffen, aber er bezweifelte, dass Zephyrmons riesiges Heer die Wüste bereits erreicht hatte. Zu Mittag aß er ein geschmackloses, breiiges Etwas aus der Vorratskammer, das ihn an Astronautennahrung erinnerte. Sein Gotsumon-Koch hatte zwar wieder etwas Exzellentes gezaubert, aber Ken war nicht danach. Nachdem er die Reste seines kargen Mahls hinuntergewürgt hatte, ließ er nach Spadamon rufen, das am Vormittag von seiner Reise nach Little Edo zurückgekehrt war. Wormmon trippelte zum Kontrollraum zurück, als Ken seinem Spion gerade eine Papierrolle gab, die er überbringen sollte. „Oho“, machte Spadamon und sein Näschen hüpfte lustig. „Wenn man den Empfänger bedenkt, steht da das drin, was ich glaube, das drin steht?“ Ken presste müde die Finger gegen die Nasenwurzel. „Frag doch Deemon.“ „Wie meinen?“ „Vergiss es. Gut möglich, dass du es erraten hast. Sorge dafür, dass die Nachricht so schnell wie möglich ankommt.“ „Natürlich, wie sonst?“ Spadamon verneigte sich und lief von dannen. „Du lässt Spadamon eine Nachricht überbringen?“, fragte Wormmon, kletterte an seinem Hosenbein hoch und macht es sich auf seinem Schoß gemütlich, während Ken sich auf seinem Drehsessel wieder anderen Dokumenten zuwandte. Er wusste, was es meinte. Er hatte Kiwimon und andere Botendigimon, die seine offiziellen Nachrichten weitergaben. Aber das hier war alles andere als offiziell. „Die Botschaft muss auf jeden Fall geheim bleiben, deshalb.“ „Was hast du denn geschrieben? Und wem?“ Ken lächelte bitter. „Wenn die Zeit gekommen ist, sage ich es dir.“ Wormmon kauerte sich zusammen. „Ich habe das Gefühl, dass es mir nicht gefallen wird.“ „Mir gefällt es auch nicht.“ Wieder einmal drängte sich Deemon unangemeldet in seine Gedanken. „Du bist sehr verwegen, Ken. Diesen Spielzug hätte ich nicht von dir erwartet.“ Diesmal ließ er sich zu einer Antwort herab. Alle anderen Gespräche, die Deemon in einem scheinbaren Anflug von Langeweile oder Schadenfreude hatte beginnen wollen, hatte er bisher abgeblockt. Warum sollst du der Einzige sein, der hier schmutzig spielt? Es war abgemacht gewesen, dass Matt das DigiArmorEi bekam, um es an Mimi weiterzureichen. Yolei würde für ihre Mithilfe in Naturalien bezahlt werden. Das würden sie allerdings mit Zinsen ein wenig verschieben; Matts Wölfe hatten schwere Verluste zu beklagen. Das Eherne Wolfsrudel war bis zur Hälfte seiner Größe dezimiert worden. Dieser DigimonKaiser hatte sich geschickter angestellt, als Matt erwartet hatte. Viele der überlebenden Digimon dürsteten nun nach Rache, und auch für ihn selbst war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und das alles für ein solches Kleinod, um eine störrische Prinzessin zufriedenzustellen. Er hoffte, dass sie erkannte, was er alles für sie geopfert hatte. Ansonsten würde er Little Edo verlassen, für immer, neue Mitglieder für seine Truppe anwerben und den Rachedurst der anderen befriedigen. Das war wenigstens etwas, das man konsequent verfolgen konnte. Er versuchte, Gabumon mit dem Ei digitieren zu lassen, aber es funktionierte nicht. Als sie Little Edo erreichten, führte Matt seine Mitstreiter in einer Prozession durch die Stadt, um zur Schau zu stellen, wie abgekämpft sie waren. Gabumon war zu Garurumon geworden, um besser ins Bild zu passen. Sie trugen grimmig ihre Narben offen zur Schau, und Matt hielt das ArmorEi vor sich, Mimis Brusttuch daran gebunden. Aufmerksame Beobachter würden erkennen, was das bedeutete. Ihr Weg führte sie in Schlangenlinien durch die Stadt, und so wartete schon ein großer Digimon-Auflauf vor der Pagode auf sie. Mimi und ShogunGekomon standen fast zuvorderst, nur eine lebende Mauer aus Ninjaman trennte sie von den wild aussehenden Wölfen. Yolei hielt sich mit Hawkmon im Hintergrund, und Matt trat alleine auf die Prinzessin zu. Da er keine Anstalten machte, stehen zu bleiben, öffneten die Ninjamon ihre Reihe widerwillig für ihn. „Prinzessin“, sagte er feierlich, ging vor Mimi auf die Knie und hielt ihr sein Geschenk hin. „Ich bringe Euch hier ein DigiArmorEi dar. Wir haben es unter zahlreichen Verlusten auf dem Stiefel erkämpft. Unsere Feinde waren der DigimonKaiser und die Einhornarmee aus dem Westen gleichermaßen. Hier außerdem Euer Tuch, das Ihr mir gabt.“ Als er aufblickte, sah er in ihre schimmernden, fassungslosen Augen. Verletzte es sie vielleicht doch, für den Tod so vieler seiner treuen Anhänger verantwortlich zu sein? Andächtig nahm sie sein Geschenk entgegen. Die Menge hielt den Atem an. Matt sah den Drachenritter in der Menge stehen, nicht allzu weit von ShogunGekomon und den Dienern der Pagode entfernt. Er glaubte, seine Kiefermuskeln hervortreten zu sehen. „Ich danke Euch“, sagte Mimi schließlich und die letzten Geräusche erstarben, als die Digimon verstehen wollten, was sie sagte. „Ihr habt Euch als mutiger Krieger erwiesen, Ihr wart selbstlos und unerschrocken.“ „Das alles habe ich für Euch getan.“ Also sagt mir nicht, dass es umsonst war. „Ihr seid ein großer Mann, Matt.“ Sie sprach sehr formell. „Ihr seid für mich in die Schlacht gezogen und mit einem kostbaren Artefakt wiedergekehrt. Ihr habt auch gut auf meine Freundin aufgepasst. Ein solches Geschenk hätte ich mir nie zu wünschen gewagt. Gibt es etwas, das Ihr Euch wünscht?“ Jetzt ist der richtige Zeitpunkt! Täuschte er sich, oder ebnete sie ihm sogar bereitwillig den Weg für einen Antrag? War in der Zwischenzeit hier irgendetwas vorgefallen? „Viele sehen die Ehernen Wölfe bereits als eigenes Volk, als Bürger eines Landes, das stets in Bewegung ist. Folgt man dieser Auffassung, bin ich als ihr Anführer der Herrscher eines Volkes und Regent eines Landes. Wenn Euer Vormund einverstanden ist, möchte ich hier und heute um Eure Hand anhalten, teure Prinzessin.“ Er nahm sanft ihre Hand und deutete einen Kuss auf ihren Handrücken an. In der Menge wurde Gemurmel laut. Viele schienen die Ansicht, er wäre eine passende Partie für eine Prinzessin, nicht zu teilen. ShogunGekomon wirkte nur sprachlos auf ihn. Mimi warf Palmon einen Blick zu, der seltsam unglücklich aussah. Dann aber lächelte sie ihn warm an. „Lange habe ich diesen Moment hinausgezögert“, sagte sie laut und einmal mehr verstummte alles. „Die schöne Zeit der Minneschmeicheleien scheint vorbei zu sein. So mein Vormund einwilligt, wäre ich glücklich, Eure Gemahlin zu werden. Erhebt Euch.“ Matt atmete tief durch und die Menge seufzte. Mimi zog ihn an der Hand hoch und stellte ihn neben sich, damit die Versammelten einen Blick auf sie beide werfen konnten. Ihre Hand ließ die seine nicht los. Die Wölfe heulten, die Gekomon jubelten, einige eindeutig pflichtschuldig. Gabumon nickte ihm anerkennend zu und Yolei grinste bis über beide Ohren. Sir Taichi drehte sich mit versteinerter Miene um und ging, wobei er sich mit Schultern und Ellbogen den Weg frei drängelte. Sie ließen sich noch eine Weile feiern, in der Mimi das ArmorEi hoch über ihren Kopf hielt, dann drückte sie Matts Hand fester und flüsterte ihm ins Ohr: „Kommt danach mit in mein Gemach. Ich muss etwas mit Euch bereden.“ Matt nickte. So etwas hatte er schon erwartet. „Wir wollen unter keinen Umständen gestört werden“, wies Mimi Yasyamon, ehe sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer zuschob. Helles Licht fiel durch die Fenster und ließ das Himmelbett und die Überzüge der Sitzmöbel wie Zuckerguss schimmern. Die Prinzessin ließ sich aufs Bett fallen, Yolei setzte sich neben sie. Mimi hatte darauf bestanden, dass sie und Hawkmon ebenfalls dabei waren. Palmon hob sie auf den Schoß. „Es sieht … sehr schön aus“, sagte die Prinzessin schließlich und betrachtete das ArmorEi von allen Seiten. „Was ist das für ein Symbol darauf? Ein Wappen?“ „Vielleicht“, sagte Yolei. „Ich habe gehört, alle ArmorEier haben so etwas. Meines hat euer Wappen.“ „Irgendwo habe ich das schon mal gesehen“, murmelte Palmon. „Das Zeichen der Schwarzen Königin“, half Matt aus, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und darauf wartete, dass sie endlich zur Sache kam. „Es ist ähnlich, aber das hier ist kein blutendes Herz.“ „Aber es ist eindeutig ein Herz“, stellte Hawkmon fest. „Das ideale Geschenk für heute.“ Yolei schien zu glücklich zu sein, als ginge es um ihre eigene Hochzeit. „Ja“, murmelte Mimi leise und legte das Ei weg. „Matt … ich muss Euch etwas gestehen.“ „Ich habt meinem Antrag nicht freiwillig zugestimmt.“ Sie sah ihn aus großen Augen an. „Woher wisst Ihr das?“ „Das war offensichtlich“, murmelte er und wich ihrem Blick aus. „Es war viel zu plötzlich, vor allem für Eure Verhältnisse.“ Falls diese Worte sie kränkten, so zeigte sie es nicht. Sie sah mitleiderregend aus, wie sie da saß, in dem großen Bett, mit Palmon auf dem Schoß, und irgendwie verloren. „Als Ihr weg wart … Nein, lasst es mich so sagen. Ich habe mich kindisch benommen, das ist mir jetzt klar. Und egoistisch.“ Sie sahen sie fragend an und eine ganze Weile schwieg sie. „Ich bin nur ShogunGekomons Mündel. Alles, was ich habe, verdanke ich ihm. Und das Mindeste, was ich tun kann, ist, ihm zu helfen, sein Shogunat gut zu führen. Aber ich habe mich immer quergestellt.“ „Was um Himmels Willen ist denn passiert?“, fragte Yolei. Mimi seufzte. „Diese Armee aus dem Westen … diese Einhornarmee. Da ist irgendein König in der Kaktuswüste, der seine Grenzen ausweitet. Er ist gerade dabei, den Trugwald zu erobern, habe ich gehört. Weiter westlich davon gehört ihm schon alles. Und nun streckt er seine Finger auch nach Little Edo aus. Alle sind in Gefahr und alles wird anders, wenn ich nicht …“ „Wenn Ihr nicht jemanden heiratet, der viele Digimon unter sich hat. Ein starkes Bündnis sozusagen“, führte Matt den Gedanken fort. Mimi nickte und sah ihn nicht an. „Man könnte Bündnisse auf Papier schmieden, aber das hält den Einhornkönig gewiss nicht davon ab, eine Invasion zu versuchen. Aber ein neues Herrscherpaar, dem die Digimon mit Freuden folgen würden … Es würde den Feinden ein ganz anderes Gefühl vermitteln. Zumindest sagt das Karatenmon. Seine Falcomon haben meinen Vormund gedrängt, mich zu verheiraten. Ansonsten fürchtet es, dass es das Edo-Gebirge und seine anderen Ländereien bald verliert.“ „Eine Heirat zur Abschreckung der Feinde sozusagen.“ „Genau. Ihr habt am Stiefel sogar gegen die Einhornarmee gekämpft, sagt Ihr. Und gegen den DigimonKaiser. Sie wissen also beide, dass mit Euch nicht zu spaßen ist. Wenn die Prinzessin von Little Edo den Anführer der Ehernen Wölfe heiratet, wird das Eindruck schinden. Mehr als ein feiges ShogunGekomon“, sagte Mimi verdrossen. Da könnte sie recht haben. Auch, wenn von meiner Truppe nur noch die Hälfte übrig ist, mein Name ist berüchtigt. „Deswegen habt Ihr also akzeptiert.“ Mimi knetete ihre Hände, die in ellbogenlangen Handschuhen steckten. „Ich habe es mir vorgenommen. Wenn Ihr mich beeindrucken könnt, heirate ich Euch. Sonst hätte ich wohl oder übel dem Drachenritter den Vorzug geben müssen. Ich muss endlich aufhören, nur an mich zu denken. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte dieses Minnespiel noch eine Ewigkeit dauern können, aber was wird dann aus Little Edo? Es könnte dann zerstört sein. Viele von Euren Anhängern sind auch tot. Alles nur wegen mir.“ Matt meinte, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. Sie schien doch nicht so unbedacht zu sein, wie er immer geglaubt hatte. „Ich wollte umgarnt werden, wollte mich wie eine richtige Prinzessin fühlen. Das habe ich auch, seit Ihr beide hier seid. Und trotzdem habe ich nur gespielt. Ich muss … endlich lernen, Verantwortung zu zeigen.“ „Es ist nichts falsch daran, erst zu heiraten, wenn man sich sicher ist, dass man den Richtigen gefunden hat“, sagte Yolei überzeugt. Sie sah Matt in die Augen, als müsste sie ihm irgendetwas davon erst deutlich machen. „Erst wenn man sich lange genug kennt, sollte man ans Heiraten denken. Das ist meine Meinung.“ „Die ich teile. Das wäre ideal. Zumindest nach dem Krieg, in Friedenszeiten. Aber wir sind gerade im Krieg, und im Krieg geschieht nichts, was ideal ist.“ Matt ging vor Mimi in die Hocke und nahm beruhigend ihre Hand. Sie sah aus, als könnte sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Ich verrate Euch etwas, Mimi. Ich fühle genauso wie Ihr.“ „Was?“ Sie blinzelte ihn aus wässrigen Augen an. „Versteht mich nicht falsch. Ich finde Euch wunderschön, und ich erkenne die Vorzüge Eures Charakters. Aber um sagen zu können, dass ich Euch liebe … Ich denke, da haben wir wirklich noch nicht genug Zeit miteinander verbracht. Aber auch ich brauche ein mächtiges Bündnis, wisst Ihr? Die Ehernen Wölfe sind der Schrecken der Großen Ebene, zumindest sind sie es jetzt noch. Als der Krieg jung war, waren die Gebiete weniger fest aufgeteilt. Wir konnten neutralen Städten und Siedlungen helfen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, und die wackeligen Grenzposten der großen Reiche zerschlagen. Aber je länger der Krieg dauert, desto mehr ist der Kuchen aufgeteilt. Wohin wir uns auch wenden, das Land gehört zum Nördlichen Königreich, zum Kaiserreich oder zu den Gebieten dieses Einhornkönigs. Wir können lediglich Dörfer vor Plünderern schützen und dann selbst Reißaus nehmen, wenn die Truppen der Großmächte auftauchen. Für die Ehernen Wölfe gibt es keine Zukunft, jedenfalls nicht so. Irgendwann würden wir von allen Seiten nur noch gejagt werden. Wenn wir sesshaft werden, können wir die Speerspitze eines Heeres bilden, das wieder mit den Großen mitmischen kann. Darum habe ich heute um Eure Hand angehalten.“ Mimi schwieg lange, wusste offenbar nicht, was sie davon halten sollte. Die Traurigkeit war ein wenig aus ihrem Blick gewichen, als sie fragte: „Hättet Ihr auch ein hässliches Digimon geehelicht, wenn Ihr dadurch einen festen Platz in der DigiWelt bekommen hättet?“ „Nein.“ Sie lächelte. „Also sind wir uns beide einig, dass das doch eine politische Hochzeit wird? Ich habe so etwas immer verabscheut.“ „Nach dem Krieg können wir es immer noch überdenken“, versprach Matt. „Es wird sich für Euch nichts ändern. Alles was wir tun müssen, ist, bei Eurer Zeremonie symbolisch den Bund zu schließen. ShogunGekomon bekommt seine schlagkräftige Offensive, wir bekommen Schutz und Land. Wir beide werden vermutlich ein gemeinsames Gemach beziehen, aber wenn Ihr wollt, können wir immer noch in getrennten Betten schlafen. Ansonsten wird es genauso sein wie bisher. Ihr führt das Leben einer Hofdame, ich werde viel Zeit bei meinen Wölfen verbringen. Wenn wir den Krieg überstanden haben, können wir die Ehe ohne Gewissensbisse auflösen. Was sagt Ihr?“ Mimi ließ es sich durch den Kopf gehen. „Eine Sache hast du vergessen“, grinste Yolei inzwischen. „Du wirst dann nämlich Shogun.“ Daran hatte Matt gar nicht gedacht. Plötzlich wurde ihm ein klein wenig unwohl zumute. Er war nicht dafür geschaffen, ein ganzes Shogunat zu führen. Ein Heer aus raubeinigen Digimon, ja, aber das hier war eine ganz andere Sache … „Wir werden ShogunGekomon viele Rechte und Pflichten einräumen. Ich werde achtgeben, dass es in seinen Entscheidungen nicht zu weich wird“, entschied Matt. Mimi seufzte und drückte Palmon wie ein Kissen an sich. „Es hört sich so einfach an … Als würde sich tatsächlich nichts ändern. Aber mit der Romantik wird es vorbei sein.“ „Es gibt andere romantische Dinge. Spätestens nach dem Krieg.“ Sie nickte zögerlich. Wie um sie auf andere Gedanken zu bringen, erzählte Yolei Mimi von dem Kampf um das ArmorEi. Die Prinzessin starrte sie ungläubig an. „Du hast mit bloßen Fäusten gegen den DigimonKaiser gekämpft?“ Sie wandte sich Matt zu. „Und Ihr auch?“ „Er ist gar nicht so furchterregend“, meinte Yolei achselzuckend. „Aber er hat ein paar sehr komische Dinge gesagt.“ „Psychologische Kriegsführung“, sagte Matt. „Am besten hört man auf so etwas gar nicht.“ „Mimi, lass uns das ArmorEi ausprobieren!“, drängte Palmon. „Ah, gute Idee! Was muss ich machen, Yolei?“ „Ähm … Du nimmst es in die Hand und rufst Erstrahle. Es ist ganz einfach.“ Um nichts zu beschädigen – wer wusste schon, wie groß Palmon werden würde, wenn es digitierte – gingen die fünf nach draußen. Doch egal, wie sehr sie sich abmühten, das Ei hatte absolut keine Wirkung auf Palmon. Niedergeschlagen gab Mimi es an Yolei weiter, damit sie und Hawkmon es auch noch ausprobieren konnten – und wie durch ein Wunder wurde das Digimon zu einem Greif mit metallenem Helm. Mimi blies verstimmt die Backen auf. „Das ist ungerecht. Hawkmon kann ja schon zu Shurimon digitieren.“ Hawkmon verwandelte sich zurück und senkte beschämt den Kopf. „Es tut mir leid, Mimi.“ „Ach, da kann man nichts machen“, meinte die Prinzessin schließlich. „Ich schenke es euch.“ „Du meinst … das Ei?“ Yolei und Hawkmon tauschten erfreute Blicke. „Uns?“ „Sicher. Unter einer Bedingung. Du wirst meine Brautjungfer.“ Die Wende kam am späten Nachmittag. Er merkte es schon an der Unruhe, mit der das Grizzlymon, das heute mit dem Wacheschieben dran war, ihn kontaktierte. „Eure Majestät …“, murmelte es nasal, „wir … haben da jemanden, also, es will noch jemand eine Audienz bei Euch …“ „Ich habe doch gesagt, ich empfange heute niemanden“, murrte er. „Ich bitte demütigst um Entschuldigung, aber es scheint mir wichtig zu sein, dass Ihr hier eine Ausnahme macht, wenn Ihr gestattet.“ „Wer ist es?“ „Ein … Nun, ein Mensch, Eure Majestät.“ „Ein Mensch?“ Ken sprang auf. Seine Hand pochte wieder, aber er merkte es kaum. „Wer?“ Diese Frage war vielleicht zu anspruchsvoll, aber Grizzlymon antwortete trotzdem. „Sie, äh, sagt, sie heißt Nadine, wenn Majestät belieben. Und sie behauptet, sie wäre, nun ja, die Königin der Schwarzen Rose.“ „Die Königin der …“ Sein Herz machte einen Satz. Ein Saatkind! Aber warum sollte ein Saatkind eine Audienz bei ihm verlangen? Nadine … „Hat sie noch etwas gesagt?“ Er konnte hören, wie Grizzlymon sich mit seinen groben metallenen Klauen das Fell kratzte. „Nun, ja, Eure Majestät, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen. Sie sagte, dass sie Euch jetzt endlich wiedersehen will, weil sie Euch nicht mehr gesehen hat, seit Ihr mit Euren Freunden ein Digimon namens MaloMyotismon besiegt habt.“ Dreh dich nicht um, wenn du nicht willst, dass man dich sieht Die Schlacht verloren, nicht den Mut Ein neuer Tag, ein alter Krieg (Faun – Rad) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)