New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 19: Zwei Banner im Wind ------------------------------- Tag 47 Verwüstete Landschaften zogen zu dramatischer Musik vorbei, niedergebrannte Dörfer und rauchende Ruinen. Ein paar Seelen, die davonstoben. „Was ist aus der einst so prächtigen DigiWelt geworden? Krieg und Zerstörung, überall“, tönte eine warme Stimme. Man sah eine Brigantentruppe, die ein Dorf überfiel, dann ein kleines Heer mit dem Wappen des Mutes auf seinen Bannern, das auf offenem Feld über eine Handelskarawane herfiel. „Viele Fraktionen kämpfen um des Krieges willen. Nur eine kämpft, um den Frieden zu erlangen.“ Schließlich eine Szene von einer friedlichen Landschaft, geschwungene, sattgrüne Hügel, ein Floramon-Dorf, in dem getanzt und Pfeife geraucht wurde. Dahinter, groß und monströs, ein Schwarzer Turm. „Die Schwarzen Türme sind ein Symbol des Schutzes. Sie ermöglichen es eurem geliebten Kaiser, euch jederzeit zur Hilfe zu eilen, und sie halten die Verbrecher im Zaum, die den Krieg schamlos ausnutzen.“ Ein anderes Dorf, eine Bande fledermausartiger Vilemon flatterte nachts darauf zu, zweifellos in böser Absicht. Schwarze Ringe schwärmten aus dem Schatten des Turmes aus, die Schriftzeichen darauf rot glühend, damit man sie erkannte, und bändigten die Digimon, ehe sie Schaden anrichten konnten. „Doch es gibt auch andere Menschen, die die Macht dieser Türme zu kopieren versuchen.“ Das Bild schwenkte an den Rand der Kaktuswüste, wo man Digimon des Einhornkönigs beim Angriff auf ein noch freies Dorf sah. Aus der Ferne sah man Attacken hageln und Feuer entflammen, dann war das Dorf vernichtet und ein Schwarzer Turm stand dort. „Es sind Imitationen, ohne Macht, nur ein Zeichen der Unterdrückung, eine Perversion des Friedens, die ein Turm eures Kaisers euch bietet.“ Es folgten andere Bilder des Krieges, verwackelte Aufnahmen des Deckerdramons, das den Stiefel bombardiert hatte, Videos von der Front, von sterbenden Digimon, denen von Soldaten unter dem Einhornbanner der Gnadenstoß versetzt wurde, dann Schnitt, kurz bevor sie tatsächlich starben. „Die DigiWelt ist eine schmutzige Welt geworden. Schmutzig von Verrat, Rufmord, Verleumdung, Mord. Triefend von Hass und Selbstsucht. Doch fürchtet euch nicht – sie stehen euch zur Seite.“ Eine stattliche Armee, die vor einem Turm dem Schatten des DigimonKaisers salutierte: Neutrale Monochromon, die mit den Füßen stampften, die Panzer blitzblank poliert und sauber; prächtige Rhinomon, Nashörner mit goldenem Panzer, der blitzte und glänzte wie eine zweite Sonne. Reihen aus Gazimon, die niederknieten und nacheinander, wie eine Welle, wieder in die Höhe kamen. „Sie sorgen für eure Zukunft.“ Schnitt auf die Stadt des Ewigen Anfangs; kunterbunte DigiEier lagen friedlich auf einer blumenbewachsenen Wiese, Baby-Digimon spielten mit Bällen oder auf Hüpfkissen. Wieder sah man Schwarze Türme, die darüber wachten. „Das größte Reich. Die größte Hoffnung. Das einzig wahre Kaiserreich und das Königreich der Schwarzen Rose sind eins geworden, bereit, für euch zu kämpfen.“ Man sah den DigimonKaiser, wie er in seiner Festung Hof hielt, stattlich in seinem herrschaftlichen, throngleichen Stuhl, und aufmerksam den Bittstellern lauschte. An seiner Seite Königin Nadine, in ein wunderschönes Gewand gekleidet, die in einem genau gleichen Sessel saß. „Gerecht, barmherzig, edel.“ Nadine, die ein kniendes Gekomon an der Hand nahm und ihm mit einem freundschaftlichen Lächeln aufhalf. „Ihnen gebührt unsere Loyalität. Sie sind unsere Rettung. Sie führen uns aus dem Krieg und in eine glorreiche Zukunft. Auf ewig gepriesen und bejubelt seien Königin Nadine die Schwarze Rose und der DigimonKaiser.“ Die Musik wurde volltönender, und unter Fanfarenstößen wurden die beiden Herrscher von ihren im Wind flatternden Bannern überblendet, links die violette Blüte des Kaiserreichs, rechts die schwarze Rose. Die Musik endete, und das Bild wurde schwarz. Ken nickte zufrieden. Es würde Nadine gefallen, so hoffte er. Er hatte längst nicht alle Möglichkeiten seiner Propagandamaschinerie ausgenutzt, aber das war ein würdiger weiterer Schritt, fand er. Hoffentlich nahm sie ihm den Anfang nicht übel, in dem hauptsächlich von ihm die Rede war; er hatte diese Teile drehen lassen, ehe er sie kennen gelernt hatte. Es war leicht gewesen, Videomaterial zu finden, das seine Feinde diskreditierte. Verstörende Bilder sah man in der DigiWelt genug, und mit der richtigen Untermalung und an der richtigen Stelle in ein großes Ganzes geschnitten, bekamen viele Szenen eine ganz neue Bedeutung. Ein versiertes Datamon hatte ihm geholfen, vieles hatte er aber selbst zusammengeschnitten. Sein Überfall auf Little Edo hatte viele ehrliche Digimon gegen ihn aufgebracht, auch aus den eigenen Reihen. Ein zweites Video war bereits vor Tagen über die Bildschirme seiner Monitormon überall in seinem Reich auf Sendung gegangen. Darin wurde Matt als machtgieriger Ränkeschmied dargestellt, der die arme Prinzessin Mimi zur Hochzeit gezwungen hatte, um Little Edo zu unterwerfen und in einen langjährigen, aussichtslosen Krieg zu führen. Bilder seines MetallGarurumons, das ganze Heere auseinander riss, gaben dem Video einen gewissen schockierenden Touch, und letztendlich wurde Matt gezeigt, wie er gefesselt abgeführt wurde und Ken somit Little Edo errettet hatte. Am Schluss sah man noch seine Bemühungen, die Stadt wieder aufzubauen. Er hatte viele Statisten verwendet, weil man keine Schwarzring-Digimon sehen sollte. Insgesamt war mehr gelogen als wahr, aber Kens schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Er musste die DigiWelt erobern, um sie zu retten; keiner außer Nadine und Wormmon konnte das verstehen, also blieb ihm nur, mit allen Mitteln seine guten Absichten zu verdeutlichen. Während er auf Nadine wartete, die nachhause gekehrt war, um das Problem mit ihrer Kavallerie aus der Welt zu schaffen und sich ihrer eigenen Regierungsangelegenheiten anzunehmen, las er sich die Berichte durch, die Spadamon ihm geschickt hatte. Wie es aussah, beschäftigte sein Spion seinerseits gute Spitzel, und die Sache mit Little Edo hatte Ken so sehr in Anspruch genommen, dass er noch nicht alle seine Nachrichten durchgesehen hatte. Die Zuverlässigen, zu denen Joe gehörte, waren ins Krisengebiet zwischen der Felsenklaue und der Kaktuswüste gezogen. Von Davis war bekannt, dass er der Held der Schlacht um die Blütenstadt geworden und in König Leomons Rat berufen worden war. Das war schlecht, denn Kens Plan, ihn irgendwie auf seine Seite zu ziehen und Stingmon mit Ex-Veemon digitieren zu lassen, war somit vorerst auf Eis zu legen. Von Izzy persönlich hatte noch niemand etwas gehört, aber das Banner und der Name der Konföderation zur Wahrung des Wissens der DigiWelt, die seit Kriegsbeginn auf der südlichen Halbinsel hockte, sprachen Bände. Izzy war irgendwo dort unten in der Staubwüste, hinter schlafenden Ungetümen aus Metall. Spadamons Freunde hatten endlich auch Cody ausfindig gemacht, er war ein Arenasklave in Masla. Als Ken das las, zögerte er kurz, ehe er zum ersten Mal seit Tagen mit Deemon in Kontakt trat. Er ließ es zu, dass das Digimon sich in seinen Gedanken materialisierte, und konzentrierte sich auf den mentalen Austausch, sodass alles um ihn herum grau und zweidimensional wurde. Ich habe eine Frage, Deemon. Deemons Gestalt flackerte zornig in der Ecke des Raumes. „Hast du dich also entschieden, wieder mit mir zu reden, Ken?“ Ken ignorierte seinen hohntriefenden Tonfall. Erkläre mir das mit Masla. Diese Stadt hat es nie gegeben – hast du sie nur erschaffen, damit sie der Dreh- und Angelpunkt des Sklavenhandels wird? Masla – so wie Master and Slave? Das ist der einzige Computerterminus, der mir dazu einfällt. Deemon schnaubte durch seine Kapuze. „Du schottest mich tagelang ab, und nun erwartest du von mir, dass ich dir mein Spiel weitererkläre? Du bist ein Narr, Ken.“ Sieh es als Gelegenheit, endlich wieder etwas sagen zu dürfen. Mir persönlich wäre langweilig, wenn ich keinen vernünftigen Gesprächspartner hätte. Deemon grummelte noch ein bisschen, ehe es sich erweichen ließ. „Warum fragst du mich, wenn du es ohnehin weißt? Dein Freund Cody wurde in eine Sklavenstadt hineingeboren. Ich dachte, das mögt ihr Menschen – Untergebene, die entgeldlos alles für euch tun und es nicht wagen, aufzubegehren. Diese Eigenheit hat mir auf meinem Spielbrett noch gefehlt.“ Es kicherte heiser. Du wolltest mich nur schockieren, indem du einen meiner Freunde zum Leibeigenen gemacht hast, oder? Wird er auch ausgepeitscht? Der Spielmeister antwortete nicht direkt darauf. „Und, bist du schockiert? Du bist selbst nicht anders, Ken. Deine Ketten sind Schwarze Ringe, und deine Peitsche sind die Schwarzen Türme.“ Meine Peitsche habe ich lange abgelegt, dachte Ken, ehe er sich bewusst wurde, dass Deemon das hören konnte. Wenn überhaupt, werden meine Türme die Peitsche sein, die dich zähmt, Deemon! Wieder dieses hohle Lachen. „Darauf würde ich nicht wetten, Ken“, schnarrte Deemon und Ken versiegelte es wieder in seinen Gedanken. Es gelang ihm besser als das letzte Mal, und Deemon schien sich schon damit abgefunden zu haben. Er hätte es noch zu Kari und T.K. befragen können, aber es hätte ihm sicher nichts verraten. Diese beiden waren die Einzigen, die Spadamon noch nicht aufgetrieben hatte – obwohl es den Server-Kontinent praktisch von oben bis unten durchforstet hatte. Wo zum Teufel steckten sie? Er tippte mit den Fingern auf die Armlehne seines drehbaren Stuhls. Matt war in den Tiefen der Festung eingesperrt, ohne DigiVice, und nur mit Gabumon allein konnte er unmöglich fliehen. Es fehlte ihm nicht an Annehmlichkeiten, er bekam dasselbe Essen wie Ken selbst – wovon er allerdings nichts anrührte –, außerdem hatte er ein weiches Bett, behagliche Einrichtung und sogar allerlei Musikinstrumente, damit er sich beschäftigen konnte. Ken hatte ihm einen Besuch abgestattet und war äußerst freundlich zu ihm gewesen, aber Matt hatte ihm nur kühl seinen Untergang versprochen. „Gabumon und ich werden dich aufhalten, und wenn es das Letzte ist, was wir tun“, hatte er ruhig erklärt und Ken hatte sich wieder wie der Bösewicht in diesem Spiel gefühlt. „Ich bin nicht dein Feind, Matt. Alles, was ich will, ist diesen Krieg zu beenden.“ „Indem du die DigiWelt verwüstest?“ „Indem ich sie erobere.“ Matt hatte nur geschnaubt und ihn weiter unnachgiebig angesehen. Es war hoffnungslos. Ken hatte kurz erwogen, Gabumon mit seinem DigiVice zu einer Schwarzen Digitation zu bringen und wenigstens das Digimon so auf seine Seite zu bringen, aber er würde es nie übers Herz bringen, das wusste er. Für seine Freunde war er in dieser verkehrten Welt ein Todfeind, der vor nichts zurückschreckte, um die DigiWelt zu unterjochen. Die einzige Möglichkeit, Matt zu retten, war, ihn festzusetzen. Ebenso würde es wohl mit Yolei und Mimi sein, und mit Tai, der immerhin einen hohen Rang in der Armee des Nördlichen Königreichs innehatte. Mit Davis würde er sich große Mühe geben, er setzte Hoffnungen in dessen Fähigkeit, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Von allen waren Cody und Joe die Einzigen, von denen er hoffen konnte, sie ohne viel Federlesens auf seine Seite zu bringen. Deemon hatte ihm vielleicht sogar einen Gefallen damit getan, Cody zum Sklaven zu degradieren. Die Einhornarmee war ohnehin sein nächstes Ziel; er würde ihn befreien und bei der Gelegenheit auch Joe suchen. Wenn seine Freunde bei seinen Feldzügen weiterhin in der Schusslinie waren, könnte er nicht mit allem kämpfen, was er hatte. Ein Bericht von Devimon erschien als Nächstes auf seinem Bildschirm. Ein Bataillon neuer Rekruten stand bereit und würde demnächst auf den Kontinent verschifft werden. Ken war zufrieden. Er hätte gerne nur Freiwillige aus der Stadt des Ewigen Anfangs in diesen Krieg gezogen, aber die Stadt quoll förmlich vor Eiern und Baby-Digimon über, als versuchte die DigiWelt, das Massensterben in diesem Krieg mit neuem Leben auszugleichen. Ken war mittlerweile klar, dass er nicht wie ein Bilderbuchkaiser regieren konnte, und er wollte es auch nicht. Eine gewisse Härte läge in seinen Zügen, hatte Wormmon unlängst sorgenvoll gemeint, und Ken tat es zwar leid, aber kein Weichling konnte regieren. Also hatte er veranlasst, dass neunzig Prozent aller neu geschlüpften Digimon zu Soldaten gedrillt wurden. Ein Panjyamon, das wie ein Leomon ganz in Weiß aussah, übernahm die Ausbildung, die, militärisch, wie sie war, dazu geführt hatte, das viele der Ausbildungs-Digimon zu humanoiden, mit Gasmasken und Schutzanzügen ausgestatteten Troopmon oder zu Commandramon, kleinen Echsen in Kevlarrüstung mit Maschinenpistolen, digitiert waren. Nadine nannte sie scherzhaft Soldatentierchen. Wie aufs Stichwort glitt die Tür zur Kommandobrücke, die mittlerweile vollständig wiederaufgebaut worden war, zur Seite und ein Gazimon verbeugte sich. „Königin Nadine, Eure Majestät“, näselte es. Mit wehenden, schwarzen Röcken rauschte Nadine in die Dunkelheit der Brücke, wo sie fast mit den Schatten verschmolz. Nur ihr Gesicht war hell, und Ken sah sofort ihren besorgten Gesichtsausdruck. „Lass uns allein“, befahl er dem Gazimon, das sich katzbuckelnd entfernte. Die Hagurumon, die emsig an den Maschinen arbeiteten, empfand er nie als störend, also ließ er sie bleiben. „Hallo“, sagte er nach kurzem Schweigen. Sie zu begrüßend war immer eine irgendwie … verklemmte Angelegenheit. Sie waren beide Regenten mit tonnenschwerer Verantwortung auf ihren Schultern, und sie begrüßten sich wie Schulfreunde. „Hi.“ Sie wich kurz seinem Blick aus. „Es gibt … Neuigkeiten. Ich fürchte, du musst in nächster Zeit gut aufpassen.“ „Was ist los? Ist es wegen deiner Kavallerie?“ „Sie sind nicht mehr meine Kavallerie“, murmelte Nadine bitter. „Sie haben den Bohrturm verlassen, als ich ihnen gedroht habe, ihnen mit meiner Armee auf den Leib zu rücken, aber sie haben sich von mir – von uns – losgesagt. Sie sind durch das Schneisental geflohen und irgendwo auf der Großen Ebene untergetaucht.“ Das war gut möglich. Noch stand nicht überall in Little Edo ein Schwarzer Turm, es war eher ein Schachbrettmuster. Das schwarze Granulat musste erst durch die Wüste transportiert werden, und Ken hatte keine Zeit gehabt, den Bau der Türme zu beschleunigen. Wenn sie es geschickt angestellt hatten, hätten die abtrünnigen Digimon sich durch Little Edo schleichen können, ohne dass Ken etwas davon gemerkt hätte. Wahrscheinlich würden demnächst Spähermeldungen von Musyamon eintrudeln. „Das Letzte, was RiseGreymon mir mitgeteilt hat, ist, dass sie nun eine freie Partisanengruppe wären“, sagte Nadine beklommen. „Und … dass sie dich trotzdem bekämpfen werden und dir ein Abschiedsgeschenk hinterlassen haben. Bevor du den Turm wieder in Betrieb nimmst, solltest du ihn also genau untersuchen lassen.“ „Ach, das. Dieses Geschenk hab ich schon erhalten.“ Nadines Augen weiteten sich alarmiert. „Was ist passiert?“ Ken tippte auf ein paar Tasten und zeigte ihr ein Überwachungsvideo auf einem der Seitenmonitore. Man sah die Kaiserwüste, durch die sich wie eine Schlange eine Pipeline zog. An einer Stelle war das dicke Eisenrohr gekappt und die eine Hälfte verschlossen worden; aus der anderen sickerte zähflüssiger, grünlich gelber Schlamm, bei dessen Anblick allein man meinte, den Gestank zu riechen, den er verbreiten musste. „Es sind chemische Abfälle, wahrscheinlich aus der Fabrikstadt“, erklärte er. Das Bild wurde von einer Explosion erschüttert, als das grüne Zeug in Flammen aufging und die Pipeline regelrecht zerfetzt wurde. Ein Krater, lang wie ein Tal, hatte sich stattdessen gebildet und wurde langsam von Sand bedeckt, während brennende Fetzen des Materials noch in der Luft herumflogen. „Die Pipeline führt von dem Bohrturm nahe an meiner Festung vorbei. Sie wollten mich in die Luft sprengen, oder zumindest meine Truppen, je nachdem, was sie erwischt hätten.“ Nadine starrte mit offenem Mund auf den Bildschirm. „Oh mein Gott“, hauchte sie. „Ich hätte nie gedacht, dass sie … Ich bin froh, dass es dir gut geht.“ Ken klickte die unschöne Landschaft weg. „Keine Sorge. So leicht kann man mir nichts anhaben.“ „Wie hast du herausgefunden, was sie vorhatten?“ „Ich lerne aus meinen Fehlern, das ist alles.“ Oh ja, das tat er. Damals, während seiner ersten Herrschaft, hatten die DigiRitter ebendiese Pipeline benutzt, um seine Festung anzuzünden und darin einzudringen. Unweit von dieser Stelle war sie dann abgestürzt. Als der Bohrturm an die Kavallerie der Rose gefallen war, hatte er das Rohr daher vorsorglich kappen lassen. „Ich habe übrigens ein anderes Video für dich, das dir hoffentlich besser gefallen wird.“ Er spielte ihr den Propagandaspot vor und fragte nach ihrer Meinung. Nadine gefiel er sogar ganz gut, sie hatte nur ein paar Dinge am Zusammenspiel von Szenen und Hintergrundmusik auszusetzen. Zu zweit stimmten sie diese noch besser aufeinander ab, und die Bilder von Kampf und Zerstörung wirkten am Ende noch dramatischer.   Es wurde ein letztes Mal Zeit, hier Hof zu halten, ehe Ken zur Felsenklaue reiste. Er wollte Wormmon diese Last nicht noch mehr aufbürden, denn seit seine Armee gen Westen marschiert war und Little Edo jetzt ihm gehörte, nahmen die Bittsteller gar kein Ende mehr. Wormmon gab sich große Mühe, alles in seiner Abwesenheit zu regeln, aber sein Partner hatte ein zu gutes Herz und erfüllt beinahe jeden Wunsch. Wie auch in dem Video zu sehen sein würde, hatte Ken einen zweiten Sitzplatz für Nadine anfertigen lassen und empfing seine Untertanen mit ihr gemeinsam in der Gesuchshalle. Jeder sollte wissen, dass sie zueinander standen und ihr Reich gemeinsam und harmonisch regierten. Diese Art von Arbeit war für Ken immer die ermüdendste. Damals hatte er auf niemanden hören müssen, aber ein guter Herrscher musste seine Untertanen achten. Wie anstrengend das war, war unbeschreiblich. Obwohl sein Sitz so desolat lag, könnte er den lieben langen Tag auf seinem Stuhl sitzen, bis sein Hintern wund und sein Nacken verspannt waren, und trotzdem würde der Strom aus Bittstellern nicht abreißen, die der langen Marsch durch die Wüste zudem oft sehr hartnäckig gemacht hatte. Meist ging es um banale Dinge, oftmals irgendwelche Straftaten. Mit Digimon war es viel einfacher als mit Menschen, glaubte Ken zu wissen, und dafür war er dankbar. Viele unschöne Dinge wie Vergewaltigungen blieben ihm erspart, und da die DigiWelt grundsätzlich auf Anarchie gründete, regelten die meisten Bürger seines Reiches ihre Streitigkeiten untereinander. Je mehr man allerdings den Krieg, dieses Einmischen der Menschen in die vorherrschende Gesellschaft im Kaiserreich spürte, desto unruhiger wurden die Digimon und desto mehr hatten sie zu beklagen. Ein Veggiemon jammerte, dass die Steuern zu hoch wären und es mit seinem Geschäft kaum etwas erwirtschaften könne. „Die Steuern müssen sein, damit wir unsere Truppen bezahlen können“, erklärte ihm Ken. „Ohne die innere Ordnung könnte dein Geschäft bald von Plünderern oder Feinden überrannt werden.“ Niedergeschlagen zog das Digimon von dannen. Anfangs hatte Ken noch versucht, es jedem recht zu machen, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Er musste das Reich zusammenhalten, einzelne zufriedene Bauern und Händler taten das nicht für ihn. Sogar ein paar Otamamon waren unter den Bittstellern. Weit im Westen seines neuen Gebiets, am Rand des Einflussbereiches von Little Edo, nutzten Räuber die noch wackelige Durchsetzungskraft der neuen Regierung aus, um Sake und Reis und Edelsteine zu stehlen, die dort abgebaut wurden. Ken versprach, sich darum zu kümmern und seine neuen Rekruten auf direktem Wege dorthin zu schicken. Als nächstes sprachen drei Woodmon-Brüder vor, die in der Nähe des Koromon-Dorfes an der Stiefelbucht Gemüse anbauten. „Eure Armee kostet uns zu viel“, sagten sie unisono. „Sie haben unsere Vorräte beschlagnahmt und zertrampeln unsere Felder. Und sie wollen nicht weitergehen! Immer wieder wollen sie, dass wir und die anderen Bauern etwas entrichten.“ Ken hatte von den Schwierigkeiten an der Front gehört. Es war nichts Gravierendes, aber als sich General Zephyrmons Truppen mit denen vom Stiefel vereint hatten, waren sie am Rand der Wüste von einem gewaltigen Heer von Takashi und einem Irrgarten aus Stacheldraht aufgehalten worden. Nach ein paar kurzen Gefechten war eine Pattsituation entstanden und Zephyrmon steckte fest. Der Dschungel aus Feldlagern forderte seinen Tribut, und in der Wüste konnten sie keine Nahrungsmittel auftreiben. „So leid es mir tut, diese Beschlagnahmungen sind notwendig. Die Armee tut ihr Bestes, und wenn sie besiegt wird, seid ihr alle dem Feind schutzlos ausgeliefert.“ Er plante, dem Stellungskrieg ein Ende zu bereiten, indem er von Nadines Land aus das Heer des Einhornkönigs in die Zange nahm. Bis dahin würde es aber noch ein wenig dauern. Als die Woodmon den Kopf hängen ließen, fügte Nadine hinzu: „Führt genau Buch darüber, was die Digimon euch genommen haben. Wenn der König in der Wüste gefallen ist, werdet ihr eure Waren aus seinen persönlichen Vorräten ersetzt bekommen.“ Ken sah sie stirnrunzelnd an. Das war nicht abgemacht gewesen. Sie zwinkerte ihm nur vergnügt zu. Die Woodmon waren nicht sehr aufgeheitert, aber immerhin beschimpften sie ihn nicht, als sie gingen. Ganz anders als die fünf Candlemon, brennende Kerzen aus weißem Wachs, die auf ihren messingfarbenen Kerzenhaltern heran hüpften und sich tief verbeugten. Sie stammten aus einer anderen, ebenfalls fernen Ecke des Reiches, aus einem Dorf an der Knöchelküste, oberhalb des Bandes, des Flusses, der in den Nadelbergen nahe Santa Caria entsprang und durch einen Stausee nahe der Kesselstadt hindurch irgendwann den Net Ocean erreichte. Die Candlemon hatten Streit mit den Bearmon aus dem Dorf am anderen Ufer, von denen ebenfalls zwei Vertreter anwesend waren. Die ungehaltenen Flammendigimon warfen mit Anschuldigungen nur so um sich, beschimpften die Bearmon als Diebe und bezichtigten sie, dass sie etwas mit dem Fluss gemacht hätten, um das Candlemon-Dorf zu überfluten, und vor Wasser hatten sie ohnehin panische Angst. Die Bearmon wiesen die Vorwürfe zurück und wurden dabei selbst laut und gereizt. Weiter flussaufwärts hätte es geregnet oder der Damm wäre beschädigt, von daher rühre die Überschwemmung. Ken versuchte, ein gerechter Richter zu sein, aber alle Anschuldigungen der Kerzendigimon waren haltlos und bestenfalls ausfallend. „Bestraft diese haarigen Biester, wenn Ihr unser rechtmäßiger Kaiser seid“, fauchte eines von ihnen. „Wir haben Euren Schwarzen Turm immer in Ehren gehalten, Majestät! Diese Bearmon stapeln ihren Mist an seiner Basis!“ „Sie terrorisieren uns, weil sie neidisch auf unsere Maisfelder sind! Bearmon sind ganz verrückt nach Mais, sie wollen uns vertreiben, damit sie da ran kommen, das ist Diebstahl! Könnt Ihr solche Zustände in Eurem Reich verantworten?“ „Niemand will euren dämlichen Mais“, brummte eines der Bearmon. Sie sahen tatsächlich aus wie kleine Teddybären, mit blauen Lederriemen um Brust und Pranken und einer gleichfarbigen Kappe auf dem Kopf. „Ihr wollt nur eine Entschädigung für eure eigene Dummheit! Was baut ihr eure Hütten so nah am Wasser, wenn ihr euch so davor fürchtet? Majestät, hört nicht auf diese Schlawiner, die wollen nur Eure Gutmütigkeit ausnutzen!“ So ging der Streit etliche Runden weiter, bis Ken dem ein Ende setzte. „Es tut mir leid“, sagte er bedauernd, aber mit fester Stimme zu den Candlemon, „aber ihr könnt keine von euren Anschuldigungen beweisen. Solange ihr mir nicht handfeste Beweise bringt, kann ich die Bearmon nicht verurteilen.“ „Dann seid Ihr nicht unser Kaiser“, zischte eines der Kerzendigimon wütend, und es hörte sich an wie ein erlöschender Docht. „Vielleicht mag der Löwe aus dem Norden ja auch Mais“, giftete ein anderes. „Das Kaiserreich zu verraten ist ein schweres Vergehen“, warnte sie Ken, aber er wusste, dass er ihre Unterstützung bereits verloren hatte. Und vermutlich auch die der wenigen anderen Dörfer nördlich des Bandes. Die Candlemon drehten sich nur um und hoppelten davon, eines spuckte sogar Wachs auf den Fußboden. Kens Gazimon-Wachen wollten schon reagieren, aber er hob nur die Hand zum Zeichen, die Digimon ziehen zu lassen. Er würde sie mit Schwarzen Ringen zur Vernunft bringen müssen, denn er brauchte ihr Gebiet. Aber er wollte sie jetzt nicht bedrohen. „Ich brauche einen Stellvertreter“, seufzte er, als er kurz Ruhe hatte, und streckte seine schmerzenden Glieder von sich. „Einen guten Stellvertreter. Ein Reich zusammenzuhalten wird immer schwerer, je größer es wird.“ Nadine legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte zuversichtlich. „Ich finde, du hast das gut gemacht.“ „Mehr als die Hälfte von ihnen hasst mich jetzt.“ „Besser sie hassen uns, als dass Takashi uns überrennt, weil wir schwache Regenten sind, oder?“ Ken seufzte. „Ich habe mir geschworen, nie wieder ein Tyrann zu werden. Aber ich muss hart sein, sonst … verlieren wir.“ „Hart zu sein bedeutet ja nicht, ein Tyrann zu sein. Ich finde, du bist sehr gerecht.“ Sie kicherte verhalten. „Wenn ich daran denke, was mir meine Untertanen schon alles vorgeworfen haben, waren die Candlemon ja richtig harmlos.“ „So? Was denn?“, fragte er neugierig. „Hm.“ Nadine tat, als zähle sie es an ihren Fingern ab. „Ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Unsere Zukunft ist so schwarz wie die Rose auf meinem Banner. Ich bin nur ein dummes, kleines Mädchen und verstehe weniger als nichts von allem – ja, sogar unter den Digimon gibt es schon eingefleischte Sexisten. Aber das Ausgefallenste hat ein Raremon einmal zu mir gesagt, das zwei Tage gebraucht hat, um die Treppen in meinem Palast bis zu meinem Audienzsaal hochzukriechen, und das ich dann abgewiesen habe. Es hat gemeint, meine Rose hätte mehr Dornen als Blütenblätter, mein Kleid wäre nur eine Fassade, unter der ich aussehe wie ein vertrocknetes Blossomon, und die Art, wie ich regiere, stinkt zum Himmel. Und das von einem Raremon, kannst du dir das vorstellen? Ich meine, wir haben eine Woche gebraucht, um seinen eigenen Gestank wieder aus dem Audienzsaal zu bekommen.“ Gegen seinen Willen musste Ken schmunzeln. „Also, wen haben wir noch?“, fragte er die Gazimon seufzend, die ein paar Gotsumon, Gizamon und einen Gesandten von Musyamon ankündigten. Ken war froh, dass Nadine auch oft das Wort erhob und diplomatisch auf die gereizten Gemüter reagierte, da er selbst langsam ungeduldig wurde. Der Krieg zehrte jedem im Reich an den Kräften. Schließlich sehnte er nur noch das Ende dieses Tages herbei. Morgen früh würden er und Nadine zur Felsenklaue fliegen, wo er sich einen Überblick über die Lage im Süden verschaffen würde. Und er konnte nicht leugnen, dass er sich darauf freute.     Kari träumte. Am Meer der Dunkelheit war es tagein, tagaus finster und öde. Totes, salziges Wasser umspülte tote, sandige Buchten, und die schlurfenden Schattenwesen machten auch eher den Eindruck, Tote zu sein, die ihr Sterben nicht bemerkt und sich wieder aus dem Grab erhoben hatten. Also fand das Leben in ihren Träumen statt, die lebendiger waren als der Alltag. Viele der Dinge, die sie träumte, waren skurril. Da waren zwei Inseln, die sich in einem wütenden Kampf gegenseitig verschlangen wie Seeungeheuer. Sie sah ein Mädchen, von Schatten umwabert, und obwohl es sich nicht bewegte, steif wie eine Skulptur in einem Meer aus Nichts schwamm, konnte Kari seinen Schmerz fühlen, der so grausam war, dass sie meinte, sterben zu müssen. Das Mädchen hatte kein Gesicht und seine Umrisse verschwammen, wie sich Tinte in Milch auflöste, wenn sie es genauer ansehen wollte. So verhielt es sich mit vielen ihrer Traumfiguren. Da war auch ein Junge, der tanzte und johlte und lachte und über eine Blumenwiese tollte und dann überglücklich mit einem Totenschädel sprach, aber sie hörte seine Worte nicht. Auch die Angst vor der Dunkelheit wurde in ihrem Schlaf wieder lebendig. Im Wachsein hatte sie sämtliche Furcht davor abgelegt, war nun sogar mit der Dunkelheit vermählt, aber in ihrem Traum war sie so frisch und furchtbar wie früher, und Kari presste die Hände an den Kopf, kniff die Augen zusammen und schrie in eine Leere, aus der keine Worte widerhallten, während die Dunkelheit das Land überschwemmte, über die Ufer schwarzer Flüsse trat und gesichts- und gestaltlose Schemen ertränkte. Dann träumte sie von einem goldenen Licht, aber das beängstigte sie ebenso. Sie konnte es sich nicht erklären, aber es schien … falsch. Ich bin das Licht, ging ihr durch den Kopf. Licht sollte sauber und weiß sein, nicht golden. Sie träumte von Tai und von Davis, auch von T.K. Aber T.K. ist doch bei mir? Sonst sah sie immer Dinge aus der Ferne. Sie träumte von Gift, das violett und grün und schwer und süß durch ihre Adern floss. Sie sah sich selbst, wie sie darüber lachte, das Gesicht mehr und mehr vor irrer Freude verzerrte, bis es kaum mehr menschlich war. Ihre Haut begann zu blubbern und löste sich auf, wurde zu grauschwarzem Schlamm, der über ihre Arme lief und zu Boden tropfte, und als sie das nächste Mal blinzelte, sah sie, wie ihre Gestalt vornübergebeugt stand und nun so aussah wie ein Schattenwesen. Einzig ihre Augen waren noch dieselben, wenngleich sie jeden Glanz verloren hatten. Für gewöhnlich wäre sie nun aufgewacht, und sie wartete nur mehr darauf, endlich in die triste, graue Wirklichkeit zurückzukehren, zu T.K. und ihrem Gemahl und dem Volk, das sie verehrte, mochte sie auch eine noch so schlechte Königin sein. Aber der Traum hatte nicht vor, sie so einfach aus seinen kalten Krallen zu lassen. Als Nächstes erblickte sie Ken, der mit dem Rücken zu ihr stand und einen Pfahl in der Wüste ansah. Eine Gestalt in den Kleidern des DigimonKaisers war dort festgebunden und wurde von wütenden Digimon gefoltert. Sie sah, wie seine Tränen den Wüstenboden tränkten, „Es ist Vergangenheit, denk nicht mehr daran“, wollte sie sagen, aber kein Wort erließ ihre Lippen, und seine Tränen ließen Tulpen und Rosen aus dem Sand wachsen. Dann sah sie ihre Freunde. Sie standen am Rand einer Klippe, die am Meer der Dunkelheit hätte liegen können, die Felsen waren schmutzig weiß, und schwarze Flammen lauerten in der Tiefe und zuckten und wuselten wie ein Nest aus fleischfressenden Käfern. Einer nach dem anderen machten sie einen Schritt nach vorn, stürzten in die Tiefe und verschwanden in der lodernden Feuersbrunst. Yolei und Mimi, Davis, Sora, Joe, Cody, Izzy, Matt, sie alle, sogar T.K. und zum Schluss Tai und noch ein paar andere, schattenhafte Gestalten, die ihr vage bekannt vorkamen. „Endet es so? Sterben wir etwa alle?“, rief sie zu den tiefhängenden, dickbauchigen, grauen Wolken hoch. „Versagen wir am Ende alle?“ „Nein“, antwortete eine körperlose Stimme, die ihr ebenfalls bekannt vorkam. Kari atmete erleichtert auf. „Ihr versagt von Anfang an“, fuhr die Stimme fort, und plötzlich verschwand der Boden unter Karis Füßen und sie stürzte ihren Freunden hinterher in ein Flammenmeer, das sich bog und drehte und kräuselte wie verlaufende Farbe in einem Gemälde. Mit einem Schrei fuhr sie hoch, ihr Herz pochte so heftig, als wollte es ihre Brust sprengen. „T.K?“, flüsterte sie. Aber sie war allein. Allein in ihrer Kammer im Leuchtturm, einer halbkreisförmigen, engen Zelle, auf einem Bett aus rohen Balken und getrocknetem Seegras. T.K.s Zimmer war das nächste, und Klecks bewohnte eine untere Etage, aber das Schattenwesen schlief niemals, sondern schien eine eigene Kammer eher als Statussymbol zu sehen. Mit zitternden Händen schlug Kari die Decke weg, die ihre Untertanen für sie aus Seetang geflochten hatten und die jedes Mal trocken raschelte, wenn sie sie bewegte. Sie musste sich aufsetzen, um richtig wach zu werden, musste sich bewegen, um den Traum abzuschütteln. Sie dachte daran, T.K. aufzusuchen, aber sie wollte ihm nicht unter die Augen treten. Sie musste grauenhaft aussehen, verängstigt wie ein kleines Kind und leichenblass. Außerdem waren sie beide, T.K. und sie selbst, ziemlich abgemagert, seit sie hier waren. Es gab schon Essen, das für Menschen genießbar war, aber es machte nicht satt. Sie tranken schales Wasser aus einem Brunnen in dem Dörflein, das ebenso grau war wie alles andere hier, und aßen das weiße Fleisch von den seltenen schwarzen Seeigeln und getrocknete Korallen, die die Schattenwesen weit draußen aus den Tiefen des Meeres holten. T.K. hatte in einem der Bücher erfahren, wo man an Land nach fleischigen, nahrhaften Würmern graben konnte, die weiß wie Schnee waren. Allein bei dem Gedanken daran, wie sie sich in T.K.s Finger gewunden hatten, als er die ersten erwischte, schauderte Kari. Da half es auch nichts, dass sie keinen bemerkbaren Geschmack besaßen. T.K. hatte sich wieder in seine Bücher versinken lassen. Er war mit Klecks den Strand abgegangen und hatte Hinweise dafür gesucht, wo der Schlüssel sein mochte. Die Schattenwesen schwammen – wenn sie nicht gerade für einen Kampf trainierten, der nie stattfinden mochte – weit aufs offene Meer hinaus und tauchten dort in den schwärzesten Tiefen. Achtzig finstere Untiere waren es insgesamt, aber trotzdem schien das Unterfangen aussichtslos. Und während T.K.s Suche immer größere Kreise zog, blieben Kari nur die Träume. Sie hatte sie schon in der Menschenwelt gehabt, bevor sie ans Meer der Dunkelheit gekommen waren. Zuallererst hatte sie geträumt, dass sie plötzlich alleine wäre, und als sie aufwachte, war Tai verschwunden gewesen. Auch Yolei und Davis und die anderen waren nirgends auffindbar gewesen. Schließlich hatte sie T.K. auf seinem Handy erreicht, heilfroh, dass jemand ihr beistand. Waren sie beide wieder einmal verschont geblieben, weil sie besondere Wappen besaßen? In dem Moment war ihnen klar geworden, dass etwas mit der DigiWelt nicht in Ordnung war, und dass Karis innere Unruhe von dort stammen musste. Kein Versuch, sie wieder zu betreten, fruchtete. Das Tor blieb geschlossen, und als Kari schließlich von einem Krieg träumte, der die DigiWelt verschlang und in dem ihr Bruder und die anderen jeder für sich gegen einen neuen DigimonKaiser kämpften, eine Bedrohung, mit der sie mit nur ihren Fähigkeiten als DigiRitter nicht fertig werden konnten, wusste sie, dass es die Wahrheit war. Sie träumte auch vom Meer der Dunkelheit, davon, dass Deemon von hier verschwunden war, und schließlich schafften T.K. und sie es, ein Tor zum Meer der Dunkelheit zu öffnen. Also hatten sie den Plan geschmiedet, die Schattenwesen um ihre Hilfe zu bitten, um einen Zugang zur DigiWelt zu finden und gleichzeitig eine Armee zu erlangen, die in dem Krieg dort ernst genommen werden konnte. Dabei hasste Kari den Krieg. Sie folgte nur ihren Träumen, aber sie folgte ihnen in die Vernichtung, so wie die Schattenwesen ihrer Erlöserin ebenfalls in die Vernichtung folgen würden. Als T.K. am Morgen kam, um nach ihr zu sehen, fand er sie in sich zusammengesunken auf ihrem Bett sitzen. „Hast du wieder geträumt?“, fragte er. Sie nickte langsam. „Ich habe es gesehen. Das Ende von alledem. Und am Ende werden wir alle …“ Sie wollte es ihm nicht sagen. „Wir werden alle verloren sein.“   Awakening, I open up my eyes Befallen me, doomed to this unlife Still I am determined not to break I won't let go and let it seal my fate (Primal Fear – Fighting The Darkness) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)