New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 20: Die Jäger des Tyrannen ---------------------------------- Tag 47   Yolei war nicht dafür bekannt, besonders taktvoll zu sein, und Mimi hatte ihre offene Art eigentlich immer geschätzt, aber als sie sagte, es müsste ihnen wohl wirklich dreckig gehen, da Mimi völlig aufgehört hatte, sich zu beschweren, konnte sie nicht anders, als sich verletzt zu fühlen. Dabei stimmte es wohl sogar, wie sie sich eingestehen musste. Als sie in das Dorf gekommen waren, hatte sie darauf bestanden, als Prinzessin – als frisch gekrönte Königin! – das prachtvollste Haus zu beziehen, und es war nicht annähernd an den Luxus herangekommen, den sie in Little Edo hatte genießen dürfen. Zwar gab es warmes, sauberes Wasser – für Mimi eine Selbstverständlichkeit, aber Yolei, die viel öfter auf Reisen war, nannte selbst das ein Wunder –, doch das Essen war knapp geworden, da die Armeen des DigimonKaisers die Felder in der Nähe geplündert hatten und auch der Kornspeicher des Dorfes nicht ungeschoren davongekommen war. Dabei war es ein hübsches Dorf. Die Häuser sahen aus wie kleine, dünne Pilze mit bunten Kappen. Die Dächer waren aus Schindeln, der Rest aus Backsteinen oder Holz. Es lag in einer Talsenke, und auf den entfernteren Bergen und Hügeln konnte man die schlanken Figuren der Schwarzen Türme von überall aus sehen, und sie erinnerten Mimi daran, was auf der Hochzeit – ihrer Hochzeit – geschehen war. Ich werde ihm niemals verzeihen. Die Bewohner des Dorfes waren Punimon, und sie konnte sich vage erinnern, einmal von einem Punimon-Dorf gehört zu haben, das gerade noch zu Karatenmons Herrschaftsgebiet gehrte. Gehört hatte. Wahrscheinlich ist es tot. Wahrscheinlich ist Matt auch tot. Sie hatte ihn nicht geliebt, nicht so, wie sie sich Liebe immer vorgestellt hatte, aber er hatte sich um sie gesorgt und ihr dieses hübsche Geschenk gemacht, das Yolei benutzt hatte, um sie aus der Schlacht fortzubringen. Die Punimon hatten von der Tragödie gehört, aber sie schienen deswegen nicht sehr bekümmert zu sein. Wahrscheinlich waren sie zu jung, um das ganze Ausmaß zu verstehen. Sie hatten jedoch bereitwillig einen Platz in ihrer Dorfgemeinschaft für die beiden Mädchen, Palmon, Hawkmon und Yasyamon gefunden und verstanden, dass sich ihre Gäste hier verstecken mussten. Es gab braune, harte Körner zu kauen, oder geschmacklosen, dicken Haferschleim, den Mimi kaum hinunterbrachte. Anfangs hatte sie noch gequengelt und gejammert, aber schließlich hatte sie eingesehen, wie egoistisch sie sich verhielt. Die Punimon taten alles, was sie konnten, um ihr Leben im Exil annehmlich zu gestalten, und sie konnte froh sein, dass sie noch lebte. Dennoch vermisste sie den Hof, ShogunGekomon und all den Komfort, den sie als Prinzessin gehabt hatte. Vor allem vermisste sie all die freundlichen Digimon von Little Edo, die eifrigen Gekomon und Otamamon. Jetzt hat der DigimonKaiser die Stadt sicher in einen Ort der Finsternis verwandelt. Ich hasse ihn. Obwohl Mimi täglich badete, musste sie immer wieder in ihr zerrissenes Brautkleid schlüpfen, das sie an den Verrat erinnerte. Musyamon. Ihm konnte sie auch nicht verzeihen. Es war nur mehr eine Stunde bis Sonnenuntergang. Mimi saß unglücklich in ihrem Schaukelstuhl in ihrem Wohnzimmer und schaukelte. Palmon hatte ihr ein einfaches Brettspiel mitgebracht, aber sie hatte keine Lust darauf. Im Kamin lag kalte Asche, in der Nacht würden sie wieder überall in dem Haus einheizen. Es war zwar groß, aber kühlte schnell aus. Schweigend hatten sie das Abendessen gekaut – heute gab es ausnahmsweise kalten Lauch zu den Körnern – und nun warteten sie auf Yolei und Hawkmon, die am frühen Nachmittag zu einer kleinen Erkundungstour aufgebrochen waren, um die Digimon und Dörfer in der Umgebung unauffällig nach der Lage des Krieges und Truppenbewegungen in der Nähe zu befragen, die jemand gesehen haben mochte. Mimi hätte nie geglaubt, dass man im Krieg so vorsichtig sein musste. Yasyamon war ihnen da eine große Hilfe. Das maskierte Digimon nahm seine Pflicht immer noch todernst und entfernte sich nie weit von Mimi, aber es spielte auch eine Art Schutzherr für dieses Dorf. Da sich die Punimon nicht verteidigen konnten, wurden Räuberbanden geradezu eingeladen, sie zu überfallen, und der Anblick von Yasyamon vertrieb sie meist wieder. Dabei hüllte das Digimon sich in einen grauen Fellmantel, sodass man nur seine Schwerter und seine große Figur sehen konnte. Es war das einzige Wesen weit und breit, das Mimi immer noch wie eine Prinzessin behandelte. Ein Radau draußen erweckte ihre Aufmerksamkeit. Sie stand aus dem Schaukelstuhl auf und ging zu einem der halbrunden Fenster. Wieder ein versuchter Überfall? Dann würde Yasyamon gleich wieder Arbeit bekommen. Tatsächlich waren es wieder einmal fremde Digimon, die den Punimon Schwierigkeiten bereiteten. Die üblichen Unfriedensstifter, Gazimon und Mushroomon, und – Mimi schlug sich die Hand vor den Mund. Sie haben uns gefunden! Mitten am Dorfplatz stand das hässliche Ogremon, das Matt bei ihrer Hochzeit so brutal niedergeschlagen hatte, flankiert von zwei hundeartigen, dreiköpfigen Cerberusmon. Mimis Augen weiteten sich, als sie Yolei sah. Der grüne Oger hielt ihre Freundin grob an den Haaren gepackt, dass sie den Kopf nach hinten beugen musste. Hinter ihnen hielt ein Woodmon Hawkmon, das mit rauen Stricken gefesselt war, in den hölzernen Armen. Mimi duckte sich sofort unter die Fensterkante. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf den Verputz direkt vor ihren Augen. Sie waren doch erst seit vier Tagen hier … und jetzt sollten sie erwischt werden? Über ihre Schläfe lief ein Schweißtropfen. Palmon hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte, und kam herangelaufen, und in dem Moment stieß Yasyamon die Tür zu ihrem Zimmer auf. Seine Augen sahen besorgt aus. „Prinzessin“, murmelte es gedämpft. „Der Hintereingang ist frei.“ Mimi biss die Zähne zusammen. Sie konnte Yolei doch nicht im Stich lassen, oder? Mit zittrigen Fingern griff sie zum Fensterriegel hinauf, öffnete ihn und kippte das Fenster, sodass sie die Worte auf dem Dorfplatz hören konnte. Vorsichtig lugte sie über die Kante. Ogremon schwenkte soeben seine Knochenkeule. „Wollt ihr mich verkohlen?“, blaffte es die Punimon an, die zu zwei Dutzenden in respektvollem Halbkreis vor ihm herumhüpften. „Wir haben gute Beweise, dass das Mädchen hier ist, und wir haben auch schon ihre Freundin eingesackt. Wenn ihr uns anschmieren wollt, zerquetschen wir euch, ihr kleinen Kümmerlinge!“ Die Punimon wuselten wimmernd herum. Sie verstanden nicht, was los war, erkannte Mimi. Vielleicht hatten sie noch eine Gnadenfrist … „Prinzessin.“ Yasyamon war hinter sie getreten. „Wir sollten fliehen, solange wir die Möglichkeit haben.“ Ihre Hände krallten sich um die Fensterkante. Schlanke, weiße Finger, die noch nie eine Waffe gegen ein Digimon aufgehoben hatten. „Nicht ohne Yolei und Hawkmon.“ „Mimi“, murmelte Palmon traurig. „Wir können sie nicht befreien.“ „Dann stellen wir uns eben“, meinte sie schnippisch. „Ich bin es sowieso leid, mich hier zu verstecken.“ Palmon kaufte ihr diese Lüge nicht ab, das sah sie ihm an. „Yasyamon, kannst du nicht gegen sie kämpfen?“ „Ich könnte Ogremon und Woodmon wohl besiegen“, überlegte ihr Leibwächter. „Aber diese Cerberusmon sind gefährlich. Sie könnten das ganze Dorf in Brand setzen.“ „Was ist jetzt?“, drängte Ogremon und rief dann laut: „Hörst du, Prinzesschen? Wenn du nicht rauskommst, tu ich der Kleinen was an, die dich damals so verflucht heldenhaft aus dem Schlamassel geholt hat!“ Es deutete mit der Keule auf Yolei, und Mimi schluckte. In dem Moment sagte eines der Cerberusmon neben ihm mit überraschend klarer Stimme: „Geh mit dem Mädchen mal ein paar Schritt zur Seite.“ Ogremon glotzte es verwundert an, dann tat es, wie geheißen. Cerberusmon schnüffelte in der Luft und kam dann ein paar Schritte auf das Haupthaus zu, und Mimi ließ sich rasch wieder unter das Fenster sinken. Trotzdem hörte sie, wie Cerberusmon zufrieden sagte: „Hab sie.“ Jetzt ließ ihr Yasyamon keine Wahl mehr. Draußen hörte man Getrampel, als die Digimon auf das Haus zustürmten. Ihr Leibwächter murmelte nur „Verzeiht mir“, ehe er sie an der Hüfte packte und sich wie einen Sack Mehl über die Schulter warf. Mimi schrie erbost auf, als es sie zur Tür tragen wollte, als auch schon etwas im Flur krachend zersplitterte. Yasyamon wandte sich hektisch um, aber es gab keinen anderen Weg zum Hinterausgang, außer dem Flur. In dem Moment begann das DigiVice zu glühen, das Mimi als Glücksbringer immer bei sich trug. Auch am Tag der Hochzeit hatte sie es an einem silbernen Kettchen in den Falten ihres Brautkleids verborgen. Palmon begann zu wachsen, und im nächsten Herzschlag zertrümmerte Togemon mit seinen Boxhandschuhen die Rückwand des Zimmers. Staub und Verputz wirbelten auf, als die Backsteine zusammenbrachen. Mimi staunte nicht schlecht. Konnte man hier, im Gebiet des DigimonKaisers, überhaupt digitieren? Yasyamon warf sich herum und rannte mit großen Schritten gebückt durch das entstandene Loch, und sie waren im Freien. Dicht hinter sich hörten sie das Keuchen der Cerberusmon, die ihnen hinterher hetzten. Wenn Mimi den Kopf hob, sah sie die glühenden, blutunterlaufenen Augen und blitzende Zähne im letzten Tageslicht. Sie waren zu langsam. Ogremons Hunde erkannten das ebenfalls und ihre Lefzen verzogen sich zu einem Grinsen, als die Jagd sie aus dem Dorf an den ersten Bäumen vorbei führte. Hinter dem kleinen, hellen Wäldchen lag der Fluss, der nahe der nächsten Felswand träge und tief vor sich hinfloss. Dort, hinter einer hölzernen Brücke, führte ein felsiger Pfad aus dem Talkessel. Es würde ewig dauern, auch nur dessen Anfang zu erreichen … Als das erste Cerberusmon so nahe war, dass es nach Yasyamons Beinen schnappte und Mimi es fast mit ihren Fäusten erreichte, digitierte Togemon noch einmal. Während etwas in Mimis Brust grün aufglühte, zerfiel der Kaktus und aus der Blüte auf seinem Kopf schlüpfte das viel kleinere, flinke Lillymon. Seine Hände verwuchsen zu einer Blumenkanone, die einen glühenden Schuss auf das Cerberusmon abgab. Er riss einen kleinen Krater in den Waldboden, als der Hund knurrend auswich, aber das reichte Yasyamon. Es murmelte noch einmal eine schnelle Entschuldigung, ehe es Mimi mit seinen kräftigen Armen einfach in die Luft warf. Mimi kreischte auf, als sich der Boden unter ihr sich von ihr entfernte und die Welt Purzelbäume schlug, dann fing Lillymon sie auf, sank unter ihrem Gewicht ein, zwei Meter tiefer, sodass Mimis Beine fast wieder den Boden kitzelten, ehe es sie mit flatternden Flügeln davontrug. Was aus Yasyamon wurde, sah sie nicht, denn bald verdeckten die Baumstämme die Sicht. „Wir müssen zurück!“, rief sie. „Yolei! Es hat noch Yolei! Lillymon!“ Aber Lillymon schien sie nicht hören zu wollen, und Mimi wagte es nicht, in den Armen ihres Digimon zu strampeln anzufangen. Sie verließen den Wald und sahen den Fluss vor sich glitzern. Das zweite Cerberusmon sprang sie wie aus dem Nichts von der Seite an. Lillymon schrie auf, grüne Flammen leckten nach Mimis Knöcheln, als sie abgeworfen wurde und über den Boden schlitterte, Gras und Erde spritzten auf und Kieselsteine zerrissen ihr unansehnlich gewordenes Hochzeitskleid noch mehr. Ihre Rippen knackten und ein stechender Schmerz zuckte ihren Arm hoch, ehe sie sich ein letztes Mal überschlug und stöhnend auf dem Rücken liegen blieb und es im ersten Moment nicht wagte, sich zu bewegen. Sie sah das grüne Flackern aus den Augenwinkeln und rollte sich herum. „Lillymon“, murmelte sie. Die Flügel ihres Digimons hatten Feuer gefangen und es wälzte sich schreiend auf dem Boden umher, ehe es in glühendem Licht wieder zu Palmon wurde, das erschöpft liegen blieb. Mimi stützte sich auf ihren aufgeschürften Handflächen hoch. Braune und grüne Flecken hatten sich in ihr Kleid gesogen, aber rote Flecken sah sie nirgends. Dafür hatte sie sich die Haut bis zu den Ellenbogen aufgerissen und langsam traten die ersten Blutstropfen aus den brennenden Wunden. Cerberusmon kam näher und schnüffelte sie triumphierend an. „Angst?“, fragte es. Mimis Kinn zitterte, aber sie gab sich Mühe, den schwarzen Hund grimmig anzusehen. Nur der mittlere seiner drei Köpfe schien wirklich zu leben. Es raschelte und aus den Büschen am Waldrand stürzte Yasyamon. Mimis Herz machte einen erleichterten Sprung, aber schon im nächsten Moment schlich das zweite Cerberusmon aus dem Dickicht und setzte ihrem stöhnenden Leibwächter die Tatze auf die Brust. Yasyamons Maske war zerkratzt und rußig, das Wappen der Aufrichtigkeit darauf war kaum noch zu erkennen. An seinen weiten Hosen züngelten kleine, grüne Flammen. Die anderen folgten keine zwei Minuten später. Ogremons hämisches Lachen eilte ihm voraus. „Der DigimonKaiser hat recht gehabt, war wirklich eine gute Idee, die Cerberusmon mitzunehmen.“ Es zerrte Yolei vor sich her, die sich augenscheinlich kaum noch auf den Beinen halten konnte; hinter ihm hatte Woodmon immer noch Hawkmon gepackt. „Was wollt ihr von uns?“, rief Mimi und stand auf. „Ihr habt doch schon Little Edo! Und den Shogun! Was braucht ihr mich?“ Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Palmon sich aufrappelte, aber es zu schwach, um noch einmal zu digitieren. Ogremon bohrte mit dem Finger in seinem Ohr. „Was weiß ich“, schnaubte es. „Frag doch deinen Freund, den DigimonKaiser.“ Er stieß seine Geisel von sich. „Yolei!“ Mimi fing ihre Freundin auf, die gegen sie stolperte und sie fast umriss. Es schien ihr gut zu gehen, zumindest äußerlich, aber sie schien erschöpft. „Es tut mir leid“, hauchte Yolei, als Mimi sie fest an sich drückte, froh, sie wiederzuhaben. „Wenn sie mich nicht erwischt hätten …“ Ihre Freundin weinte vor Scham, merkte Mimi. Sie wurde nur noch wütender auf Ogremon und seine Konsorten. „Also.“ Ogremon winkte die Gazimon und Mushroomon heran, die einen lockeren Halbkreis um die beiden Mädchen bildeten. Einige von ihnen hielten Stricke in den Händen und das Maul eines Gazimons blitzte warnend. „Bindet sie aneinander, und dann Abmarsch. Ich hab einen Mordskohldampf.“ Die Mushroomon mit den Stricken traten auf sie zu – und wurden von heransausenden Projektilen an Ort und Stelle in graue Rauchwolken getaucht, aus denen ihre Datensplitter flogen. Ogremons andere Digimon sprangen zur Seite, aber ein zweiter Kugelhagel erwischte die meisten von ihnen und zerfetzte ihre Daten förmlich. Die Einschläge der Kugeln ließen förmlich einen Sturm wehen, der Mimis Haar zerzauste und ihr Rauch und Staub ins Gesicht wehte. Sie und Yolei kauerten sich zusammen, um nicht versehentlich getroffen zu werden. Als Mimi wieder etwas sehen konnte, war Hawkmons Bewacher verschwunden und das Vogeldigimon robbte sich gefesselt über den Boden auf sie zu. Ogremon war an ihnen vorbei in die Nähe des Flusses gerannt und starrte den Wald aus zusammengekniffenen Augen an. Mimi hatte nicht einmal bemerkt, dass der Angriff von dort gekommen war. Die Cerberusmon schlichen ebenfalls mit gesenkten Köpfen im Gras herum. „Zeigt euch!“, brüllte das Oger-Digimon. „Also wirklich, das ist doch keine Art, mit hübschen Mädchen umzugehen“, erklang eine Stimme und ein Junge kam aus der Deckung eines Baumstamms hervor. Er war zu weit entfernt, um ihn genau zu erkennen, aber er hatte blondes Haar und trug bequeme, legere Kleidung. Matt? Neben dem Jungen traten zwei Digimon aus dem Dickicht. Eines war ein Tier, das menschliche Hosen trug. Anstelle von Händen hatte es schwere Gatlingkreisel, mit denen es herausfordernd klickte. Das zweite war riesig und hatte etwas Affenhaftes an sich. Seine Arme reichten bis zum Boden, wo es sich mit den Knöcheln abstützte, sein Fell war dunkelbraun und auf dem Kopf trug es einen Helm aus Schädelknochen. „Wer zur Hölle bist du denn?“, blaffte Ogremon. Der Junge legte den Kopf schief. „Eigentlich hatte ich gedacht, man würde mich in diesem Teil der DigiWelt auch kennen.“ Zwei Digimon … Der Zwillingsritter, wurde Mimi bewusst. Was macht er hier? Ist er auf unserer Seite? „Wer auch immer du bist“, knurrte Cerberusmon, „wir werden uns nicht damit aufhalten, es auf deinen Grabstein zu schreiben.“ Die Hunde machten einen Schritt auf ihn zu und fletschten die Zähne. Der Zwillingsritter fuhr sich durchs Haar. „Du bist Ogremon oder? Der erste Ritter des DigimonKaisers. Er muss ja wirklich verrückt sein. Du hast da übrigens was auf dem Rücken.“ „Hä? Ich hab nichts …“ Ogremon verstummte und riss die Augen auf, als hinter ihm der Fluss explodierte. Wie in einem Geysir tauchte fauchend eine riesige Seeschlange auf, keine fünf Meter hinter ihm. In Zeitlupe wandte das Ogerdigimon den Kopf, und das Seadramon riss das Maul voller spitzer, winziger Zähne auf und tauchte es in einen Schwall eisiger Luft. Ogremon ächzte, seine Keule fiel ihm aus der Hand und es stürzte vornüber, den Rücken mit in der Sonne blitzenden Eiszapfen übersät. Mimi sah neben dem Seadramon einen zweiten Jungen stehen, auf der Brücke. Auch er hatte blondes Haar, allerdings war es länger und wellig. Ihn kannte sie nicht, aber sie fand, dass er recht gutaussehend war. Er trug ein warmes Siegerlächeln zur Schau. Die Cerberusmon knurrten. „Ihr habt keine Chance.“ „Abwarten“, sagte der Zwillingsritter und zog etwas aus der Seitentasche seiner Cargo-Shorts heraus. Mimi kniff die Augen zusammen, um es im schwindenden Licht sehen zu können. War das ein ArmorEi? Eines wie das, das Matt ihr geschenkt hatte? „Es ist golden“, murmelte Yolei. „Ein goldenes DigiArmorEi … Wie in der Legende!“ Mimi schluckte. Der Sage nach war das Legendäre Goldene von so einem Ei erschaffen worden … Die Cerberusmon ließen sich davon jedenfalls nicht einschüchtern. Sie stürmten beide los, einer in Richtung des Jungen auf der Brücke, das andere zum Waldrand. Der Zwillingsritter hob das Ei hoch über seinen Kopf. „Erstrahle!“ Das Digimon, das zu seiner Linken stand, das mit den Geschützen auf den Armen, begann zu glühen, und während die Sonne im Westen versank, ging hier direkt vor ihren Augen eine neue auf. Das Licht war so gleißend, dass das Cerberusmon knurrend den Blick abwandte, und selbst als Mimi die Augen zusammenkniff, stach es durch ihre Lider. Als das Strahlen nachließ, schwebte an der Stelle ein Digimon in goldener Rüstung, das rauchte, als wären ihm die funkelnden Platten eben erst an den Körper geschmiedet worden. Ist das das Legendäre Goldene? Gehört das Legendäre Goldene zum Zwillingsritter? Das Cerberusmon stieß vor, während das prächtige Digimon einen Arm ausstreckte und eine einzelne, goldene Rakete auf das Hundedigimon schoss, das auf die Brücke zu rannte. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, und das Ungeheuer war verschwunden. Das andere riss das Maul auf und wollte das goldene Digimon in grünes Feuer tauchen, aber so blitzschnell, dass man es kaum sehen konnte, flog es heran, rammte das Cerberusmon frontal und schleuderte es zu Boden. Es brachte noch ein hässliches Grollen zustande, dann war das Goldene über es geschnellt und deckte es mit einer Salve ein. Mimi meinte, dass sogar der Staub, den die Attacke aufwirbelte, golden war. Die Rüstungsteile des Digimons begannen wieder zu leuchten und verschwanden, und ein kleines, niedliches Digimon mit langen Schlappohren fiel aus der Luft, machte einen Salto und spannte besagte Ohren auf, um sanft in dem Krater zu landen. Die Häscher des DigimonKaisers waren restlos besiegt. „Gut gemacht, Terriermon“, sagte der Zwillingsritter und das Digimon sprang auf seine Schulter und drückte stolz die Brust raus. Das Affenwesen trottete schweigend hinter ihm her, als er auf Mimi und Yolei zuging und ihnen lächelnd die Hand hinhielt, um ihnen aufzuhelfen. Er katte markante Augen, fiel Mimi auf, sie waren hellblau wie Eis, aber sein Blick war warm. „Ist alles in Ordnung bei den Damen?“ Yolei stand von alleine auf und lief sofort zu Hawkmon, um es loszubinden, aber Mimi ließ sich bereitwillig aufhelfen. Seine Hand war ebenfalls warm, und er beugte sich vor und gab ihr einen Handkuss. „Ich hoffe, wir haben Euch nicht zu sehr erschreckt. Normalerweise gehen wir immer ein wenig diskreter vor.“ Was immer das heißen mochte. Mimi war immer noch fasziniert von seinen Augen. „Ihr seid doch Königin Mimi, oder?“, fragte er, als sie nichts erwiderte. Mimi nickte beklommen. Der Titel war ungewohnt. Palmon stieß sie an und sie erinnerte sich, dass sie sich wohl bedanken sollte. „Ich … Ihr habt meinen Dank. Ihr müsst der Zwillingsritter sein, oder?“ Er lächelte glücklich. „Also hat man hier doch schon von mir gehört. Ich bin Sir Willis, ein Ritter der Konföderation zur Wahrung des Wissens der DigiWelt, zu Euren Diensten. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich einfach Willis nennt. Es ist mir eine Ehre, zwei so bezaubernde junge Damen kennenzulernen.“ Mimi spürte, wie sie rot wurde. Komplimente hatte sie zwar immer für selbstverständlich gehalten, aber irgendetwas an ihm war anders. Sein Blick? Es mussten seine Augen sein. „Und wieder mal streichst du den ganzen Ruhm ein, Willis“, sagte der andere im Scherz. Er trat ebenfalls auf sie zu, neben ihm her watschelte ein amphibisches Betamon. Willis lachte. „Ich hab ja auch die meiste Arbeit getan. Das ist Sir Michael, auch ein Ritter der Wissens-Armee.“ Nun kam auch Yasyamon angehumpelt. Mimi fand es schön zu sehen, dass auch es wohlauf war. Sie hatten wirklich Glück im Unglück gehabt. Ihr Leibwächter senkte betreten den Kopf. „Verzeiht mein Versagen, Prinzessin.“ „Schon in Ordnung. Es ist ja alles gut gegangen“, meinte Mimi und lächelte es schwach, aber hoffentlich aufmunternd an. „Wie habt Ihr uns gefunden?“, fragte Yolei, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Hawkmon nichts fehlte. „Oder seid Ihr zufällig hier langgekommen?“ Willis lächelte sie an. „Bevor ich das beantworte, darf ich auch Euren Namen erfahren, schöne Maid?“ Michael rollte die Augen, aber Yolei wirkte verlegen. „Ähm ja, ich …“ „Das ist Yolei, meine beste Freundin“, erklärte Mimi. „Sie ist eine Söldnerin.“ „Söldnerin klingt irgendwie so unfein“, meinte Yolei und kratzte sich am Kopf. Täuschte sich Mimi, oder zeigte sich auf ihren Wangen auch ein leichter Rotschimmer? Vielleicht war es nur der Sonnenuntergang … oder Yolei war gerade das erste Mal von einem Ritter gerettet worden. „In Little Edo haben sie mich auch manchmal eine Rōnin genannt.“ „Wenn es bei uns üblich gewesen wäre, hätten wir Yolei längst zu einer Ritterin geschlagen“, erklärte Mimi. „Ich verstehe.“ Willis zwinkerte ihr zu. „Dann wundert es mich nicht, dass wir so leichtes Spiel hatten. Wie es aussieht, hat Eure Freundin die halbe Truppe des DigimonKaisers alleine zerschlagen, bevor wir eingeschritten sind.“ „Ist das wahr?“, fragte Mimi. Yolei lachte, aber es klang ein wenig wehmütig. „Wir haben nur ein paar von ihnen besiegt, dann haben sie uns gefangen genommen.“ „Ihr scheint mir so schön wie gefährlich zu sein“, sagte Willis. Langsam übertrieb er es mit den Komplimenten, dachte Mimi. Der Zwillingsritter wandte sich wieder an sie. „Auch wenn es im Nachhinein zynisch klingt, meinen Glückwunsch zu Eurer Vermählung, Königin Mimi. Ist Euer Gemahl denn wohlauf?“ „Das weiß ich nicht“, murmelte Mimi. Sie sah Matt eigentlich nicht wirklich als ihren Ehemann. Es war ja mehr oder weniger eine politische Hochzeit gewesen, die durch eine Invasion gestört worden war. Aber sie wollte nicht schon wieder daran erinnert werden. „Ihr habt Yoleis Frage übrigens noch nicht beantwortet“, sagte sie. Willis sah sie einen Moment verwirrt an, dann lachte er. „Oh, natürlich, entschuldigt. Nein, wir waren nicht zufällig hier.“ „Der DigimonKaiser war anscheinend sehr erpicht darauf, dass er Euch in seine Finger bekommt“, erklärte Michael. „Einer seiner Spione hat ihm regelmäßig über digitalen Funk Nachrichten geschickt, was er über Euren Aufenthaltsort herausgefunden hat. Wir haben die Verbindung angezapft und erfahren, dass sie Euch im Punimon-Dorf vermuten.“ In dem Moment regte sich Ogremon. Das Eis, das seinen Rücken bedeckte, klirrte und knarzte, aber es schaffte es ächzend und unter großer Anstrengung, sich in eine kniende Position hochzuziehen. Ein gemurmelter Fluch verließ seine Lippen. „Du warst nachlässig, Michael“, sagte Willis. Sir Michael schürzte die Lippen. „Es ist auch ein Ritter. Es muss zäh sein.“ „Endigomon, würdest du?“ Auf Geheiß des Zwillingsritters stampfte das affenartige Digimon auf Ogremon zu. Eine Art Gurren verließ seine Kehle. „Wartet!“, rief Mimi und es hielt inne. Willis blinzelte. „Milady?“ Mimi sah Ogremon an. Es verzog das Gesicht und versuchte, sich das Eis abzustreifen. Dabei gingen Hautfetzen und Haare ebenfalls mit und bald tropfte Blut zu Boden. Sie empfand absolut keine Sympathie für dieses Digimon, das ihre Hochzeit ruiniert hatte und für diesen verabscheuungswürdigen DigimonKaiser arbeitete, diesen dunklen Schatten auf seinem Thron, der von Sklaven gebaut war. Sie hatten ihn auf der Hochzeit gesehen und war verwundert gewesen, dass er nicht älter sein konnte als sie selbst; sie hatte ihn sich immer als einen großen, breitschultrigen Mann mit hartem Gesicht und grausamem Lächeln vorgestellt. Andererseits hatte sie sich Ritter auch immer strahlend, charmant und heldenmutig vorgestellt. Sie warf Willis und Michael verstohlene Blicke zu. Waren sie solche Ritter? Zumindest Willis schien diesem Bild am nächsten zu kommen – aber edelmütige Ritter sollten stets Gnade walten lassen, fand sie, und es waren heute und damals schon so viele Digimon gestorben, dass sie sich nicht einmal Ogremons Tod wünschte. „Steh auf“, befahl sie ihm daher. „Geh zurück zu deinem Kaiser und sag ihm, er soll meinen Gemahl freilassen.“ Wenn er noch lebt, warf eine Stimme in ihrem Hinterkopf ein, die sie verdrängte. Ogremon lachte keuchend. „Glaubst du, er tauscht mein Leben gegen seines ein? Ihr habt mich besiegt; wenn ihr richtige Ritter seid, tötet ihr mich gefälligst.“ „Falsch“, sagte Mimi. „Sie sind richtige Ritter, weil sie dich gehen lassen. Ihr werdet meinem Wunsch doch entsprechen, oder?“ Die beiden sahen einander an, dann zuckte Willis mit den Achseln. „Wie könnten wir nicht?“ „Also willst du, dass ich in Schande weiterlebe?“, schnaubte Ogremon. „Ganz genau“, meinte Mimi schnippisch. „Wenn du es so siehst. Aber pass nur auf, dass du mir nie wieder unter die Augen kommst, verstehst du?“ Ogremon schüttelte den Rest des zweifellos schmerzenden Eises ab. „Das wirst du bereuen, Menschenmädchen.“ Es sah noch kurz so aus, als wollte es Michael vor die Füße spucken, dann lief es so schnell davon, über die Brücke und den Pfad aus dem Tal hoch, dass man an seinen Worten auch zweifeln konnte. Mimi wandte sich wieder an die Ritter. „Und was wollt Ihr nun tun?“ Willis streckte sich. „Ein heißes Bad wäre für den Anfang schön.“ „Eigentlich sollen wir Euch ein Angebot überbringen, Königin Mimi“, sagte Michael. „Richtig.“ Willis war schlagartig wieder ernst. Sein Lächeln war wie aus seinem Gesicht gewischt. „Die Konföderation schlägt Euch, die Einzige, die momentan legalen Anspruch auf Little Edo hat und in Freiheit ist, ein Bündnis vor. Tut, was in Eurer Macht steht, und helft uns, den DigimonKaiser zu entmachten, Euer Land zurückzugewinnen und sein Imperium zu zerschlagen. Natürlich werden wir auch alles tun, um Euren Shogun zu befreien.“ Da brauchte Mimi nicht lange zu überlegen. „Abgemacht.“ Willis nickte und lächelte wieder. „Ihr als seine wahre Königin könnt Euer Volk sicher zu den Fahnen rufen, zumindest jene, die der DigimonKaiser nicht in seiner Gewalt hat. Michael wird Euch dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen und Euer Verbindungsmann zur Konföderation sein. Mich erwarten leider demnächst dringende Geschäfte im Westen.“ Er zuckte mit den Schultern und wandte sich Yolei zu. „Ihr könnt mich gerne begleiten, wenn Ihr möchtet.“ „Oh, das …“ Yolei überlegte kurz. „Es wäre mir schon eine Ehre und so, aber … Ich weiß nicht, ob …“ „Yolei bleibt“, bestimmte Mimi. Es gefiel ihr nicht, dass er mit ihr turtelte, beschloss sie. Immerhin war sie hier die Prinzessin. Falsch, sagte diese lästige Stimme, du bist eine Königin und verheiratet. Trotzdem war er nach dem Drachenritter und dem Ehernen Wolf der erste richtige Ritter, den sie traf. Oder sollte sie Yolei mit ihm schicken, damit sie ihr nachher über alles berichten konnte? Schließlich erkannte sie, dass sie wieder einmal egoistisch war, und seufzte. „Ich meine, Yolei kann sich natürlich selbst entscheiden. Tut mir leid“, sagte sie kleinlaut. „Ist schon in Ordnung.“ Yolei grinste. „Ihr nehmt es mir sicher nicht übel, oder – aber ich werde bei Mimi bleiben. Ihr könnt ja wohl ganz gut auf Euch selbst aufpassen.“ Nun wusste Mimi nicht, ob sie verletzt oder dankbar sein sollte. Yolei war nicht dafür bekannt, besonders taktvoll zu sein, und Mimi hatte ihre offene Art eigentlich immer geschätzt.   O mein Freund, jetzt, hier ist ein Sieg Dies ist der erste, Gloria O mein Freund, feiern wir diesen Sieg Für den nächsten Kampf (Linked Horizon – Jiyuu No Tsubasa) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)