New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 27: An einem Tisch mit den Mächtigen -------------------------------------------- Tag 64 „Oh, so viele Gäste“, freute sich Digitamamon, als die bunte Schar bei der Tür in sein Restaurant hereinschneite. „Wir sind zwar nicht auf euch eingestellt, aber ihr werdet trotzdem vortrefflich versorgt!“ „Sie gehören zu mir!“, rief Yolei, die sich an zwei dicken Mushroomon vorbei drängte. Sofort wurde Digitamamons Stimme kühler. „Wenn sie alle hier übernachten wollen, wird das aber teuer.“ „Wir sind nur hier, um zu reden“, erklärte Kabukimon, das die Spitze der Kolonne aus Gekomon, Otamamon, Ninjamon, Floramon und Mushroomon bildete. Aus den Falten seiner Kleidung fischte es ein Geldbündel hervor. Wahrhaftige Dollar, wie es aussah. „Hinterher würden wir uns aber gerne an deinen Tischen stärken.“ Digitamamon trippelte zu den Scheinen, die der Rebellenführer auf die Theke legte, und seine Augen formten zufriedene Halbmonde. „Wenn das so ist“, schnarrte es, „dann werde ich alles vorbereiten.“ Als es in die Küche verschwunden war und Yolei die anderen die Treppe hoch zu den Schlafräumen führte, flüsterte sie Kabukimon zu: „Das war keine gute Idee. Wenn Digitamamon so viel Geld wittert, wird es euch nicht gehen lassen, ehe ihr alles ausgegeben habt. Es wird Wucherpreise für das Essen verlangen.“ „Und wir werden diese Wucherpreise bezahlen“, sagte Kabukimon. „Es ist gut, wenn die Digimon, die uns hier sehen, auf unserer Seite sind.“ Yolei zuckte mit den Schultern und lief die hölzerne Treppe voraus. Michael erwartete sie oben im Flur mit den gelb getünchten Wänden. Er musste ihr Kommen gehört haben. „Juhu, Sir Michael!“, rief Yolei und winkte ihm gut gelaunt zu. Michael verzog das Gesicht. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst den Sir nicht so laut hinausbrüllen?“ Yolei bremste vor ihm ab. „Entschuldige“, murmelte sie verlegen. Sie war einfach froh gewesen ihn wiederzusehen, einen anderen Menschen, der noch dazu auf ihrer Seite war. Die Erlebnisse in Little Edo steckten noch in ihren Knochen. „Ihr seid also der Ritter der Konföderation“, stellte Kabukimon fest, das ebenfalls den oberen Treppenabsatz erreicht hatte. „Und Ihr Kabukimon“, entgegnete Michael. Das Digimon verbeugte sich leicht. Der Ritter wandte sich an Yolei. „Was ist geschehen? Wir haben uns große Sorgen gemacht, als der Kontakt abgebrochen ist. Ehrlich gesagt hatte ich wenig Hoffnung, dass ihr wiederkommt. Mimi war außer sich. Ich konnte sie gerade so davon abhalten, Yasyamon auf eure Spur zu schicken.“ „Für Euch immer noch Prinzessin Mimi“, sagte Kabukimon sofort. Eigentlich ist sie schon die Königin, dachte Yolei. Michael starrte Kabukimon an. „Nicht hier. Hier ist sie bloß Mimi, ein Mensch, der sich kaum unter Digimon blicken lässt.“ Kabukimon begegnete seinem Blick mit seiner üblich starren Maske, dann brummte es zufrieden. „Ihr seid sehr besonnen. Gut. Dann lasst mich nun direkt mit der Prinzessin sprechen.“ Es machte Anstalten, an Michael vorbei den Flur entlangzugehen, doch der Junge versperrte ihm mit dem Arm den Weg. „Nicht so schnell. Können wir diesem Digimon trauen, Yolei?“ Seine hellen Augen fixierten sie. Ja, konnten sie das? Yolei war mit ihrem Grübeln noch nicht zuende gekommen. Seit sie Little Edo verlassen hatten, hatte sie sich den Kopf über Kabukimons Beweggründe zerbrochen. Sie klangen durchdacht, aber dass das Digimon Lügen in Kauf nahm, schmeckte ihr nicht. Sie hätte das auch sofort gesagt, hätte sie nicht daran gezweifelt, ob sie überhaupt erwachsen genug über den Krieg nachdachte. Hawkmon antwortete statt ihr. „Ihr habt uns doch schon Euren Segen gegeben, als wir losgezogen sind, Karatenmon zu befreien.“ Michael nickte. „Das ist richtig. Nur wo ist Karatenmon? Was ist passiert?“ „Es war, wie wir befürchtet hatten“, sagte Kabukimon. „Karatenmon wurde vom Usurpator gefoltert und war halbtot, als wir es fanden. Wir waren von Digimon umzingelt, und es wusste selbst, wie die Dinge um es standen. Karatenmon hat noch versucht, uns zu helfen, doch das war sein Untergang. Es starb als wahrer Held.“ Da Digimon straffte die Schultern. „Doch das sind Dinge, die wir eher der Prinzessin erzählen sollten, Ritter.“ Nun spazierte es einfach an Michael vorbei, der endlich zur Seite trat. Kabukimons Truppe folgte ihm. Keine zwei Sekunden später flog die Tür zu Mimis Zimmer auf. Yolei sah Mimi kurz mit Yasyamon rangeln; offenbar hatten sie alles mitgehört. Dann riss sie sich los und fiel Yolei mit Tränen in den Augen um den Hals, dass ihr fast die Brille von der Nase rutschte. „Yolei! Dem Himmel sei Dank, du lebst! Und ich dachte schon, ich würde dich nie wieder sehen!“ Yolei war ganz perplex. „Ach, das war doch gar nicht so wild … Na schön, es war schon ziemlich gefährlich, aber …“ „Nicht so wild?“ Mimi sah sie aus geröteten Augen an. Ihr Haar war unordentlich, ihr neues, einfaches, hellgelbes Kleid zerknittert. „Ich habe kein Auge zugetan! Ich hab schon gedacht, ich hätte auch dich verloren …“ Sie schniefte, während Palmon ebenfalls seine Erleichterung bekundete und Yasyamon in den Flur trat. Dann erst schien Mimi die vielen Digimon zu bemerken. „Das sind sie?“, fragte sie. „Prinzessin.“ Kabukimon und seine Anhänger gingen vor Mimi auf die Knie und verbeugten sich tief. „Es ist uns eine Ehre und eine Freude, Euch wohlauf zu sehen.“ „Sagt mal, müsst ihr dass hier wirklich auf dem Flur erledigen?“, fragte Michael vorsichtig, als sein Blick über die knienden Reihen von Digimon glitt. „Ich bin Euer treuer Diener Kabukimon. Leider bringe ich schlechte Kunde von unserer Mission. Wir haben es nicht geschafft, Karatenmon zu befreien.“ „Dann soll es bleiben, wo es ist“, meinte Mimi schnippisch und wandte ihnen den Rücken zu. Sie hatte dem Daimyo noch nicht verziehen – und offenbar doch nicht alles von ihrem Gespräch gerade eben mitbekommen. „Das wird es, fürchte ich“, sagte Kabukimon, immer noch demütig kniend. „Karatenmon ist tot.“ Yolei sah, wie Mimis Muskeln kurz zuckten, auch wenn sie sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen. Eine Weile schwieg die geflohene Prinzessin, dann sagte sie: „Lasst uns im Zimmer weiterreden.“ Die Digimon erhoben sich. Michael runzelte die Stirn, als Mimi sein Zimmer am Ende des Flurs ansteuerte, obwohl ihr eigenes größer war. Entweder schämte sie sich ihrer kärglichen Behausung wegen oder sie wollte die Horde der Widerstandskämpfer einfach nicht in ihr neues Allerheiligstes lassen. Der Ritter hatte sein Zimmer modifiziert, wie es wohl nur Anhänger der Wissens-Armee tun würden. Die Möbel waren in eine Ecke gerückt, um in der anderen Platz für allerlei technische Geräte zu schaffen. Der Rest war rein zweckmäßig. Auf dem ordentlich gemachten Bett saß Betamon und sah mit großen, wachsamen Augen zu, wie sich zwei Dutzend Digimon in den Raum quetschten. Mimi ließ sich neben ihm nieder. Sie schien mit den Gedanken ganz woanders. „Prinzessin, noch ist nicht alles verloren“, sagte Kabukimon, nachdem Michael die Tür geschlossen hatte. „Daimyo Karatenmon mag tot sein, doch es konnte uns noch seinen letzten Willen mitteilen. Es hat mich gebeten, seine Nachfolge anzutreten. Wir können immer noch kämpfen.“ Nun kam der Moment, in dem Yolei flau im Magen wurde. „Was soll das heißen?“ Michael unterdrückte sein Misstrauen ziemlich gut – oder er war gar nicht misstrauisch. So genau vermochte Yolei das nicht zu sagen. „Es hat Euch zu einem Fürsten gemacht?“ „Die Rede war nie von Fürstentümern, und selbst wenn, würde ich sie nicht für mich beanspruchen“, sagte Kabukimon großmütig. „Es ging ihm nur darum, dass ich unserer rechtmäßigen Herrscherin diene. So, wie ich es immer getan habe und immer tun werde. Wir alle werden für Euch kämpfen, Prinzessin.“ „Also hat sich im Grunde nichts geändert“, meinte Mimi und suchte Palmons Blick. „Ihr habt doch auch vorher schon gekämpft. Yolei wäre fast umsonst gestorben.“ „Es hat sich eine Menge verändert“, betonte Kabukimon. „Wir waren mehrere Gruppen, die wenig ausrichten konnten. Doch Eure Freundin Yolei kann bezeugen, dass Karatenmon, der letzte Getreue des alten Shoguns, uns seinen Segen gegeben hat, und den Auftrag, zu siegen. Und ein Ritter der Konföderation kann bezeugen, dass wir bis ins Herz von Little Edo vorgedrungen sind, um mit Karatenmon zu sprechen. Wenn Ihr als unser Leitbild nun aus der Versenkung tretet, werden sich uns all jene Digimon anschließen, die mit Musyamons Herrschaft nicht einverstanden sind. Gemeinsam können wir den Usurpator stürzen.“ Mimi überlegte nicht lange. „Nein“, sagte sie entschieden und wich sämtlichen Blicken aus. Yolei war überrascht. „Nein? Ich dachte, du freust dich?“ „Ich will nicht, dass ihr kämpft. Ich bin das Kämpfen leid“, sagte Mimi naserümpfend. „So viele sind meinetwegen schon gestorben. Ich nennt mich alle Prinzessin. Und eine Zeitlang habe ich alles getan, um wirklich eine Prinzessin zu sein. Darum war ich unglücklich. Als die beiden Ritter nach Little Edo kamen, habe ich geglaubt, meine Träume würden sich erfüllen.“ Yolei glaubte, dass sie damit Sir Taichi und Matt meinte. „Aber es ist alles ein Albtraum geworden. Und jeder, der wegen mir kämpft, wird verletzt oder stirbt. Ich kann das nicht mehr ertragen! Es ist besser für alle, wenn ich einfach verschwunden bleibe!“ Sie hatte sich so sehr in Rage geredet, dass sie erst mal Luft holen musste. „Aber es ist doch dein Reich …“, meinte Yolei verdattert. „Versuch sie zu verstehen, Yolei“, bat Palmon und ergriff Mimis zitternde Hände. Die beiden hatten wohl schon darüber gesprochen. „Selbst wenn ich auf dem Thron sitze, was bringt mir das? Überall um Little Edo herum sind Feinde. Eine Prinzessin zu sein habe ich mir immer als schön vorgestellt. Aber für eine Königin tauge ich nicht! Ich wüsste gar nicht, wie ich regieren sollte! Ich kann das nicht!“ „Mimi …“, murmelte Yolei. Ihre Freundin hatte sich verändert. Vielleicht, weil plötzlich jede Spur von Yolei gefehlt hatte? „Prinzessin, bitte überlegt es Euch. Dort draußen gibt es unzählige Digimon, die Hoffnung suchen. Viele haben ihre Freunde verloren, viele wurden von Schwarzen Ringen versklavt. Ihr wäret für sie die Sonne am Horizont, die nach der langen, kalten Nacht aufgeht.“ „Du hast immer wieder gesagt, dass du das Leben auf der Flucht hasst“, erinnerte sie Yolei. Sie wusste nicht, warum sie gegen Mimis Entscheidung redete. Alles, wofür sie selbst in letzter Zeit einstand, wirkte falsch auf sie. „Was würde sich denn ändern? Bis ihr gewonnen habt, muss ich mich sowieso verstecken. Solange jemand für mich kämpft, bin ich gefährlich. So können wir vielleicht in irgendeinen Teil der DigiWelt reisen, wo man uns nicht sucht. Wenn ich ein Mädchen ohne Namen und ohne Titel bin, sind wenigstens meine Freunde nicht in Gefahr!“ Yolei fiel kein Argument mehr ein. Mimis Veränderung berührte sie zutiefst. Sie war kein eitles Prinzesschen mehr. Im Gegenteil, sie wollte nur noch in Frieden leben. War das eine positive Entwicklung? Es war Michael, der auf Mimi zutrat und ihre Hände ergriff, sodass sie ihn anblickte und die Tränen aus ihren Augen blinzelte. „Es gibt einen Grund, warum Eure Freunde sich in den Kampf gestürzt haben. Warum diese Digimon ebenso bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie glauben an eine bessere Zukunft, an eine DigiWelt, in der sich niemand verstecken muss. Seht mich an“, sagte er, als sie den Blick abwenden wollte, und sank vor ihr auf ein Knie, um mit ihr auf einer Höhe zu sein. Seine Hände drückten die ihren fest. „Du glaubst, du kannst nicht alleine regieren. Vielleicht stimmt das. Doch du bist nicht allein. Wir alle stehen hinter dir, die gesamte Konföderation steht hinter dir, und wir werden dich unterstützen, so gut es geht. Wir wollen dich nicht einfach so auf einen Thron setzen. Wir wollen, dass du all den Digimon, die in Knechtschaft und Angst leben, Hoffnung gibst. Das würde eine wohlmeinende Herrscherin tun. Ein Leben in Ketten kann schlimmer sein als der Tod.“ Er sah Mimi eindringlich aus nächster Nähe an, und Yolei fühlte es plötzlich ein wenig in ihren Wangen kribbeln, als ihr bewusst wurde, dass Michael Mimi nicht mehr mit der gebotenen Höflichkeit angesprochen hatte. „Trotzdem …“, murmelte Mimi, doch nun gelang es ihr selbst nicht mehr, den Blick abzuwenden. „Ich kann das nicht …“ „Du musst nichts weiter tun. Du bist der Schlüssel zur Rebellion, aber wir sind es, die die Digimon durch die offene Tür führen werden.“ Yolei konnte Wortspielereien eigentlich nicht besonders gut leiden, aber sie fand Michael in dem Augenblick unheimlich cool. „Wie Sir Michael sagt“, fügte Kabukimon hinzu, „werden wir Euch nicht ins kalte Wasser werfen. Und damit Ihr nicht allein regieren müsst, wird das Erste, was wir tun, die Befreiung Eures Gemahls sein.“ „Mein … Gemahl?“ Mimi sah das Digimon blinzelnd an, das nicht zu bemerken schien, dass es soeben eine schöne Illusion zerstört hatte. „Er wird in der Festung des DigimonKaisers gefangengehalten, soweit wir wissen“, führte Kabukimon aus. „Der Kaiser will andere Menschen lebend in die Finger bekommen. Was er auch mit ihnen vorhat, höchstwahrscheinlich tötet er sie nicht einfach.“ „Das meint Ihr doch nicht ernst?“, fragte Michael mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Warum nicht? Der Eherne Wolf ist der rechtmäßige Shogun von Little Edo. Es ist nur natürlich, dass wir ihn an die Seite der Prinzessin stellen. So hat der DigimonKaiser auch kein Druckmittel gegen uns. Oder wolltet Ihr Prinzessin Mimi allein auf den Thron setzen, damit die Wissens-Armee ihr einflüstert, was sie zu tun hat?“, fragte es lauernd. Michael verzog das Gesicht. „Das ist eine dreiste Anschuldigung“, sagte er beherrscht. „Die Festung des DigimonKaisers liegt mitten in seinem Hoheitsgebiet. Niemand konnte sie bisher nehmen.“ „Wir müssen uns nur einschleichen und den Shogun befreien. Wenn es einen Weg gibt, werden wir ihn finden.“ Michael schien nicht begeistert, dass Kabukimon die Fortschritte, die er bei Mimi erzielt hatte, nun für seine eigenen Zwecke missbrauchte. Mimi jedoch ließ plötzlich seine Hand los und stand auf. „Tun wir es“, sagte sie mit leuchtenden Augen. „Matt ist wegen mir in diese Lage geraten. Ich will das wiedergutmachen!“ „Aber Prinzessin …“, murmelte Michael hilflos. „Ihr sagtet doch, dass Ihr den Ehernen Wolf nicht …“ Yolei machte große Augen. Worüber hatten die beiden gesprochen, während sie weg gewesen war? „Selbst wenn ich ihn nicht liebe und wir nur pro forma ein Ehepaar sind“, sagte Mimi entschlossen. „Ich will nicht, dass sich ständig andere für mich opfern. Ich will all das wiedergutmachen, und bei Matt fange ich an!“ Damit war das entschieden. Kabukimon und seine Anhänger nickten zufrieden, während Michael so elend aussah, wie Yolei sich fühlte. Immerhin bin ich nicht die Einzige, die Kabukimon nicht leiden kann, dachte sie.     Er hätte sich nie träumen lassen, einmal am selben Tisch wie der DigimonKaiser zu sitzen. Schon gar nicht hier, in der Loge der Reichen, von wo aus man einen guten Blick in die staubige Arena hatte. Tausend Erinnerungen lagen dort im Sand begraben. Jetzt wuchs auf ihnen ein gigantischer Schwarzer Turm. Cody hatte den DigimonKaiser nie gesehen, er kannte nur Geschichten darüber, wie er aussah. Weder war er so grobschlächtig noch so muskulös wie ein Boltmon, auch nicht hässlich wie ein Ogremon, und seinem Gesicht fehlte der grausame Zug eines Devimons. Stattdessen war er jung und schlank, und er lächelte Cody freundlich an, während Diener – ohne Schwarze Ringe, wohlgemerkt, also wurden sie vermutlich sogar bezahlt – Speis und Trank auftrugen. „Du hast auf Chichos aufgepasst“, sagte der Kaiser und deutete auf das Mädchen, das unsicher ob des plötzlichen Luxus‘ auf dem Stuhl neben ihm saß. „Und jetzt beschütze ich euch hier drin. Dann sind wir wohl Quitt.“ Er machte den Eindruck, als erwarte er irgendeine bestimmte Reaktion auf diese Worte. Cody hatte keine Ahnung, welche, aber Chichos hatte ihren Namen noch nicht genannt. „Woher kennst … Woher kennt Ihr Chichos?“ Der DigimonKaiser lehnte sich mit enttäuschter Miene zurück. „Sagen wir, ich kenne sie aus einem anderen Leben.“ „Aha“, murmelte Cody verständnislos, sein Blick wanderte zu Königin Nadine, die hinter dem Kaiser stand, in einem kostbaren schwarzen Kleid mit Goldmuster und ausladenden Röcken. „Hasst du mich, Cody?“, fragte der DigimonKaiser rundheraus. „Ich … weiß nicht“, murmelte er. „Ihr haltet selbst Sklaven, aber die Sklaverei in Masla wollt Ihr abschaffen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“ Er konnte nicht verhindern, dass er vorwurfsvoll klang. „Meine Sklaven sind notwendig. Ich kann es nicht erklären, sodass du mir glaubst. Aber ich will, dass du weißt, dass die meisten Geschichten über mich Lügen sind.“ „Was Ken damit sagen will“, die Königin strich dem Kaiser mit einem verschmitzten Lächeln über die Brust und umklammerte seine Schultern, „ist, dass wir keine Tyrannen sein wollen. Und wir geben uns Mühe, gerecht zu sein. Das ist alles nicht so einfach, aber wir werden es hinbekommen. Und wir sind eure Freunde.“ Cody sah überrascht, wie der DigimonKaiser sich energisch aus der unverhofften Umarmung löste und ihre Hände abschüttelte. Er wirkte verärgert, und waren seine Wangen nicht ein klein wenig gerötet? Cody verstand die Welt nicht mehr. War das der Kaiser, der die DigiWelt in den Krieg gestürzt hatte und sie ein ums andere Mal erzittern ließ? Er wirkte so … menschlich. Cody fand ihn plötzlich sympathischer als noch vor einem Moment. „Also, hasst du mich?“ „Ich kann nicht gutheißen, was Ihr tut“, sagte Cody bestimmt. „Aber ich werde mir anhören, was Ihr zu sagen habt. Und wir sind nicht Quitt, Ihr habt noch etwas gut bei mir.“ Der DigimonKaiser lächelte fast schüchtern. „Das ist der Cody, den ich kenne. Obwohl ich gedacht habe, dass ich auf mehr Ablehnung stoße.“ „Ihr kennt mich nicht.“ „Doch.“ „Aus einem anderen Leben“, ergänzte die Königin. „Und sprich mich bitte nicht so formell an. Ich bin Ken.“ Meinte er das ernst? Cody schwieg, und er seufzte. „Ich kann dir, wie gesagt, nicht einfach alles so erklären, dass du es verstehst. Aber ich erobere die DigiWelt nicht aus Ehrgeiz oder aus Vergnügen. Eine dunkle Macht bedroht uns … Ja, so etwas Ähnliches wie der erste DigimonKaiser, falls du von ihm gehört hast. Die Schwarzen Türme sind der Schlüssel, wie man diese Dunkelheit besiegen kann. Darum muss ich viele davon bauen, verstehst du? Greif zu, Chichos“, forderte er das Mädchen freundlich auf, das den gefüllten Teller vor sich anstarrte. Glücklich aß sie mit den Fingern. Cody rührte seine Platte nicht an. „Ich weiß nicht, ob ich Euch glauben kann“, sagte er. „Man erzählt sich, Ihr wärt verrückt.“ „Höchstens ein kleines bisschen“, kam es von der Königin. „Nadine!“ Sie lachte. Cody lernte die beiden langsam neu einzuschätzen. „Wenn Ihr wirklich alle Sklaven in Masla befreit, dann kann ich Euch nicht böse sein, denke ich. Habt Ihr das wirklich vor?“ „Und ob“, sagte er sofort. „Nicht nur das, wir suchen Chichos‘ Gotsumon und dein Armadillomon.“ Armadillomon. Der Name brachte etwas wie eine Glaswand in Cody zum Schwingen, hinter der verschwommen etwas versteckt lag. Das kleine Wesen, dieser Jemand aus seinen frühesten Erinnerungen … „Ja“, sagte er, ohne darüber nachzudenken. „Ich meine, wenn Ihr das wirklich schafft, dann … dann unterstütze ich Euch.“ Der Kaiser nickte erlöst. „Gut. Fürs Erste ist es am besten, wenn du in der Stadt bleibst. Ich bleibe nicht lange, aber wir werden die öffentliche Ordnung wiederherstellen. Ich brauche jemanden, der Masla regiert. Du wärst, denke ich, als Berater ganz gut zu gebrauchen.“ Codys Mund klappte auf. „Berater?“ „Du hast einen klugen, besonnenen Kopf. Die direkte Führung überlasse ich jemand anderem, aber du kannst eines der hohen Ämter haben, die ich einführen werde. Was sagst du?“ Königin Nadine grinste wieder vielsagend und sagte etwas, auf das er sich keinen Reim machen konnte: „Es ist ja wohl unfair, dass deine Freunde alle Könige oder Ritter sind und du selbst nur ein befreiter Sklave.“ „Tu dein Bestes, wir passen einstweilen auf Chichos auf, und auf die ganze Stadt. Ich brauche jemanden wie dich, der etwas gegen ein neuerliches Aufkommen des Sklavenhandels tun kann. Du bekommst ein Quartier im Rathaus, oder hier, wenn du willst. Und eine Leibgarde. Du musst aber nicht, wenn du nicht willst.“ „Und wie passt Ihr auf Chichos auf?“ „Sie kommt auf den Rosenstein“, erklärte die Königin. „Als Gast in meinem Palast. Dort wird es ihr an nichts fehlen.“ Sie lächelte dem jüngeren Mädchen gewinnend zu. „Was meinst du?“ Chichos starrte sie mit großen Augen an. „Und … Gotsumon?“ „Kommt nach, sobald wir es gefunden haben.“ „Ich würde auch gern alles über weitere Menschensklaven wissen, von denen du gehört hast“, sagte der DigimonKaiser. „Du hast ein paar Tage Zeit, dir das zu überlegen. Wir wollen dir wirklich nichts Böses.“ „Ich möchte bei Cody bleiben“, sagte Chichos. „Kann er nicht auch mit auf diesen Stein?“ Das Herrscherpaar wechselte einen Blick. „Wenn er unbedingt möchte“, sagte der Kaiser. Wenn, dann würde Cody hierbleiben, um dafür zu sorgen, dass die Sklaven tatsächlich frei blieben. Er glaubte mittlerweile nicht mehr, dass man ihn hereinlegen wollte. Dafür war seit gestern Nacht zu viel geschehen, und so grausam konnte das Schicksal nicht sein. Außerdem hatte er etwas gesehen. Eine kleine Dose, aus der der DigimonKaiser eine Pille geschluckt und sie dann weggestellt hatte, als man Cody und Chichos in die Loge gebracht hatte. Er kannte den Zusammenhang nicht, und sicherlich war es bloßer Zufall, aber das Wappen der Zuverlässigkeit war darauf gemalt gewesen. Das Wappen auf seiner Halskette … Mit Sicherheit war es kein Omen, aber die jüngsten Ereignisse hatten ihn gelehrt, dass es angenehm war, an Omen glauben zu können. „Dann habe ich mich entschieden“, sagte er. „Ich will nur wissen, warum Ihr beide das alles für Chichos und mich tut.“ Der DigimonKaiser musterte sich nachdenklich, als müsste er sich erst eine Antwort überlegen, mit der sich Cody zufrieden geben konnte. „Weil wir Menschen schließlich zusammenhalten müssen.“   Tag 70 Seine Zelle war alles andere als luxuriös, aber sie war groß, und weder glaubte Matt, dass es in dieser toten Steinfestung so etwas wie Luxus gab, noch war er daran gewöhnt, es bequem zu haben. Zu seiner Verwirrung war er tatsächlich gut behandelt worden. Es gab dreimal am Tag warme Mahlzeiten, als versuchte ihn jemand für seine Gefangenschaft zu entschädigen. Einen getrennten Bereich mit Toilette gab es auch, aber diese Kabine ließ sich nicht abschließen. Er hatte ein Bett, das weicher war als alles, auf dem er in seiner Zeit bei den Wölfen geschlafen hatte, und Instrumente. Er wusste nicht, warum, aber der DigimonKaiser hatte ihm eine Mundharmonika und eine Gitarre bringen lassen. So etwas war in der DigiWelt sehr selten und schwer herzustellen; die Instrumente schienen zum größten Teil aus Knochen gebastelt worden zu sein, als Saiten dienten wohl Haare von Unimon oder anderen Digimon. Außerdem hatte man ihm ein Pult gebracht, eine Feder und ein Tintenfass und liniertes Papier, als wollte man, dass er Lieder komponierte. Welches Spiel spielte der Kaiser nun schon wieder mit ihm? Er rührte nichts davon an, aus Protest. Als der Hunger zu groß wurde, ließ er sich dazu herab, das Essen zu kosten. Es schmeckte nicht übel; meist war es eine Art Eintopf oder in Fleischsoße schwimmende Brotbrocken, würzige Suppe und dazu Salat und Gemüse, das sicher nicht aus der Kaiserwüste stammte. Der DigimonKaiser wollte ihn eindeutig verwöhnen, weichklopfen. Matt aß nur das, was seinen unmittelbaren Hunger stillte. Gabumon kannte da weniger Scheu; es schlang auch gern die Reste von Matts Portionen hinunter. Das war noch etwas, das er nicht verstand. Sie hatten ihm sein DigiVice abgenommen, aber Gabumon durfte bei ihm bleiben. Wären ihre Rollen vertauscht gewesen, hätte Matt den DigimonKaiser von jedem Kontakt zu seinen Vertrauten abgeschnitten, nur um sicher zu gehen. Der Wärter, der ihm das Essen brachte, war ein Kodokugumon, eine kleinere Ausgabe der haarigen Riesenspinnen, das von einem Schwarzen Ring kontrolliert wurde. Es sprach nicht mit ihm, und Matt hatte auch keine Lust, es etwas zu fragen. Gabumon versuchte anfangs noch, etwas von der Außenwelt in Erfahrung zu bringen. Umsonst. So vergingen die Tage in öder Eintönigkeit. Matt schwor sich, den DigimonKaiser zur Rechenschaft zu ziehen und Mimi zu finden. Ob sie in der Zelle gleich nebenan war? Die dicken Wände aus quaderförmigem Stein, die in der kalten Beleuchtung dunkelblau wirkten, ließen kein Geräusch hindurch. Von Rechts wegen war er nun der Shogun von Little Edo, aber die Chancen standen gut, dass das Shogunat mittlerweile in Trümmern lag, und es verband ihn auch nicht besonders viel damit. Er hätte nur gern gewusst, wie es zu diesem Verrat gekommen war. Wenn er daran dachte, stieß es ihm sauer auf. Musyamon war von Mimi verschmäht worden, das wusste er. Hatte das schon gereicht? Er fragte sich, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn Taichi an seiner Stelle die Braut bekommen hätte. Wo wäre er dann jetzt? Am meisten sorgte er sich um seine Wölfe. Sie waren entweder tot, durch Schwarze Ringe geknechtet oder versprengt. Ob er sie je wiedersehen würde? Alle bestimmt nicht. Aber so war wohl das Leben … Er musste wieder allein anfangen, allein mit Gabumon. Allein war es auch einfacher. Sie berieten sich kurz darüber, aber es war klar, dass sie nicht fliehen konnten. Wände und Boden waren aus Stein, die Decke hoch oben, aber ebenfalls aus Stein, sah man von den Kabelschächten ab, die so eng waren, dass er höchstens einen Arm hineinstecken konnten. Die Tür war aus massivem Metall, und immer, wenn sie aufglitt – eine Türschnalle oder etwas Vergleichbares gab es im Inneren gar nicht –, sah Matt vier Wachen davor stehen. Es waren nicht immer die Gleichen, aber sie sahen jedes Mal sehr schlagkräftig und grimmig aus. Er war über vier Wochen in Gefangenschaft gewesen – jeden Abend wurden die Neonröhren verdunkelt, so konnte er die Zeit abschätzen –, als er einen neuen Wärter bekam. Überrascht beobachtete er das Digimon, das in die Zelle gewatschelt kam und seinen Topf mit dem Mittagessen auf den Rückenstacheln balancierte. Ein Togemogumon. War das ein Zufall? Er glaubte, seinen alten Freund zu erkennen … aber dessen Augen glühten rot und an dem hellen, ungepanzerten Schwanz glitzerte ein Schwarzer Ring. Also hatte der DigimonKaiser es auch erwischt … und wollte Matt damit verhöhnen. Er fühlte Bedauern in sich aufsteigen, während er aß und das Stachelschwein die Zelle wieder verließ. Als es am Abend kam, den Topf einsammelte und ihm das Abendessen brachte, fielen Matt zufällig die tiefen Kratzer auf, die seinen rechten Vorderfuß zierten, dort auf der dunkelblauen Panzerung, knapp unter dem Zeichen der Freundschaft, jenem Wappen, mit dem die Wölfe ihre Zugehörigkeit zu ihrem Rudel gekennzeichnet hatten. Zunächst hielt er es für eine Verletzung, aber dafür schienen sie zu regelmäßig, zu … willkürlich zu sein. Togemogumon verließ ihn wortlos, aber er nahm sich vor, die Kratzer genauer zu untersuchen. Am nächsten Morgen wartete er gespannt darauf, dass Togemogumon wiederkehrte. Tatsächlich; es schien dauerhaft sein Gefängniswärter geworden sein. Auch Gabumon hatte er eingeweiht, und sie betrachteten die Kratzer gemeinsam. Hatten sie etwas zu bedeuten? „Der DigimonKaiser will meinen Willen brechen“, vermutete Matt, als das Digimon gegangen war. „Er nimmt unsere Kameraden gefangen und fügt ihnen Verletzungen zu, und zwingt uns, sie anzusehen.“ Es ekelte ihn vor diesem Jungen. „Ich glaube, da steckt etwas anders dahinter“, sagte Gabumon. „Togemogumon hat sich doch bisher immer versteckt, wenn es gefährlich wurde. Ich glaube nicht, dass er es gefangen hat. Wenn, würde er uns doch einen der wirklichen Wölfe zeigen.“ „Und was glaubst du, was es ist? Hat es überhaupt eine Bedeutung?“ „Hm.“ Gabumon verschränkte die Arme. Sein Horn wackelte, als es grübelnd die Stirn runzelte. „Es könnte ein Code sein.“ Da ging Matt ein Licht auf. Natürlich. Unter den Wölfen hatten sie sich Signale ausgedacht. Über weite Entfernungen konnten sie sich mit Heulen verständigen. Kurze Töne bedeuteten etwas anderes als lange oder mittellange, und der Abstand dazwischen war ebenfalls bedeutsam. So konnten Späher einfach und schnell das Rudel verständigen, wenn Gefahr im Verzug war, und im Falle einer Schlacht waren sie einfacher zu koordinieren. Beim Mittagessen zeichnete Matt die Kratzer auf Togemogumons Pfote ab. Plötzlich war er dem DigimonKaiser dankbar, dass er ihm Papier gegeben hatte. Es gab lange, mittlere und kurze Kratzer, und die Abstände … Die Botschaft war eindeutig. Sie hatten aber nicht für jedes Wort ein eigenes Signal, also war es nicht so einfach, denn Sinn herauszulesen. Das erste Signal bedeutete so viel wie: Ich habe einen Plan, es sieht nur verrückt aus, vertraut mir. Dann kam die kurze Strichfolge für die Schwarzen Ringe des DigimonKaisers, die auf freiem Feld bei der Evaluierung der Feinde wichtig war, und als Letztes das Signal, das er und Garurumon im Kampf dafür benutzten, um die anderen anzuweisen, dem Feind den Fluchtweg abzuschneiden, und dann der simple Code für Rückzug oder Flucht. Vertraut mir. Ich habe einen Plan. Das war gleichzusetzen mit: Es ist Absicht. „Hm.“ Matt grübelte eine Weile. Zeit genug hatte er; bis zum Abend wollte er den Code entschlüsselt haben. Er brauchte fünf Minuten. Dann wusste er es.   But one day time will come when war Period's suddenly completed The end of it is totally foreseen Conquerors will be defeated (Digimortal – The Ruins) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)