New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 28: In Dunkelheit getränkt ---------------------------------- Tag 70 Vertraut mir. Es ist Absicht. Schwarzer Ring. Schneidet ihnen den Fluchtweg ab. Flucht. Togemogumon war mutiger, als Matt immer geglaubt hatte. Es hatte sich mit Absicht einen Schwarzen Ring eingefangen, wahrscheinlich, als es offen über die Grenze spaziert war. Allein das war eine Heldentat für das eher ängstliche Digimon. Und es war auch viel selbstloser: Es war ein großes Risiko eingegangen und hatte versucht, den Ring an seinem Schwanz zuschnappen zu lassen, nachdem es sich, vermutlich mit seinen eigenen Krallen, die Nachricht eingeritzt hatte. Und Matt und Gabumon sollten diesen Schwanz nun abschneiden. Die Klingen auf seinem Rücken boten dazu gute Gelegenheit, und es wäre wieder frei, wenn auch verletzt und entstellt. Und es würde ihnen bei der Flucht helfen. Aber konnte es das? Und konnte Matt seinen Freund verletzen für ein aussichtsloses Unterfangen? Mit seinen Krallen konnte Togemogumon sogar durch Stein graben, und der hier in der Zelle war trocken und brüchiger als in den anderen Räumen, die Matt gesehen hatte, als man sie hierher gebracht hatte. Wieder beriet er sich mit Gabumon, und sie beschlossen, es zu versuchen. Togemogumon hatte seine Freiheit aufs Spiel gesetzt und erwartete nun, dass sie sie ihm zurückgaben. Als es kam, um das Abendessen zu holen, stapelten Matt und Gabumon das leere Geschirr in der Toilettenkabine. Togemogumon suchte schweigend danach und krabbelte darauf zu, langsam, wie es über der Erde nun mal war. Die Metalltür schloss sich einstweilen wieder. Kaum war es in ihrer Falle, stürzten sich die beiden auf es. Matt presste sein Kiefer zusammen, damit es keinen Laut von sich gab, und Gabumon bog seinen bleichen Schwanz und schabte ihn mit aller Kraft über die Rückenklingen. Togemogumon schrie, aber alles, was sein Maul verließ, war ein klägliches, dumpfes Geräusch. „Tut mir leid“, murmelte Gabumon, und noch einmal schnitt es. Dann hielt es plötzlich den blutenden Schwanz in der Hand, die grünliche Haut ausgefranst direkt unter dem Schwarzen Ring. Togemogumon riss die Augen auf, die allmählich wieder ihre normale Farbe bekamen, und Matt spürte, wie es von alleine die Zähne zusammenbiss. Vorsichtig ließ er los und griff schnell nach der bereitgelegten Rolle Toilettenpapier. So gut es ging band er die Wunde ab. Die dünnen Lagen stoppten den Blutfluss nicht, also riss er sein ohnehin zerfetztes Bräutigamgewand herunter und benutzte es. Eine Weile lag Togemogumon nur keuchend auf dem Bauch, mit Tränen in die Augen, und jedes Ausatmen wurde zu einem unterdrückten Stöhnen. „Alles in Ordnung?“, fragte Matt. Er reichte ihm den Becher mit Wasser, der ihm gehört hätte. „Schon … gut …“, ächzte Togemogumon. „Es hat … geklappt, oder?“ „Ja.“ Matt lächelte. „Alle Achtung.“ Das Digimon grinste schwach. „Wie hast du es geschafft, unser Wärter zu werden?“, fragte Gabumon. „Ich habe eine Empfehlung gestohlen“, sagte es piepsig. „Ein Schreiben von irgendeinem wichtigen Digimon an einen Ort, der Santa Caria heißt. Es hat einem Gizamon gehört, und man hat geschrieben, dass es ein vorzüglicher Gefängniswärter wäre, und wenn man dort in den Kerkern schwierige Digimon zu zähmen hätte, sei es genau das Richtige dafür, und mit Menschen würde es auch gut umgehen können. Ich habe gehofft, wenn die Truppen des DigimonKaisers das zwischen meinen Stacheln sehen, setzen sie mich als Wärter ein.“ Es sah sich um. „Es scheint, als hatte ich recht.“ „Das war brillant!“, rief Gabumon aus. „Es war verrückt“, sagte Matt trocken. „Wenn jemand merkt, dass du nicht mehr hier raus kommst, werden sie misstrauisch. Und der DigimonKaiser hat sicher Systeme, die Alarm schlagen, wenn ein Digimon mit Schwarzem Ring plötzlich ohne ihn auf den Gängen auftaucht. „Deswegen müssen wir uns beeilen.“ Togemogumon raffte sich auf und klimperte mit den Krallen. „Ich will mir die Wand ansehen und den Boden.“ Tatsächlich waren seine Krallen scharf und hart genug, um das weiche Gestein zu durchbohren. Im toten Winkel zur Tür grub es sich nach unten, aber es ging langsam. Matt bekam ein schlechtes Gewissen dabei, ihm zuzusehen. Es blutete immer noch aus der Wunde und war ohne Schwanz auch irgendwie wackelig auf den Beinen. Also half er mit, so gut es ging, räumte Schutt aus dem Weg und zwängte die Kabel, auf die es irgendwann traf, zur Seite. Die ganze Zeit erwartete er, dass jemand bei der Tür hereinkommen und sich erkundigen würde, wo der neue Wärter so lange blieb. Stunden, nachdem das Licht gedimmt worden war, stieß Togemogumon einen kleinen erfreuten Ruf aus. Es war durchgebrochen, wie Matt sah. Unter ihrer Zelle war ein düsterer Gang zu sehen. Togemogumon vergrößerte das Loch am Grund des Trichters, den es gegraben hatte, dann sprang als Erstes Gabumon hindurch, sah sich um und winkte den anderen. Matt packte einen Kabelstrang, der sich weit genug dehnte, dass er sich nur etwa anderthalb Meter in die Tiefe fallen lassen musste. Dennoch schmerzten seine Knie und sein Kreuz, als er aufprallte. Togemogumon folgte auf die gleiche Weise. In diesem Gang war es dunkel und unheimlich. Er war rund; die Wände waren unregelmäßig und wirkten erdig; alles war von einem warmen Rotton durchdrungen und dicke, fleischige Kabel schlängelten sich den Gang entlang, überwachsen von eklig aussehenden Flechten. Alles in allem sah es hier richtig … organisch aus. Es war, als wären sie in einen Teil der Festung geraten, der … falsch war. An einen Ort, an dem niemand sein sollte. Als Matt durch das erstickende, rötliche Licht den Gang entlang sah, kam er ihm wie die Speiseröhre eines riesigen, warzigen Ungeheuers vor. Ihn schauderte. „Schnell“, rief Togemogumon und lief wankend voraus in eine willkürliche Richtung. Gabumon und Matt folgten ihm; er hatte seine Gitarre mit, um wenigstens ein bisschen bewaffnet zu sein. Es sah auch nicht so aus, als würde ihnen hier unten jemand begegnen. Aber vielleicht gab es auch hier Überwachungsgeräte … Plötzlich blieb Gabumon stehen. „Hört ihr das?“ Sie hielten inne, und Gabumon schnupperte nun auch. Und Matt hörte die Schritte. „Verdammt“, zischte er. „Schnell, weiter!“ Es klang nicht nett, was da heranmarschierte. Sie hasteten den Gang entlang, der sich wie das Innere eines Wurmes vor ihnen her schlängelte. Der Boden unter Matts Füßen war weich, und es war ungewöhnlich feucht hier. Schließlich kamen sie zu einem Ausgang – in dem es so finster war, dass man nur Umrisse erkennen konnte. Etwas wie ein zertrümmerter Felsen ragte dort auf, und dahinter führten mehrere Treppen in verschiedene Gänge. Matt lotste die anderen durch den Raum und erklomm die erstbeste – und prallte zurück, als vor ihm plötzlich ein metallenes Mekanorimon auftauchte. Fast stolperte er die Treppe zurück hinunter. Gabumon drängte sich an ihm vorbei und tauchte das Maschinendigimon in blau glühendes Feuer, aber dessen Panzerung glühte nicht einmal auf. Stattdessen hob es die langen, krallenbewehrten Arme, um seine Opfer zurückzuscheuchen. Als Matt sich umsah, sah er auch von den anderen Treppen Mekanorimon herabsteigen. Sie waren umzingelt. Verdammt, nach allem, was Togemogumon durchmachen musste! „Was fällt euch eigentlich ein, euch hier herunter zu schleichen? Glaubt ihr, wir würden das nicht merken?“ Aus dem Gang, durch den sie gekommen waren, traten zwei weitere Mekanorimon, gefolgt von einem Clockmon; einer Uhr mit Armen und Beinen, auf der der Oberkörper einer Art Henker saß, der einen langen, simplen Hammer in den Händen hielt. „Wisst ihr nicht, dass es hier gefährlich ist?“, fragte es mit seinem Puppenmund. „Der DigimonKaiser hat hier die Macht der Dunkelheit besiegt. Er will euch wohlbehalten wiedersehen, wenn er zurückkehrt.“ Er hat die Macht der Dunkelheit besiegt? Das verwirrte Matt. Was mochte das bedeuten? Wichtiger war, dass der DigimonKaiser offenbar nicht da war – aber brachte sie das wirklich weiter? Clockmon seufzte. „Wir brauchen wohl eine neue Zelle für euch drei. Führt sie ab.“ Die Mekanorimon nahmen sie in ihre Mitte und stiegen mit ihnen eine bestimmte Treppe hinauf, die Hände erhoben, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Matt wusste, dass ihre Flucht vorbei war. Würden sie je wieder eine Möglichkeit bekommen? „Hm. So.“ Clockmon stapfte ihnen sichtlich zufrieden hinterher. „Der Kaiser hat zwar für die Zeit seiner Abwesenheit keinen Kastellan ernannt, aber so wie ich das sehe, bin ich da der Kandidat, der am würdigsten ist.“ Matt verstand nicht, warum ein Digimon, das ihm nicht direkt böse vorkam, freiwillig vor dem DigimonKaiser glänzen wollen würde. Der DigimonKaiser hat hier die Macht der Dunkelheit besiegt. Wenn er selbst das Böse bekämpfte – wie böse war er dann selbst?     Tag 78 Tais Stiefel trat das zerfetzte Banner des Blutenden Herzens in die verkohlte Erde. Er sah sich um. Davis hatte den Überfall ein klein wenig zu spät entdeckt. Die meisten Digimon im Dorf lebten noch, aber die Häuser waren zumeist unrettbar verwüstet worden. Eine Schutthalde aus Asche war geblieben, mit angekokelten Holzbalken, die aus der schwarzen, teerigen Erde ragten. Die Luft stank nach Rauch. Er straffte die Schultern und marschierte auf das größte Gebäude zu, das noch stand, ein Lagerschuppen, dessen Strohdach verbrannt war und dessen Verstrebungen sich wie ein Gerippe in den Himmel reckten, aber der Brand war gelöscht worden, ehe er auf die Wände übergegriffen hatte. Die Reste der Einrichtungsgegenstände waren nach draußen geworfen worden, und nun diente er der Truppe aus dem Norden als Lager. Das Gelächter hörte er schon, ehe er eintrat. Davis hatte die kleine Truppe Monochromon und Allomon tatsächlich dazu gebracht, ihn zu mögen. Einige von ihnen hatten schon am Dornenwall mit ihm gekämpft. Es waren nur knapp zwanzig Digimon in der Langhütte, aber sie waren so groß, dass sie jeden freiem Raum ausfüllten, und sie machten so viel Lärm wie zweihundert. Tai hatte erwartet, dass sie sich an den Vorräten gütlich tun würden, aber nichts dergleichen war der Fall. Offenbar erzählten sie sich nur Geschichten und gingen die Schlacht noch einmal in all ihren heroischen Einzelheiten durch. Davis stand in ihrer Mitte, Veemon an seiner Seite. Sie tranken beide Bier aus Hörnern, beides Armeeeigentum. „Sir Taichi!“ Der Junge verschüttete Schaum, als er ihn sah. Seine Wangen waren leicht rot gefärbt. „Wie sieht es auf Eurer Seite des Nadelöhrs aus?“ „Ich bin hier, um mit den Gefangenen zu reden“, sagte Tai, nahm aber ein Horn, das ihm ein Allomon reichte. Schwarzbier, sehr stark. „Die Boten haben davon geredet, dass euch die Anführer ins Netz gegangen sind?“ „Allerdings!“, grollte das Allomon und deutete auf Davis. „Passt auf, Sir. Er wird der nächste sein, den König Leomon zum Ritter schlägt.“ „Zwei sogar“, antwortete Davis auf seine Frage. „Folgt mir. Ich bin gleich wieder da!“ Die anderen fassten seine Worte mit johlen auf. Wenn Tai nicht wüsste, dass Unmengen an Bier vonnöten gewesen wären, sie alle betrunken zu machen, nun, dann hätte er vermutet, dass sie sturzbesoffen waren. Davis führte ihn in eine Hinterkammer des Lagers. In zwei Koppeln gesperrt waren die Gefangenen der Brigantenhorde: eine ungeschlachte Meute aus Veggiemon, Numemon und anderen stinkenden Digimon in der einen, die Anführer in der zweiten. Es waren zwei Roachmon, Brüder, wie der Bote gesagt hatte, und sie hatten den Überfall gemeinsam durchgeführt. Offenbar waren sie gerade damit beschäftigt, sich gegenseitig die Schuld an ihrer Gefangennahme zu geben und sich auf die Rückenpanzer zu schlagen. „Ihr seid die Anführer?“, vergewisserte sich Tai. „Wir? Es gibt eventuell kein wir!“, blaffte die eine Küchenschabe. „Ich bin Anführer! Mein Bruder eventuell auch!“, setzte die andere dahinter. Tai fragte nicht nach, wo da der Unterschied war. „Ihr arbeitet für die Schwarze Königin, oder?“ Seit die ersten Brigantentruppen gut sichtbar die Standarten des Blutenden Herzens geschwenkt hatten, gab es daran keinen Zweifel mehr. „Ich stehe eventuell unter ihrem Schutz!“, sagte das eine Roachmon. „Ich eventuell auch!“, sagte das andere. „Aber weil mein Bruder den Überfall vermasselt hat, wird sie wohl eventuell nichts mehr mit uns zu tun haben wollen!“ „Wer hat ihn vermasselt, du Versager?“ „Na du, wer sonst? Ich hab dir eventuell gesagt, schlag nicht einfach von vorn drauf los! Nimm sie eventuell in die Zange, hab ich gesagt!“ „Das hab ich dir gesagt!“ „Lügner!“ „Schwächling!“ „Kennt ihr sie persönlich?“, unterbrach Tai den Streit. „Ja!“, riefen sie aus einem Mund und starrten einander hinterher finster an. „Dann wisst ihr, wo ihr Schloss liegt?“ „In den Nadelbergen!“ „Aber mein Bruder würde es eventuell nicht ohne meine Hilfe finden!“ „Selber!“ „Ruhe! Könnt ihr es mir auf einer Karte zeigen?“ „Selbst wenn.“ Die Digimon musterten ihn feindselig. „Was haben wir davon?“ „Ja, was haben wir davon?“ „Wisst ihr, wer ich bin?“ „Eventuell der Drachenritter. Wahrscheinlich.“ „Das wollte ich eventuell gerade sagen!“ „Schlafmütze!“ „Klugscheißer!“ Offenbar hatten sie ihn erkannt, zeigten aber trotzdem keinen Respekt. „Gib‘s auf, es ist hoffnungslos, mit denen reden zu wollen“, sagte Veemon. „Du kannst sie höchstens einzeln verhören.“ „Ich habe von unserem König die Vollmacht erhalten, euch freizulassen“, sagte Tai. Plötzlich waren die Streithähne ruhig – für einen Moment zumindest. „Was hast du gesagt?“ „Hast du ihm eventuell nicht zugehört, Idiot?“ „Ich sagte“, wiederholte Tai und betonte jedes Wort, „ich habe Vollmacht, euch freizulassen. Wenn ihr kooperiert.“ Davis sah ihn erschrocken an. Eben war er noch so triumphierend gewesen, nun wirkte er verwirrt. „Aber wir haben sie doch unter großer Mühe … Was hast du vor?“ Nun war es an Tai, triumphierend zu grinsen. „Du hast gute Arbeit geleistet, ja. König Leomon ist zufrieden. Du darfst weiter nach den Briganten suchen und ihre Stämme einen nach dem anderen bekämpfen. Was mich angeht, ich soll mich mit der Schwarzen Königin persönlich treffen.“     „Nicht so. Höher! Und schneller!“, rief T.K. ungeduldig, während das Schattenwesen sich abmühte, sein verkrüppeltes Stück Treibholz über den Kopf zu schwingen, und dabei vor Anstrengung schlürfende Geräusche von sich gab. „So erwischt dich ein Ring des DigimonKaisers doch schon beim ersten Versuch! Angemon, zeig es ihm nochmal.“ Er gab den Schattenwesen, die auf der Klippe standen, ein Zeichen. Von drei Seiten warfen sie faustgroße Steine auf Angemon, dessen Engelsaura majestätisch die Düsternis durchstrahlte. Mit zackigen und doch geschmeidigen Bewegungen ließ es seinen Stab wirbeln und traf einen Stein nach dem anderen im Flug. „Hast du gesehen? Du musst den ganzen Körper bewegen, nicht nur die Arme. Versuch es nochmal“, wies er das Schattenwesen an, das neben den zwei Dutzend anderen, deren Training er heute überwachte, mit seinen Stockübungen fortfuhr. T.K. hatte ein schlechtes Gewissen, diese im Grunde friedlichen Wesen im Kampf zu schulen. Aber wenn sie jemals in die DigiWelt kamen, musste er alles tun, um zu verhindern, dass der DigimonKaiser sie unter seine Kontrolle brachte. Ob sie sich mit ihren trägen Bewegungen und den unförmigen Stöcken gegen Schwarze Ringe oder gar Teufelsspiralen behaupten konnten, wagte er trotzdem zu bezweifeln – aber es war besser als nichts. Kari hatte gemeint, die Teufelsspiralen, mit denen Ken sie damals knechten wollte, hätten nicht ganz die erwünschte Wirkung gezeigt, aber in der DigiWelt mochte das anders sein. Er ging noch ein paarmal ihre Reihen ab. Die Schattenwesen machten kaum Fortschritte. Alles, was sie taten, wirkte halbherzig, und T.K. erwischt sich mehr als einmal dabei, wie er ungeduldig oder gar zornig wurde. Dieses verdammte Meer. Und diese verdammte Dunkelheit. Sie würden hier noch alle wahnsinnig werden. „Junge.“ Als T.K. sich umwandte, sah er Klecks auf sich zutrotten. Er erkannte ihn eigentlich nur an seinen beiden Begleitern, die größer waren als die meisten Schattenwesen. Wasser tropfte von ihrer wabernd grauen Haut. Während die Schattenwesen Kari ihre auserwählte Jungfrau, Lichtkönigin oder Braut nannten, sagten sie zu ihm immer nur schlicht Junge. Namen bedeuteten ihnen nichts, und es war auch nichts Abwertendes in dieser Bezeichnung, also hatte sich T.K. daran gewöhnt – fast. Junge. Von auserwählt keine Spur. „Habt ihr diesmal was gefunden?“, fragte er ohne viel Hoffnung. „Wir sind in jede Nische und jede Höhle des Riffs getaucht. Aber nirgendwo war etwas, das wir nicht schon woanders gesehen hätten“, sagte Klecks. T.K. seufzte. Es war einfach aussichtslos. Während Kari und er immer weiter verfielen, waren sie auf der Suche nach diesem ominösen Schlüssel noch keinen Deut vorwärtsgekommen. Sie hatten auch im Landesinneren nach Spuren gesucht, aber nach wenigen Kilometern war das Land nur noch eine braungraue Masse, ohne jedes Leben und ohne jede Abwechslung. Das Wort Einöde würde in höchsten Tönen loben, was sie gesehen hatten. Nein, wenn der Schlüssel irgendwo zu finden war, dann im Wasser. „Ich werde mir die Bücher nochmal ansehen. Ihr drei übt am besten mit den anderen mit.“ Er überließ sie Angemons Obhut und ging zum Leuchtturm zurück, den Kopf voller düsterer Gedanken. Vor der Tür traf er Gatomon, das die Beine über den Steg baumeln ließ. „Wie geht’s Kari?“, fragte er. „Es wird immer schlimmer“, sagte das Katzendigimon bedrückt und senkte den Kopf. „Ich mache mir große Sorgen. Wenn wir nicht bald in die DigiWelt kommen …“ Es ließ den Satz unbeendet, aber T.K. wusste, was ihnen dann blühte. Er fühlte es selbst. Ein verlorener Verstand wäre die rosigste Aussicht. Karis Träume hielten sie vom Schlafen ab. Sie war immer häufiger müde, dämmerte während dem Essen oder während eines Gesprächs weg und schlief mehrmals am Tag ein paar wenige Stunden, während der sie wieder Visionen plagten, aus denen sie nur noch erschöpfter erwachte. Sie wurde immer wortkarger und verlor immer mehr den Appetit. Gatomon machte sich nicht als Einziges Sorgen um sie. „Wenn wir nur von jemandem Hilfe bekämen“, seufzte er gequält. „Von Azulongmon oder Gennai … oder Izzy. Wenn uns nur irgendjemand sagen könnte, was los ist und was wir tun sollen! Wir irren nur in der Dunkelheit herum. Und Karis Visionen sind zu vage, als dass sie uns groß nutzen würden.“ Gatomons Blick wurde seltsam. Sein Schwanz zucke unruhig. „Darüber wollte ich mit dir reden“, sagte es leise. „In Wahrheit werden Karis Visionen immer deutlicher.“ „Was sagst du da?“ „Sie träumt jetzt von Digimon, die sie eindeutig erkennen kann, und auch die Landschaft wird immer klarer, und sie versteht die Gedanken von denen, die sie sieht“, sagte Gatomon gezwungen ruhig. „Es sind nicht mehr nur verworrene Bilder, die irgendeine Bedeutung haben könnten. Sie hat mir von einem Digimon erzählt, das neben ihr die Träume anderer Digimon aushorcht. Von Digimon, die an einer Seuche leiden, und von einem brennenden Bambuswald, von Menschen, die sich gegenseitig gefangen nehmen. Und von Tai … sie hat gemeint, er habe Schmerzen, und sie hat gefühlt, wie eine Hälfte ihres Gesichts brannte.“ „Wieso hat sie mir nichts davon gesagt?“ „Sie wollte dich nicht beunruhigen“, murmelte das Digimon beklommen. „Aber wir müssen etwas tun! Je schwächer sie wird, desto mehr kann sie erkennen. Dass sie so klare Dinge sieht, zeigt nur, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist! Es ist, als würde ihr Geist mehr und mehr in die DigiWelt gezogen.“ „Aber wieso?“ T.K. verstand nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. „Je mehr die DigiWelt in Dunkelheit versinkt, desto mehr ruft die DigiWelt nach einem Licht. Und dieses Licht ist Kari“, mutmaßte Gatomon. „Wer ruft sie? Die Digimon?“ „Ich glaube, etwas anderes … etwas Abstrakteres. Die DigiWelt selbst, oder die Heilige Macht, die Kraft zum Schutz der DigiWelt, etwas in der Art. Wir kommen von hier nicht weg, also zieht es sie in ihren Träumen dorthin. Je schwächer sie wird, desto weniger kann sie sich wehren … und je mehr sie in die Dunkelheit eintaucht, die sich in der DigiWelt zusammenballt, desto schlechter geht es ihr.“ T.K. schluckte hart. Wenn das stimmte, hatten sie noch viel weniger Zeit. Kari, warum hast du mir nur nicht gesagt, wie schlecht es dir geht? „Ich werde diesen Schlüssel finden“, versuchte er Gatomon Mut zuzusprechen. „Wenn uns niemand helfen kann, müssen wir uns selbst helfen.“ Im Untergeschoss des Turms vergrub er sich wieder in seinen Büchern. Dabei kannte er sie bereits in- und auswendig. Zum wiederholten Male überflog er die Originaldokumente, die direkt vor und nach dem Absatz mit dem Schlüssel ins Sammelwerk übertragen worden waren, aber sie schienen nichts damit zu tun zu haben. Als seine Augen und sein Genick schmerzten, lehnte er sich stöhnend zurück. Er wünschte sich, es würde einfach ein Wunder geschehen und sie von hier fortbringen. Oder wer auch immer diese Bücher hinterlassen hatte, würde plötzlich auftauchen und ihm alle Antworten geben, nach denen der suchte. Oder MagnaAngemon könnte ganz einfach ein Himmelstor in die DigiWelt öffnen, oder sie würden auf ein Tor wie das in Myotismons Schloss stoßen. Für einen kurzen Moment wünschte sich T.K. sogar Deemon herbei, damit es ihm zeigte, welchen Trick es selbst benutzt hatte, um von hier fortzukommen. Wenn wenigstens Dragomon noch leben würde. Es war der Gott dieser Welt und hat sicher all ihre Geheimnisse gekannt. Er setzte sich kerzengerade auf. Eben war ihm eine Idee gekommen – warum hatte er nicht schon früher daran gedacht? Er lief nach oben, nach draußen, und suchte Klecks. Der König der Schattenwesen war gerade auf dem Weg zum Leuchtturm. T.K. zerrte ihn nach unten in sein Studierzimmer. „Sag mir alles, was du über Dragomon weißt“, verlangte er. Klecks schwieg eine Weile und sah ihn aus klugen Augen an. „Unser Gott war hier, bevor wir hier waren. Und dann kamen wir, um ihm zu dienen.“ „Hat er zu euch gesprochen? Habt ihr ihn oft gesehen?“ „Manchmal erschien er, oder wir sahen seinen Umriss. Er befahl uns nie etwas, aber wir beteten ihn dennoch als unseren Gott an. Wir wussten, dass er uns vor Unheil beschützte, bis zu dem Tag, als uns gesagt wurde, ein anderer Gott würde nun über uns herrschen.“ „Aber das ging vorüber“, sagte T.K. ungeduldig. „Der DigimonKaiser wurde besiegt und ihr konntet wieder in Frieden leben. Und als Deemon auftauchte, hat sich auch nicht viel geändert, richtig?“ „Eines Tages kam ein Wesen aus einer fremden Welt zu uns, aber wir sahen es kaum, denn es gab sich nicht mit uns ab. Ich weiß nur, dass unser Gott von da an seltener vor uns erschien. Und eines Tages wussten wir plötzlich, dass unser Gott tot war, und wir spürten, dass diese andere Macht unsere Welt ebenfalls verlassen hatte.“ T.K. dachte fieberhaft nach. Vielleicht gab es zwischen Dragomons Tod und Deemons Entkommen tatsächlich eine Verbindung. Er hatte diesen Gedanken schon einmal gehabt, aber er war der Ansicht gewesen, Deemon hätte den Gott der Schattenwesen einfach im Kampf getötet. Schließlich waren beide Digimon. Er meinte sich an Deemons Worte zu erinnern, als Ken im Westend-Viertel das Tor zum Meer der Dunkelheit geöffnet hatte. Das Meer Dragomons hatte es diese Welt genannt. Deemon kannte Dragomon also bereits, vielleicht … „Hatte euer Gott irgendwelche Lieblingsplätze? Orte im Meer, an denen er sich oft aufgehalten hat?“, fragte er. „Es gibt einige Stellen, an denen er oft erschienen ist. Tiefe Gräben und hohe Grotten“, erwiderte Klecks. „Viele sind weit, weit weg von hier.“ „Nimm alle von deiner Sorte mit. Keiner braucht mehr zu trainieren. Untersucht diese Orte und haltet auch Ausschau nach einem Ei oder etwas Ähnlichem.“ Hier gab es keine Stadt des Ewigen Anfangs. Falls Dragomon tot war, war womöglich ein DigiEi an Ort und Stelle übriggeblieben. Klecks nickte und verzog sich, aber T.K.s Euphorie verflog recht schnell. Im Grunde hatte sich an ihrer Situation nicht viel verändert. Selbst wenn sie keinem Hirngespinst hinterherjagten, hatten sie, wenn überhaupt, ihre Suche nur etwas eingegrenzt. Bei der unendlichen Fläche, die das Meer einnahm, bedeutete das so gut wie nichts. Er fühlte sich müde, als er in der Lichtkammer ankam. Kari stand an der Brüstung und blickte auf das Meer hinaus. Sie sah bemitleidenswert aus, abgemagert und mit tiefen Ringen unter den Augen. T.K. wusste nicht, welchen Anblick er selbst bot, und er wollte es gar nicht wissen, aber ihr ging es eindeutig schlechter. Als sie sich zu ihm herumdrehte, wankte sie leicht. Die Hand, die sie auf die Brüstung gelegt hatte, schien sie als Stütze zu brauchen. „Devimon lebt“, sagte sie unvermittelt. T.K. riss die Augen auf. „Was sagst du da?“ „Es lebt. Ich habe es im Traum gesehen … Nur seine Umrisse, aber es war ganz sicher ein Devimon. Es arbeitet für den DigimonKaiser, das weiß ich.“ Erschüttert trat er zu ihr. Devimon … Das Digimon, das ihm immer als Inbegriff des Bösen in Erinnerung bleiben würde. Ihr allererster Feind in der DigiWelt, den zu bezwingen Angemon sein Leben gekostet hatte, vor so vielen Jahren. Das Wesen, das ihn lange Zeit in seinen Träumen verfolgt hatte. Er erinnerte sich, wie Ken seine Daten aus dem Dunklen Strudel gesaugt hatte, und wie zornig er darüber gewesen war. Dass der neue DigimonKaiser es ebenso in seine Dienste zwingen wollte, weckte alten Hass. „Bist du sicher, dass es dasselbe Devimon ist?“ Kari war damals immerhin nicht dabei gewesen, vielleicht … Sie schüttelte den Kopf. „Sicher bin ich mir nicht. Aber in den Raum, in dem es war, schwebten Zahnräder. Sie waren tintenschwarz.“ Zahnräder … T.K.s Hoffnung schwand dahin. Das wäre zu viel des Zufalls. „Es stand vor einer Steinplatte“, fuhr sie fort. „Irgendetwas war darauf geschrieben … Ich glaube, es war wichtig, aber ich weiß nicht, was es war. Wenn ich wieder schlafe, erfahre ich es vielleicht.“ Sie wandte sich ab und wollte auf ihre Liege zugehen, aber T.K. ergriff sie eilig am Handgelenk. „Nein, warte. Lass uns rausgehen.“ „Rausgehen?“ „Machen wir einen Spaziergang am Strand. Du warst ewig nicht mehr im Freien, du musst dir die Füße vertreten.“ Er würde sie nicht mehr einfach so schlafen lassen, nicht, wenn das bedeutete, dass er sie mehr und mehr an die Dunkelheit verlor. Bisher hatte er vor allem auf ihre Gesundheit Rücksicht genommen, aber nun ging es um ihr Leben. Er würde sie so lange wach halten, bis sie so erschöpft war, dass sie auf der Stelle tief und fest wie ein Stein einschlafen konnte. „Unsinn“, sagte sie und streifte seine Hand ab. „Wenn ich schlafe, verstehe ich besser, was in der DigiWelt vor sich geht. Vielleicht erfahre ich etwas, das uns hilft.“ „Und ich sage dir, wir gehen spazieren!“ „Was ist denn los mit dir?“, fragte sie und klang gereizt. „Vielleicht morgen. Ich bin müde, und du solltest auch ein wenig schlafen.“ „Du wirst dich auf keinen Fall einfach so opfern!“, platzte es aus T.K. heraus. „Wieso opfern?“ Dann weiteten sich ihre Augen, ehe sie schmal wurden. „Du hast mit Gatomon geredet.“ „Es macht sich große Sorgen! Und ich mir auch!“ „Von der DigiWelt zu träumen, ist alles, was ich tun kann. Also muss ich träumen.“ „Du hast schon Klecks geheiratet – reicht das nicht?“ „Und seit ich ihn geheiratet habe, kann ich nur mitansehen, wie diese armen Kreaturen sich auf den Krieg vorbereiten, in den wir sie schicken wollen, während ich mich wie eine dicke Bienenkönigin hier im Leuchtturm bedienen lasse!“ T.K. war sprachlos. Sie hatte allen Ernstes Mitleid mit den Schattenwesen! Mit diesen schmierigen, hässlichen Ungeheuern, die nichts anderes wollten, als mit ihr Nachwuchs zu zeugen! „Dann komm mit mir nach draußen“, knurrte er. „Üb dich auch im Kämpfen oder hilf ihnen suchen, wenn du es hier drin nicht mehr aushältst.“ „T.K, versteh doch endlich, es ist wichtig, dass ich …“ „Nein, ich verstehe es nicht!“, unterbrach er sie. Der Zorn war wieder da. „Ich verstehe dich nicht. Sorgst du dich kein bisschen um dich selbst? Ist dir völlig egal, was mit dir geschieht? Bitte! Tu doch, was du willst! Träume vom Ende der Welt, wenn es dich so glücklich macht!“ Und obwohl er wusste, dass er sie nun unter keinen Umständen allein lassen durfte, wandte er ihr den Rücken zu und stapfte davon.   Behind these shadows of mankind Waiting for the time when I can return, I return With you together, but never here I stand alone, waiting when you will learn, when you learn (Celesty – Legay of Hate Part 3) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)