New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 31: Der Traum der Schwarzen Königin ------------------------------------------- Tag 81   Davis schüttete sich den halben Trinkschlauch auf einmal in den Rachen. Es war ein heißer Tag am Fuße der Nadelberge angebrochen, und die schweren Füße der Tyrannomon und Monochromon hatten das Gras und die Erde im Lager der Truppe so festgetreten, dass es genausogut staubiger Beton sein könnte – kein Funken saftiges Grün war mehr zu sehen. Die Bäume hatten sie gefällt und damit einen behelfsmäßigen Wall hochgezogen, zum Schutz, falls die Briganten sie nachts aus dem Nichts angriffen. Veemon sah wehmütig auf die spiegelnde Oberfläche des Nadelöhr. Der See wirkte so frisch und klar wie die Versuchung selbst. „Was gäb ich darum, ein paar Runden zu schwimmen“, seufzte es. „Das darfst du nicht“, erwiderte Davis, obwohl auch er sich zu gern den Staub vom Leib waschen wollte. „Ich weiß. Leider.“ Ein Seemonster war im Nadelöhr gesichtet worden. Irgendein Digimon, das sowohl im Wasser als auch an Land lebte, und Berichten zufolge gehörte es zu einer der Brigantenbanden. Darum waren sie hier – auch wenn weit und breit kein Digimon zu sehen war außer ihren eigenen, die in der Sonne dösten. Ein befestigtes Heerlager ohne Feind, dachte Davis. „Schau mal, Davis!“ Veemons ausgestreckter Finger deutete in den Himmel. Sie standen auf einem aufgestellten Baumstamm, dessen Äste man als Stufen benutzen konnte und der somit als Ausguck diente. Eigentlich sollten sie den See überwachen, aber da kam ein Schatten über den klarblauen Himmel angeflogen, wie eine Wolke, die sie herbeigesehnt hatten – nur wesentlich kleiner. „Das ist nur ein Piyomon“, sagte Davis, als er dahinter etwas in der Sonne aufblitzen sah. War das etwa … Mitten im Flug fiel das Digimon wie ein Stein aus dem Himmel. Davis schnappte nach Luft. „Komm mit, Veemon, schnell!“ Seit sie hier waren, tat sich im See sowieso nichts. Sie kletterten die Äste hinunter und rannten aus dem Lager, fort vom Nadelöhr, bemerkt nur vom müde blinzelnden Auge eines Tuskmons. Das Piyomon war noch im Wald abgestürzt; zumindest sah er es auf der grasbewachsenen Ebene nicht. Hier war es überraschend angenehm, als käme die Kühle von den nahen Berghängen herab. Lange mussten sie nicht suchen: Piyomon lag ausgestreckt auf einem Busch, nicht weit vom Waldrand entfernt. „Hey!“, rief Veemon, der es als Erstes erreichte. „Alles in Ordnung mit dir?“ Davis untersuchte schnell sein Gefieder, doch nirgends war ein Schwarzer Ring zu sehen. Dann hatte er sich wohl doch getäuscht, als er das Licht spiegeln gesehen hatte. Es war ja auch weit und breit kein Schwarzer Turm in Sicht; das hier war das Land des Blutenden Herzens. Piyomon hob träge ein Lid. „Die Nördliche Armee … Gehört ihr zur Nördlichen Armee?“ Meinte es das Nördliche Königreich? „Ja!“, sagte Davis eifrig. „Brauchst du Hilfe? Willst du Wasser?“ „Ich muss sofort … sofort …“ Piyomon versuchte sich mit den Flügeln hochzustemmen, doch es war zu erschöpft, und sein Gefieder verfing sich im Busch. „Sofort mit eurem König sprechen!“ „Oh“, murmelte Davis. „Das … ist im Moment nicht so einfach.“ König Leomon hatte sie heute Morgen benachrichtigt, dass es in See gestochen war. Es wollte eine Sache erledigen, die es schon viel zu lange aufgeschoben hatte, wie es sagte. Nach allem, was Davis gehört hatte, standen die Chancen gut, dass es versuchte, seine Heimat zurückzuerobern – die File-Insel, die seit zwei Monaten im Joch des DigimonKaisers stand. „Du kannst es uns sagen“, bot Veemon an. „Wir stehen dem König recht nahe.“ Das war übertrieben, hörte sich aber gut an. „Und dem Drachenritter“, fügte Davis hinzu. „Nein“, murmelte Piyomon. „Der Drachenritter … Der Drachenritter ist …“ „Was?“ „In der Gewalt von … Sora …“ „Wer ist Sora?“, fragte Davis. „Die Schwarze Königin“, wisperte Piyomon und klang dabei unendlich traurig. „Was sagst du da?“ Sir Taichi war vor zwei Tagen aufgebrochen, um die Königin gefangen zu nehmen, aber erst gestern hatten sie am fernen Himmel die Drachenstaffel in Richtung Santa Caria zurückfliegen sehen. Jeder aus seiner Truppe hatte angenommen, Taichi wäre erfolgreich gewesen und der Krieg gegen das Blutende Herz damit so gut wie gewonnen – sollte das heißen, sie hatten versagt? Und waren ohne Taichi zurückgekehrt? „Ihr müsst ihm helfen, er ist im Kerker und es … Es ist schrecklich …“ Piyomons Stimme war brüchig und matt. „Wir … Wir machen uns sofort auf dem Weg!“ Trotz ihrer gelegentlichen Differenzen waren sie Kameraden. Davis würde Taichi nicht im Stich lassen! „Was machen wir wegen der Briganten?“, fragte Veemon. „Die anderen kommen schon ohne uns zurecht. Wir müssen doch sicherlich fliegen, oder? Ich hab gehört, das Düsterschloss liegt mitten in den Bergen?“ Piyomon nickte. „Aber es ist gefährlich … Allein schafft ihr es vielleicht nicht … Ich war selbst im Kerker, aber Sir Taichi und Koromon haben mir erzählt, dass MetallPhantomon dort ist.“ „MetallPhantomon? Das haben wir schon bei der Schlacht um den Dornenwall besiegt“, sagte Davis mit stolzgeschwellter Brust. „Nur keine Sorge! Wir sind die Auserwählten, weißt du?“ „Ihr solltet trotzdem nicht alleine gehen.“ Davis wandte sich verdutzt um, als er die fremde Stimme hörte – und erstarrte. „Der DigimonKaiser!“, stieß Veemon hervor. „Wie ist das möglich?“ Der Schwarze Ring von vorhin war doch keine Einbildung gewesen. Nicht weit von ihnen entfernt lag er auf dem Boden, und über ihm schwebte, flackernd und unstet, ein Hologramm des Tyrannen, wie er erst auf den zweiten Blick erkannte. „Was willst du?“, fragte Davis feindselig. „Piyomon“, sagte der DigimonKaiser, „erzähl uns bitte, was mit Sora geschehen ist, seit ihr Masla verlassen habt.“ Das Vogeldigimon starrte ihn mit großen Augen an. „Was redest du da?“, ereiferte sich Davis. „Es ist aus dem Kerker geflohen! Tu nicht so, als stünde es mit der Schwarzen Königin unter einer Decke!“ „Piyomon ist Soras Digimon-Partner“, behauptete der Kaiser. „Erzähle es uns bitte. Ihr glaubt mir vielleicht nicht, aber ich will euch helfen.“ Davis war baff. „Lügner!“, brachte er heraus. „Er hat recht“, sagte Piyomon kleinlaut. Davis und Veemon wandten sich verblüfft zu ihm um. „Ich … Ich habe versagt.“     Er wusste, dass er keinen Informationen trauen konnte, die nicht ausschließlich über Papier weitergegeben wurden, aber Ken glaubte dennoch nicht, dass es eine weitere Falschmeldung war, erfunden von der Wissens-Armee, die sich wieder in sein System gehackt hatte. Niemand in der DigiWelt wusste noch von der Vergangenheit, außer ihm selbst, Nadine und ihrem Elecmon. Die Wissens-Armee hätte keinen Grund, ihm vorzumachen, dass einer seiner Spionage-Ringe ein einzelnes Piyomon gesichtet hatte. Spadamon war noch in der Mobilen Festung gewesen, als der Bericht an den Hagurumon vorbeiglitt, und da es wusste, nach wem er suchte, hatte es ihn sofort an ihn weitergeleitet, obwohl Ken Sofortnachrichten untersagt hatte. Aber Spadamon war gewitzt. Damit die einzelne Nachricht über ein einzelnes Digimon der Wissens-Armee nicht ins Netz ging, hatte es auch die Nachrichten von rund zwanzig weiteren Ringen an ihn gesendet, die Rookie-Digimon beobachteten. Ken hatte Hoffnung geschöpft. Piyomon gab es zwar viele, aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass eines die Nadelberge verließ, fliehend, allem Anschein nach? Er hatte die Verfolgung aller zwanzig Digimon in Auftrag gegeben. Das Hologramm überließ er dafür dem Risiko, abgehört oder manipuliert zu werden, aber vermutlich verstand nicht einmal Izzy, was er damit bezweckte. Er hatte sich in die Turmkammer zurückgezogen, um ungestört zu sein. Sein Herz pochte bereits heftig. Nun würde er erfahren, was Sora zugestoßen war, und die Aussicht ließ ihm ganz beklommen zumute werden. „Es ist dir gar keine Rechenschaft schuldig, hörst du?“, rief Davis, den er auf dem Bildschirm seines Connectors sah. „Du wirst auch etwas mit der Information anfangen können, wenn du Tai retten willst“, sagte Ken ungeduldig. Musste sein Freund sich ausgerechnet jetzt quer stellen? Doch Piyomon begann zu erzählen. „Wir sind zuerst nach Norden geflogen, möglichst weit weg von Masla. Als wir die Nadelberge erreicht haben, waren wir dann müde und hungrig und wollten eine Rast einlegen. Wir konnten nirgendwo hin, wir kannten ja auch niemanden in der DigiWelt! Dann hat Sora eine Höhle gefunden. Sie schien sicher zu sein, also wollten wir darin übernachten.“ Piyomon rutschte unbehaglich hin und her. Veemon hatte es vom Busch gehoben und ihm einen Wasserschlauch angeboten. „Da drin ist dann … irgendetwas mit Sora passiert. Sie wollte plötzlich nicht mehr weitergehen und hat nur noch vor sich hin gemurmelt, dass niemand sie lieben würde und dass sie ganz alleine in dieser Welt wäre, und dass es solche Dinge wie Liebe gar nicht gäbe und das ganze Leben nur ein einziges, großes Leid wäre.“ In Ken zog sich etwas zusammen, gleichzeitig klopfte sein Herz schmerzhaft in seinem Hals. Gut möglich, dass diese Gedanken ihren Ursprung schon in der Lotusblüte gehabt hatten, aber er hatte plötzlich auch eine vage Vorstellung von dieser Höhle. „Was ist dann passiert?“ Piyomon wurde mit jedem Wort niedergeschlagener. „Ich habe alles getan, aber ich konnte sie nicht aus der Höhle bringen. Digitieren konnte ich auch nicht, also habe ich ihr nur Essen und Trinken gebracht, doch sie hat drei Tage lang nichts angerührt.“ Drei Tage … „Irgendwann ist sie aufgestanden und hat gemeint, es wäre sinnlos, und wir sollten weitergehen. Sie wollte sich beschäftigen, hat sie gesagt, weil der Gedanke, dass niemand sie liebte, so unerträglich geworden wäre. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie sehr wohl liebe, doch sie wollte mir nicht glauben. Sie war nicht mehr sie selbst, als wir aus der Höhle gingen.“ Nun war sich Ken sicher. Er hatte die Geschichte vor Jahren von T.K. gehört. Während Tai und WarGreymon auf der Spitze des Spiralbergs gegen Piedmon, den letzten Meister der Dunkelheit, gekämpft hatten, waren er, Joe, Matt und Sora schon einmal in dieser merkwürdigen, dunklen Höhle gewesen, die ihre Gedanken trübte und um negative Emotionen kreisen ließ. Matt war ihr zum Opfer gefallen und danach auch Sora, aber beide waren nach Kurzem wieder davon losgekommen. Dass Sora diesmal drei Tage lang darin ausgeharrt hatte … Ken stellte sich vor, wie es wäre, wieder und wieder mit seinen übelsten Gedanken konfrontiert zu werden, tagein, tagaus, etwa mit der Schuld, die er am Leid so vieler Digimon hatte. Es musste gereicht haben, ihr eine Gehirnwäsche zu verpassen. Deemon, öffnete er seinen Geist für das finstere Digimon, ist das wahr? Ist es die gleiche Höhle wie vor zehn Jahren? Deemon klang nachdenklich, als es antwortete. „Das ist sie. Ich wusste nicht, dass sie bei Menschen solche Auswirkungen hat. Das erklärt das Verhalten meines Spielsteins.“ Es machte Ken zornig, dass es von Sora als seinem Spielstein sprach, aber er schluckte seinen Ärger hinunter. „Was ist danach passiert?“, fragte er Piyomon. Das arme Digimon wurde immer unglücklicher, obwohl er gedacht hatte, dass das gar nicht mehr möglich wäre. „Wir haben das Düsterschloss entdeckt, im Südwesten der Berge auf einem großen Felsen, in der Nähe eines bewaldeten Tals, aber damals war es noch nicht von den Geistdigimon bewohnt. Eine ganze Schar Sethmon und Aurumon haben uns empfangen und begonnen, Sora ihre Königin zu nennen. Sie konnten sogar beweisen, dass sie eine Überlebende der alten Königsfamilie war: Deren Wappen war dasselbe wie das, das manchmal in Soras Brust aufglüht, wenn ich digitiere. Wir wussten immer, dass es etwas Besonderes zu bedeuten hat. Ich war ganz aufgeregt, aber Sora … Sie hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als die Sethmon ihr das eröffnet hatten. Sie ließ sich nur den Thronsaal zeigen. Die Digimon baten sie sogar, das Schloss etwas schöner herzurichten, damit es gemütlicher wird – nur die Königin darf das, sagten sie. Aber Sora tat nichts, außer stumm herumzusitzen und nachts in den Gängen herumzuwandern. Sie verbrachte auch viel Zeit in den Kellern, wo es heiße Becken und Dampf gibt, und jeden Tag fragte sie mich, warum ich sie nicht liebe.“ Tränen kullerten aus Piyomons Augenwinkeln. „Ich habe ihr jedes Mal gesagt, dass ich das tue, aber sie hat mir nie geglaubt.“ „Aber was ist mit MetallPhantomon?“, fragte Davis aufgeregt. „Und warum bist du im Kerker gelandet?“ Piyomon schüttelte sich, als wollte es böse Erinnerungen vertreiben. Vielleicht fröstelte es aber auch nur. „Sie kamen drei Tage, nachdem wir das Schloss gefunden hatten. MetallPhantomon und seine Geisterhorde waren damals nur eine Bande, die etwas vom Kuchen abhaben wollte, um den man in der DigiWelt ficht. Es hat das Schloss belagert und eine Audienz bei Sora verlangt, und als es im Thronsaal war, wollte es uns überrumpeln. Es kann in die Albträume anderer eindringen und sie verstärken und mehrt damit seine Macht … und es wollte Sora damit zum Aufgeben zwingen. Aber was die Höhle mit Sora angestellt hat … Es war so furchtbar, so verquer, dass nicht einmal MetallPhantomon es ausgehalten hat. Es las in ihrem Traum ihr ganzes Leid, hat es gesagt, und die unendliche Schwermut in Soras Gedanken hat seine Macht so sehr gebrochen, dass es seine Sense nicht mehr heben konnte. Dieses Ding hat einen eigenen Willen, hat es gesagt … und seit Sora diesen besiegt hat, gehorcht es nur mehr ihr. Darum ist MetallPhantomon danach immer um sie herumscharwenzelt und hat sie angefleht, ihm die Sense wiederzugeben! Es war so überwältigt, dass es sich sogar ihrer Armee angeschlossen hat. Alles wäre vielleicht gut geworden, hätte Sora nicht beschlossen, dass die Sethmon, Aurumon und ich ihre Feinde wären … Sie hat gemeint, wir würden sie niemals lieben, und wir hätten sie nur belogen. Letztendlich vertraute sie fremden Digimon, die sich ihr unterworfen hatten, mehr als ihrer eigenen … Familie, ihrer Familie, die behauptete, sie zu lieben! Dann hat sie ihr Wappen abgeändert. Damit es besser zu ihr passt, hat sie gesagt, und es war auf Ratschlag von MetallPhantomon. Sie hat viele von den Aurumon und Sethmon eingesperrt, und viele sind gestorben … Einige konnten auch fliehen. Und mich … mich hat sie …“ Piyomon sah aus, als würde es einen Weinkrampf bekommen, und Ken wurde ganz weh ums Herz, aber es riss sich sichtlich zusammen. „Seither befehligt sie die Geisterarmee. Ich glaube, sie fällt nur Entscheidungen, wenn sie direkt jemand etwas fragt. Ich habe sie verloren. Ich habe als ihr Partner versagt.“ Es ließ den Kopf hängen. „Sag das nicht!“, rief Davis aus. „Veemon und ich werden das schon wieder geradebiegen, stimmt’s?“ „Und wie!“ „Das dürfte nicht einfach sein“, sagte Ken sachlich. Davis funkelte sein Hologramm böse an, aber er ignorierte ihn. Nichts hätte er lieber, als mit ihm zusammenzuarbeiten, um dieses dunkle Knäuel aufzulösen, aber … Du wirst mir kaum sagen, wie ich den Bann brechen kann, der Sora gefangen hält, nicht wahr? Sollte er sie einfach angreifen und gefangen nehmen? Wenn sie Tai eingesperrt hatte, wer wusste schon, was sie mit ihm anstellte. Sora war eine herzensgute Person, aber die Schwarze Königin war grausam – ohne sich dessen bewusst zu sein, wie es aussah. Er konnte Tai und Agumon auf keinen Fall in ihren Fängen lassen. Aber selbst wenn er sie zu Matt und Gabumon sperrte, war sie nicht von diesem Fluch befreit, der sie innerlich aufzufressen schien … Welche Qualen litt sie wohl? Welche Qualen würde er selbst erleiden, wenn er diese Höhle betreten würde, oder all die anderen? Deemon überraschte ihn, als es nach einer schweigenden Weile antwortete: „Ich werde dir hierbei helfen, Ken.“ Ken glaubte, sich verhört zu haben, und Deemon lachte leise. „Die Schwarze Königin ist eine abtrünnige Spielfigur. Sie hätte sich deinen Freunden anschließen und dich bekämpfen sollen, aber so nützt sie mir nichts. Sie hockt auf ihrem Felsen und schickt Räuberbanden ins Feld. Es wäre besser für mich, wenn in ihrem Schloss bald ein Schwarzer Turm steht, der meine Macht vergrößert. Ich werde eine Ausnahme machen und dir unter die Arme greifen, Ken.“ Als ob ich so dämlich wäre, dachte er sarkastisch. „Es ist ein Spiel im Spiel, Ken“, warf Deemon ein. „Das Schloss ist im Moment für mehrere Fraktionen interessant. Denk darüber nach, ich gewinne tatsächlich mehr, wenn ich dir das Geheimnis der Höhle enthülle.“ Welches Geheimnis?, fragte er lauernd. „Der finstere Bann kann gelöst werden, indem ein anderer das Opfer zur Vernunft bringt, doch je länger man sich darin aufgehalten hat, desto schwieriger wird es. Man kann die Macht der Höhle aber für alle Zeiten zerschlagen, wenn man sie herausfordert.“ Wie das? Nein – das ist eine Falle von dir, gib’s zu! „Ich habe geschworen, dich über die Spielregeln niemals anzulügen, Ken. Jemand muss die Höhle herausfordern und sie besiegen. Die Höhle versucht, den Verstand derjenigen zu brechen, die sie betreten. Wenn ihr das nicht gelingt, ist der Fluch gebrochen. Bisher hat es noch niemand geschafft, ich warne dich.“ Mit einem heiseren Lachen zog sich Deemon zurück und ließ Ken mit diesem Wissen alleine. Er grübelte darüber nach, während er sah, wie sich Davis und Veemon weiter um Piyomon kümmerten. Wenn ich die Höhle betrete, bin ich verloren, erkannte er. Mein Gewissen wird mich plagen und ich werden den Menschen verachten, den ich war, und den Menschen, der ich bin, und daran zerbrechen. Das wäre schon einmal fast geschehen, in MaloMyotismons Illusion, hätte Davis nicht … Er fühlte sich wie von einem Blitz getroffen.     „Davis, hör mir genau zu“, sagte der DigimonKaiser plötzlich – genauer gesagt, sein Hologramm sagte es mit regloser Miene. „Was denn noch?“, fragte er gereizt, ohne daran zu denken, woher der Tyrann eigentlich seinen Namen kannte. Er und Veemon wollten soeben das völlig erschöpfte Piyomon ins Lager bringen, damit es sich ausruhen konnte. Den Ring würde er mitnehmen und ihn König Leomon bei dessen Rückkehr zeigen. „Ich nehme an, dass du nun sofort losziehen willst, um den Drachenritter zu befreien?“ „Natürlich! Wag es ja nicht, uns in die Quere zu kommen!“ Der Kaiser seufzte tief. Davis lief eine Gänsehaut über den Rücken, als ihm bewusst wurde, dass er eben mit dem schlimmsten Feind der ganzen DigiWelt sprach. „Tu das nicht, für Sir Taichis und Agumons Wohlergehen. Du musst den Fluch, der auf der Schwarzen Königin liegt, brechen, das ist der einzige Weg.“ „Und seit wann interessierst du dich für sie?“, fragte Veemon an Davis‘ Stelle, der eben dasselbe gedacht hatte. „Wir sind deine Feinde!“ „Das mag sein, aber hier geht es um mehr als das“, sagte der DigimonKaiser rätselhaft. „Du könntest auch Sora retten, und viele andere auch. Du, und nur du. Ich kenne dich, Davis, glaub mir – du bist der eine, der Erfolg haben kann.“ „Wie lange spionierst du mich schon aus?“, wollte er wissen. „Lange genug“, seufzte der DigimonKaiser, als würde es ihn große Überwindung kosten, ihm die Wahrheit zu sagen. „Hör zu, du wirst mir nicht vertrauen, ich weiß. Aber was hältst du von einem Handel? Du willst Sir Taichi, Agumon und Sora nicht im Stich lassen, oder?“ Er würde tatsächlich am liebsten alle retten, die in diesem Krieg zu leiden hatten … auch wenn er nicht bereit war, der Schwarzen Königin ihre Taten so schnell zu verzeihen! „Und was willst du?“ „Mir ist daran gelegen, meine Feinde zu besiegen. Die Schwarze Königin ist für mich eine größere Bedrohung als das Nördliche Königreich. Ich sage dir, was du tun musst, du rettest deine Freunde, dein Reich bekommt mehr Land, und ich habe einen gefährlichen Feind weniger, so einfach ist das. Ich würde es selbst versuchen, aber mir fehlt die Zeit und ein geeignetes Transportmittel dazu.“ Davis konnte sich nicht vorstellen, warum das Blutende Herz gefährlicher sein sollte als der Löwe, andererseits waren Taktik und Strategie auch nicht seine große Stärke. Er biss sich auf die Lippen. „Wir müssen mit dem König reden, um sowas zu entscheiden.“ „Tut das, aber schnell. Tai hat womöglich nicht lange Zeit.“ „Aber der …“ Er konnte es ihm ruhig sagen. Der DigimonKaiser würde nie den Schluss ziehen, dass König Leomon es auf die File-Insel abgesehen hatte – warum auch? Es fuhren so einige Flotten auf dem Net Ocean umher. „Der König ist auf See! Es würde eine Ewigkeit dauern …“ „Dann musst du es ohne seine Zustimmung erledigen, sonst stirbt der Drachenritter höchstwahrscheinlich“, sagte der DigimonKaiser, und für einen kurzen Moment hatte Davis das Gefühl, dass seine Kälte geschauspielert war. Dennoch, war sollte er tun? Seufzend lief er im Kreis und fragte dann Veemon: „Was sagst du?“ „Hören wir uns doch einfach an, was er zu sagen hat“, meinte sein Partner wesentlich ruhiger. „Wenn es ungefährlich ist, können wir ja vielleicht zustimmen.“ „Es ist wesentlich ungefährlicher, als das Schloss der Schwarzen Königin anzugreifen“, behauptete der DigimonKaiser. „Du musst nur dieselbe Höhle betreten wie sie. Das ist alles.“ „Damit ich auch verrückt werde?“ „Sie wird keine Wirkung auf dich haben, und ihr Fluch wird verpuffen. Davon bin ich überzeugt.“ „Wie schön!“, schnaubte Davis. „Du willst mich nur aus dem Weg haben, weil ich auch eine Gefahr für dich bin!“ „Überschätze dich nicht. Aber es ist dein Freund. Ich kann auch warten, bis sich eine neue Gelegenheit bietet, die Königin zu besiegen. Wenn ich es mir recht überlege, ist es wohl sogar besser, wenn der Drachenritter stirbt.“ Davis biss die Zähne zusammen, als der DigimonKaiser teuflisch lachte und das Hologramm erlosch. Den Ring ließ er davonfliegen. Innerlich hatte er sich schon entschieden.     Izzy fuhr sich seufzend mit dem Handrücken über die Stirn, nachdem er die Kabel fertig angeschlossen hatte. Ihr Trupp war recht klein, also musste er selbst kräftig mit anpacken. Hier sind wir viel weiter nördlich, und trotzdem ist es so heiß. Die Sonne knallte auf sie herab, die vielen Fenster reflektierten sie und die Betonwände und –böden hatten sich längst aufgeheizt. Es war ein heißer Tag in der DigiWelt. „Es ist alles geregelt“, sagte Tentomon, das herangeschwirrt kam. „Die Truppen des Kaisers sind zu uns übergelaufen. Da waren nur ein paar, die noch Widerstand geleistet haben. Die Mothmon halten sie in Schach.“ „Gut. Wir sperren sie ein, sobald wir wissen, wo.“ Izzy zog sich unter die Plane zurück, die die Pioniere an der Hauswand aufgebaut hatten, und klappte seinen Laptop auf. Er wollte sich so schnell wie möglich wieder mit dem Hauptrechner der Konföderation vernetzen – zu lange offline zu sein und sich dabei noch unter freiem Himmel aufzuhalten, bereitete ihm ein gewisses Gefühl des Unwohlseins. Immerhin waren sie hier in feindlichem Gebiet. „Hat man den Übergelaufenen schon Anweisungen gegeben, wie sie sich verhalten sollen?“ „Das machen die Searchmon gerade“, sagte Tentomon und flog weiter, um den Bau der Basis zu beaufsichtigen. Izzy war erstaunt, wie einfach es gewesen war, in der Voxel-Stadt Fuß zu fassen. Das Gebiet hatte Fürst Musyamon gehört und war nach dem Fall von Little Edo an den DigimonKaiser gegangen, der es dem Digimon als Lehen zurückgegeben hatte. Zu Beginn des Krieges hatte Musyamon sein Eigen eindrucksvoll verteidigt, aber mit seiner gestiegenen Verantwortung war es nun relativ schwach bewacht gewesen. Es hatte sogar einige Revolten gegeben, als der Verrat des Stadtherrn publik geworden war, und der Großteil der Digimon war hinterher mit den Schwarzen Ringen des DigimonKaisers gezähmt worden. Dennoch hatte Izzy mehr Widerstand erwartet. Die Operation Seemonster war ein ausgeklügelter Plan gewesen, von ihm selbst, Tentomon und Andromon entwickelt und von zahlreichen Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Simulationsstatistiken der Rechner der Konföderation abgesegnet. Ein Spähtrupp hatte die Flotte des DigimonKaisers fortgelockt, und ein recht kleines Whamon hatte die Pioniere am nördlichen Rand des Bambuswaldes an Land gebracht: Izzy selbst als Generaloperator und Missionskoordinator, Tentomon als seine rechte Hand, einige insektenartigen Mothmon mit ihren Gatling-Kanonen als Kampfeinheiten und die grauen, metallischen Searchmon-Käfer für die technischen Aufgaben. Da sie die Verschlüsselung des Nachrichtendienstes des DigimonKaisers erneut geknackt hatten, beherrschten sie noch immer seine Radargeräte. Somit waren die Pioniere für ihn zu einer Phantomeinheit geworden. Blitzschnell hatten sie in einer Untergrundoperation gehandelt, waren von Keller zu Keller gehuscht und hatten schließlich den Schwarzen Turm im Stadtzentrum zerstört und die Voxel-Stadt eingenommen. Nun hatten sie einen hochtechnisierten Brückenkopf, von dem aus sie weitere Angriffe auf das Reich starten konnten, und die meisten Verluste stammten rein aus der Köder-Flotte. Izzy fand, dass er sich belobigend selbst auf die Schulter klopfen konnte. Natürlich wurde das Signal, dass der Schwarze Turm aktiv war, weiterhin gesendet. Nichts in den Systemen des Kaiserreichs deutete darauf hin, dass die Stadt eingenommen worden war. Die befreiten Digimon waren angewiesen worden, ihre nun funktionsunfähigen Ringe weiterhin zu tragen, und Izzy war sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Eine belastbare Konstruktion aus Stahlträgern stützte den durchtrennten Rumpf des Schwarzen Turms und hielt ihn an Ort und Stelle. Von der Ferne sah man ihn immer noch zwischen den Hochhäusern der Stadt aufragen. Eine Konferenzanfrage von Willis war eingegangen. Izzy hatte schon gehört, dass der Anschlag auf den DigimonKaiser fehlgeschlagen war, aber die Stellungnahme des Zwillingsritters hatte bisher nur Andromon entgegengenommen. Dabei hatten sie sich beide große Mühe gegeben, dem Kaiser das Szenario mit dem Ebemon möglichst perfekt vorzugaukeln. Allein die Vorbereitungen des Hinterhalts hatten Izzy tatsächlich eine volle Nacht ohne Schlaf gekostet, obwohl er sich noch auf Operation Seemonster hatte vorbereiten wollen. Er wartete, bis die verschlüsselte Verbindung aufgebaut war, und sah Willis vor seinem Handterminal sitzen. „Da bist du ja“, begrüßte ihn der Blondschopf. „Andromon sagte, du hattest eine Spezialmission? Wie ist es gelaufen? Gut, schätze ich?“ „Bestens. Ein voller Erfolg.“ Izzy lächelte, aber Willis wirkte nicht allzu froh. „Dann hatte wenigstens einer von uns Erfolg.“ „Aber ihr habt Prinzessin Mimi doch gerettet, oder?“ Sie hatten beim letzten Mal keine Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen. „Das schon.“ Willis grinste. „Sie ist übrigens nicht ganz so hübsch, wie immer gesagt wird. Trotzdem, im Moment räkelt sie sich irgendwo in den Bergen, und darf mich hier im Busch herumschlagen.“ Izzy zog den Mundwinkel hoch. „Wo bist du denn?“ „Frag mich was Leichteres. Irgendwo zwischen dem Stiefel und dem Trugwald. Wir versuchen, wenig Aufsehen zu erregen und irgendwie zu Michael und der Froschprinzessin zurückzugelangen, aber hier ist das Pflaster heiß. Die Front wütet im Westen, immer noch, und die Digimon hier mussten vieles für die Versorgung des kaiserlichen Heers aufgeben. Sie sind ziemlich gereizt, hassen Fremde und rauben einen aus, wenn man schläft. Also gebe ich mir Mühe, nicht zu schlafen.“ Izzy bemerkte die dunklen Ringe unter Willis‘ Augen. Seine Zwillingsdigimon, die er schräg hinten im Bild sah, wirkten ebenfalls erschöpft. Sie waren an einem recht dunklen Ort, und er meinte, Wasser rauschen zu hören. „Und alles nur, weil mir der verdammte DigimonKaiser durch die Lappen gegangen ist!“, fuhr Willis wütend fort und knackte mit den Knöcheln. „Ich hab dich gewarnt“, seufzte Izzy. „Hätten wir länger gewartet, hättest du mehr Unterstützung mitbekommen …“ „Ich brauche keine Unterstützung, und die Zeit wäre auch egal gewesen“, widersprach Willis. „Die Falle war perfekt. Ich hatte einfach Pech. Oder der Kerl hatte Glück, das wohl eher. Immerhin haben wir seinen Digimon-Partner erwischt.“ „Oh.“ Das wusste Izzy gar nicht. Er sah zu Tentomon hinüber, das hinter der Glasfront in der Eingangshalle eines Wolkenkratzers den Searchmon Anleitungen gab, wo sie welche technischen und militärischen Stationen hinbauen sollten. Wie würde er sich wohl fühlen, wenn sein Partner sterben würde? Er wäre am Boden zerstört. Aber dem DigimonKaiser war es vermutlich gleichgültig, wer sich für ihn opferte. „Naja“, seufzte Willis. „Wir werden versuchen, hier in diesem Loch was fürs Abendessen aufzutreiben. Wenn du Michael erreichst, sag ihm, wie die Dinge stehen, ich bekomme keine Verbindung zu ihm. Vermutlich ist ein Berg dazwischen, oder die Batterien geben langsam den Geist auf.“ „Passt auf euch auf“, sagte Izzy zum Abschied. „Machen wir. Man sieht sich.“ Die Verbindung brach knackend ab und der Rotschopf blickte wieder seufzend in den strahlend blauen Himmel und überlegte, was noch alles zu tun war, ehe er einen wohlverdienten, von ständiger Wachsamkeit geprägten Feierabend machen konnte.   All you love is a lie You one-night butterfly Hurt me, be the one  Whoever brings the night (Nightwish – Whoever Brings The Night) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)