New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 38: Wahrheit -------------------- Tag 111   Sir Willis schien unruhig, was Yolei verwunderte. Sie kannte ihn eher als ausgeglichenen und charmanten Menschen, aber er sah immer wieder nervös über die Schulter, während sie den Hügel hinunterstiegen. Vielleicht war es kein Wunder – immerhin hatte er den gefürchteten DigimonKaiser gefangen. Trotzdem, und trotzdem er gefürchtet war, hatte Yolei Mitleid mit der abgerissenen Gestalt empfunden. Wenn er nicht seinen kaiserlichen Umhang und die futuristische Kleidung und seine bezeichnende Brille trug, fragte sie sich unwillkürlich, was einen so zerschlagenen Menschen aus Fleisch und Blut zu solchen Gräueltaten trieb. Der Zwillingsritter erkundigte sich genau, was Yolei in Little Edo getan hatte und was Mimi nun vorhatte. Sie erzählte es ihm auszugsweise; Kabukimons Scharade behielt sie für sich. Warum, wusste sie selbst nicht genau. Schließlich erreichten sie den Rebellenführer und die anderen Digimon, die am Fuß des Hügels auf sie gewartet hatten. „Ihr seid Kabukimon, der Rebell?“, fragte Willis und nickte dem Digimon zu. „Der bin ich. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Das ist Sir Willis der Zwillingsritter“, stellte Yolei ihn vor. „Es ist mir eine Ehre, Sir.“ Kabukimon verbeugte sich, aber nicht so tief, wie es gekonnt hätte. Noch ehe Willis etwas sagen konnte, platzte Yolei mit den bombastischsten Neuigkeiten heraus: „Du wirst es nicht glauben, Sir Willis hat den DigimonKaiser gefangen! Vielleicht brauchen wir deinen Plan gar nicht mehr umzusetzen.“ Kabukimon war normalerweise sehr gefasst, aber nun klappte der Mundteil seiner Maske nach unten. „Ist das wahr?“ „Eins nach dem anderen“, wehrte Sir Willis ab. „Dieser Plan sah vor, mit Königin Mimi am Band ein Whamon zu mieten und den DigimonKaiser vom Meer her anzugreifen, ja? Und Sir Michael ist einverstanden? Habt Ihr das auch mit unserer Basis abgestimmt?“ „Das haben wir“, sagte Kabukimon. „Sie haben sich dem Wunsch der Prinzessin gebeugt. Doch wenn Ihr tatsächlich den DigimonKaiser in Gewahrsam habt …“ Es wurde unterbrochen, als Schüsse vom Hügel her hallten. Yolei wirbelte herum, Hawkmon erhob sich von ihrer Schulter in die Luft. Auch Kabukimon wirkte alarmiert. „Was war das?“, rief sie. „Das klang wie die Revolvermon“, sagte Hawkmon. „Wahrscheinlich kein Grund zur Beunruhigung“, meinte Willis mit unergründlicher Miene. „Vielleicht versuchte unser Gefangener zu fliehen, und das waren Warnschüsse.“ Er schien zu überlegen. „Oder … Ich hoffe, die Revolvermon haben nicht die Beherrschung verloren. Der DigimonKaiser ist bei vielen Digimon sehr verhasst.“ „Dann ist er …?“ Yolei sprach den Gedanken nicht aus. „Ich sehe nach, was los ist!“ Hawkmon wollte losflattern, doch Willis hielt es zurück. „Warte. Ich komme mit. Ich habe hier den höchsten Rang inne.“ Er musterte Kabukimon schief. „Das seht Ihr doch auch so, Rebell?“ Yolei fragte sich, warum er so viel Zeit vergeudete. „Ich bin kein Ritter wie Ihr“, sagte Kabukimon und klang verstimmt, „aber ich kämpfe für das Wohl von Little Edo, und der DigimonKaiser ist auch mein geschworener Todfeind. Ich komme auch mit.“ „Dann beeilt Euch!“ Yolei hielt es nicht mehr aus und rannte los. Zusammen mit Hawkmon, Kabukimon und Willis, an dessen Rücken sich Terriermon festhielt, lief sie auf den Hügel zu und steuerte die Kuppe an, auf der die Felswände wie abgebrochene Zahnstümpfe aufragten. Sie hatten sie noch nicht erreicht, als ihnen plötzlich zwei Digimon buchstäblich in den Weg sprangen, wie Yolei sie noch nie gesehen hatte. „Schluss mit diesem Herumgerenne. Ihr bleibt jetzt erst mal schön brav stehen“, sagte das eine, eine hässliche Frau mit noch hässlicherem, rundem Spinnenrumpf in Rot und Lila. Die drei verharrten, Hawkmon landete neben Yolei. „Lopmon!“, rief Willis. Yolei erschrak, als ihre Augen Willis‘ Digimon fanden. Das zweite Digimon, das aussah wie eine übergroße Mumie, hielt es im Arm und drückte ihm den Lauf eines riesigen, glänzend schwarzen Gewehres an den Kopf. Lopmon schien bewusstlos zu sein. Was war dort auf dem Hügel vorgefallen? „Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns?“, knurrte der Zwillingsritter. „Gehört ihr etwa zum DigimonKaiser?“, rief Yolei und ließ Lopmon dabei nicht aus den Augen, während sie scharf nachdachte. Sie war viel in der DigiWelt herumgekommen, aber sie hatte solche Digimon wirklich noch nie gesehen. „Ach, was sind denn das für lästige Fragen?“ Die zähe Stimme der Spinne klang genervt. „Wir haben gehört, einer von euch hat das DigiVice des DigimonKaisers.“ Die Stimme der Mumie war um einiges angenehmer, aber nur einen Deut ruhiger. Das eine freie Auge fand zielsicher Willis. „Händige es uns aus, dann bekommst du dein Digimon zurück.“ Willis ballte zähneknirschend die Fäuste. „Wisst ihr überhaupt, wer ich bin? Ich bin ein Ritter der Konföderation. Legt euch lieber nicht mit mir an.“ „Was sollte es uns interessieren, wer du bist?“, blaffte das Spinnendigimon. „Dein kleiner Plan, den DigimonKaiser zu ermorden, hat fehlgeschlagen, also spiel dich hier nicht so auf.“ Yolei sah Willis fragend an. „Was meint es damit?“ Er schwieg, starr auf sein gefangenes Digimon blickend. „Her mit dem DigiVice, oder du siehst deinen Freund hier nie wieder“, sagte die Mumie und verstärkte den Druck ihrer Waffe. In ihren langen Klauen wirkte Lopmon geradezu winzig. Willis griff eben in seine Tasche, als aus dem Handrücken der Spinnenfrau rote Fäden schossen und vor ihm auf den Boden peitschten. Kabukimon und Yolei spannten sich an. „Nicht so hastig, mein Kleiner“, sagte die Spinne. „Wir wissen, dass du ein Goldenes DigiArmorEi hast. Wenn du irgendwas Schnelles oder Unüberlegtes tust, töten wir dein Digimon, bevor dein anderes digitieren kann.“ Die überdimensionalen Augen glitten über die Versammlung. Kabukimons und Yoleis andere Truppen waren ebenfalls zu ihnen gestoßen, verharrten aber kurz hinter ihnen. „Das gilt für euch alle!“ „Hol das DigiVice raus, aber ganz langsam“, verlangte die Mumie. Willis funkelte die beiden aus seinen eisigen Augen an, näherte seine Hand dann aber betont langsam wieder seiner Jackentasche. „Ach, das ist mir zu kompliziert“, maulte das Spinnendigimon. „Du da, die Göre mit den Augengläsern!“ Yolei zuckte zusammen. „I-ich?“ „Ja, du! Siehst du hier noch so jemanden wie dich? Wie begriffsstutzig kann man eigentlich sein? Du holst das DigiVice aus seiner Tasche.“ „Und beeil dich“, fügte das Mumiendigimon hinzu. Yolei schluckte und sah Willis fragend an, der mit finsterem Blick nickte. Also griff sie in seine Jackentasche und fand auf Anhieb das schwarze DigiVice, das teuflische Hilfsmittel des DigimonKaisers, das ihrem bis auf die Farbe so ähnlich sah. Sie mochte Willis, seine freundliche, zuvorkommende Art und seinen Charme, und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte es ihr vielleicht die Röte ins Gesicht getrieben, ihm so nahe zu kommen. „Jetzt wirf es rüber“, verlangte die Spinne. Yolei tat, wie geheißen. Das Digimon schoss einen Faden ab, der sich in der Luft um das DigiVice wickelte, und zog es in seine Hand. „Gut. Als Nächstes eure ArmorEier. Das goldene, und das der Liebe.“ „Niemals“, zischte Willis, und Yolei schnappte einmal mehr nach Luft. Woher wussten diese Digimon, dass sie ein ArmorEi hatte? Sie steckten mit dem DigimonKaiser unter einer Decke, garantiert – aber woher wollte dieser wissen, dass sie es von Mimi geschenkt bekommen hatte? „Sicher nicht?“, fragte die Mumie und ein spitzes Grinsen teilte ihr Gesicht. „Überleg es dir gut. Das Ei, oder dein Digimon?“ Willis war nun noch widerstrebender. „Was soll ich tun, Terriermon?“, flüsterte er. „Gib es ihnen“, murmelte sein zweiter Partner kleinlaut. „Sonst wird es wieder so wie damals, als Lopmon gestorben ist.“ Er seufzte knurrend und hob den Blick zum Himmel. Er war von bleigrauen Wolken zugezogen. Wahrscheinlich würde es bald wieder regnen. „Es ist in meiner anderen Jackentasche“, sagte er. Yolei verstand, ging um ihn herum, nahm das Ei an sich, das die Form eines Flügels auf einer Kugel hatte und dessen Gold ohne die Sonne stumpf und freudlos wirkte. „Hört mal, Yolei“, begann Willis, ohne sie anzusehen. „Ich weiß, Lopmon ist mein Digimon und es steht mir nicht zu, das von Euch zu verlangen, aber ich bitte Euch trotzdem …“ Er verstummte erstaunt, als er sah, dass Yolei ihr eigenes DigiArmorEi bereits hervorgeholt hatte und beide dem Spinnendigimon zuwarf. Sie zuckte lächelnd mit den Schultern, und Willis erwiderte ihr Lächeln schwach. Die Spinne fing die Eier auf wie zuvor das DigiVice. „Sehr schön. Wird Zeit, dass wir verschwinden.“ Es holte tief Luft und spie eine grüne Giftwolke zwischen die beiden und Yoleis Gruppe, die ihnen kurz die Sicht raubte und sie gewaltsam husten ließ. Als eine Brise den Nebel zerriss, lag Lopmon, immer noch bewusstlos, im Gras. Von den beiden merkwürdigen Digimon war nichts mehr zu sehen. Yolei meinte, am anderen Ende des Hügels etwas quietschen zu hören, aber sicher war sie sich nicht. „Hawkmon, du kannst hier digitieren, oder?“ Sie hatte keine Schwarzen Türme in dieser Gegend gesehen. „Natürlich.“ Goldenes Licht ließ aus Hawkmon Aquilamon werden. Während Willis zerknirscht zu Lopmon ging, sich hinkniete und es zärtlich hochhob, stieg Yolei auf den Rücken des Adlers. „Wir versuchen sie zu verfolgen“, verkündete sie, und da niemand etwas erwiderte, schwangen sich die beiden in die Lüfte. „Da vorn, Yolei.“ Aquilamons scharfe Augen entdeckten den hellen Punkt in der Landschaft sofort, der sich rasch von ihnen entfernte. „Hinterher!“, rief sie überflüssigerweise. Die Verfolgungsjagd endete allerdings fast sofort. Die Flüchtenden bewegten sich in von Schwarzen Türmen kontrolliertes Gebiet. Aquilamon zerstörte den ersten Turm noch aus der Ferne, aber die anderen waren zu weit weg und ihr Einflussbereich überlagerte sich. Wenn es näher an sie heranflog, wäre es gezwungen, zurückzudigitieren. Und ich habe mein DigiArmorEi nicht mehr, dachte Yolei bitter. Wie hat dieses Digimon es genannt? DigiArmorEi der Liebe? Als sie wieder bei Willis und Kabukimon landeten, trat Yolei auf den Zwillingsritter zu. Lopmon lebte eindeutig und schien auch nicht allzu schwer verletzt, dennoch stand Terriermon mit trübem Blick daneben. „Wen auch immer dein Ritter gefangen hat“, sagte Kabukimon, das die Felsen auf dem Hügel inspiziert hatte, „er ist weg. Dort oben ist gar nichts mehr, nur ein paar Einschusslöcher.“ „Sir Willis“, begann Yolei das unangenehme Thema. „Was hat dieses Spinnenwesen gemeint, als es sagte, Ihr hättet den DigimonKaiser ermorden wollen?“ Willis hob ruckartig den Kopf. „Nichts. Es hat gelogen“, sagte er. „Warum habt Ihr ihn nicht mitgenommen, als Ihr mit mir gesprochen habt?“, hakte sie nach. „Und warum habt Ihr die Revolvermon zu seiner Bewachung zurückgelassen, wenn Ihr doch meint, dass sie sich nicht beherrschen können?“ „Darum.“ Er klang zornig. „Ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen.“ Sein schroffer Ton ließ Yolei nur noch entschlossener werden. „Terriermon hat gesagt, Lopmon wäre schon einmal gestorben? War das auch wegen dem DigimonKaiser? Wolltet Ihr es rächen?“ „Das geht dich gar nichts an!“, fuhr Willis sie an. „Wenn Ihr wirklich einen anderen Menschen töten wolltet, dann geht mich das sehr wohl was an! Dann kündige ich Euch nämlich die Freundschaft!“ „Er ist der DigimonKaiser!“ Das ist fast schon so viel wie ein Geständnis. „Aber er ist auch ein Mensch! Menschen werden nicht wiedergeboren, und er war ja kaum noch eine Bedrohung!“ „Ach? Er ist uns entkommen! Und er hat von irgendwoher diese neuen Handlanger bekommen. Wenn ich den erwische …“ Willis drückte Lopmon fest an sich und Yolei bekam für einen Moment Mitleid. Vielleicht tat sie ihm ja unrecht. „Ich finde es auch nicht gut“, sagte Terriermon plötzlich. Willis sah es fragend an. „Und ich weiß von Lopmon, dass es ihn auch nicht töten wollte. Es wollte dir nur nicht widersprechen, damit du deine Rache bekommen kannst.“ „Meine Rache?“, stieß Willis aus. „Aber Lopmon war doch …“ „Ich weiß, er hat uns vieles angetan“, fiel Terriermon ihm ins Wort. Es war ungewöhnlich ernst. „Aber ich stelle mir vor, wie sein Digimon-Partner sich fühlen müsste, wenn er sterben würde. So wie ich mich fühlen würde, wenn dir etwas zustoßen würde, Willis. Und ich weiß, dass zumindest sein Wormmon ein gutes Herz hat. Sonst hätte es sich nicht für ihn geopfert – wie ich mich für dich opfern würde.“ „Terriermon“, murmelte Willis. Dann seufzte er, streichelte Lopmon über den Kopf und stand auf. Yolei erinnerte sich an den Kampf in der Maya-Pyramide. Der DigimonKaiser hatte Matt vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt und Hawkmon verschont, obwohl seine Soldaten es hätten töten können. Vielleicht steckte noch mehr in seiner Persönlichkeit als pure Bosheit. „Gehen wir“, sagte der Zwillingsritter niedergeschlagen. Er trat einen Stein aus dem Weg. Kabukimon musterte ihn mit schief gehaltenem Kopf. „Der Zwillingsritter“, sagte es spöttisch. „Halt den Rand“, fuhr Willis es an. „Was deinen Plan angeht, so werden wir erst noch darüber reden. Kommt mit, Yolei.“ „Und wir werden auch über deinen Plan reden“, sagte Yolei patzig. „Mimi wird nicht erfreut sein, wenn sie erfährt, dass du aus persönlichen Rachegelüsten den DigimonKaiser ermorden wolltest.“ „Yolei“, murmelte Hawkmon beruhigend, das zurückdigitiert war. „Nur zu, macht mir Vorwürfe“, knurrte der Zwillingsritter unwillig. „Was wisst Ihr schon?“ „Ich weiß zum Beispiel, dass wir unsere ArmorEier nicht verloren hätten, wenn wir den DigimonKaiser gemeinsam bewacht und zu Mimi gebracht hätten. Und wahrscheinlich wäre Lopmon auch nicht verletzt worden.“ Darauf sagte Willis nichts mehr.     Das Geräusch des Motors wirkte einschläfernd auf Ken, die holprige Strecke bewirkte das genaue Gegenteil. Er hatte Mummymons gelben Wagen eigentlich als Zweisitzer in Erinnerung gehabt, doch das Gefährt, mit dem sie nun mit schätzungsweise nicht mehr als siebzig Pferdestärken durch die offene Steppe brausten, bot nun vier Personen Platz. Arukenimon und Mummymon hatten ihre menschliche Gestalt angenommen, Mummymon fuhr, die breiten Schultern tief über das Lenkrad gebeugt. Ken saß auf dem Rücksitz neben Oikawa, der lässig den Arm auf die Rückenlehne gelegt hatte. Er hätte nie gedacht, dass er einmal mit ihnen mitfahren würde. „Ich schulde dir wohl einige Erklärungen“, begann der Mann, mit dessen Lebenstraum der ganze Albtraum vor sechs Jahren begonnen hatte. Sein schwarzes Haar flatterte im Fahrtwind, seine Augen waren so stechend wie eh und je, aber er hatte mehr Farbe im Gesicht als damals. „Im Gegenzug hätte ich aber auch gerne ein paar Erklärungen von dir, Ken.“ Ken hörte nur mit einem Ohr zu. Er wandte den Blick ab und ließ ihn über die Landschaft schweifen. Steppe, saftiges Gras und Hügel, am Horizont schwarze Zacken. Er fühlte sich wie in einem Traum. Als er über die Schulter sah, bemerkte er, dass Aquilamon ihnen nicht länger folgte. „Ich kann verstehen, wenn du mir nicht traust“, sagte Oikawa nach einigem Schweigen. „Aber du solltest wissen, dass ich dir nichts Böses will. Diesmal nicht.“ „Das ist es nicht“, fühlte Ken sich bemüßigt zu sagen. Oikawa war ihr Feind gewesen, ja. Er, der er mit dem Tod seines Freundes nicht fertiggeworden war und unbedingt für sie beide die DigiWelt, von der er träumte, hatte besuchen wollen, war vor gut neun Jahren auf Myotismons Lügen hereingefallen, und die Kettenreaktion, die folgte, hatte die DigiWelt verwüstet und auch Ken selbst viel Kummer und Leid gebracht. Oikawas Brief war es zu verdanken gewesen, dass er nach dem Tod seines Bruders das DigiVice an sich gebracht hatte und der DigimonKaiser geworden war. Er hatte die Saat der Finsternis von Ken an die Saatkinder übertragen, die Deemon nun manipulierte. Er hatte das Tor zu der Welt aufgestoßen, in der sich Myotismon verkrochen hatte, hatte ihm als Wirt gedient und seine Wiedergeburt ermöglicht und fast hätten die DigiWelt und die Reale Welt dafür einen hohen Preis bezahlt. Aber Oikawa war letztendlich nur ein Opfer seiner eigenen Trauer gewesen. Wie weit einen Verzweiflung treiben konnte, vermochte Ken sich womöglich besser vorzustellen als jeder andere. Und Oikawa hatte die DigiWelt gesehen, die seine Träume verwüstet hatten, und hatte sein Leben gegeben, um sie zu retten – die Welt, die er so gerne betreten hätte. Kens Stimme kratzte rau in seinem Hals. Oikawa fischte aus seinem Mantel – es war der gleiche, dunkelblaue Trenchcoat, mit dem er immer aufgetreten war – eine Wasserflasche heraus und reichte sie ihm. „Hier. Wir sollten dich ein wenig aufpäppeln. Du hast einiges durchgemacht.“ Erst beim Anblick der vibrierenden Wasseroberfläche in der Flasche merkte Ken, wie ausgedörrt seine Kehle war. Er schraubte den Verschluss auf und trank gierig. Zu gierig – der holprige Weg und die fast schockierend plötzliche Kühle ließen ihn sich verschlucken und husten. „Das fängt ja gut an“, kommentierte Arukenimon sarkastisch. „Konzentriere dich auf die Umgebung und pass auf, ob uns niemand verfolgt“, sagte Oikawa scharf, ohne seine lässige Sitzposition aufzugeben. „Jawohl.“ Fast schon demütig holte Arukenimon einen Feldstecher heraus und suchte den Horizont ab. Ken versuchte erneut zu trinken. Mit kleinen Schlucken gelang es ihm diesmal, und es war eine Wohltat. Als würden seine menschlichen Empfindungen erst jetzt zurückkehren, spürte er seinen Hunger, seine schmerzenden Füße und, noch stärker als zuvor, seine Müdigkeit. „Frag mich, was immer du willst“, fuhr Oikawa fort. „Und dann erkläre mir, was mit meiner geliebten DigiWelt geschehen ist.“ „Sie erinnern sich also?“, fragte Ken misstrauisch. Die letzte Person, der Deemon angeblich ihre Erinnerungen gelassen hatte, hatte ihn hinterrücks verraten. Dieser Stachel saß noch tief. Einen zweiten würde sein Verstand nicht überleben. Wie grausam mochte Deemon sein? „Sollte ich nicht? Ich habe schon bemerkt, dass hier einige Dinge nicht sind, wie sie sein sollten. Haben die anderen DigiRitter ihre Erinnerungen verloren?“ „Wie kommt es, dass Sie hier sind und leben?“, fragte Ken zuallererst. Er meinte die Antwort zu kennen, aber seine Gedanken waren seit seiner Rettung neblig und er fühlte sich noch ausgelaugter als in den Stunden, in denen ihm sein Schicksal gleichgültig gewesen war. „Also stehe ich dir erst Rede und Antwort, ehe du mir vertraust? Wie du willst.“ Oikawa sah ihn nicht an, als er langsam zu einer Erklärung ansetzte. „Zunächst musst du wissen, dass ich in gewisser Weise immer hier war. Ich weiß nicht genau, was es war, mein Geist, meine Lebensenergie, mein Verstand, meine Seele, vielleicht etwas von allem. Es lebte in der DigiWelt fort. Diese Existenz war … anders, sehr viel anders als meine jetzige. Ich kann sie nicht beschreiben. Es war eine glückliche Zeit, auch wenn Dinge wie Glück plötzlich eine andere Bedeutung hatten.“ Ken erinnerte sich noch gut daran, wie Cody versucht hatte, Oikawa über die Grenze zwischen den Welten zu helfen. Doch er hatte sich geweigert, war in der Dimension geblieben, in der Wünsche Gestalt annehmen konnten, und hatte sein ganzes Leben in den einzigen Wunsch gelegt, die DigiWelt zu retten. Sein Körper hatte sich aufgelöst und die verwundete Welt geheilt. Izzy hatte hernach Theorien aufgestellt, dass Oikawa gewissermaßen ein Teil der DigiWelt geworden war, aber Ken war merkwürdigerweise erleichtert, nein, froh, es nun aus seinem eigenen Mund zu hören. „Ich trieb durch die DigiWelt, und ich wusste, dass ich, oder vielmehr meine Energie, es war, die alles zusammenhielt. Die das Schöne in der DigiWelt bewahrte und alte Wunden schloss. Ich sah Digimon, ich sah Menschen, ich sah eine glückliche, heile Welt.“ Oikawas Miene verdüsterte sich. „Dann geschah … etwas. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Etwas geschah mit mir, mit der DigiWelt, wurde anders. Ich wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. Irgendeine Macht von außerhalb – andere Worte kann ich dafür nicht finden – überschrieb gewaltsam, was mit der DigiWelt geschehen war. Als wäre die Vergangenheit geändert worden, als wäre die DigiWelt nie am Rand der Zerstörung gestanden und als hätte es mich nie in dieser Welt gegeben. Ich sah, wie tote Digimon zurückkehren, aber nicht als unschuldige DigiEier, wie ich es gewohnt war. Als hätte ihr Tod einfach nicht stattgefunden, tauchten sie wieder auf, in einer Welt, in der es natürlich war, dass sie noch lebten. Und genauso, wie diese Digimon wiedergeboren, ihre Existenzen quasi zurückgesetzt wurden, erhielt auch ich mein menschliches Leben zurück. Das ist zumindest meine Theorie. Allerdings lief die Sache wohl nicht ganz rund, vielleicht, weil ich von Anfang an nur eine Art Geist gewesen war. Jedenfalls erschien ich nicht in der DigiWelt. Als ich das Bewusstsein wiedererlangte, stand ich in dieser albtraumhaften Welt, deren Tor ich einmal selbst geöffnet hatte.“ Er ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und amtete hörbar durch. Ken beobachtete ihn genau. Es musste eine Wohltat für ihn bedeuten, Wetter und Luft genießen zu können. Die DigiWelt war der menschlichen viel ähnlicher als diese merkwürdige Wunsch-Dimension, an die sich jeder von ihnen nur mit Schrecken erinnerte. „Und dann?“, hörte Ken sich fragen. „Ich wollte herausfinden, was geschehen war. Vielleicht kann man es am besten so beschreiben: Ich hatte meinen Frieden als flüchtige Kraft in der DigiWelt gefunden, und dieser Friede war mir genommen worden. Die andere Welt gewährte mir daraufhin einen neuen Wunsch: Sie öffnete mir ein Tor hierher. Ehe ich es betrat, erschuf ich, kraft meiner Gedanken, Arukenimon und Mummymon neu. Meinen Laptop hatte ich bei mir, meine DNA-Analysen waren noch darauf gespeichert. Die beiden teilen außerdem meine Erinnerungen, habe ich festgestellt.“ Ken ließ den Blick zu den Digimon auf den Vordersitzen wandern, die einst seine schlimmsten Feinde gewesen waren. Sie hatten bisher keine Reaktion gezeigt, aber nun ließ sich Arukenimon zu einer abfälligen Antwort hinreißen, als hätte es Kens Gedanken gelesen. „Ja. Hätte nie gedacht, dass wir mal auf einer Seite stehen würden.“ „Ich habe sie zuerst in die DigiWelt geschickt, weil ich nicht wusste, ob ich sie betreten konnte“, fuhr Oikawa fort. „Dann bemerkte ich das Zeitgefälle. Wir blieben über meinen Laptop in Kontakt, aber in der DigiWelt geschah alles viel schneller.“ Ken nickte. Eintausend Jahre sind acht Monate. Wenn die Zeit in der Wunschwelt genauso schnell verlief wie in der Menschenwelt, war es kein Wunder, dass Oikawa erst jetzt auf die Bildfläche trat. „Also wagte ich den Schritt in die DigiWelt. Ich gestehe, ich hatte Angst davor. Was, wenn sie mich wie einen Fremdkörper abstoßen würde, wenn ich in meiner menschlichen Gestalt herüberwechsle? Aber es tut unendlich gut, hier zu sein. Die Zeit als Geist war erhebend, aber eben anders.“ Nun blickte er Ken an. „Du bist dran. Arukenimon und Mummymon haben mir einiges von dem erzählt, was hier geschehen ist, aber ich begreife nicht, wie ein derartiger Krieg ausbrechen konnte. Stimmt es, dass deine Freunde an verschiedenen Fronten kämpfen? Das scheint mir alles sehr verquer.“ „Ist es auch.“ Ken schluckte. „Bevor ich es Ihnen sage, muss ich Sie aber noch etwas fragen, Oikawa.“ Oikawa lächelte. Es sah … ungewohnt aus. „Bevor du mich das fragst, muss ich dich etwas bitten. Lassen wir doch die Höflichkeiten. Wir sind beide DigiRitter. Nenn mich Yukio.“ DigiRitter … Ken nickte zögerlich. „Gut. Yukio … wenn du nicht genau weißt, was in der DigiWelt vor sich geht, warum hast du dann gerade mir geholfen, und nicht etwa Willis? Immerhin bin ich der DigimonKaiser. Ich müsste der Bösewicht in diesem Spiel sein.“ „Du kamst mir nicht sehr böse vor. Für mich sah es so aus, als wollte dieser andere Junge dich umbringen. Du brauchtest Hilfe, und ich kannte dich.“ Ken sah ihn nachdenklich an. Entweder habe ich großes Glück, oder … „Vielleicht solltest du dich erst auf eigene Faust umhören“, murmelte er. „Was ich dir sage, könnte gelogen sein.“ Vielleicht haben sie alle recht. Ich bin der Böse, der Tyrann. Man muss mich bekämpfen. Eine Weile fuhren sie schweigend über die Steppe. „Du hast dein DigiVice durch mich erhalten, weißt du noch?“, fragte Oikawa irgendwann. Ken durchfuhr es wie ein Blitz. Natürlich … Nach Sammys Tod hatte Oikawa ihm einen Brief geschrieben, in dem er ihn ermutigt hatte, das DigiVice, das erst sein Bruder beansprucht hatte, an sich zu nehmen. Dasselbe DigiVice, das er im tintenschwarzen Wasser des Meers der Dunkelheit getauft hatte. In gewisser Weise hatte seine Reise als DigiRitter tatsächlich mit Oikawa begonnen. „Ja“, sagte er kleinlaut. „Meinst du nicht, dass wir beide zusammenarbeiten sollten? Ich kenne dich gut, Ken, auch wenn du das vielleicht nicht glaubst. Ich konnte damals deinen Schmerz nachempfinden, wirklich. Was ich getan habe, war durch Myotismon beeinflusst, ohne Zweifel, aber wir haben beide jemanden verloren, der uns wichtig war. Du hast viel gelitten, auch durch meine Schuld. Wir waren beide Puppen an Myotismons Schnüren. Ich habe dich so oft verzweifelt gesehen, und nachdem dieser Schatten von mir gewichen ist, habe ich erst erkannt, wie schrecklich du dich gefühlt haben musst. Deswegen glaube ich nicht, dass du böse sein kannst. Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch in dieser seltsamen Welt, der nicht böse sein kann.“ Ken war sprachlos. Er kam nicht umhin, eine neuerliche Falle Deemons zu vermuten – aber es klang so ehrlich, und irgendwie erkannte er auch die Wahrheit hinter Oikawas Worten. Nein, sei nicht so naiv! „Wir haben einige Dinge über dich gehört, Kleiner“, sagte Arukenimon auf dem Beifahrersitz. Es spielte mit einer Haarsträhne und sah in die Ferne. „Die, die klar deine Feinde sind, haben sich das Maul über dich zerrissen. Aber da war auch ein Haufen anderer Digimon. Vor allem die in deinem Reich, und die haben die Nachricht ganz anders aufgefasst, dass du angeblich verreckt sein sollst. Man könnte wirklich meinen, sie hätten um dich getrauert.“ Ken glaubte kaum, was er da hörte. Seine Untertanen. Ogremon, das noch stur zu ihm hielt. Waren da etwa noch mehr, die …? Zahlte es sich doch aus, dass er versucht hatte, ein gerechter Herrscher zu sein? „Nach dem, was Arukenimon und Mummymon mir erzählt haben, gibt es nicht wirklich eine Seite in diesem Krieg, die böse ist. Auch du nicht – ganz besonders du nicht. Ich habe keine Bedenken, dir bei deinem Kampf zu helfen – und ich habe das Gefühl, dass du als einer der wenigen wirklich darüber Bescheid weißt, was hier los ist“, fuhr Oikawa fort. „Also sag schon. Wer steckt hinter diesem Krieg? Wieder Myotismon?“ Ken schüttelte den Kopf. „Deemon.“ „Das Digimon, das damals auch die Saat der Finsternis haben wollte? Dass ihr im Westendviertel verbannt habt?“ Oikawa lächelte. „Ich erinnere mich. Das war eine kleine Heldentat von dir.“ „Es ist entkommen. Und ich … spiele ein Spiel gegen es – behauptet es zumindest. Und ich bin drauf und dran, zu verlieren.“ Ken sank immer weiter in seinen Sitz zurück. Ich darf mir keine Hoffnungen mehr machen. Alles, was ich aufgebaut habe, ist bereits verloren. Ich bin nur noch auf der Flucht. „Noch ist nicht aller Tage Abend“, beruhigte ihn Oikawa. „Also erzähl weiter. Was ist der Einsatz dieses … Spiels?“     Der nächste Traum, der sie überkam, war viel realer als der vorherige. Sie war auf der Flucht, auf der Flucht vor einem riesenhaften Schatten mit einer Sense. Vielleicht war es der Tod selbst. Und natürlich konnte sie über die stoppelbraunen Felder laufen, so schnell sie wollte; sie entkam ihm nicht. Schon spürte sie eisige, metallische Finger, die ihren Leib umschlossen, ein kalter, rachsüchtiger Griff. „Da bist du ja“, knurrte eine altbekannte Stimme. „Dachtest du, du könntest mir entwischen? Ich kann deinen Traum aus Millionen anderen herausschmecken!“ Als hätte die Angst vor ihm in ihrem letzten Traum es in diesem hier heraufbeschworen. „MetallPhantomon“, keuchte sie. „Nein ... Lass mich in Frieden!“ „In Frieden?“ Das Digimon lachte kehlig, während sein Schatten sie rasend schnell umkreiste. Sie sah nur noch Schwarz und graues Metall, Fleisch gewordene Angst. „Wann wolltest du je Frieden? Selbst in deinen Träumen herrschte immer nur Krieg, Krieg, Krieg! Das überstieg sogar meine Kräfte – aber nun, da du Frieden schließen willst, wie könnte ich da nicht ein wenig in deinen Gedanken mitmischen?“ Sora versuchte sich zu wehren, aus seinen kalten Klauen auszubrechen, aber sein Griff, der Griff dieses Albtraums, wurde immer fester, bis er körperlich wehtat. „Der DigimonKaiser hat dich mir vielleicht entzogen“, Metallphantomons Stimme wurde schrill und kreischte über ihre Hörnerven, „aber deine Träume gehören mir! Vergiss das nie!“ Mit einem Knall zog es sich zurück, als jemand Sora an der Schulter rüttelte. „Sora!“ Ihr Name. Wer kannte ihren Namen? Es gab nur noch zwei, die sie so ansprechen würden ... Als sie gewaltsam die Augen aufriss, sah sie Tai über sich gebeugt stehen. „Alles in Ordnung? Du hast geschrien.“ Nichts ist in Ordnung, hätte sie beinahe gesagt, aber sie verbot es sich. Ihre Träume hatten noch nie ihr gehört, warum sollte es plötzlich anders werden? Sie merkte, dass sie schweißgebadet war. „Sind wir schon da?“ Er verzog das Gesicht. „Sie haben uns einfach schlafen lassen. Es ist schon Morgen.“ Der Wagen stand still, und Tai deutete auf die Einstiegsklappe, die einen spaltbreit geöffnet war. Gleißendes Licht bohrte sich in das düstere Innere der einstmaligen Kommandozentrale. Die Giromon waren verschwunden, wahrscheinlich hielten sie draußen Wache, oder sie waren sogar aus ihren Diensten entlassen worden. „Hast du ... heute Nacht etwas bemerkt? Etwas Ungewöhnliches?“, fragte Sora. Sie konnte nicht beschreiben, was genau sie gesehen hatte. Traum oder nicht, es verblasste vor der Erinnerung an MetallPhantomon, die ihr auch jetzt noch einen Schauer über den Rücken jagte. „Was? Nein, sollte ich?“ „Ich ... Nicht so wichtig“, winkte sie ab. Agumon sah sie auch so schon argwöhnisch an, als befürchtete es, sie könnte wieder versuchen, Tai etwas anzutun. Sora fand sein Misstrauen gerechtfertigt. Nichts anderes verdiente sie. Irgendwann schob sich die Klappe ganz in die Höhe, und die Umrisse eines Unimons wurden als Schatten, über dessen Ränder das weiße Wüstenlicht blutete, sichtbar. „Ihr könnt herauskommen, ich habe alles vorbereitet. Unser geliebter König erwartet euch schon.“ Den geliebten König sprach Datamon nun eindeutig spöttisch aus. Es war noch viel heller im Freien. So weit das Auge reichte, sah man strahlend blauen Himmel und Sand in allen Stufen von Gelb bis Braun. Ein Dünenmeer, so trostlos wie Soras Gedanken. Das Monochromon hatte neben den beiden einzigen Gebäuden angehalten, die sie erblicken konnte, eine große, steinerne Sphinx und eine ebenso große Pyramide, die allerdings auf dem Kopf stand und eher aussah wie ein Spielzeug, das ein Riese in den Sand hatte fallen lassen. „Wenn das das Hoheitsgebiet des Einhornkönigs ist, ist es aber erstaunlich schlecht befestigt“, bemerkte Tai, als er sich umsah und weit und breit auch keine Wachen sah. Vielleicht versteckten sie sich in der Pyramide? „Kommt weiter“, sagte Datamon von Unimons Rücken aus. „Zum Bummeln ist auch später noch Zeit.“ Der Haupteingang der Pyramide war von einem schweren, stählernen Tor verschlossen, das knirschend aufschwang, als sie sich näherten. Datamon führte sie durch einen langen Gang. Seitlich wechselten sich Durchgänge zu Räumen aus Stein oder blitzend sauberem Metall ab, in denen Digimon vor schwerer Computermaschinerie saßen. Es waren zumeist Gazimon, erkannte Sora, und fast alle trugen stachelige Halsreifen wie Gefängnisketten. Waren sie hier Sklaven, wie sie auch der DigimonKaiser hielt? Wie viel besser war dann der Einhornkönig? Besser als ich mit Sicherheit, dachte Sora mutlos. Ich war eine schreckliche Herrscherin, auch wenn ich nie eine sein wollte. „Solche Anlagen hat der DigimonKaiser auch“, sagte Tai, als sie, Unimon folgend, an weiteren Computerräumen vorbeikamen. „Und die Wissens-Armee, soweit ich gehört habe.“ „Die waren schon da, bevor unser König sich hier eingerichtet hat“, sagte Datamon. „Er braucht aber jemanden, der sie auch bedienen kann. Ohne mich wäre er aufgeschmissen.“ Nun klang es auch noch arrogant. Wenig später stiegen sie Treppenstufen nach unten – und standen plötzlich vor einem Maschendrahtzaun, der den Gang völlig blockierte. Sora kniff die Augen zusammen. Bestand er aus Kabeln? Oder einem speziellen Metall? In unregelmäßigen Abständen liefen elektrische Blitze darüber. Hinter dem Zaun war nur diffuses, weißes Licht zu sehen. „Folgt mir, und passt auf, dass ihr die Wand nirgends berührt, wo ich es nicht auch tue, sonst werdet ihr gegrillt.“ Datamon ließ Unimon auf eine bestimmte Stelle in der Wand zutraben –  und verschwand einfach darin. Tai und Sora sahen sich ratlos an. Vielleicht wäre jetzt der passende Moment, zu fliehen – aber war das eine gute Idee? Immerhin hatte Datamon sie gewissermaßen befreit, auch wenn sie nur eine Kette gegen die andere ausgetauscht hatten. Und wie weit würden sie kommen, wenn draußen nichts als Sand, Sand und noch mehr Sand war? Tai straffte schließlich entschlossen die Schultern und schritt mitten zwischen den zuckenden Blitzen durch die Drahtwand. Agumon folgte ihm, und schließlich auch Sora. Dahinter wartete der Einhornkönig auf sie.   These black oceans among these stars I am wounded inside, filled with scars My only friend this silent voice I must follow its rules, it’s my only choice (Celesty – Demon Inside) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)